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[Gesundheitsrecht] Gerber / Covid-19: Bundesrechtliche Voraussetzungen für die Anordnung der Quarantäne bei engem Kontakt mit einer infizierten Person

Die Quarantäne setzt einen «engen Kontakt» (Distanz von weniger als 1,5 Metern während mehr als 15 Minuten ohne Schutz wie Hygienemaske oder physische Barriere wie Plexiglasscheibe) mit einer positiv auf eine Infektion mit dem Coronavirus getesteten Person voraus. In praktisch allen epidemiologisch-neuralgischen ausserhäuslichen Alltagssituationen besteht nach der Covid-19-Verordnung besondere Lage mittlerweile schweizweit eine Maskenpflicht. Dadurch reduzieren sich die für die Quarantäne erforderlichen «engen Kontakte» im bundesrechtlichen Sinn mit nachweislich infizierten Personen. In diesem Zusammenhang kann insbesondere die Maskenpflicht in Innenräumen bei der Arbeit praxisrelevant sein, welche zu einer Verminderung der – insbesondere für kleinere Unternehmen problematischen – Quarantänefälle im Betrieb führen müsste, falls eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter nachweislich mit dem Coronavirus infiziert ist.

1. Quarantäne und Isolation

Genügt die medizinische Überwachung nicht, so kann nach Art. 35 Abs. 1 EpG1 eine Person, die krankheitsverdächtig oder ansteckungsverdächtig ist, unter Quarantäne gestellt werden (lit. a); eine Person, die krank oder angesteckt ist oder Krankheitserreger ausscheidet, abgesondert werden (lit. b).

«Die Quarantäne bezeichnet die vorsorgliche Isolierung von Personen ohne Krankheitssymptome, die einem Übertragungsrisiko ausgesetzt waren. Falls die Personen unter Quarantäne nach der maximalen Dauer der Inkubationszeit der betreffenden Krankheit nicht erkrankt sind, besteht kein Erkrankungsrisiko mehr.»2 Die Isolierung von Kranken, Angesteckten oder Ausscheidern wird demgegenüber Absonderung genannt.3

Im Folgenden interessieren im Sinne einer Kurzbetrachtung die bundesrechtlichen Voraussetzungen für die Quarantäne bei engem Kontakt mit einer mit dem Coronavirus infizierten Person. Denn «Personen, die positiv auf eine Infektion mit dem Coronavirus getestet wurden, müssen in Isolation. Personen, die engen Kontakt mit einer positiv getesteten Person hatten, müssen in Quarantäne.»4 Nicht Gegenstand dieses Beitrags sind der Nachweis der Infektion mit dem Coronavirus an sich (PCR-Tests und Antigen-Tests) sowie Sinn und Grenzen der Quarantäne bei Covid-19 überhaupt.5 Berücksichtigt sind die Entwicklungen bis und mit 6. Dezember 2020.

2. Hintergründe der (amtlich angeordneten) Quarantäne

2.1. Grundsätze zur Quarantäne

Art. 3 Covid-19-Verordnung besondere Lage6 hält im Abschnitt 2 «Massnahmen gegenüber Personen» fest, «welche Grundregeln die Bevölkerung bzw. Privatpersonen in ihrem täglichen Leben zu beachten haben.» Hierzu verweist Art. 3 «auf die entsprechenden Empfehlungen bzw. Hygiene- und Verhaltensregeln, die das Bundesamt für Gesundheit (BAG) gestützt auf Art. 9 Abs. 3 EpG seit Beginn der Corona-Epidemie erlassen, aktualisiert und auf seiner Website veröffentlicht hat. Darin enthalten sind Regeln zum Abstand halten, zum Tragen von Masken, zum gründlichen Händewaschen, zur Vermeidung von Händeschütteln oder zum Niesen und Husten. Die Regeln werden der Bevölkerung zudem auf den mittlerweile allseits bekannten Plakaten bildlich und mit kurzen Texten vermittelt.»7 Ferner haben sich laut diesen «verbindlichen» Empfehlungen Personen, die engen Kontakt zu einer «am neuen Coronavirus erkrankten Person» hatten, für zehn Tage zuhause in Quarantäne zu begeben, sofern die Person während des Kontakts ansteckend war.8

