1.
Einleitung ^
Das sorgfältige und ordnungsgemässe Auszählen von Stimm- und Wahlzetteln ist eines der grundlegenden Verfahren in einer Demokratie und gehört zu den politischen Rechten. Artikel 34 Absatz 2 der Bundesverfassung (BV) hält fest, dass die Garantie der politischen Rechte die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe schützt (Steinmann 2014). Gemäss Artikel 84 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte (BPR) muss der Bundesrat die Verwendung technischer Hilfsmittel bei Wahl- und Abstimmungsverfahren genehmigen. Bei der Volksabstimmung vom 18. Mai 2014 wurden in der Stadt Bern bei der elektronischen Auszählung in einer Stichprobenkontrolle Fehlinterpretationen entdeckt. Die Stadt Bern verwies darauf, dass die Bundeskanzlei (BK) das Verfahren genehmigt habe. Ein vermehrtes Auftreten von Fehlern kann sich auf die demokratische Legitimation und Glaubwürdigkeit des Abstimmungssystems auswirken. Nicht nur in der Schweiz werden die Manipulierbarkeit der elektronischen Auszählung und dadurch letztlich der Abstimmungsergebnisse thematisiert.1
- Welche Herausforderungen stellen sich bei der elektronischen Auszählung hinsichtlich der Garantie der Wahl- und Abstimmungsfreiheit?
- Wie ist die Rolle des Bundes als Genehmigungsinstanz für die elektronische Auszählung zu beurteilen?
- Wie sind die Anforderungen des Bundes an die elektronische Auszählung zu beurteilen und wie werden diese umgesetzt?
Die Erkenntnisse zu diesen Fragen stammen aus einer technischen Analyse, einem Rechtsgutachten und einer Analyse der Behandlung der Gesuche. Die Evaluation hat die rechtlichen Zuständigkeiten für die Genehmigung beim Bund, die Anforderungen an die elektronische Auszählung und deren Einhaltung im Rahmen der Genehmigung sowie die Genauigkeit dieser Auszählungsart ins Zentrum gerückt. Die technische Analyse wurde von Robert Krimmer und Dirk-Hinnerk Fischer von der Technischen Universität Tallinn durchgeführt. Erstellt wurde eine Kriterienliste, die den Stand der Technik bzw. die internationale Good Practice für die elektronische Auszählung abbildet und als Basis für die Beurteilung der Anforderungen der BK diente. Von Andreas Glaser und Corina Fuhrer vom Zentrum für Demokratie in Aarau wurde das Rechtsgutachten erstellt. Ziel des Mandats war die Evaluation der normativen Qualität und Kohärenz der Beurteilungskriterien zur Bewilligung der elektronischen Auszählung sowie der verfassungsrechtlichen Bestimmung der Kompetenzen des Bundes bei der Erteilung von Bewilligungen. Beide Gutachten vergleichen zudem die Anforderungen an die elektronische Auszählung mit jenen an die elektronische Stimmabgabe (Vote électronique/E-Voting). Die Einhaltung der Anforderungen durch den Bund im Genehmigungsverfahren wurde durch die PVK basierend auf den von den Kantonen bei der BK eingereichten Dossiers geprüft. Ergänzend wurden leitfadengestützte Interviews mit Personen der BK und mit Vertretern jener drei Kantone geführt, in welchen die Ermöglichung der elektronischen Auszählung von Stimmen am wenigsten weit zurückliegt. Die Frage nach der Genauigkeit der elektronischen Auszählung wurde anhand einer vergleichenden Auszählung von Stimmzetteln eruiert. Im Rahmen der eidgenössischen Abstimmung vom 5. Juni 2016 hat die PVK bei drei ausgewählten Kantonen3 und Gemeinden die elektronisch ausgezählten Stimmzettel manuell nachgezählt und den offiziell ermittelten Ergebnissen gegenübergestellt. Zum Vergleich wurden zudem Stimmzettel bei vier Kantonen und Gemeinden mit Handauszählung der Stimmen manuell nachgezählt. Die Teilnahme an der Untersuchung war für die Kantone und Gemeinden freiwillig; sie werden im Bericht nicht namentlich genannt.
2.
Elektronische Auszählung von Stimmen ^
3.
Herausforderungen bei der Wahl- und Abstimmungsfreiheit ^
4.
