Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5424/2020 vom 24. Juni 2021

Amtshilfe (DBA CH-ES): kein Wechsel ins Verfahren ohne Information, wenn die Person bereits informiert wurde

  • Traité par: Susanne Raas
  • Catégories d'articles: Arrêt de principe
  • Domaines juridiques: Assistance administrative internationale
  • Proposition de citation: Susanne Raas, Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5424/2020 vom 24. Juni 2021, ASA Online : Arrêt de principe
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 2021 i.S. X. gegen Eidgenössische Steuerverwaltung (A-5424/2020).

Inhalt

  • 1. Regeste
  • 2. Sachverhalt (Zusammenfassung)
  • 3. Aus den Erwägungen

1.

Regeste ^

Wurde die beschwerdeberechtigte Person bereits über das Amtshilfeverfahren informiert, ist ein nachträglicher Wechsel in das ausnahmsweise zur Verfügung stehende (innerstaatliche) Verfahren ohne vorgängige Information (Art. 21a Abs. 1 StAhiG) nicht mehr möglich. Mit «Information» ist die Information betreffend das Amtshilfeersuchen gemeint. Andere – allenfalls auf den ersten Blick weniger weitgehende – Einschränkungen von Verfahrensrechten lassen sich aus dem genannten Artikel nicht ableiten (Auslegung der Gesetzesbestimmung; E. 2).

Si la personne habilitée à recourir a déjà été informée de la procédure dassistance administrative, un changement ultérieur vers la procédure (nationale) sans information préalable (art. 21a al. 1 LAAF) – exceptionnellement applicable – nest plus possible. Par «information», on entend linformation concernant la demande dassistance administrative. Dautres restrictions – à première vue moins importantes – des droits procéduraux ne peuvent être déduites de larticle précité (interprétation de la disposition légale ; consid. 2).

2.

Sachverhalt (Zusammenfassung) ^

Nachdem die spanische Steuerbehörde, die Agencia Tributaria (AT; nachfolgend auch: ersuchende Behörde), am 28. Juli 2016 gestützt auf Art. 25bis des Abkommens vom 26. April 1966 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und Spanien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (SR 0.672.933.21; nachfolgend: DBA CH-ES) ein Amtshilfeersuchen an die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV; nachfolgend auch: Vorinstanz) gestellt hatte, informierte Letztere X. via die Informationsinhaberin über das Amtshilfeersuchen.

Am 21. Dezember 2016 setzte die ESTV X. darüber in Kenntnis, dass die Bearbeitung des Ersuchens längere Zeit in Anspruch nehmen werde und sie sich nach abgeschlossener Informationsbeschaffung betreffend Akteneinsicht melden werde. Weiter teilte sie mit, dass in der Zwischenzeit keine Übermittlung der Informationen an die spanische Behörde erfolgen werde.

Mit Urteil vom 26. Juli 2019 erkannte das Bundesgericht in einem Amtshilfeverfahren betreffend ein französisches Ersuchen, welches auf Daten derselben Quelle basierte, dass Amtshilfe zu leisten sei (Urteil des BGer 2C_653/2018 vom 26. Juli 2019 [teilweise publiziert in: BGE 146 II 150]). Die schriftliche Urteilsbegründung wurde im Dezember 2019 veröffentlicht.

Mit Schreiben vom 16. Januar 2020 informierte die ESTV die ersuchende Behörde über die neusten Entwicklungen in der Rechtsprechung. Weiter äusserte sie ihre Ansicht, wonach die gemäss spanischem Recht geltende Verjährungsfrist von vier Jahren in Anwendung von Ziff. IV Absatz 6 des Protokolls zum DBA CH-ES (welches integrierender Bestandteil des DBA CH-ES bildet; ebenfalls unter SR 0.672.933.21) mit Einreichung des Amtshilfeersuchens unterbrochen worden sei. Im Lauf der nachfolgenden Korrespondenz stellte die ersuchende Behörde klar, dass die vierjährige Verjährungsfrist durch die Einreichung des Ersuchens nicht unterbrochen worden sei. Folglich seien allfällige Steuerforderungen betreffend die Steuerjahre 2012 bis 2014 bereits verjährt und drohten betreffend das Jahr 2015 im Juni 2020 ebenfalls zu verjähren. Die ersuchende Behörde bat daher, von einer Information der betroffenen Personen betreffend Amtshilfeleistung zum Steuerjahr 2015 abzusehen. Mit E-Mail vom 5. März 2020 teilte die ESTV der AT mit, dass sie die Voraussetzungen für eine Übermittlung der ersuchten Informationen für das Jahr 2015 ohne vorgängige Information der betroffenen Personen als gegeben erachte.

