Urteil des Bundesgerichts 2C_695/2017 vom 29. Oktober 2018

Identifikation der betroffenen Person über eine Kontonummer; «Listenersuchen»; Bedeutung des OECD-Kommentars

  • 11 février 2019
  • Traité par: Susanne Raas
  • Catégories d'articles: Arrêt de principe
  • Domaines juridiques: Assistance administrative internationale
  • Proposition de citation: Susanne Raas, Urteil des Bundesgerichts 2C_695/2017 vom 29. Oktober 2018 , ASA Online : Arrêt de principe
Urteil des Bundesgerichts vom 29. Oktober 2018 i.S. A. gegen Eidgenössische Steuerverwaltung (2C_695/2017).

Inhalt

  • 1. Regeste
  • 2. Sachverhalt (Zusammenfassung)
  • 3. Aus den Erwägungen

1.

Regeste ^

Ein «Listenersuchen», anhand dessen eine bestimmte Anzahl von Personen – z.B. mittels einer Kontonummer – identifiziert werden soll, ist kein Gruppenersuchen (E. 4.3 f.).
Der Unterschied zwischen einer Listenanfrage und einem Gruppenersuchen erscheint gering. Aus Gründen der Kohärenz sind in dieser Situation für die Frage der unzulässigen Beweisausforschung die Kriterien heranzuziehen, welche das Bundesgericht im Zusammenhang mit Gruppenersuchen entwickelt hat. Unter anderem müssen Anhaltspunkte für eine Missachtung steuerrechtlicher Verpflichtungen vorliegen. Solche können sich auch durch die Art und Weise ergeben, wie der ersuchende Staat Kenntnis von den Listen erlangt hat (E. 5.2 und 5.3.1).
Die Anforderungen an die voraussichtliche Erheblichkeit sind nicht höher, wenn das Ersuchen in erster Linie der Durchführung eines Steuerstrafverfahrens dient (E. 5.3.3).
Bestimmungen der Doppelbesteuerungsabkommen, welche dem OECD-Musterabkommen nachgebildet sind, werden auch im Licht von dessen Kommentar ausgelegt, welcher regelmässig angepasst wird. Soweit er sich auf eine Bestimmung des OECD-MA bezieht, welche im anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommen eine Entsprechung findet, erlaubt er somit eine evolutionäre Auslegung, welche den neuesten, von den Mitgliedstaaten der OECD anerkannten Standards entspricht (E. 4.1.2).

Une demande fondée sur une liste dont le but est – par le biais par exemple dun numéro de compte – lidentification dun nombre déterminé de personnes n’est pas une demande groupée (consid. 4.3 s.).
La distinction entre une demande fondée sur une liste et une demande groupée paraît délicate. Pour des raisons de cohérence, il convient d
appliquer à la première, afin dexaminer lexistence dune pêche aux renseignements prohibée, les critères développés par le Tribunal fédéral en lien avec la seconde. Il doit en particulier exister des indices de non-observation des obligations fiscales. Ceux-ci peuvent aussi résulter de la manière dont l’Etat requérant a pris connaissance de la liste (consid. 5.2 et 5.3.1).
Les exigences en matière de vraisemblable pertinence ne sont pas plus élevées lorsque la demande vise en premier lieu la poursuite d
’une procédure pénale fiscale (consid. 5.3.3).
Les dispositions de Conventions contre la double imposition fondées sur le Modèle de l
OCDE doivent aussi être interprétées à la lumière du Commentaire de lOCDE, régulièrement adapté. Dans la mesure où il se réfère à une disposition du Modèle qui se retrouve dans la Convention contre la double imposition applicable, il permet une interprétation dynamique correspondant aux derniers standards reconnus par les Etats membres de lOCDE (consid. 4.1.2).

2.

Sachverhalt (Zusammenfassung) ^

Am 2. April 2015 reichte das Bundeszentralamt für Steuern der Bundesrepublik Deutschland (nachfolgend: BZSt) in Vertretung des deutschen Bundesministeriums der Finanzen (nachfolgend: BMF) bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung (nachfolgend: ESTV) ein Amtshilfeersuchen ein. Darin wurden Angaben zu einem namentlich nicht bekannten «deutschen Steuerpflichtigen» erbeten, welcher «über das bekannte vorliegende Nummernkonto xxx bei der Zürcher Filiale der Bank B. AG.» identifiziert werden könne. Im Rahmen eines in Deutschland geführten Ermittlungsverfahrens sei die Erkenntnis gewonnen worden, dass der Inhaber dieses Nummernkontos seinen Kapitalstamm sowie die daraus resultierenden Erträge den deutschen Finanzbehörden möglicherweise verschwiegen habe. Es werde vermutet, dass der Inhaber des Kontos Fakten, Geschäftsvorfälle, Einkommen, Produkte oder Sonstiges verheimlicht habe und an einer Steuerhinterziehung beteiligt sein könnte.

