Urteil des Bundesgerichts 2C_276/2016 vom 12. September 2016

Gruppenersuchen der Niederlande

  • 27. April 2017
  • Bearbeitet durch: Susanne Raas
  • Beitragsart: Grundsatzurteil
  • Rechtsgebiete: Internationale Amtshilfe
  • Zitiervorschlag: Susanne Raas, Urteil des Bundesgerichts 2C_276/2016 vom 12. September 2016, ASA online Grundsatzurteile
Urteil des Bundesgerichts 2C_276/2016 vom 12. September 2016 i.S. Eidgenössische Steuerverwaltung gegen A. Bisher nicht entschiedene Rechtsfrage. BGE-Publikation vorgesehen.

Inhalt

  • 1. Regeste
  • 2. Sachverhalt (Zusammenfassung)
  • 3. Aus den Erwägungen

1.

Regeste ^

Das Steueramtshilfegesetz ermöglicht für sich genommen keine Gruppenersuchen, da es ein Ausführungsgesetz ist (E. 4).
Die Frage, ob auf ein Gruppenersuchen der Niederlande nach internationalem Recht einzutreten ist, ist durch Auslegung der einschlägigen Normen zu beantworten. Bei dieser Auslegung sind im konkreten Fall das DBA CH-NL, das Protokoll, welches integrierender Bestandteil des Abkommens ist, und die Verständigungsvereinbarung als Einheit zu betrachten (E. 5.3.2). Die Bestimmungen betreffend den Informationsaustausch bezwecken sicherzustellen, dass der ersuchte Staat dem ersuchenden Staat die gewünschten Informationen liefert, wobei sie gleichzeitig die Rahmenbedingungen für diese Zusammenarbeit festlegen (E. 5.3.4). Die Auslegung ergibt, dass Gruppenersuchen ohne Namensnennung unter dem DBA CH-NL zulässig sind (E. 5.3.4, vgl. auch E. 5.4).

La loi fédérale sur l’assistance administrative ne permet pas, à elle seule, des demandes groupées dans la mesure où il s’agit d’une loi d’application (consid. 4).
Savoir s’il y a lieu d’entrer en matière sur une demande groupée des Pays-Bas doit être résolu au moyen d’une interprétation des normes pertinentes. Dans le cas concret, cette interprétation doit observer la CDI CH-NL, le protocole qui fait partie intégrante de la Convention ainsi que l’accord amiable en tant qu’unité (consid. 5.3.2). Les dispositions relatives à l’échange d’informations visent à assurer que l’Etat requis livre à l’Etat requérant les informations souhaitées, étant précisé qu’elles déterminent également les conditions-cadres de cette coopération (consid. 5.3.4). Il résulte de cette interprétation que les demandes groupées sans mention de nom sont admissibles sous l’empire de la CDI CH-NL (consid. 5.3.4, comp. consid. 5.4).

La legge sull’assistenza amministrativa fiscale di per sé non autorizza le domande raggruppate, in quanto si tratta di una legge di esecuzione (consid. 4).
La questione a sapere se in virtù del diritto internazionale si debba entrare nel merito di una domanda raggruppata olandese, va risolta ricorrendo all’interpretazione delle norme pertinenti. Nel caso concreto, in detta interpretazione vanno considerate come un’unità la CDI CH-NL, il Protocollo, parte integrante della predetta Convenzione, nonché l’Accordo amichevole (consid. 5.3.2). Le disposizioni concernenti lo scambio di informazioni mirano a garantire che lo Stato richiesto trasmetta le informazioni desiderate dallo Stato richiedente, fissando nel contempo le condizioni generali alla base di detta collaborazione (consid. 5.3.4). Dall’interpretazione risulta che le domande raggruppate senza indicazione dei nomi sono ammesse secondo la CDI CH-NL (consid. 5.3.4; cfr. anche consid. 5.4)

2.

