Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-2660/2018 vom 11. Dezember 2020

Unzulässigkeit der wiedererwägungsweisen Datenübermittlung während hängigem Beschwerdeverfahren

  • Bearbeitet durch: Dominique da Silva
  • Beitragsart: Grundsatzurteil
  • Rechtsgebiete: Internationale Amtshilfe
  • Zitiervorschlag: Dominique da Silva, Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-2660/2018 vom 11. Dezember 2020, ASA online Grundsatzurteile
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-2660/2018 vom 11. Dezember 2020 i.S. X. gegen Eidgenössische Steuerverwaltung, Dienst für Informationsaustausch in Steuersachen SEI. Amtshilfe (DBA CH-ES).

Inhalt

  • 1. Regeste
  • 2. Sachverhalt
  • 3. Aus den Erwägungen

1.

Regeste ^

Das Bundesverwaltungsgericht verneint die integrale Nichtigkeit der hier zu beurteilenden Wiedererwägungsverfügung und hält fest, dass eine auf ausdrückliche Einladung des Gerichts erfolgte Wiedererwägung zulässig sei (E. 3.2.1 ff.). Auch erachtet es die von der Vorinstanz im Hinblick auf die Verjährung getätigten Abklärungen bei der ersuchenden Behörde als grundsätzlich rechtmässig (E. 3.2.2 ff.). Hingegen qualifiziert es die Übermittlung der Informationen an die ersuchende Behörde mit Erlass der Wiedererwägungsverfügung und ohne vorgängige Information der Beschwerdeführerin – und damit eine quasi «rückwirkende» Anwendung von Art. 21a StAhiG – in Konstellationen, in denen das vorinstanzliche Verfahren bereits vollständig durchlaufen wurde, als nicht zulässig; dies mit Blick auf den Devolutiveffekt und die aufschiebende Wirkung der Beschwerde (E. 3.4.2.2 f.). Zudem beanstandet das Gericht das treuwidrige Vorgehen der Vorinstanz im konkreten Fall (E. 3.4.2.4).

Le Tribunal administratif fédéral nie la nullité intégrale de la décision de réexamen dans le cas despèce et retient quun réexamen effectué sur invitation formelle du tribunal est admissible (consid. 3.2.1 ss). Il considère en outre, que les clarifications requises de lautorité inférieure auprès de lautorité requérante concernant la prescription, sont fondamentalement conformes au droit (consid. 3.2.2 ss). Toutefois, il qualifie dinadmissible la transmission dinformations à lautorité requérante sur la base de la décision de réexamen et sans en avoir informé préalablement la recourante –ce qui constitue une application quasi «rétroactive» de lart. 21a LAAF – dans les situations où la procédure devant lautorité inférieure est déjà close, compte tenu de leffet dévolutif et de leffet suspensif du recours (consid. 3.4.2.2 s.). De surcroit, le Tribunal soppose dans le cas despèce, au comportement contraire à la bonne foi de lautorité inférieure (consid. 3.4.2.4).

2.

Sachverhalt ^

A.

Am 28. Juli 2016 richtete die spanische Steuerbehörde, die Agencia Tributaria (AT; nachfolgend auch: ersuchende Behörde), gestützt auf Art. 25bis des Abkommens vom 26. April 1966 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und Spanien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (SR 0.672.933.21; nachfolgend: DBA CH-ES) ein Amtshilfeersuchen an die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV; nachfolgend: Vorinstanz).

Als vom Ersuchen betroffene Personen nannte die AT ihr namentlich nicht bekannte, mutmasslich in Spanien steuerpflichtige Personen, die anhand einer dem Ersuchen beigelegten Liste mit Kundennummern und weiteren Angaben identifizierbar seien. Dabei äusserte die AT den Verdacht, bezüglich der in der Liste enthaltenen Konten seien innerstaatliche Meldepflichten verletzt worden. Als Informationsinhaberin in der Schweiz wurde die A. AG (heute: […]; nachfolgend: A.) genannt. Die Informationen würden für die korrekte Einkommens-, Vermögens- und Körperschaftsbesteuerung der betroffenen Personen in den Jahren 2012 bis 2015 benötigt.

B.