Das BZSt stellte das Gesuch nach eigenen Angaben für die Zwecke der Einkommenssteuer sowie der Erbschafts- und Schenkungssteuer für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2011.

Auf Editionsverfügung der ESTV vom 23. Juli 2015 hin teilte die Bank B. AG mit, dass es sich beim Inhaber/Verfügungsberechtigten/Eröffner des in Frage stehenden Nummernkontos um A. handle.

Die ESTV entschied mit Schlussverfügung vom 7. Februar 2017, dem BZSt Amtshilfe betreffend A. zu leisten.

Gegen die Schlussverfügung vom 7. Februar 2017 erhob A. Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht.

Im Rahmen des Schriftenwechsels legte die ESTV dem Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme des BZSt vom 15. Mai 2017 vor. Darin wurde festgehalten, die deutsche Steuerverwaltung habe im Rahmen der Durchsuchung der Geschäftsräume einer Aktiengesellschaft mit Sitz in Frankfurt (nach Angaben von A. handelte es sich um die Bank B.) Dateiinhalte gesichert, welche auf einem inländischen Server gespeichert gewesen seien. Das Backup dieses Servers habe unter anderem Arbeitsplatzsicherungen von Mitarbeitenden dieser AG umfasst. Auf der Sicherung eines Personal Computers einer Mitarbeiterin sei eine Datei aufgefunden worden, aus welcher sich – sortiert nach Ländern – Informationen über Bankkundschaft in Form der Kundenstammnummern, des Alters, des Domizils sowie der Einlagehöhe ergeben hätten. Die «betroffenen Kontoinhaber/Personen» seien im Ersuchen versehentlich als «deutsche Staatsangehörige» bezeichnet worden; tatsächlich hätten sich die Ermittlungen in der Schweiz auf «in Deutschland ansässige deutsche Steuerpflichtige» beziehen sollen. Ungeachtet der Staatsbürgerschaft begründe der Wohnsitz bzw. gewöhnliche Aufenthalt einer natürlichen Person in Deutschland eine deutsche Steuerpflicht. Gleiches gelte für «nicht natürliche» Personen, welche ihren Geschäftssitz in Deutschland hätten. Gegen die Sicherstellung der erwähnten Datei seien bis dato keine Rechtsmittel eingelegt worden.

Mit Urteil vom 3. August 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ab.

A. erhebt am 21. August 2017 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Amtshilfe zu verweigern.

Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

3.

Aus den Erwägungen ^

1.3.1. Der Beschwerdeführer wirft die Rechtsfrage auf, ob ein Amtshilfeersuchen, welches ausser der Kontonummer keine Angaben zum Kontoinhaber – insbesondere weder Name noch Adresse – enthält, den abkommensrechtlichen Anforderungen an die Identifikation der betroffenen Person entspricht. Diese Frage werde in BGE 143 II 136 E. 5.3.2 nicht beantwortet. Ausserdem sei dem Bundesgericht bisher die Frage nicht vorgelegt worden, ob die Schweiz als ersuchter Staat auf ein Bündel von Einzelersuchen eintreten müsse, in denen der ersuchende Staat die von der Amtshilfe betroffenen Personen jeweils nur durch eine Kontonummer bezeichne. Aus dem Amtshilfeersuchen gehe hervor, dass das BZSt die verlangten Informationen primär in einem Steuerstrafverfahren verwenden wolle und ausser der Kontonummer und der Höhe des angelegten Vermögens keine Kenntnisse besitze. Es stelle sich die Grundsatzfrage, ob eine solche Anfrage eine «fishing expedition» sei. Schliesslich sei zu klären, ob es sich bei diesem «gebündelten» Amtshilfeersuchen um ein Gruppenersuchen oder um ein Individualersuchen handle. Die Frage sei von grundsätzlicher Bedeutung, weil auch andere Vertragsstaaten derartige Listenanfragen gestellt hätten.

