Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-6074/2019 vom 8. September 2021

Amtshilfe (DBA CH-AT): vom Arztgeheimnis nicht gedeckte Informationen

  • Trattato da: Susanne Raas
  • Categoria di articoli: Sentenza di principio
  • Campo del diritto: Assistenza amministrativa internazionale
  • Citazione: Susanne Raas, Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-6074/2019 vom 8. September 2021, ASA Online: Sentenza di principio
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. September 2021 i.S. X. gegen Eidgenössische Steuerverwaltung (A-6074/2019).

Inhalt

  • 1. Regeste
  • 2. Sachverhalt (Zusammenfassung)
  • 3. Aus den Erwägungen

1.

Regeste ^

Art. 126 DBG, der Mitwirkungspflichten der steuerpflichtigen Person regelt, enthält keinen ausdrücklichen Vorbehalt des gesetzlich geschützten Berufsgeheimnisses (E. 3.2.3.2). Vorliegend kommt ohnehin eine Berufung auf das strafrechtlich geschützte Berufsgeheimnis nicht in Frage, weil die Informationsinhaberin nicht als Hilfsperson des Zahnarztes im Sinne dieses Artikels gilt (E. 3.2.3.3).
Lart. 126 LIFD, qui règle les obligations de collaborer du contribuable, ne contient pas de réserve expresse du secret professionnel protégé par la loi (consid. 3.2.3.2). En lespèce, il nest de toute façon pas question dinvoquer le secret professionnel protégé par le droit pénal, car la détentrice des informations nest pas considérée comme un auxiliaire du médecin-dentiste au sens de cet article (consid. 3.2.3.3).

2.

Sachverhalt (Zusammenfassung) ^

Am 6. Mai 2019 stellte das «Central Liaison Office for International Cooperation» des österreichischen Bundesministeriums für Finanzen (nachfolgend: CLO oder ersuchende Behörde) ein Amtshilfeersuchen an die Eidgenössischen Steuerverwaltung (nachfolgend: ESTV) gestützt auf Art. 26 des Abkommens vom 30. Januar 1974 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (SR 0.672.916.31; im Folgenden: DBA CH-AT).
Das CLO bezweckt mit den ersuchten Informationen eine korrekte Einkommensbesteuerung von X., der in Österreich ansässig ist und dort im relevanten Besteuerungszeitraum 2013 bis 2018 Einkünfte aus zahnärztlicher Tätigkeit erzielt hat (nachfolgend auch: betroffene Person). Erfragt werden Informationen zur A. AG, die ihren Sitz in der Schweiz hat, und zu deren Geschäftstätigkeit mit der betroffenen Person.
Die ersuchende Behörde äussert den Verdacht, dass X. in den Jahren 2013 bis 2018 in Österreich durch Einschaltung der Firma A. AG (bei der es sich möglicherweise um eine Scheinfirma handle) Einkommensteuern hinterzogen habe. Diese Gesellschaft habe im Zusammenhang mit zahnärztlichen Leistungen, die von X. erbracht wurden, direkt Rechnungen an österreichische Patienten gestellt. X. habe durch die entsprechenden Umsatzverkürzungen die Bemessungsgrundlage für seine Einkommensteuerfestsetzungen der Jahre 2013 bis 2018 wesentlich verkürzen können. Er bestelle nach eigenen Angaben bei der A. AG Zahnprothesen und ähnliche Produkte. Die Patienten hätten den von der A. AG in Rechnung gestellten Betrag bar an X. geleistet. Letzterer habe diese Beträge dann auf ein Konto der A. AG bezahlt, wobei bei ihm kein Aufwand in der Buchhaltung erscheine. Es könne daher sein, dass gar keine Rechnungen direkt an X. ausgestellt wurden, sondern nur an die Patienten. Es sei daher wichtig zu wissen, welche Umsätze mit Österreich getätigt worden seien. Es sei zu vermuten, dass die betroffene Person die tatsächlichen Umsätze mit Patienten, die Rechnungen der A. AG erhalten hatten, nicht oder nur unvollständig versteuert habe. Von X. müssten jedenfalls Bestellungen über Produkte vorliegen.
Nach Durchführung des Verfahrens, verfügte die ESTV mit Schlussverfügung vom 15. Oktober 2019 insbesondere, dass sie der ersuchenden Behörde Amtshilfe leiste.
Gegen diese Schlussverfügung lässt X. (nachfolgend: der Beschwerdeführer) am 14. November 2019 Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht erheben und beantragen, die Editionsverfügung vom 16. Mai 2019 sei aufzuheben, eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die ESTV zurückzuweisen. Weiter sei die Schlussverfügung vom 15. Oktober 2019 aufzuheben, eventualiter die Sache zur Neubeurteilung an die ESTV zurückzuweisen. Subeventualiter seien die Unterlagen vollständig zu anonymisieren und insbesondere die Namen und Adressen von Patienten, Vertragspartnern und Mitarbeitern unkenntlich zu machen.
Das Bundesverwaltungsgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

3.

