Urteil des Bundesgerichts 2C_723/2013 vom 1. Dezember 2014

Tabaksteuer

  • October 18, 2015
  • Bearbeitet durch: Susanne Raas
  • Category of article: Leading decision
  • Field of Law: Andere-Abgaben-und-Steuern
  • Citation: Susanne Raas, Urteil des Bundesgerichts 2C_723/2013 vom 1. Dezember 2014, ASA online Grundsatzurteile
Urteil des Bundesgerichts 2C_723/2013 vom 1. Dezember 2014 i.S. Eidgenössische Zollverwaltung gegen A. Möglicher Zielkonflikt zwischen zwei Gesetzen.

Inhalt

  • Regeste
  • Aus den Erwägungen

Regeste ^

Die Tabaksteuer ist als Einphasensteuer ausgestaltet (E. 3.3.3). Wird die Steuer bei der Einfuhr erhoben, muss zu diesem Zeitpunkt bereits ein Preis feststehen, der später beim Verkauf nicht überschritten werden darf (Höchstpreis). Nur so kann sichergestellt werden, dass die Steuer bei der Einfuhr nicht zu tief festgesetzt wird. Da der Preis unterboten werden darf, besteht bei der Festsetzung von Höchstpreisen grundsätzlich keine Vermutung, dass der Wettbewerb im Sinn des Kartellgesetzes beseitigt wird. Weil die Tabaksteuer auf dem Höchstpreis berechnet wird, besteht jedoch ein Anreiz für den Importeur, diesen Preis möglichst tief anzusetzen. Wird der Höchstpreis so tief angesetzt, dass er faktisch zum Festverkaufspreis wird, steht dies im Widerspruch zum Kartellgesetz (E. 3.3 und 3.4). Zu welchem Preis das eingeführte Produkt später tatsächlich verkauft wird, ist für den Importeur oft kaum zu überwachen (E. 3.5). 

L'impôt sur le tabac est conçu comme un impôt à un seul stade (consid. 3.3.3). Lorsque l'impôt est prélevé à l'importation, un prix de revente de la marchandise doit déjà avoir été fixé, lequel ne pourra ensuite être dépassé (prix maximum). Seul ce système garantit que l'impôt prélevé à l'importation ne soit pas arrêté à un montant trop faible. En revanche, dans la mesure où il est ensuite possible d'abaisser le prix à la revente, la fixation d'un prix maximum ne laisse point supposer que la concurrence en soit entravée au sens de la loi sur les cartels. Toutefois, comme l'impôt à l'importation est fixé sur la base du maximum prévu, l'importateur aura tendance à abaisser ce montant autant que possible. Si le prix maximum ainsi déterminé est fixé suffisamment bas pour qu'il revienne de fait à un prix de vente fixe, il en résulte une violation de la loi sur les cartels (consid. 3.3 et 3.4). Sauf cas particulier, l'importateur ne pourra exercer que difficilement un contrôle sur le prix de revente réel (consid. 3.5).  

L'imposta sul tabacco è stata concepita come un'imposta monofase (consid. 3.3.3). Nella misura in cui l'imposta viene riscossa all'importazione, già in tale occasione deve essere fissato un prezzo non modificabile successivamente al momento della vendita (prezzo massimo). Soltanto in tal modo si può garantire che l'imposta all'importazione non verrà fissata in maniera troppo bassa. Nella misura in cui è possibile abbassare il prezzo, con la determinazione dei prezzi massimi non sussiste alcuna presunzione della soppressione della concorrenza ai sensi della Legge sui cartelli. Sennonché, dal momento che l'imposta sul tabacco viene calcola sul prezzo massimo, l'importatore è incentivato a fissare tale prezzo il più basso possibile. Se il prezzo viene fissato così basso da costituire di fatto un prezzo fisso di vendita, allora tale evenienza viola la Legge sui cartelli (consid. 3.3 e 3.4). Il prezzo al quale il prodotto importato viene poi realmente venduto, difficilmente può essere controllato dall'importatore (consid. 3.5). 