Ob eine Person selbständig in Quarantäne begeben muss oder ob sie von der nach Art. 2 Covid-19-Verordnung besondere Lage zuständigen kantonalen Behörde dazu verpflichtet wird, hängt massgebend vom Contact Tracing ab: «Das Contact Tracing liegt in der Verantwortung der Kantone. Die Kantone entscheiden, wie sie ihre Ressourcen bei hohen Fallzahlen am besten einsetzen. Momentan ist es daher möglich, dass sich die zuständige kantonale Stelle nicht zeitnah bei Ihnen meldet und die Isolation oder Quarantäne anordnet. Es ist deshalb wichtig, dass Sie sich gegebenenfalls selbständig in Isolation oder in Quarantäne begeben.»9

2.2. Quarantäne als Eingriff in die persönliche Freiheit

Quarantäne bedeutet grundsätzlich: «Vermeiden Sie alle Kontakte, auch zu Personen, die in Ihrem Haushalt leben. Wenn Sie 10 Tage nach dem engen Kontakt immer noch keine Symptome haben, dürfen Sie die Quarantäne beenden.»10 In der Quarantänezeit sind für Erwachsene selbst «gelegentlich hinausgehen, spazieren gehen, frische Luft schnappen» untersagt.11 Die Quarantäne führt daher «zu einer weitgehenden Einschränkung der Bewegungsfreiheit»,12 ist «bekanntlich mit sehr grossen Einschränkungen verbunden»13 und greift somit in erheblicher Weise vor allem in die persönliche Freiheit nach Art. 10 Abs. 2 BV14 ein.15 Darum rät das BAG: «Bleiben Sie mit Freunden und Familie via Telefon, Skype etc. in Kontakt. Reden Sie über Ihr Erleben, über Ihre Gedanken und Gefühle. Wenn Ihnen das nicht reicht oder wenn dies für Sie nicht möglich ist: Rufen Sie bei Sorgen, Ängsten oder Problemen die Telefonnummer 143 («Dargebotene Hand») an. Unter dieser Nummer sind rund um die Uhr und kostenlos Ansprechpersonen für Sie da.»16

2.3. Rechtliche Qualifikation der BAG-Empfehlungen

Nach Abs. 3 des in den Räten diskussionslos verabschiedeten17 Art. 9 EpG kann das BAG Empfehlungen abgeben, welche Verhaltensanweisungen enthalten, «die sich an die gesamte Bevölkerung, besonders vulnerable Personengruppen oder an bestimmte Adressaten richten.» Diese als Realakte erlassenen staatlichen Empfehlungen sind rechtlich nicht verbindlich. Sie können allerdings bei Privaten zu einem (finanziellen) Schaden führen und damit allenfalls eine Haftung des Staates auslösen.18

Art. 3 Covid-19-Verordnung besondere Lage hebt die Empfehlungen des BAG nach Art. 9 Abs. 3 EpG in den Rang von für alle Rechtsunterworfenen verbindlichem Verordnungsrecht. Entsprechend apodiktisch lautet die zugehörige bundesamtliche Direktive: «MACH’S EINFACH!».19 Das BAG fungiert demnach – von Art. 9 Abs. 3 EpG nicht vorgesehen – im Rahmen von Art. 3 Covid-19-Verordnung besondere Lage (ob willentlich oder nicht) als (subsidiärer) Verordnungsgeber. In dieser Eigenschaft erlässt das BAG Amtsverordnungen.20 Nach Art. 48 Abs. 2 RVOG21 ist aber eine Übertragung der Rechtsetzung auf Gruppen und Ämter nur zulässig, wenn ein Bundesgesetz oder ein allgemeinverbindlicher Bundesbeschluss dazu ermächtigt. Der Bundesrat kann nach Art. 48 Abs. 1 RVOG einzig die Zuständigkeit zum Erlass von Rechtssätzen auf die Departemente übertragen. Er berücksichtigt dabei die Tragweite der Rechtssätze. Art. 6 Abs. 2 EpG als Grundlage der Covid-19-Verordnung besondere Lage sieht keine Subdelegation an das Departement des Innern (EDI) geschweige denn an das BAG vor. Art. 6 Abs. 3 EpG weist dem EDI lediglich die Aufgabe der Koordination der Massnahmen des Bundes zu. Ein Verzicht auf eine gesetzliche Grundlage für eine Subdelegation ist nur möglich, wenn sie sich auf Vorschriften vorwiegend technischer Natur bezieht und kein Rechtsgrundsatz – namentlich des Verfassungsrechts – betroffen wird.22 Davon kann im Zusammenhang mit der Quarantäne keine Rede sein: Die Pflicht zur «Selbsteinweisung» in die Quarantäne bedeutet wie dargelegt eine erhebliche Einschränkung vor allem des Grundrechts der persönlichen Freiheit nach Art. 10 Abs. 2 BV.

