Seit der Gründung des modernen Bundesstaats haben sich die Schweiz und ihr politisches System kontinuierlich weiterentwickelt. Dieses System steht heute vor Herausforderungen, die 1848 kaum absehbar, in vielen Fällen auch schlicht undenkbar waren. Dazu gehören in neuester Zeit die rasanten Fortschritte in der Informations- und Kommunikationstechnologie, welche nicht nur tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzungen mit sich gebracht haben und weiterhin bringen, sondern auch gewichtige Implikationen für die politischen Prozesse und ihre rechtliche Ausgestaltung haben.
Aber selbst angesichts dieser Disruption bleiben zugleich einige grundsätzliche Herausforderungen erstaunlich konstant, mit denen sich ein Gemeinwesen mit substanzieller direktdemokratischer Partizipation konfrontiert sieht. Dies gilt auch für die Frage, wie bzw. wie weit diese Partizipation rechtlich normiert werden soll. So sah zwar bereits die erste Bundesverfassung von 1848 die Möglichkeit vor, dass «fünfzigtausend stimmberechtigte Schweizerbürger die Revision der Bundesverfassung verlangen».2 Wie eine solche Initiative auf Totalrevision jedoch konkret vonstatten gehen sollte, blieb jedoch zunächst gänzlich ungeregelt. Erst 1866 konstatierte der Bundesrat diesen «Übelstand» und betonte, dass über die Frage, wie das Initiativrecht ausgeübt werden und «auf welche Weise der Bürger sein Verlangen kundgeben müsse», keine Unsicherheiten bestehen dürfe. Daher sollte für die Zukunft Vorsorge getroffen werden, dass die Verfassungsinitiative «auf eine sichere, der Freiheit und den Rechten des schweizerischen Volkes, wie der öffentlichen Ordnung und Wohlfahrt angemessene Weise geregelt» werde.3
Eine solche, den jeweiligen Umständen angemessene Regelung zu finden ist auch knapp 160 Jahre später eine anspruchsvolle Aufgabe geblieben – die sich uns zudem im Kontext der Digitalisierung mit besonderer Dringlichkeit stellt. Die Herausforderung ist umso grösser, als dass sich die verfassungsrechtlichen Vorgaben im Bereich von Initiative und Referendum auf Bundesebene durch ausserordentliche Stabilität, ja sogar Starrheit auszeichnen: Als «Eigenarten unserer staatlichen Ordnung» spielen diese Instrumente im schweizerischen Selbstverständnis eine wichtige Rolle und bedürfen entsprechend «besonderer Aufmerksamkeit und Pflege»; bei ihrer Ausgestaltung verbietet sich folglich «irgendwelches unbedachte Experimentieren».4
Auch aus diesem Grund hat sich die Einbindung der neuen Kommunikationstechnologien im Kontext direktdemokratischer Partizipation bisher als schwierig erwiesen: Die Möglichkeit, Initiativ- und Referendumsbegehren elektronisch zu unterstützen, war zwar als Folgeschritt der digitalen Stimmabgabe bei eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen schon länger anvisiert;5 aber ebendiese in einigen Kantonen bereits versuchsweise eingeführte Stimmabgabe musste im Juni 2019 aus technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Gründen sistiert werden.6 Bei den eidgenössischen Wahlen vom 22. Oktober 2023 war die elektronische Stimmabgabe in sehr beschränktem Umfang nach längerem Unterbruch wieder möglich.7 Darüber hinaus wird aber auch immer wieder verlangt, die Digitalisierung der Unterschriftensammlung beschleunigt voranzutreiben8 – gerade aufgrund der Erfahrungen während der Corona-Pandemie werden solche Forderungen vermehrt erhoben.9
Nun wird die schweizerische Bundesverfassung im internationalen Vergleich zwar ausserordentlich häufig revidiert;10 zugleich sind die institutionellen Grundstrukturen der Eidgenossenschaft von grosser Konstanz geprägt. Neue direktdemokratische Instrumente wurden im Bundesstaat nur ganz vereinzelt eingeführt und im Anschluss höchstens punktuell modifiziert. Die Verfassung von 1848 sah einzig die Initiative auf Totalrevision vor.11 Seit 1874 kann das Gesetzesreferendum ergriffen werden.12 Die Einführung der Initiative auf Partialrevision als letzte substantielle Innovation datiert aus dem Jahr 1891;13 1921 wurde der sachliche Anwendungsbereich des Referendums auf längerfristige Staatsverträge erstreckt,14 ergänzt 1977 um Beitritts- und Harmonisierungsverträge.15 Die 2003 in einer Volksabstimmung gutgeheissene «allgemeine Volksinitiative» hingegen wurde bereits 2009 wieder abgeschafft, ohne je in Kraft getreten zu sein (und illustrierte so unbeabsichtigt auch die nicht zu unterschätzende legistische Komplexität direktdemokratischer Partizipation).16
Dieser Konservatismus gilt auch mit Bezug auf die konkrete Ausgestaltung der direktdemokratischen Instrumente. Auf Bundesebene legt die Verfassung für Initiativen und Referenden mit Blick auf prozedurale Anforderungen weiterhin nur Quoren und Fristen fest (Art. 138 Abs. 1, Art. 139 Abs. 1, Art. 141 Abs. 1 BV). Die Bundesverfassung enthält also keinerlei Bestimmungen zu einer Digitalisierung politischer Prozesse; aber auch auf Gesetzes- bzw. Verordnungsstufe existiert bisher auf Bundesebene keine Grundlage für die umfassende Einführung von E-Collecting.17 In diesem Kontext befasst sich unser Beitrag zuerst mit der Frage, ob die Einführung von E-Collecting aus verfassungsrechtlicher Sicht de lege lata grundsätzlich zulässig wäre, oder ob vorgängig eine Verfassungsrevision erforderlich ist. Unsere rechtshistorische und teleologische Auslegung der einschlägigen Verfassungsnormen zeigt, dass die Vorgaben zu Fristen und Quoren nicht nur prozeduraler Natur sind, sondern auf ein «richtiges» Mass beim Gebrauch der Volksrechte zielen.
In einem zweiten Schritt suchen wir zudem die enger gefasste Frage zu beantworten, ob im Falle der prinzipiellen Zulässigkeit von E-Collecting eine Beschränkung digitaler Unterstützungsbekundungen in zeitlicher, anteilsmässiger oder geographischer Hinsicht verfassungskonform wäre. Hier differenzieren wir zwischen einer als Versuchsbetrieb konzipierten Pilotphase und dem regulären Betrieb eines E-Collecting-Systems.
In der öffentlichen Diskussion wurde diesen (verfassungs-)rechtlichen Anforderungen bisher vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt. So handelte etwa der erste einschlägige Bericht des Bundesrats die rechtlichen Anforderungen an digitale Abstimmungen und Wahlen nur sehr knapp ab.18 Auch bei der anschliessenden Revision des Bundesgesetzes und der Verordnung über die politischen Rechte als gesetzgeberischer Initialzündung für die digitale Ausübung politischer Rechte19 fiel die obligate Prüfung der Verfassungsmässigkeit sehr summarisch aus,20 und die (minimen) Erleichterungen in Bezug auf die Unterschriftensammlung blieben gänzlich unerwähnt.21
In der Folge stand auf Seiten des Bundesrats gleichermassen die «gesellschaftliche und politische Akzeptanz des Vote électronique» und nicht die rechtliche Qualifikation im Vordergrund.22 Schliesslich forderte auch das Postulat der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats, «insbesondere die staatspolitischen Auswirkungen sowie die möglichen Folgen auf das politische System der Schweiz» aufzuzeigen; in der Begründung geht das Postulat zudem wie ähnliche frühere Vorstösse23 zumindest implizit davon aus, dass E-Collecting zwar eine Herausforderung für den Gesetzes-, nicht aber für den Verfassungsgeber ist.24
E-Collecting wird vom Gesetzgeber und von den politischen Akteuren bisher also primär als «politische Frage» wahrgenommen.25 Auch in der öffentlichen Diskussion dominiert diese Perspektive,26 teilweise ergänzt um sozialwissenschaftliche Aspekte oder Sicherheitsbedenken.27 Die Rechtswissenschaft wiederum befasste sich bisher vorrangig mit den normativen Aspekten von E-Government und E-Voting, das E-Collecting hingegen wird – bedingt durch den bundesrätlichen Zeitplan – vor allem als künftige Herausforderung thematisiert.28 Einzelne Studien befassten sich aber auch schon vorrangig mit den juristischen Implikationen der digitalen Unterschriftensammlung für Initiative und Referendum;29 gerade in der verfassungsrechtlichen Beurteilung divergierten aber die jeweiligen Schlussfolgerungen teilweise erheblich.30
2.1.
Terminologie ^
Vorweg kurz zur einschlägigen Terminologie, die nicht immer einheitlich verwendet wird: Grundsätzlich bezieht sich der Begriff E-Collecting auf das Sammeln von Unterstützungsbekundungen für Initiativen und Referenden in elektronischer Form.31 Dabei lassen sich vier elementare Teilaspekte unterscheiden, die de lege lata alle papierbasiert durchgeführt werden:32 (1) Das elektronische Unterschreiben durch die Stimmberechtigten; (2) das elektronische Sammeln durch die Komitees; (3) die elektronische Prüfung und Bescheinigung der Gültigkeit durch die kantonalen oder kommunalen Bescheinigungsstellen und (4) das elektronische Zählen der bescheinigten Unterschriften durch die Bundeskanzlei.33 Ob sämtliche dieser Abläufe elektronisch erfolgen müssen, damit es sich um E-Collecting handelt, kann hier offen bleiben.34 Ausser Frage steht aber, dass als Minimalanforderung der erste Schritt, also die Abgabe der Unterstützungsbekundung durch die Stimmberechtigten, digital erfolgen muss. Dieser Schritt steht in der folgenden Analyse insbesondere bei der Prüfung der Verfassungsmässigkeit denn auch im Vordergrund. Die Vorteile von E-Collecting gerade für Initiativkomitees und Behörden kommen aber erst bei einer Digitalisierung der weiteren «Verarbeitungsschritte» der elektronischen Unterstützungsbekundungen wirklich zum Tragen. Wir stellen daher eine ganzheitlichere Betrachtung der Prozesse und somit eine Definition von E-Collecting ins Zentrum, die auch die zumindest teilweise Weiterbearbeitung der eingegangenen Unterstützungsbekundungen in elektronischer Form vorsieht.35
2.2.1.
Verfassungsrechtliche und gesetzliche Zuständigkeitsordnung ^
Mit der Bundesverfassung von 1999 wurde die Kompetenz zur Normierung eidgenössischer Wahlen und Abstimmungen konzise und auf Verfassungsebene festgelegt: Gemäss Art. 39 Abs. 1 BV regelt der Bund die Ausübung der politischen Rechte in eidgenössischen Angelegenheiten, während die Kantone für kantonale und kommunale Angelegenheiten zuständig sind.36 Gestützt auf die dort statuierte ausschliessliche Bundeskompetenz regeln BPR und VPR die Ausübung der politischen Rechte im Bund, doch finden sich in diesen Erlassen weiterhin zahlreiche Verweise auf kantonales Recht, etwa in Bezug auf die Ausgestaltung der brieflichen Stimmabgabe.37 Kantonales Recht gilt zudem subsidiär, wenn das BPR und die anderen Ausführungserlasse des Bundes keine Bestimmungen enthalten.38 Das kantonale Ausführungsrecht ist genehmigungsbedürftig (Art. 91 Abs. 2 BPR). Aufgrund der geltenden Kompetenzordnung kann deshalb die (versuchsweise oder definitive) Einführung von E-Collecting für Abstimmungen auf Bundesebene einzig durch den Bundesgesetz- oder Verordnungsgeber erfolgen, der auch exklusiv den Umfang einer elektronischen Unterschriftensammlung festlegt.
Auf Kantons- und Gemeindeebene können die Kantone hingegen selbständige Vorschriften zur elektronischen Unterschriftensammlung erlassen, solange die bundesrechtlichen Vorgaben eingehalten werden.39 Diese Funktion der Kantone als «Laboratorien» im Bundesstaat ist gerade bei der elektronischen Unterschriftensammlung besonders relevant:40 Es wird immer wieder betont, dass vor einer bundesweiten Einführung von E-Collecting Erfahrungen auf kantonaler Ebene gesammelt werden sollen.41 Bei kantonalem E-Collecting für eidgenössische Volksbegehren würde es sich mithin auch um einen geographisch begrenzten Versuchsbetrieb handeln,42 der gemäss Art. 27q VPR von Kantonen beantragt und vom Bundesrat u.U. genehmigt werden könnte. Seit der Einführung des Artikels im Jahr 2003 wurde von dieser Möglichkeit noch kein Gebrauch gemacht.43
Seit 2018 gibt es in verschiedenen Kantonen aber parlamentarische Vorstösse, die sich mit der Einführung von E-Collecting im Rahmen kantonaler und kommunaler Volksbegehren befassen. Am weitesten fortgeschritten ist die Einführung von E-Collecting in den Kantonen St. Gallen und Schaffhausen. Nachdem in St. Gallen u.a. die Ablehnung des E-ID-Gesetzes im Bund für Verzögerungen gesorgt hatte,44 sollen in der ersten Hälfte des Jahres 2025 Pilotversuche mit E-Collecting auf kantonaler Ebene starten.45 Aktuell werden parallel die Gesetzgebungsarbeiten zur Schaffung der notwendigen rechtlichen Grundlagen zur Einführung von E-Collecting46 und die technische Umsetzung der E-Collecting-Plattform vorangetrieben. Im Kanton Schaffhausen sind die technischen Voraussetzungen bereits länger gegeben. Die Schaffung der gesetzlichen Grundlagen läuft aufgrund einer Volksmotion,47 bis Ende 2023 will der Regierungsrat dem Parlament eine Orientierungsvorlage unterbreiten.48
In den Kantonen Zürich,49 Basel-Landschaft und Bern wurden 2021 entsprechende Vorstösse gutgeheissen.50 Die Umsetzung der Vorstösse in Zürich und Bern läuft noch.51 Im Kanton Basel-Stadt fehlt, trotz gesetzlicher Grundlage52 und wohl grundsätzlicher Unterstützung in der Bevölkerung,53 eine tatsächliche Umsetzung von E-Collecting. Eine betreffende Motion wurde 2021 nicht überwiesen.54 Auch in den Kantonen Zug55 und Obwalden56 wurden Vorstösse bzgl. E-Collecting im Jahr 2022 abgelehnt.
2.2.2.
Föderalistische Implikationen ^
Die Verortung der rechtlichen Zuständigkeit im föderalen Staatsgefüge ist mit Bezug auf die Einführung von E-Collecting folglich problemlos möglich. Weniger klar sind die Auswirkungen, welche eine digitale Unterschriftensammlung möglicherweise auf dieses Gefüge hätte. Das Zusammenspiel von kantonaler und bundesstaatlicher Ebene beim Ausüben der Volksrechte geht über die simple Frage der Kompetenz hinaus; wie der Bundesrat schon zu Beginn des Projekts Vote électronique festhielt, ist die örtliche Gebundenheit von Rechten und Entscheidungen eine wichtige Eigenart der schweizerischen Demokratie.57 Im angedachten Rahmen – d.h. mit einer zentralen Sammelstelle und einem einheitlichen Portal – würde E-Collecting zwar zu erheblichen Effizienzgewinnen, zugleich aber auch zu einer Vereinheitlichung und organisatorischen Zentralisierung führen. Ein erster, niederschwelliger Schritt dazu wäre die Notwendigkeit einer umfassenden zentralen Informations- und Sammellistenbezugsstelle.58 Dies setzte dann (analog zur Volksinitiative) auch eine Registrierungspflicht für Referendumsbestrebungen bei der Bundeskanzlei voraus.59
Darüber hinaus wirkte sich eine Kompetenzkonzentration beim Bund möglicherweise auch auf die Bedeutung von zivilgesellschaftlichen Akteuren aus, die bisher den Sammelprozess entscheidend prägen. So spielen etwa bei der Unterschriftensammlung lokale Parteistrukturen in der Regel eine wichtige Rolle; der Sammelprozess ist traditionellerweise zugleich ein wichtiges meritorisches Element beim Aufstieg innerhalb dieser Strukturen.60 Ein zentralistisch ausgerichtetes E-Collecting-System könnte entsprechend auch zu einer Stärkung nationaler Parteistrukturen führen. Dies sind jedoch sozio-politische Fragen, die aus (verfassungs-)rechtlicher Sicht zumindest in Bezug auf die föderale Kompetenzordnung irrelevant sind.
