Urteil des Bundesgerichts 2C_687/2019 vom 13. Juli 2020

Information von Drittpersonen (DBA CH-SE)

  • Bearbeitet durch: Susanne Raas
  • Beitragsart: Grundsatzurteil
  • Rechtsgebiete: Internationale Amtshilfe
  • Zitiervorschlag: Susanne Raas, Urteil des Bundesgerichts 2C_687/2019 vom 13. Juli 2020, ASA online Grundsatzurteile
Urteil des Bundesgerichts vom 13. Juli 2020 i.S. Eidgenössische Steuerverwaltung gegen A.A., B.A. und B. AG (2C_687/2019).

Inhalt

  • 1. Regeste
  • 2. Sachverhalt (Zusammenfassung)
  • 3. Aus den Erwägungen

1.

Regeste ^

Das Bundesverwaltungsgericht ist zwar berechtigt zu prüfen, ob Drittpersonen über die Übermittlung ihrer Informationen in einem Amtshilfeverfahren zu informieren gewesen wären (E. 4). Grundsätzlich sehen Doppelbesteuerungsabkommen aber nicht vor, dass Personen, über welche mit einem Amtshilfeersuchen Informationen verlangt werden, am Verfahren teilnehmen. Umso mehr nicht vorgesehen ist eine Verfahrensbeteiligung von Personen, über die im Ersuchen keine Informationen verlangt werden, deren Namen sich aber in den vom Informationsinhaber an die ESTV übermittelten Unterlagen befinden (E. 5.2.2). Auch das Beschleunigungsgebot verbietet es, dass die Einräumung von Verfahrensrechten in unverhältnismässiger Weise die Durchführung des Amtshilfeverfahrens beeinträchtigt (E. 5.2.4 und 6.3.1).
Dritte sind grundsätzlich durch das Spezialitätsprinzip geschützt. Damit ihnen Beschwerdelegitimation zukommt, genügt es nicht, dass sie in den zur Übermittlung vorgesehenen Informationen erwähnt werden (E. 6.1). Nicht alle Personen, die beschwerdeberechtigt sein könnten, sind zu informieren, sondern nur solche, deren Beschwerdeberechtigung evident ist (E. 6.2). Dafür sprechen neben dem Gesetzeswortlaut von Art. 14 Abs. 2 StAhiG weitere Umstände (E. 6.3).

Il est vrai que le Tribunal administratif fédéral est habilité à examiner si des tiers auraient dû être informés du transfert de leurs informations dans le cadre dune procédure dassistance administrative (consid. 4). En principe, toutefois, les conventions contre la double imposition ne prévoient pas la participation à la procédure des personnes au sujet desquelles des informations sont sollicitées dans une demande dassistance administrative. Il est dautant moins prévu que participent à la procédure des personnes au sujet desquelles aucune information nest requise dans la demande, mais dont les noms figurent dans les documents soumis à lAFC par le détenteur de renseignements (consid. 5.2.2). Lexigence de célérité interdit également daccorder des droits procéduraux qui interfèrent de manière disproportionnée avec le déroulement de la procédure dassistance administrative (consid. 5.2.4 et 6.3.1).
Les tiers sont généralement protégés par le principe de spécialité. Pour quils aient la qualité pour recourir, il ne suffit pas quils soient mentionnés dans les informations fournies en vue de leur transmission (consid. 6.1). Toutes les personnes qui pourraient avoir un droit de recours ne doivent pas être informées, mais seulement celles dont la qualité pour recourir est évidente (consid. 6.2). Cela résulte du texte de lart. 14 al. 2 LAAF et dautres circonstances (consid. 6.3).

2.

Sachverhalt (Zusammenfassung) ^

Am 22. Mai 2015 unterbreitete die Swedish Tax Agency, International Tax Office, Stockholm (nachfolgend: STA oder ersuchende Behörde) der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) ein Amtshilfeersuchen betreffend A.A. und die B. AG, nachdem die Eheleute A.A. und B.A. sowie die B. AG in Bezug auf ein zuvor gestelltes Amtshilfeersuchen vom 27. Januar 2014 der Übermittlung von Informationen zugestimmt hatten. Die STA ergänzte das Ersuchen vom 22. Mai 2015 mit Schreiben vom 1. Juli 2015.

