I.
Einleitung: Effizienz und Rechtsstaatlichkeit ^
«Wir befinden uns allesamt in der seltsamen Situation, nicht zu wissen, was passiert ist», sagte Hammar grimmig. «Das ist doch nichts Besonderes», entgegnete Kollberg. «Ich für meinen Teil weiss fast nie, was passiert ist.»1
So wie den beiden schwedischen Polizisten Hammar und Kollberg im fünften Band der berühmten Dekalogie «Roman über ein Verbrechen» von Sjöwall und Wahlöö geht es auch den wirklichen Strafbehörden in jedem Strafverfahren: Es beginnt mit der Wahrnehmung oder Mitteilung eines Ereignisses – im Roman die überraschende Explosion eines Wohnhauses in Stockholm, in dem sich eine observierte Person befand –, wodurch ein Anfangsverdacht begründet wird. Was passiert ist, wissen die Strafbehörden nicht, aber sie haben einen Grund,2 es herauszufinden, zu ermitteln. So ist denn das Ziel eines Strafprozesses die Herstellung einer Wahrheit nach prozessualen Regeln, eines justizförmig festgestellten Sachverhalts, der anschliessend einer rechtlichen Würdigung unterzogen wird, worauf die entsprechenden Rechtsfolgen ausgesprochen werden.
Nun ist offensichtlich, dass es verschiedene Arten und Weisen gibt, wie man die Sachverhaltsfeststellung organisieren und regeln, oder mit anderen Worten: wie man den Strafprozess ausgestalten kann. Zum Beleg muss nicht einmal auf die Verfahrensrechte anderer Rechtskreise verwiesen werden, es genügt, an den Stand in der Schweiz vor dem Jahr 2011 zu erinnern, als 26 Strafprozessordnungen auf kantonaler und 3 auf Bundesebene in Kraft standen. Die damalige strafprozessuale Vielfalt – es könnte auch von Zersplitterung gesprochen werden – wurde zunehmend als unbefriedigend erachtet.3 Entsprechend wurde am 31. Mai 1994 eine Expertenkommission eingesetzt, die prüfen sollte, «ob im Interesse einer wirksamen Strafverfolgung, insbesondere in den Bereichen der Wirtschaftskriminalität und des organisierten Verbrechens, eine vollständige oder teilweise Vereinheitlichung des Strafprozessrechts oder andere zweckdienliche Massnahmen angezeigt seien».4 Als sich diese Expertenkommission Gedanken dazu machte, wie eine vereinheitlichte eidgenössische Strafprozessordnung auszusehen hätte, hielt sie in ihrem Bericht «Aus 29 mach 1» fest, dass die Grundanforderungen an ein modernes Strafverfahren allem voran «Effizienz und Rechtsstaatlichkeit» seien.5
Diese beiden Begriffe werden zwar in Diskussionen über Rechtsetzung und Rechtsanwendung oft und gern verwendet. Gleichzeitig wird aber kaum offengelegt, was denn darunter zu verstehen sei. Betreffend «Effizienz» wird man wohl noch Einigkeit darüber erreichen können, dass sie die Wirtschaftlichkeit einer Massnahme bedeutet, oder – vielleicht etwas verallgemeinernd – auf den Prozess bezogen: Ein Strafverfahren ist effizienter, wenn ein Fall mit geringerem Zeit- und Mitteleinsatz, also schneller und billiger zu erledigen ist.6
Der Begriff des Rechtsstaats hingegen ist schwieriger zu fassen. Schon im Ursprung ein politischer Kampfbegriff gegen den autoritären Polizeistaat,7 wird er auch heute gerade in der politischen Auseinandersetzung «geradezu religiös-bekenntnishaft»8 angerufen, um die eigene Position als unangreifbar und die gegnerische als offensichtlich falsch darzustellen. Diese Offensichtlichkeit des Begriffsinhalts ist indes nur eine vorgegaukelte: Die Verfassung enthält keine Legaldefinition von Rechtsstaatlichkeit,9 der Begriff ist in «hohem Masse unbestimmt und dem zeitlichen und örtlichen Wandel unterworfen».10 Entsprechend lässt sich aus ihm selbst eigentlich kaum Konkretes ableiten,11 vielmehr muss er mit Inhalt gefüllt werden, was natürlich seinerseits dann wieder begründungspflichtig ist. Genauso verhält es sich, wenn man von der Rechtsstaatlichkeit eines Strafverfahrens12 spricht. Im Sinne einer Arbeitsdefinition für diesen Beitrag gehe ich von den drei nachfolgenden Punkten13 aus, die ein rechtsstaatliches Strafverfahren (natürlich nicht abschliessend) kennzeichnen:
- Justizförmigkeit des Verfahrens: Bereits Art. 5 Abs. 1 BV bestimmt als Grundsatz rechtsstaatlichen Handelns, dass Grundlage und Schranke des staatlichen Handelns das Recht ist.14 Entsprechend muss sich auch der rechtsstaatliche Strafprozess in den gesetzlich vorgesehenen Formen abspielen.15
- Unabhängigkeit der Gerichte: Zu den formellen Elementen eines Rechtsstaates zählt die Literatur heute den Rechtsschutz durch unabhängige Gerichte.16 Art. 30 Abs. 1 BV konkretisiert das dahingehend, dass jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht hat. Dazu gehört, dass das Gerichtsverfahren ergebnisoffen ist und das Gericht tatsächlich entscheidet, nicht bloss Entscheide einer anderen, nichtrichterlichen Instanz genehmigt.17 Genau besehen ist auch die Rollentrennung von Gericht und Anklage Ausfluss des Anspruchs auf ein unabhängiges, unbefangenes Gericht18 und wird gemeinhin ebenfalls als zentrales Element eines modernen, rechtsstaatlichen Strafprozesses erachtet.19 Einer der wichtigsten Aspekte dieser Rollentrennung ist, dass nicht das Gericht entscheidet, über welchen Sachverhalt es urteilt, sich also nicht selber befasst. Vielmehr beurteilt es denjenigen Sachverhalt, den ihm die Anklagebehörde unterbreitet.20 Aber auch schon im Vorverfahren ist es unter diesem Gesichtspunkt vorzugswürdig, wenn es unter der Leitung einer unabhängigen und unbefangenen richterlichen Instanz steht.
- Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen: Das Transparenzgebot von Art. 30 Abs. 3 BV gebietet, dass Gerichtsverhandlungen und Urteilsverkündungen öffentlich sind. Das soll zur Verwirklichung des Rechtsstaats beitragen, indem das Publikum die Arbeit der Gerichte – mindestens potenziell – kontrollieren kann.21
Nun ist leicht vorstellbar, dass Effizienz und Rechtsstaatlichkeit im geschilderten Sinne in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen, man könnte gar von einem Zielkonflikt sprechen: Unübertroffen effizient ist der Grossinquisitor, rechtstaatliche Garantien hingegen können Verfahren verlangsamen, machen sie aufwändiger und teurer.22 Es gilt also, die beiden Elemente in ein austariertes Verhältnis zu setzen, was sich auch in der Formulierung der Expertenkommission von «Effizienz und Rechtsstaatlichkeit» widerspiegelt.23 Ob die Experten den Begriff der Effizienz demjenigen der Rechtsstaatlichkeit bewusst vorangestellt haben,24 vermag ich nicht zu sagen. Doch ist eindeutig und wird nachfolgend belegt, dass die aus diesen Vorarbeiten entstandene, 2011 in Kraft getretene StPO massgeblich von Effizienzüberlegungen geprägt ist.25
Der MStP steht bereits seit 1980 in Kraft und löste die Militärstrafgerichtsordnung (MStGO) von 1889 ab.26 Die in Militärstrafprozessen geltende Verfahrensordnung ist folglich fast 40 Jahre alt, also ein relativ altes Prozessrecht (das freilich punktuelle Revisionen erfahren hat27). Bemerkenswert sind die Gründe, die zur Schaffung des MStP geführt haben: Es waren nebst einer Modernisierung der teils als «antiquiert» empfundenen Sprache der MStGO28 insbesondere Überlegungen der Rechtsstaatlichkeit,29 die eine Totalrevision als notwendig erscheinen liessen. Auffallend oft erscheint dieser Ausdruck in den Materialien,30 an zahlreichen Stellen wird zudem auf die Rechtsprechung des EGMR31 Bezug genommen, die es umzusetzen galt.32
Damit liegt es nahe, die zwei Prozessordnungen einander in dieser Hinsicht gegenüberzustellen. Freilich kann im Rahmen dieses Beitrags nicht jeder Aspekt thematisiert werden,33 weshalb ich mich auf vier Bereiche beschränke: (1) Die Strafverfolgungsmodelle, (2) die Regelung der Zwangsmassnahmen, (3) die Regelung der Beweisverwertungsverbote und (4) die (Un-)Mittelbarkeit der Hauptverhandlung.
Diese Gegenüberstellung soll aber nicht einfach l’art pour l’art sein, sondern eine Kritik an beiden Prozessordnungen: Sie soll aufzeigen, wo die StPO dem Effizienzgedanken wohl zuviel geopfert hat, und sie soll deutlich machen, wo im MStP Modernisierungsbedarf besteht. Wie eine Konfrontationseinvernahme im Vergleich zur getrennten Einvernahme ein probates Mittel zur Wahrheitsfindung sein und die rasche Aufklärung von Widersprüchen ermöglichen kann, soll die Konfrontation der Prozessordnungen den Reflex abschwächen, die «eigene» und gewohnte Prozessordnung als grundsätzlich richtig, weil «normal», und alle Abweichungen als Kuriositäten wahrzunehmen.34
1.
Staatsanwaltschaftsmodell II in der StPO ^
Die Expertenkommission StPO hat in ihrem Bericht im Sinne einer Bestandsaufnahme vier Strafverfolgungsmodelle identifiziert, die im Strafprozessrecht der Kantone und des Bundes existierten:35
- Untersuchungsrichtermodell I: Hier führt ein unabhängiger Untersuchungsrichter das gesamte (eingliedrige) Vorverfahren, wobei ihm die gerichtliche Polizei untersteht. Die Staatsanwaltschaft hat keine Ermittlungskompetenz, sie ist im Vorverfahren Partei und dann Anklägerin. Es handelt sich um die von der Expertenkommission bevorzugte Variante für eine eidgenössische StPO.
- Untersuchungsrichtermodell II: Im Unterschied zum Untersuchungsrichtermodell I untersteht der Untersuchungsrichter der Weisungsbefugnis der Staatsanwaltschaft (wobei die jeweiligen Kompetenzen in den betreffenden Kantonen unterschiedlich geregelt waren).
- Staatsanwaltschaftsmodell I: In diesem Modell ist das Vorverfahren zweigeteilt. In der ersten Phase leitet die Staatsanwaltschaft, ggf. unter Einsatz der gerichtlichen Polizei, das Ermittlungsverfahren und entscheidet schliesslich über die Fortsetzung der Strafverfolgung. Sie kann dann den unabhängigen Untersuchungsrichter mit der Voruntersuchung beauftragen, nach deren Abschluss ist sie wieder für die Anklageerhebung oder Verfahrenseinstellung zuständig. Die Minderheit der Expertenkommission favorisierte dieses Modell für eine eidgenössische StPO.
- Staatsanwaltschaftsmodell II: In diesem Modell gibt es keinen Untersuchungsrichter. Die Staatsanwaltschaft ist einzige Ermittlungsleiterin bzw. Strafverfolgerin, erhebt Anklage und mutiert für die Hauptverhandlung zur Partei. In diesem Modell hat die Staatsanwaltschaft zweifellos die stärkste institutionelle Stellung, v.a. wenn sie – wie in der StPO verwirklicht – auch noch die Strafbefehlskompetenz innehat (Art. 352 ff. StPO) und ein abgekürztes Verfahren endgültig und ohne Begründung verweigern kann (Art. 359 Abs. 1 StPO).36
Der Gesetzgeber hat sich bei der Schaffung der StPO bekanntlich abweichend von der Expertenkommission für das Staatsanwaltschaftsmodell II entschieden, die Untersuchungsrichter sind aus den Verfahren nach StPO vollständig verschwunden. Die Motivation wird aus der Botschaft deutlich: «Im Vordergrund steht das Bemühen, die Effizienz der Strafverfolgung unter Wahrung der berechtigten Interessen der privaten Verfahrensbeteiligten zu verbessern. Dass insbesondere die Effizienz der Strafverfolgung mit diesem Modell am besten erreicht wird, scheint denn auch soweit unbestritten zu sein».37
Entsprechend leitet nach Art. 16 Abs. 2 StPO die Staatsanwaltschaft das Vorverfahren (dabei ist sie zuständig für die Durchführung von Beweiserhebungen, nach Art. 311 f. StPO gegebenenfalls unter Beizug der Polizei, und die Anordnung der meisten Zwangsmassnahmen, vgl. Art. 198 StPO), erhebt gegebenenfalls Anklage und vertritt diese auch. Wenn sie Anklage erheben will, hat sie nach Art. 308 Abs. 3 StPO dem Gericht «die für die Beurteilung von Schuld und Strafe wesentlichen Grundlagen zu liefern», die Untersuchung also soweit zu führen, dass der Fall entscheidreif ist.38
2.
