Urteil des Bundesgerichts 2C_750/2020 vom 25. März 2021

Ordre public: strafrechtliches Rückwirkungsverbot; Spezialitätsprinzip

  • Bearbeitet durch: Susanne Raas
  • Beitragsart: Grundsatzurteil
  • Rechtsgebiete: Internationale Amtshilfe
  • Zitiervorschlag: Susanne Raas, Urteil des Bundesgerichts 2C_750/2020 vom 25. März 2021, ASA online Grundsatzurteile
Urteil des Bundesgerichts vom 25. März 2021 i.S. A.A. gegen Eidgenössische Steuerverwaltung (2C_750/2020).

Inhalt

  • 1. Regeste
  • 2. Sachverhalt (Zusammenfassung)
  • 3. Aus den Erwägungen

1.

Regeste ^

Die Bedeutung des Begriffs «Ordre public» im DBA CH-IN ist nach der Wiener Vertragsrechtskonvention auszulegen (E. 6.1–6.3). Gemäss Musterabkommen der OECD sind darunter die «lebenswichtigen Interessen» des (ersuchten) Staates zu verstehen. Andere Kommentierungen und die Literatur gehen von einem etwas weiteren Verständnis aus (E. 6.4 f.). Der Begriff ist nach Treu und Glauben restriktiv auszulegen (E. 6.6). Nicht jede Abweichungen von zwingenden Bestimmungen des schweizerischen Rechts stellt einen Verstoss gegen den Ordre public dar (E. 6.7.1). Völkerrechtliche (menschenrechtliche) Mindeststandards sind aber zu beachten (E. 6.7.2 f.). Das gilt auch bei der Auslegung von Art. 26 Abs. 3 lit. c des Musterabkommens nachempfundenen Bestimmungen (E. 6.8).

Das strafrechtliche Rückwirkungsverbot ist in der EMRK verankert und stellt ein fundamentales rechtsstaatliches Prinzip für das materielle Strafrecht dar (E. 7–7.2). Es kann der Leistung von Amtshilfe entgegenstehen, wenn diese (auch) zugunsten eines Steuerstrafverfahrens erfolgt, nicht aber, wenn es nur um verwaltungsrechtliche Steuerverfahren geht (E. 7.3, vgl. auch E. 9.1).

Aufgrund des Spezialitätsprinzips dürfen die übermittelten Informationen (ohne anderslautende, vorgängige Genehmigung durch die schweizerischen Behörden) nur gegen den Beschwerdeführer und nicht zu strafrechtlichen Zwecken ausserhalb des Steuerrechts verwendet werden (E. 8, vgl. auch E. 9.2).

La signification de la notion « ordre public » dans la CDI CH-IN doit être interprétée conformément à la Convention de Vienne sur le droit des traités (consid. 6.1–6.3). Selon le modèle de convention de l’OCDE, il s’agit des « intérêts vitaux » de l’État (requis). D’autres commentaires et la littérature suggèrent une compréhension un peu plus large (consid. 6.4 s.). La notion doit être interprétée de manière restrictive conformément au principe de la bonne foi (consid. 6.6). Toute dérogation aux dispositions impératives du droit suisse ne constitue pas une violation de l’ordre public (consid. 6.7.1). Toutefois, les standards minimaux en matière de droit international (des droits de l’Homme) doivent être respectés (consid. 6.7.2 s.). Ceci s’applique également à l’interprétation des dispositions calquées sur l’art. 26 para. 3 lit. c du Modèle de convention (consid. 6.8).

L’interdiction de la rétroactivité en droit pénal est consacrée par la CEDH et constitue un principe fondamental de l’État de droit pour le droit pénal matériel (consid. 7–7.2). Elle peut faire obstacle à l’assistance administrative si celle-ci est (également) au service d’une procédure pénale fiscale, mais pas si seule une procédure fiscale administrative est concernée (consid. 7.3, cf. également consid. 9.1).

Sur la base du principe de spécialité, les informations transmises ne peuvent être utilisées (en l’absence d’autorisation contraire préalable des autorités suisses) qu’à l’encontre du recourant et non à des fins pénales en dehors du droit fiscal (consid. 8, cf. également consid. 9.2).

2.