Aus den Erwägungen ^

3.3.2. Bei Einfuhr des Tabakfabrikats ins Zollinland schuldet die zollpflichtige Person die Tabaksteuer nach Massgabe des auf dem Tabakfabrikat aufgedruckten Kleinhandelspreises (Art. 10 Abs. 1 TStG [Bundesgesetz vom 21. März 1969 über die Tabakbesteuerung; SR 641.31]; […]). […]
3.3.3. Bei der zollpflichtigen Person kann es sich ebenso gut um einen Detaillisten wie um einen Grossisten handeln. So oder anders setzt das System der einphasigen Erhebung der Tabaksteuer voraus, dass im Zeitpunkt der Steuerveranlagung bereits zuverlässige Kenntnis über den am Ende der Handelskette zu bezahlenden Preis herrscht. Die gesetzliche Massgeblichkeit des aufgedruckten Detailhandelspreises, wie sie schon seit 1938 besteht (BBl 1967 I 117, 152) und ursprünglich ein Instrument des öffentlich-rechtlichen Preisschutzes war, ist für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden verbindlich (Art. 190 BV; vgl. hierzu BGE 140 II 194 E. 5.2 S. 196 f.; 137 I 23 E. 2.4.4 S. 28; 136 I 49 E. 3.1 S. 55; 136 II 120 E. 3.5.1 S. 130; 135 II 384 E. 3.1 S. 391). Dies schliesst nicht aus, dass das Bundesgericht die Verfassungsmässigkeit der streitbetroffenen bundesgesetzlichen Norm untersuchen darf (BGE 136 I 65 E. 3.2 S. 70 mit Hinweisen). Hierzu sind Bundesgesetze verfassungskonform auszulegen, sofern der klare Wortlaut oder der Sinn der betreffenden Gesetzesbestimmungen nicht etwas anderes gebietet (BGE 137 I 128 E. 4.3.1 S. 132).
3.3.4. Zeigt die Prüfung des Bundesgesetzes im formellen Sinn eine Verfassungswidrigkeit auf, sind das Bundesgericht und alle übrigen rechtsanwendenden Behörden aufgrund von Art. 190 BV unvermindert an die Norm gebunden (BGE 137 I 128 E. 4.3.2 S. 133). Anders als bei einer bundesrechtlichen Rechtsverordnung (BGE 139 II 460 E. 2.3 S. 463 f.; Urteil 2C_1174/2012 vom 16. August 2013 E. 1.7.2, in: ASA 82 S. 146 und 502) oder einem kantonalen oder kommunalen Erlass (Urteil 2C_599/2012 vom 16. August 2013 E. 1.6, in: ASA 82 S. 145, StE 2014 A 21.16 Nr. 16, StR 68/2013 S. 890) fällt es ausser Betracht, in vorfrageweiser Normenkontrolle den gestützt auf die generell-abstrakte Norm ergangenen individuell-konkreten Anwendungsakt aufzuheben. Das Bundesgericht kann lediglich den Bundesgesetzgeber einladen, die fragliche Bestimmung zu ändern (sog. «Appellentscheid»; BGE 139 I 180 E. 2.2 S. 185; 137 V 210 E. 5 S. 266; 136 I 49 E. 3.1 S. 55; 136 I 65 E. 3.2 S. 70; 136 II 120 E. 3.5.1 S. 130; 118 Ia 341 E. 5 S. 353; 117 Ib 367 E. 2f S. 373 f.; zum Ganzen Urteil 2C_1011/2012 / 2C_1012/2012 vom 5. Mai 2014 E. 4.3, in: ASA 83 S. 54, StR 69/2014 S. 523).
3.4.
3.4.1. Es ist freilich nicht zu übersehen, dass das regulatorische Umfeld mit der tabaksteuerlichen Gesetzesnovelle von 1969 eine grundlegende Umgestaltung erfahren hat. So sind insbesondere die bis dahin wirksamen Mindestpreise entfallen (BBl 1967 I 117, 152 ff., und namentlich die im Anschluss an das erfolgreiche Referendum erlassene Botschaft vom 28. August 1968 betreffend den Entwurf zu einem Bundesgesetz über die Tabakbesteuerung [BBl 1968 II 345, insb. 345 f.]). Aus der Pflicht des Preisaufdrucks (Art. 16 Abs. 1 lit. a TStG) und dem strafbewehrten Verbot, den Preisaufdruck zu überschreiten (Art. 10 Abs. 3 und Art. 36 Abs. 1 lit. h TStG), ergibt sich unter dem revidierten Recht aber die Notwendigkeit, dass der Endverkaufspreis längst feststeht, bevor der Kleinhandelsverkauf überhaupt Tatsache wird. Soll die ganze Vertriebskette (vom Importeur über den Grossisten bis zum jeweiligen Detaillisten) in die Preisgestaltung einbezogen werden, schafft dies erheblichen Koordinationsbedarf.