2.3.
Verfassungsmässigkeit in Bezug auf prozedural-institutionelle Vorgaben ^
Die in Art. 39 BV geregelte Kompetenz zur Normgebung enthält keine Vorgaben zur prozeduralen Ausgestaltung der politischen Rechte.61 Im Kontext von Initiative und Referendum stellt sich diesbezüglich insbesondere die Frage, wer berechtigt ist, diese direktdemokratischen Institute zu nutzen, wie gross die quantitative Unterstützung sein muss, sowie in welcher Zeitspanne und in welcher Form sie zu erfolgen hat.
2.3.1.
Modalitäten der Unterstützungsbekundung ^
Zu dieser Form äussert sich die Verfassung prima facie nicht: Auf welche Art und Weise die Stimmberechtigten ihr Vorhaben manifestieren müssen, wird nicht spezifiziert; die Verfassung statuiert lediglich, dass Stimmberechtigte eine Partial- oder Totalrevision bzw. ein Referendum «verlangen» können.62
Die umgangssprachliche Bezugnahme auf die «Unterschriftensammlung» findet also im Verfassungstext nur eine beschränkte Grundlage.63 Zwar zeigt ebendiese Bezugnahme, dass die Schriftform heute als selbstverständlich vorausgesetzt wird; doch ist sie natürlich nur eine Form der demokratischen Meinungsäusserung und Entscheidfindung. Historisch steht die Teilnahme in Präsenz, bei Volksversammlung oder Landsgemeinde, am Anfang, sowohl für Wahlen wie auch für Sachentscheide. Residuen dieser Unmittelbarkeit finden sich noch bis in die Anfänge eines schweizerischen Zentralstaats.64 Im modernen schweizerischen Bundesstaat erfolgte dann die demokratische Partizipation bereits exklusiv in Schriftform, also mittels des in die Urne zu werfenden Stimm- und Wahlzettels. In Bezug auf die Initiative bestimmte jedoch bereits Art. 113 aBV 1848 nur, dass «fünfzigtausend stimmberechtigte Schweizerbürger die Revision der Bundesverfassung verlangen» können.65 Weder waren die Formerfordernisse für eine Initiative auf Totalrevision während der Verfassungsberatungen thematisiert worden66 noch erfolgte im Anschluss eine gesetzliche Regelung.67 Wie die einschlägige zeitgenössische Literatur zeigt, wurde aber als selbstverständlich vorausgesetzt, dass das Begehren mittels beglaubigter Unterschriften zu stellen wäre,68 entsprechend der vorherrschenden Regelung auf kantonaler Ebene.69 Erst 1867 wurde auf Bundesebene gesetzlich festgeschrieben, dass die Verfassungsrevision mittels Unterschrift verlangt werden musste, die von der Wohnortsgemeinde zu beglaubigen war.70
Mit der Verfassung von 1874 konnten neu 30’000 Stimmbürger auch ein Gesetzesreferendum «verlangen».71 Hier liess die gesetzliche Spezifizierung der formalen Vorgaben nicht mehr fast zwei Jahrzehnte auf sich warten, sondern galt nun sogar als dringliche Aufgabe.72 Dabei wurde der enge Zusammenhang zwischen den verschiedenen Variablen – Modalität, Frist und Quorum – betont. Mit einem erfolgreichen Referendumsbegehren müsste «das ganze Schweizervolk zur Abstimmung gerufen werden». Eine Garantie gegen Missbrauch dieses mächtigen Instruments sollte unter anderem das Erfordernis der amtlich bezeugten Einzelunterschrift des Stimmbürgers als «einzigen Modus für den Beitritt zu einem Volksabstimmungsbegehren» dienen.73
Eine gewisse retardierende Wirkung der Form auf den Gebrauch des Referendums war also explizit erwünscht: Zwar sei «die persönliche, schriftliche Unterzeichnung für den Bürger mit etwas mehr Unbequemlichkeit verbunden als die einfache Stimmabgabe an einer öffentlichen Gemeindeversammlung» – doch dürfte «die Bequemlichkeit des Einzelnen, angesichts der grossen Kosten und Lasten, welche mit der zu provozirenden [sic] allgemeinen Volksabstimmung verbunden sind, nicht so sehr ins Gewicht fallen.»74 Entsprechend schrieb das Gesetz vor, dass, wer ein Referendumsverlangen unterstützen wollte, «dasselbe eigenhändig zu unterzeichnen» hatte.75 Dieser Aspekt wird in der heutigen Diskussion übersehen, wenn formelle Aspekte der Unterstützungsbekundungen reduziert werden auf die Identifikation der Unterstützenden.76
Die 1891 eingeführte Initiative auf Partialrevision ermöglichte dann den Bürgern zusätzlich, ein «Begehren auf Erlass, Aufhebung oder Abänderung bestimmter Artikel der Bundesverfassung» zu stellen, bzw. einen Gegenstand zur Revision oder zur Aufnahme in die Bundesverfassung «vorzuschlagen».77 Dabei war nun schon vorweg selbstverständlich, dass ein entsprechendes Begehren handschriftlich zu unterzeichnen wäre,78 wie im Anschluss auch die gesetzliche Umsetzung vorschrieb.79
Mit der «Nachführung» der BV von 1999 schliesslich wurden zwar einige einschlägige Bestimmungen zu den demokratischen Instrumenten neu auf Verfassungsstufe geregelt.80 Art. 138 f. und Art. 141 BV legen aber weiterhin nicht fest, auf welche Art und Weise Initiative und Referendum «verlangt» werden müssen. Immerhin findet sich in Art. 136 Abs. 2 BV nun erstmals auf Verfassungsstufe ein expliziter Verweis auf die Unterzeichnung von Initiativen und Referenden.81 Doch bezweckt Art. 136 BV wohl nur, die Ausübung der Volksrechte zu garantieren, und schreibt nicht das entsprechende Vorgehen vor. Immerhin bestätigt er, dass der Verfassungsgeber bei der Unterstützung von Initiativen und Referenden selbstverständlich von der Unterschriftsform ausgeht.82 Zugleich gibt es keinerlei Hinweise, dass der Unterschriftsbegriff hier in einem weiten Sinne verwendet würde; er bezieht sich gemäss üblichem Sprachgebrauch einzig auf das händische Unterzeichnen eines Unterschriftenbogens.
Angesichts des klaren Wortlauts von Art. 136 Abs. 2 BV stellt sich deshalb doch die Frage, ob eine Änderung auf Gesetzesstufe alleine genügt, um neben der Unterschrift im traditionellen Sinne noch andere Formen der Unterstützungsbekundung zuzulassen. Art. 136 BV impliziert einen materiellen numerus clausus der politischen Rechte. Die Bestimmung unterstreicht die «Verfassungswürdigkeit» der garantierten politischen Rechte: Die dortige Aufzählung muss «mit der normativen Verankerung der einzelnen Rechte in der Verfassung» übereinstimmen und ein neues politisches Recht darf entsprechend nur durch Verfassungsrevision, jedoch nicht durch einfache Gesetzgebung eingeführt werden.83 Negativ folgt daraus für die rechtliche Regelung von E-Collecting zumindest, dass die Formulierung in Art. 136 Abs. 2 BV einen Rechtsanspruch auf die elektronische Sammlung von Unterstützungsbekundungen ausschliesst: E-Collecting fällt weder nach grammatikalischer noch nach historischer Auslegung unter das dort garantierte «Ergreifen und Unterzeichnen» von Volksinitiativen und Referenden. Ebenso klar ist, dass aufgrund von Art. 136 Abs. 2 BV die Möglichkeit eines physischen Signierens nicht nur erhalten bleiben sollte, sondern für Unterstützungsbekundungen erhalten bleiben muss.84
Aber verbietet Art. 136 Abs. 2 BV darüber hinaus E-Collecting parallel zur traditionellen Unterschriftensammlung? Diese Frage führt zurück zur Unterscheidung formeller und materieller Vorgaben zur Unterstützungsbekundung und zur entsprechenden Einordnung von E-Collecting. Würde die elektronische Unterschriftensammlung als Veränderung der Substanz von Initiative und Referendum und ihrer Funktion im politischen Prozess verstanden, dann böte die abschliessende Aufzählung in Art. 136 BV einen Anknüpfungspunkt für die Notwendigkeit einer Verfassungsrevision. Ein formelles Verständnis hingegen sähe die Etablierung einer elektronischen Sammelplattform als blosse Änderung des Mediums bzw. als Ergänzung des physischen Prozesses um einen digitalen Aspekt; eine solche Änderung wirkte sich nicht auf die Substanz des Rechts aus, also nicht auf dessen Gewicht oder auf seine Rolle im staatspolitischen und verfassungsrechtlichen Gefüge. Dann läge kein neues politisches Recht vor und auch die bisher in Art. 136 BV garantierten Rechte würden nicht in einem Masse verändert, das eine Anpassung dieser Bestimmung rechtfertigte.
2.3.2.
Frist ^
Neben der Modalität der Unterschriftensammlung wurde bei der Normierung der Volksbegehren auch regelmässig auf die dafür eingeräumte Frist als wichtiges Regulativ verwiesen. Ab initio wurde dabei die Sammelfrist in Verbindung gesetzt zur Auswirkung der Initiative auf den politischen Diskurs und das Funktionieren des Staats. So meinte der Bundesrat schon 1866, der gewählte Zeitraum dürfe nicht zu kurz sein, «denn erst nach und nach mach[e] sich der grössere Teil des Volkes mit einem Gegenstande von so tiefgreifender Bedeutung vertraut»; eine überlange politische Auseinandersetzung hingegen würde sich «störend auf die staatlichen und bürgerlichen Verhältnisse» auswirken und könnte sogar «unter Umständen bei ernsten Lagen gegenüber der Stellung zum Auslande bedenklich sein».85 Die Regierung hielt sechs Monate für den «richtigen Zeitraum», doch entschied die Bundesversammlung schliesslich auf eine (laufende) Frist von zwölf Monaten.86
Bei der Einführung des fakultativen Gesetzesreferendums 1874 stellte der Bundesrat dann bereits einen unmittelbaren Nexus zwischen Sammelfrist und Modus der Unterschriftensammlung her.87 Da das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift einen grösseren zeitlichen Aufwand bedingte, schlug er eine Frist von 90 Tagen vor. Obwohl die temporäre Suspension von Gesetzen und Beschlüssen «für den Gang der eidgenössischen Angelegenheiten viel Unbequemes, hin und wieder wohl auch Nachtheiliges [sic] bringen» konnte, sprach sich der Bundesrat gegen eine kürzere Frist aus: Denn käme es «gegenüber einem Bundesgesez [sic] zu einer oppositionellen Bewegung», so würde diese bei genügend Zeit «ruhiger sich gestalten» und könnte «ihren Zweck erstreben und erreichen …, ohne unstatthafte Mittel in Anwendung zu bringen»; eine sehr kurze Frist wäre hingegen «schon von vornherein Mißtrauen zu erwirken geeignet» und würde eher zu Ungesetzlichkeiten bei der Unterschriftensammlung führen.88 Der bundesrätliche Vorschlag wurde von der Bundesversammlung übernommen, sodass ein Referendumsbegehren nun 90 Tagen nach der Veröffentlichung des fraglichen Gesetzes oder Bundesbeschlusses zu stellen war.89
Schliesslich musste auch für die 1891 geschaffene Volksinitiative eine Sammelfrist bestimmt werden. Hier begnügte sich der Bundesrat zuerst mit dem Verweis auf eine spätere gesetzliche Regelung.90 Die in der einschlägigen Botschaft dann vorgeschlagenen zwölf Monate wurden zwar in Relation zu den kantonalen Vorgaben gesetzt, aber nicht weiter begründet; es hätte sich dabei um eine klar definierte Frist handeln sollen, deren Lauf mit der Eingabe des Begehrens bei der Bundeskanzlei begonnen hätte.91 Während aber die Bundesversammlung bei der Initiative auf Totalrevision den bundesrätlichen Vorschlag noch verdoppelt hatte,92 halbierte sie ihn für die Teilrevisionsinitiative nun faktisch auf sechs Monate.93
Die Fristenfrage für Volksinitiativen wurde von der Revision der Unterstützungsquoren im Jahre 1977 zuerst nicht tangiert; der bundesrätliche Entwurf für das BPR hielt an der bisherigen, «laufenden» Sechsmonatsfrist fest.94 Als im Parlament eine fixe Befristung gefordert wurde, geschah dies mit Verweis auf die überhandnehmende Zahl der Initiativen, welche drohten, «die Demokratie zu ersticken».95 Ziel war also nicht eine Erleichterung des Sammelns; vielmehr sollte den Initiativkomitees zu Organisationsstrukturen angehalten werden, welche innerhalb von 180 Tagen die geforderten Unterschriften beizubringen vermochten.96 Ständerat und Nationalrat einigten sich schliesslich auf eine deutlich längere Frist von 18 Monaten. Das dagegen mit dem Argument ergriffene Referendum, die Volksrechte kleiner Gruppierungen würden so zu sehr eingeschränkt, blieb erfolglos.97
Nach 1977 wurde primär eine weitere Anpassung der Quoren diskutiert.98 Erst mit dem Scheitern einer umfassenden Volksrechtsreform im Zuge der Verfassungsnachführung rückte auch die Befristung wieder in den Vordergrund. So schlug 1999 die Verfassungskommission des Ständerates mit einer Parlamentarischen Initiative zur «Beseitigung von Mängeln der Volksrechte» eine Verkürzung der Sammelfrist für Volksinitiativen auf zwölf Monate vor.99 Das Parlament lehnte aber eine Fristverkürzung ab – u.a. mit dem Argument, dass es mit der Zunahme der Briefwahl trotz Zunahme der Stimmberechtigten das Sammeln von Unterschriften schwieriger würde.100 Hingegen hiess es den Vorschlag gut, die bisherige Frist auf Verfassungsstufe zu verankern, da sie «wie die Anzahl der verlangten Unterschriften eine wichtige Rahmenbedingung in der Anwendung der Volksrecht» darstelle.101 Art. 138 Abs. 1 und 139 Abs. 1 BV wurden mit Verfassungsrevision auf den 1. August 2003 entsprechend ergänzt.102
Bei dieser Gelegenheit wurde auch die Referendumsfrist in der Verfassung festgeschrieben.103 Diese Frist war bereits 1996 durch Revision des BPR von 90 auf 100 Tage erhöht worden. Grund für die Revision war zwar auch ein «punktuell enormes, nicht voraussehbares Anwachsen des Gebrauchs politischer Rechte … auch bei Referenden, Volksinitiativen und Volksabstimmungen».104 Ziel war jedoch nicht, diese Entwicklung zu bremsen oder gar umzukehren, sondern in prozedural geordnetere Bahnen zu lenken. So musste die Stimmrechtsbescheinigung nun innerhalb der Sammelfrist eingeholt und die Unterschriftenlisten am letzten Tage der Sammelfrist nicht nur abgeschickt werden, sondern bei der Bundeskanzlei eintreffen; im Gegenzug wurde die Frist um zehn Tage verlängert.105
Seither wurde verschiedentlich (und bisher vergeblich) die Forderung erhoben, zwischen der eigentlichen Sammelfrist und der Frist für die Ausstellung der Stimmrechtsbescheinigungen zu unterscheiden und die Verantwortung für die Einhaltung der letzteren den Behörden zu überbinden.106 Während der Corona-Epidemie galt aber eine solche Regelung vorübergehenderweise und resultierte in einer faktischen Verlängerung der Sammelfrist.107 Ein Rückgriff auf genuin elektronische Sammelkanäle oder eine Digitalisierung des Bescheinigungsprozesses wurde aber auch in dieser Situation nicht in Betracht gezogen.