Sachverhalt (Zusammenfassung) ^

Am 18. April 2013 richtete das Ministry of Finance von Indien (nachfolgend: MoF) ein Amtshilfeersuchen an die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV), wobei es sich auf das Abkommen vom 2. November 1994 (mit Stand vom 7. Oktober 2011) zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Indien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (DBA CH-IN; SR 0.672.942.31) stützte. Als vom Ersuchen betroffene Person nannte das MoF A.A. Das Ersuchen betraf Einkommenssteuern für die Steuerperiode vom 15. August 2007 bis zum 31. März 2012.

Mit Schreiben vom 20. Februar 2014 teilte die ESTV dem MoF mit, dass keine Amtshilfe gewährt werden könne, weil das indische Ersuchen aufgrund von unrechtmässig erlangten Informationen betreffend die Bank von Frankreich gestellt worden sei.

Mit Schreiben vom 31. Oktober 2018 bestätigte das MoF unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichts 2C_648/2017 vom 17. Juli 2018 sein Amtshilfeersuchen vom 18. April 2013. Es führte zudem aus, dass diese Informationen weiterhin voraussichtlich erheblich seien.

Die ESTV erliess am 14. Mai 2019 eine Schlussverfügung, nach welcher der ersuchenden Behörde verschiedene Informationen über A.A. für den Zeitraum vom 1. April 2011 bis 31. März 2012 übermittelt werden sollten.

Mit Urteil vom 1. September 2020 hiess das Bundesverwaltungsgericht eine gegen diese Schlussverfügung erhobene Beschwerde von A.A. in Bezug auf die Schwärzung von Namen von Bankangestellten sowie in Bezug auf die Präzisierung des Spezialitätsprinzips teilweise gut. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.

Am 14. September 2020 erhebt A.A. Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Er beantragt unter anderem, das angefochtene Urteil vom 1. September 2020 sei aufzuheben und es sei keine Amtshilfe zu leisten, soweit diese den Beschwerdeführer nenne oder betreffe.

Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

3.

Aus den Erwägungen ^

6.

Im Folgenden ist zu prüfen, ob eine drohende rückwirkende Anwendung materiellen innerstaatlichen Strafrechts durch den ersuchenden Staat einen Verstoss gegen den Vorbehalt des Ordre public gemäss Art. 26 Abs. 3 lit. c DBA CH-IN [Abkommen vom 2. November 1994 (mit Stand vom 7. Oktober 2011) zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Indien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (DBA CH-IN; SR 0.672.942.31)] darstellen und somit der Leistung von Amtshilfe entgegenstehen würde.

6.1. Vorab ist festzuhalten, dass die Frage einer allfälligen Verletzung des Rückwirkungsverbots primär das nationale Recht des ersuchenden Staates betrifft, dessen Anwendung das Bundesgericht im Rahmen eines Amtshilfeverfahrens grundsätzlich nicht prüft (vgl. BGE 144 II 206 E. 4.3 und 4.4; 142 II 218 E. 3.7; Urteil 2C_588/2018 vom 13. Juli 2018 E. 4.3). Der vorliegende Fall liegt insofern anders, als hier ein Verstoss gegen den Vorbehalt des Ordre public gemäss Art. 26 Abs. 3 lit. c DBA CH-IN geltend gemacht wird, dessen Bejahung unter Umständen zu einer Verweigerung oder Einschränkung der Amtshilfe führen könnte.

6.2. Gemäss Art. 26 Abs. 3 lit. c DBA CH-IN sind die Absätze 1 und 2 dieses Abkommens nicht so auszulegen, als verpflichteten sie einen Vertragsstaat namentlich Informationen zu erteilen, deren Herausgabe dem Ordre public widerspräche. Diese Bestimmung entspricht Art. 26 Abs. 3 lit. c des OECD-Musterabkommens auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (nachfolgend: OECD-MA). Die Tragweite dieses auslegungsbedürftigen Vorbehalts ist umstritten.

