Die Tessiner Gesetzgebung ist in den letzten dreissig Jahren exponentiell gewachsen, und das Tessiner Parlament als Sprachrohr des Volkswillens hat in den neunziger Jahren ausdrücklich eine Neuordnung gefordert. Dies hat dazu geführt, dass die Regierung im Jahre 2001 das Projekt «Entschlackung der kantonalen Gesetzgebung» eingeleitet hat mit dem Ziel, veraltete, überflüssige oder widersprüchliche Normen abzuschaffen und die Regelungen zu vereinfachen. Dabei sollten vor allem die Organisations- und Verfahrensbestimmungen auf ein absolutes Minimum begrenzt werden. Das Projekt weist vier Grundpfeiler auf: – Die Checkliste: Ein Werkzeug, mit dem jede Norm in gleicher Art und Weise systematisch untersucht werden kann. Dabei müssen für jeden Gesetzesartikel acht Fragen beantwortet werden. Dieses Instrument ist von grundlegender Bedeutung für die klare methodische Ausrichtung der Gesetzesanalyse. – Der Einbezug der Ämter: Jedes Amt wurde damit beauftragt, die amtsspezifische Gesetzgebung zu untersuchen. So hat z.B die Jagdbehörde das Jagdgesetz, die Vormundschaftsbehörde das Vormundschaftsgesetz usw. untersucht. Auf diese Weise wurde eine hohe Fachkompetenz gewährleistet. – Eine interdepartementale Leitung des Projekts, bestehend aus leitenden Beamten aus jedem Departement und einem Juristen. Diese Zusammensetzung hat sehr dazu beigetragen, dass die gesamte Verwaltung erreicht und überzeugt werden konnte. – Die Vorschläge wurden in Form von Änderungspaketen präsentiert. Dieses Element war unerlässlich, um der Regierung und dem Parlament darzulegen, dass den Änderungen ein gemeinsamer Nenner zugrunde lag, nämlich die Entschlackung der Gesetzgebung. Das Projekt hat dazu geführt, dass in vier Jahren von 715 Erlassen 216 den Vorgaben entsprechend geändert wurden. Von diesen wurden 90 aufgehoben: Während es im Jahr 2001 noch 715 Erlasse gab, waren es 2004 noch 625. Immer noch zu viele, wagen wir zu behaupten, aber immerhin ist es ein erster Schritt in die richtige Richtung. Zum Ergebnis dazuzurechnen sind noch versteckte positive Nebeneffekte wie der Erfahrungsgewinn der am Projekt Beteiligten. Die Überprüfung der Gesetzgebung in ihrer Gesamtheit hat es auch ermöglicht, die bestehenden Probleme zu erkennen und die Gesetzgebungen der verschiedenen Rechtsgebiete zu vergleichen. Verbesserungen in der Gesetzestechnik waren eine weitere positive Folge. Das Projekt hat auch zu einer gewissen Annäherung der Departemente geführt, da die Zusammenarbeit mit einem gemeinsamen Ziel neue Kommunikationswege eröffnet hat. Weiter hat die Prüfung der gesamten Gesetzgebung zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit den Aufgaben des Staates geführt, wobei das Ziel des Projektes – die Verbesserung der Gesetzgebung – klar getrennt blieb von den Zielen im Bereich der Aufgabenüberprüfung des Staates. Mit der Beendigung des Projektes ist ein Blick in die Zukunft unumgänglich. Zwei Massnahmen wurden ergriffen: die laufende Überprüfung neuer Gesetze auf ihre Straffheit, Einfachheit und Verständlichkeit sowie die Schulung von Verwaltung und Parlament. Wer vorhat, sich auf die Entschlackung der Gesetzgebung einzulassen, sei gewarnt: Es ist ein steiniger Weg. Viele hatten anfänglich ihre Zweifel an der Machbarkeit dieser Aufgabe. Damit sich niemand ohne entsprechende Hinweise auf diesen Weg begibt, möchte ich einige Schwierigkeiten erörtern, denen wir begegnet sind: a) Zu Beginn war vorgesehen, sämtliche Erlasse zu prüfen, worauf gleich der Vorschlag gemacht wurde, dass man die laufenden Teil- oder Totalrevisionen davon ausnehmen solle. Wer in der Verwaltung tätig ist, weiss, wie schwierig es ist zu unterscheiden, was in Revision ist und was bald in Revision sein wird. Es braucht daher präzise Ausschlusskriterien. b) Die festgelegten Kriterien zur Beurteilung der Gesetze (Checkliste) sind zwar sehr präzis, aber für viele Ämter nicht präzis genug für eine eindeutige Interpretation: Besonders am Anfang fanden lange Diskussionen statt darüber, was genau gemeint ist mit «zu bürokratisches Verfahren» (Checkliste 4) oder «Bestimmung nicht elastisch genug» (Checkliste 5). Viele Ämter befürchteten, dass ein Erlass an Klarheit verliere, wenn ein Artikel gestrichen würde. c) Die Kompetenz der betreffenden Fachleute in einem bestimmten Bereich war manchmal kontraproduktiv: Ein Gesamtüberblick ermöglicht eine objektivere Beurteilung der Wichtigkeit der einzelnen Bestimmung. Es ist zum Beispiel vorgekommen, dass ein Amt ein Gesetz beibehalten wollte «für den Fall, dass es von Nutzen sein könnte», auch wenn es seit 25 Jahren nicht mehr angewendet worden war. Es ist deshalb wichtig, begreiflich zu machen, dass in manchen Fällen auch der gesunde Menschenverstand, allgemeine Rechtsprinzipien oder Quervergleiche zu anderen Gebieten eine ausreichende Grundlage darstellen können, auch wenn keine spezielle gesetzliche Regelung vorhanden ist. d) Das Parlament reagierte zuerst skeptisch, weil einige Parlamentarier befürchteten, in die Pakete seien politisch bedeutsame Änderungen «hineingeschmuggelt» worden. Die Information des Parlaments und die Wahl des richtigen Zeitpunkts für diese Information sind besonders wichtig. Trotz der Schwierigkeiten hat sich die Erfahrung als lohnenswert herausgestellt. Die Skeptiker wurden überzeugt, die Ergebnisse sprechen für sich. Die Mentalität ist in Veränderung begriffen, und wir haben ein Instrument geschaffen, welches in die Zukunft hineinwirken wird: Wenn der Erlass eines neuen Gesetzes erforderlich sein sollte, wird dieses elastischer und straffer ausfallen. Im Grunde genommen aber konnte das Entschlackungsprojekt trotz allem nur erfolgreich sein: Es sind sich alle einig darüber, dass es zu viele Gesetze gibt. Nur deshalb war es möglich, ein solch heikles und komplexes Projekt durchzuführen. Zum Schluss möchte ich den Menschen danken, die mich überzeugt und unterstützt haben auf diesem Weg – ein Weg, den ich anderen Kantonsverwaltungen und dem Bund ebenfalls ans Herz legen möchte.
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