1.3.2. In BGE 143 II 136 E. 5.3.2 wurde entschieden, dass der ersuchende Staat die Identifikation der steuerpflichtigen Person auch anders als durch Namensangabe, so etwa durch die Angabe einer Bankkontonummer, vornehmen könne. Allerdings hatte die ersuchende Behörde in jenem Fall weder Namen noch Kontonummern nennen können; es handelte sich um eine klassische Gruppenanfrage (vgl. E. 4.3 hiernach). Das Bundesgericht verneinte letztlich eine unzulässige «fishing expedition», weil der ersuchende Staat zusätzliche Identifikationsmerkmale genannt sowie die Tatsachen und Umstände, welche zum Ersuchen geführt hatten, bezeichnet hatte (vgl. BGE 143 II 136 E. 6.3 S. 159).

In BGE 143 II 628 ging es um die Zulässigkeit eines Amtshilfeersuchens betreffend eine bestimmte Anzahl Personen, welche (nur) durch ihre Kreditkartennummern identifizierbar sind (Listenersuchen). Gruppenersuchen und Listenersuchen ist gemeinsam, dass die ersuchende Behörde Name und Adresse der betroffenen Steuerpflichtigen nicht kennt. Mit Blick darauf hat das Bundesgericht entschieden, dass für Listenanfragen die bei Gruppenanfragen geltenden Kriterien heranzuziehen sind, um eine unzulässige Beweisausforschung anzunehmen bzw. auszuschliessen (BGE 143 II 628 E. 5.1 S. 642).

1.3.3. Im vorliegenden Fall hat die ersuchende Behörde im Zusammenhang mit der Identifikation eine Kontonummer angegeben sowie darauf hingewiesen, dass der Kontoinhaber in Deutschland steuerpflichtig sei. Ferner hat sie die Vermutung geäussert, der Kontoinhaber habe möglicherweise seinen Kapitalstamm und die daraus resultierenden Erträge verschwiegen. Der von der Vorinstanz festgestellte Sachverhalt ist gestützt auf Art. 105 Abs. 2 BGG zu ergänzen: Im Ersuchen vom 2. April 2015 wird gesagt, aufgrund der Höhe der Kapitaleinlage (ca. Fr. 83 Mio.) könne der Verdacht einer Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall im Sinn von § 370 Abs. 3 der deutschen Abgabeordnung nicht ausgeschlossen werden.

Es stellt sich die Frage, ob die erwähnten Angaben ausreichend sind, um eine Pflicht zur Amtshilfeleistung auszulösen, oder ob dafür zusätzlich konkrete Hinweise (und nicht nur Vermutungen) auf eine möglicherweise unrichtige Versteuerung vorliegen müssen. Die Frage wurde in dieser Form vom Bundesgericht noch nicht behandelt. Sie kann sich in weiteren Amtshilfefällen in gleicher oder ähnlicher Weise stellen, und sie ist entscheidwesentlich. Das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist daher zu bejahen. Das Bundesgericht tritt somit auf die Beschwerde ein und prüft die Rügen nach Massgabe von Art. 95 ff. und Art. 105 ff. BGG umfassend, nicht nur in Bezug auf diejenigen Fragen, welche von grundlegender Bedeutung sind (BGE 141 II 14 E. 1.2.2.4); ob es sich bei den weiteren vom Beschwerdeführer erwähnten Fragen um Grundsatzfragen handelt, kann daher dahingestellt bleiben.

[…]

3.