6.3. Bei der Auslegung und Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen sind die völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätze zu beachten, wie sie namentlich das Wiener Übereinkommen [Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge (VRK; SR 0.111)] vorgibt (BGE 146 II 150 E. 5.3.1). Art. 31 Abs. 1 VRK bestimmt eine Reihenfolge der Berücksichtigung der verschiedenen Auslegungselemente, ohne dabei eine feste Rangordnung unter ihnen festzulegen. Den Ausgangspunkt der Auslegung völkerrechtlicher Verträge bildet jedoch die gewöhnliche Bedeutung ihrer Bestimmungen, die nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs und des Ziels und Zwecks des Vertrags zu bestimmen ist (BGE 146 II 150 E. 5.3.2; 144 II 130 E. 8.2.1; BGE 143 II 202 E. 6.3.1). Zusammen mit der Auslegung nach Treu und Glauben stellt die teleologische Auslegung den «effet utile» des Vertrags sicher (BGE 144 II 130 E. 8.2.1; BGE 143 II 136 E. 5.2.2; BGE 142 II 161 E. 2.1.3). Der auszulegenden Bestimmung eines Doppelbesteuerungsabkommens ist unter mehreren möglichen Interpretationen demnach derjenige Sinn beizumessen, welcher ihre effektive Anwendung gewährleistet und nicht zu einem Ergebnis führt, das dem Ziel und Zweck der eingegangenen Verpflichtungen widerspricht (BGE 143 II 136 E. 5.2.2; 142 II 161 E. 2.1.3). Ausserdem sind die Vertragsstaaten nach Treu und Glauben gehalten, jedes Verhalten und jede Auslegung zu unterlassen, mittels welcher sie ihre vertraglichen Pflichten umgehen oder den Vertrag seines Ziels und Zwecks entleeren würden (BGE 146 II 150 E. 5.3.2 mit Hinweisen).

6.4. Der Wortlaut von Art. 26 Abs. 3 lit. c DBA CH-IN bezieht sich nicht ausdrücklich auf einen bestimmten Ordre public. Der OECD-Musterkommentar, welcher regelmässig zur Auslegung schweizerischer Doppelbesteuerungsabkommen herangezogen wird (BGE 144 II 130 E. 8.2.3; 143 II 202 E. 6.3.4), hält fest, dass unter dem Ordre public die «lebenswichtigen Interessen» («intérêts vitaux») des (ersuchten) Staates zu verstehen sind (vgl. Modèle de Convention fiscale concernant le revenu et la fortune 2014 [Version complète] [nachfolgend: OECD-MK], Ziff. 19.5 zu Art. 26 OECD-MA). Der Vorbehalt soll indessen nur äusserst selten und in Extremsituationen zur Anwendung kommen, etwa dann, wenn die steuerliche Ermittlung im ersuchenden Staat durch politische, rassistische oder religiöse Verfolgung motiviert wäre, oder wenn die Information die Offenbarung eines Staatsgeheimnisses oder die Preisgabe von lebenswichtigen Interessen des ersuchten Staates bedeuten würde (OECD-MK, a.a.O., Ziff. 19.5).

Teilweise gehen die Kommentierungen zum OECD-MA von einem etwas weiteren Verständnis des Ordre public aus und nehmen einen Verstoss grundsätzlich dann an, wenn die Auskunftserteilung mit den grundlegenden Wertungen des innerstaatlichen Rechts des ersuchten Vertragsstaats nicht vereinbar wäre, d.h. wenn eine Auskunftserteilung für den ersuchten Vertragsstaat nur im Konflikt mit seinen grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen vorgenommen werden könnte (vgl. z.B. Ernst Czakert, in: Schönfeld/Ditz [Hrsg.], Doppelbesteuerungsabkommen, Kommentar, 2013, N. 82 zu Art. 26 OECD-MA).

6.5. In der Literatur herrscht ebenfalls die Auffassung, dass dem Ordre-public-Vorbehalt eine Schutz- und Abwehrfunktion zugunsten fundamentaler Werte des ersuchten Staates zukommt (vgl. Robert Weyeneth, Der nationale und internationale ordre public im Rahmen der grenzüberschreitenden Amtshilfe in Steuersachen, Diss. Basel 2017, S. 114 [zit.: Weyeneth, 2017]; vgl. auch Diana Oswald, Verfahrensrechtliche Aspekte der internationalen Amtshilfe in Steuersachen, Diss. Freiburg 2015, S. 65). Daher wird diese Klausel als Vorbehalt des nationalen Ordre public gedeutet (vgl. Weyeneth, 2017, a.a.O., S. 108 und 128 ff.; vgl. auch Czakert, a.a.O., N. 82 zu Art. 26 OECD-MA). Zugleich wird darauf hingewiesen, dass der Ordre public im Rahmen der Amts- und Rechtshilfe einen Vorbehalt von der eingegangenen völkerrechtlichen Pflicht zur Leistung von Amts- und Rechtshilfe darstelle und somit Ausnahme-Charakter habe, was für eine enge Auslegung des Begriffs spreche (Weyeneth, 2017, a.a.O., S. 114 f.; in diesem Sinne vgl. BGE 125 III 443 E. 3d; 102 II 136 E. 4).