Dass E-Collecting die Weiterführung der Sammeltätigkeit während der Pandemie erleichtert hätte, steht ausser Frage. Aber die Verfassungsmässigkeit elektronischer Unterschriftensammlung beurteilt sich nicht nach Opportunitätskriterien. Unmittelbarer noch als die Modalität der Unterschriftensammlung wurden die dafür gesetzten Fristen zunehmend als wichtige Stellschrauben für den Gebrauch und die Wirkung von Initiative und Referendum verstanden.
2.3.3.
Quorum ^
Im Gegensatz zur Sammelfrist wurde das Sammelquorum schon immer als so wichtig verstanden, dass es auf Verfassungsstufe zu regeln war. Im Rahmen der Volksrechte erfüllt das Quorum verschiedene Funktionen. So bestimmt es zum einen absolut die Grösse, die eine durch ein spezifisches gemeinsames Anliegen definierte Gruppe erreichen muss, damit dieses Anliegen dem gesamten Elektorat unterbreitet wird.108 Damit verbunden ist zum anderen eine Regulierungsfunktion: Je höher das Quorum, desto anspruchsvoller ist es, die für eine Initiative oder ein Referendum erforderliche Unterschriftenzahl zu erreichen. Der Regulierungseffekt ist potenziell doppelter Natur: Da die Erfüllung eines hohen Quorums zumindest ein Teilindiz für die Erfolgsaussichten an der Urne ist, verhindert eine geforderte Mindestzahl an Unterschriften, dass das Stimmvolk über zahlreiche von vorneherein aussichtslose Begehren abstimmen muss. Darüber hinaus kann ein hohes Quorum es aber auch erschweren, ein Anliegen zur Abstimmung zu bringen, das möglicherweise eine Mehrheit fände. Insofern beeinflusst das Quorum auch das Mass, in welchem das Stimmvolk als ausserordentlicher Gesetz- (bzw. Verfassungs-)Geber gegenüber dem Parlament als ordentlichem Gesetzgeber interveniert. Das Quorum wirkt sich also zumindest indirekt darauf aus, wie stark das direkt-demokratische Element in der halb-direkten Demokratie zum Zuge kommt; bei seiner Festlegung spielt deshalb auch die Furcht, dass dieses Element überhandnehmen könnte, eine wichtige Rolle.
Dass man mit der Ermöglichung des Referendums «in der Gesetzgebung etwas langsamer vorwärts kommen» würde,109 wurde 1874 bewusst in Kauf genommen – wobei der Bundesrat die Hürde ursprünglich höher ansetzen wollte.110 Bei der Einführung der Volksinitiative auf Partialrevision betonte die Regierung dann, dass bei der Festsetzung der erforderlichen Unterstützungszahl «nicht zu hoch, aber auch nicht zu tief gegriffen werden» dürfe111 – schon hier bestand also die Vorstellung einer (in ihrer Wirkung) «richtigen» Zahl von notwendigen Unterschriften. Mit 50’000 wurde diese Zahl schliesslich absichtlich niedrig angesetzt; das anteilsmässige Quorum von 7.56% der Stimmbevölkerung lag so tiefer als in allen Kantonen, mit Ausnahme des Kantons Zürich.112
Im Laufe der Zeit nahm aufgrund demographischer und politischer Entwicklungen aber die Effektivität der Regulierungsfunktion der Quoren ab. 1975 sah der Bundesrat die Funktionsfähigkeit des Staatsapparats durch «die bisher unbekannte Häufung von Volksinitiativen» essentiell gefährdet und forderte dringend «eine Möglichkeit der Entlastung» – ja er stellte sogar die Regierbarkeit der Schweiz in Frage und warnte, dass ansonsten «der Ausweg zwangsläufig in zunehmendem Mass im Dringlichkeitsrecht gesucht werden müsse.»113 Diese düstere Prognose unterlegte der Bundesrat mit Angaben zur quantitativen Zunahme von Initiativen in den vorangehenden Jahren.114 Um die «Massierung von Volksinitiativen … etwas zu bremsen», aber auch, um das Stimmvolk vor einer «Überstrapazierung durch Volksinitiativen» zu schützen, schlug der Bundesrat eine Verdoppelung der Quoren sowohl für die Initiative wie auch für das Referendum vor.115 Umgesetzt wurde dieser Vorschlag unverändert für die Initiative, während das Quorum für das Referendum auf 50’000 erhöht wurde.116
Diese Erhöhung war faktisch natürlich eng verknüpft mit der 1971 erfolgten Einführung des Frauenstimmrechts, aber diese war nicht (oder zumindest nicht exklusiv) kausal dafür verantwortlich.117 Vor allem wurde im Zusammenhang mit dem Frauenstimmrecht nicht primär die «rein quantitative Erhöhung der Stimmberechtigten» betont, sondern deren stärkere Konzentration,118 durch die sich «der für eine Unterschriftensammlung zu erwartende Aufwand verringert» habe.119 Hier befinden wir uns eigentlich im Bereich der Modalitäten der Unterschriftensammlung, wie auch die Verweise auf «die verbesserten Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten», auf «die allgemein festzustellende stärkere Ballung der Bevölkerung besonders in städtischen Agglomerationen» und auf «neue Methoden der politischen Werbung» zeigen. Angesichts ihrer erhöhten Effizienz und Finanzkraft falle organisierten Gruppierungen die Unterschriftensammlung immer leichter – aber auch die «nicht organisierten Bürger» könnten nun immer öfter erfolgreich eine Referendums- oder Initiativabstimmung auslösen.120
Diese Argumentation ist von unmittelbarer Relevanz für die Einführung von E-Collecting – denn auch hier geht es um die Frage, wie die Art und Weise der Ausübung von Volksrechten ihre faktische Wirkung beeinflusst, und welche verfassungsrechtlichen Schlüsse daraus zu ziehen sind. Dabei lassen sich einige Gemeinsamkeiten, aber vor allem auch Unterschiede zur heutigen Situation ausmachen. In den 1970er Jahren führte die befürchtete «Überstrapazierung der Volksrechte» zur bisher einzigen (und erheblichen) Erhöhung der geforderten Unterschriftenzahl. Dies geschah mit Verweis auf die in den Jahren zuvor tatsächlich erheblich zunehmenden Initiativbegehren und auf die daraus extrapolierte weitere Entwicklung.121 Wichtig in unserem Kontext ist, dass es sich bei der anschliessenden Erhöhung der Unterschriftenzahl um eine reaktive und restaurative Massnahme handelte: Ein diagnostizierter Missstand sollte ex post behoben werden.
Die Effektivität dieser Massnahme bleibt auch aus zeitlicher Distanz schwer abzuschätzen: Zwar flachte sich der prognostizierte Anstieg bis Ende des Dezenniums noch leicht ab;122 bereits das folgende Jahrzehnt brachte aber neue Höchstzahlen bei den Initiativbegehren.123 Ähnlich zwiespältig ist das Resultat bei den Referenden. Grund für die Erhöhung des Quorums war hier nicht primär die quantitative Zunahme gewesen; vielmehr galt es, die Wirkung der «Referendumsdrohung» und damit die Belastung des Rechtsetzungsapparates «durch die heute zu leicht mögliche und zu wenig kontrollierte Benutzung dieses Volksrechts als Droh- und Druckmittel zurückzudämmen».124 Auch hier lässt sich ein klarer Erfolg dieser Absicht empirisch nicht belegen.125
Der mangelhaft belegte Nexus zwischen Quorum und Zahl der Volksbegehren kam auch anlässlich der Verfassungsrevision von 1999 im Rahmen der geplanten Reform der Volksrechte zur Sprache und trug dazu bei, dass die (bereits redimensionierten) Erhöhungsvorschläge des Bundesrats in den Räten scheiterten.126 Dabei hatte sich der Gebrauch der Volksrechte seit der letzten Reform von 1977 durchaus noch einmal intensiviert.127 Trotzdem wurde dieses Mal auf eine Reaktion verzichtet – vielleicht auch, weil es an einer punktuellen Veränderung fehlte, die in ihrer Tragweite der Einführung des Frauenstimmrechts vergleichbar gewesen wäre. Denn langfristige demographische Veränderungen führten bisher nie zu einer Anpassung der Quoren, obwohl der prozentuale Anteil des Elektorats, dessen Unterstützung für die erfolgreiche Lancierung einer Initiative bzw. eines Referendums erforderlich ist, kontinuierlich sinkt. Während 1848 noch über 10% der Stimmberechtigten eine Totalrevision der Verfassung verlangen mussten,128 genügten 1874 bereits 6.86%129 sowie 1891 (nun auch für eine Partialrevision) 7.6%.130 1975 betrug die Quote noch 1.35%. Mit der Revision von 1977 erhöhte sich die erforderliche Unterstützung für eine Initiative vorübergehend auf 2.63% des Stimmvolks,131 um bis 2022 wieder auf 1.81% zu sinken. Parallel dazu nahm auch das prozentuale Quorum für ein Referendum von 4.12% im Jahre 1874 auf 0,8% im Jahre 1975 ab, nach 1977 dann von 1.58% auf aktuell 1.08%.132
Dies zeigt, dass auf eine Zunahme von Initiativen und Referenden nur ausnahmsweise und selektiv mit einer Anpassung der Verfassungsvorschriften reagiert wird – und dass eine präventive Anpassung aus verfassungsrechtlicher Sicht zumindest nicht prinzipiell gefordert ist. Eine solche prinzipielle Forderung wäre umso schwieriger zu rechtfertigen, als dass die Kausalität zwischen Quorum und Frequenz von Volksbegehren weiterhin nicht klar belegt ist. Dies war einer der Gründe, weshalb nach dem Scheitern einer umfassenden Volksrechtsreform auch beim zweiten, weniger ambitiösen Reformprojekt 2001 erneut von einer Änderung der Quoren abgesehen wurde.133 So kam etwa die Verfassungskommission des Ständerats nach einer «detaillierte[n] Analyse des statistischen Materials» zum Schluss, dass die Erhöhung der Unterschriftenzahl «im Hinblick auf die Verringerung der Anzahl Urnengänge nichts bring[e].»134 Gleichermassen kritisch äussert sich bisher die politologische und rechtswissenschaftliche Literatur. Bereits für die kantonale Ebene gilt, dass die Höhe der Hürden für die Unterschriftensammlung als institutioneller Faktor die Häufigkeit von Volksbegehren kaum beeinflusst.135 Auf Bundesebene fehlen zwar umfassende entsprechende Untersuchungen; die starke Varianz von Initiativ- und Referendumsbegehren über die Zeit136 legen aber zumindest den Umkehrschluss nahe, dass die Zahl dieser Begehren auch ohne eine Anpassung von Modalität, Frist und Quorum erheblich schwankt.
2.3.4.
Fazit ^
Was bedeuten diese Entwicklungen nun mit Blick auf die Einführung von E-Collecting? Eine grammatikalische Auslegung der einschlägigen Bestimmungen würde nahelegen, dass die Digitalisierung des Sammelprozesses ohne Verfassungsrevision möglich wäre137 und einzig Anpassungen auf Gesetzesstufe erforderte.138 Denn aus dieser Sicht handelte es sich bei den fehlenden Formvorschriften für Referendum und Initiative um ein qualifiziertes Schweigen des Verfassungsgebers. Entsprechend wären auch neue Formen der Sammlung von Unterstützungsbekundungen de constitutione lata mitumfasst. Ebenso wären Quoren und Sammelfristen rein formeller Natur: Sie setzten ein aus praktischen Gründen notwendiges numerisches und zeitliches Mindestmass, verfolgten darüber hinaus aber keine weiteren Absichten.139 Der Verfassungsgeber hätte also nicht ein bestimmtes, «richtiges» Mass für den Gebrauch von Referendum und Initiative anvisiert und normiert; insbesondere hätte er nicht die Nutzungsintensität dieser Instrumente und damit ihrer Rolle im allgemeinen politischen Prozess auf Bundesebene zu regeln beabsichtigt.
Aber auch wenn die grammatikalische Auslegung stets der erste Schritt der Verfassungsinterpretation ist, so muss sie gerade bei komplexen, traditionsgebundenen Normen um historische und teleologische Elemente ergänzt werden – es gilt also, den Wortlaut einer Norm mit der Absicht des originären Gesetzgebers und mit ihrem mutmasslichen Sinn und Zweck abzugleichen. Dabei versteht sich von selbst, dass eine in der Substanz seit Jahrzehnten kaum veränderte Verfassungsbestimmung nicht explizit auf neue digitale Formen der politischen Partizipation Bezug nimmt. Ebenso selbstverständlich ist aber, dass damit allein die Notwendigkeit einer Anpassung des Verfassungstextes noch nicht gerechtfertigt ist. In ihrer Allgemeinheit und als «lebendige Instrumente» sind Verfassungstexte oft plastisch genug, um neue Entwicklungen, Technologien und Wertesysteme auch ohne explizite Anpassung zu absorbieren.
Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die Ausübung nicht nur des Initiativ- und Referendumsrechts, sondern der politischen Rechte im Allgemeinen in der Schweiz von grosser symbolischer Bedeutung ist. Wichtig ist nicht nur, dass diese Rechte ausgeübt werden, sondern auch, wie dies geschieht.140 Diesen rituellen Aspekt – und die damit verbundene Formstarre141 – führt bereits die langwierige Zulassung der Briefwahl vor Augen. Das Wahl- und Stimmrecht musste zuerst grundsätzlich in Person und am Wohnort ausgeübt werden; eine Ausnahme von dieser Regel rechtfertigte nach 1872 nur der bewaffnete Dienst für das Gemeinwesen.142 Der Militärdienst war hier Vorbote des gesellschaftlichen Wandels hin zu grösserer Mobilität. Wie heute im Kontext der Digitalisierung bestanden gegenüber einer Anpassung des Abstimmungsverfahrens an diesen Wandel aber erhebliche Vorbehalte.143 Eine Ausweitung der Briefwahl scheiterte nach dem Zweiten Weltkrieg primär an Missbrauchsbefürchtungen;144 aber die Durchführung von Wahlen und Abstimmungen «per Post» wurde auch als «Abwertung» und als «absteigender Pfad» der lebendigen Demokratie wahrgenommen: Der Stimmbürger würde sich zuletzt bei der Ausübung seiner politischen Rechte und Pflichten «von allen Bemühungen dispensieren und alles durch die Post erledigen» – und wir hätten «uns dann nur noch darüber zu wundern, dass wir nicht früher entdeckt haben, dass man die Demokratie auch billiger haben kann».145 Die Möglichkeit der brieflichen Stimmabgabe wurde in der Folge nur sehr zögerlich erweitert.146 Sie blieb auch 1976 bei der Verabschiedung des BPR die Ausnahme147 und wurde erst 1994 der Stimmabgabe an der Urne gleichgestellt.148
Diese Debatte spiegelt bereits Bedenken, wie sie auch heute mit Blick auf E-Voting und E-Collecting geäussert werden. Zugleich zeigt die umstrittene Einführung der Briefwahl, dass die Art und Weise der Ausübung politischer Rechte auch mit Blick auf deren Substanz als relevant betrachtet wurde. Es überrascht deshalb nicht, dass in der Schweiz auch die elektronische Stimmabgabe im Rahmen des Vote électronique nicht nur mit Blick auf die Sicherheit, sondern auch auf die politische Kultur immer wieder in Frage gestellt wird.149 Gerade mit Verweis auf die gleichgerichteten (und ex post übersteigerten) Bedenken bei der Briefwahl liessen sich heute ähnliche Vorbehalte in Bezug auf die elektronische Unterschriftensammlung zwar leicht relativieren und als fortschrittsfeindlich delegitimieren. Die Analogie ist jedoch nur beschränkt tragfähig, denn zwischen dieser Sammeltätigkeit und der Wahl bzw. Abstimmung – und entsprechend auch zwischen E-Collecting und E-Voting – besteht eine grundlegende Differenz.