Zumindest einige der bundesrätlichen Coronamassnahmen, die vergleichbare Grundrechtseingriffe bewirken, befinden sich auf verschiedenen Normstufen: Zum einen gelten etliche Bestimmungen der bundesrätlichen Covid-19-Verordnung besondere Lage (weitreichende Maskenpflicht u.a. nach Art. 3a–c; Schutzkonzepte nach Art. 4; Kontaktdatenerhebung nach Art. 5 usw.), zum anderen die nach Art. 3 zusätzlich zu beachtenden BAG-Empfehlungen (ergänzende Maskenpflicht, Hygienemassnahmen, Verhaltensregeln wie Niesvorschriften, Selbstquarantäne usw.). Diese Konstruktion überzeugt nicht. Vielmehr sollte de lege lata das BAG entweder Empfehlungen im wohlverstandenen Sinn nach Art. 9 Abs. 3 EpG abgeben oder der Bundesrat (möglichst ohne inhaltliche Überschneidungen zu den BAG-Empfehlungen) die entsprechenden Vorschriften für deren erhöhte Verbindlichkeit direkt in der Covid-19-Verordnung besondere Lage regeln. Auf alle Fälle ist es ausgeschlossen, die «nur» in den BAG-Empfehlungen festgehaltene Aufforderung zur Selbstquarantäne ohne förmliche Anordnung der Quarantäne (z.B. nach entsprechenden Hinweisen aus der Nachbarschaft) durch die zuständige kantonale Behörde (mit polizeilicher Unterstützung) zu vollziehen. Selbstverständlich obliegt es jedoch jeder Einzelperson, sich eigenverantwortlich in Quarantäne zu begeben (Art. 6 BV), wenn tatsächlich ein enger Kontakt erfolgt ist z.B. im Rahmen eines privaten Zusammentreffens (Ziff. 3 hinten).

Bei Verstoss gegen Art. 3 Covid-19-Verordnung besondere Lage ist (theoretisch) der Straftatbestand auf Gesetzesstufe, konkret Art. 83 Abs. 1 lit. j EpG (Widerhandlungen gegen Massnahmen der Bevölkerung) anwendbar.23 Es ist nach dem Dargelegten aber sehr fraglich, ob Art. 3 Covid-19-Verordnung besondere Lage als Rechtsgrundlage für eine Strafe etwa im Rahmen der (gerichtlichen) akzessorischen Normenkontrolle Bestand hätte. Strafen wegen Verstössen gegen Art. 3 Covid-19-Verordnung besondere Lage sind aus Sicht des Bundes soweit ersichtlich auch nicht vorgesehen, wohl aber bei Zuwiderhandlung gegen Art. 3b und Art. 3c Covid-19-Verordnung besondere Lage.24

3. «Enger Kontakt» im Alltagsleben

3.1. Definition «enger Kontakt»

Ein erhöhtes Ansteckungsrisiko besteht gemäss Covid-19-Verordnung besondere Lage, wenn die Distanz von 1,5 Metern während mehr als 15 Minuten nicht eingehalten werden kann.25 Diese Grundregel bildet den Ausgangspunkt für alle Vorgaben für Schutzkonzepte26 und muss aufgrund seiner allgemeinen epidemiologischen Bedeutung in allen Lebenssituationen gelten. Dieser Grundsatz gilt jedoch nur in Situationen, in denen keine anderen Schutzmassnahmen (insb. Gesichtsmasken oder Abschrankungen) ergriffen werden.27 «Auch ist das Ansteckungsrisiko nicht überall gleich gross, beispielsweise ist es bei gleicher Distanz und gleicher Dauer in einem geschlossenen Raum grösser als unter freiem Himmel, und in schlecht belüfteten Räumen grösser als in gut durchlüfteten Räumen.»28 Zudem hat das Virus «natürlich keine Stoppuhr.» Daher sind die 15 Minuten ein Richtwert. Auf engem Raum (z.B. im Auto) kann der Kontakt auch «eng» sein, wenn er kürzer war.29 Trotz dieser Relativierungen gilt gemäss BAG für die Quarantäne konkret: «Sie hatten engen Kontakt mit einer am neuen Coronavirus erkrankten Person, deren Erkrankung in einem Labor bestätigt wurde. Enger Kontakt heisst, dass Sie sich in der Nähe (Distanz von weniger als 1,5 Metern) einer infizierten Person während mehr als 15 Minuten ohne Schutz (Hygienemaske oder physische Barriere wie Plexiglasscheibe) aufgehalten haben.»30