Kompetenzen des Bundes bei der elektronischen Auszählung ^
In der Botschaft vom 1. September 1993 zur Änderung des BPR wurde die Bestimmung, dass technische Hilfsmittel (Art. 84 BPR) durch den Bundesrat genehmigt werden müssen, mit dem Hinweis auf die Entwicklung der elektronischen Datenverarbeitung begründet (Bundesrat 1993). Als Voraussetzungen für die Genehmigung solcher Hilfsmittel durch den Bundesrat wurden aufgeführt, dass die Eignung und Zuverlässigkeit der technischen Mittel und namentlich auch die Wahrung des Stimmgeheimnisses gewährleistet sind. Das Gesetz wurde zwar durch keine Verordnung, jedoch durch ein Kreisschreiben des Bundesrates vom 15. Januar 2003 an die Kantonsregierungen zur Resultatermittlung mit technischen Geräten bei eidgenössischen Volksabstimmungen (BBl 2003 419) konkretisiert. Die aufgeführten Anforderungen betrafen insbesondere Präzisionswaagen. Hingegen entwickelte dieses Kreisschreiben keine Anforderungen an die elektronische Auszählung. Erst mit dem am 18. Mai 2016 neu in Kraft getretenen Kreisschreiben des Bundesrates an die Kantonsregierungen über die Ermittlung der Ergebnisse eidgenössischer Volksabstimmungen mit technischen Mitteln (BBl 2016 4099) wurden Anforderungen an maschinenlesbare Stimmzettel speziell zur Gewährleistung der Vertrauenswürdigkeit festgehalten. Zudem müssen die speziell für die elektronische Auszählung angefertigten Stimmzetteln für jeden eidgenössischen Urnengang von der BK genehmigt werden.5 Dabei wird darauf geachtet, dass es sich um exakt denselben Text (inkl. Zeilenumbrüchen, Fettgedrucktes etc.) handelt wie auf den herkömmlichen Stimmzetteln der BK.
5.1.
Defizite bei den Anforderungen des Bundes an die Gesuche ^
Das von der PVK in Auftrag gegebene technische Gutachten zeigt auf, dass auch mit der Konkretisierung durch diese Hilfestellung die Anforderungen des Bundes vor dem Erlass des Kreisschreibens 2016 im Vergleich mit der internationalen Good Practice zur elektronischen Auszählung grössere Defizite aufweisen (Krimmer/Fischer 2016).6 So fehlen in den Anforderungen an das Betriebskonzept, das ein Sicherheits- und ein Technikkonzept umfassen soll, beispielsweise zentrale Aspekte wie technische Hilfestellungen für die Wahlhelfer durch den Hersteller sowie Risiko- beziehungsweise Krisenmanagementkonzepte. Ebenfalls fordert der Bund keine Auseinandersetzung mit der Problematik der Abhängigkeit vom Hersteller. Bei den Genehmigungsprozessen wird vom Bund nicht durchgehend ein Vier-Augen-Prinzip eingefordert. Ebenso sind Anforderungen an den Aus- sowie Nachzählungsprozess gering. So fehlt beispielsweise das Erfordernis, dass eine statistisch relevante Stichprobe zur Plausibilisierung der Zählergebnisse erhoben wird.
Ein tiefgreifender Unterschied zwischen den Anforderungen des Bundes an Vote électronique gegenüber jenen an die elektronische Auszählung stellt die Tatsache einer einmaligen und unbefristeten Bewilligung dar. Die Genehmigung für Vote électronique unterliegt einem differenzierteren zweistufigen Verfahren. Dieses besteht aus einer vom Bundesrat zu erteilenden Grundbewilligung (Art. 27a Abs. 1 VPR) und einer generellen Bewilligung, die nach fünf Urnengängen nicht mehr an bestimmte Urnengänge gebunden ist (Art. 27a Abs. 3 VPR) (Glaser 2015, 17). Hat ein Kanton die bundesrätliche Grundbewilligung erhalten, überprüft die BK zusätzlich pro Urnengang, ob die Voraussetzungen für die Durchführung weiterhin gegeben sind. Die BK stützt ihren Entscheid pro Urnengang auf eine formale Überprüfung. Erhoben wird, ob alle verlangten Dokumente und Zertifikate den aktuellen Anforderungen entsprechen (Bundesrat 2013, 5196).
5.2.
Durchsetzung der Anforderungen des Bundes ^
6.
Schlussfolgerungen ^
7.
