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„E-Recht“ – Friedrich Lachmayer als Pionier der elektronischen Rechtsetzung

  • Autor/Autorin: Günther Schefbeck
  • Beitragsart: Rechtsinformatik
  • Rechtsgebiete: Rechtsinformatik
  • DOI: 10.38023/55801ccd-cd83-45d2-bfa3-178bce2588c5
  • Zitiervorschlag: Günther Schefbeck, „E-Recht“ – Friedrich Lachmayer als Pionier der elektronischen Rechtsetzung, in: Jusletter IT 29. Juni 2023
Wenn die Republik Österreich mit dem System „E-Recht“, einem Workflowsystem zur durchgängigen elektronischen Unterstützung des Prozesses der Gesetzgebung des Bundes, im internationalen Vergleich eine Pionierrolle in der elektronischen Rechtsetzung eingenommen hat, dann ist das insbesondere Friedrich Lachmayer zu danken, seinem rechtsinformatischen Wissen, seiner Projekterfahrung, seinem konzeptiven Geist, seinem Blick für den rechten Moment und seinem Gespür für menschliche Befindlichkeiten. Seit 1. Jänner 2004 wird das Bundesgesetzblatt authentisch elektronisch veröffentlicht. Friedrich Lachmayer hat mit „E-Recht“ ein System hinterlassen, das bis heute erfolgreich und im Grundansatz unverändert verwendet wird.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. 50 Jahre IT-Unterstützung des normativen Systems in Österreich
  • 2. Projekt und System „E-Recht“
  • 2.1. Motivation
  • 2.2. Der Ministerratsbeschluss vom 6. Juni 2001
  • 2.3. Die Umsetzung des Projekts
  • 2.4. Implementierung und Wirkung
  • 2.5. Authentische elektronische Kundmachung
  • 2.6. Erfolgsfaktoren
  • 3. Schlussbetrachtung
  • Anhang: Visualisierungen von Friedrich Lachmayer
  • Literatur

1.

50 Jahre IT-Unterstützung des normativen Systems in Österreich ^

[1]

In der Geschichte der Unterstützung des normativen Systems durch die Informationstechnik lässt sich eine Abfolge von Epochen unterscheiden, die in Österreich mit den 1970er Jahren ihren Anfang genommen hat. Friedrich Lachmayer, der 2023 sein 80. Lebensjahr vollendet, hat an allen diesen Epochen seinen Anteil gehabt, zunächst als Beamter des Bundeskanzleramtes und damit als Verantwortlicher für im buchstäblichen Sinn des Wortes epochemachende Projekte, aber auch nach Ende seiner aktiven Dienstzeit als spiritus rector der österreichischen Rechtsinformatik, Netzwerker und Ideengeber.

[2]

In die 1970er Jahre, also noch in das Zeitalter der Großrechner oder „mainframes“, als Computer teure Ungetüme waren, die sich nur große Unternehmen oder eben die Verwaltung leisten konnten, in diese 1970er Jahre also fällt der Beginn der österreichischen Rechtsdokumentation, und Friedrich Lachmayer hat schon am ersten großen Projekt dieser Art mitgewirkt, welches das Bundeskanzleramt gemeinsam mit IBM unternommen hat, einem Projekt, in welchem die Eignung der Informationstechnik für die Rechtsdokumentation anhand des Bundes-Verfassungsgesetzes erwiesen werden sollte und in welchem, auch wenn es nicht unmittelbar in ein operatives System übergeführt werden konnte, zahlreiche wertvolle Erfahrungen gesammelt wurden, die die weitere Entwicklung nachhaltig beeinflusst haben.

[3]

Erst in den 1980er Jahren, als die Großrechner von den ersten PCs abgelöst wurden und dadurch zumindest innerhalb der Verwaltung ein breiterer Zugang zur Nutzung der Informationstechnik ermöglicht wurde, konnte es gelingen, die Dokumentation zunächst des österreichischen Bundesrechts auf eine breit angelegte und nachhaltig wirksame Basis zu stellen. Die Schaffung des Rechtsinformationssystems des Bundes (RIS)1 im Bundeskanzleramt, das damals selbst noch auf Großrechnern entwickelt wurde und lief, und das nicht authentische konsolidierte Fassungen der Rechtsvorschriften des Bundesrechts in Zeitschichten zum jeweils gewählten Stichtag enthielt, baute auf wesentlichen konzeptiven Ansätzen Friedrich Lachmayers auf, und für seinen weiteren Ausbau war er späterhin als zuständiger Abteilungsleiter auch organisatorisch verantwortlich. Freilich blieb das RIS zunächst, in den 1980er Jahren, noch ein primär verwaltungsinternes Werkzeug. Einige Jahre später, im Rahmen des 1989 ins Leben gerufenen Parlamentarischen Informations- und Kommunikationssystems (PARLINKOM) und nicht zuletzt auch inspiriert durch das Vorbild des RIS als einer Dokumentation des gegenwärtigen und historischen Rechtsbestandes, begann auch die Parlamentsverwaltung an der IT-gestützten Dokumentation der legislativen Prozesse und der parlamentarischen Materialien, also der Verfahren und der Verfahrensdokumente, die den Rechtsvorschriften vorangehen, zu arbeiten.