6.6. Im Ergebnis ist der Begriff des Ordre public – unter Bezugnahme auf das nationale Recht – im Rahmen der internationalen Vertragspflichten nach Treu und Glauben auszulegen. Dabei geht es namentlich nicht an, die staatsvertragliche Regelung unter Berufung auf den Ordre public im Ergebnis praktisch rückgängig zu machen und die Wirkungen des Vertrages zu vereiteln (vgl. auch E. 6.3 hiervor). Die Auslegung hat deshalb restriktiv zu erfolgen, unter Berücksichtigung des Umstandes, dass Art. 26 OECD-MA bezweckt, dass die Vertragsstaaten einander soweit als möglich Amtshilfe gewähren (OECD-MK, a.a.O., Ziff. 2 zu Art. 26 OECD-MA).

6.7. Vor diesem Hintergrund ist nachstehend auf den Inhalt des Ordre public im Einklang mit den internationalen Bezügen nach nationalem Recht einzugehen.

6.7.1. Naturgemäss entzieht sich der Begriff des Ordre public einer präzisen Umschreibung. Das Bundesgericht bejaht einen Verstoss gegen den Ordre public, wenn fundamentale Rechtsgrundsätze verletzt sind bzw. der fragliche Akt mit der schweizerischen Rechts- und Wertordnung schlechthin unvereinbar ist (vgl. BGE 119 II 264 E 3b; ausführlich BGE 132 III 389 E. 2.2), das Ergebnis auf stossende Weise Sinn und Geist der eigenen Rechtsordnung widerspricht (vgl. BGE 135 III 614 E 4.2; 128 III 201 E 1b) oder das einheimische Rechtsgefühl in unerträglicher Weise verletzt würde (vgl. BGE 129 III 250 E 3.4.2; vgl. auch BGE 140 V 136 E. 5.2). Dabei stellt nicht jede Abweichung von zwingenden Bestimmungen des schweizerischen Rechts einen Ordre public-Verstoss dar. So hat das Bundesgericht namentlich im Zusammenhang mit der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheide festgehalten, dass eine Verweigerung in Anwendung des Ordre-public-Vorbehalts nur bei einem augenfälligen Verstoss gegen die fundamentalen Grundsätze der schweizerischen Rechtsordnung zulässig sei (vgl. z.B. Urteil 4A_663/2018 vom 27. Mai 2019 E. 3.4.2).

6.7.2. Bei der Bestimmung der nationalen Grundwertungen und wesentlichen Interessen, die Inhalt des Ordre public bilden, sind nach Rechtsprechung und Lehre auch die Mindeststandards der EMRK und des UNO-Paktes II (SR 0.103.2) von Bedeutung, wobei die (auch) als zwingendes Völkerrecht anerkannten Garantien im Vordergrund stehen (vgl. BGE 123 II 511 E. 6a mit Hinweisen; Urteile 5A_138/2020 vom 25. August 2020 E. 3.2; 5A_780/2016 vom 9. Juni 2017 E. 6.2; Robert Weyeneth, Die Menschenrechte als Schranke der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Schweiz, in: recht 2014 S. 114 ff., 118 [zit. Weyeneth, recht]; Ramon Inglese, Teilnahme ausländischer Prozessbeteiligter am Verfahren der internationalen Rechtshilfe, Diss. Basel 2015, S. 49 f.).

Als «ius cogens» oder zwingendes Völkerrecht werden diejenigen fundamentalen Normen des Völkerrechts bezeichnet, die für alle Völkerrechtssubjekte gelten und von denen auch im gegenseitigen Einverständnis nicht abgewichen werden darf (vgl. BGE 133 II 450 E. 5.4; Urteil 1A.124/2001 vom 28. März 2002 E. 3.5; vgl. auch Art. 53 VRK; ferner Martina Caroni/Maya Taylan, Zwingendes Völkerrecht, in recht 2015 S. 55 ff., S. 57; Chiara Piras/Stephan Breitenmoser, Das Verbot der Todesstrafe als regionales ius cogens, in: AJP 2011 S. 331 ff., S. 334 f.). Unter das zwingende Völkerrecht fallen etwa die Verbote von Folter, Genozid und Sklaverei sowie die Grundzüge des humanitären Kriegsvölkerrechts. Darüber hinaus betrachtet die Schweiz auch die notstandsfesten Garantien der EMRK als Teil des ius cogens (vgl. Botschaft vom 20. November 1996 über eine neue Bundesverfassung, BBl 1996 I 1 ff., S. 446; BGE 133 II 450 E. 7.3; ausführlich zum gegenwärtigen Umfang des ius cogens vgl. Caroni/Taylan, a.a.O., S. 64 f.; vgl. ferner Oswald, a.a.O., S. 228). Als «notstandsfest» werden jene menschenrechtlichen Garantien bezeichnet, von denen selbst im Fall von Krieg oder eines anderen öffentlichen Notstands nicht abgewichen werden darf (vgl. Art. 15 Abs. 2 EMRK; Art. 4 Abs. 2 UNO-Pakt II; vgl. im Einzelnen Markus Schefer, Die Kerngehalte von Grundrechten, 2001, S. 149 ff.).

