Zweites Kapitel: Sorgfaltspflichten der Versicherungsunternehmen

1. Abschnitt: Identifizierung der Vertragspartei

Art. 3
Massgebliche Beträge und Zeitpunkt


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Das Versicherungsunternehmen muss die Vertragspartei identifizieren:

  1. beim Abschluss eines Lebensversicherungsvertrages mit Sparanteil (inklusive Kapitalisationsgeschäfte), wenn die Prämien den Betrag von CHF 15'000 pro Vertrag innert fünf Jahren übersteigen;
  2. bei einer Einzahlung von mehr als CHF 15'000 auf ein Prämienkonto zu Gunsten einer Lebensversicherung mit Sparanteil, sofern noch keine Identifizierung erfolgt ist;
  3. beim Anbieten oder Vertreiben von kollektiven Kapitalanlagen gemäss dem Bundesgesetz über die kollektiven Kapitalanlagen (Kollektivanlagengesetz, KAG vom 23. Juni 2006; SR 951.31), sofern die Zeichnung den Betrag von CHF 15‘000 übersteigt;
  4. beim Abschluss von Hypothekarverträgen im Rahmen der berufsmässigen Ausübung des Kreditgeschäfts gemäss GwV.

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Die Vertragspartei ist in jedem Fall zu identifizieren, wenn Verdachtsmomente für eine mögliche Geldwäscherei oder Terrorismusfinanzierung im Sinne von Art. 3 Abs. 4 GwG vorliegen.

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Bei Lebensversicherungsverträgen muss die Identifizierung im Zeitpunkt der Zustellung der Police erfolgt sein. Bei Hypothekargeschäften muss die Identifizierung vor Auszahlung von Vermögenswerten abgeschlossen sein.




zu Abs. 1:


Zu identifizieren ist diejenige Person, die den Versicherungsvertrag abschliesst, also der künftige Versicherungsnehmer. Er allein gilt als Vertragspartei im Sinne des Reglements. Wird ein Lebensversicherungsvertrag durch zwei oder mehrere Versicherungsnehmer begründet, so sind sämtliche Personen zu identifizieren. Als Vertragspartei bzw. als Versicherungsnehmer gilt weder ihr Stellvertreter noch die versicherte oder begünstigte Person.


Die Pflicht zur Identifizierung der Vertragspartei besteht beim Abschluss eines Lebensversicherungsvertrages mit Sparanteil, wenn die Einmalprämie oder die periodischen Prämien den Betrag von CHF 15'000 pro Vertrag innert 5 Jahren übersteigen. Demnach muss sich der Versicherungsnehmer zu einer Prämienzahlung von mehr als CHF 15'000 pro Vertrag innert 5 Jahren verpflichten. Aufgrund der internationalen Vorgaben beträgt der Schwellenwert seit Januar 2020 CHF 15‘000 (vorher CHF 25‘000). Der Schwellenwert entspricht jenem bei den Banken für das Kassageschäft (Art. 4 Abs. 2 lit. g VSB 20). Relevant ist der tatsächliche Geldfluss nach allfälligen Prä-mienabzügen oder Prämienzuschlägen (Nettoprinzip inklusive Steuern), d.h. grundsätzlich die gemäss Police geschuldete Prämie inkl. Steuern, zu der sich die Vertragspartei verpflichtet hat. Besteht der Verdacht, dass durch den Abschluss von mehreren Versicherungsverträgen oder Prämienkonti (vgl. auch Kommentar zu Art. 3 R SRO-SVV, Rz. 8) mit Prämienzahlungen unterhalb der Mindestgrenze die Identifizierungspflicht umgangen werden soll (Smurfing), muss die Identifizierung trotzdem vorgenommen werden. Dies ist etwa dann der Fall, wenn unter Berücksichtigung der gesamten Umstände keine sachlich gerechtfertigten Gründe für den Abschluss von mehreren Lebens¬versicherungsverträgen oder Prämienkonti erkennbar sind.