Nach Durchführung des Verfahrens der Informationsbeschaffung erliess die ESTV am 9. Juli 2018 eine Schlussverfügung gegenüber A.A., B.A. und der B. AG. Damit ordnete sie an, dass der STA betreffend A.A. Amtshilfe zu leisten sei und dementsprechend verschiedene, teilweise geschwärzte Unterlagen an diese Behörde zu übermitteln seien.

Dagegen erhoben A.A., B.A. und die B. AG am 9. August 2018 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht, welches mit Urteil vom 22. Juli 2019 unter anderem anordnete, dass näher genannte Transaktionen auf den zur Übermittlung vorgesehenen Auszügen zu Konten der B. AG zu schwärzen seien. Zur Begründung dieser Anordnung erklärte das Gericht, es sei nicht ersichtlich, dass die in diesen Kontounterlagen aufscheinenden ausländischen Geschäftspartner bzw. ausländischen Drittgesellschaften ordnungsgemäss über das Amtshilfeverfahren informiert worden seien und ihre Verfahrensrechte hätten wahrnehmen können. Unter den vorliegenden Umständen rechtfertige es sich, in den zu übermittelnden Kontounterlagen diejenigen Transaktionen, bei welchen diese Gesellschaften beteiligt gewesen seien, unkenntlich zu machen.

Die ESTV erhebt am 5. August 2019 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht. Sie beantragt insbesondere, auf die angeordneten Schwärzungen in den zur Übermittlung vorgesehenen Kontounterlagen zu verzichten.

3.

Aus den Erwägungen ^

3.

3.1. Das Amtshilfeersuchen vom 22. Mai 2015 stützt sich auf Art. 27 DBA CH-SE. Das Verfahren richtet sich nach dem Steueramtshilfegesetz (vgl. Art. 24 StAhiG e contrario).

3.2. Die Vorinstanz vertrat im angefochtenen Urteil den Standpunkt, dass es sich bei den hier in Frage stehenden ausländischen Gesellschaften, die in den streitbetroffenen Kontounterlagen genannt sind, um Drittpersonen handle, über welche Informationen aufgrund ihrer voraussichtlichen Erheblichkeit für die Veranlagung des im ersuchenden Staat behaupteterweise steuerpflichtigen Beschwerdegegners 1 [A.A.] übermittelt werden sollen. Diese Gesellschaften seien somit materiell Betroffene, welche nach dem Gesetz (Art. 19 Abs. 2 StAhiG) beschwerdeberechtigt seien und dementsprechend nach Art. 14 Abs. 2 StAhiG über das Amtshilfeverfahren zu informieren gewesen wären (E. 4.3.7.5 des angefochtenen Urteils [Urteil des BVGer A-4588/2018]).

3.3. Die Beschwerdeführerin bringt demgegenüber in verfahrensrechtlicher Hinsicht vor, die Beschwerdegegner hätten in unzulässiger Weise Drittinteressen geltend gemacht, soweit sie im vorinstanzlichen Verfahren gerügt hätten, die in den streitbetroffenen Kontounterlagen genannten ausländischen Drittgesellschaften seien zu Unrecht nicht über das Amtshilfeverfahren informiert worden. Ferner erklärt die Beschwerdeführerin, es laufe den völkerrechtlichen Verpflichtungen zuwider, wenn angenommen werde, dass Drittpersonen, über welche voraussichtlich erhebliche Informationen übermittelt werden sollen, über das Amtshilfeverfahren informiert werden müssten. Eine solche umfassende Informationspflicht sei auch nicht mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts vereinbar und würde sich in der Praxis zudem nicht umsetzen lassen.

4.

Es ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz geprüft hat, ob eine Verletzung von Art. 14 Abs. 2 StAhiG vorliegt. Das sinngemässe Vorbringen der Beschwerdeführerin, die Vorinstanz habe diese Prüfung zu Unrecht vorgenommen, weil die Beschwerdegegner ohne diesbezügliche Legitimation Drittinteressen geltend gemacht hätten, verfängt nicht. Der Vorinstanz kam nämlich die Befugnis und Pflicht zu, das Recht von Amtes wegen anzuwenden (vgl. BGE 141 II 307 E. 6.5 S. 314; 119 V 347 E. 1a; Moser/Beusch/Kneubühler, Prozessieren vor dem Bundesverwaltungsgericht, 2. Aufl. 2013, N. 1.54), und zwar (gegebenenfalls) auch im Interesse Dritter. Deshalb ist die Vorinstanz richtigerweise der Frage nachgegangen, ob die ESTV Dritte in bundesrechtswidriger Weise nicht über das Amtshilfeverfahren informiert hat.