Abgesehen davon, dass jedenfalls kleinere und kleine Detaillisten in der Praxis kaum in diesen Prozess einbezogen werden dürften, erschwert dieses Konzept eine flexible Preisgestaltung. Das System der frühzeitig festzulegenden und alsdann starren Preise steht einem den jeweiligen Umständen angepassten kaufmännischen Verhalten zwangsläufig entgegen. Die Bundesverfassung sieht aber eine privatwirtschaftlich ausgestaltete Wirtschaftsordnung und namentlich eine Wettbewerbsordnung vor (Art. 94 und 96 BV; BGE 138 I 378 E. 6.3.2 S. 388). Vor diesem Hintergrund wirft die Konzeption der Tabaksteuer denn auch Fragen auf.
3.4.2. Die frühere Praxis hielt eine «kartellistische Struktur des Tabakhandels» für schützenswert (Urteil 2A.183/1991 vom 29. April 1992 E. 4c mit Hinweisen). Dem ist unter dem geltenden Kartellrecht nicht mehr zu folgen. Ausgangspunkt ist heute vielmehr das Prinzip, dass vertikale Preisbindungen vermutungsweise eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung begründen. Gemäss Art. 5 Abs. 4 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 1995 über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen (KG; SR 251) in der Fassung vom 20. Juni 2003 (AS 2004 1385; BBl 2002 2022, 5506) besteht diese Vermutung insbesondere bei Abreden zwischen Unternehmen verschiedener Marktstufen über  Mindest- oder  Festverkaufspreise (dazu Urteil 2A.430/2006 vom 6. Februar 2007 E. 4; vgl. BGE 137 II 199 E. 3.2 S. 206; 135 II 60 E. 2.1 S. 63).
Die Praxis bezeichnet dies als «Preisfestsetzung zweiter Hand» (Peter Reinert, in: Baker & McKenzie, Kommentar Kartellgesetz, 2007, N. 31 zu Art. 5 KG) bzw. «Preisbindung zweiter Hand» (Lucas David/Reto Jacobs, Schweizerisches Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., 2012, N. 659). Von einem Festpreis darf der Händler gar nicht abweichen, während er Mindestpreise nur, aber immerhin überbieten darf (Marc Amstutz/Blaise Carron/Mani Reinert, in: Vincent Martenet/Christian Bovet/Pierre Tercier, Commentaire romand, Droit de la concurrence, 2013, N. 565 zu Art. 5 KG).
Soweit die Parteien sich auf  Höchstverkaufspreise verständigen, besteht an sich keine Vermutung der Beseitigung wirksamen Wettbewerbs (Amstutz/Carron/Reinert, a.a.O., N. 576 zu Art. 5 KG; Jürg Borer, Wettbewerbsrecht I – Schweizerisches Kartellgesetz, 3. Aufl., 2011, N. 41 zu Art. 5 KG). Ein Höchstpreis hindert den Händler nicht, den Preis zu unterbieten (David/Jacobs, a.a.O., 661). Auch im tabaksteuerlichen Zusammenhang ist denkbar, dass ein Detaillist den aufgedruckten Kleinhandelspreis unterschreitet, was steuer- und steuerstrafrechtlich durchaus zulässig ist. Die Vermutung von Art. 5 Abs. 4 KG lebt aber auf, wenn die Beschränkungen infolge der Ausübung von Druck oder der Gewährung von Anreizen sich faktisch wie Mindest- oder Festverkaufspreise auswirken (Borer, a.a.O., N. 41 zu Art. 5 KG).