Man mag monieren, dass das Privileg des Wählens und Abstimmens zu selbstverständlich wird, wenn die Stimmabgabe mit keinerlei Aufwand mehr verbunden ist.150 Solche Kritik lässt sich aber leicht entkräften, denn grundsätzlich gilt für Wahlen und Abstimmungen vor allem mit Blick auf die Legitimation, dass hier «mehr» auch immer «besser» ist: Es gibt kein «Zuviel» bei der Wahl- und Stimmbeteiligung – vielmehr ist diese vorzugsweise möglichst hoch und würde im Idealfall hundert Prozent betragen. Entsprechend werden auch stets nur Bedenken über die sinkende, nie über eine steigende Stimmquote geäussert und die mögliche Erhöhung dieser Quote ist bezeichnenderweise auch ein wichtiges Argument für die Einführung des elektronischen Stimmkanals.151 Jede Massnahme, welche die Wahl- und Stimmbeteiligung erhöht, ist aus demokratischer Sicht prinzipiell zu begrüssen.
Eine möglichst hohe Beteiligung an einer Sachabstimmung ist aus dieser Sicht gleichermassen erwünscht; sie steht aber mit E-Collecting gerade nicht in einem kausalen Zusammenhang. Denn E-Collecting mag zwar zu einer grösseren Zahl von Sachabstimmungen führen, sofern es denn die Sammlung von Unterstützungsbekundungen erheblich erleichtert. Die Zahl der bei der Abstimmung abgegebenen Voten wird hingegen dadurch nicht beeinflusst – oder höchstens auf eine negative Weise, indem allzu viele Sachabstimmungen sich mutmasslich negativ auf die Stimmbeteiligung auswirken.152 Was also für die Partizipation bei einer konkreten Gelegenheit zur politischen Willensäusserung gilt, gilt nicht in gleichem Masse für die Frequenz solcher Gelegenheiten: Ab einer gewissen Häufigkeit bieten Wahlen und Abstimmungen vielleicht noch ein quantitatives Mehr an Demokratie, gefährden aber möglicherweise deren Substanz.
Während Wahlen in festen Abständen stattfinden, hängt die Häufigkeit von Volksinitiativen und Referenden allein von der Zahl erfolgreicher Unterschriftensammlungen ab. Die Lancierung möglichst vieler Initiativen und Referenden – also eine hohe Frequenz – stärkt deshalb gerade nicht automatisch auch die Legitimation des politischen Prozesses, sondern kompromittiert potenziell sogar dessen Effektivität. In der halbdirekten Demokratie sollen Sachentscheide nur selektiv durch die Mitglieder des Gemeinwesens gefällt werden; primär verantwortlich für die Leitung des Staates sind gewählte Volksvertreter und Regierungsmitglieder. Das Ideal einer steten Besorgung der öffentlichen Angelegenheiten durch die Mitglieder der Polis selbst lässt sich im modernen Staat nicht verwirklichen.153 Bereits eine Annäherung daran könnte bei der Komplexität öffentlicher Aufgaben im modernen Verwaltungsstaat mit deren effizienter Bewältigung konkurrieren.
Die mit solchen Risiken verbundene Sorge, dass der Gebrauch der direktdemokratischen Instrumente auf ein «richtiges» Mass beschränkt werden muss, ist auf eidgenössischer Ebene früh erkennbar. Die historisch-teleologische Auslegung der einschlägigen Verfassungsbestimmungen hat gezeigt, dass die rechtliche Normierung von Referendum und Initiative auch darauf zielt, ihre Zahl zu regulieren und so das Funktionieren des politischen Betriebs in seiner halbdirekt-demokratischen Ausprägung sicherzustellen. Dabei wurde stets ein «richtiges» Mass an Partizipation angestrebt, ein nicht zu viel und nicht zu wenig, ein Gleichgewicht zwischen direktdemokratischer Partizipation und ordentlicher Rechtsetzung. Entsprechend läge der Schluss nahe, dass die Änderung dieses Gleichgewichts, etwa durch die Ermöglichung von E-Collecting, eine Verfassungsrevision verlangt.154 Das Problem dabei ist jedoch, dass unklar bleibt, ob und in welchem Masse E-Collecting zu einer solchen Änderung führt.155 Die aktuelle Situation unterscheidet sich deshalb grundsätzlich von früheren, prima facie ähnlich gelagerten Herausforderungen. So wurde etwa auch bei Einführung der Volksinitiative auf Partialrevision die Sorge geäussert, dass dieses neue Instrument «zu zahlreichen, hastigen und unüberlegten Revisionsanregungen führt»; diese Befürchtungen konnten jedoch mit dem Verweis auf die seit längerem auf kantonaler Ebene gesammelten Erfahrungen entkräftet werden.156 Mit Bezug auf E-Collecting fehlen kantonale Erfahrungen aber, weil dort bisher auf das Vorangehen des Bundes gewartet wurde – und vice versa.157
E-Collecting stellt uns auch deshalb vor eine bisher einmalige Situation, weil hier der Modus der Unterschriftensammlung verändert werden soll mit dem Ziel einer Erleichterung gegenüber dem Status quo. Im Raum steht erstmals nicht die Korrektur einer negativen Entwicklung (hin zu einem übermässigen Gebrauch der Volksrechte), sondern möglicherweise die Auslösung einer neuen Entwicklung mit noch schwer absehbaren Folgen. Frühere Änderungen (etwa des Quorums) waren stets reaktiver Natur. Sie zielten auf die Behebung eines bekannten Missstandes, und zu Diskussionen Anlass gab primär die Effektivität der geplanten Remedur.158
Ob definitiv oder versuchsweise, ob umfassend oder partiell: E-Collecting würde also vorerst eingeführt, ohne dass die Konsequenzen bekannt sind. Was bedeutet das für die Verfassungsmässigkeit eines solchen Schrittes? Die vorgängig nachgezeichnete normative Entwicklung war zwar durchwegs dem Ideal eines «richtigen» Masses an direkter Demokratie verpflichtet. Aber Vorkehrungen zur Einhaltung dieses Masses wurden stets nur selektiv ergriffen und ohne klare Indikation;159 sie haben auch keineswegs zu einer konstanten Frequenz von Initiativen und Referenden geführt.160 Folglich ist unklar, was überhaupt eine verfassungsrechtlich noch «korrekte» Zahl von Initiativen und Referenden konstituieren würde, ob sie normativ vorgegeben wäre oder sich empirisch (etwa aus dem langjährigen Schnitt) ergäbe. Dieser Schnitt schwankt stark – schwankt damit auch die mit der halb-direkten Demokratie noch vereinbare Zahl von Volksbegehren?
Insofern gibt es zumindest aus verfassungsrechtlicher Perspektive keinen Richtwert und keine prinzipielle Vorgabe bezüglich der Nutzungsintensität direktdemokratischer Instrumente, die mit der Einführung von E-Collecting verletzt werden könnten. Verfassungen sind auch living instruments in dem Sinne, dass die konkreten Auswirkungen ihrer Bestimmungen nicht immer ex ante feststehen. Entsprechend liessen sich die vorgängige Änderungen von Quoren und Fristen als präventive Massnahme zumindest verfassungsrechtlich kaum begründen, insbesondere nicht in dem teilweise vorgeschlagenen Ausmass.161
Damit wollen wir die potenzielle Herausforderung, welche die elektronische Unterschriftensammlung für die halbdirekte Demokratie bedeutet, nicht verharmlosen: Tatsächlich sollte generell «das Zustandekommen von Volksinitiativen und Referenden … nicht so stark erleichtert werden, dass es die ordentliche Rechtsetzung blockiert».162 Ob dieses Risiko besteht, lässt sich aber erst beurteilen, wenn erste praktische Erfahrungen mit E-Collecting gemacht wurden. Momentan gibt es immerhin Indizien, die einen exponentiellen Anstieg von Volksbegehren zumindest nicht als unausweichlich erscheinen lassen.163
In diese Richtung weist zuerst die Erfahrung mit der Briefwahl. Wie bereits betont, sind eine Zunahme der Wahl- und Stimmbeteiligung und eine Zunahme der Referenden und Initiativen aus demokratischer, institutioneller und verfassungsrechtlicher Sicht grundsätzlich unterschiedlich zu beurteilen.164 Das schliesst aber nicht aus, von den entsprechenden Auswirkungen einer Modalitätsänderungen bei Wahlen und Abstimmungen auf mögliche Auswirkungen vergleichbarer Änderungen bei der Unterschriftensammlung zu schliessen. Der Effekt der sukzessiven Einführung der Briefwahl auf die Stimmbeteiligung kann deshalb durchaus als Indikator dienen für mögliche Folgewirkungen einer liberalisierten bzw. digitalisierten Sammelpraxis auf Initiativen und Referenden. Einschlägige quantitative Analysen legen nahe, dass die Briefwahl einen messbaren positiven Einfluss auf die Stimm- und Wahlbeteiligung hatte, der sich mit 4.1% aber im mittleren einstelligen Bereich bewegt.165 Das könnte – unter den genannten Vorbehalten sowie unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Funktionen bzw. zeitlichen Positionen von Wahlen und Abstimmungen gegenüber Unterschriftensammlungen im politischen Prozess – zumindest ein Indiz sein, dass eine prozedurale Vereinfachung nicht zu einer ganz ausserordentlichen Zunahme der Partizipation führt.
Zum anderen gibt es auch im Bereich der Unterschriftensammlung erste Erfahrungen mit zumindest partiell digitalisierten Prozessen. Zwar ist die bisher gesetzlich vorgesehene Nutzung des Internets für die Sammeltätigkeit noch weit vom eigentlichen E-Collecting entfernt. Doch bieten elektronische Plattformen inzwischen mehr als die blosse Möglichkeit, einen leeren Unterschriftenbogen vom Netz zu laden und auszudrucken, sondern vereinfachen zugleich das Ausfüllen und Einsenden dieses Bogens.166 Falls sich diese Nutzung des digitalen Kanals in der Zukunft stabil etablieren sollte, so bedeutete die Einführung einer gänzlich digitalen Unterschriftensammlung nur mehr eine graduelle und keine fundamentale Änderung.
2.4.
Verfassungsmässigkeit in Bezug auf materielle Vorgaben ^
Auch wenn also die bestehenden verfassungsrechtlichen Vorgaben bezüglich Sammelmodalitäten, Fristen und Quoren die elektronische Unterschriftensammlung nicht ausschliessen, so muss diese die materiellrechtlichen Vorschriften erfüllen, welche die Verfassung mit Blick auf die politischen Rechte enthält. Im Vordergrund stehen dabei die individualrechtlichen Ansprüche auf freie Willensbildung und unverfälschte Stimmabgabe sowie Stimmgeheimnis und Datenschutz.
2.4.1.
Politische Rechte, freie Willensbildung und unverfälschte Stimmabgabe ^
Art. 34 Abs. 1 BV schützt als Institutsgarantie die Gesamtheit der demokratischen Mitwirkungsrechte und damit auch die Unterschriftensammlung; die konkrete Ausgestaltung der politischen Mitwirkung wird durch die einschlägigen Bestimmungen des Bundesrechts und des kantonalen Rechts festgelegt.167 Gerade im Kontext der Unterschriftensammlung ist den Behörden besondere Zurückhaltung auferlegt.168 Dies gälte auch für ein staatlich organisiertes E-Collecting-System, das also die Stimmbürgerinnen und -bürger weder unmittelbar noch mittelbar zur Abgabe einer Unterstützungsbekundung auffordern oder ermutigen dürfte.
Im Gegensatz zur institutionellen Funktion von Art. 34 Abs. 1 BV garantiert Art. 34 Abs. 2 BV die ungehinderte und effektive praktische Ausübung der politischen Rechte.169 Dies umfasst als Voraussetzung die freie Bildung des politischen Willens und als Resultat die unverfälschte Stimmabgabe. Geschützt wird dabei ein «möglichst freie[r] und umfassende[r] Prozess der Meinungsbildung»,170 der sich nicht nur auf Wahlen und Abstimmungen selbst, sondern auch auf deren Vorbereitung, Durchführung und Auszählung erstreckt. Insbesondere fällt auch die Unterschriftensammlung in den Schutzbereich.171
Aus der Wahl- und Abstimmungsfreiheit folgt aber auch das Verbot, die Ausübung politischer Rechte unnötig zu erschweren.172 Gerade im Verbund mit Art. 136 Abs. 2 BV lassen sich deshalb aus Art. 34 Abs. 1 BV keine Ansprüche auf die Unterstützung von Volksbegehren vom Computer aus ableiten. Vielmehr wurde der übermässigen Erleichterung etwa der Stimmabgabe stets mit Skepsis begegnet; eine gewisse Anstrengung wurde dabei fast schon als unerlässlich für die angemessene Wertschätzung politischer Partizipationsmöglichkeiten verstanden.173
Diese Skepsis setzt sich bis in die Gegenwart fort und beschlägt auch die Digitalisierung der Unterschriftensammlung. So lehnte die Kommissionsminderheit das neueste Postulat zum E-Collecting auch mit dem Argument ab, dass der Sammelprozess eine handwerkliche Angelegenheit bleiben müsse, welcher den direkten Kontakt mit dem Stimmvolk voraussetze.174 Hier wird – wie schon im Kontext der Briefwahl – ein moralisch-gesellschaftliches Argument vorgebracht, das über die verfassungsrechtliche Regelung der politischen Rechte hinausgeht bzw. von dieser nicht erfasst wird.175 Zugleich spiegelt sich hier ein idealisiertes Bild des Meinungsbildungsprozesses im Rahmen traditioneller Unterschriftensammlungen.
Es mag zutreffen, dass mit E-Voting und E-Collecting die politische Diskussion «auf der Strasse» und im persönlichen Kontakt erheblich abnimmt, und stattdessen die Entscheidung, eine Initiative oder ein Referendum zu unterstützen, alleine in der stillen Kammer vor dem Computer gefällt wird. Aber dieser Computer eröffnet zugleich ein Potential an vielseitiger und -schichtiger Information, das jeden unmittelbaren Gesprächsaustausch bei weitem übersteigt. Die Digitalisierung allein führt deshalb nicht notwendigerweise zu «Beschleunigungen der Abläufe», durch die dann die «Meinungsbildungsprozesse beeinträchtigt werden».176
Die zentrale Bedeutung der für den Willensbildungsprozess zur Verfügung stehenden Zeit wurde bereits 1866, 1872, 1890 und 1977 gleichermassen betont.177 Nur, wenn die elektronische Unterschriftensammlung von einer Verkürzung der Sammelfristen begleitet wird, verkürzt sich auch die Zeit für Debatten und für das «Reifen von Überzeugungen».178
2.4.2.