6.7.3. Die Bedeutung der Grundrechte bei der Umschreibung des Ordre Public kommt insbesondere in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur internationalen Rechtshilfe zum Ausdruck (vgl. dazu BGE 135 I 191 E. 2.1; 123 II 511 E. 5a; 115 Ib 68 E. 6 mit Hinweisen). Dabei werden namentlich die in Art. 2 des Bundesgesetzes vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz, IRSG; SR 351.1) festgelegten (menschenrechtlichen) Schranken als Ausdruck sowohl des nationalen als auch des internationalen Ordre public berücksichtigt (vgl. BGE 126 II 324 E. 4a; Urteil 1A.212/2000 vom 19. September 2000 E. 3). Das Bundesgericht hat in diesem Zusammenhang die Existenz eines internationalen Ordre public bejaht, welchem ein grundsätzlicher Vorrang gegenüber staatsvertraglichen Rechtshilfepflichten zukommt (BGE 126 II 324 E. 4a; 123 II 511 E. 5; 122 II 140 E. 5a; 113 Ib 257 E. 6a; 112 Ib 215 E. 7; 108 Ib 408 E. 8a; Urteil 1A.220/2000 vom 28. August 2000 E. 2a).

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat im Zusammenhang mit der Auslieferung einer Person festgehalten, dass ein Vertragsstaat, der eine solche Auslieferung bejaht und dabei den Betroffenen in vorhersehbarer Weise einer ernsten Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK im Empfängerstaat aussetzt, seinen Pflichten aus der EMRK zuwiderhandelt (Urteil [des EGMR] i.S. Soering gegen Grossbritannien vom 7. Juli 1989, Série A, Band 161, Ziff. 85 ff.). Daraus kann geschlossen werden, dass der Schweiz im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit im Bereich der Strafverfolgung – jedenfalls für die fundamentalen Garantien der EMRK – eine Pflicht zur Vermeidung von Verletzungen der Konvention obliegt (vgl. auch Oswald, a.a.O., S. 272 f.; vgl. ferner BGE 144 I 214 E. 3, wonach sich die Beachtung der Menschenrechte [i.c. der minimalen Verfahrensgarantien der EMRK] in der Regel mit den aus den Beschlüssen des UN-Sicherheitsrats fliessenden Verpflichtungen koordinieren lässt).

6.8. Weil menschenrechtliche Mindeststandards nach dem Gesagten zu den grundlegenden Wertungen des innerstaatlichen Rechts gehören, sind diese auch bei der Auslegung des Vorbehalts des Ordre public gemäss Art. 26 Abs. 3 lit. c OECD-MA bzw. Art. 26 Abs. 3 lit. c DBA CH-IN zu beachten. Es rechtfertigt sich deshalb, Art. 26 Abs. 3 lit. c OECD-MA bzw. Art. 26 Abs. 3 lit. c DBA CH-IN in dem Sinne auszulegen, dass die Verweigerung von Amtshilfe bei ernsthaft drohenden Verletzungen solch elementarer Gehalte von Menschenrechten bzw. grundlegender rechtsstaatlicher Garantien möglich ist. Dazu gehören das zwingende Völkerrecht sowie die in der EMRK als notstandsfest bezeichneten Garantien (so auch die Lehre, vgl. Weyeneth, recht, a.a.O., S. 116 ff. und ausführlich ders., 2017, a.a.O., S. 135 ff.; Inglese, a.a.O., S. 50 f.; Rainer J. Schweizer, Von einer Amts- und Rechtshilfe auf Ersuchen zum internationalen Informationsverbund: Grundsätzliche Aspekte / IV.–VII., in: Internationale Amts- und Rechtshilfe in Steuer- und Finanzmarktsachen, 2017, S. 270 f., S. 274 ff.; Oswald, a.a.O, S. 226 ff. und 272 f.). Damit wird dem Ausnahme-Charakter des Ordre-public-Vorbehalts sowie dem Gebot einer restriktiven Auslegung (vgl. E. 6.5 und 6.6 hiervor) Rechnung getragen.