Sachverhalt (Zusammenfassung) ^

Am 23. Juli 2015 reichte der zuständige Dienst der niederländischen Steuerbehörde (Belastingdienst; nachfolgend: BD) bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) ein Amtshilfegesuch ein. Das Ersuchen betraf dem BD namentlich nicht bekannte natürliche Personen, die im Zeitraum vom 1. Februar 2013 bis 31. Dezember 2014 näher genannte Kriterien erfüllt haben.
Nach Durchführung des Verfahrens ordnete die ESTV mit Schlussverfügung vom 25. November 2015 an, dem BD sei betreffend A. Amtshilfe zu leisten. A. erhob am 24. Dezember 2015 Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht, welches diese mit Urteil vom 21. März 2016 guthiess und die Schlussverfügung der ESTV aufhob.
Die ESTV erhebt am 31. März 2016 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Schlussverfügung vom 25. November 2015 zu bestätigen.
Das Bundesgericht hat die Angelegenheit am 12. September 2016 öffentlich beraten. Es heisst die Beschwerde gut.

3.

Aus den Erwägungen ^

4.
Die rechtliche Grundlage für die Leistung von Amtshilfe kann sich aus einem Staatsvertrag oder aus autonomem Landesrecht ergeben, wobei bei Vorliegen eines Doppelbesteuerungsabkommens die innerstaatliche Regelung das Abkommen grundsätzlich nicht auszuhebeln vermag. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass nach dem anwendbaren Staatsvertragsrecht Amtshilfe bei Gruppenersuchen nicht zulässig ist (dazu hinten E. 5), prüft aber, ob in Anwendung der Schubert-Praxis das Landesrecht dennoch Amtshilfe vorsehen könne. Es verneint dies, da sich aus dem StAhiG (Steueramtshilfegesetz; SR 651.1) kein Wille des Gesetzgebers ergebe, abweichend vom Staatsvertrag Amtshilfe zu gewähren. In der öffentlichen Verhandlung des Bundesgerichts wurde demgegenüber diskutiert, ob allein gestützt auf das StAhiG Amtshilfe geleistet werden kann, wenn der Staatsvertrag diese zwar nicht verbietet, aber auch nicht vorschreibt. Wäre die Frage zu bejahen, so würde sich eine Auslegung des einschlägigen Staatsvertragsrechts erübrigen.
4.1. [...] Dem Gesetzeswortlaut zufolge regelt das StAhiG einzig den Vollzug internationaler Abkommen und auch die Beschaffung von Bankdaten ist nur auf der Grundlage eines anwendbaren Abkommens zulässig. […]
4.2. [...]
Der Entstehungsgeschichte des StAhiG lässt sich demnach entnehmen, dass dieses nach seiner Konzeption einzig die verfahrensrechtliche Umsetzung der Steueramtshilfe regeln will, die materiellrechtlich in den einschlägigen internationalen Abkommen vorgesehen ist. Zwar gab es im Gesetzgebungsprozess Vorstösse, das StAhiG darüber hinaus auch zu einer gesetzlichen Grundlage für einseitige Amtshilfe auszubauen. Diese Vorschläge wurden im Parlament aber deutlich abgelehnt.
4.3. Diese Ansicht scheint auch eine Mehrheit der Lehre zu vertreten. […]
4.4. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass das Steueramtshilfegesetz das Verfahren und die Ausführung der Amtshilfe regelt. Seine materiellen Definitionen sind nur von Interesse, soweit sie die Bestimmungen gemäss den anwendbaren internationalen Abkommen erläutern. Die Bestimmungen des StAhiG betreffend Gruppenersuchen kommen somit nur zum Tragen, soweit das einschlägige Abkommen selbst Gruppenersuchen zulässt. Eine eigenständige Rechtsgrundlage für eine autonome Amtshilfe ist dem StAhiG nicht zu entnehmen.
5.
Die rechtliche Grundlage für die Leistung von Amtshilfe bei Gruppenersuchen muss sich somit aus dem einschlägigen DBA ergeben.