Stimmgeheimnis und Datenschutz ^
Verpflichtungen zum Schutz der Informationen darüber, welche Personen ein Volksbegehren unterstützt haben, ergeben sich aus zweierlei Gründen. Einerseits garantiert die Wahl- und Abstimmungsfreiheit (Art. 34 BV) unter anderem die geheime Stimmabgabe. Andererseits greifen auch in Bezug auf politische Daten die Bestimmungen zum Persönlichkeits- und Datenschutz.179
Das Recht auf eine geheime Stimmabgabe ist ebenfalls Teil der Wahl- und Abstimmungsfreiheit (Art. 34 Abs. 2 BV).180 Es gilt laut bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch für die Unterzeichnung von Volksinitiativen und Referenden.181 Konkretisiert ist das Stimmgeheimnis für die Unterstützung von Volksbegehren in Art. 64 Abs. 2 BPR und Art. 19 Abs. 6 VPR.
Bei der Sammlung von Unterstützungsbekundungen kann das Stimmgeheimnis bloss in anderer, weniger absoluter Form gelten als bei Wahlen und Abstimmungen.182 Komitee und Amtsstellen erhalten Einsicht in die Unterschriftenlisten, da sie diese verarbeiten müssen. Das Stimmgeheimnis gilt daher nur für die darüber hinausgehende Einsicht oder Verwendung der Unterschriften durch diese oder andere Personen. Die Frage nach dem Stimmgeheimnis stellt sich daher beim E-Collecting prima facie mit weniger grosser Dringlichkeit als etwa bei der Einführung der Briefwahl183 oder beim E-Voting184.
Neben dem – spezifischen – Stimmgeheimnis sind die persönlichen Daten aller auch im Allgemeinen vor unbefugter Einsicht und Bearbeitung geschützt. Der Datenschutz hat eine bedeutende grundrechtliche Komponente und verwirklicht fundamentale Aspekte des Schutzes der Persönlichkeit (Art. 13 BV) und der persönlichen Freiheit (Art. 10 BV).
Die Datenschutzbestimmungen gelten sowohl für den Staat als auch für Private (Art. 2 Abs. 1 Bst. a DSG), d.h. auch für die Mitglieder der Initiativkomitees bei der Sammlung von Unterstützungsbekundungen. Politische Ansichten oder Tätigkeiten, wie beispielsweise Unterstützungsbekundungen für Volksbegehren, gelten als «besonders schützenswerte Personendaten» (Art. 5 Bst. c Ziff. 1 DSG). Dieser besondere Schutz bringt erhöhte Anforderungen mit sich. Die Bearbeitung besonders schützenswerter Personendaten bedarf einer Grundlage in einem Gesetz im formellen Sinn (Art. 34 Abs. 2 Bst. a DSG). Dies trifft auf die elektronische Bearbeitung ebenso zu wie auf Datenbearbeitung in physischer Form (Unterschriftenlisten).
Auch ein E-Collecting-Verfahren muss das Stimmgeheimnis möglichst vollumfänglich wahren und den Datenschutz gegenüber Dritten sicherstellen. Verglichen mit der traditionellen Unterschriftensammlung wird bei E-Collecting die Rolle von Einzelpersonen bei der Sammlung und Weiterverarbeitung der Unterschriften minimiert. Das Abgeben von Unterstützungsbekundungen auf digitalem Weg erfolgt eigenständig durch die unterstützende Person, ohne Kontakt mit sammelnden Personen. Zusätzlich ermöglicht E-Collecting, die Verarbeitung von Unterstützungsbekundungen zu automatisieren, insbesondere die Zuführung der Unterstützungsbekundungen an die Amtsstelle und das Ausstellen der Stimmrechtsbescheinigungen auf elektronischem Wege. Dadurch haben weder Mitglieder des Initiativkomitees noch Mitarbeitende der Amtsstellen Einsicht in die einzelnen Unterstützungsbekundungen. Auf Ebene der einzelnen Unterstützungsbekundungen sind Stimmgeheimnis und Datenschutz beim E-Collecting daher deutlich besser gewährleistet als bei der traditionellen Unterschriftensammlung und -weiterverarbeitung.
Mit der Automatisierung zusammenhängend wird die kleinteilige Arbeit mit Unterschriftenlisten «von Hand» ersetzt durch eine Massenerledigung (large-scale). Dies hat einerseits die gerade beschriebenen Vorteil für den Schutz des Stimmgeheimnisses. Andererseits steigt dadurch das Risiko, dass Daten zu den Unterstützungsbekundungen durch gezielte (technische) Manipulationen im grossen Stil abgelesen, dupliziert und ähnliches werden. Die Sicherheit des E-Collecting-Systems ist daher (auch) zum Schutz des Stimmgeheimnisses und der Daten im Allgemeinen zentral.185
In Bezug auf den verfassungsmässigen Schutz des Stimmgeheimnisses und den Datenschutz sind die Schlussfolgerungen ebenfalls nicht eindeutig. Auch die Unterschriftensammlung auf Papier ist nicht vor diesbezüglichen Problemen gefeit. Durch E-Collecting können – insbesondere verglichen mit der herkömmlichen Unterschriftensammlung – zwar «beiläufige» Risiken für das Stimmgeheimnis und den Datenschutz minimiert werden, dafür steigt das Missbrauchsrisiko durch einzelne «Grossereignisse». Umso wichtiger sind angemessene technische Schutzmassnahmen für ein E-Collecting-System.
3.1.
Notwendigkeit eines Versuchsbetriebs ^
Die umfassende und definitive Einführung von E-Collecting als alternativem Kanal zur handschriftlichen Unterstützungsbekundung ohne Kenntnis der konkreten Auswirkungen wäre verfassungsrechtlich problematisch, wie sich gezeigt hat. Im Umkehrschluss können zugleich die Vorbehalte bezüglich Verfassungsmässigkeit nicht ausgeräumt werden, solange es an praktischen Erfahrungen fehlt. Daher erscheint es – sofern die Einführung von E-Collecting weiterhin angestrebt wird – als notwendig, Erfahrungen mit E-Collecting zu sammeln, ohne diesen neuen Stimmkanal umfassend und definitiv einzuführen. Die Durchführung eines Versuchsbetriebs drängt sich daher auf. Zum Versuchsbetrieb gehört nach unserem Verständnis, dass der Versuch nach einer gewissen Zeit evaluiert und dann die Ausweitung geprüft wird.
Der Vorschlag, zuerst einen Versuchsbetrieb mit beschränktem E-Collecting durchzuführen, folgt einem Schema, das auch bei anderen Änderungen der Art, wie politische Rechte ausgeübt und wahrgenommen werden können, angewendet wurde,186 so insbesondere bei der (bis heute noch nicht flächendeckend erfolgten) Einführung von E-Voting. Das Beispiel zeigt, dass Pilotversuche wichtige Erkenntnisse vermitteln können, auch wenn die kantonalen Testbetriebe inzwischen eingestellt wurden.187
Einerseits können beschränkte Pilotprojekte dazu dienen, die Sicherheit eines E-Collecting-Systems zu überprüfen.188 Diese Sicherheitsbedenken sind eng mit der Frage verbunden, ob das Vertrauen der Stimmberechtigten in diese neuen Wege, ihre politischen Rechte wahrzunehmen, aufrechterhalten werden kann.189
Andererseits kann durch eine Pilotphase ermittelt werden, welche Auswirkungen E-Collecting auf die Nutzung der direktdemokratischen Instrumente hat. Durch einen Pilotbetrieb können Erkenntnisse darüber gewonnen werden, ob E-Collecting die Unterschriftensammlung tatsächlich erheblich erleichtert und so bedeutend mehr Volksbegehren zustande kommen.190 Dies könnte u.U. das Funktionieren der Rechtsetzungsprozesse gefährden. Durch übermässig viele Referenden könnten Gesetzgebungsprozesse blockiert werden; Initiativen erfordern bei Behörden und Stimmberechtigten einen beträchtlichen Zeitaufwand für Vorbereitungen und Meinungsbildung.
Die Zahl von Volksinitiativen und Referenden soll auch bei der Einführung von E-Collecting auf ein ausgewogenes Mass beschränkt bleiben, das für den politischen Betrieb tragbar ist.191 Ansonsten könnte eine generelle oder auf E-Collecting beschränkte Anpassung der Quoren und Fristen notwendig werden.
Das Vertrauen der Stimmberechtigten muss weiterbestehen, einerseits in die Sicherheit von E-Collecting, andererseits auch in die Qualität des Meinungsbildungsprozesses. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, wäre es wohl nicht möglich, E-Collecting überhaupt in einen regulären Betrieb zu überführen. Da zumindest Unsicherheiten bezüglich der Verfassungskonformität gegenüber den Vorgaben zu Initiativen und Referenden an sich (Substanz der politischen Rechte) bestehen, ist es zentral, die Verfassungsmässigkeit des Versuchsbetriebs im Hinblick auf die freie Ausübung der politischen Rechte (einschliesslich des Ergreifens von Initiativen und Referenden;192 vgl. Art. 34 Abs. 2 BV)193 eingehend zu prüfen. Zur Frage steht dabei insbesondere auch die Rechtsgleichheit (Art. 8 Abs. 1 BV) bei der Ausübung der politischen Rechte.194
3.2.
Verfassungsmässigkeit von Beschränkungen des E-Collecting ^
Eine Pilotphase könnte grundsätzlich auch ohne Beschränkungen der Ausbreitung, Fristen oder Anteile durchgeführt werden, indem nach einiger Zeit eine Evaluation des neuen E-Collecting-Systems erfolgen würde. Trotzdem werden Beschränkungen verschiedener Art vorgeschlagen. Die Beschränkungen dienen dazu, «überblickbare Verhältnisse» zu schaffen195 und eine sofortige Überforderung des politischen Systems resp. einen unwiederbringlichen Vertrauensverlust in direktdemokratische Verfahren zu verhindern.
Beschränkungen von E-Collecting können unterschiedlicher Art sein: Denkbar sind Versuchsbetriebe, die in geographischer oder anteilsmässiger Hinsicht oder auf bloss eines der beiden Instrumente (Volksinitiativen oder Referenden) beschränkt sind oder das Aufstellen abweichender Quoren oder Fristen für digitale Unterstützungsbekundungen.
3.2.1.
Geographisch beschränkter Versuchsbetrieb ^
Art. 39 Abs. 1 BV weist die Regelungskompetenz für politische Rechte dem Bund und den Kantonen für ihren jeweiligen Bereich zu.196 Bei der Einführung von E-Collecting sind daher in Hinblick auf die geographische Verbreitung zwei Fälle zu unterscheiden. Einerseits können die Kantone resp. Gemeinden für Volksbegehren auf kantonaler resp. kommunaler Ebene autonom E-Collecting als Versuchs- oder ordentlicher Betrieb einführen,197 sofern sie dabei die grundsätzlichen bundesrechtlichen Vorgaben nicht verletzen.198 Hier interessiert aber der zweite Fall,199 dass E-Collecting für eidgenössische Volksbegehren eingeführt werden soll, und zwar auf gewisse Kantone beschränkt. Mit Bezug auf das E-Collecting folgt aus der bestehenden Zuständigkeitsordnung, dass der Bund auch für die potenzielle Regulierung elektronischer Unterstützungsbekundungen von eidgenössischen Volksinitiativen und Referenden ausschliesslich zuständig ist.200
Art. 27q VPR bietet eine Rechtsgrundlage dafür, E-Collecting für eidgenössische Volksbegehren in der Pilotphase geographisch beschränkt, also nur in einigen Kantonen, zuzulassen.201 Auch E-Voting wurde zu Beginn nur in drei Kantonen getestet202 und schrittweise auf insgesamt 15 Kantone ausgeweitet,203 bevor der Versuchsbetrieb stillgelegt wurde.204 Zweierlei ist dabei zu beachten. Einerseits müssen die betroffenen Kantone – im Sinne technischer Voraussetzungen – über harmonisierte Stimmregister und einen damit verknüpfbaren Personenidentifikator wie bspw. eine E-ID verfügen.205 Andererseits muss die Auswahl der Kantone mit Sorgfalt erfolgen. Eine unterschiedliche Ausgangslage in den ausgewählten Kantonen erlaubt es eher, die gemachten Erfahrungen auf die Gesamtheit der Schweiz zu übertragen.206 Gleichzeitig könnte die Auswahl der Kantone in politischer Hinsicht zu Verzerrungen führen. Die Einführung von E-Collecting in einigen, aber nicht allen Kantonen könnte bestimmten Parteien und Interessengruppen mehr nützen als anderen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht birgt dies ein gewisses Gefahrenpotenzial, dem mit einer sorgfältigen Auswahl der Kantone entgegengewirkt werden könnte.
3.2.2.
Anteilsmässig beschränkter Versuchsbetrieb ^
Bei einer sogenannten Fixanteilslösung würde ein Maximalanteil der elektronischen Unterstützungsbekundungen festgelegt werden. In der Literatur werden verschiedene Vorschläge genannt, zwischen einem «vorerst geringen Anteil»207 bis zu 30% des insgesamt notwendigen Unterschriftenquorums.208 Der Kanton St. Gallen geht von einem Fixanteil von maximal 50% aus.209 Die restlichen Unterstützungsbekundungen müssten weiterhin auf dem üblichen Weg als handschriftliche Unterschriften abgegeben werden.
Eine Fixanteilslösung würde zumindest teilweise verhindern, dass Initiativen oder Referenden leichtfertig zustande kommen können, indem mit wenig Aufwand im Internet Unterstützungsbekundungen gesammelt würden. Die Sammlung manueller Unterschriften mit ihrem zeitlich potenziell verzögernden Element wäre weiterhin ein notwendiger Bestandteil der Lancierung jedes Volksbegehrens. Ebenso wäre die Gefahr, dass durch systematische Manipulation eines E-Collecting-Systems Initiativen und Referenden fälschlicherweise zustande kommen, weniger gross, da weiterhin eine grosse Anzahl an Personen das Begehren physisch unterzeichnen müsste.
3.2.3.
Abweichende Quoren für digitale Unterstützungsbekundungen ^
Es findet sich in der Literatur der Vorschlag, für elektronische und handschriftliche Unterstützungsbekundungen andere Quoren festzulegen.210 Dies würde dazu führen, dass die beiden Arten von Unterstützungsbekundungen unterschiedliches Gewicht erhielten. Eines der zentralen Elemente der Wahlfreiheit gem. Art. 34 Abs. 2 BV i.V.m. Art. 8 Abs. 1 BV ist die Stimmkraftgleichheit: Keine Stimme soll bei der Zählung mehr Gewicht erhalten als eine andere.211 Das gilt auch für die Unterstützung von Volksbegehren. Die Stimmkraftgleichheit wäre daher verletzt, wenn gänzlich unterschiedliche Quoren für physische und digitale Unterstützungsbekundungen eingeführt würden. Unterschiedliche Quoren sind daher verfassungsrechtlich weder in einem Versuchs- noch im ordentlichen Betrieb zulässig.
3.2.4.
Abweichende Fristen für E-Collecting ^
Eine weitere Möglichkeit der Beschränkung des E-Collecting wäre die Ansetzung einer kürzeren Sammelfrist für elektronische Unterstützungsbekundungen. In der Literatur werden diesbezügliche Vorschläge aus Sicherheitsgründen gemacht,212 um weniger Zeit für Manipulationen und Missbrauch zu lassen.213 Es ist aber fraglich, ob kürzere Fristen tatsächlich geeignet sind, die Sicherheit entscheidend zu verbessern. Auch bei sehr kurzen Fristen ist eine elektronische Manipulation möglich.214 Die angedachte E-Collecting-Lösung beinhaltet überdies eine behördliche Plattform, die immer aufgeschaltet und daher für Manipulationen grundsätzlicher Art durchgehend zugänglich wäre. Kürzere Fristen für E-Collecting würden dieses Risiko nicht entscheidend verringern. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ebenso wichtig ist, dass Fristen für Unterstützungsbekundungen auch eine genügende Meinungsbildung über das Begehren ermöglichen müssen. Eine starke Verkürzung der Fristen liefe dem Schutzzweck von Art. 34 Abs. 2 BV zuwider. Abweichende Fristen für elektronische Unterstützungsbekundungen sind daher aus verfassungsrechtlicher Sicht kaum zulässig.
