Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5996/2017 vom 5. September 2018

Ursprungserklärung. Nachforderung der Einfuhrabgabe. Solidarhaftung.

  • 1. Februar 2019
  • Bearbeitet durch: Monique Schnell Luchsinger
  • Beitragsart: Grundsatzurteil
  • Rechtsgebiete: Zoll
  • Zitiervorschlag: Monique Schnell Luchsinger, Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5996/2017 vom 5. September 2018, ASA online Grundsatzurteile
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5996/2017 vom 5. September 2018 i.S. A. AG gegen Zollkreisdirektion Schaffhausen. Grundsatzurteil.

Inhalt

  • 1. Regeste
  • 2. Sachverhalt
  • 3. Aus den Erwägungen

1.

Regeste ^

Die Solidarhaftung des Zollschuldners, der gewerbsmässig Zollanmeldungen ausstellt, entfällt immer dann, wenn die Zollschuld über das ZAZ-Konto des Importeurs bezahlt wird. Die Bst. a und b von Art. 70 Abs. 4 ZG stellen alternative Konstellationen für die Befreiung von der Solidarhaftung dar (E. 4.2.4). Dies hat zur Folge, dass er – wenn andere solidarisch haftende Zollschuldner vorhanden sind – nicht mehr an erster Stelle ins Recht gefasst werden kann (E. 4.2.5).

La responsabilité solidaire du débiteur de la dette douanière qui établit professionnellement des déclarations en douane disparaît en tous les cas lorsque la dette douanière est payée par prélèvement sur le compte de l'importateur en procédure centralisée de décompte (PCD). Les let. a et b de l'art. 70 al. 4 LD sont des constellations alternatives prévoyant la libération de la responsabilité solidaire (consid. 4.2.4). Cela signifie que la personne qui établit professionnellement des déclarations en douane ne peut pas – lorsque d'autres débiteurs de la dette douanière existent – être recherchée en premier lieu (consid. 4.2.5).

2.

Sachverhalt ^

A.

A.a Die A._______ AG (nachfolgend: Spediteurin) bezweckt gemäss Handelsregistereintrag unter anderem die Durchführung von internationalen Transporten auf dem Landweg und die Vornahme von Verzollungen (vgl. Internetauszug aus dem Handelsregister des Kantons […], eingesehen am 5. September 2018).

A.b Die B._______ AG (nachfolgend: Importeurin) bezweckt gemäss Handelsregistereintrag im Wesentlichen die Herstellung von Gegenständen aller Art aus Kunststoff im Spritz- und Pressverfahren sowie von dazu notwendigen Werkzeugen (vgl. Internetauszug des Handelsregisters des Kantons […], eingesehen am 5. September 2018).

B.

B.a Im Zeitraum vom 26. Mai 2014 bis zum 22. März 2017 meldete die Spediteurin der Zollstelle St. Margrethen (nachfolgend: Zollstelle) 28 für die Importeurin bestimmte Sendungen aus Israel im elektronischen Verfahren (e-dec) zur abgabebefreiten (präferenziellen) Einfuhr an. Die Sendungen, welche Getrieberadeinsätze, Getrieberäder, Zahnradersatz, Getriebeteile, Zahnradeinsätze und Transmissionswellenteile umfassten, wurden vom Verzollungssystem als «frei ohne» selektioniert und mit Veranlagungsverfügungen ohne materielle oder formelle Kontrolle durch die Zollstelle antragsgemäss abgefertigt. Die Bezahlung der fälligen Einfuhrsteuern wurde im zentralisierten Abrechnungsverfahren der Eidgenössische Zollverwaltung (EZV), kurz: ZAZ, über das Konto der Importeurin abgewickelt.

B.b Als Ursprungsnachweis war jeder Sendung eine Rechnung beigelegt mit folgender Erklärung: «The exporter of the products covered by this document customs authorization No. […] declares that, except where otherwise clearly indicated, these products are Israeli.» Überdies enthielten die Rechnungen jeweils den Hinweis «Made in Israel».

C. Anlässlich einer nachträglichen Kontrolle stellte die Zollstelle fest, dass die Ursprungserklärungen dieser Einfuhrzollanmeldungen unvollständig und somit formell ungültig seien, worauf sie mit Schreiben vom 5. Mai 2017 die Spediteurin über eine beabsichtigte Nachforderung von Fr. 11‘636.95 informierte und aufforderte, die Einfuhrzollanmeldungen zu korrigieren.

D. Mit Schreiben vom 24. Mai 2017 teilte die Spediteurin der Zollstelle mit, dieser Aufforderung nachgekommen zu sein, woraufhin die Zollstelle die Korrekturanträge vornahm. Am 30. Mai 2017 erliess sie 28 korrigierte Veranlagungsverfügungen. Die darin enthaltenen Nachforderungen umfassen Zollabgaben und Einfuhrsteuern im Betrag von Fr. 11‘636.95.

E. Eine dagegen erhobene Beschwerde der Spediteurin wies die Zollkreisdirektion Schaffhausen (nachfolgend: Vorinstanz) mit Beschwerdeentscheid vom 22. September 2017 ab.

F. Gegen diesen Entscheid erhob die Spediteurin (nachfolgend: Beschwerdeführerin) mit Eingabe vom 23. Oktober 2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Sie beantragt, der angefochtene Beschwerdeentscheid und die genannten 28 Veranlagungsverfügungen seien unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten des Staates aufzuheben und die eingeführten Waren zum Präferenzansatz zu veranlagen.

G. Mit Vernehmlassung vom 8. Januar 2018 beantragt die OZD, die Beschwerde sei unter Kostenfolge abzuweisen.

3.