5.

5.1. Gemäss Art. 27 Abs. 1 DBA CH-SE [Abkommen vom 7. Mai 1965 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Königreich Schweden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen; SR 0.672.971.41] tauschen die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten die Informationen aus, die zur Durchführung dieses Abkommens oder zur Anwendung oder Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts betreffend Steuern jeder Art und Bezeichnung voraussichtlich erheblich sind, soweit die entsprechende Besteuerung nicht dem Abkommen widerspricht. Der Informationsaustausch ist durch die Art. 1 und 2 des Abkommens nicht eingeschränkt. Nach Art. 27 Abs. 3 DBA CH-SE ist die Amtshilfeklausel (unter Vorbehalt von Art. 27 Abs. 5 DBA CH-SE) nicht so auszulegen, als verpflichtete sie einen Vertragsstaat, Verwaltungsmassnahmen durchzuführen, welche von den Gesetzen und der Verwaltungspraxis dieses oder des anderen Vertragsstaates abweichen (lit. a), oder Informationen zu erteilen, welche nach den Gesetzen oder im üblichen Verwaltungsverfahren dieses oder des anderen Vertragsstaates nicht beschafft werden können (lit. b), oder Informationen zu erteilen, die ein Handels-, Geschäfts-, Industrie-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis oder ein Geschäftsverfahren preisgeben würden oder deren Erteilung dem Ordre public widerspräche (lit. c).

In Einklang mit dieser Ordnung sieht Ziff. 4 lit. e Satz 1 des Protokolls zum DBA CH-SE vor, dass bei einem Austausch von Informationen die im ersuchten Staat geltenden Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensrechts über die Rechte der Steuerpflichtigen vorbehalten bleiben, bevor die Informationen an den ersuchenden Staat übermittelt werden (vgl. dazu aber sogleich E. 5.2.3).

5.2.

5.2.1. Art. 27 Abs. 2 DBA CH-SE lautet (in der Fassung des deutschen Originaltextes) wie folgt:

«Alle Informationen, die ein Vertragsstaat nach Absatz 1 erhalten hat, sind ebenso geheim zu halten wie die aufgrund des innerstaatlichen Rechts dieses Staates beschafften Informationen und dürfen nur den Personen oder Behörden, einschliesslich der Gerichte und der Verwaltungsbehörden, zugänglich gemacht werden, die mit der Veranlagung oder der Erhebung, mit der Vollstreckung oder der Strafverfolgung oder mit der Entscheidung von Rechtsmitteln hinsichtlich der in Absatz 1 genannten Steuern oder mit der Aufsicht über die vorgenannten Personen oder Behörden befasst sind. Diese Personen oder Behörden dürfen die Informationen nur für diese Zwecke verwenden. Sie können die Informationen in einem öffentlichen Gerichtsverfahren oder in einer Gerichtsentscheidung offenlegen. Ungeachtet der vorstehenden Bestimmungen kann ein Vertragsstaat die erhaltenen Informationen für andere Zwecke verwenden, wenn solche Informationen nach dem Recht beider Staaten für solche andere Zwecke verwendet werden können und die zuständige Behörde des übermittelnden Staates dieser anderen Verwendung zustimmt.»

Wie sich ohne Weiteres aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt, sind die Vertragsstaaten zur Geheimhaltung amtshilfeweise übermittelter Informationen verpflichtet. Sie dürfen diese Informationen keinen anderen als den in dieser Bestimmung genannten Personen und Behörden zugänglich machen. Zudem untersagt Art. 27 Abs. 2 DBA CH-SE den Vertragsstaaten, amtshilfeweise übermittelte Informationen zu anderen als den in dieser Bestimmung aufgeführten Zwecken zu verwenden (sog. Spezialitätsprinzip). Eine Verwendung für einen abkommensfremden Zweck kommt nur in Frage, wenn erstens die Verwendung der Informationen für andere Zwecke nach dem Recht beider Vertrags staaten zulässig ist und zweitens die zuständige Behörde des ersuchten Staates dieser abkommensfremden Verwendung zustimmt.