3.1. Anlass des Amtshilfeersuchens bildet ein «Datenfund», den deutsche Steuerprüfungsbehörden bei der Durchsuchung der Geschäftsräume der Bank B. (dass es sich um sie handelt, ist unbestritten geblieben) in Frankfurt gemacht haben. Gemäss der Stellungnahme des BZSt vom 15. Mai 2017 mit integrierter «Chronologie der Amtshilfeersuchen an die Schweiz im Zusammenhang mit enttarnten Kontonummern», nach Angaben des BZSt erstellt durch die inländische (also deutsche) Landesfinanzbehörde, enthielten die Dateien «sortiert nach Ländern (gemeint wohl: Staaten), Informationen über Bankkundschaft in Form der Kundenstammnummern, des Alters, des Domizils sowie der Einlagehöhe». Es geht daraus nicht vollständig hervor und wurde von der Vorinstanz nicht thematisiert, wie die Parameter miteinander verknüpft waren. Jedenfalls wurde die Einlagehöhe von ca. Fr. 83 Mio. dem Nummernkonto zugeordnet (vgl. E. 1.3.3 hiervor). Sodann konnte das BZSt anscheinend davon ausgehen, dass der oder die Kontoinhaber in Deutschland domiziliert war bzw. waren, wobei aber der genaue Ort unbekannt war (ansonsten dürfte eine direkte Identifikation möglich gewesen sein). Schliesslich ist unklar, ob mit «Alter» das Geburtsdatum gemeint war. Das BZSt machte zum Alter bzw. Geburtsdatum des gesuchten Kontoinhabers keine Angaben, sei es, dass dieser Parameter nicht mit der Kontonummer verknüpft war, sei es, dass diese Information nicht als zielführend erachtet wurde. Zusammenfassend wusste das BZSt bei der Einreichung des Ersuchens, dass im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2011 mindestens eine in Deutschland steuerpflichtige Person Inhaber bzw. Inhaberin eines Kontos mit der Nummer xxx bei einer Zürcher Filiale der Bank B. AG oder über dieses Konto verfügungsberechtigt war, und dass sich auf dem Konto ein Betrag von ca. Fr. 83 Mio. befand.

3.2. - 3.5 […]

4.

Mit Blick auf die Anforderungen an das Ersuchen ist vorab auf die Frage einzugehen, ob das Amtshilfeersuchen des BZSt, welches Teil einer Listenanfrage ist, als Einzel- oder als Gruppenersuchen zu behandeln ist.

4.1. Die rechtliche Grundlage für die Leistung von Amtshilfe bei Gruppenersuchen muss sich aus dem einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen ergeben (BGE 143 II 136 E. 4.4 und E. 5). Bei dessen Auslegung sind die Regeln des Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge (VRK; SR 0.111), insbesondere Art. 31 f. VRK, zur Anwendung zu bringen (BGE 144 II 130 E. 8.2 S. 138).

4.1.1. [Ausführungen zur VRK]

4.1.2. Der Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten befindet sich in steter Entwicklung. Das internationale rechtliche Umfeld als Ausfluss von Arbeiten wie denjenigen der OECD, an denen die Schweiz aktiv mitwirkt, ist bei der Bestimmung der Tragweite eines Doppelbesteuerungsabkommens zu berücksichtigen. So werden die Bestimmungen der Doppelbesteuerungsabkommen, welche dem OECD-MA nachgebildet sind, nicht nur im Licht dieses Texts ausgelegt, sondern auch im Licht von dessen Kommentar; dieser ist in der jüngsten Rechtsprechung als wichtige Ergänzung bezeichnet worden. Der OECD-Kommentar wird regelmässig angepasst. Soweit er sich auf eine Bestimmung des OECD-MA bezieht, welche im anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommen eine Entsprechung findet, erlaubt er somit eine evolutionäre Auslegung, welche den neuesten, von den Mitgliedstaaten der OECD anerkannten Standards entspricht (BGE 144 II 130 E. 8.2.3 S. 140; 143 II 136 E. 5.2.3 S. 149).

4.2. Das DBA CH-DE [Abkommen vom 11. August 1971 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen; SR 0.672.913.62] enthält keine Ausführungen betreffend Gruppenanfragen. Auch im OECD-MA und im OECD-Kommentar waren ursprünglich Gruppenanfragen nicht explizit vorgesehen. Erst das Update des OECD-Kommentars vom 17. Juli 2012 zu Art. 26 OECD-MA enthält folgende Passage (Ziff. 5.2):

Cependant, lorsque la demande concerne un groupe de contribuables non identifiés individuellement, il sera souvent plus difficile d’établir que la demande ne constitue pas une pêche aux renseignements, dans la mesure où l’État requérant ne peut se référer à une enquête en cours sur un contribuable déterminé, ce qui suffirait, en soi, dans la plupart des cas à écarter l’idée que la demande est aléatoire ou spéculative. Dans de tels cas, il est donc nécessaire que l’État requérant fournisse une description détaillée du groupe ainsi que les faits et circonstances qui ont mené à la demande, une explication de la loi applicable et pourquoi il y a des raisons de penser que les contribuables du groupe faisant l’objet de la demande n’ont pas respecté cette loi, étayée par une base factuelle claire. En outre, il est exigé de montrer que les renseignements demandés aideraient à déterminer la discipline fiscale des contribuables du groupe. (...) Par ailleurs, et comme l’illustre l’exemple (a) du paragraphe 8.1, une demande sur un groupe de contribuables qui se contente d’indiquer que des services financiers ont été fournis à des non-résidents et de mentionner la possibilité que ces derniers n’aient pas respecter (recte: respecté) leurs obligations fiscale (recte: fiscales) ne satisfait pas la norme de pertinence vraisemblable.