5.1. Vorliegend zur Anwendung gelangen die Amtshilfeklausel des DBA CH-NL (Art. 26 DBA CH-NL [Abkommen vom 26. Februar 2010 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen {SR 0.672.963.61}]) und die zugehörige Ziff. XVI des Protokolls zum DBA CH-NL (vgl. zum Intertemporalrechtlichen Art. 29 Abs. 2 DBA CH-NL). Ebenfalls anwendbar ist die am 31. Oktober 2011 abgeschlossene und gleichentags in Kraft getretene Verständigungsvereinbarung zum DBA CH-NL.
5.1.1. Art. 26 DBA CH-NL entspricht weitgehend dem Wortlaut von Art. 26 des OECD- Musterabkommens (Botschaft vom 25. August 2010 zur Genehmigung eines Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und den Niederlanden, BBl 2010 5787, 5800 zu Art. 26). Er lautet wie folgt:
1. Die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten tauschen die Informationen aus, die zur Durchführung dieses Abkommens oder zur Anwendung oder Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts betreffend für Rechnung der Vertragsstaaten, ihrer politischen Unterabteilungen oder lokalen Körperschaften erhobenen Steuern jeder Art und Bezeichnung voraussichtlich erheblich sind, soweit die diesem Recht entsprechende Besteuerung nicht dem Abkommen widerspricht. Der Informationsaustausch ist durch Artikel 1 und 2 nicht eingeschränkt.
2. (...)
3. Die Absätze 1 und 2 sind in keinem Fall so auszulegen, als verpflichteten sie einen Vertragsstaat:
a) Verwaltungsmassnahmen durchzuführen, die von den Gesetzen und der Verwaltungspraxis dieses oder des anderen Vertragsstaates abweichen;
b) Informationen zu erteilen, die nach den Gesetzen oder im üblichen Verwaltungsverfahren dieses oder des anderen Vertragsstaats nicht beschafft werden können;
c) Informationen zu erteilen, die ein Handels-, Geschäfts-, Industrie-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis oder ein Geschäftsverfahren preisgeben würden oder deren Erteilung dem Ordre public widerspräche.
4. (...)
5. Absatz 3 ist in keinem Fall so auszulegen, als erlaube er es einem Vertragsstaat, die Erteilung von Informationen nur deshalb abzulehnen, weil sich die Informationen bei einer Bank, einem sonstigen Finanzinstitut, einem Bevollmächtigten, Beauftragten oder Treuhänder befinden oder weil sie sich auf Beteiligungen an einer Person beziehen. Ungeachtet von Absatz 3 oder entgegenstehender Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts verfügen die Steuerbehörden des ersuchten Vertragsstaates über die Befugnis, die Offenlegung der in diesem Absatz genannten Informationen durchzusetzen.
5.1.2. Die Bestimmung äussert sich nicht dazu, welche Anforderungen im Einzelnen an ein Amtshilfegesuch zu stellen sind. Hierzu führt aber das Protokoll zum DBA CH-NL in Ziff. XVI Bst. b Folgendes aus:
b) Es besteht Einvernehmen darüber, dass die Steuerbehörden des ersuchenden Staates bei der Stellung eines Amtshilfebegehrens nach Artikel 26 des Abkommens den Steuerbehörden des ersuchten Staates die nachstehenden Angaben zu liefern haben:
(i) die zur Identifikation der in eine Prüfung oder Untersuchung einbezogenen Person(en) nötigen Informationen, insbesondere bestehend aus dem Namen und, sofern verfügbar, der Adresse, der Kontonummer und weiteren Angaben, welche die Identifikation dieser Person erleichtern, wie Geburtsdatum, Zivilstand oder Steuernummer;
(...)