3.2. Schutzmassnahmen im Alltagsleben

In praktisch allen epidemiologisch-neuralgischen ausserhäuslichen Alltagssituationen besteht nach der Covid-19-Verordnung besondere Lage mittlerweile schweizweit eine Maskenpflicht. Sie gilt in öffentlichen Verkehrsmitteln (Art. 3a), auf Perrons und in Wartebereichen des ÖV (Art. 3b), in Innen- und Aussenbereichen von öffentlich zugänglichen Einrichtungen und Betrieben (Art. 3b), in Innenräumen bei der Arbeit (Art. 10), in Schulen der Sekundarstufe II (Art. 6d), in belebten Fussgängerzonen von Zentren und Dorfkernen (Art. 3c), für politische und zivilgesellschaftliche Kundgebungen sowie für Unterschriftensammlungen (Art. 6c), beim Sport (Art. 6e), im Kulturbereich (Art. 6f) sowie überall, wo es so viele Personen hat, dass der Abstand von 1,5 Metern zu anderen Personen nicht eingehalten werden kann (Art. 3c).31 Dabei bestehen in gewissen Fällen, etwa beim Sport (Art. 6e Abs. 2 » b) und im Kulturbereich (Art. 6f Abs. 2 lit. a Ziff. 3), Ausnahmen von der Maskenpflicht bei grosszügigen Raumverhältnissen.

Im Weiteren sind gemäss Covid-19-Verordnung besondere Lage Einrichtungen mit mutmasslich erhöhtem Infektionsrisiko wie Diskotheken und Tanzlokale geschlossen sowie dementsprechend die Durchführung von Tanzveranstaltungen verboten (Art. 5a Abs. 2). Die Pflicht zur Erarbeitung und Umsetzung eines Schutzkonzepts ohne Substitution durch Maskenpflicht (vgl. Art. 6c Abs. 2) gilt nur bei privaten Veranstaltungen mit höchstens 10 Personen nicht (Art. 6 Abs. 2). In Restaurations-, Bar- und Clubbetrieben besteht ausser während der sitzenden Konsumation am Tisch Maskenpflicht (Art. 3b Abs. 2 lit. d). Ein quarantänebegründender «enger Kontakt» kann sich folglich primär bei Treffen von Personen aus verschiedenen Haushalten zuhause, im Restaurant während der Mahlzeit oder im Auto ergeben.32

Diese Vorgaben beeinflussen auch die Erhebung der Kontaktdaten als Basis einer behördlichen Quarantäneanordnung. Die Kontaktdaten der anwesenden Personen müssen erhoben werden, wenn es während mehr als 15 Minuten zu einer Unterschreitung des erforderlichen Abstands ohne Schutzmassnahmen kommt.33 So ist nach Art. 5a Abs. 1 lit. cter Covid-19-Verordnung besondere Lage die Kontaktdatenerhebung in Restaurations-, Bar- und Clubbetrieben mittlerweile schweizweit obligatorisch. Im Geltungsbereich der dargelegten Schutzmassnahmen (Maskenpflicht usw.) ist hingegen die zwingende Erhebung von Kontaktdaten demnach unnötig, unverhältnismässig und unzulässig.

Es sind somit de iure nur noch wenige Alltagssituationen denkbar, in welchen sich Menschen ohne Schutzmassnahmen (Maskenpflicht, Abschrankungen, Schutzkonzepte im Allgemeinen) begegnen. Dadurch reduzieren sich die für die Quarantäne erforderlichen «engen Kontakte» im bundesrechtlichen Sinn mit nachweislich vom Coronavirus infizierten Personen. In diesem Zusammenhang kann insbesondere die Maskenpflicht in Innenräumen bei der Arbeit praxisrelevant sein, welche zu einer Verminderung der Quarantänefälle im Betrieb führen müsste, falls eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter nachweislich mit dem Coronavirus infiziert ist.

Ein «enger Kontakt» im Rechtssinn zur nachgewiesenermassen mit dem Coronavirus infizierten Person kann freilich dann gegeben sein, wenn die Schutzvorschriften zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie während der konkreten Begegnungssituation mit der infizierten Person nicht eingehalten werden.