3.3.
Gefahr zu starker Beschränkungen ^
Die Durchführung einer Pilotphase dient, wie gerade erläutert, dazu, Erfahrungen über die effektive Nutzung von E-Collecting-Systemen durch Komitees und Stimmberechtigte zu sammeln. Die Beschränkungen sollen dazu dienen, diese Erfahrungen in überblickbaren Verhältnissen und unter Gewährleistung der Sicherheitsanforderungen machen zu können.
Je grösser aber die Beschränkungen sind, desto weniger lohnt sich der Aufwand, ein E-Collecting-System zu betreiben und zu «bewirtschaften». Insbesondere die Komitees müssten für die aktive Nutzung von E-Collecting neue Wege erschliessen, die Stimmberechtigten zu erreichen und zu mobilisieren. Dies erfordert einigen monetären und zeitlichen Aufwand, der sich für die Komitees zumindest potenziell lohnen muss. Werden die Beschränkungen also zu stark angesetzt, besteht das Risiko, dass E-Collecting gar nicht genutzt werden würde, da die Initialkosten für die aktive Bewirtschaftung des neuen Unterstützungskanals für die Komitees zu hoch wären. In diesem Fall können die notwendigen Erfahrungen nicht mehr gemacht werden. Insofern unterscheidet sich das E-Collecting vom E-Voting, das nur die Behörden und die einzelnen Stimmberechtigten betrifft, nicht jedoch Komitees. Daher muss i.S. der Verhältnismässigkeit darauf geachtet werden, dass die Beschränkungen des E-Collecting-Versuchsbetriebs nicht derart stark ausfallen, dass der neue Kanal von den Komitees kaum genutzt wird.215
4.
Ein kurzes und provisorisches Fazit ^
Die Einführung von E-Collecting bedeutet nicht nur aus technischer, sondern auch aus (verfassungs-)rechtlicher Perspektive eine Herausforderung; entsprechend müssen die Antworten auf die eingangs gestellten Fragen differenziert und teilweise zurückhaltend ausfallen. Angesichts der eminenten politischen, rechtlichen und mythologischen Bedeutung der direktdemokratischen Instrumente für unser Gemeinwesen birgt die Digitalisierung der Unterschriftensammlung zweifelsohne erhebliche Risiken: Nähmen Referenden und Initiativen exponentiell zu, so wäre tatsächlich die Funktionsfähigkeit des politischen Prozesses in Frage gestellt. Ein historischer Rückblick hat gezeigt, dass diese Sorge bei der Ausgestaltung der Volksbegehren stets präsent war und sich insbesondere auf die Modalitäten, die Fristen und die Quoren der Unterschriftensammlung ausgewirkt hat.
Die verfassungsrechtliche Analyse führt aber auch zum Schluss, dass allein aufgrund der unsicheren Folgewirkungen die Einführung von E-Collecting nicht ausgeschlossen werden sollte. Denn auch wenn stets nach dem «richtigen» Mass demokratischer Partizipation gesucht wurde, so ist dieses Mass bis heute nicht verbindlich festgelegt; vielmehr zeigen die über die Zeit stark fluktuierenden Referendums- und Initiativzahlen die inhärent dynamische Natur und Nutzung der Volksrechte.
Auch der Blick auf die materiellrechtlichen Vorgaben der Verfassung zeigt zwar gewisse Gefahrenpotentiale auf, schliesst aber die Einführung von E-Collecting nicht prinzipiell aus. So ist keinesfalls gesichert, dass die elektronische Unterschriftensammlung sich nachteilig auf die Qualität des politischen Meinungsbildungsprozesses auswirken würde. Mit grösserer Unsicherheit sind hingegen die Konsequenzen für das Stimmgeheimnis und den Datenschutz behaftet. So steht einem verstärkten Schutz der Privatsphäre im Kleinen das erhöhte Risiko eines kumulierten Datenverlusts auf eidgenössischer Ebene entgegen.
In mehrerlei Hinsicht stehen wir deshalb vor einem Dilemma. Die möglichen Folgen der Einführung von E-Collecting lassen sich mangels praktischer Erfahrungen nicht abschätzen – aber diese praktischen Erfahrungen lassen sich nur gewinnen, wenn erste Schritte zur digitalen Unterschriftensammlung hin gemacht werden. Auch wenn dieses Dilemma letztlich nicht zu lösen ist, so kommen wir zum Schluss, dass die Spannung sich mit einem beschränkten Versuchsbetrieb zumindest reduzieren liesse. Aus rechtlicher Sicht bleibt aber auch ein solcher Versuchsbetrieb mit zahlreichen Kautelen behaftet.
Die grundlegenden Fragen, die sich vor der Einführung elektronischer Unterstützungsbekundungen stellen, sind aber nicht rechtlicher Natur. Die direktdemokratischen Instrumente spielen nicht nur eine wichtige verfassungsstaatliche Rolle, sondern erfüllen auch eine zentrale Funktion bei der sozialen und kulturellen Konstruktion des schweizerischen corps politique. Wir haben in diesem Kontext auf die rituellen Aspekte der Unterschriftensammlung hingewiesen, und zu Recht nimmt auch der Bundesrat Bezug auf die Gefahr einer «Entritualisierung», wenn dieser Prozess zunehmend nur noch im digitalen Raum stattfinden sollte.216
Die Motivation für einen solchen Schritt muss deshalb über den Verweis auf die in zahlreichen anderen Lebensbereichen stattfindende Digitalisierung hinausgehen. Man gewinnt in diesem Zusammenhang den Eindruck eines gewissen Fatalismus – einer schicksalshaften Unvermeidbarkeit, in die man sich besser früher als später fügt.217 Der Unterschriftensammlung in ihrer bisherigen Form mag durchaus «etwas Archaisches» anhaften.218 Aber gilt das in einem hochtechnisierten Zeitalter nicht auch für andere Aspekte der halb-direkten Demokratie – ja sogar für die halb-direkte Demokratie selbst?
Prof. Dr. iur. Lorenz Langer, lic. phil. I, MPhil, Rechtsanwalt, Assistenzprofessor für Öffentliches Recht und Völkerrecht unter besonderer Berücksichtigung europäischer Demokratiefragen, Universität Zürich.
Irina Lehner, MLaw, LL.M. (London), stv. Abteilungsleitung Centre for Direct Democracy und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Demokratie Aarau.
Unser Dank geht an Kristina Hoffet für ihre Mitarbeit an dem Gutachten zuhanden der Bundeskanzlei, das diesem Beitrag zugrundeliegt.
- 1 Dieser Beitrag beruht auf einem Gutachten, das im Auftrag der Bundeskanzlei zur Vorbereitung des bundesrätlichen Berichts gemäss Postulat 21.3607 der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats (SPK NR) erstellt wurde (Elektronisches Sammeln von Unterschriften für Initiativen und Referenden, Postulat vom 27. Mai 2021, Curia Vista 21.3607), vgl. Bericht ■■■.
- 2 Art. 113 Abs. 1 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 12. September 1848 [aBV 1848].
- 3 Schweizerischer Bundesrat, Botschaft des Bundesrats an die hohe Bundesversammlung, betreffend die Begehren für Revision der Bundesverfassung, 23. November 1866, BBl 1866 III 207, 207.
- 4 Schweizerischer Bundesrat, Botschaft an die Bundesversammlung über eine Erhöhung der Unterschriftenzahlen für Initiative und Referendum, 5. Juni 1975, BBl 1975 II 129, 132.
- 5 Schweizerischer Bundesrat, Bericht über den Vote électronique: Chancen, Risiken und Machbarkeit elektronischer Ausübung politischer Rechte, 9. Januar 2002, BBl 2002 645, 651.
- 6 Schweizerischer Bundesrat, E-Voting: Bundesrat richtet Versuchsbetrieb neu aus und stellt Einführung als ordentlicher Stimmkanal zurück (Medienmitteilung), Bern, 27. Juni 2019, https://www.bk.admin.ch/bk/de/home/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-75615.html.
- 7 In den Kantonen St. Gallen, Basel-Stadt und Thurgau konnten Auslandschweizerinnen und -schweizer sowie teilweise Stimmbürgerinnen und -bürger mit Behinderung (BS) oder aus einer Pilotgemeinde (SG) elektronisch abstimmen. Von den stimmberechtigten Auslandschweizerinnen und -schweizern nutzten 13.8% (SG), 14.5% (BS) und 10.9% (TG) diese Möglichkeit (vgl. die Angaben unter https://www.sg.ch/politik-verwaltung/abstimmungen-wahlen/wahlen.html; https://www.staatskanzlei.bs.ch/politische-rechte/wahlen-abstimmungen/e-voting.html#page_section3_section2; https://rechtsdienst.tg.ch/e-voting.html/15008.
- 8 Zuletzt Motion SPK NR (Fn. 1); zuvor «Stärkung der Demokratie durch E-Collecting» (Motion Jacqueline Fehr), 18. Dezember 2008, Curia Vista 08.3908; «Stärkung der Volksrechte. Unterschriftensammlung für Initiativen und Referenden im Internet» (Motion Franz Grüter), 5. März 2018, Curia Vista 18.3062; «Neuer Schwung für die konsequente Umsetzung der elektronischen Tools zur Ausübung der politischen Rechte» (Motion Carlo Sommaruga), 19. Juni 2020, Curia Vista 20.3908.
- 9 S. z.B. Nicolas Walder, Die in Zusammenhang mit Covid-19 beschlossenen Massnahmen dürfen die demokratischen Rechte der Bürgerinnen und Bürger nicht beeinträchtigen, Interpellation vom 12. März 2020, Curia Vista 20.3104; Motion Sommaruga (Fn. 8).
- 10 Kaspar Ehrenzeller/Bernhard Ehrenzeller, in: St. Galler Kommentar zur schweizerischen Bundesverfassung, 4. Aufl., Zürich 2023, Vorbem. zur Verfassungsrevision Rz. 61 (zit. SGK BV-Autor).
- 11 Oben, Fn. 2.
- 12 Art. 89 Abs. 2 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874, AS NF 1875 I 1 37 [aBV 1874].
- 13 Bundesbeschluss betreffend die Erwahrung der Volksabstimmung vom 5. Juli 1891 über die Revision des dritten Abschnittes der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874, handelnd von der Revision der Bundesverfassung, 29. Juli 1891, AS 12 161.
- 14 Eidgenössische Volksinitiative «für die Unterstellung von unbefristeten oder für eine Dauer von mehr als 15 Jahren abgeschlossenen Staatsverträgen unter das Referendum (Staatsvertragsreferendum)», angenommen am 30. Januar 1921, BBl 1921 I 423, 424.
- 15 Bundesbeschluss über die Neuordnung des Staatsvertragsreferendums, BBl 1977 II 197.
- 16 Zu den letztendlich gescheiterten gesetzlichen Umsetzungsversuchen s. Bernhard Ehrenzeller/Roger Nobs, in: St. Galler Kommentar zur schweizerischen Bundesverfassung, Bd. 2, 2. Aufl., Zürich 2008, Art. 139a Rz. 10 f. (Volksrechtsreform).
- 17 Vielmehr schliesst die geforderte Handschriftlichkeit der Unterstützungsbekundungen (Art. 61 Abs. 1, Art. 62 Abs. 3 sowie Art. 70 BPR) eine elektronische Unterstützungsbekundung bisher implizit aus: Schweizerischer Bundesrat, Civic Tech und Vereinfachung des Vernehmlassungsverfahrens: Entwicklungen und Massnahmen: Bericht des Bundesrates in Erfüllung der Postulate 17.3149 Markus Hausammann und 17.4017 Damian Müller, 8. Mai 2020, 22.
- 18 S. Schweizerischer Bundesrat (Fn. 5), 652.
- 19 Dazu unten, Abschnitt 2.2.1.
- 20 Vgl. Schweizerischer Bundesrat, Botschaft über eine Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte, Bern, 30. November 2001, BBl 2001 6401, 6424.
- 21 Dazu unten, Abschnitt 3.1.
- 22 Schweizerischer Bundesrat, Bericht zu Vote électronique: Auswertung der Einführung von Vote électronique (2006–2012) und Grundlagen zur Weiterentwicklung, 14. Juni 2013, BBl 2013 5069, 5140.
- 23 Motion Fehr (Fn. 8); Motion Grüter (Fn. 8).
- 24 Vgl. die Begründung des Postulats SPK-N (Fn. 1).
- 25 Entsprechend spiegelt etwa die Haltung der Parteien gegenüber der elektronischen Unterschriftensammlung die jeweils erwarteten politischen Vor- bzw. Nachteile: Jan Fivaz/Daniel Schwarz, Die digitale Demokratie in der Schweiz, in: Jürgen Stember et al. (Hg.), Aktuelle Entwicklungen zum E-Government, Wiesbaden 2021, 75 ff., 82, Tabelle 3 (Einführung E-Collecting).
- 26 Anschaulich etwa Sandro Scalco/Rolf Rauschenbach, Vom Unterschriften sammeln auf Papier zum E-Collecting, in: Lyn Ellen Pleger/Alexander Mertes (Hg.), Digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung in der Schweiz, Wiesbaden 2022, 119 ff., 146: «[Es bleibt] vor allem eine politische Frage, ob ein E-Collecting-System eingeführt wird, und falls ja, in welcher Ausprägung.».
- 27 S. etwa Wolf Linder, Die öffentliche Meinung zerfällt in Bubbles, Neue Zürcher Zeitung vom 5. Februar 2022, 21; Christian Folini, E-Collecting birgt grosse Risiken, Neue Zürcher Zeitung vom 2. September 2022, 18.
- 28 So etwa Andreas Glaser, Der elektronisch handelnde Staat, 134 II ZSR (2015), 259 ff., 290 f.
- 29 Vgl. insbes. Nadja Braun Binder, Anpassung der Quoren bei E-Collecting (A1F5): Gutachten im Auftrag des Zentrums für Demokratie Aarau, 17. Juni 2014, https://www.zora.uzh.ch/id/eprint/141631/1/Braun_Binder_GutachtenZDA2014.pdf, und Corsin Bisaz/Uwe Serdült, E-Collecting als Herausforderung für die direkte Demokratie der Schweiz, in: LeGes 28 (2017) 3; sowie mit Fokus auf die kantonale Ebene Katja Gfeller/Andreas Glaser/Irina Lehner, E-Collecting: Umsetzungsvarianten und Rechtsetzungsbedarf, LeGes 32 (2021), 1.
- 30 Nadja Braun Binder, Quoren und Fristen bei der elektronischen Unterschriftensammlung (e-Collecting), 133 I ZSR (2014), 539 ff., 555 f.; Bisaz/Serdült (Fn. 29), 542 f.; Gfeller et al. (Fn. 29), Rz. 40; Vgl. dazu auch unten, Abschnitt 2.3.4.
- 31 Barbara Perriard, Das Stimmvolk hat das letzte Wort, in: LeGes 23 (2012) 2, 157; Braun Binder (Fn. 30), 539; Glaser (Fn. 28), 290 (m.w.H.); Gfeller et al. (Fn. 29), Rz. 6 ff.; Scalco/Rauschenbach (Fn. 26), 136.
- 32 Vgl. Art. 60a–62 BPR; vgl. auch Scalco/Rauschenbach (Fn. 26), 124 ff.
- 33 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 17), 22.