[4]

Dieses Projekt der Parlamentsverwaltung benötigte bis Mitte der 1990er Jahre, um das parlamentarische Verfahren in seiner ganzen Komplexität – beispielsweise mit seinen über tausend im Zuge der Prozessanalyse identifizierten Verfahrensstufen – IT-unterstützt abzubilden und in den Regelbetrieb übergeführt werden zu können: immer noch als ein Dokumentationssystem, noch nicht als ein Werkzeug zur Unterstützung des parlamentarischen Geschäftsprozesses selbst. Mit der Verfügbarkeit des World Wide Web, basierend auf dem Hypertext-Protokoll, tat sich Mitte der 1990er Jahre sowohl für das österreichische Parlament als auch für das Bundeskanzleramt die Möglichkeit auf, die in den Dokumentationssystemen zum legislativen Verfahren und zu den geltenden Rechtsvorschriften bereits vorhandenen Informationen einer breiteren Öffentlichkeit elektronisch verfügbar zu machen, und zwar sowohl im Volltext als auch in den Metadaten. Im internationalen Vergleich war Österreich, das diesen Schritt 1996 bzw. 1997 vollzog, anderen europäischen Staaten zum Teil um Jahre voraus. Friedrich Lachmayer hat als Verantwortlicher für das RIS diesen Schritt an die Öffentlichkeit nicht nur gesetzt, sondern ist auch weiterhin für die freie, das heißt insbesondere unentgeltliche Zugänglichkeit der Rechtsinformation eingetreten, als von Seiten kommerzieller Verlage Vorstöße unternommen wurden, dieses unentgeltliche, von ihnen damals als Konkurrenz empfundene Informationsangebot des Bundeskanzleramtes auszuhebeln. Heute ist der freie, staatlicherseits gewährleistete Zugang zur Rechtsinformation in Europa selbstverständlich geworden, und die Verlage haben in ihren Mehrwertdiensten, die sich ihrerseits auf die staatlicherseits beigestellten Daten stützen, ihre Geschäftsfelder gefunden.

[5]

War also die Epoche der 1990er Jahre durch die elektronische Verfügbarmachung der bereits vorhandenen dokumentalistischen Information geprägt, so vollzog sich in den 2000er Jahren der entscheidende Paradigmenwechsel in der Unterstützung des normativen Systems durch die Informationstechnik, nämlich der Schritt von der ex post vollzogenen elektronischen Dokumentation in herkömmlichen, papiergebundenen Formen ablaufender legislativer Prozesse hin zur „Elektronifizierung“ oder „Elektronisierung“ dieser Prozesse selbst, also zum IT-Einsatz ex ante, schon in der legistischen Entwurfsarbeit über das ganze legislative Verfahren hinweg bis zur abschließenden Kundmachung der Rechtsvorschriften. Neu eingeführt wurde also ein umfassendes Workflowmanagement und – als ein damals noch besonders mutig erscheinender abschließender Schritt – die authentische elektronische Publikation der Rechtsvorschriften des Bundesrechts. Österreich kam darin eine Pionierrolle im europäischen und im globalen Vergleich zu: Österreich hat mit dem als „E-Recht“ bezeichneten System zur durchgängigen elektronischen Unterstützung des Gesetzgebungsverfahrens ein funktionales Modell geschaffen, an welchem sich in weiterer Folge viele europäische und außereuropäische Staaten orientiert haben. Das Projekt „E-Recht“ war zugleich der letzte große Wurf Friedrich Lachmayers in seiner Funktion als dafür Projektverantwortlicher im Bundeskanzleramt.

