Urteil des Bundesgerichts 2C_780/2018 vom 1. Februar 2021

Informationen zum Zwecke der Sanktionierung (DBA CH-NL)

  • Bearbeitet durch: Susanne Raas
  • Beitragsart: Grundsatzurteil
  • Rechtsgebiete: Internationale Amtshilfe
  • Zitiervorschlag: Susanne Raas, Urteil des Bundesgerichts 2C_780/2018 vom 1. Februar 2021, ASA online Grundsatzurteile
Urteil des Bundesgerichts vom 1. Februar 2021 i.S. Eidgenössische Steuerverwaltung gegen A. und B. (2C_780/2018).

Inhalt

  • 1. Regeste
  • 2. Sachverhalt (Zusammenfassung)
  • 3. Aus den Erwägungen

1.

Regeste ^

Die internationale Amtshilfe in Steuersachen ist auch zulässig, wenn die Informationen einzig der steuerrechtlichen Sanktionierung der betroffenen Personen dienen (E. 2.3 und 3.7, insb. 3.7.2).

Der ersuchende Staat muss sich entscheiden, auf welche Rechtsgrundlage er sein Amtshilfegesuch stützt. Da er sich vorliegend auf das DBA CH-NL stützt, ist das Amtshilfeübereinkommen des Europarates und der OECD nicht anwendbar (E. 3.5).

Lassistance administrative internationale en matière fiscale est également admissible si les informations servent uniquement à sanctionner les personnes concernées au regard du droit fiscal (consid. 2.3 et 3.7, notamment 3.7.2).

LÉtat requérant doit décider de la base juridique de sa demande dassistance administrative. Comme il fonde sa demande en lespèce sur la CDI CH-NL, la convention du Conseil de lEurope et de lOCDE sur lassistance administrative nest pas applicable (consid. 3.5).

2.

Sachverhalt (Zusammenfassung) ^

Die zuständige niederländische Steuerbehörde (Belastingdienst [BD]) richtete am 2. Februar 2017 gestützt auf Art. 26 des Abkommens vom 26. Februar 2010 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (DBA CH-NL; SR 0.672.963.61) ein Amtshilfegesuch an die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV), mit welchem sie den Informationsstand der in den Niederlanden steuerpflichtigen Personen A. und B. in Bezug auf ein vorangegangenes Gruppenersuchen des BD in Erfahrung bringen wollte. Letzteres wurde am 23. Juli 2015 gestellt und der BD möchte vorliegend Auskunft darüber, ob, wann und wie die genannten Personen über dieses Gruppenersuchen informiert worden sind sowie ob, wann und wie sie betreffend ein strittiges Bankkonto bei der C. AG mit den schweizerischen Steuerbehörden Kontakt aufgenommen haben. Schliesslich ersucht der BD um Auskunft darüber, ob und wann den genannten Personen im damaligen Verfahren betreffend Gruppenersuchen die Schlussverfügung zugestellt wurde.

Hintergrund des vorliegenden Amtshilfegesuchs ist der Umstand, dass die niederländischen Steuerbehörden bis zum 22. September 2015 eine sogenannt freiwillige Nachmeldung nicht deklarierter ausländischer Bankkonten ermöglichten. Letztere liegt nur vor, wenn die steuerpflichtige Person eine richtige und vollständige Steuererklärung nachreicht, bevor sie weiss oder wissen muss, dass der Steuerinspektor Kenntnis über die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit hat oder haben wird. Vorliegend haben die niederländischen Steuerbehörden im Rahmen des Gruppenersuchens von den schweizerischen Behörden keine Informationen über A. und B. erhalten und gehen davon aus, dass die Nachmeldung der letzteren keine (echte) freiwillige Nachmeldung darstellt, was von letzteren bestritten wird.

Die vorliegend ersuchten Informationen dienen gemäss BD der Ermittlung, ob eine freiwillige Nachmeldung vorliegt und damit der Festlegung der Bussen «wegen einer Steuerordnungswidrigkeit», denn wenn keine freiwillige Nachmeldung gegeben ist, werden höhere Bussen auferlegt.

Mit Schlussverfügung vom 1. September 2017 ordnete die ESTV die Übermittlung der ersuchten Informationen an den BD an. Die dagegen von A. und B. erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht am 17. August 2018 gutgeheissen.

Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht vom 10. September 2018 beantragt die ESTV (Beschwerdeführerin) hauptsächlich die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils sowie die Bestätigung ihrer Schlussverfügung vom 1. September 2017.

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

3.

Aus den Erwägungen ^

2.

[…]

2.3. Aufgrund der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung ist davon auszugehen, dass das vorliegende Amtshilfegesuch nicht der Steuerveranlagung der Steuerpflichtigen bzw. Beschwerdegegner, sondern einzig deren Sanktionierung mittels Busse dient ([…]). Es geht insbesondere darum, zu eruieren, ob die Beschwerdegegner aufgrund des strengeren oder des milderen Bussentarifs bestraft werden müssen.

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist somit, ob Amtshilfe ausschliesslich zur Sanktionierung eines Steuerpflichtigen zulässig ist. Nicht Streitgegenstand ist dagegen, ob die zwecks Unterstützung der ausländischen Steuerveranlagung zu übermittelnden Informationen auch für die Sanktionierung des Steuerpflichtigen verwendet werden dürfen. Dass solches zulässig ist, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 26 Abs. 2 Satz 1 DBA CH-NL, wonach die entsprechenden Informationen Personen oder Behörden, welche mit der Strafverfolgung hinsichtlich der in Absatz 1 (von Art. 26 DBA CH-NL) genannten Steuern, sprich der Verfolgung von Steuerdelikten, befasst sind, zugänglich gemacht werden dürfen (vgl. Xavier Oberson, in: Danon/Gutmann/Oberson/Pistone, Modèle de Convention fiscale OCDE concernant le revenu et la fortune, Commentaire, 2013, N. 93 zu Art. 26 OECD-MA [Musterabkommen]). Die zusätzliche Verwendung zwecks Durchführung eines Steuerstrafverfahrens und damit auch zwecks Auferlegung einer Busse ist damit abgedeckt. Ebensowenig Streitgegenstand ist, ob die entsprechenden Informationen zwecks Verfolgung anderer Straftatbestände als Steuerdelikte verwendet werden dürfen (dazu Urteil 2C_653/2018 vom 26. Juli 2019 E. 7.2 und 7.5, zur Publikation vorgesehen).

3.

[…]

3.4. Der Informationsaustausch ist zwar laut Art. 26 Abs. 1 DBA CH-NL nicht durch Art. 1 und Art. 2 DBA CH-NL eingeschränkt. Damit wird jedoch einerseits zum Ausdruck gebracht, dass dieser sich auch auf andere Steuerarten als die Einkommenssteuern bzw. die von Art. 2 DBA CH-NL erfassten Steuern, beispielsweise auf die Erbschafts- und Schenkungssteuern oder die Mehrwertsteuer, beziehen kann. Andererseits folgt daraus, dass nicht nur die gemäss Art. 1 DBA CH-NL in einem Vertragsstaat, sondern auch in einem Drittstaat ansässige Personen vom Informationsaustausch erfasst werden können (Daniel Holenstein, in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Internationales Steuerrecht, 2015 [Kommentar Internationales Steuerrecht], N. 118 und 122 zu Art. 26 OECD-MA). Dass der Wortlaut «Steuern jeder Art und Bezeichnung» in Art. 26 Abs. 1 DBA CH-NL auch Bussen umfasst, lässt sich somit nicht daraus ableiten. Ausserdem zeigt die Verwendung des Begriffs «Steuern» in Art. 2 DBA CH-NL, dass damit nur die Abgabe an sich gemeint ist, nicht aber eine Sanktion bzw. Busse.

