Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-4974/2016 vom 25. Oktober 2016

Beschwerdelegitimation der Informationsinhaberin

  • 20 dicembre 2016
  • Trattato da: Susanne Raas
  • Categoria del articolo: Sentenza di principio
  • Campo del diritto: Assistenza amministrativa internazionale
  • Citazione: Susanne Raas, Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-4974/2016 vom 25. Oktober 2016, ASA Online: Sentenza di principio
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-4974/2016 vom 25. Oktober 2016 i.S. UBS Switzerland AG gegen Eidgenössische Steuerverwaltung. Noch nicht entschiedene Rechtsfrage.

Inhalt

  • 1. Regeste 
  • 2. Sachverhalt (Zusammenfassung)
  • 3. Aus den Erwägungen

1.

Regeste  ^

Einer Informationsinhaberin kommt Parteistellung zu, wenn sie vom Verfahren im Sinn von Art. 19 Abs. 2 StAhiG und Art. 48 Abs. 1 VwVG betroffen ist (E. 2). Über die Frage der Beschwerdelegitimation ist sofort und nicht erst zusammen mit der Schlussverfügung zu entscheiden (E. 1.3.2).

Le détenteur de renseignements possède la qualité de partie lorsqu’il est touché par la procédure au sens des art. 19 al. 2 LAAF et art. 48 al. 1 PA (consid. 2). La question de la légitimation à recourir doit être tranchée d’emblée et non uniquement au stade de la décision finale (consid. 1.3.2).

È riconosciuta la qualità di parte ad una detentrice delle informazioni, allorquando la stessa è interessata dalla procedura ai sensi dell’art. 19 cpv. 2 LAAF e dell’art. 48 cpv. 1 PA (consid. 2). Sulla questione della legittimazione ricorsuale va statuito immediatamente e non soltanto congiuntamente alla decisione finale (consid. 1.3.2).

2.

Sachverhalt (Zusammenfassung) ^

Die Steuerbehörde von Frankreich, die Direction Générale des Finances Publiques (nachfolgend: DGFP), ersuchte die Eidgenössische Steuerverwaltung (nachfolgend: ESTV oder Vorinstanz) am 11. Mai 2016 um Amtshilfe.

Nachdem die ESTV am 10. Juni 2016 gegenüber der UBS Switzerland AG eine Editionsverfügung erlassen hatte, stellte Letztere am 21. Juni 2016 unter anderem ein Gesuch auf Akteneinsicht. Sie führte aus, sie sei berechtigt, als Partei an diesem Verfahren teilzunehmen. Dazu gehöre auch das Recht auf Einsicht in die Verfahrensakten.

Mit Verfügung vom 15. Juli 2016 wies die ESTV unter anderem das Gesuch um Akteneinsicht ab. Sie begründete dies insbesondere mit der fehlenden Parteistellung der UBS Switzerland AG.

Gegen die vorgenannte Verfügung der ESTV vom 15. Juli 2016 erhob die UBS Switzerland AG (nachfolgend: Beschwerdeführerin) am 16. August 2016 Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht.

Das Bundesverwaltungsgericht heisst die Beschwerde in Bezug auf das Gesuch um Akteneinsicht gut.

3.

Aus den Erwägungen ^

1.3.2 Zusammengefasst handelt es sich vorliegend nicht ausschliesslich um eine der Schlussverfügung vorangehende Verfügung im Sinn von Art. 19 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 28. September 2012 über die internationale Amtshilfe in Steuersachen (StAhiG, SR 651.1). Sie schliesst das Verfahren für die Beschwerdeführerin insofern ab, als diese zwar der Editionsverfügung Folge leisten muss, im Übrigen aber mangels Parteistellung nicht am Amtshilfeverfahren partizipieren kann. Über die Beschwerde gegen diese Verfügung ist deshalb, soweit sie die Parteistellung der Beschwerdeführerin beschlägt, sofort zu befinden. Zur Behandlung einer Beschwerde gegen diese, das Amtshilfeverfahren für die Beschwerdeführerin abschliessende Verfügung ist das Bundesverwaltungsgericht zuständig ([…]).

[…]

2.

2.1 Nachfolgend ist zu prüfen, ob die Vorinstanz der Beschwerdeführerin zu Recht die Akteneinsicht verweigert hat ([…]). Die Beantwortung dieser Frage hängt direkt mit jener nach der Parteistellung der Beschwerdeführerin im vorinstanzlichen Verfahren zusammen. Kommt der Beschwerdeführerin (im vorinstanzlichen Verfahren) Parteistellung zu, ist ihr im rechtlich vorgesehenen Ausmass ([…]) Einsicht in die Verfahrensakten zu geben (E. 2.2). Streitgegenstand ist damit die Frage, ob der Beschwerdeführerin die Parteistellung im Amtshilfeverfahren zukommt. Aus der Beantwortung dieser Frage ergibt sich, ob ihr Einsicht in die Verfahrensakten zu gewähren ist.