Unter einem Lebensversicherungsvertrag mit Sparanteil sind sowohl Kapital- als auch Rentenversicherungen (d.h. mit und ohne Rückgewähr sowie lebenslängliche Todesfallversicherungen) zu verstehen. Der Begriff «Kapitalisationsgeschäfte» umfasst die in Anhang 1 unter Punkt A6 der Verordnung über die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen (Aufsichtsverordnung, AVO) geregelten Geschäfte. Da diese einen Sparanteil aufweisen, fallen sie ebenfalls unter den Anwendungsbereich des Reglements. Versicherungsverträge, die der gebundenen Selbstvorsorge (Säule 3a) im Sinne von Art. 1 BVV 3 dienen, und reine Risikoversicherungen fallen gemäss Art. 1 Abs. 2 R SRO-SVV nicht in den Anwendungsbereich des Reglements, auch wenn die Risikoversicherungen im Laufe der Zeit ein (versicherungstechnisches) Deckungskapital aufweisen. Verträge zwischen Personalvorsorge-Einrichtungen und ihren Versicherten, sowie Kollektivversicherungsverträge zum Zwecke der beruflichen Vorsorge zwischen einer Lebensversicherungsgesellschaft und einer Personalvorsorge-Einrichtung können ebenfalls nicht unter eine Lebensversicherung mit Sparanteil im Sinne des Reglements subsumiert werden (vgl. Kommentar zu Art. 1 Abs. 2 R SRO-SVV).


Anteilgebundene Lebensversicherungen sind bezüglich der Sorgfaltspflichten den konventionellen Lebensversicherungen mit Sparanteil gleichgestellt. Somit ist die Vertragspartei nach Art. 3 Abs. 1 lit. a und b R SRO-SVV zu identifizieren, wenn die Einmalprämie oder die periodischen Prämien den Betrag von CHF 15'000 pro Vertrag innert 5 Jahren übersteigen.


Bei Änderungs- bzw. Mutationsgeschäften, welche eine Erhöhung der Jahresprämien zur Folge haben, entsteht die Pflicht zur Identifizierung der Vertragspartei, wenn erstmals mit der vorgenommenen Änderung der Schwellenwert überschritten wird. Davon ausgenommen sind automati-sche Anpassungen, welche sich aufgrund einer Bindung an einen Index etc. ergeben. Massgebend ist die neue Gesamtprämie und nicht der Betrag der Erhöhung. Erfolgt die erhöhte Prä-mienzahlung aufgrund einer im Versicherungsvertrag vereinbarten Nachversicherungsgarantie, ist eine Identifizierung vorzunehmen, wenn mit der vorgenommenen Änderung der Schwellenwert überschritten wird und vorgängig keine Identifizierung erfolgt ist.


Werden Ablaufleistungen aus Lebensversicherungsverträgen reinvestiert, ist dann keine erneute Identifizierung vorzunehmen, wenn die Identifizierung anlässlich der ersten Vertragsbeziehung erfolgt und nach den damals geltenden Bestimmungen dokumentiert worden ist. Ist dies nicht der Fall, muss die Vertragspartei bei Reinvestitionen über dem Schwellenwert identifiziert werden. Gleichzeitig ist zu beachten, dass eine Aktualisierung der Dokumentation aufgrund der Vorgaben in Art. 16 (Aktualisierungspflicht der Kundenbelege) erforderlich sein kann.


Werden Versicherungsanträge durch Dritte eingereicht, welche nicht Mitarbeitende des Versicherungsunternehmens (unabhängige Vermittler) und nicht mit der Vornahme der Identifizierung nach Art. 18 R SRO-SVV «Delegation von Sorgfaltspflichten» beauftragt worden sind, hat das Versi-cherungsunternehmen die Identifikation des Versicherungsnehmers selbst vorzunehmen.


Mit Art. 3 Abs. 1 lit. b R SRO-SVV soll die Umgehung der Identifizierungspflicht verhindert werden, bei welcher eine Lebensversicherung gemäss lit. a mit einer Prämie unterhalb dem dort erwähnten Schwellenwert abgeschlossen wird, obwohl in Wahrheit höhere Prämienzahlungen des Kunden vorgesehen sind. Auch bei Zahlungen auf ein Prämienkonto ist der Vertragspartner zu identifizieren, sofern innert 5 Jahren mehr als CHF 15’000 auf das Prämienkonto einbezahlt wird.


Beim Prämienkonto handelt es sich um ein auf den Versicherungsnehmer lautendes und vom Versicherungsunternehmen geführtes Konto für Prämienzahlungen «zu Gunsten einer Lebensversicherung mit Sparanteil». Ein Prämienkonto im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. b R SRO-SVV liegt somit vor, wenn es ausdrücklich im Hinblick auf den Abschluss oder nach Abschluss einer Lebensversicherung gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. a R SRO-SVV eröffnet wird. Wird das Prämienkonto für die Finanzierung von Prämien für Versicherungsverträge eröffnet, welche nicht unter dem Geltungsbereich des R SRO-SVV stehen (z. B. Lebensversicherungsverträge der gebundenen Selbstvorsorge Säule 3a), besteht keine Identifizierungspflicht. Von den Prämienkonten sind zudem die Abwicklungskonten zu unterscheiden, welche im Rahmen der Auszahlung der Versicherungsleistung auf den Namen des bisherigen Versicherungsnehmers eröffnet werden (z.B. Auszahlungskonto). Hier besteht keine Identifizierungspflicht, da kein Neugeschäft vorliegt.