Untersuchungsrichtermodell I im MStP ^
Im Militärstrafprozess leitet der Untersuchungsrichter die vorläufige Beweisaufnahme und die Voruntersuchung, nach Art. 62 MStP steht ihm die Anordnung von Untersuchungsmassnahmen zu. Dabei verbietet Art. 4a MStP explizit die Einmischung der militärischen Vorgesetzten des Verdächtigen oder Beschuldigten.39 Doch auch die Militärgerichte oder der Auditor40 haben im Stadium der Voruntersuchung keine Weisungsbefugnis gegenüber dem Untersuchungsrichter. Der Auditor erlässt erst nach abgeschlossener untersuchungsrichterlicher Voruntersuchung nach Art. 4b MStP die Einstellungsverfügung oder das Strafmandat, gegebenenfalls erhebt er Anklage. Ist er mit der Arbeit des Untersuchungsrichters bei Abschluss der Voruntersuchung nicht zufrieden, steht es ihm nach Art. 113 MStP bloss zu, die Ergänzung der Untersuchung (schriftlich und begründet41) zu beantragen – wie dem Beschuldigten oder Geschädigten auch. Eine Ermittlungsbefugnis hat er nicht.42
Nach Art. 16 Abs. 2 MStP überwacht der Oberauditor die Tätigkeit der Auditoren und der Untersuchungsrichter. Seit dem 1. Januar 2018 konkretisiert Art. 4 MJV dessen Aufgaben: Nach Abs. 8 dieser Bestimmung überwacht der Oberauditor die ordnungsgemässe Abwicklung der Militärstrafverfahren in organisatorischer Hinsicht und kann darüber Anordnungen treffen. Abs. 9 bestimmt, dass er die Untersuchungsrichter und Auditoren in fachlichen Belangen berät. Das entspricht materiell Art. 20 aMStV und bedeutet nicht, dass dem Oberauditor ein eigentliches Weisungsrecht hinsichtlich der materiellen Untersuchungsführung zukommen würde. Vielmehr soll die Überwachung die administrative Führung der Militärjustiz, die korrekte Dossierführung und die Raschheit der Verfahren sicherstellen,43 man könnte auch von Controlling sprechen. Damit ist der Untersuchungsrichter in der Führung der Untersuchung44 selbstständig und unabhängig.45 Der Militärstrafprozess entspricht folglich weitestgehend dem Untersuchungsrichtermodell I.46
3.
Gegenüberstellung der zwei Modelle ^
Im Militärstrafprozess ist mit der Trennung von Untersucher, Ankläger und Richter der Inquisitionsprozess47 im Vergleich zu den anderen Strafverfolgungsmodellen, und insbesondere zum Staatsanwaltschaftsmodell II, am deutlichsten überwunden. Das war mitunter auch einer der Gründe, weshalb die Expertenkommission das Untersuchungsrichtermodell I bevorzugt hätte:
«Das Untersuchungsrichter-Modell I bietet ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Verfahrensökonomie und Vieraugenprinzip. Es verwirklicht eine gewisse Trennung der Funktionen, indem die Verantwortung für die Anklage einer anderen Person bzw. Behörde als dem Untersuchungsrichter überbunden ist.»48
Zentraler Vorteil der Trennung ist, dass der Untersuchungsrichter nur mit der Sammlung des Prozessstoffes befasst ist. Er tut dies nicht mit Blick auf eine Anklage oder Verfahrenserledigung (Einstellung, Strafmandat), die er selbst zu vertreten oder vorzunehmen hätte.49 Deshalb dürfte es ihm diese Struktur einfacher machen, den Anforderungen von Art. 52 Abs. 3 MStP entsprechend allen belastenden wie entlastenden Umständen mit gleicher Sorgfalt nachzugehen, als dem Staatsanwalt im Staatsanwaltschaftsmodell II, dem Art. 6 Abs. 2 StPO dieselbe Aufgabe zuweist.
Weiter wird für das Untersuchungsrichtermodell I50 unter anderem vorgebracht, dass das Verfahren von Beginn weg in der Verantwortung eines unabhängigen Richters liegt. Entsprechend sind – insbesondere im Vergleich zum Staatsanwaltschaftsmodell II – weniger Sicherungsmechanismen (wie z.B. Zwangsmassnahmengerichte) notwendig.51 Staatsanwaltschaft und beschuldigte Person sind gleichberechtigte Parteien in einem richterlichen Verfahren, wobei ihnen Mitwirkungsrechte und Rechtsmittel zur Verfügung stehen.52
Die Argumente pro Untersuchungsrichtermodell I – und damit pro Modell MStP – sind deutlich durch Rechtsstaatlichkeitsüberlegungen, namentlich richterliche Unabhängigkeit im eingangs beschriebenen Sinne, geprägt. Hingegen fällt es schwer, nebst der Verfahrensbeschleunigung53 Rechtsstaatlichkeitsargumente zu finden, die für einen Vorzug des Staatsanwaltschaftsmodells II sprechen würden. Dieses Modell wird, wie gezeigt, mit Effizienzargumenten propagiert, wobei – dank «Sicherungsmechanismen» wie den Zwangsmassnahmengerichten, die gewisse Verfahrenshandlungen der Staatsanwaltschaft genehmigen oder auf deren Antrag anordnen – dennoch die Rechtsstaatlichkeit gewahrt werden soll.54 Wie diese Sicherungsmechanismen oder Gegengewichte konkret ausgestaltet werden sollen und ob sie tatsächlich in diesem Sinne funktionieren, ist Gegenstand unablässiger Diskussion.55 Die eine «richtige» Lösung gibt es nicht, sondern es hängt davon ab, wie man die involvierten Interessen gewichtet.56
4.
Die Strafverfolgungsmodelle im Alltag ^
Die Botschaft zur StPO hält fest, es dürfe «aus der Modellfrage auch kein Dogma gemacht und die Tragweite der Entscheidung nicht überbewertet werden. (…) Vieles hängt auch hier davon ab, wie die einzelnen Modelle im Alltag der Strafverfolgung gehandhabt werden, wie die jeweiligen Strafverfolgungsbehörden ihre Aufgabe interpretieren und welche Ressourcen ihnen zur Verfügung stehen».57
Die Validität dieser Mahnung, wonach es nicht nur auf die Modellwahl, sondern dann auf die konkrete Ausgestaltung und Handhabung im Alltag ankomme, ist zweifellos nicht von der Hand zu weisen. Der damit angezeigte Blick in den Strafverfolgungsalltag bringt Folgendes zu Tage: Die StPO vereint nicht nur die Kompetenz zur Untersuchung und Anklage oder Einstellung bei der Staatsanwaltschaft, sondern gibt ihr auch die Strafbefehlskompetenz in die Hand (Art. 352 ff. StPO), also eine eigentlich richterliche Kompetenz bzw. Funktion.58 Die Bedeutung dieses Instituts kann kaum überschätzt werden. Der Strafprozess nach StPO findet nur noch ausnahmsweise in den Gerichtssälen statt, das schriftliche Strafbefehlsverfahren ist die Regel, oder eben der Alltag. Das ist im Normalfall zweifellos rascher (d.h. die Strafbehörden können insgesamt mehr Fälle erledigen) und billiger als ein ordentliches Strafverfahren, was natürlich nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten Interesse des Bestraften liegen kann.59 Entsprechend weit ist sein Anwendungsbereich gefasst, da über 95% der Straftaten grundsätzlich strafbefehlstauglich sind, und ebenso überragend ist die praktische Bedeutung: In über 90% der nicht eingestellten Verfahren wird von der Staatsanwaltschaft ein Strafbefehl erlassen.60 Dabei wird in vielen Fällen nicht einmal eine Einvernahme mit der beschuldigten Person durchgeführt, sondern anhand der Polizeiakten entschieden.61
Es überrascht nicht, dass in diesem hinsichtlich Sachverhaltsabklärung u.U. äusserst rudimentären Verfahren62 das Risiko von Fehlern, die bei sorgfältigerer bzw. aufwändigerer Untersuchung (z.B. Einvernahme der beschuldigten Person) hätten vermieden werden können, vergleichsweise hoch scheint.63 Nicht zuletzt hinsichtlich des subjektiven Tatbestands ist in zahlreichen Fällen kaum ersichtlich, wie er in diesem Verfahren abgeklärt werden könnte: Ohne eine Einvernahme muss auf einer nur dünnen Sachverhaltsgrundlage von äusseren auf innere Tatsachen geschlossen werden, ohne dass sich die betroffene Person dazu äussert. Mit Blick auf die Praxis kann man sich auch des Eindrucks nicht erwehren, dass zur Bejahung von Fahrlässigkeitsdelikten mitunter die Absenz eines nachgewiesenen Vorsatzes genügt, Details zur individualisierten Sorgfaltspflichtverletzung und deren Relevanz (Stichworte Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit) wird man, nicht zuletzt wegen der geringen Begründungsanforderungen nach Art. 353 StPO, meist vermissen. Nicht zu Unrecht bezeichnet Thommen das Strafbefehlsverfahren deshalb als Verdachtsstrafe auf Widerruf.64
Die rechtsstaatlichen Bedenken am Staatsanwaltschaftsmodell II werden damit durch den Blick auf den Strafverfolgungsalltag nicht etwa entkräftet, indem man geeignete Gegengewichte zur staatsanwaltschaftlichen Machtkonzentration in Aktion sehen könnte. Auch die Einsprachemöglichkeit des vom Strafbefehl Betroffenen vermag diese Bedenken nicht vollständig zu zerstreuen. So ist ohne Weiteres vorstellbar, dass ein Unschuldiger keine Einsprache erhebt, weil er dem Strafverfahren ein rasches Ende setzen will,65 weil er sich nicht um seine Angelegenheiten kümmert, weil er den Strafbefehl schlicht (aus sprachlichen oder anderen Gründen) nicht versteht,66 weil er dessen Tragweite verkennt (z.B. im Hinblick auf ein nachfolgendes Verwaltungsverfahren oder betreffend Strafregistereintrag),67 weil er die öffentliche Hauptverhandlung scheut68 oder weil er gar nicht weiss, dass es den Strafbehörden unbekannte Elemente gibt, die ihn entlasten würden. Eine ausgebliebene Einsprache ist also kein Beweis dafür, dass der Betroffene mit dem Strafbefehl einverstanden ist,69 sondern nur für das Ausbleiben einer Einsprache. Gleichzeitig ist nicht auszuschliessen, dass die Einsprachemöglichkeit die Staatsanwaltschaft trotz all dieser Schwierigkeiten vielleicht doch verführt, einen Strafbefehl vorschnell zu erlassen, weil der Betroffene ja Einsprache erheben kann, wenn er sich wirklich unschuldig fühlt.70 Dass die Staatsanwaltschaft gem. Art. 355 StPO nach der Einsprache die Sache nicht automatisch an das Gericht überweisen muss, sondern nochmals Beweise erheben und selbst entscheiden kann, ob sie am Strafbefehl festhält, das Verfahren einstellt, einen neuen Strafbefehl erlässt oder Anklage erhebt, macht ihr die Sache noch einfacher.