Mit Schlussverfügung vom 6. April 2018 gab die Vorinstanz – nach Durchführung des ordentlichen Verfahrens der Informationsbeschaffung bei der A. und Gewährung des rechtlichen Gehörs – dem Amtshilfeersuchen der AT statt und ordnete die Übermittlung von Bankinformationen betreffend X. an.

C.

Dagegen liess X. (nachfolgend: Beschwerdeführerin) mit Eingabe vom 7. Mai 2018 Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht erheben und neben einem Sistierungsauftrag aufgrund von hängigen Verfahren vor der Bundesanwaltschaft bzw. dem Bundesstrafgericht hauptsächlich die Aufhebung der angefochtenen Schlussverfügung beantragen; unter Kosten- und Entschädigungsfolge zulasten der Staatskasse.

D.

Nach einem Schriftenwechsel mittels Vernehmlassung der Vorinstanz vom 9. Juli 2018 sowie Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom 20. Juli 2018 sistierte das Bundesverwaltungsgericht das Beschwerdeverfahren auf entsprechende Anträge der Parteien vom 22. respektive 23. August 2018 mit Zwischenverfügung vom 28. August 2018. Es begründete die Verfahrenssistierung mit der präjudiziellen Wirkung des zu erwartenden Urteils des Bundesgerichts im damals hängigen Verfahren 2C_653/2018, in welchem ein vergleichbares Amtshilfeersuchen Frankreichs gestützt auf Daten derselben Quelle zu beurteilen war.

Mit Urteil 2C_653/2018 vom 26. Juli 2019 (teilweise publiziert in BGE 146 II 150) qualifizierte das Bundesgericht das dort strittige Amtshilfeersuchen Frankreichs als zulässig. Nachdem auch die schriftliche Urteilsbegründung publiziert war, hob das Bundesverwaltungsgericht die Verfahrenssistierung mit Zwischenverfügung vom 10. Dezember 2019 auf.

E.

Mit Stellungnahme vom 13. März 2020 liess die Beschwerdeführerin an ihren Beschwerdeanträgen festhalten und Ergänzungsanträge hinsichtlich der Verjährungsfrage stellen.

F.

Mit Eingabe vom 9. April 2020 ersuchte die Vorinstanz um eine nochmalige Sistierung des Beschwerdeverfahrens, weil sie beabsichtige, die Schlussverfügung mit Blick auf die grösstenteils eingetretene Verjährung und die kurz bevorstehende Verjährung allfälliger Steuerforderungen der Steuerjahre 2015 im Sinne der Prozessökonomie in Wiedererwägung zu ziehen.

G.

Mit Zwischenverfügung vom 4. Juni 2020 ordnete das Bundesverwaltungsgericht die Sistierung des Beschwerdeverfahrens bis zum Erlass der Wiedererwägungsverfügung an.

H.

Mit Wiederwägungsverfügung vom 12. Juni 2020 wiederrief die Vorinstanz ihre Schlussverfügung vom 6. April 2018 vollumfänglich und verfügte einerseits, dass sie den spanischen Behörden infolge eingetretener Verjährung keine Amtshilfe für die Jahre 2012, 2013 und 2014 leiste. Andererseits hielt sie an der Informationsübermittlung betreffend das Steuerjahr 2015 fest, wobei sie die Informationen mit Erlass der Wiedererwägungsverfügung und ohne vorgängige Information der Beschwerdeführerin an die spanischen Behörden übermittelte.

I.

Mit Stellungnahme vom 20. Juli 2020 zur Wiedererwägungsverfügung beantragt die Beschwerdeführerin, es sei die Nichtigkeit der Wiedererwägungsverfügung vom 12. Juni 2020 festzustellen, ihre Beschwerde vom 7. Mai 2018 sei gutzuheissen und die Schlussverfügung vom 6. April 2018 sei aufzuheben. Eventualiter sei das Verfahren in Bezug auf Informationen zu den Steuerjahren 2012 bis 2014 als gegenstandslos geworden abzuschreiben, und in Bezug auf die Amtshilfeleistung betreffend das Jahr 2015 sei ihre Beschwerde gutzuheissen und die Rechtswidrigkeit der Wiedererwägungsverfügung festzustellen. Schliesslich sei auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten und ihr eine angemessene Parteientschädigung zuzusprechen.