Den Nachweis muss die nach Art. 2 Covid-19-Verordnung besondere Lage zuständige kantonale Behörde erbringen. Denn bis die zuständige kantonale Behörde etwas anderes feststellt, ist davon auszugehen, dass die Schutzvorschriften beachtet werden. Es gibt im Zusammenhang mit den schweizweiten Schutzvorschriften zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie keine «Vermutung des nicht rechtskonformen Verhaltens.» Eine solche würde auch zu einer Aushöhlung bzw. Aushebelung der klaren bundesrätlichen Quarantäne-Vorgaben («enger Kontakt» grundsätzlich nur bei Distanz von weniger als 1,5 Metern während mehr als 15 Minuten ohne Schutz führen). Zudem liegt es ohnehin in der Verantwortung der zuständigen kantonalen Behörde, routinemässig oder im speziellen Verdachtsfall einen Betrieb oder eine Veranstaltung auf Einhaltung der Schutzvorschriften (Maskenpflicht, Abschrankungen usw.) zu kontrollieren.

4. Fazit

Der Verweis in Art. 3 Covid-19-Verordnung besondere Lage auf die BAG-Empfehlungen bzw. Hygiene- und Verhaltensregeln überzeugt rechtsdogmatisch nicht. Vielmehr sollte de lege lata das BAG entweder Empfehlungen im wohlverstandenen Sinn nach Art. 9 Abs. 3 EpG abgeben oder der Bundesrat (möglichst ohne inhaltliche Überschneidungen zu den BAG-Empfehlungen) die entsprechenden Vorschriften für deren erhöhte Verbindlichkeit direkt in der Covid-19-Verordnung besondere Lage regeln.

Die Quarantäne setzt einen «engen Kontakt» (Distanz von weniger als 1,5 Metern während mehr als 15 Minuten ohne Schutz wie Hygienemaske oder physische Barriere wie Plexiglasscheibe) mit einer positiv auf eine Infektion mit dem Coronavirus getesteten Person voraus. In praktisch allen epidemiologisch-neuralgischen ausserhäuslichen Alltagssituationen besteht nach der Covid-19-Verordnung besondere Lage mittlerweile schweizweit eine Maskenpflicht. Es sind somit de iure nur noch wenige Alltagssituationen denkbar, in welchen sich Menschen ohne Schutzmassnahmen (Maskenpflicht, Abschrankungen, Schutzkonzepte im Allgemeinen) begegnen. Dadurch reduzieren sich die für die Quarantäne erforderlichen «engen Kontakte» im bundesrechtlichen Sinn mit nachweislich infizierten Personen. In diesem Zusammenhang kann insbesondere die Maskenpflicht in Innenräumen bei der Arbeit praxisrelevant sein, welche zu einer Verminderung der – insbesondere für kleinere Unternehmen problematischen – Quarantänefälle im Betrieb führen müsste, falls eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter nachweislich mit dem Coronavirus infiziert ist.

Ein «enger Kontakt» im Rechtssinn zur nachgewiesenermassen mit dem Coronavirus infizierten Person kann freilich dann gegeben sein, wenn die schweizweiten Schutzvorschriften zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie während der konkreten Begegnungssituation mit der infizierten Person nicht eingehalten werden. Den Nachweis muss die nach Art. 2 Covid-19-Verordnung besondere Lage zuständige kantonale Behörde erbringen.

Dr. iur. Kaspar Gerber, LL. M., wissenschaftlicher Mitarbeiter (Postdoc) am Lehrstuhl für Staats-, Verwaltungs- und Sozialversicherungsrecht, Universität Zürich.

