Justice - Justiz - Giustizia

Liebe Leserinnen und Leser

In der ersten Ausgabe von «Justice – Justiz – Giustitia» haben wir unsere Ziele für die neue Schweizer Richterzeitung formuliert. Sie soll über alle Belange der Justiz berichten, u.a. soll Thema sein, was wir und andere in der Justiz erleben, was wir und andere über die Justiz denken, was die Justiz bewirkt, was uns betroffen macht. «Justice – Justiz – Giustizia» soll den Leserinnen und Lesern zeigen, wie Entscheidungen zustande kommen, welchen Einflüssen die Justiz ausgesetzt ist, welche Qualitäten sie hat, aber auch welche Mängel vorhanden sind. Die vorliegende Ausgabe von «Justice – Justiz – Giustitia» enthält Beiträge, in denen kritisch über die Justiz, aber auch über Justizkritik berichtet wird.

Mängel der Justiz dürfen und sollen nicht ausgeklammert werden. Eine qualitativ hochstehende Justiz ist nur sichergestellt, wenn auch Schwächen ihre Darstellung finden, wenn der Finger auf wunde Punkte gelegt wird.

Vielfach erscheint das Aufzeigen von verbesserungswürdigen Situationen und Mechanismen als Angriff auf die Justiz – sei es auf einzelne Personen oder auf die Institution als solche. Und häufig wird reflexartig festgehalten, Kritik sei unzulässig und stelle einen Angriff auf die richterliche Unabhängigkeit dar. In dieser allgemeinen Form ist die Reaktion wohl falsch. Richterliche Unabhängigkeit ist nicht Standesvorrecht oder Privileg der Richter und Richterinnen; Unabhängigkeit ist Verpflichtung im Dienst einer fairen, rechtsstaatlichen Rechtspflege und – mit Blick auf die friedenssichernde Funktion richterlicher Tätigkeit – letztlich Dienst an der Gemeinschaft. Mit diesem Verständnis geht auch der Anspruch einher, dass die Judikative – gesamthaft und jeder einzelne Angehörige – für ihr Handeln Verantwortung trägt[1] . Notwendig ist die Entwicklung einer Kultur von Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Verantwortlichkeit innerhalb der Judikative selber, als ein wesentlicher Schritt um die Integrität der Judikative sicherzustellen. Daraus ergibt sich zweifelsohne, dass Kritik an der Judikative nicht nur zulässig, sondern auch notwendig ist.

Das heisst nun aber nicht, dass Kritik in jeglicher Form, jeglichen Inhalts und auf jeglichem Niveau sinnvoll und akzeptabel ist. Insbesondere Kritiker, welche nicht bloss aus persönlicher Betroffenheit agieren, sondern denen es um die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Justiz in unserem demokratischen Rechtsstaat geht, sollten bei ihrer Kritik die Funktion der Justiz nicht aus den Augen verlieren: Kritik, welche das Vertrauen der Rechtsgemeinschaft – bewusst oder unbewusst und aus welchen Motiven auch immer – unterminiert, ist für unser Staatswesen mindestens so schädlich, wie Mängel oder Fehler der Justiz, welche nicht offengelegt werden.

Anne Colliard, Stephan Gass, Regina Kiener, Hans-Jakob Mosimann, Thomas Stadelmann, Pierre Zappelli

[1] Vgl. zur Verantwortlichkeit der Angehörigen der Justiz auch «THE BANGALORE PRINCIPLES OF JUDICIAL CONDUCT 2002» .

 

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