Mit einer auf den 23. April 2020 datierten Schlussverfügung ordnete die ESTV in Anwendung von Art. 21a des Steueramtshilfegesetzes vom 28. September 2012 (StAhiG, SR 651.1) die Amtshilfeleistung betreffend X. für den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2015 an. Die entsprechende Informationsübermittlung an die spanische Behörde erfolgte gleichentags auf elektronischem Weg. Die Schlussverfügung vom 23. April 2020 wurde X. am 1. Oktober 2020 eröffnet.

Die ESTV begründete die sofortige Datenübermittlung in Anwendung von Art. 21a StAhiG und die damit einhergehende Beschränkung der Verfahrensrechte in der Schlussverfügung damit, dass es sich bei der drohenden Verjährung nach dem Willen des Gesetzgebers, der sich vom internationalen Standard habe leiten lassen, um einen Anwendungsfall von Art. 21a StAhiG handle und die ersuchende Behörde vorliegend die Dringlichkeit wegen drohender Verjährung glaubhaft gemacht habe. In Anbetracht der geltenden Fristen (Übermittlung der erforderlichen Informationen bis spätestens Mitte Mai 2020) und der Anzahl der betroffenen Fälle könne die Einhaltung der Verfahrensregeln bezüglich der Rechte des Steuerpflichtigen nicht gewährleistet werden. Die Tatsache, dass die betroffene Person bereits über das Amtshilfeersuchen informiert wurde, schliesse die Anwendung von Art. 21a StAhiG nicht aus. Die Norm berücksichtige zwar explizit nur die Situation zum Zeitpunkt der Einreichung eines Amtshilfeersuchens. Eine teleologische Auslegung führe jedoch zum Schluss, dass die Anwendung von Art. 21a StAhiG nicht vom Stand des Amtshilfeverfahrens abhängen könne. Zudem stelle es einen verhältnismässigeren Eingriff in die Rechte der betroffenen Personen dar, wenn ihnen noch ein Mindestmass an Informationen garantiert werde, wo dies möglich sei.

Dagegen liess X. (nachfolgend: Beschwerdeführer) mit Eingabe vom 2. November 2020 Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht erheben und insbesondere beantragen, es sei die Rechtswidrigkeit der Schlussverfügung der ESTV vom 23. April 2020 festzustellen.

Der Beschwerdeführer beanstandet vorab eine rechtswidrige Anwendung von Art. 21a StAhiG. Die vierjährige Verjährungsfrist sei bereits im Amtshilfeersuchen kommuniziert worden. Die ESTV habe es verpasst, die Frage der Verjährung rechtzeitig anzugehen. Deshalb habe sie sich notgedrungen auf den einzigen Ausnahmeartikel stützen müssen, der die Informationsübermittlung noch vor Eintritt der Verjährung erlaubt habe. Vor diesem Hintergrund entbehre das Argument der Dringlichkeit jeder vernünftigen Grundlage. Zudem verstosse das Vorgehen der ESTV gegen Treu und Glauben. Sie habe ihm nämlich im Zusammenhang mit der aufgeschobenen Akteneinsicht ausdrücklich zugesichert, dass in der Zwischenzeit keine Daten übermittelt würden. Mit Bezug auf das Amtshilfeersuchen bringt der Beschwerdeführer vor, dass das DBA CH-ES mangels eines steuerlichen Wohnsitzes auf ihn nicht anwendbar sei und das vorliegende Listenersuchen eine unzulässige «fishing expedition» darstelle.

3.

Aus den Erwägungen ^

1.

1.1 […]

1.2 […]

Mit dem Erlass der hier angefochtenen Schlussverfügung gestützt auf Art. 21a StAhiG hat die ESTV die darin angeordnete Amtshilfeleistung gleichentags und damit noch vor Eröffnung der Schlussverfügung an den Beschwerdeführer vollstreckt. Wird gegen eine solche Schlussverfügung Beschwerde erhoben, so kann gemäss Art. 21a Abs. 2 StAhiG lediglich – wie dies der Beschwerdeführer getan hat – die Feststellung der Rechtswidrigkeit verlangt werden. […]

1.3 […]

2.

In einem ersten Schritt ist vorliegend zu klären, ob die Vorinstanz zu Recht das Verfahren mit nachträglicher Information der beschwerdeberechtigten Personen gemäss Art. 21a StAhiG angewandt hat. Dabei ist vorab die Rechtsfrage zu beantworten, ob Art. 21a StAhiG nach seinem Sinngehalt auch auf Konstellationen – wie die vorliegende – anwendbar ist, in denen eine Information über das Ersuchen bereits erfolgt ist. Hierzu ist die Norm auszulegen.