7.

Das strafrechtliche Rückwirkungsverbot, auf welches sich der Beschwerdeführer bezieht, wird auf der Ebene der EMRK in Art. 7 Abs. 1 verankert (vgl. auch Art. 2 Abs. 1 StGB).

7.1. Gemäss Art. 7 Abs. 1 EMRK darf niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Es darf auch keine schwerere als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden. Damit schützt Art. 7 Abs. 1 EMRK auch vor der rückwirkenden Verhängung einer höheren Strafe (vgl. auch Art. 15 Abs. 2 UNO-Pakt II; Urteil 6B_896/2014 vom 16. Dezember 2015 E. 4.2; vgl. ferner Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 24 N. 160; vgl. auch Art. 15 Abs. 2 UNO-Pakt II).

Der autonom auszulegende Begriff der Strafe im Sinne von Art. 7 Ziff. 1 EMRK knüpft an eine strafrechtliche Verurteilung an. Er erfasst alle Verurteilungen, welche im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK gestützt auf eine gegen eine Person erhobene strafrechtliche Anklage ergangen sind. Von Bedeutung sind ferner ihre Qualifikation im internen Recht, das Verfahren, in dem sie verhängt und vollstreckt wird, sowie ihre Schwere (BGE 134 IV 121 E. 3.3; vgl. auch Urteil der Grossen Kammer des EGMR i.S. del Rio Prada gegen Spanien vom 21. Oktober 2013 [Nr. 42750/09], Ziff. 82 ff.). Strafrechtlichen Charakter i.S.v. Art. 6 Ziff. 1 EMRK können auch fiskalische, repressive Sanktionen haben (vgl. Urteil des EGMR i.S. J.B. gegen die Schweiz vom 3. Mai 2001 [Nr. 31827/96], Ziff. 44 ff.; Rainer J. Schweizer, Der Rechtsstaat und die EMRK im Fall der Kunden der UBS AG, in AJP 2011 S. 1007 ff., S. 1010). Demgegenüber verbietet Art. 7 Abs. 1 EMRK nicht die rückwirkende Anwendung von (Straf-)Verfahrensrecht (vgl. Jochen Frowein, in: Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 3. Aufl. 2009, N. 8 zu Art. 7 EMRK).

7.2. Art. 7 EMRK stellt ein fundamentales rechtsstaatliches Prinzip für das materielle Strafrecht dar (vgl. Graberwarter/Pabel, a.a.O., § 24 N. 145; Frowein, a.a.O., N. 1 zu Art. 7 EMRK). Seine grundlegende Bedeutung zeigt sich insbesondere auch darin, dass er – wie auch das Folterverbot (Art. 3 EMRK) oder das Verbot der Sklaverei (Art. 4 Abs. 1 EMRK) – zu den notstandsfesten Garantien der EMRK gehört (Art. 15 Abs. 2 EMRK; vgl. Urteil der Grossen Kammer des EGMR i.S. Ilnseher gegen Deutschland vom 4. Dezember 2018 [Nr. 10211/12 und 27505/14], § 202; Urteil des EGMR i.S. Georgouleas und Nestoras gegen Griechenland vom 28. Mai 2020 [Nr. 44612/13 und 45831/13], § 31; vgl. auch Grabenwerter/Pabel, a.a.O., § 24 N. 145). Damit bildet Art. 7 EMRK Teil des nationalen und europäischen Ordre public (vgl. E. 6.8 hiervor).

7.3. Wie das Bundesgericht in einem neueren Urteil festgehalten hat, ist auch ein Amtshilfegesuch, welches ausschliesslich der Informationsbeschaffung im Hinblick auf eine Sanktionierung der im Amtshilfegesuch avisierten Steuerpflichtigen dient, zulässig (Urteil 2C_780/2018 vom 1. Februar 2021 E. 3.7.1 und 3.7.2 betreffend den mit Art. 26 Abs. 1 DBA CH-IN gleich lautenden Art. 26 Abs. 1 DBA CH-NL). Somit kann das strafrechtliche Rückwirkungsverbot als Teil des Ordre public der Leistung von Amtshilfe entgegenstehen, wenn diese (auch) zugunsten eines Steuerstrafverfahrens erfolgt.

