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Standortbestimmung und Ausblick im Lichte aktueller Entwicklungen

  • Autor/Autorin: Remus Muresan
  • Beitragsart: Wissenschaftliche Beiträge
  • Rechtsgebiete: Gesundheitsrecht, Heilmittel, Medizinprodukte, Lebensmittel, Bilaterale Abkommen CH-EU
Sowohl in der Europäischen Union als auch in der Schweiz hätten auf den 26. Mai 2020 hin wesentliche Neuerungen im Bereich der Medizinprodukteregulierung Geltung erlangen sollen. Aufgrund aktueller Entwicklungen wurde dies jedoch um ein Jahr verschoben. Der Autor untersucht die unmittelbaren und später zu erwartenden Auswirkungen dieser Verschiebung auf das Abkommen zwischen der Schweiz und der EU über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen in Bezug auf Medizinprodukte.

Durch die bundesrechtlichen Covid-19-Verordnungen mit den zugehörigen Erläuterungen als auch die kantonalen Umsetzungsbeschlüsse wird die Anwendbarkeit der allgemeinen Regeln zum Umgang mit der Corona-Pandemie auch für die Untersuchungshaft postuliert und gleichzeitig daraufhin hingewiesen, dass Haftfälle weiterhin dringlich zu behandeln sind. Wie aber dem Beschleunigungsgebot in Corona-Zeiten konkret entsprochen werden kann, bleibt ungeregelt. Dabei liegt es nahe, auf die aktuellen Umstände mit einer vermehrten Nutzung von Videotelefonie zu reagieren, wie dies in vielen Bereichen staatlichen und privaten Handelns in den letzten Wochen üblich geworden ist.

Bei der beförderlichen Behandlung von Haftfällen (Art. 5 Abs. 2 StPO) stellt sich aktuell das Problem, dass Untersuchungsgefängnisse zu Recht Vorbehalte anmelden, wenn eine inhaftierte Person das Gefängnis verlassen soll, um durch die Polizei oder die Staatsanwaltschaft befragt zu werden. Besonders kritisch sind parteiöffentliche Einvernahmen, in der sich die beschuldigte Person stundenlang mit einer grösseren Anzahl Personen «von draussen» in einem Raum befindet. Das Risiko ist gross, dass sich die inhaftierte Person an einer solchen Einvernahme infiziert und den Virus anschliessend ins Untersuchungsgefängnis einschleppt. Zur Risikominimierung kam es in letzter Zeit vermehrt vor, dass geplante Einvernahmen nicht stattfanden, was zu Verfahrensverzögerungen führen kann. Solche können sich zusätzlich ergeben, wenn eine Person in einem Haftfall als Auskunfts- oder Zeugenperson zu befragen wäre und die Person zu einer Corona-Risikogruppe zählt, so dass ihr unter den aktuellen Umständen nicht zugemutet werden kann, an einer Einvernahme teilzunehmen.

Lösungen, um solche Verfahrensverzögerungen zu vermeiden, wären vorhanden. Um die Anzahl der anwesenden Personen in einem Raum auf ein Minimum zu beschränken, erscheint es für Einvernahmen sachgerecht, dass im Befragungsraum einzig die befragende Behörde, die einzuvernehmende beschuldigte Person sowie deren Verteidigung anwesend sind. Für die Wahrung der Teilnahmerechte nach Art. 147 StPO wäre eine Simultanübertragung (Bild- und Tonübertragung) der Befragung in einen anderen Raum zu realisieren. Die Parteien gelten damit als «anwesend» und können ihr Fragerecht über Video ausüben, wie wenn die Befragung zwecks Vermeidung des Zusammentreffens etwa von beschuldigter Person und Opfer in Nebenzimmer übertragen wird.

Des Weiteren sieht die StPO in Art. 144 Abs. 1 die Möglichkeit vor, eine Person mittels Videokonferenz zu befragen, wenn das persönliche Erscheinen nicht oder nur mit grossem Aufwand möglich ist. Die Einvernahme wird in Ton und Bild festgehalten (Abs. 2). Sowohl beschuldigte Personen als auch Zeugen- sowie Auskunftspersonen können mittels Videokonferenz einvernommen werden. Der Anwendungsbereich der audiovisuellen Einvernahme beschränkte sich bisher grösstenteils auf rechtshilfeweise Befragungen in internationalen Verhältnissen. In Corona-Zeiten sollte der «grosse Aufwand» für die physische Anwesenheit einer einzuvernehmenden Person, die einer Corona-Risikogruppe angehört, auch dann angenommen werden, wenn sie sich durch die Teilnahme einem Infektionsrisiko aussetzt, obwohl sie gemäss Vorgaben des Bundesrates zuhause bleiben und Menschenansammlungen meiden soll. Von der Videoeinvernahme ist insbesondere dann Gebrauch zu machen, wenn dadurch eine Verfahrensverzögerung in Haftfällen vermieden werden kann.

Durch diese Massnahme kann dem eingangs beschriebenen Ansteckungsrisiko von Inhaftierten und Auskunfts- bzw. Zeugenpersonen am einfachsten begegnet werden. Beweiserhebungen könnten mit solchen technischen Hilfsmitteln ohne Verzögerung und in beliebiger Teilnehmendenzahl durchgeführt werden. Die Nichtdurchführung einer parteiöffentlichen Einvernahme mit der Folge einer Verfahrensverzögerung lässt sich demzufolge in Haftfällen nicht rechtfertigen. In den genannten Konstellationen kann die Nichtdurchführung von Beweiserhebungen trotz der rechtlich und technisch bestehenden Möglichkeit der Videoeinvernahme einen behördlichen Organisationsmangel darstellen. Dies wiederum kann eine Verletzung des Beschleunigungsgebots gemäss Art. 5 Abs. 1 und 2 StPO bedeuten. Daraus können sich die bekannten Rechtsfolgen wie Strafreduktion, Verfahrenseinstellung, Haftentlassung oder Genugtuung ergeben.

MLaw Simon Huwiler, Rechtsanwalt, Assistent am Institut für Strafrecht und Kriminologie, Universität Bern

Prof. Dr. Jonas Weber, Professor für Strafrecht und Kriminologie, Universität Bern