3.4.3. Das gesetzliche System bietet dem Importeur Anreize, den Kleinhandelspreis möglichst tief anzusetzen und dadurch die Tabaksteuerbelastung zu senken. Ebenso betriebswirtschaftlichem Denken entspringt es aber, den Endverkaufspreis derart anzusetzen, dass auf allen Vertriebsstufen eine angemessene Marge eintritt. Je kleiner die Marge der Detaillisten, umso mehr wird deren preislicher Spielraum eingeschränkt. Unter solchen Umständen erweist sich der aufgedruckte Preis faktisch als Festverkaufspreis, was mit Art. 5 Abs. 4 KG in Widerspruch steht.
3.5.
3.5.1. Die Verantwortung für die Einhaltung der auf den Kleinhandelspackungen aufgedruckten Höchstpreise tragen vorab die Detailhändler (vgl. Art. 36 Abs. 1 lit. h TStG; […]). Eine die Leistungspflicht ([…]) ergänzende Nachleistungspflicht der zollpflichtigen Person (Art. 12 Abs. 1 VStrR [Bundesgesetzes vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht; SR 313.0]), mit welcher die zu Unrecht unterbliebene oder unvollständig ausgefallene Veranlagung der Abgabe nachzuholen ist, setzt dagegen voraus, dass der Vorgang der zollpflichtigen Person als Widerhandlung überhaupt (ganz oder teilweise) zugerechnet werden kann. Erforderlich ist ein Tatbeitrag, was nichts mit der Frage zu tun hat, ob die zur Nachleistung herangezogene Person im Sinne von Art. 12 Abs. 2 VStrR subjektiv ein Verschulden trifft ([…]). Im geschilderten heutigen Umfeld ist es aber unrealistisch, davon ausgehen zu können, der Importeur verfüge über die erforderlichen Instrumente, um den aufgedruckten und deklarierten Kleinhandelspreis bis auf die letzte Handelsstufe zu bestimmen und notfalls korrigierend einzugreifen. Dies bedingte zum einen, dass der Markt überblickbar ist und klaren Vertriebsstrukturen folgt, zum andern müsste der Importeur über ein griffiges Interventions- und Sanktionssystem verfügen. Der heutige inländische Markt ist jedoch, wie auch aus den Erhebungen der Zollverwaltung hervorgeht, weitgehend internetgestützt, was eine «Überwachung» zumindest sehr anspruchsvoll macht. Vor allem aber hat der Importeur von Kartellrechts wegen nur beschränkten Einfluss auf die Preisgestaltung des nachfolgenden Handels (vorne E. 3.4).
3.5.2. Fehlt die Möglichkeit der Überwachung, der Intervention und der Sanktion, ist die Wirksamkeit des vom Importeur vorzunehmenden Preisaufdrucks von vornherein fraglich. Gerechtfertigt ist die Leistungspflicht der zollpflichtigen Person nur, wenn diese auch tatsächlich an der Steuergefährdung bzw. der Steuerhinterziehung (Art. 35 lit. a TStG) oder dem Abgabebetrug (Art. 14 Abs. 2 VStrR) mitwirkt, d.h. als Täterin oder Teilnehmerin einen relevanten Tatbeitrag setzt, wodurch sie in eigener Person einen Kausalzusammenhang zur Nachleistung begründet (vorne E. 3.4.1). Geht es um die solidarische Mithaftung, ist Art. 12 Abs. 3 VStrR einschlägig. Solidarisch mit der nach Art. 14 Abs. 2 VStrR primär zu belangenden Person haftet für den nachzuentrichtenden oder zurückzuerstattenden Betrag nur, wer entweder (selber) die Widerhandlung begangen hat, wobei hier Vorsatz verlangt wird, oder (zumindest) an ihr teilgenommen hat. In einem System des faktischen Höchstpreises, wie es die Tabaksteuergesetzgebung kennt, kann ein hinreichender Tatbeitrag aber gerade darin liegen, dass der Importeur einen unrealistisch tiefen Endverkaufspreis festsetzt, der den etwaigen Grossisten und den Detaillisten von vornherein keine vernünftige Marge belässt. Unter solchen Umständen ist die auf Detaillistenebene eintretende Preisüberschreitung (auch) dem Importeur zuzuschreiben.