- 34 Für eine ganzheitliche Betrachtung Braun Binder (Fn. 30), passim; Wolf Linder, Zur Ambivalenz der Digitalisierung direkter Demokratie, in: Hans-Peter Schaub, Marc Bühlmann (Hg.), Direkte Demokratie in der Schweiz: Neue Erkenntnisse aus der Abstimmungsforschung, Zürich 2022, 69 ff., 74, hingegen erachtet auch elektronische Plattformen, bei denen die Unterschriftenbögen ausgedruckt und verschickt werden müssen, als eine Form von E-Collecting.
- 35 So auch Schweizerischer Bundesrat, Stellungnahme zu «Stärkung der Volksrechte. Unterschriftensammlung für Initiativen und Referenden im Internet» (Motion Franz Grüter), 16. Mai 2018, Curia Vista 18.3062, «Nach Ansicht des Bundesrates greift es zu kurz, E-Collecting als Digitalisierung der bisher handschriftlichen Unterschriften zu verstehen.».
- 36 Anders noch Art. 63 aBV 1848 mit partiellem Verweis auf kantonales Recht. Unter der aBV 1874 waren die entsprechenden Vorgaben über mehrere Bestimmungen verteilt: Walther Burckhardt, Kommentar der schweizerischen Bundesverfassung vom 29. Mai 1874, 3. Aufl., Bern 1931, 648.
- 37 Art. 8 BPR.
- 38 Art. 83 BPR.
- 39 Vgl. SGK BV-Kley (Fn. 10), Art. 39 Rz. 6.
- 40 Klassisch die Formulierung in New State Ice Co. v. Liebmann, 285 U.S. 262 (1932) (Brandeis J., dissenting).
- 41 S. z.B. Schweizerischer Bundesrat (Fn. 17), 23; «Pilotversuche zwecks Einführung von E-Collecting im Kanton Bern» (Motion Christoph Patrick Zimmerli/Stefan Costa/Peter Bohnenblust), 9. Juni 2021, 2021.RRGR.200; «Ermöglichung von elektronischen Unterschriftensammlungen (E-Collecting) für Volksbegehren auf kantonaler und kommunaler Ebene» (Motion Tabea Zimmermann Gibson/Luzian Franzini/Anastas Odermatt), 23. August 2021, Vorlage Nr. 3284.1.
- 42 Dazu unten, Abschnitt 3.2.1.
- 43 Diesem Umstand trug die BPR/VPR-Revision von 2014 Rechnung, indem der Wortlaut von Art. 27q VPR leicht verändert wurde; vgl. AS 2013 5370.
- 44 Kanton St. Gallen, 11. Förderung politische Partizipation und Teilhabe, Digitalen Wandel gestalten, https://www.schwerpunktplanung.sg.ch/Digitalen_Wandel_staerken/Foerderung_politische_Partizipation_und_Teilhabe.html.
- 45 https://www.sg.ch/news/sgch_allgemein/2023/06/kanton-sucht-anbieter-fuer-e-collecting-plattform.html.
- 46 Basierend auf «Einführung von E-Collecting im Kanton St.Gallen» (Motion Louis Nesslau/Sascha Schmid), 4. September 2018, 42.18.14.
- 47 «Mehr Demokratie für Schaffhausen – einfach und sicher: Volksbegehren auch elektronisch unterschreiben (E-Collecting)» (Motion Sandro Scalco/Claudio Kuster), 1. Juli 2020, Nr. 2020/1.
- 48 Bericht und Antrag des Regierungsrates des Kantons Schaffhausen an den Kantonsrat betreffend Bereinigung der Sammlung der Motionen und Postulate vom 14. Februar 2023, 8; https://sh.ch/CMS/get/file/8c35cafa-a897-422e-a8d1-ae7b349aaefd.
- 49 Auszug aus dem Protokoll des Regierungsrates des Kantons Zürich: «Einführung e-Collecting, elektronische Unterschriftensammlung für Initiativen und Referenden im Internet oder auf mobilen Endgeräten» (341. Motion Andrew Katumba/Rafael Steiner/Jörg Mäder), 10. April 2019, KR-Nr. 5/2019.
- 50 «Einführung eines E-Collecting-Systems auf kantonaler Ebene» (Postulat Saskia Schenker, FDP-Fraktion), 20. Mai 2021, 2021/334; Motion Zimmerli et al. (Fn. 41).
- 51 Regierungsrat (BE), Berichterstattung Parlamentarische Vorstösse und Planungserklärungen 2022: Bericht an den Grossen Rat zum Stand der Umsetzung überwiesener Motionen und Postulate sowie Planungserklärungen, 11. Januar 2023, 2022.STA.4172023.
- 52 §5a und §34 Gesetz betreffend Initiative und Referendum, SG 131.100 [IRG/BS] (in Kraft seit dem 1. Januar 2021).
- 53 Gemäss Marco Greiner/Adrian Heuss/Daniel Högger, «Mein Kanton, meine Meinung, digital»: E-Voting, E-Collecting, E-Democracy & Co. – wie weiter?, Staatskanzlei Basel-Stadt, 2021, 11, befürworten 59% der Bevölkerung E-Collecting.
- 54 «Einführung eines e-Collecting (elektronische Unterschriftensammlung) für Initiativen und Referenden im Internet oder auf mobilen Endgeräten als zusätzliche Variante zur Sammlung mittels Unterschriftsbögen» (Motion Olivier Battaglia), Grosser Rat BS, 2. Juni 2021, 21.5426.
- 55 Regierungsrat ZG, Motion von Tabea Zimmermann Gibson, Luzian Franzini und Anastas Odermatt betreffend mehr Demokratie: Ermöglichung von elektronischen Unterschriftensammlungen (E-Collecting) für Volksbegehren auf kantonaler und kommunaler Ebene: Bericht und Antrag des Regierungsrats, 13. September 2022, Vorlage Nr. 3284.2, Laufnummer 17079.
- 56 «Postulat betreffend digitaler Möglichkeiten zur politischen Partizipation, insbesondere im Bereich des ‹e-collecting›» (Postulat Josef Allenbach), Kantonsrat OW, 2. Dezember 2021, Nr. 53.21.022.
- 57 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 5), 656.
- 58 Eine solche Stelle besteht bisher (im beschränkten Rahmen von Art. 69a BPR) für Volksinitiativen (s. https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis_1_3_1_1.html), während das Pendant für laufende Referendumsanstrengungen (Art. 60a BPR) potenziell unvollständig ist (s. https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/rf/ref_1_3_2_1.html).
- 59 Vgl. Art. 69 BPR.
- 60 Vgl. allg. zu den Parteistrukturen Adrian Vatter, Das politische System der Schweiz, 3. Aufl., Baden-Baden 2018, 136 f.
- 61 SGK BV-Kley (Fn. 10), Art. 39 Rz. 3.
- 62 Art. 139 Abs. 1 und Art. 141 Abs. 1 BV.
- 63 Die Regelung auf Gesetzesstufe hingegen ist auf handschriftlich ausgefüllte Unterschriftenbögen ausgerichtet: Art. 61 BPR. Ziel des Handschriftlichkeitserfordernisses ist dabei nicht in erster Linie die «effektive Echtheitskontrolle», sondern ein verstärktes Unrechtsbewusstsein unzulässigen Unterzeichnens: Schweizerischer Bundesrat, Botschaft über eine Teiländerung der Bundesgesetzgebung über die politischen Rechte vom 1. September 1993, 28. September 1993, BBl 1993 III 445, 471 («Stimmabgabe am Heimcomputer»); vgl. dazu auch Braun Binder (Fn. 30), 554.
- 64 Vgl. die in der helvetischen Verfassung vorgesehenen assemblés primaires: Constitution de la République helvétique du 12 avril, in: Hans Nabholz/Paul Kläui (Hg.), Quellenbuch zur Verfassungsgeschichte der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Kantone von den Anfängen bis zur Gegenwart, Aarau 1798, Art. 22, 28, 32 und 107.
- 65 Burckhardt (Fn. 36), 809.
- 66 Bundesrevisionskommission, Protokoll über die Verhandlungen der am 16. August 1847 durch die hohe eidgenössische Tagsahung mit der Revision des Bundesvertrags vom 7. August 1815 beauftragten Kommission, Bern 1848, 142 («auf dem Wege der Petition»).
- 67 Die Ausgestaltung des Verfahrens war vielmehr den Kantonen überlassen worden: Schweizerischer Bundesrat, Botschaft des Bundesrates an die hohe Bundesversammlung, betreffend eidgenössische Wahlen und Abstimmungen, 24. Juni 1872, BBl 1872 II 753, 762.
- 68 Johann Jakob Blumer, Handbuch des schweizerischen Bundesstaatsrechtes, Schaffhausen 1863, Bd. 2, 110 f.
- 69 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 3), 209 ff. In einigen Kantonen bestanden auch noch andere Möglichkeiten bzw. Vorschriften, so etwa als Alternative die Abzählung an gesetzlich gehaltenen Bürgerversammlungen (Art. 116 Staatsverfassung des Kantons Sankt Gallen vom 17. November 1861) oder exklusiv mittels Antrag an der Landsgemeinde (Art. §97 Staatsverfassung des Kantons Glarus vom 22. Mai 1842 in der Fassung vom 11. Mai 1851).
- 70 Art. 2 Bundesgesez betreffend die Begehren für Revision der BV vom 5. Dezember 1867, AS (A.F.) 9 205.
- 71 Art. 89 Abs. 2 aBV 1874, s. oben, bei Fn. 12.
- 72 Schweizerischer Bundesrat, Botschaft an die hohe Bundesversammlung, betreffend die Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse, 29. Mai 1874, BBl 1874 I 1001, 1001.
- 73 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 72), 1004 f.
- 74 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 72), 1005.
- 75 Bundesgesez betreffend Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse vom 17. Juni 1874, AS (N.F.) I 116 (Switzerland), Art. 4 und Art. 5 Abs. 2.
- 76 So Schweizerischer Bundesrat, Bericht über die Pilotprojekte zum Vote électronique, 31. Mai 2006, BBl 2006 5459, 5465.
- 77 Art. 121 Abs. 2 und 3 BV 1874.
- 78 Vgl. Schweizerischer Bundesrat, Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Revision des III. Abschnittes der Bundesverfassung, handelnd von der Revision dieser letzteren, 13. Juni 1890, BBl 1890 III 455, 462.
- 79 Art. 3 Bundesgesetzes über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Revision der Bundesverfassung vom 27. Janaur 1892, BS 1, 169; Art. 2 Bundesgesetz über das Verfahren bei Volksbegehren auf Revision der Bundesverfassung vom 23. März 1962, AS 1962 789.
- 80 Dazu unten, Abschnitt 2.3.2 und 2.3.3.
- 81 Art. 136 Abs. 2 BV: «[Die Stimmberechtigten] können […] Volksinitiativen und Referenden in Bundesangelegenheiten ergreifen und unterzeichnen.».
- 82 Vgl. SGK BV-Kley (Fn. 10), Art. 136 Rz. 19, zum «informatorischen Charakter» der Bestimmung.
- 83 SGK BV-Kley (Fn. 10), Art. 136 Rz. 20.
- 84 Die Frage stellt sich so klar im Zusammenhang von E-Collecting, da Art. 136 Abs. 2 BV bei Wahlen und Abstimmungen nur von «Teilnahme» spricht – eine nur auf elektronischem Wege durchgeführte Wahl und Abstimmung wäre also zumindest unter Art. 136 Abs. 2 BV unproblematisch.
- 85 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 3), 208 f.
- 86 Art. 3 Bundesgesetz betreffend die Begehren für Revision der BV 1867 (Fn. 70) (Bei der Ermittlung der erforderlichen Unterschriften kamen so «die Stimmen in Berechnung, welche in dem Zeitraume der unmittelbar vorausgegangenen zwölf Monate abgegeben» wurden).
- 87 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 72), 1004: «Die Bemessung dieser Frist hängt wesentlich zusammen mit der Frage, in welcher Weise die Bürger oder die Kantone, welche [vom fakultativen Referendum] Gebrauch machen wollen, ihre Erklärungen abzugeben haben». S. auch oben, Fn. 74.
- 88 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 72), 1004 f.
- 89 Art. 4 Bundesgesez betreffend Volksabstimmung über Bundesgeseze und Bundesbeschlüsse 1874 (Fn. 75).
- 90 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 78), 468.
- 91 Schweizerischer Bundesrat, Botschaft an die Bundesversammlung zum Gesetz über das Verfahren und die Abstimmungen bei Volksbegehren betreffend Revision der Bundesverfassung, 22. Juli 1892, BBl 1891 IV 11, 14.
- 92 Oben, Fn. 86.
- 93 Art. 5 Abs. 2 Ziff. 1 Bundesgesetz über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Revision der Bundesverfassung 1892, A.S. 12, 885. Massgeblich war die Zahl der innerhalb von sechs Monaten vor Einreichung beglaubigten Unterschriften – entsprechend konnte eine Initiative auch deutlich mehr Unterschriften auf sich vereinen; entscheidend war jedoch, dass einmal innerhalb von sechs Monaten die Zahl von 50’000 erreicht wurde.
- 94 Schweizerischer Bundesrat, Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zu einem Bundesgesetz über die politischen Rechte, 28. April 1975, BBl 1975 I 1317, 1380.
- 95 «Volksinitiativen. Frist für die Unterschriftensammlung» (Motion Tilo Frey), 19. März 1975, Curia Vista 75.361.
- 96 AB 1975 IV S 1427. Die Fristsetzung sollte zugleich die geplante Erhöhung des Quorums unnötig machen.
- 97 Schweizerischer Bundesrat, Bundesratsbeschluss über das Ergebnis der Volksabstimmung vom 4. Dezember 1977, 31. Januar 1978, BBl 1978 I 324, 325. Für die gegnerischen Argumente s. Claudius Alder, Volksrechte nur noch für die Grossen?, Neue Zürcher Zeitung vom 29. November 1977, 33.
- 98 Unten, Abschnitt 2.3.3.
- 99 Staatspolitische Kommission des Ständerats, Beseitigung von Mängeln der Volksrechte, Parlamentarische Initiative vom 29. Juni 1999, Curia Vista 99.436.
- 100 Ständerat, Parlamentarische Initiative Kommission-SR (96.091): Beseitigung von Mängeln der Volksrechte, Debatte, 18. September 2001, AB 2001 S 483, 488 (Hansheiri Inderkum).
- 101 Ständerat, Parlamentarische Initiative Kommission-SR (96.091) (Fn. 100), 488 (Toni Dettling).
- 102 Bundesbeschluss über die Änderung der Volksrechte vom 4. Oktober 2002, AS 2003 1949.
- 103 Art. 141 Abs. 1 BV in der Fassung vom 4. Oktober 2002.
- 104 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 63), 447.
- 105 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 63), 491.
- 106 So etwa «Stärkung der Volksrechte» (Motion Luzi Stamm), 14. Dezember 2012, Curia Vista 12.4260. Grund dafür war eine Häufung teilweise knapp nicht zustande gekommener Referenden: Bundesrat, Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte, 29. November 2013, BBl 2013 9217, 9234.
- 107 Vgl. Art. 2 Abs. 2 und Art. 3 Verordnung über die Stimmrechtsbescheinigung bei eidgenössischen Volksreferenden und Volksinitiativen in Zeiten der Covid-19-Epidemie vom 12. Mai 2021, SR 161.17, AS 2021 273
- 108 Braun Binder (Fn. 29), 8.
- 109 Schweizerische Bundesversammlung, Bulletin der Verhandlungen der schweiz. Bundesversammlung über die Revision der Bundesverfassung November und Dezember 1871, Bern 1871, 9 (Rudolf Brunner).
- 110 Nämlich bei 50’000 statt 30’000 Unterschriften: Schweizerischer Bundesrat, Botschaft des Bundesrates an die hohe Bundesversammlung, betreffend die Revision der Bundesverfassung, 17. Juni 1870, BBl 1870 II 665, 701.