J.

Parallel zur erwähnten Stellungnahme liess die Beschwerdeführerin mit Eingabe vom 17. Juli 2020 Beschwerde gegen die Wiedererwägungsverfügung vom 12. Juni 2020 erheben. Sie beantragt, es sei unter Kosten- und Entschädigungsfolge zulasten der Vorinstanz festzustellen, dass die Wiedererwägungsverfügung der ESTV vom 12. Juni 2020 betreffend das Steuerjahr 2015 nichtig sowie dass die Wiedererwägungsverfügung betreffend das Jahr 2015 durch widerrechtliches Handeln der ESTV erlassen worden sei. Diese Beschwerde wurde unter der separaten Verfahrensnummer A-3654/2020 rubriziert.

K.

Mit Zwischenverfügung vom 7. August 2020 ordnete der Instruktionsrichter die Vereinigung der Verfahren A-2660/2018 und A-3654/2020 und deren Weiterführung unter der Verfahrensnummer A-2660/2018 an […].

[…]

3.

Aus den Erwägungen ^

[…]

2.

2.1 Mit der Einreichung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht geht die Behandlung der Sache, die Gegenstand der mit Beschwerde angefochtenen Verfügung bildet, auf die Beschwerdeinstanz über (sog. Devolutiveffekt; Art. 37 VGG i.V.m. Art. 54 VwVG). Dies bedeutet, dass nach Einlegung eines Rechtsmittels allein die höhere Instanz über die formelle Zulässigkeit des Rechtsmittels und über die materielle Begründetheit der Rechtsmittelvorbringen zu entscheiden hat (Regina Kiener, in: Auer/Müller/Schindler [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, 2. Aufl. 2019 [nachfolgend: VwVG-Kommentar], Art. 54 N 2). Die Vorinstanz verliert damit – vorbehältlich der Sonderregelung der Wiedererwägung im Sinn von Art. 58 VwVG (dazu nachfolgend: E. 2.2) – die Befugnis, sich weiterhin mit der Streitsache als Rechtspflegeinstanz auseinanderzusetzen, also beispielsweise ihren Entscheid aufgrund der Rechtsmittelvorbringen nachträglich zu ändern (Moser/Beusch/Kneubühler, Prozessieren vor dem Bundesverwaltungsgericht, 2. Aufl. 2013, Rz. 3.7).

2.2 Gemäss Art. 58 Abs. 1 VwVG kann die Vorinstanz die angefochtene Verfügung bis zu ihrer Vernehmlassung in Wiedererwägung ziehen. Unter Vernehmlassung ist nicht bloss die erste Stellungnahme der Vorinstanz zu verstehen; vielmehr erfasst der Begriff nach herrschender Lehre und Rechtsprechung auch spätere Stellungnahmen, zu denen die Vorinstanz von der Beschwerdeinstanz eingeladen worden ist. Die Befugnis der Vorinstanz zur Wiedererwägung endet demnach spätestens nach Ablauf der Frist zur letztmals ermöglichten Stellungnahme (BVGE 2011/30 E. 5.3.1; vgl. Andrea Pleiderer, in: Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], Praxiskommentar VwVG, 2. Aufl. 2016 [nachfolgend: Praxiskommentar VwVG], Art. 58 N 36 mit Hinweisen). Nach diesem Zeitpunkt erlassene neue Verfügungen sind nichtig (vgl. BGE 130 V 138 E. 4.2 in fine). Nichtigkeit bedeutet die absolute Unwirksamkeit einer Verfügung, die demnach keinerlei Rechtswirkung entfalten kann (Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 2020, Rz. 1096).

Hinter der Ausnahmeregelung von Art. 58 Abs. 1 VwVG steht der Gedanke der Prozessökonomie im Sinne der Vereinfachung des Verfahrens. Die Verwaltung soll lite pendente auf ihre Verfügung zurückkommen können, wenn diese sich, allenfalls im Lichte der Vorbringen in der Beschwerde, als unrichtig erweist (BGE 127 V 228 E. 2 b/aa). In diesem Zusammenhang sind Abklärungsmassnahmen der Verwaltung während Rechtshängigkeit des Beschwerdeverfahrens zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, jedoch zurückhaltend zuzulassen (BGE 127 V 228 E. 2 b/aa und 2 b/bb; vgl. Moser/Beusch/Kneubühler, a.a.O., Rz. 3.7 in fine).