Aus den Erwägungen ^

[…]

4.2 Zu prüfen ist sodann, ob die Vorinstanz ihre Nachforderung gegenüber der Beschwerdeführerin durchsetzen kann.

4.2.1 Die Beschwerdeführerin ist mit Bezug auf die streitbetroffenen Einfuhrsendungen unbestrittenermassen Zollschuldnerin (E. 2.3). Da sie jedoch gewerbsmässig Zollanmeldungen ausstellt (Sachverhalt Bst. B.a), ist sie gemäss Art. 70 Abs. 4 ZG in zwei Fällen von der Solidarhaftung befreit: zum einen, wenn die Zollschuld über das ZAZ-Konto des Importeurs bezahlt wird (Bst. a); zum anderen im Nachbezugsverfahren nach Art. 12 VStrR, sofern die Zollanmelderin an der Widerhandlung gegen die Verwaltungsgesetzgebung des Bundes kein Verschulden trifft (Bst. b). Zu beurteilen ist, ob eine solche Befreiung vorliegt.

4.2.2 Aus den Akten ersichtlich und unbestritten ist, dass die Zollschuld über das ZAZ-Konto der Importeurin bezahlt wurde (Sachverhalt Bst. B.a). Gestützt darauf, macht die Beschwerdeführerin geltend, sie hafte gemäss Art. 70 Abs. 4 Bst. a ZG nicht solidarisch für die Nachforderung.

4.2.3 Die Vorinstanz bringt demgegenüber vor, die Zollverwaltung fordere nach konstanter Praxis bei Falschanmeldungen nach Art. 12 VStrR, die zu einer Verwirkung von Begünstigungen führen, die Einfuhrabgaben bei der dafür verantwortlichen Zollanmelderin nach, sofern diese – wie im vorliegenden Fall – die Falschanmeldungen verschuldete. Welches ZAZ-Konto für die Einfuhrzollanmeldungen verwendet wurde, sei dabei unerheblich, da die Zollschuld nach Art. 70 Abs. 4 Bst. b ZG und nicht nach dessen Bst. a festgesetzt werde.

4.2.4 Die solidarische Haftung der Person, die gewerbsmässig Zollanmeldungen ausstellt, entfällt gemäss Art. 70 Abs. 4 Bst. a ZG immer dann, wenn die Zollschuld im ZAZ über das Konto des Importeurs bezahlt wird (Urteile des BVGer A-1626/2010 vom 28. Januar 2011 E. 2.3, A-1728/2006 vom 17. Dezember 2007 E. 3.1.2; vgl. auch Botschaft vom 15. Dezember 2003 über ein neues Zollgesetz, BBl 2004 567, 642 f.; vgl. Votum Gysin in: AB 2004 N 1391; Votum Merz in: AB 2004 N 1932). Das ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut der Bestimmung bzw. daraus, dass die Bst. a und b von Art. 70 Abs. 4 ZG alternative Konstellationen für die Befreiung von der Solidarhaftung darstellen (vgl. Urteil des BVGer A-6492/2011 vom 15. Januar 2013 E. 4.3.1; Michael Beusch, in: Kocher/Clavdetscher [Hrsg.], Zollgesetz, 2009, Art. 70 Rz. 17). Da die vorliegende Zollabrechnung über das ZAZ-Konto der Importeurin abgewickelt wird und die Vornahme von Zollanmeldungen zum Unternehmenszweck der Beschwerdeführerin gehört (Sachverhalt Bst. A.a), ist Letztere als gewerbsmässige Zollanmelderin somit von der solidarischen Haftung befreit.

4.2.5 Die fehlende Solidarhaftung hat indes nicht zur Folge, dass die Beschwerdeführerin nicht mehr Zollschuldnerin wäre, sondern nur – aber immerhin –, dass sie nicht mehr an erster Stelle nach freier Wahl durch die Vorinstanz ins Recht gefasst werden kann. Im Sinne einer subsidiären Ausfallhaftung bleibt die Beschwerdeführerin nämlich zur Zahlung der Zollschuld verpflichtet, wenn kein anderer, solidarisch haftender Zollschuldner die Zollschuld bezahlen konnte (vgl. zum Ganzen Beusch, a.a.O., Art. 70 Rz. 21). Vorliegend gilt neben der Beschwerdeführerin auch die Importeurin als Zollschuldnerin (E. 2.3), wobei für sie keine Befreiung von der Solidarhaftung besteht, da sie nicht als gewerbsmässige Ausstellerin von Zollanmeldungen auftritt (Sachverhalt Bst. A.b). Dementsprechend hat die Vorinstanz ihre Nachforderung zunächst gegenüber der solidarisch haftenden Importeurin geltend zu machen. Diese verfügt immerhin über eine ZAZ-Kontoverbindung zu der Zollverwaltung, weshalb nicht davon auszugehen ist, dass die Vorinstanz ihr gegenüber keine Forderungen durchsetzen kann. Im Umkehrschluss kann die Vorinstanz ihre Nachforderung nicht gestützt auf die subsidiäre Ausfallhaftung gegenüber der Beschwerdeführerin geltend machen, da es wahrscheinlich erscheint, dass eine andere solidarisch haftende Zollschuldnerin die Zollschuld bezahlen kann. Zumindest bis zum Beweis des Gegenteils ist die Beschwerdeführerin nicht verpflichtet, die vorliegend streitige Nachforderung zu leisten.

4.3 Dem Gesagten zufolge hätte die Vorinstanz zunächst prüfen müssen, ob sie die Forderung gegenüber solidarisch haftenden Zollschuldnern – insbesondere der Importeurin – hätte geltend machen können, bevor sie die Beschwerdeführerin ins Recht fasste. Dass sie dies getan hätte, ist den Akten nicht zu entnehmen.

(Gutheissung im Sinne der Erwägungen und Rückweisung an die Vorinstanz)