- 111 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 78), 462.
- 112 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 78), 463.
- 113 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 4), 134.
- 114 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 4), 137.
- 115 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 4), 137 und 146.
- 116 Bundesbeschluss über die Erhöhung der Unterschriftenzahl für das Referendum (Art. 89 und 89bis BV), 25. März 1977, AS 1977 2228
- 117 So hatten die Räte beim ersten Versuch, das Frauenstimmrecht auf eidgenössischer Ebene einzuführen, eine Koppelung von Stimmrechtserweiterung und Quorum explizit abgelehnt, s. Schweizerischer Bundesrat (Fn. 4), 131. Vielmehr wurde eine generelle «Krise» der Volksrechte und insbes. der Volksinitiative und eine zunehmende Zweckentfremdung konstatiert: Schweizerischer Bundesrat (Fn. 4), 131 f.
- 118 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 4), 138 (Hinweis auf die «Vermehrung der Stimmberechtigten pro Haushalt»).
- 119 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 4), 138.
- 120 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 4), 138 f.
- 121 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 4), 137 (mit einer prognostizierten Zahl von 46 Initiativen für den Zeitraum von 1971–1980).
- 122 Anstatt der vorhergesehen 46 waren es schliesslich 40 Initiativen, vgl. dazu die Daten auf https://www.bk.admin.ch/bk/de/home/politische-rechte/volksinitiativen.html.
- 123 Vgl. die Auflistung bei Braun Binder (Fn. 29), 14, Abb. I.
- 124 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 4), 142.
- 125 Vgl. dazu die Angaben unter https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/rf/ref_2_2_3_1.html, deren Auswertung uns von der Bundeskanzlei zur Verfügung gestellt wurde.
- 126 AB 1999 N 1025.
- 127 Vgl. oben, Fn. 123 und 125.
- 128 Schweizerischer Bundesrat, Erläuterungen zum Verfassungsentwurf 1995, Bern, 17. Juni 1995, 215.
- 129 Vgl. Schweizerischer Bundesrat, Botschaft an die hohe Bundesversammlung, betreffend die Abstimmung vom 19. April 1874 über die abgeänderte Bundesverfassung, 20. Mai 1874, BBl 1874 I 699, 715.
- 130 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 4), 147.
- 131 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 128), 215.
- 132 Vgl. Schweizerischer Bundesrat (Fn. 4), 130; Schweizerischer Bundesrat, Beschluss über das Ergebnis der Volksabstimmung vom 15. Mai 2022, BBl 2022 2010, 3.
- 133 Bernhard Ehrenzeller/Aldo Lombardi, in: Kommentar zur schweizerischen Bundesverfassung, Zürich/St. Gallen 2002, Vorbemerkungen zu Art. 136–142 Rz. 9. s. dazu auch unten, Abschnitt 2.3.3.
- 134 Ständerat, Parlamentarische Initiative Kommission-SR (96.091) (Fn. 100), 484.
- 135 Wolf Linder/Sean Mueller, Schweizerische Demokratie: Institutionen – Prozesse – Perspektiven, 4. Aufl., Bern 2017, 329; differenzierend, aber im Ergebnis ähnlich: Alexander Trechsel, Feuerwerk Volksrechte: Die Volksabstimmungen in den schweizerischen Kantonen 1970–1996, Basel 2000, 64, 89; Christina Eder, Direkte Demokratie auf subnationaler Ebene: Eine vergleichende Analyse der unmittelbaren Volksrechte in den deutschen Bundesländern, den Schweizer Kantonen und den US-Bundesstaaten, Baden-Baden 2010, 126 ff., 145 f.
- 136 Oben, Fn. 125.
- 137 So explizit auch für die Bundesebene Gfeller et al. (Fn. 29), Rz. 40.
- 138 Vgl. oben, Fn. 17 und 63 für das Formerfordernis in Art. 61 Abs. 1 BPR («handschriftlich»). Für die inhaltlichen Vorgaben einer Revision sowie die notwendigen Folgeänderungen von Art. 4, Art. 60 ff. und Art. 68 ff. BPR s. Gfeller et al. (Fn. 29), Rz. 42.
- 139 Entsprechend die Bezeichnung als rein «organisatorische Verfassungsvorbehalte», welche die Modalitäten der Ausübung des Initiativrechts (innerhalb der Leitlinien von Art. 34) dem Gesetzgeber überlassen: SGK BV-Steinmann/Besson (Fn. 10), Art. 34 Rz. 17.
- 140 Für die historischen Bezüge siehe Rolf Graber, Demokratie und Revolten: Die Entstehung der direkten Demokratie in der Schweiz, Zürich 2017, 16 ff.
- 141 Vgl. David I. Kertzer, Ritual, Politics, and Power, New Haven 1988, 9: «Ritual action has a formal quality to it. It follows highly structured, standardized sequences and is often enacted at certain places and times that are themselves endowed with special symbolic meaning.».
- 142 Art. 4 Bundesgesez betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen vom 19. Juli 1872, AS (A.F.) X 915.
- 143 Die Ausweitung der Abstimmungsmöglichkeiten erfolgte entsprechend zögerlich: 1900 wurden die Kantone ermächtigt, die Stimmabgabe vor Ort und in Person am Vorabend zuzulassen, wobei hier – wie später bei der Briefwahl – eine Erleichterung in kantonalen Angelegenheiten auch für eidgenössische Abstimmungen galt (Art. 1 Bundesgesetz betreffend Erleichterung der Ausübung des Stimmrechtes und Vereinfachung des Wahlverfahrens vom 30. März 1900, BS I 165).
- 144 Nadja Braun Binder, Stimmgeheimnis: Eine rechtsvergleichende und rechtshistorische Untersuchung unter Einbezug des geltenden Rechts, Bern 2006, Rz. 416 ff.
- 145 Nationalrat, Stimmabgabe der Aufenthalter (Fortsetzung), 7. Juni 1948, Stenographisches Bulletin der Bundesversammlung, AB 1948 II S 151 (Max Rohr).
- 146 Vgl. Bundesgesetz über die Einführung der vorzeitigen Stimmabgabe in eidgenössischen Angelegenheiten vom 30. Juni 1960, AS 1960 1341; Bundesgesetz über die Einführung von Erleichterungen der Stimmabgabe an eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen vom 25. Juni 1965, AS 1966 849.
- 147 Art. 5 BPR in der Fassung vom 17. Dezember 1976, AS 1978 688.
- 148 Art. 5 Abs. 4 BPR in der Fassung vom 18. März 1994, AS 1994 2414.
- 149 Vgl. etwa Linder (Fn. 34), 76.
- 150 Vgl. oben bei Fn. 145.
- 151 So schon Andreas Auer/Alexandre Trechsel, Voter par internet?: Le projet e-voting dans le canton de Genève dans une perspective socio-politique et juridique, Genf/Basel 2001, 48 ff., wobei der empirische Nachweis für diesen erhofften Effekt noch zu erbringen ist: vgl. statt vieler Katja Gfeller/Nadja Braun Binder/Uwe Serdült, Demokratie im digitalen Zeitalter: Das Beispiel von Initiative und Referendum in der Schweiz, in: Andreas Glaser et al. (Hg.), Brennpunkt Demokratie: 10 Jahre Zentrum für Demokratie Aarau, Baden 2019, 48 ff., 54.
- 152 Vgl. für dieses Argument einer aus Überstrapazierung resultierenden Stimmabstinenz schon Schweizerischer Bundesrat (Fn. 4), 104 und 142.
- 153 Vgl. Walter Haller/Alfred Kölz/Thomas Gächter, Allgemeines Staatsrecht, 6. Aufl., Zürich 2020, Rz 255 f.
- 154 So dezidiert Bisaz/Serdült (Fn. 29), 530 f.
- 155 Oben, bei Fn. 133.
- 156 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 78), 460.
- 157 Vgl. oben, Fn. 41.
- 158 Vgl. oben, bei Fn. 122.
- 159 Vgl. oben, Abschnitt 2.3.3.
- 160 Oben, Abschnitt 2.3.3.
- 161 Vgl. etwa Braun Binder (Fn. 144), 592 (mit einer Frist von 14 Tagen und einem Quorum von 20’000 – wobei aber Missbrauchsmöglichkeiten im Vordergrund stehen).
- 162 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 5), 647.
- 163 Vgl. dazu jetzt Marc Bühlmann/Hans-Peter Schaub, Staatspolitische Auswirkungen von E-Collecting: Studie im Auftrag der Bundeskanzlei, Bern 2023, 48 ff., die weder bei Lancierung noch Zustandekommen von Referenden und Initiativen einen starken Anstieg erwarten.
- 164 Oben, Abschnitt 2.3.1.
- 165 Simon Luechinger/Myra Rosinger/Alois Stutzer, The Impact of Postal Voting on Participation, 13 (2007) 168.
- 166 Linder (Fn. 34), 74; Scalco/Rauschenbach (Fn. 26), 128; Bühlmann/Schaub (Fn. 163), 37.
- 167 SGK BV-Steinmann/Besson (Fn. 10), Art. 34 Rz. 7, 12.
- 168 SGK BV-Steinmann/Besson (Fn. 10), Art. 34 Rz. 18, 20.
- 169 SGK BV-Steinmann/Besson (Fn. 10), Art. 34 Rz. 5.
- 170 Statt vieler: BGE 145 I 259, E. 4.3.
- 171 SGK BV-Steinmann/Besson (Fn. 10), Art. 34 Rz. 22.
- 172 In Analogie zum bedingten Anspruch auf die Nutzung öffentlichen Grundes zur Unterschriftensammlung (vgl. SGK BV-Rechsteiner/Errass (Fn. 10), Art. 16 Rz. 53) könnte man von einem bedingten Anspruch auf eine praktikable Ausübung der politischen Rechte sprechen.
- 173 So etwa Nationalrat (Fn. 145), 152 (Max Rohr).
- 174 Nationalrat, Elektronisches Sammeln von Unterschriften für Initiativen und Referenden, Postulat SPK-N (21.3607), 21. September 2021, AB 2021 N 1762 (Jean-Luc Addor): «La récolte de signatures par voie électronique dénature et désincarne la démocratie directe. Elle doit, de l’avis de la minorité, rester à certains égards une affaire d’artisan. Et puis, dans la démocratie directe, il y a aussi l’idée qu’avec la récolte de signatures il est nécessaire de descendre dans la rue et d’aller au contact des citoyens – un contact direct et pas un contact désincarné.».
- 175 Vgl. oben, Abschnitt 2.3.1
- 176 Vgl. Schweizerischer Bundesrat (Fn. 5), 647.
- 177 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 3), 208 f.; Schweizerischer Bundesrat (Fn. 72), 1004; Schweizerischer Bundesrat (Fn. 78), 465; Schweizerischer Bundesrat (Fn. 4), 137 f.
- 178 Vgl. Schweizerischer Bundesrat (Fn. 5), 659.
- 179 Art. 13 BV sowie das Bundesgesetz über den Datenschutz vom 25. September 2020, SR 235.1 (DSG).
- 180 Statt vieler: BGE 136 I 364, E. 2.1.
- 181 BGE 98 Ib 289, E. 4h.
- 182 Gfeller et al. (Fn. 29), Rz. 32; Bisaz/Serdült (Fn. 29), 533.
- 183 Bénédicte Tornay, La démocratie directe saisie par le juge, Zürich 2008, 213.
- 184 Tornay (Fn. 183), 213 f.; Ralph Doleschal/David Rumer, Anspruch auf Wahrung des Stimmgeheimnisses im bundesgerichtlichen Verfahren, in: Andrea Good, Bettina Platipodis (Hg.), Direkte Demokratie: Herausforderungen zwischen Politik und Recht, Bern 2013, 83 ff., S. 86.
- 185 Vgl. Schweizerischer Bundesrat (Fn. 5), 660.
- 186 Vgl. oben, Abschnitt 2.3.1.
- 187 Yvo Hangartner/Andreas Kley/Nadia Braun Binder/Andreas Glaser, Die demokratischen Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2. Aufl., Zürich 2023, 535.
- 188 Zum Ganzen: Schweizerischer Bundesrat (Fn. 5), 680.
- 189 Zum Vertrauen bei E-Democracy siehe eingehend: Andreas Auer/Nicolas von Arx, La légitimité des procédures de vote: les défis du e-voting, AJP 2002, 491 ff.
- 190 Zum Ganzen: Bisaz/Serdült (Fn. 29), 539 f.
- 191 Oben, Abschnitt 2.3.
- 192 Giovanni Biaggini, Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2. Aufl., Zürich 2017, Art. 34 Rz. 5; BGE 135 I 302, E. 4.2.
- 193 SGK BV-Steinmann/Besson (Fn. 10), Art. 34 Rz. 5.
- 194 Vgl. dazu: SGK BV-Schweizer/Kägi-Diener/Bischof (Fn. 10), Art. 8 Rz. 12 und Rz. 27.
- 195 So zur beschränkten Einführung von E-Voting-Pilotversuchen: Schweizerischer Bundesrat (Fn. 20), 6408.
- 196 Oben, Fn. 36.
- 197 Vgl. Gfeller et al. (Fn. 29), Rz. 40 ff.
- 198 Vgl. SGK BV-Kley, Art. 39 Rz. 6.
- 199 Im Gegensatz etwa zur früheren Regelung der eidgenössischen Briefwahl kann beim E-Collecting die kantonale Gesetzgebung auf die Normierung auf Bundesebene keinen Einfluss haben; vgl. Art. 5 Abs. 4 BPR 1978, wonach die Erweiterung der Briefwahl durch das kantonale Recht auch für eidgenössische Vorlagen galt.
- 200 Art. 39 Abs. 1 i.V.m. Art. 136 Abs. 2 BV.
- 201 Schweizerischer Bundesrat, Verordnung über die politischen Rechte: Änderung vom 20. September 2002, Schweizerische Bundeskanzlei, 22. Oktober 2002, AS 2002 3200, 3205.
- 202 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 76), 5466.
- 203 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 22), 5097 f.
- 204 Schweizerische Bundeskanzlei, Neuausrichtung und Wiederaufnahme der Versuche: Schlussbericht des Steuerungsausschusses Vote électronique (SA VE), Bern, 30. November 2020, 6 f.; vgl. auch Art. 27a Abs. 2 VPR.
- 205 Vgl. Schweizerischer Bundesrat (Fn. 22), 5210.
- 206 Vgl. zu den unterschiedlichen Ausgangsbedinungen beim E-Voting: Lorenz Engi/Francine Hungerbühler, E-Voting – Stand und Entwicklung in der Schweiz (2006), 23 f.
- 207 Bisaz/Serdült (Fn. 29), 540 f.
- 208 Vgl. Gfeller et al. (Fn. 29), Rz. 45 f.
- 209 Sandro Scalco, Studie zum Thema E-Collecting: Basel-Landschaft, Schaffhausen 2023, 38 (mit Verweis auf die entsprechende Ausschreibung durch den Kanton St. Gallen).
- 210 Vgl. Bisaz/Serdült (Fn. 29), 540.
- 211 BGE 129 I 185, E. 7.3.
- 212 Bspw. auf vier Wochen: Braun Binder (Fn. 30), 556.
- 213 Braun Binder (Fn. 144), 217.
- 214 Bisaz/Serdült (Fn. 29), 11.
- 215 Ähnlich: Bisaz/Serdült (Fn. 29), 541.
- 216 Schweizerischer Bundesrat (Fn. 5), 656.
- 217 Für diese Vorstellung eines «unaufhaltsamen Prozesses» s. beispielweise: Nationalrat, Bundesgesetz über die politischen Rechte (01.079), 19. März 2002, AB 2002 N 331, 334 (Cécile Bühlmann).
- 218 Nationalrat (Fn. 174), 1762 (Walter Thurnherr).