Die Beschwerdeinstanz setzt die Behandlung der Beschwerde fort, soweit diese durch die neue Verfügung der Vorinstanz nicht gegenstandslos geworden ist (vgl. Art. 58 Abs. 3 VwVG). Soweit diese neue Verfügung die Begehren der beschwerdeführenden Person nicht erfüllt, ist eine Abschreibung infolge Gegenstandslosigkeit unzulässig und gilt sie durch die bereits erhobene Beschwerde gegen die ursprüngliche Verfügung als mitangefochten (Pleiderer, Praxiskommentar VwVG, Art. 58 N 44 ff. und 52 mit Hinweisen; vgl. Urteile des BVGer A-4044/2019 vom 17. Dezember 2019 E. 1.2.1, A-856/2018 vom 25. Oktober 2018 E. 1.2.1).

2.3 Der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht im Bereich der internationalen Amtshilfe in Steuersachen kommt aufschiebende Wirkung zu (Art. 19 Abs. 3 StAhiG; s. auch Art. 55 Abs. 1 VwVG). Allerdings kann die ESTV in einer Schlussverfügung, weil diese im Bereich der internationalen Amtshilfe regelmässig keine Geldleistung zum Gegenstand hat, einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung entziehen. Nach Einreichung der Beschwerde steht dieselbe Befugnis dem Bundesverwaltungsgericht als Beschwerdeinstanz bzw. ihrem Vorsitzenden oder dem Instruktionsrichter zu (vgl. Art. 19 Abs. 3 StAhiG i.V.m. Art. 55 Abs.2 VwVG).

Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde bedeutet, dass die in einer Verfügung angeordnete Rechtsfolge vorläufig nicht eintritt, sondern bis zum Beschwerdeentscheid vollständig gehemmt werden soll, um die beschwerdeführende Partei die nachteiligen Wirkungen einer Verfügung so lange nicht spüren zu lassen, bis über deren Rechtmässigkeit entschieden ist (statt vieler: BGE 140 II 134 E. 4.2.1 mit Hinweisen; Zwischenverfügung des BVGer A-358/2018 vom 19. März 2018 E. 2.1.2 mit Hinweisen und Moser/Beusch/Kneubühler, a.a.O., Rz. 3.19).

3.

3.1 Ausgangspunkt des vorliegenden Verfahrens bildet die mit Schlussverfügung vom 6. April 2018 angeordnete Leistung von Amtshilfe gestützt auf ein Amtshilfeersuchen Spaniens vom 28. Juli 2016. Ersucht wurde um Informationen zu den Steuerjahren 2012 bis 2015. Im Verlauf des vorliegenden Verfahrens und noch vor Erlass der Wiedererwägungsverfügung vom 12. Juni 2020 sind offenbar allfällige Steuerforderungen der spanischen Behörden betreffend die Steuerjahre 2012 bis 2014 verjährt. Diesbezüglich hat die Vorinstanz die Übermittlung von Informationen wiedererwägungsweise verweigert. In Bezug auf Informationen betreffend das Steuerjahr 2015 hat die Vorinstanz jedoch auch mit Wiedererwägungsverfügung vom 12. Juni 2020 an der Amtshilfeleistung festgehalten und die Informationen infolge unmittelbar drohender Verjährung noch vor Eröffnung der Wiedererwägungsverfügung an die spanischen Behörden übermittelt, mit anderen Worten hat sie die Amtshilfeleistung sofort vollstreckt.

Strittig und zu prüfen ist die Rechtmässigkeit der vorinstanzlichen Wiedererwägungsverfügung, namentlich die bereits erfolgte Übermittlung der Informationen betreffend das Steuerjahr 2015 an die spanischen Behörden.

3.2 In einem ersten Schritt ist auf die von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage der integralen Nichtigkeit der Wiedererwägungsverfügung einzugehen.