2.1 Ausgangspunkt jeder Auslegung ist der Wortlaut, wobei bei Erlassen des Bundesrechts die Fassungen in den drei Amtssprachen gleichwertig sind. Ist der Text nicht ohne Weiteres klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, muss nach der wahren Tragweite der Bestimmung gesucht werden. Vom Wortlaut kann abgewichen werden, wenn triftige Gründe für die Annahme bestehen, dass er nicht den wahren Sinn der Vorschrift wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte, aus Sinn und Zweck der Norm oder aus dem Zusammenhang mit anderen Gesetzesbestimmungen ergeben (statt vieler: BGE 146 II 111 E. 2.3.2, 143 II 268 E. 4.3.1, 143 II 202 E. 8.5). Bei der Auslegung sind alle Auslegungselemente zu berücksichtigen (Methodenpluralismus; BGE 143 I 109 E. 6, 143 III 453 E. 3.1, 141 I 78 E. 4.2). Es sollen alle jene Methoden kombiniert werden, die für den konkreten Fall im Hinblick auf ein vernünftiges und praktikables Ergebnis am meisten Überzeugungskraft haben. Sind mehrere Lösungen denkbar, ist jene zu wählen, die der Verfassung entspricht (BGE 143 V 114 E. 5.2, 140 II 495 E. 2.3; BVGE 2018/33 E. 3.4.2.1, 2016/25 E. 2.6.4.1).

2.2 Art. 21a StAhiG wurde erst nachträglich in das StAhiG eingefügt und trat am 1. August 2014 in Kraft (AS 2014 2309). Die Bestimmung trägt den Randtitel «Verfahren mit nachträglicher Information der beschwerdeberechtigten Personen» und hat folgenden Wortlaut:

«Die ESTV informiert die beschwerdeberechtigten Personen ausnahmsweise erst nach der Übermittlung der Informationen mittels Verfügung über ein Ersuchen, wenn die ersuchende Behörde glaubhaft macht, dass der Zweck der Amtshilfe und der Erfolg ihrer Untersuchung durch die vorgängige Information vereitelt würden».

2.2.1 Die Bestimmung statuiert ausdrücklich, dass es sich um eine Ausnahmeregelung handelt (vgl. zum Ausnahmecharakter ferner: Moritz Seiler, in: Zweifel/Beusch/Oesterhelt [Hrsg.], Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Amtshilfe, 2020, § 11 Rz. 8, S. 400). Tatbestand bildet das Glaubhaftmachen der ersuchenden Behörde, dass der Zweck der Amtshilfe und der Erfolg ihrer Untersuchung durch die vorgängige Information vereitelt wird. Rechtsfolge ist die nachträgliche (d.h. nach erfolgter Amtshilfeleistung) Information über ein Ersuchen mittels Verfügung. Auf der Ebene des Tatbestands ist verlangt, dass der Amtshilfezweck und der Untersuchungserfolg der ersuchenden Behörde durch die vorgängige Information vereitelt würden. Die Präposition «durch» bringt zum Ausdruck, dass die vorgängige Information zumindest mitursächlich für die Vereitelung des Amtshilfezwecks und des Untersuchungserfolgs sein muss. Der Begriff der «vorgängigen Information» ist nach dem allgemeinen Sprachgebrauch unspezifisch und könnte sich auf jede im Rahmen des rechtlichen Gehörs erfolgte Orientierung beziehen. Aus dem Sinnzusammenhang der Norm bzw. der zeitlogischen Abfolge von Tatbestand und Rechtsfolge wird jedoch klar, dass mit der tatbestandsmässigen «vorgängigen Information» nur die auch in der Rechtsfolge erwähnte «Information über das Ersuchen» gemeint sein kann: Wurde bereits über das Ersuchen informiert, könnte eine entsprechende Information über das Ersuchen nämlich nicht mehr unterlassen werden. Die französische bzw. italienische Sprachfassung von Art. 21a StAhiG ist identisch konzipiert und führt zu keinen anderen Schlüssen.

2.2.2 Die grammatikalische Auslegung ergibt, dass Art. 21a StAhiG nur auf Konstellationen anwendbar ist, in denen die Information der beschwerdeberechtigten Personen über ein Ersuchen den Amtshilfezweck bzw. den Untersuchungserfolg vereiteln könnte, was von der ersuchenden Behörde glaubhaft zu machen ist. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass Art. 21a StAhiG nach seinem Wortlaut nicht auf Konstellationen zugeschnitten und anwendbar ist, in denen die beschwerdeberechtigte Person bereits über das Ersuchen informiert wurde. Da der Wortlaut von Art. 21a StAhiG insofern keinen Interpretationsspielraum belässt, bleibt im Folgenden zu untersuchen, ob sich – wie dies die Vorinstanz geltend macht – aus den weiteren Auslegungselementen triftige Gründe ergeben, die ein Abweichen vom Wortlaut rechtfertigen (vorne E. 2.1).