Auch der Militärstrafprozess kennt mit dem Strafmandat nach Art. 119 ff. MStP ein schriftliches Verfahren, in dem die Anklagebehörde den Parteien71 einen Urteilsvorschlag unterbreitet, der ohne rechtzeitige Einsprache in Rechtskraft erwächst. In Militärstrafverfahren wurden den Statistiken der Militärjustiz zufolge im Jahr 2017 202 Gerichtsurteile (2016: 169), 929 Strafmandate72 (2016: 777) und 534 Einstellungsverfügungen (2016: 381) ausgesprochen bzw. erlassen. 34 Verfahren wurden (aus Sicht der Militärjustiz) anders «erledigt», z.B. durch Abtretung an zivile Strafbehörden (2016: 24).73 In rund 82% der nicht eingestellten und nicht anders erledigten Verfahren wurde damit 2016 und 2017 ein Strafmandat erlassen. Die Strafmandatsquote ist also nicht ganz so hoch wie die Strafbefehlsquote in Verfahren nach StPO, dennoch ist auch im Verfahren nach MStP die schriftliche Erledigung ohne Gerichtsverhandlung die Regel.
Allerdings gibt es im Strafmandatsverfahren gewichtige Unterschiede zum Strafbefehlsverfahren: Nach Art. 119 MStP erlässt der Auditor das Strafmandat, der Untersuchungsrichter hat keine entsprechende Kompetenz. Der Untersuchende hat also keine sachrichterliche Funktion. Insofern kommt der Untersuchungsrichter auch nicht in Versuchung, sich Aufwand zu ersparen, indem er ein Strafmandat als «Versuchsballon» erlässt. Der Auditor erwartet von ihm eine vollständige Untersuchung,74 denn nach Art. 103 Abs. 2 Satz 2 MStP sind in der Voruntersuchung «alle Umstände der Tat abzuklären, die für das richterliche Urteil oder für die Einstellung des Verfahrens von Bedeutung sein können». Genügt die untersuchungsrichterliche Voruntersuchung dem nicht, wird der Auditor nach Art. 113 MStP deren Ergänzung verlangen. Die Existenz des Strafmandatsverfahrens bedeutet für den Untersuchungsrichter somit keinen Effizienzgewinn, anders als das Strafbefehlsverfahren für den Staatsanwalt.75
Auch für den Auditor ist es nicht verführerisch, vorschnell einen Strafbefehl zu erlassen. Einerseits sind die Begründungsanforderungen höher als in der StPO (dazu sogleich mehr), andererseits wird im Falle der Einsprache zwingend ein ordentliches Verfahren durchgeführt, wobei das Strafmandat die Anklageschrift ersetzt (Art. 122 Abs. 2 MStP). Der Auditor kann also nicht auf seinen Entscheid zurückkommen und einstellen oder die Sache anders beurteilen, er kann höchstens im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens eine neue Position vertreten und gegebenenfalls gar auf Freispruch plädieren.
Weiter ist die Strafkompetenz des Auditors deutlich geringer als diejenige des Staatsanwalts. Nach Art. 119 MStP kommt ein Strafmandat nur in Frage, wenn der Auditor eine der folgenden Strafen für angemessen hält: eine Freiheitsstrafe von höchstens 30 Tagen, eine Geldstrafe von höchstens 30 Tagessätzen, eine Busse von höchstens 5000 Franken oder eine Verbindung dieser Strafen. Handelt es sich bei der zu beurteilenden Tat um ein Probezeitdelikt, so kann über den Widerruf nur dann im Strafmandatsverfahren entschieden werden, wenn die bedingte oder teilbedingte Strafe zusammen mit der neuen Strafe innerhalb der genannten Strafmassgrenzen liegt. Das bedeutet: Selbst wenn der Auditor auf einen Widerruf verzichten will, kann er dies nur, wenn die alte (nicht widerrufene) und die neue Strafe innerhalb der genannten Grenzen liegen.76 Oder anders: Beträgt die bedingte (oder der bedingte Teil) der Strafe schon nur 30 oder mehr Tage bzw. Tagessätze, so ist zwingend Anklage zu erheben.
Der Staatsanwalt hingegen kann nach Art. 352 StPO im Strafbefehl unter Einrechnung einer allfällig zu widerrufenden bedingten Strafe oder bedingten Entlassung (jede77) Busse, Geldstrafe bis 180 Tagessätze oder Freiheitsstrafe von höchstens 6 Monaten aussprechen. Will er Geldstrafe mit Freiheitsstrafe verbinden, so darf er das nur, wenn die insgesamt ausgesprochene Strafe einer Freiheitsstrafe von höchstens 6 Monaten entspricht. Eine Verbindung mit Busse ist aber immer möglich.
Schliesslich ist noch auf die Begründungsanforderungen hinzuweisen. Nach Art. 353 StPO enthält der Strafbefehl u.a. den Sachverhalt, welcher der beschuldigten Person zur Last gelegt wird, die dadurch erfüllten Straftatbestände und die Sanktion. Besondere Begründungspflichten des materiellen Strafrechts vorbehalten (vgl. etwa Art. 41 Abs. 2 StGB), ist dabei keine Begründung der vorgenommenen rechtlichen Qualifikation des Sachverhalts oder der Strafzumessung verlangt.78 Das ist im Lichte der Effizienzbestrebungen nachvollziehbar. Der Militärstrafprozess ist hier deutlich weniger effizient, dafür transparenter: Art. 120 MStP verlangt in der kurzen Begründung des Strafmandats u.a. Ausführungen zum Sachverhalt, die Angabe der Tatsachen, welche die einzelnen Merkmale der strafbaren Handlung erfüllen, die rechtliche Würdigung der Tat (wobei der geschilderte Sachverhalt unter die anwendbaren Straftatbestände zu subsumieren ist, ein blosses Nennen der Strafbestimmungen genügt nicht79) und die Gründe für die Strafzumessung. Unter Umständen gibt die Redaktion des Strafmandats dem Auditor also mehr Arbeit, als er bei Anklageerhebung und -vertretung hätte.
Wenn trotz der viel geringeren Strafkompetenz des Auditors dennoch über 80% der nichteingestellten Fälle im Zuständigkeitsbereich der Militärjustiz mit Strafmandat erledigt werden, so liegt dies an der Natur der zu beurteilenden Delikte, die grösstenteils spezifisch militärischer Natur sind. So handelte es sich 2017 in 54.6% der Fälle um Dienstversäumnisse (Art. 82 f. MStG), bei 10.42% um Nichtbefolgung von Dienstvorschriften (Art. 72 MStG), bei 6.9% um Missbrauch und Verschleuderung von Material (Art. 73 MStG), bei 6.25% um Missachtungen von Aufgeboten (Art. 84 MStG) und bei 5.17% um Militärdienstverweigerung (Art. 81 MStG). Dabei handelt es sich «nur» um Vergehen80 oder Übertretungen und Strafmasse von mehr als 30 Tagen oder Tagessätzen sind in der Praxis selten. Nebst diesen spezifisch militärischen Delikten entfielen 2017 4.53% der beurteilten Delikte auf das SVG, 2.23% auf Körperverletzungen und 9.91% auf andere Delikte.81
Der Grund für den hohen Prozentsatz von Erledigungen mittels Strafmandat ist also, dass es die Militärjustiz oft mit Bagatellkriminalität zu tun hat. Gäbe man dem Auditor dieselbe Strafkompetenz wie dem Staatsanwalt, läge die Quote wohl sehr nahe bei 100%. Umgekehrt dürfte die Erledigungsquote mittels Strafbefehl erheblich einbrechen, hätte der Staatsanwalt nur eine Kompetenz von 30 Strafeinheiten.
5.
Zwischenfazit ^
Das Untersuchungsrichtermodell I, dem der Militärstrafprozess weitestgehend entspricht, ist zumindest strukturell besser geeignet, ein den einleitend umschriebenen Anforderungen an ein rechtsstaatliches Strafverfahren tatsächlich genügendes Verfahren zu verwirklichen. Das auf Effizienz orientiere Staatsanwaltschaftsmodell II mit der äusserst mächtigen Staatsanwaltschaft hingegen bedarf Gegengewichten bzw. Sicherungsmechanismen, über deren Ausgestaltung freilich trefflich gestritten werden kann und auch wird.
Wichtig ist aber nicht nur die Modellwahl an sich, sondern auch die tatsächliche Ausgestaltung der Strafverfolgung im Alltag. Hier zeigt sich, dass der Alltag der StPO im Strafbefehlsverfahren besteht, gerichtliche Hauptverhandlungen sind Ausnahmen. Die Legalbezeichnung des Strafbefehls als «besonderes» Verfahren, als Ausnahme, spiegelt die Wirklichkeit somit nicht wider.
Zwar ist auch der Alltag im Verfahren nach MStP das Strafmandat, doch besteht hier eine Trennung zwischen Untersuchungsrichter und Auditor, der das Strafmandat erlässt. Zudem hat der Auditor eine Strafkompetenz, die nur die Erledigung von Bagatellen zulässt, während der Staatsanwalt immerhin bis zu einem halben Jahr Freiheitsstrafe aussprechen kann.
Damit zeigt sich: Das Strafverfolgungsmodell des MStP ist demjenigen der StPO nach den eingangs geschilderten rechtsstaatlichen Gesichtspunkten vorzuziehen, und zwar in dogmatisch-struktureller Hinsicht wie auch mit Blick auf den «Strafverfolgungsalltag». Die StPO punktet hinsichtlich Effizienz, was im Einzelfall natürlich auch im Interesse der beschuldigten Person liegen kann, aber keineswegs muss.
III.
Die Regelung der Zwangsmassnahmen ^
Die StPO widmet ihren 5. Titel (Art. 196–298d) ausdrücklich den Zwangsmassnahmen. Nach allgemeinen Bestimmungen (Art. 196–200 StPO) mit Legaldefinition bzw. Zweckbestimmung von Zwangsmassnahmen werden im Anschluss die einzelnen Zwangsmassnahmen gesetzlich relativ detailliert geregelt: Vorladung, Vorführung und Fahndung (Art. 201–211 StPO), Freiheitsentzug, Untersuchungs- und Sicherheitshaft (Art. 212–240 StPO), Durchsuchungen und Untersuchungen (Art. 241–254 StPO), DNA-Analysen (Art. 255–259 StPO), erkennungsdienstliche Erfassung, Schrift- und Sprachproben (Art. 260–262 StPO), Beschlagnahme (Art. 263–268 StPO) und geheime Überwachungsmassnahmen (Art. 269–298d StPO).
Der MStP kennt hingegen kein Kapitel und keinen Abschnitt «Zwangsmassnahmen». Der Begriff «Zwangsmassnahme» taucht im gesamten Gesetz überhaupt nicht auf, entsprechend sucht man auch eine Legaldefinition oder allgemeine Regeln, z.B. zum Zweck von Zwangsmassnahmen, vergeblich.
Selbstverständlich gibt es bei materieller Betrachtung82 aber auch im MStP Zwangsmassnahmen: Vorladung/Vorführung (Art. 51 MStP), Anhaltung und vorläufige Festnahme (Art. 54–55a MStP), Untersuchungs- und Sicherheitshaft inkl. Fahndung (Art. 56–61 MStP), Beschlagnahme (Art. 63 f. sowie Art. 68 MStP), körperliche Untersuchung, Blutprobe, Abklärung des Geisteszustandes (Art. 65 MStP), Durchsuchung von Wohnungen und Personen (Art. 66 f. MStP), Autopsie und Exhumierung (Art. 69 MStP), und geheime Überwachungsmassnahmen (Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs [Art. 70–70k MStP], Überwachung mit technischen Überwachungsgeräten [Art. 71–71c MStP], verdeckte Ermittlung [Art. 73–73n MStP], verdeckte Fahndung [Art. 73o–73r MStP]).
Ohne an dieser Stelle eine eingehende Analyse einzelner Zwangsmassnahmen vorzunehmen, fällt dennoch auf, dass diese militärstrafprozessualen Zwangsmassnahmen im Vergleich zu ihren Gegenstücken in der StPO nur sehr rudimentär geregelt sind.83 Als Beispiel: Im Haftrecht des MStP werden Ersatzmassnahmen mit keinem Wort erwähnt.84 Eine Ausnahme von dieser geringeren Regelungsdichte machen nur die geheimen Überwachungsmassnahmen (Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr, Überwachung mit technischen Überwachungsgeräten, verdeckte Ermittlung, verdeckte Fahndung): Hier wurden per 1. Januar 2011 (bzw. per 1. Mai 2013 für die verdeckte Fahndung) die entsprechenden Regelungen der StPO in den MStP kopiert und nur punktuell angepasst.85
Schliesslich fehlen gewisse Zwangsmassnahmen der StPO im MStP komplett. So enthält der MStP keine gesetzliche Grundlage für die Observation (vgl. Art. 282 f. StPO), die Überwachung von Bankbeziehungen (vgl. Art. 284 f. StPO), die erkennungsdienstliche Erfassung (vgl. Art. 260 f. StPO) sowie Schrift- und Sprachproben (vgl. Art. 262 StPO). Die DNA-Analyse ist im MStP ebenfalls nicht explizit86 geregelt, sie richtet sich damit nach dem DNA-Profil-Gesetz.