Das erwähnte Spezialitätsprinzip bzw. der genannte Spezialitätsvorbehalt hat neben der vorliegend unbestrittenen sachlichen auch eine persönliche Dimension in dem Sinne, als danach die (sekundäre) Verwendung amtshilfeweise übermittelter Informationen gegenüber Dritten durch den ersuchten Staat ausgeschlossen ist, sofern dies nicht im Recht beider Vertragsstaaten vorgesehen ist und/oder die zuständige Behörde des übermittelnden Staates einer solchen Verwendung nicht zustimmt (vgl. Urteil 2C_537/2019 vom 13. Juli 2020 E. 3.4; siehe ferner schon BGE 142 II 161 E. 4.6.1 S. 181).

5.2.2. Grundsätzlich sehen die Doppelbesteuerungsabkommen nicht vor, dass Personen, über welche mit einem Amtshilfeersuchen Informationen verlangt werden, am Verfahren teilnehmen. A fortiori nicht vorgesehen ist in diesen Abkommen eine Verfahrensbeteiligung von Personen, über die im Ersuchen keine Informationen verlangt werden, deren Namen aber in den vom Informationsinhaber im Rahmen eines Amtshilfeverfahrens an die ESTV übermittelten Unterlagen figurieren. Die Frage nach einer Beteiligung dieser Personen am Verfahren richtet sich deshalb nach dem Verfahrensrecht und den Garantien des internen Rechts des ersuchenden Staates, im Falle der Schweiz also nach dem StAhiG und dem VwVG, auf welches ersteres Gesetz Bezug nimmt (vgl. Art. 5 StAhiG; BGE 145 II 119 E. 3.3 S. 123; 143 II 506 E. 4 S. 411).

5.2.3. Gleichwohl finden sich in den Doppelbesteuerungsabkommen Bestimmungen, welche die Freiheit der Vertragsstaaten im einschlägigen Bereich einschränken. Im Fall des DBA CH-SE sieht Ziff. 4 lit. e Satz 2 des Protokolls zum DBA CH-SE vor, es bestehe unter den Vertragsparteien des Abkommens Einvernehmen darüber, dass die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensrechts dazu dienen, der steuerpflichtigen Person ein ordnungsgemässes Verfahren zu gewähren, und nicht bezwecken, den wirksamen Informationsaustausch zu verhindern oder übermässig zu verzögern (vgl. zu vergleichbaren Bestimmungen auch BGE 145 II 119 E. 3.3 S. 123 zum DBA CH-FR und BGE 143 II 506 E. 4 S. 511 zum DBA CH-US).

5.2.4. Im landesinternen Recht statuiert Art. 4 Abs. 2 StAhiG den Grundsatz, dass Verfahren der internationalen Amtshilfe in Steuersachen zügig durchzuführen sind. Dieses Beschleunigungsgebot wird gesetzlich konkretisiert durch den Ausschluss des Fristenstillstandes (vgl. Art. 5 Abs. 2 StAhiG, welcher die Anwendbarkeit von Art. 22a Abs. 2 VwVG ausschliesst), die Regelung, wonach die Rechtsmittelfrist für Beschwerden ans Bundesgericht nur zehn Tage beträgt (Art. 100 Abs. 2 lit. b BGG) und die Vorschrift, wonach ein Nichteintretensentscheid des Bundesgerichts innert 15 Tagen seit Abschluss eines allfälligen Schriftenwechsels zu ergehen hat (Art. 107 Abs. 3 BGG). Das Beschleunigungsgebot, welches im landesinternen Recht festgehalten ist und zu dessen Beachtung sich die Schweiz auch auf der abkommensrechtlichen Ebene verpflichtet hat, bedeutet nicht, dass das Amtshilfeverfahren so zu führen wäre, wie wenn eine dringliche Situation vorliegen würde, welche eine Beschränkung oder einen Ausschluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör der Parteien rechtfertigt (vgl. BGE 142 II 218 E. 2.6 S. 225). Jedoch verbietet es das Beschleunigungsgebot, dass die Einräumung von Verfahrensrechten nach dem landesinternen Recht aufgrund von damit verbundenen Verzögerungen in unverhältnismässiger Weise die Durchführung des Amtshilfeverfahrens beeinträchtigt (BGE 145 II 119 E. 3.3 S. 123).