4.3. Es erübrigt sich vorliegend darauf einzugehen, ob Gruppenanfragen vom DBA CH-DE (die Frage wurde vom Bundesgericht bejaht in Bezug auf das DBA CH-NL; vgl. BGE 143 II 136) erfasst werden: Wie nachfolgend dargelegt wird, handelt es sich bei der Listenanfrage des BZSt, in deren Rahmen das Ersuchen vom 2. April 2015 gestellt wurde, nicht um ein Gruppenersuchen (weder im Sinn des OECD-Kommentars noch des StAhiG).

4.4. Art. 3 lit. c StAhiG enthält eine Definition für Gruppenersuchen ([…]). Die Besonderheit von Gruppenersuchen liegt auch – aber nicht nur – darin, dass die ersuchende Steuerbehörde die Namen und Adressen der betroffenen Personen nicht kennt (enger gefasst noch im Urteil 2C_54/2014 vom 2. Juni 2014 E. 3.2, entsprechend der Botschaft vom 16. Oktober 2013 zur Änderung des Steueramtshilfegesetzes [BBl 2013 8369 8376]). Ein Gruppenersuchen bezieht sich auf eine unbestimmte Anzahl steuerpflichtiger Personen, die nicht einzeln identifizierbar sind. Auch die zitierte Passage von Ziff. 5.2 des OECD-Kommentars (vgl. E. 4.2 hiervor) enthält die Wendung «un groupe de contribuables non identifiés individuellement». Charakteristisch für das Gruppenersuchen ist, dass Personen unbestimmter Anzahl anhand eines identischen Verhaltensmusters zu identifizieren sind (vgl. BGE 143 II 628 E. 5.1 S. 642). Eine derartige Konstellation war in BGE 143 II 136 zu beurteilen (a.a.O. E. 6.3). Soll eine bestimmte Anzahl Personen anhand von Kontonummern identifiziert werden, liegt kein Gruppenersuchen vor, denn diese Personen sind einzeln durch die jeweilige Kontonummer identifizierbar (vgl. BGE 143 II 628 E. 4.4 S. 641 und E. 5.1 S. 642). Daran ändert die Tatsache nichts, dass eine Kontonummer unter Umständen mehr als einer Person zugeordnet werden kann. Im Gegensatz zu einem definierten Verhaltensmuster stellt eine Kontonummer ein stärker identifizierendes Merkmal dar (vgl. auch die Botschaft vom 3. Dezember 2010 zur Genehmigung eines Protokolls zur Änderung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und Deutschland auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, BBl 2011 485 496). Das Element der Kontonummer figuriert denn auch unter den «identifizierenden Informationen» im Sinn von Ziff. 3 lit. b Unterabsatz aa) des Protokolls zum DBA CH-DE [ebenfalls unter SR 0.672.913.62].

4.5. Das BZSt hat der ESTV eine Liste mit Kontonummern vorgelegt. Nach dem in E. 4.4 Gesagten handelt es sich dabei nicht um eine Gruppenanfrage. Hier geht es um ein Einzelersuchen, bei dem die Identifikation anders als durch den Namen, nämlich durch Angabe der Kontonummer erfolgt. Allerdings erfolgte dieses Einzelersuchen im Rahmen einer Listenanfrage bzw. ist als Teil einer Listenanfrage zu betrachten, bei welcher eine Anzahl von Personen in den Blick genommen wird, von welchen nur wenige Angaben – hier im wesentlichen die Kontonummern – bekannt sind (vgl. zu den sich daraus ergebenden Konsequenzen E. 5.2 hiernach). Die Möglichkeit von Einzelersuchen, bei denen die Identifikation anders als durch den Namen erfolgt, haben die Vertragsparteien in der Verständigungsvereinbarung vom 15. Dezember 2011 [AS 2012 5261] vorgesehen ([…]).