Vom strafrechtlichen Rückwirkungsverbot von vornherein unberührt bleiben verwaltungsrechtliche, insbesondere Veranlagungs- und Nachsteuerverfahren.

8.

Zu beachten ist sodann auch im vorliegenden Fall das Spezialitätsprinzip (vorliegend Art. 26 Abs. 2 DBA ICH-IN).

8.1. Gemäss dem Spezialitätsprinzip dürfen die amtshilfeweise erlangten Informationen nur für die im Abkommen erwähnten Steuerzwecke verwendet werden (vgl. dazu BGE 146 II 150 E. 7.2; Urteile 2C_687/2019 vom 13. Juli 2020 E. 5.2.1; 2C_537/2019 vom 13. Juli 2020 E. 3.4; siehe ferner schon BGE 142 II 161 E. 4.6.1 S. 181). Neben dieser sachlichen hat der Grundsatz der Spezialität auch eine persönliche Dimension in dem Sinne, als danach die (sekundäre) Verwendung amtshilfeweise übermittelter Informationen gegenüber Dritten durch den ersuchten Staat ausgeschlossen ist, sofern dies nicht im Recht beider Vertragsstaaten vorgesehen ist und/oder die zuständige Behörde des übermittelnden Staates einer solchen Verwendung nicht zustimmt (vgl. Urteil 2C_687/2019 vom 13. Juli 2020 E. 5.2.1 mit Hinweisen).

8.2. Das Bundesgericht hat bezüglich Art. 26 Abs. 2 DBA CH-IN erwogen, dass die indischen Behörden die übermittelten Informationen im Sinne des Spezialitätsprinzips nur für die Verfolgung des angezeigten Steuerdelikts und ausschliesslich gegen den Beschwerdeführer als vom Ersuchen betroffene Person verwenden dürfen. Eine Verwendung zu anderen, abkommensfremden Zwecken, wozu die Strafverfolgung ausserhalb des Steuerbereichs, so namentlich wegen Geldwäscherei, gehören würde, kommt einzig unter den Voraussetzungen von Art. 26 Abs. 2 Satz 4 DBA CH-IN und insbesondere nur nach vorgängiger Genehmigung durch die schweizerischen Behörden infrage (Urteil 2C_542/2018 vom 10. März 2021 E. 4.4 mit Hinweisen).

8.3. Somit garantiert bereits das Spezialitätsprinzip, dass die amtshilfeweise übermittelten Informationen nicht zu strafrechtlichen Zwecken ausserhalb der Steueramtshilfe verwendet werden.

9.

Mit Blick auf den vorliegenden Fall ist vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen folgendes festzuhalten:

9.1. Das strafrechtliche Rückwirkungsverbot wäre nicht tangiert, wenn der hier vom Beschwerdeführer angerufene Black Money Act lediglich (steuer)verwaltungsrechtliche oder materielle steuerrechtliche Bestimmungen enthalten würde (vgl. E. 7.3 hiervor).

9.2. Soweit der Black Money Act die Strafverfolgung wegen abkommensfremder Zwecke (strafrechtliche Zwecke ausserhalb des Amtshilferechts; vgl. Urteil 2C_542/2018 vom 10. März 2021 E. 4.4) beabsichtigen würde, würde bereits das Spezialitätsprinzip eine Verwendung der amtshilfeweise erlangten Informationen ausschliessen (vgl. E. 8 hiervor).

Entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte dafür, dass Indien das Spezialitätsprinzip verletzen würde. Vielmehr haben die indischen Behörden gemäss der Stellungnahme der ESTV an das Bundesgericht zugesichert, dass sie das Spezialitätsprinzip in ihrem diesem Gerichtsverfahren zugrundeliegenden Amtshilfeersuchen einhalten würden ([…]). Der ersuchte Staat hat aufgrund des völkerrechtlichen Prinzips von Treu und Glauben (Art. 26 VRK) darauf zu vertrauen, dass sich der ersuchende Staat seinen vertraglichen Verpflichtungen entsprechend verhalten wird (BGE 144 II 206 E. 4.4; 143 II 202 E. 8.7.1; 142 II 161 E. 2.1.3). Von dieser Vermutung wäre erst bei ernsthaften Zweifeln am guten Glauben der ersuchenden Behörde abzurücken (Urteil 2C_615/2018 vom 26. März 2019 E. 6.2). Solche Zweifel vermag der Beschwerdeführer nicht darzutun. Es besteht somit kein Grund, am guten Glauben Indiens zu zweifeln, sodass die Vermutung gilt, dass Indien das Spezialitätsprinzip einhalten wird.