6.

Nach dem Ausgeführten ist im Folgenden zunächst zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen die ESTV nach dem landesinternen Recht Drittpersonen, über welche die zu übermittelnden Unterlagen für die Besteuerung der betroffenen Person im ersuchenden Staat voraussichtlich erhebliche Informationen enthalten, über das Amtshilfeverfahren zu informieren hat.

6.1. Art. 14 Abs. 2 StAhiG nimmt auf Art. 19 Abs. 2 StAhiG Bezug, welcher die Beschwerdeberechtigung im Amtshilfeverfahren regelt. Nach letzterer Bestimmung sind […] die betroffene Person sowie die weiteren Personen, welche die Voraussetzungen von Art. 48 VwVG erfüllen, zur Beschwerde berechtigt. Personen, welche nicht betroffene Personen im Sinne von Art. 3 lit. a StAhiG sind, sind dabei nach dieser Regelung nur dann beschwerdeberechtigt, wenn sie über ein schutzwürdiges Interesse verfügen (vgl. Art. 48 Abs. 1 lit. c VwVG). Im Kontext der Amtshilfe in Steuersachen besteht ein solches Interesse nur in sehr speziellen Konstellationen (siehe dazu ausführlich Urteil 2C_376/2019 vom 13. Juli 2020 E. 7.1, insbesondere E. 7.1.3).

Da Dritte grundsätzlich durch das Spezialitätsprinzip vor der Verwendung ihrer Informationen durch den ersuchenden Staat geschützt sind (vgl. E. 5.2.1 hiervor), folgt allein aus dem Umstand, dass sie in den zur Übermittlung vorgesehenen Unterlagen erwähnt sind, nicht, dass sie mit Blick auf die Gewährung von Steueramtshilfe betreffend einer anderen Person selber betroffen sind und daher im Verfahren der internationalen Amtshilfe in Steuersachen im Sinne von Art. 19 Abs. 2 StAhiG beschwerdelegitimiert wären bzw. Parteistellung haben (vgl. Urteil 2C_376/2019 vom 13. Juli 2020 E. 7.1.3; siehe ferner BGE 139 II 404 E. 2.1.1 und 2.2.2 S. 411 ff. zur Legitimation von Personen, die an einem Bankkonto, über das amtshilfeweise Informationen übermittelt werden sollen, wirtschaftlich berechtigt sind). Um die Beschwerdelegitimation solcher Dritter in entsprechenden Verfahren zu begründen, müssen vielmehr weitere Umstände vorliegen, wie etwa eine konkrete Gefahr, dass der ersuchende Staat das Spezialitätsprinzip verletzen wird.

6.2. Schon aus dem insoweit klaren Wortlaut der erwähnten Vorschrift von Art. 14 Abs. 2 StAhiG folgt, dass die ESTV nicht alle Personen, welche im Sinne von Art. 19 Abs. 2 StAhiG beschwerdeberechtigt sein könnten, über das Amtshilfeverfahren zu informieren hat. Die entsprechende Informationspflicht besteht nicht gegenüber sämtlichen Drittpersonen, welche die Voraussetzungen der Beschwerdelegitimation (gemäss den vorstehenden Ausführungen [E. 6.1]) erfüllen, sondern gemäss dem Gesetzeswortlaut nur gegenüber jenen (Dritt-) Personen, von deren Beschwerdeberechtigung die ESTV «aufgrund der Akten ausgehen muss» (vgl. dazu auch den insoweit mit der deutschen Fassung übereinstimmenden italienischen Wortlaut von Art. 14 Abs. 2 StAhiG: «L’AFC informa in merito al procedimento di assistenza amministrativa le altre persone che, in base agli atti, deve presumere legittimate a ricorrere secondo l’articolo 19 capoverso 2.»). Der letztere Passus von Art. 14 Abs. 2 StAhiG lässt darauf schliessen, dass die ESTV nur diejenigen Personen über das Amtshilfeverfahren in Kenntnis zu setzen hat, deren Legitimation im Sinne von Art. 19 Abs. 2 StAhiG aufgrund der Akten evident ist (insofern ist die in BGE 143 II 506 E. 5.1 S. 512 gemachte Aussage, wonach einer nach Art. 19 Abs. 2 StAhiG in Verbindung mit Art. 48 VwVG beschwerdeberechtigten Person namentlich das Recht auf Information nach Art. 14 Abs. 2 StAhiG zustehe, zu präzisieren).