[6]

Auch nach seinem Übertritt in den Ruhestand hat Friedrich Lachmayer die Entwicklung der Rechts- und Legislativinformatik nicht nur aufmerksam verfolgt, sondern mit seiner Kreativität, seinem Ideenreichtum und seiner Fähigkeit, andere zu begeistern, in vieler Hinsicht beeinflusst. An einigen jener vielen parallelen und miteinander zusammenhängenden Entwicklungen, welche die 2010er Jahre geprägt haben, hat er aktiv Anteil genommen, so etwa an den ersten Versuchen einer Standardisierung der Formate und Auszeichnungssprachen für legislative und Rechtsdokumente, die schließlich mit der Standardisierung von Akoma Ntoso als LegalDocML ihren global wirkmächtigsten Ausdruck finden sollte. Auch am Diskurs über eine weitere Automatisierung in der Rechtsdokumentation, insbesondere durch automationsunterstützte Konsolidierung der Rechtsvorschriften, hat sich Friedrich Lachmayer weiterhin sehr aktiv beteiligt, ebenso an den Diskussionen über juristisches Wissensmanagement, welches die maschinelle Verarbeitung der Semantik von Rechtsvorschriften voraussetzt. Die für die 2010er Jahre ebenfalls charakteristische Ausweitung der Zugänglichmachung von Rechtsdaten durch Anbietung maschinell verarbeitbarer, vernetzter offener Daten im Rahmen von „Open Government Data“-Portalen hat in Friedrich Lachmayer stets einen engagierten Befürworter gefunden.

[7]

Heute, in den 2020er Jahren, finden wir uns inmitten eines neuen Paradigmenwechsels: Der beeindruckende Fortschritt KI-basierter Anwendungen lässt uns bereits die Chancen erkennen, welche KI einerseits den legislativen Verfahren und andererseits dem juristischen Wissensmanagement eröffnet. Die KI-basierte Auswertung großer Datenmengen, nicht zuletzt auch in transjurisdiktionalen und translingualen Ansätzen, wird gerade im Kontext des europäischen Mehrebenensystems effektivere Gesetzgebungsarbeit im Interesse der Konvergenz der europäischen Rechtsordnungen erlauben und gleichzeitig beispielsweise durch Einführung chatbotartiger Dialogsysteme auch die Rechtsinformation auf eine neue und treffsicherere, weil den individuellen Verständnishorizonten gerechter werdende Basis stellen.

[8]

Im Mittelpunkt dieses Beitrages stehen freilich nicht die Zukunftsvisionen, an deren Entwicklung der Jubilar so großen Anteil hat, sondern jenes längst zum „business as usual“ gewordene System, mit welchem er vor zwanzig Jahren den Prozess der österreichischen Bundesgesetzgebung so nachhaltig verändert hat: das System „E-Recht“.

2.

Projekt und System „E-Recht“ ^

2.1.

Motivation ^

[9]

Wie so oft standen hinter der Einführung auch des Systems „E-Recht“ zwei Motivationen: eine ideelle und eine materielle. Die materielle Motivation dafür war es – wiederum: wie so oft –, Geld zu sparen. Als die Bundesregierung Schüssel I im Februar des Jahres 2000 ins Amt gelangt war, formulierte sie es als eine ihrer wichtigsten Zielsetzungen, das Defizit des Bundesbudgets signifikant zu reduzieren, und zwar primär durch Reduktion von Ausgaben, sodass innerhalb der Bundesverwaltung jeder mit Einsparungspotential verbundene Vorschlag gute Verwirklichungschancen vorfand. Und an diesem Punkt kam die Idee ins Spiel, die ideelle Motivation, die darin lag, dem etablierten und bewährten elektronischen Rechtsinformationssystem des Bundes einen elektronischen Vorlauf voranzustellen, also das Verfahren der Bundesgesetzgebung elektronisch zu unterstützen. Das Einsparungspotential dieser Idee, die Friedrich Lachmayer bereits zuvor entwickelt hatte (erste Gespräche mit der Parlamentsdirektion hatten schon 1999 stattgefunden), und damit das Argument, mit welchem die politischen Entscheidungsträger dafür gewonnen werden konnten, lag in der Einsparung der Druckkosten für das (damals in etwa 6 000 Druckexemplaren hergestellte) Bundesgesetzblatt. Um aber eine rasche und vor allem sichere authentische elektronische Kundmachung der Bundesgesetzblätter – ohne händischen Nachbearbeitungsaufwand – sicherstellen zu können, war es, so Friedrich Lachmayers Argumentation, erforderlich, die elektronische Unterstützung nicht erst ex post, also am Ende des Gesetzgebungsverfahrens, unmittelbar vor der Kundmachung, sondern bereits ex ante, also von Beginn des Gesetzgebungsverfahrens an, einzusetzen.2

2.2.