2.2 Art. 19 Abs. 2 StAhiG räumt zunächst der «betroffene[n] Person» ein Beschwerderecht ein. Weitere Personen sind unter den Voraussetzungen von Art. 48 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021) beschwerdelegitimiert. Gemäss Art. 48 Abs. 1 VwVG ist zur Beschwerde legitimiert, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (Bst. a), durch die angefochtene Verfügung besonders berührt ist (Bst. b) und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat (Bst. c).

Die Beschwerdelegitimation bestimmt sich in Verfahren der internationalen Amtshilfe in Steuersachen somit nach Art. 19 Abs. 2 StAhiG i.V.m. Art. 48 Abs. 1 VwVG. Der Kreis der zur Beschwerde berechtigten Personen geht damit über die betroffene Person im Sinn von Art. 3 Bst. a StAhiG hinaus. Erfüllt eine Person die Voraussetzungen für die Beschwerdelegitimation, hat sie auch Parteistellung und ihr kommen die damit verbundenen Rechte und Pflichten zu (vgl. Art. 6 VwVG; Benoît Bovay, Procédure administrative, 2. Aufl. 2015, S. 166 und 169 f., S. 172 i.V.m. S. 171 und S. 174; René Rhinow/Heinrich Koller/Christina Kiss/Daniela Thurnherr/Denise Brühl-Moser, Öffentliches Prozessrecht, 3. Aufl. 2014, Rz. 312, 860 und 1202; Alfred Kölz/Isabelle Häner/Martin Bertschi, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3. Aufl. 2013, Rz. 443 und 493 ff.; Pierre Moor/Etienne Poltier, Droit administratif, Bd. 2, 3. Aufl. 2011, Ziff. 2.2.5.5 S. 282; Vera Marantelli/Said Huber, in: Praxiskommentar VwVG, 2. Aufl. 2016, Art. 6 N. 3, 17 und 26 ff., s.a. Art. 48 N. 11, wonach mit den Kriterien des «besonderen Berührtseins» und des «schutzwürdigen Interesses» der grundsätzlich weite Parteibegriff von Art. 6 VwVG eingeschränkt werden soll). So hält Art. 14 Abs. 2 StAhiG fest, dass auch die beschwerdeberechtigten Personen über das Amtshilfeverfahren zu informieren sind, und Art. 15 Abs. 1 StAhiG besagt, dass sich die beschwerdeberechtigten Personen am Verfahren beteiligen und Einsicht in die Akten nehmen können.

2.3

2.3.1 Art. 13 Abs. 2 der Verordnung vom 1. September 2010 über die Amtshilfe nach Doppelbesteuerungsabkommen (ADV, AS 2010 4017), die per 1. Februar 2013 aufgehoben wurde (AS 2013 229), erklärte, dass die betroffene Person, die Informationsinhaberin oder der Informationsinhaber sowie die besonders betroffenen Dritten unter den Voraussetzungen von Art. 48 VwVG beschwerdelegitimiert seien.

2.3.2 Im Gegensatz zum (nicht mehr geltenden) Art. 13 Abs. 2 ADV erwähnt der heute geltende Art. 19 Abs. 2 StAhiG den Informationsinhaber oder die Informationsinhaberin nicht mehr explizit. Nach wie vor ist aber ein Verweis auf Art. 48 VwVG vorhanden. Fraglich ist daher, ob der Gesetzgeber mit dem Verzicht auf explizite Nennung dem Informationsinhaber bzw. der Informationsinhaberin kein Beschwerderecht einräumen wollte oder ob diesem gemäss Art. 48 VwVG ein Beschwerderecht zustehen soll (so auch Kölz/Häner/Bertschi, a.a.O., Rz. 2070; für ein Beschwerderecht: Aurélia Rappo/Aurélie Tille, Les conditions d'assistance administrative internationale en matière fiscale selon la LAAF, in: Revue de droit administratif et de droit fiscal 2013 II, S. 1 ff., S. 8 ; differenziert: Charlotte Schoder, Praxiskommentar zum Bundesgesetz über die internationale Amtshilfe in Steuersachen, 2014, Art. 19 StAhiG N. 253). Dies ist grundsätzlich durch Auslegung zu ermitteln (dazu nachfolgend E. 2.4).

2.4 [Zur Auslegung]

2.4.1 Der Wortlaut von Art. 19 Abs. 2 StAhiG schliesst in allen drei Sprachfassungen nicht aus, dass die Informationsinhaberin oder der Informationsinhaber Beschwerde erheben kann.