Anhang: Einsatz elektronischer Auszählung bei eidgenössischen Volksabstimmungen ^
Kanton | im Einsatz seit | Einsatz bei folgenden Gemeinden/Wählergruppen | Anteil an den Stimmberechtigten der Schweiz |
Genf | 2001 | Alle Gemeinden und Auslandschweizer/-innen (zentralisierte Durchführung) | 2,9 % |
Freiburg | 2004 | Stadt Freiburg | 0,4 % |
Waadt | 2005 | Lausanne, Ecublens, La Tour-de-Peilz, Lutry, Montreux, Morges, Nyon, Prilly, Renens, Vevey, Yverdon-les-Bains, Auslandschweizer/-innen | 3,1 % |
St. Gallen | 2008 | Stadt St. Gallen, Rapperswil-Jona, Auslandschweizer/-innen (zentralisierte Durchführung) | 1,3 % |
Bern | 2014 | Stadt Bern | 1,6 % |
Basel-Stadt | 2015 | Alle Gemeinden und Auslandschweizer/-innen (dezentrale Durchführung in den Gemeinden) | 2,0 % |
Total | 11,3 % |
Anmerkung: Stand der Stimmberechtigten am 5. Juni 2016
Quelle: Bundeskanzlei, Bundesamt für Statistik
Felix Strebel, Dr. phil., Projektleiter, Parlamentarische Verwaltungskontrolle, Parlamentsdienste, Bern
8.
Literaturverzeichnis ^
- Bundesrat (1993): Botschaft vom 1. September 1993 über eine Teilrevision der Bundesgesetzgebung über die politischen Rechte, BBl 1993 III 445.
- Bundesrat (2013): Bericht des Bundesrates zu Vote électronique. Auswertung der Einführung von Vote électronique (2006–2012) und Grundlagen zur Weiterentwicklung, BBI 2013 5069.
- Glaser, Andreas (2015): Der elektronisch handelnde Staat, E-Legislation, E-Government, EJustice, in: ZSR 134 II, S. 259–333.
- Glaser, Andreas/Fuhrer, Corina (2016): Rechtsgrundlagen für die elektronische Auszählung von Stimmen (E-Counting): Rechtsgutachten, Studie im Auftrag der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle (PVK).
- GPK (2017): Elektronische Auszählung von Stimmen (E-Counting), Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 5. September 2017.
- Hangartner, Yvo/Kley, Andreas (2000): Die demokratischen Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Zürich.
- Krimmer, Robert/Fischer, Dirk-Hinnerk (2016): Evaluation zur elektronischen Auszählung von Stimmen (E-Counting): Technisches Expertenmandat. Im Auftrag der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle (PVK).
- Nuspliger, Kurt/Mäder, Jana (2013): Präzision in der Demokratie, in: ZBl 114/2013, S. 183–205.
- OSZE / BDIMR (2013): Handbook for the Observation of New Voting Technologies, Warsaw.
- PVK (2017): Evaluation der Elektronischen Auszählung von Stimmen, Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 9. Februar 2017.
- Schweizer Städteverband (2017): Merkblatt erleichtertes Stimmen und effizientes Auszählen dank scanbaren Stimmzetteln, Bern.
- Steinmann, Gerold (2014): Art. 34 Politische Rechte, in: Ehrenzeller, Bernhard/Schindler, Benjamin/Schweizer, Rainer J./Vallender, Klaus A. (Hrsg.), Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Aufl., Zürich, S. 776–792.
- 1 Open rights group https://www.openrightsgroup.org/ (Stand 17. Aug. 2015).
- 2 Die PVK wird von den parlamentarischen Kommissionen mit Evaluationen beauftragt, bleibt in ihrer Arbeit jedoch unabhängig.
- 3 In der Regel zählen in der Schweiz die Gemeinden die Stimmzettel aus. Verschiedentlich werden die Stimmen der Auslandschweizerinnen und -schweizer zentral (vom Kanton) ausgezählt.
- 4 Die elektronische Auszählung ist bei Abstimmungen wie auch bei Wahlen möglich. Für Wahlen auf eidgenössischer Ebene – den Nationalratswahlen – wurde bisher jedoch noch kein Gesuch zur elektronischen Auszählung gestellt.
- 5 Die herkömmlichen Stimmzettel für eidgenössische Abstimmungen werden von der BK bereitgestellt. Für die elektronische Auszählung müssen jedoch von den Gemeinden/Kantonen auf den Scanner angepasste Stimmzettel geschaffen werden.
- 6 Hauptsächlich Handbuch für die Beobachtung neuer Wahltechnologie der OSZE (OSZE/BDIMR 2013).