Aus den Erwägungen ^

3.2 In einem nächsten Schritt ist zu prüfen, ob die gegenüber der A. AG erlassene Editionsverfügung bzw. die vorliegend erfolgte Informationsbeschaffung rechtmässig war und ob insofern auch die Übermittlung zulässig ist. Insbesondere stellt sich mit Blick auf den in Art. 26 Abs. 3 DBA CH-AT enthaltenen Vorbehalt der Erhältlichkeit von Informationen nach innerstaatlichem Recht, der auch in Art. 8 Abs. 1 StAhiG [Bundesgesetz vom 28. September 2012 über die internationale Amtshilfe in Steuersachen; SR 651.1] zum Ausdruck kommt, die Frage, inwieweit die A. AG nach schweizerischem Recht zur Herausgabe von Informationen – auch unter dem Aspekt des Berufsgeheimnisses – verpflichtet war.
3.2.1 […]
3.2.2 Der Beschwerdeführer wendet ein, sowohl die Bestellscheine als auch die Patientenrechnungen enthielten sensible und besonders schützenswerte Daten über die Zahngesundheit der Patienten. Deren Beschaffung und Übermittlung an die ersuchende Behörde sei der Vorinstanz unter datenschutzrechtlichen Aspekten untersagt ([…]).
Dieser Einwand ist unbegründet. Mit Art. 126 DBG [Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer; SR 642.11] und Art. 8 ff. StAhiG besteht vorliegend eine formell-gesetzliche Grundlage im Sinn von Art. 17 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz (DSG, SR 235.1) für die Edition von Unterlagen, die für die korrekte Besteuerung eines Steuerpflichtigen relevant sind. Weil das StAhiG sodann als lex specialis dem DSG grundsätzlich vorgeht (vgl. BGE 143 II 506 E. 5.2.2; [angefochtenes] Urteil des BVGer A-5715/2018 vom 3. September 2019 E. 4.6.2 mit weiteren Hinweisen), hindert die Berufung auf das DSG auch die Übermittlung der Daten an den ersuchenden Staat im Grundsatz nicht. In Bezug auf die Zulässigkeit der Informationsübermittlung ist somit vorliegend entscheidend, ob die Vorgaben von Art. 4 Abs. 3 StAhiG erfüllt sind (voraussichtliche Erheblichkeit der zu übermittelnden Informationen und Verhältnismässigkeit). Diese Fragen werden in E. 3.3 f. nachfolgend näher geprüft. Zudem ist davon auszugehen, dass in Österreich eine Gesetzgebung besteht, die einen angemessenen Schutz der Patientendaten gewährleistet, so dass der Informationsübermittlung auch Art. 6 Abs. 1 DSG nicht entgegen steht (vgl. zu dieser Thematik ferner: Urteil des BVGer A-3972/2019 vom 22. März 2021 E. 3.8).
3.2.3 Im Zusammenhang mit der innerstaatlichen Informationsbeschaffung stellt sich jedoch bezüglich der Patientendaten die Frage, ob die Mitwirkungspflicht der A. AG durch das Berufsgeheimnis eingeschränkt ist. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, dass das sowohl in Österreich als auch in der Schweiz geltende Zahnarztgeheimnis der Amtshilfeleistung entgegensteht ([…]).
3.2.3.1 Vorab ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer als Zahnarzt und damit primärer Geheimnisträger von einer allfälligen Verletzung des Berufsgeheimnisses durch die A. AG auch in seinen eigenen Interessen betroffen wäre, weshalb er sich darauf berufen kann und auf das Vorbringen einzutreten ist. Da sich die innerstaatliche Informationsbeschaffung in der Schweiz allerdings einzig nach schweizerischem Recht richtet, bleibt das im österreichischen bzw. europäischen Recht statuierte Berufsgeheimnis unbeachtlich.
3.2.3.2 Im Gegensatz zum hier […] nicht anwendbaren Art. 127 Abs. 2 DBG, enthält Art. 126 DBG keinen ausdrücklichen Vorbehalt des gesetzlich geschützten Berufsgeheimnisses. Dass dieser Vorbehalt letztlich nicht in Art. 126 DBG aufgenommen wurde, hat der Bundesrat in seiner damaligen Botschaft über die Steuerharmonisierung damit erklärt, es gebe «in eigener Sache kein den Steuerbehörden entgegenzuhaltendes Berufsgeheimnis» (Botschaft vom 25. Mai 1983 zu Bundesgesetzen über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden sowie über die direkte Bundessteuer [Botschaft über die Steuerharmonisierung], BBl 