3.2.1 Die Beschwerdeführerin vertritt sowohl in ihrer Stellungnahme zur Wiedererwägungsverfügung vom 20. Juli 2020 als auch in der separat erhobenen Beschwerde gegen die Wiedererwägungsverfügung vom 17. Juli 2020 die Ansicht, die Wiedererwägung sei zu spät erfolgt und damit nichtig.

3.2.1.1 Der in Art. 58 Abs. 1 VwVG statuierte Begriff der Vernehmlassung beschränkt sich nicht auf die erste Stellungnahme der Vorinstanz. Vielmehr sind auch spätere Stellungnahmen miterfasst, zu denen die Vorinstanz von der Beschwerdeinstanz eingeladen worden ist (vorne E. 2.2).

3.2.1.2 Vorliegend hat die Vorinstanz ihre Wiedererwägung nicht im Rahmen einer Stellungnahme erlassen, sondern sie hat mit Eingabe vom 9. April 2020 die Sistierung des Verfahrens explizit zum Zweck der Wiedererwägung beantragt. Nachdem der Beschwerdeführerin hinsichtlich des Sistierungsantrags das rechtliche Gehör gewährt worden war und sie keine Einwände geltend machte, sistierte das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren mit Zwischenverfügung vom 4. Juni 2020 und lud die Vorinstanz ausdrücklich ein, ihre Schlussverfügung in Wiedererwägung zu ziehen, was sie am 12. Juni 2020, d.h. zeitnah, auch getan hat. Mit anderen Worten vermag sich die vorinstanzliche Wiedererwägung nicht nur auf eine Einladung zur Stellungnahme zu stützen, sondern – was noch weitergeht – auf eine ausdrückliche Ermächtigung des verfahrensleitenden Gerichts. Dass die Vorinstanz mit ihrem Sistierungsantrag vorab das Einverständnis des Gerichts für die Wiedererwägung einholte und nicht etwa eine Fristansetzung für eine weitere Stellungnahme beantragte, ist auch im Sinne der Transparenz und Rechtssicherheit zu begrüssen. Der Erlass der Wiedererwägungsverfügung ist daher in zeitlicher Hinsicht nicht zu beanstanden und erweist sich als zulässig. Ebenso wenig und entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin wird die Wiedererwägungsverfügung dadurch integral rechtswidrig, dass sie nicht vollständig zu ihren Gunsten ausfiel.

3.2.2 Die Beschwerdeführerin stellt sich in ihrer Beschwerde gegen die Wiedererwägungsverfügung weiter auf den Standpunkt, die Wiedererwägung sei vollumfänglich nichtig, weil die Vorinstanz während der Rechtshängigkeit des Verfahrens vor Bundesverwaltungsgericht zusätzliche Sachverhaltsabklärungen hinsichtlich der Verjährungsfrage getätigt habe. Dazu sei sie aufgrund des Devolutiveffekts der ursprünglichen Beschwerde nicht mehr zuständig und damit auch nicht mehr berechtigt gewesen.

3.2.2.1 Zwar liegt aufgrund des Devolutiveffekts der Beschwerde die Verfahrenshoheit und damit auch die Kompetenz, weitere Sachverhaltsabklärungen zu veranlassen, grundsätzlich allein bei der Beschwerdeinstanz. Eine gewisse Relativierung dieses Grundsatzes ergibt sich rechtsprechungsgemäss aus der im Bundesverwaltungsrecht vorgesehenen Möglichkeit der Wiedererwägung während Rechtshängigkeit des Beschwerdeverfahrens. In diesem Zusammenhang werden gewisse Abklärungsmassnahmen der Vorinstanz als zulässig angesehen (vorne E. 2.2).