Zwar haben Personen, deren Informationen an ausländische Behörden übermittelt werden sollen, aufgrund von Art. 8 EMRK und Art. 13 BV (bzw. dem aus diesen Bestimmungen abgeleiteten Recht auf informationelle Selbstbestimmung) einen Anspruch, sich gegen eine ohne gesetzliche Grundlage bzw. im Widerspruch zum Gesetz (Art. 4 Abs. 3 StAhiG) erfolgende Datenübermittlung zu wehren (vgl. Art. 13 EMRK sowie Urteil des EGMR M.N. g. San Marino [28005/12] vom 7. Juli 2015 §§ 78 ff.). Daraus folgt aber nicht zwingend, dass alle diese Personen im Amtshilfeverfahren Parteistellung und Beschwerdeberechtigung erhalten müssen. Es genügt, wenn ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht wirksam durch einen Rechtsbehelf oder ein Rechtsmittel geschützt ist (vgl. Urteil des EGMR M.N. g. San Marino [28005/12] vom 7. Juli 2015 §§ 81 f.; Urteil 2C_545/2019 vom 13. Juli 2020 E. 4.5). Personen, die nicht selbst durch das Steuerverfahren im ersuchenden Staat berührt sind, deren Namen aber in den zu übermittelnden Unterlagen figurieren, verfügen über datenschutzrechtliche Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, welche es ihnen erlauben, die Beachtung ihres informationellen Selbstbestimmungsrechts überprüfen zu lassen. Solchen Personen im Rahmen des Amtshilfeverfahrens Rechtsschutz zu gewähren, bleibt zwar möglich, ist aber nicht zwingend. Es drängt sich auf, solchen Personen im Amtshilfeverfahren dann Rechtsschutz zu gewähren, wenn sie selbst um Teilnahme am Verfahren ersuchen. Ist Letzteres hingegen nicht der Fall, erscheinen die datenschutzrechtlichen Rechtsbehelfe und Rechtsmittel als genügend (vgl. auch Urteil 2C_376/2019 vom 13. Juli 2020 E. 7.2; zur diesbezüglichen Praxis der ESTV siehe hinten E. 6.3.3).

6.3. Neben dem Gesetzeswortlaut von Art. 14 Abs. 2 StAhiG sprechen auch weitere Umstände dafür, die Informationspflicht der ESTV im Sinne von Art. 14 Abs. 2 StAhiG nur zu bejahen, wenn die Legitimation der betroffenen (Dritt-) Person evident ist:

6.3.1. Diese Einschränkung rechtfertigt sich insbesondere mit Blick auf die Verpflichtung der Schweiz, die Amtshilfe zügig zu gewähren und keine Verfahrensrechte vorzusehen, welche zu unnötigen Verfahrensverzögerungen führen (vgl. E. 5.2.3 und 5.2.4 hiervor). Prozessuale Teilnahmerechte von Dritten dürfen nicht in unverhältnismässiger Weise das Amtshilfeverfahren verzögern. Anzustreben ist deshalb ein Gleichgewicht zwischen der Teilnahme von Dritten an einem solchen Verfahren und der in diesem Sachbereich gebotenen beschleunigten Durchführung des Verfahrens. Der ESTV eine zu weitgehende Verpflichtung zur Information von Dritten aufzuerlegen, würde unweigerlich dazu führen, die Amtshilfeverfahren in einer den Verpflichtungen der Schweiz zuwiderlaufenden Weise zu verzögern, wenn nicht gar zu lähmen (Urteil 2C_376/2019 vom 13. Juli 2020 E. 7.3.1).