Angesichts dessen, dass bei der Schaffung des MStP grosser Wert auf Rechtstaatlichkeit gelegt wurde, überrascht diese nur rudimentäre Ausgestaltung der Zwangsmassnahmen. Sie dürfte aber davon zeugen, dass die Sensibilität gegenüber individuellen Grund- bzw. Abwehrrechten in den Siebzigerjahren deutlich geringer ausgeprägt war als heute, bzw. als bei der Schaffung der StPO.87 Das lässt sich exemplarisch daran zeigen, dass die Observation auch in den kantonalen Prozessordnungen oftmals nicht als Zwangsmassnahme verstanden und entsprechend nur ausnahmsweise geregelt worden war.88 Heute dürfte indes klar geworden sein, dass auch die Observation einen (wenn auch geringen) Grundrechtseingriff durch Strafverfolgungsbehörden zur Beweisbeschaffung bzw. -sicherung, und damit eine Zwangsmassnahme, darstellt,89 die den Anforderungen von Art. 36 BV genügen, also auch eine genügende gesetzliche Grundlage haben muss.
Mit dem geringen Detaillierungsgrad der Regelung der Zwangsmassnahmen ist die Justizförmigkeit des Verfahrens angesprochen, wobei sich ein rechtsstaatliches Defizit des MStP offenbart, das auch nicht durch Effizienzgewinne gerechtfertigt werden kann. Allerdings wäre dies relativ einfach zu beheben: So wie die Bestimmungen der StPO über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, die Überwachung mit technischen Überwachungsgeräten, die verdeckte Ermittlung oder verdeckte Fahndung mutatis mutandis90 in den MStP «einkopiert» wurden, könnte das mit dem gesamten Zwangsmassnahmenrecht geschehen.91 Sachlich lässt es sich nicht rechtfertigen, dass die Grundrechte der Betroffenen in einem Militärstrafverfahren weniger bzw. anders geschützt sind als im bürgerlichen Strafprozess. Ebensowenig ist nachvollziehbar, weshalb die Strafverfolger im MStP nicht dieselben Zwangsmassnahmen anordnen können sollen wie ihre Kollegen im Anwendungsbereich der StPO. Entsprechend wäre eine Angleichung wünschenswert. Dass man viele Schwierigkeiten mittels Auslegung unter Heranziehung übergeordneten Rechts oder allenfalls mittels Analogie zur StPO möglicherweise «entschärfen» kann, ist ein nur schwacher Trost.
IV.
Die Regelung der Beweisverwertungsverbote ^
Ihrem Wesen entsprechend enthalten Strafprozessordnungen Vorschriften darüber, wie Beweise zu erheben sind. Von grösster Bedeutung ist dabei die Frage, was mit einem Beweismittel zu geschehen hat, wenn diese Vorschriften verletzt worden sind. Trotz der praktisch kaum zu überschätzenden Bedeutung dieser Frage waren Beweisverwertungsverbote in den Kantonen bis zum Inkrafttreten der StPO «allenfalls bruchstückhaft» kodifiziert.92
Die zentrale Norm in der StPO, die sich mit dieser Frage befasst, ist Art. 141. Sie bestimmt, wann ein Beweis absolut unverwertbar ist (bei Verletzung von Art. 140 StPO oder wenn das Gesetz den Beweis als unverwertbar bezeichnet), wann er nur ausnahmsweise verwertet werden darf (wenn die Strafbehörden ihn zwar nicht in Verletzung von Art. 140 StPO, aber dennoch in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, er indes zur Aufklärung einer schweren Straftat unerlässlich ist) und dass die Verletzung von Ordnungsvorschriften die Verwertbarkeit nicht hemmt. Schliesslich wird auch geregelt, wann ein Folgebeweis (nicht) verwertet werden darf und wie mit den Aufzeichnungen über den unverwertbaren Beweis umzugehen ist. Doch damit ist nicht die gesamte Problematik behandelt. So äussert sich die StPO weder zur Frage, inwiefern von Privaten rechtswidrig erhobene Beweise verwertet werden dürfen,93 noch wie mit selbstständigen Beweisverwertungsverboten94 umzugehen ist.95
Der MStP kennt auch Regeln über die Beweiserhebung. Bei der Einvernahme des Beschuldigten verbietet Art. 52 Abs. 5 MStP «Zwang, Drohung, Versprechungen, unwahre Angaben und verfängliche Fragen», doch äussert er sich nicht dazu, was im Falle der Verletzung dieser Beweiserhebungsvorschrift zu tun ist.96 Er kennt also weder dort punktuell noch allgemein eine Regelung der Beweisverwertungsverbote. Explizit äussert er sich nur im Zusammenhang mit den geheimen Überwachungsmassnahmen, und auch da wohl nur, weil die entsprechende Regelung der StPO «kopiert» wurde.97 Was ist also zu tun, wenn eine Beweiserhebungsvorschrift verletzt wird, der MStP sich aber zu den Rechtsfolgen nicht äussert?
Höchstrichterliche Entscheidungen zu dieser Frage spezifisch zum Militärstrafprozess sind nicht bekannt. Vorstellbar wäre, sich auf die bundesgerichtliche Praxis vor Inkrafttreten der StPO zu stützen, die bei Verletzung von Gültigkeitsvorschriften lediglich dem Grundsatze nach Unverwertbarkeit, gestützt auf eine Interessenabwägung aber ausnahmsweise Verwertbarkeit vorsah.98 Flachsmann/Isenring haben demgegenüber vorgeschlagen, die Regelung der StPO analog anzuwenden, und zwar gestützt auf ein Prinzip der Einheit des Schweizerischen Strafprozessrechts, das sie aus dem Konzept der Einheit der Rechtsordnung ableiten.99
Die Rechtslage ist also unklar, was bezüglich Justizförmigkeit des Verfahrens als rechtsstaatliches Manko zu werten ist. Im Einzelfall kann die Frage aber natürlich nicht offen gelassen werden, Gerichte müssen über die Verwertbarkeit entscheiden. Dabei lässt sich ein Unterschied im Umgang mit nicht verfahrenskonform erlangten Beweismitteln, je nachdem ob man im Zivilleben oder im Militär vor Gericht steht, m.E. sachlich nicht begründen,100 auch nicht aufgrund des Unmittelbarkeitsprinzips im Militärstrafrecht. Das spricht im Ergebnis für die Lösung von Flachsmann/Isenring. Dennoch ist zweifelhaft, ob es die zur Begründung angerufene Einheit des Strafprozessrechts, wonach die Regelungen der StPO bereits de lege lata analog im Militärstrafprozess gälten, tatsächlich gibt – schliesslich hat der Gesetzgeber auf eine Vereinheitlichung aller Prozessordnungen gerade verzichtet.101 Und wenn man eine solchen Grundsatz der Einheit des Strafprozessrechts dennoch annehmen wollte, was würde das für den MStP insgesamt bedeuten? Verlöre er seinen Charakter als eigenständige Prozessordnung und würde nur noch Normen enthalten, die der grundsätzlich anwendbaren StPO vorgehen, wie man es etwa vom AT StGB und besonderen Bestimmungen in anderen Gesetzen kennt (vgl. Art. 333 Abs. 1 StGB)? Um diese Unsicherheiten zu beseitigen, scheint nur eine Anpassung des MStP tauglich, welche sinnvollerweise102 die Regelung der Beweisverwertungsverbote aus der StPO übernimmt.
1.
Unmittelbarkeit und Funktion des Gerichts ^
Im Strafprozess nach StPO ist die Ausgangslage für das Gericht dergestalt, dass die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt vollständig, also entscheidreif,103 untersucht hat (sie hat nach Art. 308 Abs. 3 StPO «dem Gericht die für die Beurteilung von Schuld und Strafe wesentlichen Grundlagen zu liefern»). Die von der Staatsanwaltschaft erhobenen Beweise darf das Gericht nach Art. 350 Abs. 2 StPO seinem Urteil zugrunde legen, ebenso wie die von ihm selbst erhobenen Beweise. Weil es die Ergebnisse der Voruntersuchung also berücksichtigen darf, ist es nicht verpflichtet, sämtliche Beweise nochmals zu erheben. Nach Art. 343 Abs. 1 StPO erhebt es neue und ergänzt unvollständige Beweise. Nur ausnahmsweise muss104 es einen bereits im Vorverfahren erhobenen Beweis erneut erheben: Wenn er im Vorverfahren nicht ordnungsgemäss erhoben wurde oder wenn die unmittelbare Kenntnis des im Vorverfahren ordnungsgemäss erhobenen Beweismittels für die Urteilsfällung notwendig erscheint105 (Art. 343 Abs. 2 und 3 StPO). Als lex specialis zu Art. 343 StPO gilt immerhin die Pflicht zur gerichtlichen Befragung der beschuldigten Person gem. Art. 341 Abs. 3 StPO.106
Damit kann das Gericht auf die unmittelbare Beweiserhebung107 weitgehend verzichten, es herrscht das Prinzip der (sehr stark) beschränkten Unmittelbarkeit,108 gewisse Autoren sprechen nicht zu Unrecht sogar von einer weitgehenden Mittelbarkeit.109 Mindestens einer der Gründe für diese gesetzliche Ausgestaltung ist offensichtlich: Die erneute Erhebung bereits ordnungsgemäss erhobener Beweismittel erschien als Doppelspurigkeit, also als ineffizient.110
Historisch betrachtet handelt es sich bei der Unmittelbarkeit um eine Forderung der Aufklärung, die den inquisitorischen Aktenprozess zu überwinden suchte.111 Sie ist als Frage der Gewaltentrennung im Strafprozess auch eng mit dem Anspruch auf ein unabhängiges Gericht nach Art. 30 Abs. 1 BV verknüpft. Ein mittelbares Verfahren ist in diesem Licht problematisch, weil die Funktion des Gerichts weitgehend darauf reduziert wird, das von der Staatsanwaltschaft erstellte Untersuchungsergebnis zu überprüfen.112 Das ist geeignet, die Ergebnisoffenheit der Hauptverhandlung zu beeinträchtigen, denn es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich das Gericht seine Meinung – jedenfalls im Schuldpunkt – dank vollständiger Voruntersuchung und Aktenkenntnis bereits vor Beginn der Hauptverhandlung bilden kann und oftmals auch wird. Damit verliert die Hauptverhandlung – und letztlich auch das Gericht – an Bedeutung. Es wird in eine gewisse Abhängigkeit von der Staatsanwaltschaft versetzt. Das ist mit dem Anspruch auf ein verfassungsmässiges, unabhängiges Gericht kaum zu vereinbaren, denn die Tätigkeit des Gerichts «darf nicht zur reinen Aktenkontrolle verkümmern, sondern muss auch die zur Überprüfung des angeklagten Sachverhalts notwendigen Beweisaufnahmen zum Inhalt haben».113
Selbst wenn man dem entgegenhalten wollte, dass das Gericht ja nach Art. 343 Abs. 3 StPO gewisse Beweise nochmals erheben müsse und weitere nochmals erheben dürfe, löst das die Problematik nicht auf: Das «selektive Tatbild der Untersuchungsakten»,114 von dem das Gericht Kenntnis hat, führt zu einem Inertia- oder Perseveranzeffekt (manchmal auch als «affirmation bias» oder «confirmation bias» bezeichnet). Durch die Anklage kann beim Gericht eine «Hypothese der hinreichenden Verurteilungswahrscheinlichkeit»115 entstehen, weil die Staatsanwaltschaft nach Art. 324 StPO ja nur bei hinreichenden Verdachtsgründen anklagen darf. Das ist freilich unumgängliche Folge jeder Anklage. Doch durch das Studium des Dossiers kann und wird sich das Gericht zudem ein vorläufiges Urteil bilden. Sozialpsychologische Studien zeigen, dass spätere Beweisaufnahmen, die das vorläufige Urteil bestätigen, in ihrem Wert tendenziell über-, gegenteilige Informationen tendenziell unterschätzt werden. Einfach gesagt: Wir trachten danach, unsere einmal gefassten Hypothesen zu bestätigen.116 Die unmittelbare Hauptverhandlung, in der von den Richterinnen und Richtern nur der Präsident die Akten kennt, ist demnach besser geeignet, die richterliche Unabhängigkeit im Verhältnis zur Anklage zu wahren.