Beim Vertrieb von kollektiven Kapitalanlagen besteht in Anlehnung an die Vorgaben in der GwV-FINMA eine Identifizierungspflicht erst, sofern die Zeichnung den Betrag von CHF 15‘000 übersteigt.


Bei der Gewährung eines Hypothekarkredites ist die Vertragspartei der Hypothekarkreditnehmer (Schuldner des hypothekarisch gesicherten Darlehens; Darlehensschuldner). Dieser ist in der Regel auch der Eigentümer des belasteten Grundstücks. Wird ein Hypothekarkreditvertrag durch zwei oder mehrere Hypothekarkreditnehmer begründet, so sind sie alle zu identifizieren. Dabei müssen nicht sämtliche Hypothekarkreditnehmer auch Eigentümer des belasteten Grundstücks sein. Es ist sogar denkbar, dass es sich um ein reines Drittpfand handelt. Ist der Eigentü-mer/Drittpfandsteller nicht auch Darlehensschuldner, muss der Eigentümer/Drittpfandsteller nicht identifiziert werden, da er nicht Vertragspartei des Hypothekarkreditvertrages ist. Die Identifizie-rung muss bei der Gewährung von Hypothekarkrediten immer unabhängig eines Schwellenwertes, also in jedem Fall, vorgenommen werden.


Bei der Verlängerung eines bestehenden Hypothekarkredites muss eine erneute Identifizierung nur erfolgen, falls diese nicht bereits vorgängig durchgeführt worden ist.


zu Abs. 2:


Bei einem Verdacht auf Geldwäscherei oder Terrorismusfinanzierung ist die Vertragspartei gemäss den gesetzlichen Vorgaben immer zu identifizieren, auch wenn die Einmaleinlage oder die periodische Prämienzahlung den Schwellenwert nicht erreicht oder wenn gegebenenfalls Ausnahmen hinsichtlich der formellen Identifizierungspflicht vorliegen (Art. 3 Abs. 4 GwG).


Vor Eintreffen des unterzeichneten Antrags bei der Gesellschaft (d.h. bevor Verhandlungen zur Aufnahme einer Geschäftsbeziehung beginnen), wenn beispielsweise der Aussendienstmitarbeiter ein Geschäft aufgrund von Ungewöhnlichkeiten oder Verdachtsmomenten von sich aus ablehnt, besteht noch keine Identifizierungspflicht nach Art. 3 Abs. 2 R SRO-SVV. Ebenso besteht keine Pflicht zur Identifizierung der Vertragspartei, wenn das Versicherungsunternehmen den unterzeichneten Antrag auf Abschluss einer Lebensversicherung im Verhandlungsstadium aufgrund von Ungewöhnlichkeiten oder Verdachtsmomenten anlässlich der Antragsprüfung ablehnt. In beiden genannten Fällen besteht jedoch allenfalls eine Meldepflicht nach Art. 9 Abs. 1 lit. b GwG, wenn das Versicherungsunternehmen die Verhandlungen zur Aufnahme einer Geschäftsbeziehung wegen eines begründeten Verdachts abbricht (vgl. dazu Art. 19 R SRO-SVV).


Unter dem Begriff «Verdachtsmomente» im Sinne von Art. 3 Abs. 2 R SRO-SVV ist kein begründeter Verdacht nach Art. 9 Abs. 1 GwG zu verstehen. Insofern geht der Begriff «Verdachtsmomente» weniger weit als der «begründete Verdacht». Die Identifizierungspflicht bei Verdachtsmomenten greift bereits dann, wenn eine Plausibilitätsprüfung ungewöhnlich erscheint.


Bestehen Zweifel bzw. liegen Verdachtsmomente hinsichtlich der legalen Herkunft der Geldmittel vor, hat sich das Versicherungsunternehmen für die nachträgliche Identifizierung der Vertragspartei zu entscheiden. Jedoch beinhaltet diese Identifizierung beim Vorliegen von Verdachtsmomenten für eine mögliche Geldwäscherei im Sinne von Art. 3 Abs. 2 R SRO-SVV noch keinen Entscheid über eine spätere Meldung des Geschäfts an die Meldestelle für Geldwäscherei (MROS). Sie soll lediglich die Möglichkeit sicherstellen, dass eine Meldung im Sinne von Art. 19 R SRO-SVV allenfalls später erstattet werden kann, falls ein begründeter Verdacht nach Art. 9 GwG vorliegt, wobei die Identifizierung keine Voraussetzung für eine Meldung bildet, jedoch das Hemmnis für eine Meldung senkt, da die Behörden im Zuge ihrer Untersuchungen wohl auch die Einhaltung der Sorgfaltspflichten durch den Finanzintermediär eingehend untersuchen.