(v) den Namen und, sofern bekannt, die Adresse des mutmasslichen Inhabers der verlangten Informationen.
Des Weiteren hält das Protokoll zum DBA CH-NL in Ziff. XVI Bst. c Folgendes fest: Der Zweck der Verweisung auf Informationen, die voraussichtlich erheblich sind, besteht darin, einen möglichst weit gehenden Informationsaustausch in Steuerbelangen zu gewährleisten, ohne den Vertragsstaaten zu erlauben, «fishing expeditions» zu betreiben oder Informationen anzufordern, deren Erheblichkeit hinsichtlich der Steuerbelange einer bestimmten steuerpflichtigen Person unwahrscheinlich ist. Während Buchstabe b wichtige verfahrenstechnische Anforderungen enthält, die «fishing expeditions» vermeiden sollen, sind die Unterabsätze (i) bis (v) so auszulegen, dass sie einen wirksamen Informationsaustausch nicht behindern.
5.1.3. Die Verständigungsvereinbarung (AS 2012 4079) über die Auslegung von Ziff. XVI Bst. b des Protokolls zum DBA CH-NL hält in ihrem 3. Absatz fest:
Diese Anforderungen sind daher so zu verstehen, dass einem Amtshilfegesuch entsprochen wird, wenn der ersuchende Staat, vorausgesetzt, es handelt sich nicht um eine «fishing expedition», zusätzlich zu den gemäss Ziff. XVI Bst. b Unterabsätze (ii)–(iv) des Protokolls verlangten Angaben:
a) die in eine Überprüfung oder Untersuchung einbezogene Person identifiziert, wobei diese Identifikation auch auf andere Weise als durch Angabe des Namens und der Adresse erfolgen kann;
und
b) soweit bekannt, den Namen und die Adresse des mutmasslichen Informationsinhabers angibt.
5.2. Ob einem Gruppenersuchen stattzugeben ist, ist durch Auslegung zu ermitteln (Andrea Opel, Neuausrichtung der schweizerischen Abkommenspolitik in Steuersachen: Amtshilfe nach dem OECD-Standard, 2015, S. 260).
5.2.1. Bei der Auslegung und Anwendung eines Doppelbesteuerungsabkommens sind die sich aus der VRK (Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 [SR 0.111]) ergebenden Grundsätze zu beachten (BGE 142 II 161 E. 2.1.3 S. 167; 139 II 404 E. 7.2.1 S. 422). Gemäss Art. 26 VRK bindet ein Abkommen die Vertragsparteien und ist von ihnen nach Treu und Glauben zu erfüllen. Somit haben die Vertragsstaaten eine zwischenstaatliche Übereinkunft nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen (Art. 31 Abs. 1 und 2 VRK). Gemäss Art. 31 Abs. 3 VRK sind, ausser dem Zusammenhang, in gleicher Weise zu berücksichtigen jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrags oder die Anwendung seiner Bestimmungen (lit. a), jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht (lit. b), sowie jeder in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien anwendbare einschlägige Völkerrechtssatz (lit. c). Insbesondere die vorbereitenden Arbeiten und die Umstände des Vertragsabschlusses können als ergänzende Auslegungsmittel herangezogen werden (vgl. Art. 32 VRK). Wurde ein völkerrechtlicher Vertrag in zwei oder mehr Sprachen als authentisch festgelegt, ist der Text nach Art. 33 Abs. 1 VRK in jeder Sprache in gleicher Weise massgebend, sofern nicht der Vertrag vorsieht oder die Vertragsparteien vereinbaren, dass bei Abweichungen ein bestimmter Text vorgehen soll. Es wird vermutet, dass die Ausdrücke des Vertrags in jedem authentischen Text dieselbe Bedeutung haben (Art. 33 Abs. 3 VRK).