Die Problematik wird durch das Staatsanwaltschaftsmodell II noch verschärft, weil die Staatsanwaltschaft nicht nur die Anklage vertritt, sondern bereits die Untersuchung führt. Die dem Gericht vorliegende Akte wird also von einer Partei zusammengestellt und enthält dabei naturgemäss ihre auf die Verfolgung von Straftaten gerichtete Perspektive.117 Das vermag auch der Appell von Art. 6 Abs. 2 StPO nicht zu entkräften.118 Entsprechend hatte schon die Expertenkommission betont, dass dieses Strafverfolgungsmodell einerseits die richterliche Prüfung der Begründetheit der Anklage in einem Zwischenverfahren und andererseits auch eine strenge Handhabung des Unmittelbarkeitsprinzips im Hauptverfahren benötige.119 Auch die Botschaft mahnte, als Kompensation der grossen Machtkonzentration bei der Staatsanwaltschaft sei unter anderem die Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung auszubauen.120 Bedauerlicherweise hat der Gesetzgeber den gegenteiligen Weg gewählt.
In der erstinstanzlichen Hauptverhandlung im Militärstrafprozess herrscht demgegenüber das Unmittelbarkeitsprinzip: Nach Art. 147 Satz 2 MStP darf das Gericht nur die Ergebnisse der Hauptverhandlung berücksichtigen. Den Richtern (das Militärgericht erster Instanz tagt nach Art. 8 MStP immer in Fünferbesetzung) ist mit Ausnahme des Präsidenten121 ausschliesslich die Anklageschrift bekannt. Nur in verwickelten Fällen kann der Präsident die Akten ganz oder teilweise zirkulieren lassen (Art. 124 Satz 2 MStP). Dabei ist beispielweise an komplexe Gutachten zu denken.122
Abgesehen vom Aktenstudium des Präsidenten und der eventuellen vorgängigen Aktenzirkulation ist das Verfahren also formell und materiell weitgehend unmittelbar: Wesentliche Beweisurkunden sind zu verlesen (Art. 141 Abs. 1 MStP). Personalbeweise sind gem. Art. 141 Abs. 2 MStP nochmals unmittelbar abzunehmen, ein blosses Verlesen ihrer früheren Aussagen ist unzulässig.123 Ausnahmen von dieser Regel gibt es nur, wenn die Einvernahme vor Gericht nicht möglich ist (d.h. die Person ist verstorben, unbekannten Aufenthalts oder kann aus anderen Gründen nicht in der Hauptverhandlung einvernommen werden) oder wenn die Aussage für die Urteilsfindung nicht entscheidend ins Gewicht fällt (wobei sich dann freilich die Frage aufdrängt, inwiefern auch das Verlesen nötig wäre). Weiter können im Rahmen der unmittelbaren Befragung vor Gericht Protokolle verlesen werden, um Widersprüche festzustellen oder zu beheben, oder um Gedächtnislücken zu schliessen (Art. 139 MStP).
Dieses Modell ist damit meiner Ansicht nach besser geeignet als dasjenige nach StPO, ein ergebnisoffenes Gerichtsverfahren zu gewährleisten, in dem das unabhängige Gericht seine Kernfunktionen wahrnimmt und nicht bloss das Aktenergebnis der Anklagebehörde genehmigt. Aus rechtsstaatlicher Sicht ist das Verfahren nach MStP folglich vorzuziehen, die immer wieder laut werdende Kritik bezüglich seiner (In-)Effizienz vermag daran nichts zu ändern.
2.
Unmittelbarkeit und Öffentlichkeit der Hauptverhandlung ^
Nach Art. 30 Abs. 3 BV sind Gerichtsverhandlungen öffentlich, wobei das Gesetz Ausnahmen vorsehen kann.124 In der StPO wird das in Art. 69 Abs. 1 StPO konkretisiert: «Die Verhandlungen vor dem erstinstanzlichen Gericht und dem Berufungsgericht sowie die mündliche Eröffnung von Urteilen und Beschlüssen dieser Gerichte sind mit Ausnahme der Beratung öffentlich». Die entsprechende Bestimmung in Art. 48 Abs. 1 MStP lautet: «Die Verhandlungen vor den Militärgerichten sind öffentlich, nicht aber die Beratungen und Abstimmungen».
Der Grundsatz der Publikumsöffentlichkeit dient nach allgemeiner Auffassung in erster Linie der (potenziellen) demokratischen Überwachung der Gerichte durch Verhinderung von Kabinettsjustiz, was mittelbar auch den Beschuldigten dienen soll.125
Hier besteht nun auch ein wichtiger Zusammenhang zur Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung: Wenn das Gericht für seine Urteilsfindung nur die Ergebnisse der Hauptverhandlung berücksichtigen darf, wie es Art. 147 MStP bestimmt, verfügt es über dasselbe Fallwissen wie das Publikum126 (Ausnahme: vorgängige Aktenzirkulation nach Art. 142 Satz 2 MStP). So kann sich das Publikum mindestens potenziell eine begründete Meinung über den richterlichen Urteilsspruch bilden, weil es dessen Grundlagen kennt.
Anders verhält es sich im Verfahren nach StPO: Das Publikum hat selbstverständlich kein Akteneinsichtsrecht und in der Hauptverhandlung werden Beweise nur noch nach Massgabe von Art. 343 StPO und Art. 341 Abs. 3 StPO erhoben. Die übrige, im nichtöffentlichen Vorverfahren (Art. 69 Abs. 3 lit. a StPO) erhobene Beweisgrundlage des Urteils ist dem Publikum folglich nicht bekannt, es kann das Gericht damit nicht einmal potenziell kontrollieren.127
Die Transparenz einer militärgerichtlichen Hauptverhandlung ist also grösser als im Rahmen der StPO. Das Ziel der Transparenz legt es im Übrigen auch nahe, bei Anwesenheit von Publikum die Anklageschrift zu verlesen oder mindestens zusammengefasst wiederzugeben, selbst wenn die Parteien nach Art. 135 Abs. 2 MStP darauf verzichten könnten.128
3.
Exkurs: Trennung von Anklage und Gericht im Hauptverfahren ^
Im Zusammenhang mit der eben diskutierten Ausgestaltung der Hauptverhandlung sei an dieser Stelle ein kleiner Exkurs erlaubt, der mit der Trennung von Anklage und Gericht und damit der gerichtlichen Unabhängigkeit zu tun hat:129 die Änderung des Anklagesachverhalts während der Hauptverhandlung.
Sowohl MStP als auch StPO sehen diese Möglichkeit grundsätzlich vor. Art. 143 MStP bestimmt, dass ein Militärgericht die Hauptverhandlung von sich aus oder auf Antrag einer Partei unterbrechen kann für eine Neuerstellung oder Ergänzung der Anklageschrift (durch den Auditor130). Nach Art. 333 Abs. 1 StPO gibt das bürgerliche Gericht der Staatsanwaltschaft (u.U. während der Hauptverhandlung131) Gelegenheit, die Anklage zu ändern, wenn nach seiner Auffassung der in der Anklageschrift umschriebene Sachverhalt einen andern Straftatbestand erfüllen könnte, die Anklageschrift aber den gesetzlichen Anforderungen nicht entspricht.
In beiden Fällen schreitet das Gericht nicht eigenhändig zur Änderung des Anklagesachverhalts132 und kann die Anklagebehörde auch nicht dazu zwingen,133 doch wenn es die Verhandlung von sich aus zur Änderung der Anklageschrift unterbricht bzw. der Staatsanwaltschaft entsprechende Gelegenheit anbietet, dürfte das Signal dieser «Einladung» für den Ankläger häufig unmissverständlich sein. Das ist problematisch, weil das Gericht somit Einfluss auf den ihm zur Beurteilung vorgelegten Sachverhalt nimmt und damit die Grenzen zwischen Anklage und Gericht verschwimmen.
Die Motivation hinter diesen Regelungen ist klar: Es wird versucht, zu einem materiell «richtigen» Urteil zu kommen, scheinbar «ungerechtfertigte Freisprüche»134 sollen vermieden werden, weshalb das Immutabilitätsprinzip mit einer Ausnahme versehen wird. Damit aber macht sich das Gericht, wenn es darauf hinwirkt, faktisch zum Teil des «Teams Strafverfolgung» und beschränkt sich nicht auf die Beurteilung der bei ihm angeklagten Strafsache, was gerade ein inquisitorisches, rechtsstaatlich problematisches Element darstellt.135
Im Militärstrafprozess kann sich die Sachlage aufgrund des Unmittelbarkeitsprinzips noch in der Hauptverhandlung wesentlich ändern, weshalb das Bedürfnis nach der Möglichkeit einer Änderung oder Neuerstellung der Anklageschrift nachvollziehbar ist. Doch kann und darf es im modernen, dem Anklagegrundsatz verpflichteten Strafprozess – entgegen der Formulierung von Art. 143 MStP – nicht am Gericht sein, den Auditor dazu einzuladen, allenfalls gar noch unter Angabe dessen, was es gerne in der Anklageschrift sehen würde. Vielmehr ist es die Aufgabe des Auditors, dem Gang der Verhandlung aufmerksam zu folgen und nötigenfalls eine entsprechende Gelegenheit von sich aus zu beantragen.136
VI.
Fazit ^
Es hat sich im Vorstehenden gezeigt, dass der Militärstrafprozess mit dem Untersuchungsrichtermodell I, der vergleichsweise geringen Strafmandatskompetenz des Auditors und der unmittelbaren Hauptverhandlung den Idealvorstellungen eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens im eingangs skizzierten Sinne näher kommt als das Strafverfahren nach StPO.137 Die StPO bietet demgegenüber ein zweifellos effizienteres, also rascheres und kostengünstigeres Verfahren, was durchaus auch im Interesse des im Einzelfall Betroffenen liegen kann. Ausserdem muss offen zugegeben werden, dass eine Ausgestaltung der bürgerlichen Strafprozessordnung analog zum MStP mit derartigen Kosten verbunden wäre, dass ein entsprechendes Vorhaben politisch wohl keinerlei Chance hätte. Dennoch sollte der MStP zumindest stets daran erinnern, dass es für die Ausgestaltung von Prozessrechten niemals nur eine Möglichkeit gibt, sondern Effizienz und Rechtsstaatlichkeit in einem komplexen Verhältnis zueinander stehen, das sorgfältig austariert werden will. Einzeln betrachtet mögen Aspekte der StPO wie das Staatsanwaltschaftsmodell II, die Ausgestaltung der Strafbefehlskompetenz oder die weitgehende Mittelbarkeit der Hauptverhandlung noch akzeptabel scheinen, doch in einer Gesamtbetrachtung wurde der Effizienz m.E. zuviel Rechtsstaatlichkeit geopfert.138 Wir sollten nicht vergessen: Wenn schon allenthalben postuliert wird, das Strafrecht sei das schärfste Schwert des Staates, so sollte er damit nicht einfach besonders effizient sprichwörtliche Köpfe abhauen, sondern es mit Bedacht, Würde und der gebotenen Vorsicht führen.
Es hat sich jedoch auch in anderer Hinsicht gezeigt, dass der MStP ein Kind seiner Zeit ist. Eine derart detaillierte Regelung der Zwangsmassnahmen, wie sie die StPO zum Schutz der Grundrechte der Betroffenen, insbesondere der beschuldigten Person, kennt, schien seinen Schöpfern offenbar nicht nötig. Ebenso erscheint die völlig fehlende Regelung von Beweisverwertungsverboten als Manko bzw. «Alterserscheinung». Die ungleiche Regelung dieser Fragen in MStP und StPO lässt sich sachlich nicht rechtfertigen, spricht jedoch nicht für eine Abschaffung des Militärstrafprozesses. Sie könnte vom Gesetzgeber behoben werden, ohne dass die Grundstruktur des MStP verändert werden müsste.139
Dass aus dem ursprünglichen Gesetzgebungsprojekt «Aus 29 mach 1» ein «Aus 29 mach 3» mit StPO, MStP und VStrR geworden ist, ist betreffend des Militärstrafprozesses somit zu begrüssen. Für eine weitere Vereinheitlichung, also die Abschaffung des MStP und die Anwendung der StPO durch die Militärjustiz, spricht im Ergebnis eigentlich nur, dass die wissenschaftliche Durchdringung des MStP vergleichsweise gering ist.