3.5. Die Beschwerdeführerin beruft sich in diesem Zusammenhang auch auf das Amtshilfeübereinkommen [das grundsätzlich für die Schweiz geltende Übereinkommen der Mitgliedstaaten des Europarates und der OECD über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen vom 25. Januar 1988; SR 0.652.1]. Gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. c desselben «bedeutet der Ausdruck ‹Steuerforderung› jeden Steuerbetrag, die darauf entfallenden Zinsen sowie die damit zusammenhängenden Geldbussen und Vollstreckungskosten, die geschuldet werden und noch nicht gezahlt worden sind.» Das DBA CH-NL und das Amtshilfeübereinkommen können allerdings nicht gleichzeitig Anwendung finden, sondern der ersuchende Staat muss sich jeweils entscheiden, auf welche Rechtsgrundlage er sein Amtshilfegesuch abstützt. In der Folge gilt ausschliesslich die bezeichnete Rechtsgrundlage (Botschaft zur Genehmigung des Übereinkommens des Europarats und der OECD über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen und zu seiner Umsetzung [Änderung des Steueramtshilfegesetzes], BBl 2015 5585 ff., 5596; OECD, Explanatory Report of the Convention on Mutual Administrative Assistance in Tax Matters as amended by the 2010 Protocol, abrufbar unter <https://www.oecd.org/cpt/exchange-of-tax-information/convention-on-mutual-administrative-assistance-in-tax-matters-htm>, besucht am 9. Juni 2020 [Explanatory Report MCAA], Rz. 267). Wenn der BD sich wie vorliegend auf ein konkretes DBA bzw. das DBA CH-NL abstützt, gilt deshalb ausschliesslich dieses. Eine Berufung auf das Amtshilfeübereinkommen ist demnach vorliegend nicht statthaft.

3.6. Jedoch fragt es sich, ob nicht der Wortlaut (von Art. 26 Abs. 1 DBA CH-NL), wonach Informationen ausgetauscht werden können, welche «zur Durchführung dieses Abkommens oder zur Anwendung oder Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts betreffend [...] erhobenen Steuern jeder Art und Bezeichnung voraussichtlich erheblich sind», den Informationsaustausch ausschliesslich zwecks Bussenerhebung ermöglicht. In den drei verbindlichen Sprachfassungen (niederländisch/englisch/französisch; vgl. DBA CH-NL, letzter Absatz vor Unterschriften) lautet die wesentliche Textpassage: «wisselen de inlichtingen uit die naar verwachting van belang zijn voor het uitvoeren van de bepalingen van dit verdrag of voor de administratie of de tenuitvoerlegging van de nationale wetgeving met betrekking tot belastingen» («tauschen die Informationen aus, von denen zu erwarten ist, dass sie für die Durchführung dieses Übereinkommens oder für die Verwaltung oder Durchsetzung innerstaatlicher Rechtsvorschriften in Bezug auf Steuern»; übersetzt mittels <https://www.deepl.com>, besucht am 8. September 2020); «shall exchange such information as is foreseeably relevant for carrying out the provisions of this Convention or to the administration or enforcement of the domestic laws concerning taxes»; «échangent les renseignements vraisemblablement pertinents pour appliquer les dispositions de la présente Convention ou pour l’administration ou l’appliquation de la législation interne relative aux impôts».

3.7.

3.7.1. Die Frage, ob Steueramtshilfe ausschliesslich zwecks Durchführung eines Steuerstrafverfahrens zulässig ist, wird von der Lehre kontrovers beantwortet (Bejahend Daniel Holenstein, Kommentar Internationales Steuerrecht, N. 267 zu Art. 26 OECD-MA; Derselbe verneinend, allerdings unter Berufung auf das vorliegend angefochtene Urteil, in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Amtshilfe, 2020 [Kommentar Amtshilfe], § 24 Rz. 28; bejahend Andrea Opel, Kommentar Amtshilfe, § 3 Rz. 99; im Ergebnis bejahend René Matteotti, Analyse der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur internationalen Amtshilfe in Steuerangelegenheiten aus dem ersten Halbjahr 2018, ASA 87 S. 380 f.; verneinend Alexander M. Glutz, Beschwerde ans Bundesgericht gegen Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen (Art. 84 BGG) – Die materielle Abgrenzung von Amts- und Rechtshilfe am aktuellen Beispiel der strafprozessual unzulässigen amerikanischen «fishing expeditions» («Gruppenanfragen»), ASA 80 S. 742 f.; ebenfalls verneinend Robert Weyeneth, Der nationale und internationale ordre public im Rahmen der grenzüberschreitenden Amtshilfe in Steuersachen, Basler Studien zur Rechtswissenschaft, Band 127, 2017, S. 25 ff.). Der OECD-Kommentar zum OECD-MA, welcher regelmässig zur Auslegung schweizerischer Doppelbesteuerungsabkommen herangezogen wird (vgl. BGE 143 II 202 E. 6.3.4 S. 209 f.; 142 II 161 E. 2.1.1 S. 165), ist zuwenig differenziert bzw. enthält keine Antwort (vgl. Model Tax Convention on Income and on Capital, Full Version, 22 July 2010, Volume I and II, OECD Committee on Fiscal Affairs, OECD Publishing, 2012, C (26) -2, Ziff. 5, abrufbar unter <https://www.oecd-ilibrary.org/taxation/model-tax-convention-on-income-and-on-capital-2010_9789264175181-en>, besucht am 28. Juni 2019).