5.2.2. Den Ausgangspunkt der Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen bildet der Wortlaut der vertraglichen Bestimmung (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_753/2014 vom 27. November 2015 E. 3.3.1). Der Text der Vertragsbestimmung ist aus sich selbst heraus gemäss seiner gewöhnlichen Bedeutung zu interpretieren. Diese gewöhnliche Bedeutung ist in Übereinstimmung mit ihrem Zusammenhang, dem Ziel und Zweck des Vertrags – bzw. der auszulegenden Vertragsbestimmung – und gemäss Treu und Glauben zu eruieren (Urteil des Bundesgerichts 2C_498/2013 vom 29. April 2014 E. 5.1 mit Hinweisen, in: ASA 83 (2014/2015), S. 51, StE 2014 A 32 Nr. 22). Ziel und Zweck des Vertrags ist dabei, was die Parteien mit dem Vertrag erreichen wollen. Zusammen mit der Auslegung nach Treu und Glauben garantiert die teleologische Auslegung den «effet utile» des Vertrags (BGE 142 II 161 E. 2.1.3 S. 167; 141 III 495 E. 3.5.1 S. 503; Mark E. Villiger, Commentary on the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties, Leiden/Boston 2009, N. 11 f. zu Art. 31 VRK; Jean-Marc Sorel, in: Les conventions de Vienne sur le droit des traités, Commentaire article par article, Bd. II, Bruxelles 2006, N. 27, 53 f. zu Art. 31 VRK). Der auszulegenden Bestimmung eines Doppelbesteuerungsabkommens ist unter mehreren möglichen Interpretationen demnach derjenige Sinn beizumessen, welcher ihre effektive Anwendung gewährleistet und nicht zu einem Ergebnis führt, das dem Ziel und Zweck der eingegangenen Verpflichtungen widerspricht (BGE 142 II 161 E. 2.1.3 S. 167).
5.2.3. Die vorbereitenden Arbeiten und Umstände des Vertragsschlusses sind (lediglich) subsidiäre Auslegungsmittel und können herangezogen werden, um die sich in Anwendung von Art. 31 VRK ergebende Bedeutung zu bestätigen oder die Bedeutung zu bestimmen, wenn diese Auslegung die Bedeutung mehrdeutig oder dunkel lässt (Art. 32 lit. a VRK) oder zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt (Art. 32 lit. b VRK). Nebst den vorbereitenden Arbeiten können subsidiär auch weitere Auslegungselemente berücksichtigt werden. So ist in der schweizerischen Rechtsprechung und Lehre unbestritten, dass der offizielle OECD-Kommentar ein wichtiges (ergänzendes) Hilfsmittel im Sinne von Art. 32 VRK bei der Auslegung von DBA-Bestimmungen darstellt, die dem OECD-Musterabkommen nachgebildet sind (vgl. René Matteotti/Nicole Krenger, in: Zweifel/Beusch/Matteotti [Hrsg.], Kommentar Internationales Steuerrecht, Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Internationales Steuerrecht, 2015, N. 159 ff. Einleitung mit Hinweisen).
5.3.
5.3.1. [Standpunkt des Bundesverwaltungsgerichts]
5.3.2. Bei der hier vorzunehmenden Auslegung sind das DBA CH-NL, das Protokoll, welches integrierenden Bestandteil des Abkommens bildet, wie auch die Verständigungsvereinbarung als Einheit zu betrachten. Aus der Entstehungsgeschichte folgt, dass der Bundesrat am 13. Februar 2011 entschied, die Amtshilfepolitik in Steuersachen einer Anpassung zu unterziehen. Diesem Entscheid zugrunde lag der vom Global Forum on Transparency and Exchange of Information for Tax Purposes durchgeführte «Peer Review» zur Überprüfung des internationalen Amtshilfe-Standards. In diesem Rahmen wurde festgestellt, dass die seitens der Schweiz bis anhin als angemessen betrachteten abkommensrechtlichen Anforderungen zur Identifikation der Steuerpflichtigen zu restriktiv seien und ein mögliches Hindernis für einen effektiven Informationsaustausch darstellten. Um die erste Phase des Peer Review bestehen zu können, sollten deshalb die Anforderungen