  1. 1Bundesgesetz über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz, EpG) vom 28. September 2012 (Stand am 25. Juni 2020), SR 818.101.
  2. 2So BBl 2011 454.
  3. 3BBl 2011 453.
  4. 4Bundesamt für Gesundheit (BAG), Coronavirus: Isolation und Quarantäne, Einleitung.
  5. 5Vgl. dazu Avenir Suisse, Warum das Schweizer Quarantäne-Regime unverhältnismässig ist, 2. Oktober 2020 und Swiss National COVID-19 Science Task Force Policy Brief, Überlegungen zur Verkürzung der Quarantänedauer, 26. November 2020.
  6. 6Verordnung über Massnahmen in der besonderen Lage zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Verordnung besondere Lage) vom 19. Juni 2020 (Stand am 9. Dezember 2020), SR 818.101.26.
  7. 7So BAG, Erläuterungen Covid-19-Verordnung besondere Lage, 19. November 2020, S. 2.
  8. 8Eine Person gilt als ansteckend, wenn sie Symptome hat und bereits 48 Stunden vor dem Auftreten dieser Symptome (zum Ganzen BAG, COVID-19: Anweisungen zur Quarantäne, gültig ab dem 23. Oktober 2020, S. 1; vgl. auch Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn VWBES.2020.456 vom 20. November 2020 E. 2.2). Siehe ferner (Fn. 30) hinten.
  9. 9BAG, Coronavirus: Isolation und Quarantäne, Hinweis zur aktuellen Lage.
  10. 10BAG, Coronavirus: Isolation und Quarantäne, Vorgehen nach engem Kontakt: Quarantäne.
  11. 11BAG, Coronavirus: Häufig gestellte Fragen (FAQ), Darf ich während der Quarantänezeit gelegentlich hinausgehen, spazieren gehen, frische Luft schnappen oder Besorgungen machen?.
  12. 12BBl 2011 388.
  13. 13BAG (Fn. 7), S. 26.
  14. 14Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (Stand am 1. Januar 2020), SR 101.
  15. 15Vgl. BBl 2011 325.
  16. 16BAG (Fn. 8), S. 3.
  17. 17AB 2012 N 318; AB 2012 S 391.
  18. 18BBl 2011 368.
  19. 19BAG, Download Plakate: «MACH’S EINFACH!».
  20. 20Als Beispiel für eine zulässige, im Gesetz nicht erwähnte Subdelegation kann die sehr technische Verordnung des Departements des Innern (EDI) über die Zulassung von Pädakustikern und Pädakustikerinnen vom 25. Mai 2011 (Stand am 1. Juli 2011), SR 831.201.26, genannt werden. In Art. 26bis Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG) vom 19. Juni 1959 (Stand am 1. Januar 2020), SR 831.20, ist «nur» der Bundesrat ermächtigt, Zulassungsvorschriften zu erlassen.
  21. 21Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz (RVOG) vom 21. März 1997 (Stand am 2. Dezember 2019), SR 172.010.
  22. 22Vgl. BGE 118 Ia 245 3c.
  23. 23BAG (Fn. 7), S. 22.
  24. 24So die Aufzählung in BAG (Fn. 7), S. 22.
  25. 25Covid-19-Verordnung besondere Lage, Anhang (Art. 4 Abs. 3 und 5 Abs. 1), Vorgaben für Schutzkonzepte, Ziff. 1.1 «Grundsatz».
  26. 26BAG (Fn. 7), S. 23.
  27. 27BAG (Fn. 7), S. 23.
  28. 28So BAG (Fn. 7), S. 23.
  29. 29BAG, Coronavirus: Isolation und Quarantäne, Vorgehen nach Kontakt mit einer positiv getesteten Person.
  30. 30BAG (Fn. 8), S. 1. Dort irritiert die auffallend unpräzise Terminologie: «Sie hatten engen Kontakt mit einer am neuen Coronavirus erkrankten Person, deren Erkrankung in einem Labor bestätigt wurde.» Einerseits ist eine «Erkrankung» gar nicht Voraussetzung für eine Quarantäne (Krankheitsverdacht oder Ansteckungsverdacht genügt; Ziff. 1 vorne), andererseits bedeutet der Labornachweis «nur» der Infektion mit dem Coronavirus noch nicht das Vorliegen der klinisch relevanten Krankheit Covid-19 (zu den Symptomen, BAG, Coronavirus: Krankheit, Symptome, Behandlung, Krankheitssymptome; zu den Begrifflichkeiten «Infektion», «Krankheit» usw. BBl 2011 453).
  31. 31Vgl. die Übersicht bei BAG, Coronavirus: So schützen wir uns.
  32. 32Vgl. die Beispiele unter BAG (Fn. 29). Das dort für einen «engen Kontakt» genannte Beispiel «Sie arbeiten zusammen und machen morgens gemeinsame Kaffeepause (ca. 5 Minuten) und haben am Nachmittag ein spontanes Gespräch im Gang ohne Maske (ca. 10 Minuten). Dies ergibt zusammen 15 Minuten und ist somit ein enger Kontakt.» dürfte aufgrund der Maskenpflicht in Innenräumen bei der Arbeit nicht mehr gelten, es sei denn, im Einzelfall wäre die Missachtung der Maskenpflicht ausgewiesen.
  33. 33Covid-19-Verordnung besondere Lage, Anhang (Art. 4 Abs. 3 und 5 Abs. 1), Vorgaben für Schutzkonzepte, Ziff. 4.1 «Erhebung von Kontaktdaten».