3.7.2. Der Wortlaut der drei verbindlichen Sprachfassungen stimmt im wesentlichen Punkt überein, nämlich indem auch Informationen, welche zur Durchsetzung des innerstaatlichen Steuerrechts voraussichtlich erheblich sind, ausgetauscht werden sollen (Angesichts der Formulierung «l’administration ou l’application» im französischen Abkommenstext ist unter «l’application» mehr als die blosse Anwendung, nämlich die Durchsetzung der Vorschriften zu verstehen). Der Begriff «Steuer» beinhaltet nicht eine Steuerbusse (E. 3.4. oben), aber die Formulierung «Durchsetzung des [der] innerstaatlichen Rechts [Rechtsvorschriften] betreffend [...] Steuern» umfasst von seiner gewöhnlichen Bedeutung her nicht bloss die Steuerveranlagung, sondern auch die steuerrechtliche Sanktionierung. Ausserdem können Informationen alternativ zur Anwendung «oder» Durchsetzung des Steuerrechts ausgetauscht werden. Demnach können auch Informationen, welche ausschliesslich der steuerrechtlichen Sanktionierung dienen, übermittelt werden. In diesem Sinne umfasst die internationale Steueramtshilfe vorliegend materiell auch den Steuerstrafbereich (vgl. Andrea Opel, Neuausrichtung der schweizerischen Abkommenspolitik in Steuersachen: Amtshilfe nach dem OECD-Standard, 2015, S. 124). Wenn der materielle Anwendungsbereich der Steueramtshilfe auch die steuerrechtliche Sanktionierung umfasst, kann es aber nicht darauf ankommen, ob die Information in jedem Fall der Steuerveranlagung und daneben auch noch der Steuersanktion dient oder ob die Information ausschliesslich für die Steuersanktion relevant ist. Beides dient der Durchsetzung des innerstaatlichen Steuerrechts. Dies steht auch im Einklang mit dem Sinn und Zweck der internationalen Amtshilfe in Steuersachen. Der entsprechende Informationsaustausch dient zwar vorwiegend der korrekten Steuerveranlagung, aber damit ebenso der Vermeidung und Sanktionierung von Steuerdelinquenz. Unter diesen Vorzeichen wäre es mit dem Ziel einer wirksamen Steueramtshilfe unvereinbar, die Erhebung und Übermittlung von Informationen nur deshalb zu verweigern, weil die Steuerveranlagung bereits abgeschlossen ist und die Information ausschliesslich der Steuersanktion wegen einer ungenügenden Steuerdeklaration dient. Eine solche Abgrenzung wäre künstlich. Konsequenterweise muss demnach auch ein Amtshilfegesuch, welches ausschliesslich der Informationsbeschaffung im Hinblick auf eine steuerrechtliche Sanktionierung (der im Amtshilfegesuch avisierten Steuerpflichtigen; dazu E. 3.7.4) dient, zulässig sein. Dies führt auch nicht zu einer Umgehung der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, welche, soweit es um Steuerdelikte geht, nur bei Vorliegen zumindest eines Abgabebetruges geleistet werden darf (Art. 3 Abs. 3 Bundesgesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. März 1981 [IRSG; SR 351.1]). Grundsätzlich hat der ausländische Staat die Wahl, ob er den Amtshilfe- oder den Rechtshilfeweg beschreiten will, wobei die zuständigen Behörden bzw. Justizorgane zu prüfen haben, ob die jeweiligen Voraussetzungen erfüllt sind (BGE 137 II 128 E. 2.3.1 f. S. 134 f.). Gemäss teleologischer Auslegung ist Art. 26 Abs. 1 DBA CH-NL demnach so zu verstehen, dass er auch die Stellung eines Amtshilfegesuchs, welches ausschliesslich der Durchsetzung des innerstaatlichen Steuerrechts im Sinne der steuerrechtlichen Sanktionierung dient, erlaubt.

3.7.3. [Die Informationen müssen voraussichtlich erheblich sein.]

3.7.4. [Spezialitätsprinzip]

4. [Keine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips im konkreten Fall]