Schliesslich dürfte aus dem Vorstehenden auch deutlich geworden sein, dass die immer wieder auftauchende Fundamentalkritik an der Existenz der Militärjustiz nicht mit der Ausgestaltung der Prozessordnung begründet werden kann: Die Anwendung der StPO durch die Militärjustiz – ebenso wie die Verfolgung von militärischen Delikten durch zivile Strafbehörden in Anwendung der StPO – würde die Stellung der beschuldigten Personen aus rechtsstaatlicher Sicht verschlechtern.
Ass.-Prof. Dr. iur. Stefan Maeder, Assistenzprofessor für Straf- und Strafprozessrecht an der Universität Luzern, Ausbildungsoffizier im Grad eines Oberstlt im Stab des Oberauditors
- 1 Maj Sjöwall/Per Wahlöö, Alarm in Sköldgatan, Reinbeck bei Hamburg, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2. Aufl. 2012, S. 38.
- 2 Unter Umständen eine Pflicht, vgl. Art. 7 Abs. 1 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO; SR 312.0).
- 3 Als Gründe wurden v.a. die Kantons- und Landesgrenzen überschreitende Kriminalität sowie die faktische stellenweise Vereinheitlichung durch die Rechtsprechung des EGMR genannt, vgl. EJPD (Hrsg.), Aus 29 mach 1, Konzept einer eidgenössischen Strafprozessordnung, Bericht der Expertenkommission «Vereinheitlichung des Strafprozessrechts», Bern 1997, S. 13.
- 4 EJPD (Fn. 3), S. 15.
- 5 EJPD (Fn. 3), S. 32; zur Entstehungsgeschichte weiter Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005, BBl 2006 1085 ff., 1094 ff.; Christof Riedo/Gerhard Fiolka/Marcel Alexander Niggli, Strafprozessrecht sowie Rechtshilfe in Strafsachen, Basel 2011, N 44 ff.; Mark Pieth, Schweizerisches Strafprozessrecht, 3. Aufl., Basel 2016, S. 32 ff.
- 6 Vgl. Marcel Alexander Niggli/Stefan Maeder, Die Haftung des Motorfahrzeughalters für Ordnungsbussen – von Fussbällen und Tennisschlägern, in: Thomas Probst/Franz Werro (Hrsg.), Strassenverkehrsrechts-Tagung 21. Juni 2018, Bern 2018, S. 65–104, S. 75.
- 7 Benjamin Schindler, Art. 5 N 3, in: Bernhard Ehrenzeller et al. (Hrsg.), Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Aufl., Zürich 2014 (zit. SGK BV-Bearbeiter).
- 8 Andreas Kley, Was genau ist der «Rechtsstaat»?, NZZ 12. März 2016, S. 12.
- 9 Art. 5 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV; SR 101) nennt nur (einige) «Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns».
- 10 SGK BV-Schindler (Fn. 7), Art. 5 N 8; s.a. Giovanni Biaggini, BV Kommentar, Bundesverfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft, 2. Aufl., Zürich 2017, Art. 5 N 2; Ulrich Häfelin/Walter Haller/Helen Keller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 9. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2016, N 170a.
- 11 Biaggini (Fn. 10), Art. 5 BV N 2; SGK BV-Schindler (Fn. 7), Art. 5 N 8.
- 12 Natürlich könnte auch von der Fairness des Verfahrens die Rede sein, doch ist dieser Begriff ebenso konkretisierungsbedürftig.
- 13 Grösstenteils lassen sie sich schon der Verfassung entnehmen.
- 14 SGK BV-Schindler (Fn. 7), Art. 5 N 9; Häfelin/Haller/Keller (Fn. 10), N 171.
- 15 Z.B. Peter Straub/Thomas Weltert, Art. 2 N 12 f., in: Marcel Alexander Niggli/Marianne Heer/Hans Wiprächtiger (Hrsg.), Schweizerische Strafprozessordnung, Jugendstrafprozessordnung, Basler Kommentar, 2. Aufl., Basel 2014 (zit. BSK StPO-Bearbeiter); Riedo/Fiolka/Niggli (Fn. 5), N 104 ff.; Wolfgang Wohlers, Art. 2 N 7 ff., in: Andreas Donatsch/Thomas Hansjakob/Viktor Lieber (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO), 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2014 (zit. ZHK StPO).
- 16 SGK BV-Schindler (Fn. 7), Art. 5 N 9; SGK BV-Steinmann (Fn. 7), Art. 30 N 7; Häfelin/Haller/Keller (Fn. 10), N 172; Robert Hauser/Erhard Schweri/Karl Hartmann, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl., Basel 2005, § 27 N 3.
- 17 Dies im Gegensatz zur «rituelle[n] Akklamation» der Ergebnisse der Voruntersuchung im Inquisitionsprozess (zum Begriff auch Fn. 47); Detlef Krauss, Die Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung im schweizerischen Strafverfahren, 1. Teil: recht 1986, S. 73–87, 2. Teil: recht 1987, S. 42–59, S. 75 ff.; Pieth (Fn. 5), S. 44 ff., unten Ziff. V.1.
- 18 Jürg-Beat Ackermann/Luzia Vetterli, Brisante Aspekte der neuen Anklageschrift – nach EMRK, BV und Schweizerischer Strafprozessordnung, ZStrR 2008, S. 193–213, S. 194; BSK StPO-Niggli/Heimgartner (Fn. 15), Art. 9 N 23; Hauser/Schweri/Hartmann (Fn. 16), § 50 N 2.
- 19 Niklaus Schmid/Daniel Jositsch, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 3. Aufl., Zürich/St. Gallen 2018, N 204; Martin Schubarth, Zurück zum Grossinquisitor? Zur rechtsstaatlichen Problematik des Strafbefehls, in: Marcel Alexander Niggli/José Hurtado Pozo/Nicolas Queloz (Hrsg.), Festschrift für Franz Riklin, Zur Emeritierung und zugleich dem 67. Geburtstag, Zürich 2007, S. 527–537, S. 528; Ackermann/Vetterli (Fn. 18), S. 199; Pieth (Fn. 5), S. 47.
- 20 Schmid/Jositsch (Fn. 19), N 208 ff.; BSK StPO-Niggli/Heimgartner (Fn. 15), Art. 9 N 28a und 39; Ackermann/Vetterli (Fn. 18), S. 201 f.; Krauss (Fn. 17), S. 77.
- 21 Vgl. BGE 137 I 227, 232; SGK BV-Steinmann (Fn. 7), Art. 30 N 4 und 43; Häfelin/Haller/Keller (Fn. 10), N 856 f. (auch bezüglich des Schutzes der Verfahrensbeteiligten); Pieth (Fn. 5), S. 52 f.; s.a. unten Ziff. V.2.
- 22 Niggli/Maeder (Fn. 6), S. 75.
- 23 EJPD (Fn. 3), S. 32.
- 24 So auch schon der Auftrag des Vorstehers des EJPD an die Expertenkommission, vgl. Botschaft StPO (Fn. 5)
- 25 Nicht sehr wissenschaftlich, aber vielleicht doch nicht ohne Aussagekraft ist folgender Befund: In der Botschaft StPO (Fn. 5) ist schon auf der ersten Seite nach dem Inhaltsverzeichnis (S. 1094) von «effizienter Verbrechensbekämpfung» die Rede, bis zur erstmaligen Erwähnung der Rechtsstaatlichkeit muss man sich bis S. 1100 gedulden. Eine Volltextsuche nach Effizienz (als Nomen, Wortteil oder Adjektiv) liefert 24 Treffer, eine analoge Suche nach Rechtsstaatlichkeit 16 Treffer. Wendet man dieselbe Methode auf die (deutlich kürzere) Botschaft über die Änderung des Militärstrafgesetzes und die Totalrevision der Militärstrafgerichtsordnung vom 7. März 1977, BBl 1977 II 1 ff. an, kommt man auf 26 Treffer für Rechtsstaatlichkeit, für Effizienz hingegen tatsächlich auf null.
- 26 Vgl. auch Stefan Schmid, Historische Einleitung, in: Stefan Wehrenberg et al. (Hrsg.), Kommentar zum Militärstrafprozess, Commentaire de la Procédure pénale militaire, Zürich/Basel/Genf 2008 (zit. Komm MStP-Verfasser); zur Entwicklung der Militärjustiz über die Zeit Thierry Godel, La procédure pénale militaire en Suisse, État des lieux, examen critique et propositions de révision, Diss. FR, Basel 2018, S. 75 ff.
- 27 Dazu Godel (Fn. 26), S. 164 ff.
- 28 Botschaft MStP (Fn. 25), S. 2.
- 29 Vgl. nur schon die Haftgründe nach Art. 70 MStGO, die eine Verhaftung zuliessen, wenn das Interesse der Untersuchung dies verlangte oder sie aus «dienstlichen Rücksichten» geboten erschien. Haft war jedenfalls dann anzuordnen, wenn Flucht- oder Kollusionsgefahr bestand.
- 30 S.a. Fn. 25.
- 31 Namentlich Urteil des EGMR Engel und andere gegen die Niederlande vom 8. Juni 1976.
- 32 Siehe nur Botschaft MStP (Fn. 25), S. 3.
- 33 Vgl. aber etwa die eingehende Untersuchung von Godel (Fn. 26).
- 34 Ein Problem, das offenbar sogar die Expertenkommission beschäftigt hat, vgl. EJPD (Fn. 3), S. 18: «Für jedes Kommissionsmitglied ist das eigene kantonale Strafprozessrecht bei allem Willen zur Vereinheitlichung natürlicherweise die nächstliegende Referenz».
- 35 Vgl. zum Nachfolgenden EJPD (Fn. 3), S. 29 ff.; weiter Botschaft StPO (Fn. 5), S. 1104 f.; Riedo/Fiolka/Niggli (Fn. 5), N 253 ff.
- 36 Auch Botschaft StPO (Fn. 5), S. 1107: «grosse Machtkonzentration» bei der Staatsanwaltschaft; Felix Bommer, Zur Vereinheitlichung der Behördenorganisation in der Schweizerischen Strafprozessordnung, ZBJV 2014, S. 231–264, S. 238: «Beherrschende Figur der Strafrechtspflege schlechthin».
- 37 Botschaft StPO (Fn. 5), S. 1106; s.a. BSK StPO-Hauri/Venetz (Fn. 15), Art. 343 N 7; Riedo/Fiolka/Niggli (Fn. 5), N 267; Andreas Eicker, Zum Vorentwurf für eine gesamtschweizerische Strafprozessordnung, Staatsanwaltschaftliche Kompetenz-Konzentration und ihre Kompensationsmöglichkeiten im Ermittlungsverfahren, AJP 2003, S. 13–22, 13 ff.
- 38 Dazu unten Ziff. V.1.
- 39 So bereits Art. 112 Abs. 2 MStGO.
- 40 Der Auditor ist der militärische Ankläger und Anklagevertreter. Er erlässt ausserdem die Einstellungsverfügung und das Strafmandat, vgl. Art. 4b Militärstrafprozess vom 23. März 1979 (MStP; SR 322.1); Komm MStP-Jabornigg/Spenlé (Fn. 26), Art. 8 N 12 f.
- 41 Schweizer Armee, Handbuch für die Angehörigen der Militärjustiz, Reglement 67.030, gültig ab 1. September 2009, Ziff. 109; Komm MStP-Moeri (Fn. 26), Art. 113 N 4.
- 42 Bis zum Abschluss der Voruntersuchung ist der Auditor nicht einmal Partei, vgl. Komm MStP-Röthlisberger (Fn. 26), Vor Art. 114–117 N 14 f.; weiter Godel (Fn. 26), S. 63 f.
- 43 S.a. Godel (Fn. 26), S. 31; Komm MStP-Martin (Fn. 26), Art. 16 N 4.
- 44 Zur Eröffnung einer Untersuchung ist er hingegen auf einen entsprechenden Befehl angewiesen, er kann nicht von Amtes wegen tätig werden, vgl. Art. 101 ff. MStP.