2.3 Systematisch befindet sich Art. 21a StAhiG im Kapitel «Informationsaustausch auf Ersuchen». Im 4. Abschnitt «Verfahren» (der bis zum 31. Dezember 2016 noch den Titel «Informationsübermittlung» trug [AS 2014 2309, 2310]) sind neben dem hier interessierenden Verfahren mit nachträglicher Information der beschwerdeberechtigten Person das sog. vereinfachte Verfahren, bei dem die Informationsübermittlung mit Zustimmung der beschwerdeberechtigten Personen direkt und ohne nähere Begründung erfolgt (vgl. Art. 16), und das ordentliche Verfahren (Art. 17) geregelt. Das ordentliche Verfahren kommt zur Anwendung, wenn die beschwerdeberechtigten Personen dem Informationsaustausch nicht zustimmen. Es mündet in der Eröffnung einer mit Beschwerde anfechtbaren Schlussverfügung (Art. 17 und 19 StAhiG) und wird – sobald die Schlussverfügung oder der Beschwerdeentscheid rechtskräftig geworden ist – mit der Übermittlung der zum Austausch bestimmten Informationen abgeschlossen (Art. 20 StAhiG).

2.3.1 Aufgrund der systematischen Einbettung der auszulegenden Bestimmung in den Abschnitt «Verfahren» entsteht prima vista der Eindruck, dass Art. 21a StAhiG lediglich eine Sonderregelung zum ordentlichen (Art. 17 StAhiG) bzw. vereinfachten Verfahren (Art. 16 StAhiG) darstellt und damit lediglich die Art und Weise des Abschlusses des Amtshilfeverfahrens unterschiedlich regelt.

Zu beachten ist jedoch, dass das StAhiG mit dem Bundesbeschluss vom 18. Dezember 2015 über die Genehmigung und die Umsetzung des Übereinkommens des Europarats und der OECD über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen per 1. Januar 2017 diverse Änderungen erfahren hat, die – neben der Einführung der Rechtsgrundlagen für den spontanen Informationsaustausch – mitunter auch die Gliederung betrafen (AS 2016 5059, 5065). Ursprünglich stand Art. 21a StAhiG unter einem eigenen Abschnitt 4a mit dem Titel «Verfahren mit nachträglicher Information der beschwerdeberechtigten Personen». Mit der erwähnten Änderung wurde dieser Abschnitt aufgehoben und der entsprechende Titel neu als blosse Sachüberschrift bzw. Randtitel der Bestimmung verwendet. Dadurch wurde Art. 21a StAhiG Gegenstand des 3. Abschnitts mit dem neuen Gliederungstitel «Verfahren». Dafür, dass der Gesetzgeber mit diesem Eingriff in die ursprüngliche Gliederung zugleich eine inhaltliche Änderung herbeiführen wollte, bestehen keine Anhaltspunkte.

Trotz der systematischen Eingliederung in den 3. Abschnitt weist der Randtitel «Verfahren mit nachträglicher Information der beschwerdeberechtigten Personen» einen klaren Bezug auf das im vorhergehenden Abschnitt geregelte Verfahren der Informationsbeschaffung, welches Voraussetzung für die Verfahrensabschlussvarianten des einfachen oder ordentlichen Verfahrens bildet, auf (Art. 8 bis 15 StAhiG). In diesem 2. Abschnitt werden neben den Grundlagen und Rahmenbedingungen der Informationsbeschaffung auch die Informations- und Mitwirkungsrechte der beteiligten Personen geregelt. So sieht Art. 14 StAhiG unter dem Randtitel «Information der beschwerdeberechtigten Personen» vor, dass eine betroffene Person grundsätzlich über die wesentlichen Teile des Ersuchens bzw. eine beschwerdeberechtigte Person über das Amtshilfeverfahren zu informieren ist. Auch bei einem Gruppenersuchen sind gemäss Art. 14a Abs. 2 StAhiG die beschwerdeberechtigten Personen mit Sitz oder Wohnsitz in der Schweiz über das Ersuchen zu informieren. Die Wendung «Information der betroffenen bzw. beschwerdeberechtigten Personen» kommt einzig im Randtitel zu Art. 14 StAhiG vor und wird andernorts im Gesetz, wo es inhaltlich ebenfalls um Information oder Orientierung (als Teilgehalt des rechtlichen Gehörs) geht, nicht verwendet. Wenn nun also im Randtitel zu Art. 21a StAhiG vom «Verfahren der nachträglichen Information der beschwerdeberechtigten Personen» die Rede ist, liegt der Schluss nahe, dass mit der nachträglichen Information der Informationsaufschub betreffend das Ersuchen gemeint ist.