3.2.2.2 Die Korrespondenz zwischen der Vorinstanz und der ersuchenden Behörde hinsichtlich der Verjährungsfrage wurde durch ein Schreiben der Vorinstanz vom 16. Januar 2020 ausgelöst (vgl. act. 48 der Vorakten, eingereicht mit Eingabe der Vorinstanz vom 9. April 2020 [BVGer act. 26]). Die Rückfrage betreffend Verjährung bezog sich dabei auf sämtliche durch das Listenersuchen betroffenen Einzelverfahren. Letztere waren – mit Ausnahme des vorliegenden und wenigen weiteren Beschwerdeverfahren – zu jenem Zeitpunkt grösstenteils noch bei der Vorinstanz anhängig, d.h. noch nicht mit einer Schlussverfügung abgeschlossen. Damit lag auch die Verfahrenshoheit in Bezug auf die auf dem Listenersuchen basierenden Einzelverfahren mehrheitlich noch bei der Vorinstanz, so dass es ihr insofern ohne Weiteres gestattet war, weitere Sachverhaltsabklärungen zu tätigen. Dass die Vorinstanz ihre aus der erstmaligen Rückfrage und weiterer Korrespondenz mit der ersuchenden Behörde gewonnenen Erkenntnisse sodann auch in das vorliegende Beschwerdeverfahren einfliessen liess, ist grundsätzlich nicht zu beanstanden (vgl. jedoch E. 3.4.2.4): Aufgrund der Rückmeldungen der ersuchenden Behörde beantragte die Vorinstanz dem Gericht mit Eingabe vom 9. April 2020 erfolgreich, das Beschwerdeverfahren sei zwecks Wiedererwägung zu sistieren. Die Abklärungen zur Verjährungsfrage weisen damit einen unmittelbaren Zusammenhang mit einer Wiedererwägung auf und führen – zumindest im Umfang der bereits eingetretenen Verjährung – wiedererwägungsweise zur Verweigerung der Amtshilfe. Solche rechtsprechungsgemäss zulässigen Abklärungen, die zudem grundsätzlich im Interesse der Beschwerdeführerin liegen, vermögen keine integrale Nichtigkeit der Wiedererwägungsverfügung zu begründen.

3.2.3 Es bleibt somit auf die Rechtmässigkeit und Rechtsfolgen der einzelnen wiedererwägungsweise getroffenen Anordnungen näher einzugehen.

3.3 In Bezug auf die strittigen Informationen zu den Steuerjahren 2012 bis 2014 hat die Vorinstanz in der Wiedererwägungsverfügung angeordnet, dass diesbezüglich – infolge zwischenzeitlich eingetretener Verjährung entsprechender Steuerforderungen in Spanien – mangels voraussichtlicher Erheblichkeit der Informationen keine Amtshilfe (mehr) zu leisten sei. Damit entspricht sie im Ergebnis den entsprechenden Beschwerdeanträgen. Diese zulässige Wiedererwägung zugunsten der Beschwerdeführerin führt zur teilweisen Gegenstandslosigkeit der Beschwerde (E. 2.2 in fine). Das Verfahren ist damit betreffend Informationen zu den Steuerjahren 2012 bis 2014 als gegenstandslos geworden abzuschreiben.

3.4 Was die streitgegenständlichen Informationen zum Steuerjahr 2015 betrifft, so hat die Vorinstanz in teilweiser Bestätigung von Ziff. 2 des Dispositivs der Schlussverfügung vom 6. April 2018 wiedererwägungsweise an der Amtshilfeleistung festgehalten (Ziff. 3 des Dispositivs). Gleichzeitig hat sie die Amtshilfeleistung mit Erlass der Wiedererwägungsverfügung sofort vollstreckt, d.h. die Daten vor Eröffnung der Wiedererwägungsverfügung an die ersuchende Behörde übermittelt (vgl. Ziff. 4 des Dispositivs).

3.4.1 Weil vorliegend die strittigen Informationen zum Steuerjahr 2015 bereits an die ersuchende Behörde übermittelt wurden, kann – selbst bei Gutheissung der Beschwerde gegen die Schlussverfügung – die Amtshilfeleistung nicht mehr verhindert werden. Insofern ist ein schutzwürdiges Interesse für das mit dem Beschwerdeantrag auf Aufhebung der Schlussverfügung verbundene negative Leistungsbegehren, nämlich, dass keine Amtshilfe zu leisten sei, zu verneinen (vgl. statt vieler: BGE 141 II 14 E. 4.4, 139 I 206 E. 1.1). Allerdings ist vorliegend nunmehr ein Rechtsschutzinteresse in Form eines Feststellungsinteresses hinsichtlich der Rechtskonformität der Amtshilfeleistung bzw. der sofortigen Datenübermittlung gestützt auf Art. 21a StAhiG im Rahmen der Wiedererwägung zu bejahen. Inwieweit diese Feststellungen noch Gegenstand der ursprünglichen Beschwerde gegen die Schlussverfügung bilden oder im Rahmen der vorliegend ebenfalls erhobenen Beschwerde gegen die Wiedererwägungsverfügung zu beurteilen wären, ist nicht zuletzt auch mit Blick auf die bereits vereinigten Verfahren unerheblich.

