Schwerpunkt-Ausgabe: «Kartellrecht»
Geschätzte Leserinnen und Leser
Vor rund sechs Monaten, am 1. April 2004, ist das revidierte Kartellgesetz in Kraft getreten. Die Schweiz kann nach den Kartellgesetzrevisionen von 1995 und 2003 - zwei veritablen Paradigmawechseln in der schweizerischen Wettbewerbspolitik - keinesfalls mehr als Kartellparadies bezeichnet werden. Die volkswirtschaftlich schädlichsten Verstösse können nach der letzten Revision mit den gleich harten Sanktionen geahndet werden wie in der EU und in den USA.
Wettbewerb ist der Motor für das Wachstum einer Volkswirtschaft. Die Wachstumsschwäche der Schweizer Volkswirtschaft seit 1990 hat sicher viel dazu beigetragen, dass die Politikerinnen und Politiker sich für mehr Wettbewerb, die Öffnung der Märkte und den Aufbruch verkrusteter Strukturen eingesetzt haben. Das revidierte Kartellgesetz führt indessen nicht in allen Wirtschaftsbereichen zu mehr Wettbewerb und deswegen darf man nicht allzu grosse Hoffnungen auf dieses Gesetz allein legen. Es gibt noch zahlreiche Sektoren, die dem Wettbewerb durch staatliche Regulierungen entzogen sind oder auf denen kein äusserer Wettbewerbsdruck disziplinierend wirkt. Weitere Schritte wie die Revision des Binnenmarktgesetzes (Abschaffung kantonaler Handelshemmnisse) und die Liberalisierung spezifischer Märkte wie des Elektrizitätsmarktes sind notwendig, um das Wirtschaftswachstum zu begünstigen.
Die Kartellgesetzrevision von 2003 als Resultat der politischen Arbeit lässt sich sehen, allerdings muss sie jetzt umgesetzt werden. Einerseits von den Unternehmen, denen bewusst sein sollte, dass sich Verstösse gegen das Kartellgesetz nicht (mehr) lohnen werden. Andererseits von der Wettbewerbskommission, welche ihre nun scharfen Instrumente zielgerichtet einsetzen soll. Die Sanktionierung von fehlbaren Unternehmen mit hohen Geldbussen zugunsten der Staatskasse ist jedoch nicht das primäre Ziel des revidierten Kartellgesetzes. Vielmehr soll seine deutlich erhöhte präventive Wirkung die Unternehmen davon abhalten, überhaupt gegen es zu verstossen. Die Befolgung des Kartellgesetzes soll die Regel, die Intervention der Weko mit Sanktionen die Ausnahme sein.
Die revidierten Bestimmungen des Kartellgesetzes und die ersten Erfahrungen der Wettbewerbskommission sind Inhalt der vorliegenden Schwerpunkt-Ausgabe. Der Gesetzgeber hat zwar neue Bestimmungen formuliert und damit Fragen beantwortet. Er hat jedoch auch neue Bestimmungen formuliert, die auslegungsbedürftig sind. Diesen Auslegungsfragen gehen die Autoren, alles Spezialisten im Kartellrecht, in ihren Beiträgen nach.
Dr. iur. Patrik Ducrey
Rechtsanwalt, Stellvertretender Direktor und Leiter des Dienstes Infrastruktur im Sekretariat der eidgenössischen Wettbewerbskommission, Lehrbeauftragter für schweizerisches und europäisches Wettbewerbsrecht an der Universität Bern