2.3.2 Damit spricht letztlich auch die Gesetzessystematik dafür, dass Art. 21a StAhiG nicht bloss eine neben dem ordentlichen bzw. vereinfachten Verfahren (Art. 16 und 17 StAhiG) bestehende Verfahrensabschlussvariante darstellt, sondern auch eine mit Ausnahmecharakter ausgestaltete Sonderregelung hinsichtlich der Information über das Ersuchen (Art. 14 StAhiG) statuiert, und zwar in dem Sinn, dass sie einen Informationsaufschub betreffend das Ersuchen vorsieht (s. auch Charlotte Schoder, StAhiG, Praxiskommentar zum Bundesgesetz über die internationale Amtshilfe in Steuersachen, 2014, Art. 21a N 289, wonach das Notifikationsverfahren [Kundenverfahren] nach Art. 14 und 17 StAhiG im Anwendungsbereich von Art. 21a StAhiG nicht stattfinde). Die systematische Auslegung stützt damit die grammatikalische Interpretation, wonach Art. 21a StAhiG nur auf Fälle Anwendung findet, in denen die beschwerdeberechtigten Personen noch nicht über das Ersuchen informiert sind.

2.4 Es bleibt weiter zu untersuchen, ob sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm triftige Gründe für eine Auslegung gegen den Wortlaut ergeben.

2.4.1 Im Zusammenhang mit der Gesetzesänderung, die auch zur Einführung von Art. 21a StAhiG führte, hielt der Bundesrat in seiner Botschaft vom 16. Oktober 2013 zusammengefasst fest, dass die rasche Entwicklung der Arbeiten des Global Forum für Transparenz und Informationsaustausch zu Steuerzwecken (nachfolgend: Global Forum) und internationale Gegebenheiten die Revision erforderlich gemacht hätten. So hätten die Staats- und Regierungshäupter sowie die Finanzministerinnen und -minister der G-20-Staaten in ihrem Communiqué zum Treffen vom 5./6. September 2013 alle Jurisdiktionen – insbesondere die 14, deren rechtliche Grundlagen dem Standard nicht hinreichend entsprechen, darunter auch die Schweiz – gedrängt, ohne weiteren Verzug die Umsetzung der Empfehlungen des Global Forum anzugehen. Für die Schweiz bedeute dies, dass sie die im Peer-Review-Bericht vom 1. Juni 2011 enthaltenen Empfehlungen umzusetzen habe, um zur Phase 2 zugelassen zu werden (vgl. Botschaft vom 16. Oktober 2013 zur Änderung des Steueramtshilfegesetzes, BBl 2013 8369 ff., 8371 Ziff. 1.1).

Gemäss Botschaft bestehe im StAhiG primär Anpassungsbedarf, weil es keine Ausnahmen von der vorgängigen Information der bei einem Amtshilfeersuchen beschwerdeberechtigten Personen vorsehe. Nach dem Standard des Global Forum dürften die Rechte im ersuchten Staat zugunsten einer bei einem Amtshilfeersuchen beschwerdeberechtigten Person einen wirksamen Informationsaustausch nicht verhindern. Im Kommentar der OECD «Agreement on Exchange of Information on Tax Matters» (siehe nachfolgend E. 2.4.3) werde dazu in Ziff. 6 zu Art. 1 ausgeführt, dass Ausnahmen von der vorgängigen Information der beschwerdeberechtigten Person vorzusehen seien (z.B. für Fälle, in denen das Ersuchen von hoher Dringlichkeit sei oder der Erfolg der Untersuchung im ersuchenden Staat durch die vorgängige Information gefährdet werden könnte).

2.4.2 Gegenüber dem in die Vernehmlassung geschickten Entwurf fasste der Bundesrat Art. 21a StAhiG in seinem Entwurf zuhanden des Parlaments enger, da diesem wegen rechtsstaatlicher Bedenken (in Bezug auf die Beschränkung des verfassungsmässigen Anspruchs auf rechtliches Gehör und die Rechtsweggarantie) Kritik erwachsen war (vgl. Andrea Opel, Amtshilfe ohne Information der Betroffenen – eine rechtsstaatlich bedenkliche Neuerung, in: Archiv für Schweizerisches Abgaberecht [ASA] 83 S. 272). So fügte er ein, dass das Verfahren nur auf Ausnahmefälle Anwendung finden soll, und formulierte die Voraussetzungen für ein Verfahren mit nachträglicher Information der beschwerdeberechtigten Personen wie folgt (BBl 2013 8369 ff., 8374):

«Die ESTV informiert die beschwerdeberechtigten Personen ausnahmsweise erst nach Übermittlung der Informationen mittels Verfügung über ein Ersuchen, wenn die ersuchende Behörde glaubhaft macht, dass der Zweck der Amtshilfe oder der Erfolg ihrer Untersuchung durch die vorgängige Information vereitelt würde».