3.4.2 Die Vorinstanz begründet die wiedererwägungsweise sofortige Übermittlung von Informationen zum Steuerjahr 2015 mit der Dringlichkeit aufgrund drohender Verjährung. Rechtlich hat sie ihr Vorgehen auf Art. 21a StAhiG gestützt, dessen Absatz 1 wie folgt lautet:

«Die ESTV informiert die beschwerdeberechtigten Personen ausnahmsweise erst nach der Übermittlung der Informationen mittels Verfügung über ein Ersuchen, wenn die ersuchende Behörde glaubhaft macht, dass der Zweck der Amtshilfe und der Erfolg ihrer Untersuchung durch die vorgängige Information vereitelt würden».

3.4.2.1 Nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung und der Marginalie «Verfahren mit nachträglicher Information der beschwerdeberechtigten Personen» bezieht sich Art. 21a StAhiG auf Konstellationen, in denen die beschwerdeberechtigte Person ausnahmsweise erst nach Übermittlung der Informationen über ein Ersuchen informiert werden soll (vgl. auch Botschaft vom 16. Oktober 2013 zur Änderung des Steueramtshilfegesetzes [BBl 2013 8369, 8378 und 8381]). Dies im Gegensatz zum Regelverfahren, in dem die betroffene Person über die wesentlichen Teile des Ersuchens zu informieren ist (Art. 14 Abs. 1 StAhiG) und die ESTV das rechtliche Gehör in Bezug auf die zu übermittelnden Informationen gewährt (vgl. Art. 16 Abs. 1 StAhiG).

3.4.2.2 Die vorliegend streitgegenständliche Schlussverfügung vom 6. April 2018 erging im Rahmen des ordentlichen Verfahrens mit vorgängiger Information der Beschwerdeführerin über das Ersuchen und Gewährung des rechtlichen Gehörs vor Erlass der Schlussverfügung. Im vorliegenden Fall ist die Beschwerdeführerin also längst über das Amtshilfeersuchen und die beabsichtigte Amtshilfeleistung informiert. Eine quasi «rückwirkende» Anwendung von Art. 21a StAhiG namentlich in Konstellationen, in denen das vorinstanzliche Verfahren bereits vollständig durchlaufen wurde, scheint auch hinsichtlich des anwendbaren Devolutiveffekts (hierzu sogleich E. 3.4.2.3) weder gesetzlich vorgesehen noch unter dem Aspekt der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (hierzu E. 3.4.2.4 hiernach) vertretbar zu sein.

3.4.2.3 Denn wie aus den vorstehenden Erwägungen hervorgeht, war vorliegend bereits ein Beschwerdeverfahren rechtshängig. Im Rahmen der Wiedererwägung kann die Vorinstanz zwar auf ihr ursprüngliches materielles Erkenntnis in der Schlussverfügung zurückkommen. Dies wäre mit Blick auf den Devolutiveffekt noch zulässig (E. 2.1 f.). Jedoch bleibt das von der Vorinstanz ursprünglich gewählte (Regel-)Verfahren (mit Information der betroffenen Person) massgebend und ein nachträglicher Wechsel in das Verfahren gemäss Art. 21a StAhiG ist ausgeschlossen. Der sofortigen Vollstreckung der Verfügung durch die Vorinstanz steht zudem die aufschiebende Wirkung der ursprünglichen Beschwerde gegen die Schlussverfügung – die vorliegend nie entzogen wurde – entgegen (E. 2.3). Dabei ist daran zu erinnern, dass nach Beschwerdeerhebung der Entscheid über den Entzug der aufschiebenden Wirkung allein bei der Beschwerdeinstanz und nicht mehr bei der Vorinstanz liegt. Die Vorinstanz ist also auch nicht berechtigt gewesen, im Rahmen der Wiedererwägungsverfügung einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu entziehen.