9.3. Demgegenüber bietet das Spezialitätsprinzip keinen Schutz, wenn das Amtshilfegesuch der Durchsetzung des Steuerstrafrechts dient (vgl. E. 7.3 und E. 8 hiervor).

So bleibt zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer, wie er behauptet, nach einer allfälligen Amtshilfeleistung durch die Schweiz ein Steuerstrafverfahren gestützt auf rückwirkend anwendbare materielle Strafrechtsbestimmungen des Black Money Acts drohe.

9.3.1. Es ist unbestritten, dass die amtshilfeweise zu übermittelnden Informationen gemäss Art. 26 Abs. 2 DBA CH-IN unter anderem für die Steuerstrafverfolgung hinsichtlich der in Abs. 26 Abs. 1 DBA CH-IN erwähnten Steuern verwendet werden dürfen (vgl. auch E. 2.5.2 des angefochtenen Urteils).

Dass der Black Money Act, wie der Beschwerdeführer geltend macht, (auch) die Strafverfolgung von Steuerdelikten bezweckt und eine rückwirkende Sanktionierung von Steuerdelikten statuiert, kann gestützt auf die Vorbringen nicht geradezu ausgeschlossen werden. Indessen gelingt es dem Beschwerdeführer nicht, mit genügender Wahrscheinlichkeit aufzuzeigen, dass dies tatsächlich der Fall sein könnte.

9.3.2. Der Beschwerdeführer stützt seine Argumentation zunächst auf ein Rechtsgutachten eines ehemaligen indischen Verfassungsrichters (Chief Justice of India). Dieser hält im Ergebnis fest, der Black Money Act sei ein rückwirkend anwendbares Gesetz, welches es den indischen Steuerbehörden namentlich erlaube, strengere strafrechtliche Sanktionen zu verhängen als diejenigen, die im Zeitpunkt der Ausübung der Delikte möglich gewesen wären. Zudem sei gestützt darauf möglich, in Fällen, die ansonsten der Verjährung unterliegen würden, unter anderem strafrechtliche Ermittlungen einzuleiten.

Zwar ist diesem Gutachten eine gewisse Bedeutung zuzuerkennen, doch kommt diesem lediglich die Stellung eines Parteigutachtens zu. Solchen Gutachten ist nach der Rechtsprechung nicht die Qualität von Beweismitteln, sondern von blossen Parteibehauptungen beizumessen (BGE 141 III 433 E. 2.3 mit Hinweisen).

9.3.3. Ferner ergibt sich aus den im vorinstanzlichen Verfahren beigelegten Unterlagen, dass die Eröffnung eines Verfahrens gestützt auf den Black Money Act gegen eine andere, vom Beschwerdeführer bezeichnete Person, zumindest erwogen wurde. Der Beschwerdeführer behauptet indessen nicht, dass dieses Verfahren abgeschlossen und der Betroffene aufgrund von rückwirkend anwendbaren Strafrechtsbestimmungen verurteilt worden sei. Zudem kann aus diesem Einzelfall nicht geschlossen werden, dass auch dem Beschwerdeführer gestützt auf die amtshilfeweise erhaltenen Informationen ein Verfahren gemäss dem Black Money Act droht. Entsprechende Hinweise ergeben sich aus den Akten jedenfalls nicht.

Weitere Beweismittel, die belegen könnten, dass der Black Money Act eine rückwirkende Anwendung materiellen (Steuer)strafrechts statuiert, liegen nicht vor.

9.3.4. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass zwar gewisse Indizien vorliegen, wonach der Black Money Act auch die strafrechtliche Verfolgung von Steuerdelikten bezweckt und rückwirkend anwendbar sein könnte. Diese Hinweise reichen indessen nicht aus, um mit genügender Wahrscheinlichkeit annehmen zu können, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Leistung von Amtshilfe eine strafrechtliche Verurteilung gestützt auf rückwirkend anwendbare materielle Strafrechtsnormen droht. Es ist entsprechend nicht davon auszugehen, dass die Auskunftserteilung im vorliegenden Fall gegen den Ordre public verstösst. Die Beschwerde erweist sich somit auch in diesem Punkt als unbegründet.