Im Rahmen der parlamentarischen Beratung und Abstimmung wurde die im Entwurf des Bundesrats verwendete Konjunktion «oder» durch «und» ersetzt. Der Gesetzgeber wollte damit die beiden Erfordernisse «Vereitelung des Zwecks der Amtshilfe» bzw. «Vereitelung des Erfolgs der Untersuchung» im Sinne einer Verschärfung kumulativ und nicht exklusiv verstanden wissen und wählte damit eine Formulierung, die leicht vom internationalen Standard abweicht (siehe Votum BR Widmer-Schlumpf, AB 2013 N 2192).

2.4.3 Im Kommentar zum OECD-Standard (Ziff. 6 zu Art. 1), auf den der Bundesrat in seiner Botschaft Bezug nahm (www.oecd.org/ctp/harmful/2082215.pdf, S. 14 f. [letztmals besucht am 1. Juni 2021]), ist vorab generell von der vorzusehenden Möglichkeit der Beschränkung von Verfahrensrechten («rights and safeguards») die Rede, sofern diese den wirksamen Informationsaustausch unangemessen behindern oder verzögern:

«Article 1 strikes a balance between rights granted to persons in the requested Party and the need for effective exchange of information. Article 1 provides that rights and safeguards are not overridden simply because they could, in certain circumstances, operate to prevent or delay effective exchange of information. However, Article 1 obliges the requested Party to ensure that any such rights and safeguards are not applied in a manner that unduly prevents or delays effective exchange of information. For instance, a bona fide procedural safeguard in the requested Party may delay a response to an information request. However, such a delay should not be considered as ‹unduly preventing or delaying› effective exchange of information unless the delay is such that it calls into question the usefulness of the information exchange agreement for the applicant Party.»

Anschliessend widmet sich der Kommentar dem konkreten Beispiel einer möglichen Beschränkung der vorgängigen Information («prior notification») und hält dazu fest:

«Another example may concern notification requirements. A requested Party whose laws require prior notification is obliged to ensure that its notification requirements are not applied in a manner that, in the particular circumstances of the request, would frustrate the efforts of the party seeking the information. For instance, notification rules should permit exceptions from prior notification (e.g., in cases in which the information request is of a very urgent nature or the notification is likely to undermine the chance of success of the investigation conducted by the applicant Party).»

Wie sich aus der Botschaft ergibt und sich an der Wahl des Wortlauts zeigt, hat sich der Gesetzgeber bei der Umsetzung des internationalen Standards an diesem soeben wiedergegebenen Beispiel der Beschränkung der vorgängigen Information orientiert.

2.4.4 Die Entstehungsgeschichte von Art. 21a StAhiG zeigt damit, dass der Gesetzgeber – obwohl im Kommentar der OECD allgemein von einer Regelung zur Einschränkung von Verfahrensrechten («rights and safeguards») die Rede ist – einzig die beispielhaft aufgeführte Ausnahme von der vorgängigen Information («prior notification») in das schweizerische Recht übernahm, und zwar in einer etwas verschärften Version. Die Auffassung der Vorinstanz, wonach mit Artikel 21a StAhiG eine Rechtsgrundlage für eine generelle Einschränkung von Verfahrensrechten der beschwerdeberechtigten Person eingeführt werden sollte und nicht «nur» von der vorgängigen Information findet damit im Lichte der historischen Auslegung keine Stütze.

2.5 Der Sinn und Zweck von Art. 21a StAhiG besteht in einem weiten Zusammenhang darin, Konformität mit dem internationalen Standard herzustellen, wonach innerstaatliche Verfahrensrechte einen wirksamen Informationsaustausch nicht unangemessen behindern sollen. Gleichzeitig sollen aber nach dem Willen des Gesetzgebers die rechtsstaatlichen Grundsätze soweit wie möglich respektiert und der Anwendungsbereich der Bestimmung entsprechend eng gehalten werden.