6.3.2. Es liegt sodann auch im Interesse der vom Amtshilfeersuchen betroffenen Person, dass die Pflicht der ESTV, über das Amtshilfeverfahren zu informieren, nur in Bezug auf Personen besteht, deren Beschwerdeberechtigung evident ist. Denn es lässt sich leicht vorstellen, dass die betroffene Person nicht wünscht, dass ihre Identität und das sie betreffende Verfahren allen Personen bekannt werden, welche im Sinne von Art. 19 Abs. 2 StAhiG beschwerdeberechtigt sein könnten. Es kommt hinzu, dass die Dritten, deren Namen in den zu übermittelnden Unterlagen erscheinen und die beschwerdeberechtigt sein könnten, häufig ihren Wohnsitz im Ausland haben, so dass die ESTV sie im Sinne von Art. 14 Abs. 4 StAhiG direkt oder, subsidiär, gemäss Art. 14 Abs. 5 StAhiG auf dem Weg der ersuchenden Behörde oder durch Veröffentlichung im Bundesblatt informieren müsste (vgl. zu den verschiedenen Möglichkeiten der Information BGE 145 II 119 E. 7.2–7.2.2 S. 127 f.). Die Information von Dritten unter Beteiligung des ersuchenden Staates liegt aber oft nicht im Interesse der betroffenen Personen (BGE 145 II 119 E. 7.2.2 S. 128).

6.3.3. Es ist sicherlich nicht ausgeschlossen, dass Personen, deren Beschwerdeberechtigung aufgrund der Akten nicht evident ist, sich von sich aus bei der ESTV melden und die Nichtübermittlung bzw. Schwärzung der sie betreffenden Informationen beantragen (vgl. als Beispiel BGE 143 II 506 betreffend Angestellte einer Bank, die Informationsinhaberin war). Nach ihrer Praxis anerkennt die ESTV die Parteistellung solcher Personen. Diese Praxis, die es diesen Personen erlaubt, ihr aus Art. 8 EMRK und Art. 13 BV fliessendes Recht auf informationelle Selbstbestimmung wahrzunehmen (vgl. E. 6.2 hiervor), verdient Zustimmung. Sie ermöglicht es auch Dritten, allfällige Ansprüche geltend zu machen, zum Beispiel eine Schwärzung ihrer Namen zu verlangen (Urteil 2C_545/2019 vom 13. Juli 2020 E. 4.6). Es ist auch daran zu erinnern, dass diese Personen ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung, wenn die Datenübermittlung auf rechtswidrige Weise oder ohne gesetzliche Grundlage erfolgt bzw. erfolgen soll, auch im Rahmen eines datenschutzrechtlichen Verfahrens geltend machen können (Art. 6 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz, DSG, [SR 235.1]; vgl. Urteile 4A_144/2018 vom 21. Januar 2019; 4A_390/2017 vom 23. November 2017), und zwar unabhängig von der Frage, ob die Informationen für Steuerzwecke gegen sie verwendet werden können (vgl. das vorgenannte Urteil des EGMR M.N. g. San Marino [28005/12] vom 7. Juli 2015 §§ 78 ff.). Folglich bleibt das aus Art. 8 EMRK und Art. 13 BV abgeleitete Recht dieser Personen gewahrt, selbst wenn diese Personen nicht am Amtshilfeverfahren teilnehmen können. Darüber hinaus können sich diese Personen auch nach der Übermittlung der sie betreffenden Informationen insofern wehren, als sie zum einen vom ersuchten Staat (vorliegend der Schweiz) verlangen können, dass eine nachträgliche Zustimmung zur abkommensfremden, im Widerspruch zum Spezialitätsprinzip stehenden Verwendung der Informationen nicht erteilt wird (vgl. E. 5.2.1 hiervor), und zum anderen im ersuchenden Staat geltend machen können, dass die übermittelten Informationen infolge des Spezialitätsprinzips nicht gegen sie verwendet werden dürfen, sofern nicht ein neues, gegen sie gerichtetes Amtshilfeverfahren aufgenommen wird.

6.4. Aus dem Gesagten folgt, dass die ESTV eine Person, die nicht Gegenstand des Ersuchens bildet, nach Art. 14 Abs. 2 StAhiG nur dann über das Amtshilfeverfahren zu informieren hat, wenn deren Beschwerdeberechtigung im Sinne von Art. 19 Abs. 2 StAhiG aufgrund der Akten evident ist; allein der Umstand, dass eine Drittperson in den zur Übermittlung vorgesehenen Unterlagen namentlich genannt ist, reicht hingegen für sich allein nicht aus, um eine entsprechende Informationspflicht zu begründen.