entsprechend angepasst werden. Die Identifikation von Steuerpflichtigen und Informationsinhabern in Amtshilfegesuchen werde im Regelfall weiterhin durch Name und Adresse erfolgen. Mit der Anpassung solle lediglich zum Ausdruck gebracht werden, dass Amtshilfeverfahren nicht an einer formalistischen Auslegung der DBA-Bestimmungen scheitern sollten und deshalb auch andere Identifikationsmittel, etwa über ein Bankkonto, zugelassen würden (Medienmitteilung des Eidgenössischen Finanzdepartements [EFD] vom 15. Februar 2011, abrufbar auf www.efd.admin.ch unter Dokumentation/Medienmitteilungen; vgl. auch Botschaft vom 6. April 2011 zur Ergänzung der am 18. Juni 2010 von der Schweizerischen Bundesversammlung genehmigten Doppelbesteuerungsabkommen, BBl 2011 3749, 3756 f. Ziff. 2). Mit Staaten, mit denen zu diesem Zeitpunkt bereits ein DBA unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert worden war, sollte die Bestimmung über die Amtshilfe in den DBA über ein Verständigungsverfahren oder einen diplomatischen Notenaustausch präzisiert werden. Der Bundesrat stellte der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates einen Rückkommensantrag betreffend die Beratung der zehn hängigen DBA, unter anderem des DBA CH-NL, und einen Antrag auf Übernahme der angepassten Amtshilfe-Bestimmungen. Zur rechtlichen Umsetzung sollte beim DBA CH-NL die neue Interpretation der Amtshilfepraxis von den eidgenössischen Räten genehmigt werden (vgl. Rohstoff des EFD vom 15. Februar 2011, ebenfalls abrufbar auf www.efd.admin.ch unter Dokumentation/Medienmitteilungen). Die Bundesversammlung stimmte in der Folge mit Genehmigungsbeschluss DBA CH-NL vom 17. Juni 2011 (AS 2011 4965) dem Abkommen sowie den neuen Bestimmungen zur Identifikation der von der Amtshilfe betroffenen Personen zu. Gemäss Art. 1 Abs. 3 lit. a des Genehmigungsbeschlusses entspricht die Schweiz einem Amtshilfegesuch, wenn dargelegt ist, dass es sich nicht um eine «fishing expedition» handelt, und die Niederlande die steuerpflichtige Person identifizieren, wobei diese Identifikation auch auf andere Weise als durch Angabe des Namens und der Adresse erfolgen kann. Art. 1 Abs. 4 des Genehmigungsbeschlusses lautet: «Die Eidgenössische Steuerverwaltung wird ermächtigt, auf eine gegenseitige Anerkennung der in Absatz 3 dargestellten Auslegung hinzuwirken.» Auf diese Ermächtigung stützt sich die Verständigungsvereinbarung zum DBA CH-NL (AS 2012 4079). Folglich sollten Steuerpflichtige in der Regel weiterhin mittels Name identifiziert, andere Angaben zur Identifikation wie etwa eine Bankkontonummer aber nicht ausgeschlossen werden (vgl. zum Ganzen auch Daniel Holenstein, Kommentar Internationales Steuerrecht, N. 53 ff. zu Art. 26 OECD-MA).
5.3.3. Demnach besteht für die vorliegende Verständigungsvereinbarung zum DBA CH-NL – und die darin vorgesehene Möglichkeit zur Identifikation auf andere Weise als durch Namen – eine ausdrückliche Ermächtigung in einem von der Bundesversammlung gefassten, dem fakultativen Referendum unterstehenden Genehmigungsbeschluss. Sie unterscheidet sich damit von anderen Verständigungsvereinbarungen, die von der Verwaltung selbständig abgeschlossen werden (vgl. Art. 25 Abs. 3 OECD-MA) und deren Tragweite in der Literatur eingehend diskutiert wird.