1983 III 1, S. 209). Diese gesetzgeberische Überlegung wird im Schrifttum kritisiert und es wird die Ansicht vertreten, das Berufsgeheimnis sei auch im Anwendungsbereich von Art. 126 DBG zu wahren (vgl. Martin Zweifel/Silvia Hunziker, in: Zweifel/Beusch [Hrsg.]: Kommentar zur Schweizerischen Steuerrecht, Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, 3. Aufl. 2017, Art. 126 N. 47 in fine). Davon geht offenbar auch die ESTV in ihrer direktsteuerlichen Verwaltungspraxis aus und sieht vor, dass der Geheimnisträger seine Bücher so führen müsse, dass die Steuerverwaltung Kontrollen durchführen kann, ohne dass das Berufsgeheimnis verletzt werde (dazu ausführlich: Kreisschreiben Nr. 19 Auskunfts-, Bescheinigungs- und Meldepflicht im DBG Ziff. 3b).
3.2.3.3 Ohnehin kann sich die A. AG bzw. der Beschwerdeführer – selbst bei Massgeblichkeit des strafrechtlich geschützten Berufsgeheimnisses gemäss Art. 321 StGB [Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937; SR 311.0] im Rahmen der innerstaatlichen Informationsbeschaffung nach Art 126 DBG – nicht mit Erfolg darauf berufen. Eine strafbare Verletzung des Berufsgeheimnisses wäre nämlich nur dann zu bejahen, wenn die A. AG, bei der die Informationen ediert wurden und die selbst offensichtlich nicht als Zahnärztin qualifiziert, die Eigenschaft einer Hilfsperson im Sinn von Art. 321 StGB erfüllen würde. Dies würde voraussetzen, dass sie unter der Aufsicht und Leitung des Beschwerdeführers tätig wurde (Niklaus Oberholzer, in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentrar, Strafrecht II, Art. 137–392 StGB, Jugendstrafgesetz, 4. Aufl. 2019, Art. 321 N. 10; Trechsel/Vest, in: Trechsel/Pieth [Hrsg.], Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, Art. 321 N. 13). Anders etwa als bei Praxispersonal ist jedoch bei der A. AG als blosse Lieferantin von zahntechnischen Produkten und Vermieterin von Praxisräumen nicht ersichtlich, dass sie in einem derartigen Verhältnis zum Beschwerdeführer stand. Auch eine allfällige vertragliche Abrede zwischen dem Beschwerdeführer und der A. AG über die Weitergabe von Patientendaten vermag an der fehlenden Hilfspersoneneigenschaft nichts zu ändern (vgl. Oberholzer, a.a.O., Art. 321 N. 11). Der Edition von Informationen bei der A. AG steht vorliegend das strafrechtlich geschützte Berufsgeheimnis gemäss Art. 321 StGB nicht entgegen. Folglich hindert der im Abkommen in Art. 26 Abs. 3 Bst. a bis c DBA CH-AT statuierte Vorbehalt der Erhältlichkeit von Informationen nach innerstaatlichem Recht bzw. des Berufsgeheimnisses auch die Übermittlung der Informationen an die ersuchende Behörde nicht.
3.2.4 […]
3.2.5 Die gegenüber der A. AG erlassene Editionsverfügung bzw. die vorinstanzliche Informationsbeschaffung erweist sich als rechtmässig. Damit steht vorliegend auch der Vorbehalt der Erhältlichkeit der Informationen nach innerstaatlichem Recht bzw. der Vorbehalt des Berufsgeheimnisses gemäss Art. 26 Abs. 3 Bst. a bis c DBA CH-AT der Informationsübermittlung nicht entgegen.
[E. 3.3 ff.: Die Daten erweisen sich als voraussichtlich erheblich und deren Übermittlung ist verhältnismässig.]
Das von A. am 27. September 2021 angerufene Bundesgericht tritt mit Urteil 2C_757/2021 vom 7. Oktober 2021 nicht auf die Beschwerde ein. Unter anderem hält es fest, die Frage, unter welchen Umständen einer inländischen Gesellschaft die Eigenschaft einer Hilfsperson nach Art. 321 StGB zukomme, habe keine spezifisch amtshilferechtliche Bedeutung, so dass darin keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung erblickt werden könne. Die Beantwortung der Frage, welche Tragweite dem ärztlichen Berufsgeheimnis nach österreichischem Recht zukomme, sprenge grundsätzlich die Prüfungszuständigkeit des Bundesgerichts im Rahmen eines Amtshilfeverfahrens; auch darin könne keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung erblickt werden.