Indizien für Ungewöhnlichkeiten und damit mögliche Verdachtsmomente für Geldwäscherei können auch während der Vertragsdauer entstehen, beispielsweise immer dann, wenn (vgl. auch die Kommentare zu Art. 13bis und 13ter R SRO-SVV):

  • die Vertragspartei einen Betrag von mehr als CHF 15'000 in bar einzahlen möchte;
  • sich das wirtschaftliche Umfeld oder die Kenntnisse und Erfahrungen über den Kunden nicht oder nicht mehr mit dem Vertrag vereinbaren lassen;
  • spezielle Dienstleistungen oder Produkte (namentlich Wrapper Produkte) verlangt werden;
  • die Konstruktion des Vertrages darauf hindeutet, dass ein krimineller Zweck erreicht werden soll;
  • Art und Ort der Geschäftstätigkeit der Vertragspartei und/oder des wirtschaftlich Berechtigten Fragen aufwirft;
  • der Zweck des Vertragsabschlusses nicht erkennbar ist oder wirtschaftlich geradezu unsinnig erscheint (Abschluss von mehreren kapitalbildenden Lebensversicherungen mit gleichem Risikoschutz und kurzer Laufzeit sowie Finanzierung mit Einmalprämien knapp unter dem Schwellenwert);
  • eine Vollmacht an eine Person, welche erkennbar nicht in einer genügend engen Beziehung zur Vertragspartei steht, erteilt wird;
  • eine Anweisung, die Versicherungssumme der begünstigten Person bar auszubezahlen, erteilt wird;
  • die Vertragspartei Diskretionsbedürfnisse, die über das branchenübliche Mass hinausgehen hat, oder der persönliche Kontakt fehlt;
  • die Vertragspartei zusätzlich zur Versicherungspolice eine Garantieerklärung verlangt;
  • eine Geschäftsbeziehung mit einer Sitzgesellschaft, Personenverbindung, einem Trust oder anderen Vermögenseinheiten, an denen keine bestimmte Person wirtschaftlich berechtigt ist, eingegangen wird;
  • eine Geschäftsbeziehung oder Transaktion in Verbindung mit natürlichen oder juristischen Personen bzw. wirtschaftlich Berechtigten mit Nationalität, Wohnsitz oder Sitz in Ländern, deren Massnahmen zur Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung den grundlegenden Prinzipien des GwG nicht entsprechen, eingegangen wird;
  • Verdachtsmomente auftreten, wonach die Vertragspartei oder die wirtschaftlich berechtigte Person zu einer terroristischen oder einer anderen kriminellen Organisation gehört oder Verbindungen zu Personen hat, welche solchen Organisationen angehören, sie unterstützen oder ihnen sonst wie nahestehen;
  • der Abschluss sonst wie ungewöhnlich erscheint, es sei denn, dessen Rechtmässigkeit sei erkennbar.

Bei Geschäftsbeziehungen zu Trusts ist der Trustee als Vertragspartner zu identifizieren. Der Trust selbst kann nicht Vertragspartner sein. Der Trustee ist entweder nach den Vorgaben für natürliche oder juristische Personen bzw. Personengesellschaften zu identifizieren.


zu Abs. 3


Die Regelung von Abs. 3 stellt einerseits die Kodifizierung der bisherigen Praxis im Lebensversi-cherungsbereich dar, wonach die Identifizierung spätestens mit Zustellung der Police abgeschlossen werden muss.

Im Hypothekarbereich ist analog zum Bankbereich (VSB) im Hinblick auf die möglichen GwG-Risiken nicht der Vertragsabschluss für die Identifizierung massgebend, sondern der Zeitpunkt, in welchem ein Geldfluss erfolgen kann. Die Identifizierungsdokumente müssen somit beim Versiche-rungsunternehmen spätestens vor Auszahlung des Darlehens und nicht bereits bei der Ausstellung der Vertragsofferte vorliegen. Dies ermöglicht es, die Identifizierung erst nach Ausstellung einer verbindlichen Vertragsofferte vorzunehmen.

Im Bereich kollektive Kapitalanlagen muss die Identifizierung vor dem Austausch von Leistungen (Annahme von Geldern – Einbuchung der kollektiven Kapitalanlagen in das Kundendepot) abgeschlossen sein.