- 45 Komm MStP-Leber (Fn. 26), Art. 107 N 7 ff.; Godel (Fn. 26), S. 31. Selbst wenn man von einer gewissen Abhängigkeit des Untersuchungsrichters vom Oberauditor oder von einem Einfluss des Controllings auf die konkrete Untersuchungsführung ausgehen würde, wäre das nicht mit der Weisungsbefugnis einer Staatsanwaltschaft gegenüber dem Untersuchungsrichter gemäss Untersuchungsrichtermodell II oder Staatsanwaltschaftsmodell I zu vergleichen.
- 46 So auch Godel (Fn. 26), S. 62 ff.
- 47 Zum Begriff etwa Riedo/Fiolka/Niggli (Fn. 5), N 215; Pieth (Fn. 5), S. 23 ff.; Krauss (Fn. 17), S. 74 f.
- 48 EJPD (Fn. 3), S. 35; s.a. Krauss (Fn. 17), S. 76.
- 49 Anders, als es im Untersuchungsrichtermodell I auch möglich wäre, ist der militärische Untersuchungsrichter nicht Strafbefehlsrichter und hat auch keine Opportunitäts-, Nichtanhandnahme- oder Einstellungskompetenz.
- 50 Z.T. gelten diese Argumente auch für das Untersuchungsrichtermodell II oder das Staatsanwaltschaftsmodell I (zu den Argumenten der Minderheit der Expertenkommission vgl. EJPD [Fn. 3], S. 38 f.).
- 51 EJPD (Fn. 3), S. 36.
- 52 EJPD (Fn. 3), S. 36.
- 53 Bommer (Fn. 36), S. 243.
- 54 Vgl. Botschaft StPO (Fn. 5), S. 1107.
- 55 So schickte der Bundesrat am 1. Dezember 2017 eine Änderung der StPO in die Vernehmlassung, die unter anderem eine Einschränkung der Teilnahmerechte nach Art. 147 StPO vorsieht (Unterlagen abrufbar unter https://www.bj.admin.ch/bj/de/home/sicherheit/gesetzgebung/aenderungstpo.html, zuletzt besucht am 9. Januar 2019). Das Teilnahmerecht ist de lege lata aber gerade als Gegengewicht zur Machtfülle der Staatsanwaltschaft weit ausgestaltet, s. nur BSK StPO-Schleiminger-Mettler (Fn. 15), Art. 147 N 3.
- 56 Krit. (bereits zum Vorentwurf) Eicker (Fn. 37), passim.
- 57 Botschaft StPO (Fn. 5), S. 1106.
- 58 S.a. Komm MStP-Nonn (Fn. 26), Art. 119 N 6.
- 59 Marc Thommen, Unerhörte Strafbefehle – Strafbefehle ohne Einvernahme – ein Plädoyer für Kommunikation mit Beschuldigten, ZStrR 2010, S. 373–393, S. 381; Marc Thommen/Christina Diethelm, Vier Thesen zum Rechtsschutz im Kurzverfahren, ZStrR 2015, S. 145–166, S. 145; BSK StPO-Riklin (Fn. 15), Vor Art. 352–356 N 1; Franz Riklin, Urteilseröffnung beim Strafbefehl, in: Piermarco Zen-Ruffinen (Hrsg.), Du Monde Pénal, Mélanges en l’Honneur de Pierre-Henri Bolle, Basel 2006, S. 115–127, S. 116.
- 60 BSK StPO-Riklin (Fn. 15), Vor Art. 352–356 N 2 f.; Yvan Jeanneret/André Kuhn, Précis de procédure pénale, 2. Aufl., Bern 2018, N 17001 mit Fn. 1; vgl. auch Schubarth (Fn. 19), S. 528.
- 61 Die Lehre sieht dies freilich kritisch, vgl. nur BSK StPO-Riklin (Fn. 15), Art. 352 N 2; Marc Thommen, Kurzer Prozess – Fairer Prozess? Strafbefehls- und abgekürzte Verfahren zwischen Effizienz und Gerechtigkeit, Habil. LU, Bern 2013, S. 78 ff.; Michael Daphinoff, Das Strafbefehlsverfahren in der Schweizerischen Strafprozessordnung, Diss. FR, Zürich 2012, S. 343 f.; ZHK StPO-Schwarzenegger (Fn. 15), Art. 352 N 5.
- 62 Thommen (Fn. 59), passim; Thommen (Fn. 61), S. 61 ff.; Niklaus Schmid/Daniel Jositsch, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 3. Aufl., Zürich/St. Gallen 2018, Art. 355 N 1; Schubarth (Fn. 19), S. 530 f.; bereits Riklin (Fn. 59), S. 123.
- 63 Gwladys Gilliéron/Martin Killias, Strafbefehl und Justizirrtum: Franz Riklin hatte Recht!, in: Marcel Alexander Niggli/José Hurtado Pozo/Nicolas Queloz (Hrsg.), Festschrift für Franz Riklin, Zur Emeritierung und zugleich dem 67. Geburtstag, Zürich 2007, S. 379–398 m.w.N.; BSK StPO-Riklin (Fn. 15), Art. 352 N 2; zur Differenz von Ist- und Sollzustand bei der materiellen Wahrheitssuche im Strafbefehls- und abgekürzten Verfahren Thommen (Fn. 61), S. 249 ff.
- 64 Thommen (Fn. 61), S. 72, 277 f.
- 65 Eicker (Fn. 37), S. 20.
- 66 Eingehend Riklin (Fn. 59), S. 122 ff.
- 67 S.a. BSK StPO-Riklin (Fn. 15), Art. 354 N 3; Schubarth (Fn. 19), S. 530 f.
- 68 BSK StPO-Riklin (Fn. 15), Art. 354 N 3.
- 69 BSK StPO-Riklin (Fn. 15), Art. 354 N 3; Riklin (Fn. 59), S. 123; Hauser/Schweri/Hartmann (Fn. 16), § 86 N 5.
- 70 Eicker (Fn. 37), S. 20; Schubarth (Fn. 19), S. 531 spricht von der «Fiktion einer Handlungskompetenz des Betroffenen, die er vielfach nicht hat und deren Vorliegen – in Verletzung des für den rechtsstaatlichen Strafprozess grundlegenden Fürsorgeprinzips – nicht überprüft werden kann». Freilich wäre dieses Vorgehen auch angesichts der Anforderungen von Art. 352 Abs. 1 StPO problematisch (Sachverhalt eingestanden oder «anderweitig ausreichend geklärt»).
- 71 Zur Einsprachelegitimation Art. 122 MStP.
- 72 Beim Strafmandat handelt es sich um das Pendant des MStP (Art. 119 ff.) zum Strafbefehl der StPO (Art. 352 ff.).
- 73 Schweizerische Eidgenossenschaft, Statistiken der Militärjustiz 2017, 7.
- 74 Wozu (zumindest praxisgemäss) auch die Einvernahme des Beschuldigten gehört, vgl. Hauser/Schweri/Hartmann (Fn. 16), § 86 N 5. Das dürfte gewisse Kommunikationsprobleme mit dem Beschuldigten etwas entschärfen.
- 75 Nach Schmid/Jositsch (Fn. 62) Art. 355 StPO N 1, ist das «vor Erlass des Strafbefehls zumeist nur lückenhaft durchgeführte Vorverfahren» erst auf Einsprache hin zu vervollständigen.
- 76 Vgl. Botschaft zur Änderung des Militärstrafgesetzes und des Militärstrafprozesses (Korrekturen infolge der Revision AT MStG und weitere Anpassungen) vom 31. Oktober 2007, BBl 2007 8353 ff., S. 8360 f.
- 77 Also auch z.B. Busse bis zu CHF 5 Millionen gem. Art. 102 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (StGB; SR 311.0), vgl. Marcel Alexander Niggli/Diego Gfeller, Art. 102 N 449 m.w.N., in: Marcel Alexander Niggli/Hans Wiprächtiger (Hrsg.), Strafrecht, Basler Kommentar, 4. Aufl., Basel 2019.
- 78 Vgl. BSK StPO-Riklin (Fn. 15), Art. 353 N 5.
- 79 Es ist also der geschilderte Sachverhalt unter die anwendbaren Straftatbestände zu subsumieren, ein blosses Nennen der Strafbestimmungen genügt nicht, Komm MStP-Nonn (Fn. 26), Art. 120 N 14.
- 80 Ausgenommen im Aktivdienst, vgl. z.B. Art. 81 Abs. 2 Militärstrafgesetz vom 13. Juni 1927 (MStG; SR 321.0).
- 81 Diese werden in der Statistik nicht näher aufgeschlüsselt, dazu gehören aber u.a. Vermögensdelikte, Urkundendelikte und Wachtvergehen. Zum Ganzen Schweizerische Eidgenossenschaft, Statistiken der Militärjustiz 2017, 14.
- 82 Nach der Definition von Art. 196 StPO ist eine Zwangsmassnahme eine Verfahrenshandlung der Strafbehörden, die in die Grundrechte des Betroffenen eingreift und dazu dient, Beweise zu sichern, die Anwesenheit von Personen im Verfahren sicherzustellen oder die Vollstreckung des Endentscheides zu gewährleisten.
- 83 Für eine eingehende Analyse vgl. Godel (Fn. 26), S. 470 ff.
- 84 Für deren Zulässigkeit «in maiore minus» und mit Hinweis auf Art. 27 Verordnung über die Militärstrafrechtspflege vom 24. Oktober 1979 (MStV; SR 322.2) Komm MStP-Marfurt/Rindlisbacher (Fn. 26), Art. 56 N 18 ff.
- 85 Dabei ergeben sich auch gewisse Ungereimtheiten: Art. 73p MStP sieht vor, dass die Polizei im Ermittlungsverfahren eine verdeckte Fahndung anordnen kann. Im Militärstrafprozess ist ein polizeiliches Ermittlungsverfahren, wie es Art. 306 f. StPO regelt, nicht bekannt. Vgl. weiter Komm MStP-Fabbri/Girardet/Spenlé (Fn. 26), Art. 70 N 19.
- 86 Vor Inkrafttreten des DNA-Profil-Gesetzes wurde in der Praxis Art. 65 MStP (körperliche Untersuchung, Blutprobe, Abklärung des Geisteszustandes) als genügende gesetzliche Grundlage erachtet; vgl. Komm MStP-Ott (Fn. 26), Art. 65 N 7; Godel (Fn. 26), S. 501 f.
- 87 Für die StPO ebenso Andreas Eicker, Die Schweizerische Strafprozessordnung – Anknüpfung an Bestehendes, Vereinheitlichung und hohe Regelungsdichte, recht 2010, S. 189–195, S. 195.
- 88 BSK StPO-Eugster/Katzenstein (Fn. 15), Art. 282 N 2; ZHK StPO-Hansjakob (Fn. 15), Art. 282 N 1.
- 89 Vgl. Botschaft StPO (Fn. 5), S. 1252; BSK StPO-Eugster/Katzenstein (Fn. 15), Art. 282 N 3.
- 90 Dabei wäre insbesondere dem Untersuchungsrichtermodell I Beachtung zu schenken, also zu berücksichtigen, dass vom Untersuchungsrichter zum Auditor ein Handwechsel stattfindet und der MStP kein Zwangsmassnahmengericht kennt.
- 91 Wobei das natürlich nicht bedeuten soll, dass es in der StPO keinen Spielraum für Verbesserungen gäbe. Hier geht es nur um die Unterschiedlichkeit der Regelungen, die sich sachlich nicht begründen lässt.
- 92 ZHK StPO-Wohlers (Fn. 15), Art. 141 N 2; Roberto Fornito, Beweisverbote im schweizerischen Strafprozess, Diss. SG, St. Gallen 2000, S. 69 ff.
- 93 Vgl. dazu die Hinweise bei Stefan Maeder, Verwertbarkeit privater Dashcam-Aufzeichnungen im Strafprozess. Eine Auslegeordnung anlässlich des Urteils STK 2017 1 des Kantonsgerichts Schwyz, AJP 2018, 155–167.
- 94 D.h. Beweisverboten aus übergeordneten Rechtsgrundsätzen, zum Begriff BSK StPO-Gless (Fn. 15), Art. 141 N 9; ZHK StPO-Wohlers (Fn. 15), Art. 141 N 6.
- 95 ZHK StPO-Wohlers (Fn. 15), Art. 141 N 2.
- 96 S.a. Stefan Flachsmann/Bernhard Isenring, Grundsatz der Einheit des schweizerischen Strafprozessrechts, Auswirkungen der Beweisverbote der schweizerischen StPO auf den Militärstrafprozess, in: Angela Cavallo et al. (Hrsg.), Liber amicorum für Andreas Donatsch, Im Einsatz für Wissenschaft, Lehre und Praxis, Zürich 2012, S. 289–302, S. 294; Komm MStP-Weber (Fn. 26), Art. 52 N 12 ff.