2.5.1 Nach Ansicht der Vorinstanz führe eine teleologische Auslegung zum Schluss, dass die Anwendung von Art. 21a StAhiG nicht vom Stand des Amtshilfeverfahrens abhängen könne. Dies gelte insbesondere dann, wenn das Verfahren wegen der Gefahr der Verjährung dringlich sei. In diesem Fall liege das Risiko für den Erfolg des Amtshilfeersuchens bzw. die Vereitelung des Zwecks der Amtshilfe nicht in der Tatsache, dass die betroffene Person über das Amtshilfeersuchen informiert werde, sondern vielmehr in der Zeit, die für den Abschluss des Verfahrens erforderlich sei. Art. 21a StAhiG solle auch in solchen Situationen Abhilfe schaffen und könne nicht formal auf einen blossen Verzicht der vorgängigen Information beschränkt werden.

Gemäss der Vorinstanz stelle es weiter einen verhältnismässigeren Eingriff in die Rechte der betroffenen Personen dar, wenn ihnen noch ein Mindestmass an Informationen garantiert werde, wo dies möglich sei. Auf diese Weise würden die Betroffenen immerhin noch die Gelegenheit erhalten, sich so gut wie möglich auf die Übermittlung an den ersuchenden Staat vorzubereiten und die Massnahmen zu ergreifen, die sie in dieser Hinsicht für angemessen halten (freiwillige Deklaration, Kontakt mit einem Rechtsvertreter für das weitere Verfahren im ersuchenden Staat, usw.). Eine solche Auslegung von Art. 21a StAhiG entspreche daher nicht nur dem Willen des Gesetzgebers, sondern ermögliche auch eine gerechtere Berücksichtigung der Verfahrensrechte der betroffenen Personen.

2.5.2 Zwar trifft es zu, dass zur Gewährleistung eines wirksamen Informationsaustauschs ein Verzicht auf die Information über das Ersuchen nicht in sämtlichen Konstellationen der Dringlichkeit notwendig erscheint. Namentlich gilt dies im Gegensatz zu jenen Konstellationen, in denen aufgrund einer Kollusionsgefahr die Kenntnis über das Amtshilfeverfahren an sich problematisch ist. So ist es durchaus vorstellbar, dass der erforderliche Zeitgewinn in dringlichen Fällen unter Umständen statt mittels eines Verzichts auf die vorgängige Information durch eine anderweitige, lediglich teilweise Beschränkung der Verfahrensrechte erreicht werden könnte.

Allerdings genügt es für eine Auslegung gegen den Wortlaut nicht, dass theoretisch auch eine Umsetzung des internationalen Standards denkbar gewesen wäre, die den Anwendungsfall der Dringlichkeit losgelöst vom «Verzicht auf die vorgängige Information» und den anderen Anwendungsfällen der Vereitelung des Untersuchungserfolgs bzw. Amtshilfezwecks regelt. Vielmehr bedarf es konkreter und gewichtiger Anhaltspunkte dafür, dass Art. 21a StAhiG ein vom Wortlaut abweichender Sinn und Zweck zukommt. Solche Anhaltspunkte sind vorliegend nicht ersichtlich: Aufgrund der Entstehungsgeschichte der Norm ist vielmehr davon auszugehen, dass sich der Gesetzgeber bewusst für eine Regelung entschieden hat, die in Bezug auf Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolge (Informationsaufschub) nicht zwischen Fällen der Dringlichkeit und weiteren Fällen, in denen der Untersuchungserfolg gefährdet und der Zweck der Amtshilfe vereitelt wird, unterscheidet (oben E. 2.4.1 f.). Auch mit Blick auf den internationalen Standard drängt sich eine Auslegung gegen den Wortlaut nicht auf (kritisch zur Frage, inwieweit der OECD-Kommentar bei der Auslegung innerstaatlichen Rechts überhaupt berücksichtigt werden darf: Opel, a.a.O, S. 270 f.). Denn selbst im OECD-Kommentar wird der Anwendungsfall der Dringlichkeit explizit nur im Zusammenhang mit dem Beispiel des Verzichts auf die vorgängige Information erwähnt (vgl. vorne E. 2.4.3). Vielmehr würde eine Auslegung gegen den Wortlaut dahingehend, dass Art. 21a StAhiG auch auf Fälle Anwendung findet, bei denen eine Information über das Amtshilfeverfahren bereits stattgefunden hat, letztlich zu einer Ausweitung des Anwendungsbereichs von Art. 21a StAhiG führen, was dem Ausnahmecharakter der Norm (dazu E. 2.2.1) zuwiderläuft.