3.4.2.4 Schliesslich erscheint das vorinstanzliche Vorgehen auch mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar, der ein loyales und vertrauenswürdiges Verhalten im Rechtsverkehr gebietet (vgl. Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV; Häfelin/Müller/Uhlmann, a.a.O., Rz. 620). So vermag sich das Gericht dem Eindruck nicht zu erwehren, dass die Vorinstanz eine Täuschung des Gerichts und der Beschwerdeführerin in Bezug auf die Art der Verfahrenserledigung bewusst in Kauf genommen hat. Die Vorinstanz hat – wie die erst nachträglich zur Kenntnis gebrachte vollständige Korrespondenz mit der ersuchenden Behörde zeigt – auf ausdrücklichen Wunsch der ersuchenden Behörde nach Wegen gesucht, ihr die Daten für das Steuerjahr 2015 noch zu übermitteln, bevor die Verjährung eintritt. Mitunter zu diesem – dem Gericht und der Beschwerdeführerin vorenthaltenen – Zweck hat die Vorinstanz vor dem Gericht die Verfahrenssistierung verlangt. Die in Aussicht gestellte Wiedererwägung hat sie jedoch mit der Prozessökonomie begründet und so den Eindruck erweckt, eine rechtzeitige Verfahrenserledigung bzw. Datenlieferung für das Steuerjahr 2015 erachte sie als nicht mehr möglich. Ihre Absicht, die Informationen zum Steuerjahr 2015 sofort zu übermitteln, hat sie nicht offengelegt.

Ein solches Vorgehen ist umso mehr zu kritisieren, als der Vorinstanz andere legitime Mittel zur Verfahrensbeschleunigung und Vermeidung des drohenden Verjährungseintritts zur Verfügung gestanden hätten. So hätte sie etwa frühzeitig die Aufhebung der Sistierung im Zusammenhang mit dem bundesgerichtlichen Verfahren, die Beschleunigung des Verfahrens oder den Entzug der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde beantragen können. Dass sodann das vorliegend gewählte Vorgehen der Vorinstanz die Erwartungen an die Prozessökonomie nicht erfüllt, wird mit Blick auf die zusätzlich erforderlichen Schriftenwechsel und dieses Urteil offensichtlich.

3.4.3 Zusammenfassend hat die Vorinstanz der ersuchenden Behörde die Informationen zum Steuerjahr 2015 zu Unrecht übermittelt. Ohne diese rechtswidrige Datenlieferung wären allfällige Steuerforderungen der spanischen Behörden betreffend das Steuerjahr 2015 – nach Angaben der ersuchenden Behörde sowie der Vorinstanz – bereits Ende Juni 2020 verjährt. Folglich hätte zum massgebenden Urteilszeitpunkt in Anlehnung an die Verjährungsprognose – mangels voraussichtlicher Erheblichkeit der Informationen – wohl keine Amtshilfe mehr geleistet werden dürfen (vgl. Urteil des BGer 2C_833/2016 vom 20. Februar 2019 E. 5.3.2 und E. 6.2).

In Bezug auf die Informationen zum Steuerjahr 2015 ist die Beschwerde im Ergebnis insofern gutzuheissen, als festzustellen ist, dass die sofortige Übermittlung der Daten an die ersuchende Behörde rechtswidrig erfolgt ist.

3.5 Der in der Beschwerde gegen die Schlussverfügung vom 6. April 2018 eventualiter gestellte Sistierungsantrag hinsichtlich der erwähnten Strafverfahren erweist sich aufgrund der zwischenzeitlich rechtskräftigen Erledigung dieser Verfahren (s. Urteil des BVGer A-1534/2018 vom 3. August 2020 E. 3.6) als gegenstandslos, weshalb er abzuschreiben ist.

[…]

[Gutheissung der Beschwerde, insofern als die Rechtswidrigkeit der sofortigen Datenübermittlung festgestellt wird. Im Übrigen Abschreibung.]