4.5.1. Wie bereits ausgeführt, hält Ziff. 3 lit. b des Protokolls zum DBA CH-DE in Unterabsatz aa) fest, dass der ersuchende Staat hinreichende Angaben zur Identifizierung der in eine Überprüfung oder Untersuchung einbezogenen Person zu übermitteln hat. Dabei wird in einer Klammer ausgeführt, anzugeben sei «typischerweise» der Name. Damit ergibt sich ohne weiteres, dass die Identifizierung auch anders als durch den Namen erfolgen kann. Wenn somit in der Verständigungsvereinbarung vom 15. Dezember 2011 festgehalten wird, dass die Identifikation der steuerpflichtigen Person auch auf andere Weise als durch Angabe des Namens und der Adresse erfolgen kann, so werden dadurch gegenüber dem Protokoll zum DBA CH-DE keine weitergehenden Rechte oder Pflichten begründet. Im Übrigen beruht die Verständigungsvereinbarung vom 15. Dezember 2011 auf einem dem Staatsvertragsreferendum unterstellten Bundesbeschluss ([…]; ferner BGE 143 II 136 E. 5.3.3 S. 151).

4.5.2. Nachdem das BZSt die Kontonummer des Beschwerdeführers im Ersuchen angegeben hat, ist das Erfordernis der Identifizierung durch den ersuchenden Staat gemäss Ziff. 3 lit. b Unterabsatz aa) des Protokolls zum DBA CH-DE i.V.m. lit. a der Verständigungsvereinbarung vom 15. Dezember 2011 ([…]) erfüllt. Die übrigen Anforderungen nach Ziff. 3 lit. b Unterabsätze bb) bis ee) des Protokolls zum DBA CH-DE sind unbestrittenermassen erfüllt. Das Ersuchen enthält damit alle Angaben, welche abkommensrechtlich verlangt sind.

5.

Es bleibt zu prüfen, ob das Ersuchen des BZSt eine unzulässige Beweisausforschung darstellt.

5.1. [Zur Beweisausforschung/«fishing expedition»]

5.2. Wird ein Einzelersuchen ohne Namensangabe – wie hier – im Rahmen einer Listenanfrage eingereicht bzw. ist es als Teil einer Listenanfrage zu betrachten, erscheint der Unterschied zu einem Gruppenersuchen geringfügig. Aus Gründen der Kohärenz sind in dieser Situation für die Frage der unzulässigen Beweisausforschung die Kriterien heranzuziehen, welche das Bundesgericht im Zusammenhang mit Gruppenersuchen entwickelt hat (BGE 143 II 628 E. 5.1 S. 642): 1. Der ersuchende Staat muss eine detaillierte Umschreibung der betreffenden Gruppe vorlegen; darin müssen die spezifischen Tatsachen und Umstände, welche zu der Anfrage geführt haben, dargestellt sein. 2. In dem Ersuchen müssen die anwendbaren steuerrechtlichen Bestimmungen dargelegt sein sowie die Gründe, welche die Annahme rechtfertigen, die der Gruppe angehörenden steuerpflichtigen Personen seien ihren steuerrechtlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen. 3. Der ersuchende Staat muss aufzeigen, dass die verlangten Informationen geeignet sind, die Erfüllung dieser Verpflichtungen herbeizuführen (BGE 143 II 628 E. 5.2 S. 642; 143 II 136 E. 6.1.2 S. 157). Nach dem Gesagten verlangt die Rechtsprechung – entgegen der Auffassung der ESTV – bei Gruppenersuchen den Nachweis von Tatsachen, die auf ein gesetzeswidriges Verhalten der Gruppenangehörigen hindeuten. Es müssen konkrete Anhaltspunkte für eine Missachtung steuerrechtlicher Verpflichtungen vorliegen; Gruppenanfragen zu blossen Veranlagungszwecken ohne Verdachtsmomente werden nicht zugelassen (BGE 143 II 136 E. 6.1.2 S. 157). Dies gilt gemäss BGE 143 II 628 E. 5.1 in gleicher Weise in Bezug auf Listenanfragen. Geht es um eine Liste von potenziell Steuerpflichtigen, die durch die Kontonummern individualisiert sind, müssen sich die Verdachtsmomente nicht auf die einzelnen Individuen beziehen, wohl aber in allgemeiner Weise auf die Angehörigen dieser Gruppe (vgl. BGE 143 II 628 E. 5.4 S. 644). Im Übrigen ist unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben (BGE 143 II 224 E. 6) für die Beurteilung der voraussichtlichen Erheblichkeit der verlangten Informationen nicht entscheidend, aus welcher Quelle sich die Verdachtsmomente ergeben. Massgebend ist einzig der Bezug zwischen diesen Informationen und dem im Gesuch dargelegten Sachverhalt (Urteil 2C_893/2015 vom 16. Februar 2017 E. 12.3, nicht publ. in BGE 143 II 202). Je nach den Umständen kann auch die Art und Weise, wie der ersuchende Staat Kenntnis von den Listen erlangt hat, den Verdacht begründen, dass die Kontoinhaber ihre steuerrechtlichen Verpflichtungen nicht eingehalten haben.