5.3.4. Den Informationsaustauschbestimmungen in Doppelbesteuerungsabkommen liegt zugrunde, dass ein Staat sich die für die Durchführung seines innerstaatlichen Steuerrechts notwendigen, nicht öffentlich zugänglichen Informationen nicht ohne Weiteres selber beschaffen kann, wenn sich diese ausserhalb seines Hoheitsgebietes befinden. Der behördliche Handlungsradius endet an der eigenen Staatsgrenze, weshalb Handlungen eines Staates auf fremdem Staatsgebiet ohne Zustimmung des betroffenen Staates unzulässig sind. Der Staat, der zur Durchsetzung seines innerstaatlichen Steuerrechts auf Informationen angewiesen ist, die sich auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates befinden, ist somit auf die Unterstützung dieses anderen Staates angewiesen. Diese Unterstützung erfolgt durch die grenzüberschreitende Amts- oder Rechtshilfe (vgl. Holenstein, a.a.O., N. 16 ff. zu Art. 26 OECD-MA). Die Informationsaustauschbestimmungen bezwecken somit sicherzustellen, dass der ersuchte Staat dem ersuchenden Staat die gewünschten Informationen liefert, wobei sie gleichzeitig die Rahmenbedingungen für diese Zusammenarbeit festlegen (vgl. auch Frank Engelen, Interpretation of Tax Treaties under International Law, Rotterdam 2004, S. 428 f., wonach ein Zweck der Doppelbesteuerungsabkommen in der Verhinderung von Steuervermeidung und Steuerhinterziehung besteht).
Diese grundsätzliche Zielsetzung wird für das konkret zu beurteilende Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und den Niederlanden durch den Wortlaut von Art. 26 DBA-CH-NL bestätigt: Aus Abs. 1 der Bestimmung ergibt sich, dass die Behörden der Vertragsstaaten grundsätzlich alle Informationen austauschen, die zur Durchführung des Abkommens oder zur Anwendung oder Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts voraussichtlich erheblich sind, soweit nicht die Einschränkungen gemäss Abs. 3 (von Art. 26 DBA CH-NL) zum Tragen kommen. Des Weiteren wird dies bestätigt durch Ziff. XVI des Protokolls zum DBA CH-NL: Gemäss Ziff. XVI Bst. c Satz 2 des Protokolls sind die Unterabsätze (i) bis (v) so auszulegen, dass sie einen wirksamen Informationsaustausch nicht behindern. Amtshilfe soll, um dem Ziel und Zweck der Informationsaustauschbestimmungen in Doppelbesteuerungsabkommen nachzukommen, in den Schranken der voraussichtlichen Erheblichkeit der Informationen, möglichst weitgehend gewährt werden. Eine Interpretation der Protokollbestimmung dahingehend, dass in einem Amtshilfeersuchen stets der Name der einbezogenen Person erforderlich wäre, würde dem entgegenstehen. Die Verständigungsvereinbarung zum DBA CH-NL, die, wie dargelegt, zur Nachbesserung dieser Protokollbestimmung abgeschlossen wurde, führt einerseits aus, dass die einbezogene Person auch auf andere Weise als durch Angabe des Namens und der Adresse identifiziert werden kann (3. Abs. lit. a), und andererseits (hier nicht relevant), der Name und die Adresse des mutmasslichen Informationsinhabers angegeben wird (3. Abs. lit. b). Damit wird klar zum Ausdruck gebracht, dass die Vertragsparteien eine ausdrückliche Namensnennung im Amtshilfeersuchen nicht als erforderlich erachten. Mit anderen Worten sollen Gruppenersuchen ohne Namensnennung unter dem DBA CH-NL zulässig sein.
5.4. Die Auslegung nach heutigem Verständnis anhand des OECD-Kommentars führt demnach zum Schluss, dass das DBA CH-NL in Verbindung mit der Verständigungsvereinbarung Amtshilfe auch ohne Identifikation durch Namen erlaubt.
[E. 6: Abgrenzung Gruppenersuchen – «fishing expedition» und konkreter Fall]