2.4.2 Den Materialien lässt sich zur Frage der Beschwerdelegitimation des Informationsinhabers bzw. der Informationsinhaberin keine eindeutige Aussage entnehmen. Die Botschaft äussert sich nicht dazu und in den parlamentarischen Beratungen zum StAhiG findet sich – soweit ersichtlich – nur ein Votum von Ständerat Peter Föhn, in dem dieser festhält, «[...] der Informationsinhaber ist nicht einmal Partei des Verfahrens» (AB 2012 S 297, wo sich der Votant gegen Zwangsmassnahmen gegenüber Informationsinhabern ausspricht). Aus dieser kurzen Passage, die in einem konkreten Zusammenhang geäussert wurde, kann nicht geschlossen werden, der Gesetzgeber habe einem Informationsinhaber oder einer Informationsinhaberin in keinem Fall Parteistellung im Amtshilfeverfahren einräumen wollen.

2.4.3 Sinn und Zweck von Art. 19 Abs. 2 StAhiG ist es, klarzustellen, dass in Bezug auf den Kreis der zur Beschwerde berechtigten Personen die allgemeinen Regeln der Beschwerdeberechtigung gelten und sich diese nicht auf die im Sinn von Art. 3 Bst. a StAhiG betroffene Person beschränkt. Auch die Auslegung nach Sinn und Zweck ergibt damit, dass die Beschwerdelegitimation eines Informationsinhabers oder einer Informationsinhaberin nicht per se ausgeschlossen werden sollte.

2.4.4 In Bezug auf die systematische Auslegung ist die Rechtsprechung zur internationalen Rechtshilfe in Strafsachen beizuziehen. Dort haben Informationsinhaber und -inhaberinnen kein Beschwerderecht, sofern sie nur Auskünfte über ihre Kunden erteilen müssen und dadurch nicht auch in den eigenen Interessen bzw. Aktivitäten betroffen sind. Sind eigene Interessen des Informationsinhabers oder der Informationsinhaberin betroffen, kann er oder sie, wenn die übrigen Voraussetzungen gegeben sind, Beschwerde erheben (BGE 128 II 211 E. 2.2 und 2.4 f.; Giorgio Bomio/David Glassey, La qualité pour recourir dans le domaine de l'entraide judiciaire internationale en matière pénale, in: Jusletter 13. Dezember 2010, Rz. 31, vgl. auch Rz. 32 mit Hinweis auf TPF 2008 172 E. 1.3.1.; Zimmermann, a.a.O., N. 533 S. 535 m.Hw. auf die Rechtsprechung). Im Bereich der (Straf-)Rechtshilfe ist damit eine Beschwerde des Informationsinhabers oder der Informationsinhaberin unter Umständen möglich. Da sich Amtshilfe und Strafrechtshilfe in Bezug auf die Stellung des Informationsinhabers bzw. der Informationsinhaberin sehr ähnlich sind, spricht die systematische Auslegung dafür, auch im Amtshilfeverfahren dem Informationsinhaber bzw. der Informationsinhaberin zumindest unter bestimmten Voraussetzungen ein Beschwerderecht zuzuerkennen.

Aus der Systematik ergibt sich weiter, dass Informationsinhaber und -inhaberinnen in internationalen Amtshilfeverfahren in Steuersachen – wie auch weitere Personen (gemäss dem Wortlaut von Art. 19 Abs. 2 StAhiG) – dann zur Beschwerde legitimiert sind (und demnach im vorinstanzlichen Verfahren Parteistellung haben müssen), wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 48 Abs. 1 VwVG erfüllen, so z.B. wenn sie durch die Herausgabe und Übermittlung von Informationen in ihren in einem konkreten Verfahren näher zu definierenden, eigenen Interessen stärker betroffen sind als «gewöhnliche» Informationsinhaber und -inhaberinnen – die nur insofern am Verfahren beteiligt sind, als sie über die ersuchten Informationen verfügen und diese herauszugeben haben – und ein Interesse an der Aufhebung von Verfügungen haben (vgl. allgemein: Kölz/Häner/Bertschi, a.a.O., Rz. 942, wonach – mit Hinweis auf BVGE 2007/20 E. 2.4.1 – geringfügige und unwahrscheinliche Beeinträchtigungen nicht ausreichen). Allerdings ist eine Person nicht schon deshalb zur Beschwerde legitimiert, weil sie Informationsinhaberin im Sinn von Art. 3 Bst. b StAhiG ist.

2.5 Für den vorliegenden Fall relevant ist damit die Feststellung, dass die Informationsinhaberin zumindest dann gegen die Schlussverfügung Beschwerde erheben kann, wenn sie in ihren eigenen Interessen betroffen ist und nicht nur Auskünfte über die Geschäftspartner geben muss (zu denken ist beispielsweise an die Übermittlung von Geschäftsgeheimnissen der Informationsinhaberin; vgl. in Bezug auf Anwälte und Treuhänder: Schoder, a.a.O., Art. 19 StAhiG N. 253). Daran ändert nichts, dass – wie die ESTV vorbringt – die ausländischen Steuerpflichtigen und nicht die Beschwerdeführerin im Zentrum des Ersuchens stehen.

[Im konkreten Fall kommt der Bank als Informationsinhaberin Parteistellung zu.]