5.3. Das BZSt verlangt Aufschluss über die Identität einer bestimmten, in Deutschland steuerpflichtigen Person, deren Kontonummer und Einlagehöhe ihm bekannt sind. In seiner Stellungnahme vom 15. Mai 2017 hat das BZSt die Umstände geschildert, welche zum Ersuchen geführt haben. Im Zusammenhang mit der Vermutung, der Inhaber des Nummernkontos habe eventuell seinen Kapitalstamm und die daraus resultierenden Beträge verschwiegen, hat das BZSt auch die anwendbaren Rechtsgrundlagen genannt (vgl. E. 1.3.3). Zu prüfen bleibt, ob das BZSt Tatsachen nachgewiesen hat, welche auf ein gesetzwidriges Verhalten des Beschwerdeführers hindeuten.

5.3.1. Die Tatsache allein, dass das BZSt die Kontonummer kennt und weiss, dass darauf eine hoher Geldbetrag liegt, stellt für sich allein genommen kein Indiz dafür dar, dass dieser Geldbetrag nicht oder nicht ordnungsgemäss versteuert wurde. Ausschlaggebend ist, dass gemäss der Schilderung des BZSt durch einen Zufallsfund Listen mit Kundendaten in Form von Kundenstammnummern, Alter, Domizil und Einlagehöhe in einer verborgenen Datei auf dem Personal Computer einer Mitarbeiterin gesichert werden konnten. Der Umstand, dass diese Daten nicht regulär im Systembackup der Bank vorhanden waren, kann als Indiz dafür gewertet werden, dass die betreffenden Konten möglicherweise verdeckt geführt werden sollten und allenfalls nicht gesetzeskonform deklariert worden waren. Dieses Indiz in Kombination mit den übrigen Umständen (Ermittlungsverfahren bei der Bank mit anschliessender Beschlagnahmung der Daten sowie hohe Summe auf dem betreffenden Konto) stellt einen konkreten Hinweis auf Unregelmässigkeiten dar. Eine unzulässige Beweisausforschung ist zu verneinen.

5.3.2. [Der Einwand des Beschwerdeführers, der Betrag auf dem Konto werfe keine Erträge ab und es habe im massgeblichen Zeitraum auch kein Vermögensübergang stattgefunden, so dass weder die Einkommenssteuer noch die Schenkungs- und Erbschaftssteuer betroffen sei, verfängt nicht.]

5.3.3. Dem Beschwerdeführer kann auch nicht gefolgt werden in der Auffassung, die Anforderungen an die voraussichtliche Erheblichkeit seien höher, wenn das Ersuchen in erster Linie für ein Steuerstrafverfahren verwendet würde. Dieser Zweck ist der Regelfall, geht es doch in Konstellationen wie der vorliegenden zumeist um Steuerhinterziehung. Dass das BZSt den Verdacht der Steuerhinterziehung in einem (nach deutschem Recht) besonders schweren Fall geäussert hat, ändert nichts daran, dass die Angelegenheit unter das DBA CH-DE fällt. Das Vorbringen, die Schweiz würde im vorliegenden Fall keine Rechtshilfe leisten, geht somit an der Sache vorbei. Richtig ist, dass die Schwelle für die voraussichtliche Erheblichkeit der zu übermittelnden Informationen bei Gruppenersuchen höher anzusetzen ist, um «fishing expeditions» zu verhindern (BGE 143 II 136 E. 6.3 S. 158), und dass dies gleichermassen für Listenanfragen gelten muss (vgl. BGE 143 II 628 E. 5.1 S. 642). Wie dargelegt erreicht jedoch das Ersuchen des BZSt die geforderte Schwelle (vgl. E. 5.3.1).

[…]