- 97 Vgl. oben Ziff. III.
- 98 Dazu (krit.) Hans Vest/Andrea Höhener, Beweisverwertungsverbote – quo vadis Bundesgericht?, ZStrR 2009, S. 95–108; weiter Hauser/Schweri/Hartmann (Fn. 16), § 60 N 6.
- 99 Flachsmann/Isenring (Fn. 96), S. 295 ff.; zustimmend Godel (Fn. 26), S. 7, 9 f., 457 ff.
- 100 Ebenso Flachsmann/Isenring (Fn. 96), S. 296.
- 101 Botschaft StPO (Fn. 5), S. 1095 f.
- 102 Vgl. sinngemäss Fn. 91.
- 103 Botschaft StPO (Fn. 5), S. 1263; BSK StPO-Omlin (Fn. 15), Art. 308 N 24; BSK StPO-Hauri/Venetz (Fn. 15), Art. 343 N 12.
- 104 Fakultativ darf das Gericht selbstverständlich auch andere Beweise nochmals abnehmen, prozessökonomische Überlegungen werden in der Praxis aber wohl oft dagegen sprechen; s.a. BSK StPO-Hauri/Venetz (Fn. 15), Art. 343 N 13; Wolfgang Wohlers, Die Unmittelbarkeit der Beweiserhebung im Strafprozess, ZStrR 2014, S. 424–447, S. 431 f.
- 105 Dazu BGE 140 IV 196, 199 f.
- 106 Zum Ganzen auch Wolfgang Wohlers, Die formelle Unmittelbarkeit in der Hauptverhandlung, ZStrR 2013, S. 318–336, S. 318 ff.
- 107 Zu den Begriffen statt vieler Krauss (Fn. 17), S. 73, 76 ff.; BSK StPO-Hauri/Venetz (Fn. 15), Art. 343 N 1 ff.; Peter Albrecht, Was bleibt von der Unmittelbarkeit?, ZStrR 2010, S. 180–196, S. 180 ff.; Ariane Kaufmann, Das Unmittelbarkeitsprinzip und die Folgen seiner Einschränkung in der Schweizerischen Strafprozessordnung, Diss. LU, Zürich/Basel/Genf 2013, S. 5 ff.; BGE 116 Ia 305, 308: «Gemäss dem Unmittelbarkeitsgrundsatz hat das Gericht alle für die Urteilsbildung wesentlichen Fakten möglichst selbst, unvermittelt und direkt in der Hauptverhandlung zur Kenntnis zu nehmen. Die richterliche Überzeugung soll sich auf eigene sinnliche Wahrnehmung stützen.»; Wohlers (Fn. 104), S. 425; vgl. zur ganz ähnlichen Rechtslage unter dem Regime der kantonalen Strafprozessordnungen der Inner- und Ostschweiz Robert Hauser, Zum Prinzip der Unmittelbarkeit, ZStrR 1981, S. 168–178, S. 169.
- 108 BGE 140 IV 196, 198; Riedo/Fiolka/Niggli (Fn. 5), N 2511; BSK StPO-Hauri/Venetz (Fn. 15), Art. 343 N 12; Kaufmann (Fn. 107), S. 24 ff.; Wohlers (Fn. 104), S. 426, 430. Im bundesrätlichen Entwurf war noch eine weitergehende Unmittelbarkeit vorgesehen, vgl. Botschaft StPO (Fn. 5), S. 1283 f.: «In der Regel beherrscht die Unmittelbarkeit das Hauptverfahren (Art. 344); beantragt die Staatsanwaltschaft weder eine unbedingte Freiheitsstrafe noch eine freiheitsentziehende Massnahme, so kann das Gericht jedoch grundsätzlich auf die im Vorverfahren erhobenen Beweise abstellen (Art. 345)». S. zur Entstehungsgeschichte der heutigen Regelung weiter BSK StPO-Hauri/Venetz (Fn. 15), Art. 343 N 6 ff.; Kaufmann (Fn. 107), S. 190 f.
- 109 So etwa Felix Bommer, Abgekürztes Verfahren und Plea Bargaining im Vergleich, ZSR 2009, S. 5–124, S. 35; BSK StPO-Omlin (Fn. 15), Art. 308 N 22; Kaufmann (Fn. 107), S. 25 f.; Pieth (Fn. 5), S.49 f.
- 110 BSK StPO-Hauri/Venetz (Fn. 15), Art. 343 N 9 ff.; Albrecht (Fn. 107), S. 188; Kaufmann (Fn. 107), S. 159 ff.; Wohlers (Fn. 106), S. 324, krit. S. 328; Wohlers (Fn. 104), S. 436 f.; Krauss (Fn. 17), S. 86.
- 111 Eingehend Kaufmann (Fn. 107), S. 27 ff.; weiter Albrecht (Fn. 107), S. 184; Wohlers (Fn. 104), S. 426 ff.
- 112 So auch Marc Thommen, Gerechtigkeit und Wahrheit im modernen Strafprozess, recht 2014, S. 264–276, 264: «Im modernen Strafprozess ist der staatsanwaltschaftlich ermittelte zugleich der geltende Sachverhalt.»; Pieth (Fn. 5), S. 49; Krauss (Fn. 17), S. 76 ff.
- 113 Kaufmann (Fn. 107), S. 60 f., zudem 161 f.; weiter Albrecht (Fn. 107), S. 184 ff.; Krauss (Fn. 17), S. 49, 76 ff.; Wohlers (Fn. 106), S. 324 f., 328; Wohlers (Fn. 104), S. 427 f. m.w.N.; Hauser (Fn. 107), S. 172.
- 114 Kaufmann (Fn. 107), S. 61; ebenso Krauss (Fn. 17), S. 76 ff.
- 115 Stephan Barton, Einführung in die Strafverteidigung, 2. Aufl., München 2013, § 12 N 37.
- 116 Eingehend Kaufmann (Fn. 107), S. 61 f.; Barton (Fn. 115), § 12 N 37 ff.; Raymond S. Nickerson, Confirmation Bias: A Ubiquitous Phenomenon in Many Guises, Review of General Psychology 1998, S. 175–220, bezogen auf Strafprozesse v.a. S. 193 f.; Kent Roach, Wrongful Convictions: Adversarial and Inquisitorial Themes, North Carolina Journal of International Law and Commercial Regulation 2010, S. 387–446, S. 401 f. und 418 ff.; Daniel Kahneman, Schnelles Denken, langsames Denken, 10. Aufl., München 2011, S. 105 ff.
- 117 Kaufmann (Fn. 107), S. 60, 72 f.; Krauss (Fn. 17), S. 77.
- 118 Ebenso Eicker (Fn. 37), S. 16; Kaufmann (Fn. 107), S. 72.
- 119 EJPD (Fn. 3), S. 31.
- 120 Botschaft StPO (Fn. 5), S. 1107; s.a. Schubarth (Fn. 19), S. 535 f.; Krauss (Fn. 17), S. 43 und 76 f.
- 121 Er ist also in diesem Sinne nicht unabhängig, weil er die Hauptverhandlung anhand der Akten der Voruntersuchung vorbereitet.
- 122 Wohl für eine weite Auslegung von Art. 124 Satz 2 MStP Komm MStP-Frei (Fn. 26), Art. 147 N 32 ff.
- 123 Damit gilt nicht nur das formelle, sondern auch das materielle Unmittelbarkeitsprinzip. S.a. Albrecht (Fn. 107), S. 183; Kaufmann (Fn. 107), S. 17 ff.; zu den Gründen auch Krauss (Fn. 17), insbes. S. 84; zu den Schwächen statt vieler Wohlers (Fn. 106), S. 325 und Wohlers (Fn. 104), S. 438 ff., je m.w.N.; Hauser (Fn. 107), S. 173.
- 124 Das Öffentlichkeitsprinzip ist auch in Art. 6 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten abgeschlossen am 4. November 1950, für die Schweiz in Kraft getreten am 28. November 1974 (EMRK; SR 0.101) enthalten.
- 125 BGE 137 I 16, 19; BGE 137 I 227, 232; BSK StPO-Saxer/Thurnheer (Fn. 15), Art. 69 N 11 ff.; Kaufmann (Fn. 107), S. 74 f.; Wohlers (Fn. 104), S. 427; Komm MStP-Braun (Fn. 26), Art. 48 N 2 ff.; SGK BV-Steinmann (Fn. 7), Art. 30 N 4 und 43; Pieth (Fn. 5), S. 52 f.; krit. Riedo/Fiolka/Niggli (Fn. 5), N 556 ff. Freilich kann die Öffentlichkeit, insbesondere bei grosser medialer Aufmerksamkeit Druck auf Verfahrensbeteiligte (inkl. Gericht) ausüben und damit der Qualität der Beweiserhebung vor Gericht sogar abträglich sein (s. Schmid/Jositsch [Fn. 19], N 298), doch scheint mir darin kein stichhaltiges Argument gegen die öffentliche, unmittelbare Verhandlung und folglich für eine Kabinettsjustiz zu liegen.
- 126 S.a. Krauss (Fn. 17), S. 79.
- 127 Felix Bommer, Öffentlichkeit der Hauptverhandlung zwischen Individualgrundrecht und rechtsstaatlichdemokratischem Strukturprinzip, in: Andreas Donatsch/Marc Forster/Christian Schwarzenegger (Hrsg.), Strafrecht, Strafprozessrecht und Menschenrechte, Festschrift für Stefan Trechsel zum 65. Geburtstag, Zürich 2002, S. 671–690, Fn. 73; trotzdem leiten Rechtsprechung und h.L. aus dem Öffentlichkeitsgrundsatz keinen Anspruch auf Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung ab, vgl. BGE 113 Ia 412, 417 m.H. zur älteren Lehre; Hauser/Schweri/Hartmann (Fn. 16), § 51 N 13; Kaufmann (Fn. 107), S. 75; Schmid/Jositsch (Fn. 19), N 260; krit. Stefan Trechsel, Unmittelbarkeit und Konfrontation als Ausfluss von Art. 6 EMRK, AJP 2000, S. 1366–1373, S. 1369 f.
- 128 Gl.M. Komm MStP-Frey (Fn. 26), Art. 135 N 3.
- 129 S. einleitend Ziff. I.
- 130 Vgl. Komm MStP-Thoenen (Fn. 26), Art. 143 N 5; MKGE 14 Nr. 6 E 5. c).
- 131 ZHK StPO-Griesser (Fn. 15), Art. 333 N 1; BSK StPO-Stephenson/Zalunardo-Walser (Fn. 15), Art. 333 N 5b.
- 132 Was selbstverständlich unzulässig wäre, vgl. nur Urteil des Bundesgerichts 6B_640/2011 vom 14. Mai 2012, E. 2.4.3.
- 133 Für die StPO ZHK StPO-Griesser (Fn. 15), Art. 333 N 4.
- 134 So Schmid/Jositsch (Fn. 62), Art. 333 StPO N 1; s.a. BSK StPO-Stephenson/Zalunardo-Walser (Fn. 15), Art. 333 N 1 f.
- 135 S.a. Ackermann/Vetterli (Fn. 18), S. 200, 211.
- 136 Komm MStP-Thoenen (Fn. 26), Art. 143 N 5 mahnt zudem zu Strenge: «Dem Auditor soll eine Änderung der Anklageschrift nur dann gewährt werden, wenn sich die Sachlage nach dem Beweisverfahren wesentlich geändert hat». Dem ist zuzustimmen.
- 137 Vgl. auch Schmid/Jositsch (Fn. 19), N 292; Kaufmann (Fn. 107), S. 57.
- 138 S.a. Pieth (Fn. 5), S. 34 f.
- 139 So wurde ja per 1. Januar 2019 als Folge der Parlamentarischen Initiative 10.417 «Militärstrafprozess. Ausdehnung der Rechte der Geschädigten», eingereicht am 17. März 2010 von Nationalrat Christian Lüscher, auch eine Anpassung der Geschädigtenrechte im Militärstrafprozess implementiert, vgl. AS 2018 3911 ff. (wobei den Besonderheiten des Untersuchungsrichtermodells I nicht genügend Beachtung geschenkt wurde – doch das ist ein Thema für einen anderen Aufsatz).