2.5.3 Was die weitere Argumentation der Vorinstanz betrifft, so ist ihr zwar insofern zuzustimmen, dass – quantitativ betrachtet – ein Totalverzicht auf Verfahrensrechte schwerer wiegt als ein Teilverzicht und unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit daher ungünstiger erscheint. Dennoch vermag diese «e maiore minus»-Argumentation ein Abweichen vom Wortlaut nicht zu rechtfertigen. Aufgrund des klaren Wortlauts von Art. 21a StAhiG vertrauen die bereits informierten beschwerdeberechtigten Personen derzeit mit Recht darauf, dass sie ihre Verfahrensrechte bis zum Abschluss des Amtshilfeverfahrens wahrnehmen können. Sie dürfen also davon ausgehen, dass ihnen das rechtliche Gehör gewährt wird und sie – sofern sie dem Informationsaustausch nicht ausdrücklich zustimmen – die Möglichkeit erhalten, sich gegen die Schlussverfügung mit einer Beschwerde zur Wehr zu setzen, wobei die Übermittlung der Informationen erst nach Eintritt der Rechtskraft der Schlussverfügung oder eines allfälligen Beschwerdeentscheids erfolgt. Dieses Vertrauen in den üblichen Verfahrensgang würde im Falle einer Interpretation von Art. 21a StAhiG gegen den Wortlaut empfindlich gestört. Beschwerdeberechtigte Personen wären fortan in die Lage versetzt, dass sie jederzeit mit einer sofortigen Übermittlung ihrer Daten rechnen müssten. Mit anderen Worten hätte die vorinstanzliche Interpretation aus der Perspektive der beschwerdeberechtigten Personen eine erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge. Der Umstand, dass ein solch erheblicher Eingriff in die Verfahrensgarantien letztlich allein vom Gutdünken der Vorinstanz abhängen würde, ist zudem mit dem Sinn und Zweck von Art. 21a StAhiG, wonach die Einhaltung des internationalen Standards mit dem hiesigen Rechtsstaat möglichst «verträglich» sein soll, unvereinbar.

2.5.4 Anzufügen bleibt, dass die von der Vorinstanz erwähnte Möglichkeit, sich auf die Datenübermittlung vorzubereiten, bedingen würde, dass die Betroffenen vorab von der beabsichtigten Anwendung von Art. 21a StAhiG Kenntnis erhalten. Unterbleibt aber – wie im vorliegenden Fall – eine solche Orientierung, erschliesst sich dem Gericht nicht, worin der Vorteil für die Betroffenen bestehen könnte. Dies gilt nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. dazu: BGE 131 II 627 E. 6.1, 129 I 161 E. 4.1) umso mehr, wenn – wie vorliegend – die weitere Verfahrensteilnahme ausdrücklich zugesichert wurde (siehe Sachverhalt […]).

2.6 Zusammenfassend sind keine triftigen Gründe ersichtlich, die eine vom Wortlaut abweichende Auslegung erlauben. Der Anwendungsbereich von Art. 21a StAhiG ist damit auf Konstellationen beschränkt, in denen noch keine Information der beschwerdeberechtigten Personen über das Ersuchen bzw. das Amtshilfeverfahren erfolgt ist.

2.7 Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Vorinstanz am 23. April 2020 zu Unrecht eine Schlussverfügung gestützt Art. 21a StAhiG erlassen hat und dass die erfolgte Übermittlung von Informationen betreffend das Steuerjahr 2015 rechtswidrig erfolgt ist. Ohne diese rechtswidrige Datenlieferung wären allfällige Steuerforderungen der spanischen Behörden betreffend das Steuerjahr 2015 zwischenzeitlich verjährt und es hätte mangels voraussichtlicher Erheblichkeit der Informationen wohl keine Amtshilfe mehr geleistet werden dürfen (vgl. Urteil des BGer 2C_833/2016 vom 20. Februar 2019 E. 5.3.2 und E. 6.2).

Mangels Relevanz für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens erübrigt es sich, auf die weiteren Vorbringen der Verfahrensbeteiligten in Bezug auf die Anwendbarkeit von Art. 21a StAhiG und die im Schrifttum teilweise kontrovers diskutierte Frage, ob die Verjährung der Steuerforderung überhaupt Grund für die Anwendung dieses Verfahrens bilden kann (vgl. zu dieser Thematik: Seiler, a.a.O., § 11 Rz. 8, S. 400) einzugehen. Aus demselben Grund kann bei diesem Ergebnis auch offenbleiben, ob das streitbetroffene Amtshilfeersuchen zulässig und die weiteren Voraussetzungen für die Amtshilfeleistung erfüllt waren. Diese Frage würde sich nur stellen, wenn Art. 21a StAhiG zu Recht angewandt worden wäre.

2.8 Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen und es ist die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Schlussverfügung vom 23. April 2020 festzustellen.