Der Ministerratsbeschluss vom 6. Juni 2001 ^

[10]

Um dieses, wesentlich von Friedrich Lachmayer entwickelte, Konzept verwirklichen zu können, war es somit notwendig, ein System zur durchgängigen Unterstützung des Gesetzgebungsprozesses über alle seine Stadien hinweg einzurichten: beginnend also mit der legistischen Entwurfsarbeit in den Bundesministerien über das vorparlamentarische Begutachtungsverfahren und die Beschlussfassung im Ministerrat hinweg zum parlamentarischen Verfahren im Nationalrat und im Bundesrat bis hin zur abschließenden Kundmachung im Bundesgesetzblatt. Ein solcher „durchgehender elektronischer Produktionsweg“ ist daher das Ziel jenes Ministerratsvortrages, der in der Sitzung der Bundesregierung am 6. Juni 2001 zum Beschluss erhoben worden ist und einen „elektronischen Rechtserzeugungsprozess“ zum Gegenstand hat (Bundeskanzleramt 2001). Auch der Begriff „E-Recht“ für das Projekt und in weiterer Folge für das in diesem Projekt entwickelte und seither eingesetzte System findet sich bereits in diesem Dokument, welches metaphorisch als die „Geburtsurkunde“ der elektronischen Rechtsetzung in Österreich bezeichnet werden könnte.

[11]

Dafür erforderlich – und folglich in diesem Dokument festgehalten – war die „Neugestaltung des technischen Verfahrensablaufes in der Weise, dass die Texte nur mehr elektronisch erstellt, bearbeitet und übermittelt werden“. Damit gemeint ist die Einrichtung eines legislativen Workflowmanagementsystems, an welchem die Akteure des Gesetzgebungsverfahrens des Bundes gemeinsam Anteil haben. Ebenso wichtig wie dieses System war freilich die Festlegung eines gemeinsamen Standards für die im Gesetzgebungsverfahren erzeugten und verarbeiteten Dokumente, wofür der Ministerratsvortrag bereits die Verwendung des technischen Standards XML vorsah. Aus praktischen Gründen sollten freilich die Texte zunächst in MS Word bearbeitet werden, während der Umstieg auf XML „im Laufe des Jahres 2002 erfolgen“ sollte; in dieser Hinsicht sollte sich freilich im Projektverlauf eine Modifikation des Ansatzes als nötig erweisen. Abschließend sollte, nach einem Probebetrieb, „mit Beginn des Jahres 2003“ die elektronische Publikation der Rechtsvorschriften des Bundes im Internet als authentisch erklärt werden. Auch dieser Übergangszeitraum sollte einer Verlängerung bedürfen. Davon abgesehen, war mit dem Ministerratsbeschluss vom 6. Juni 2001 der Rahmen für Projekt und System „E-Recht“ entsprechend Friedrich Lachmayers Konzept abschließend festgelegt. Entsprechende Beschlüsse wurden auch von den Präsidialkonferenzen des Nationalrates und des Bundesrates gefasst.

2.3.

Die Umsetzung des Projekts ^

[12]

Angesichts der umfassenden konzeptuellen Vorbereitung des Projekts durch Friedrich Lachmayer überrascht es nicht, dass das Projekt in einem, gemessen an seinem Umfang, erstaunlich kurzen Zeitraum verwirklicht werden konnte. Auf der Grundlage des Ministerratsbeschlusses wurde zur Koordinierung des Projekts eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus Bundeskanzleramt und Parlamentsdirektion eingerichtet, die, soweit notwendig, und dies war insbesondere für das Dokumentenformat der Fall, gemeinsame Lösungen entwickelte. Selbstverständlich bestanden daneben gesonderte Projektgruppen im Bundeskanzleramt und in der Parlamentsdirektion. Soweit Programmierarbeit erforderlich war, wurde sie größtenteils ausgelagert. Tatsächlich gelang es diesen organisatorischen Strukturen innerhalb nur eines halben Jahres, das erforderliche Workflowmanagementsystem einzurichten, welches von 1. Jänner 2002 an in Betrieb war, und Übereinstimmung über das gemeinsame Dokumentenformat herzustellen.

[13]

Die technische Lösung für das Workflowmanagement erscheint, was angesichts der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit und des Einsparungsgedankens als Motiv ebenfalls nicht Wunder nimmt, nicht gerade revolutionär. Soweit irgend möglich, wurde diese technische Lösung auf bereits existierenden Infrastrukturen aufgesetzt, was auch die Notwendigkeit implizierte, einen Systembruch zwischen Regierungs- und Parlamentssystem in Kauf zu nehmen. Die Bundesregierung hatte soeben die FabaSoft-Suite implementiert, um die administrativen Geschäftsprozesse innerhalb der Bundesministerien (mit Ausnahme des Bundesministeriums für Landesverteidigung) zu unterstützen, und entschied daher, dieses Werkzeug auch zur Unterstützung der vor- und nachparlamentarischen Stadien des Gesetzgebungsverfahrens einzusetzen, was jedenfalls unter ökonomischen Gesichtspunkten vernünftig schien. Das Parlament wiederum hatte seit gut zehn Jahren eine umfangreiche Oracle-Umgebung für sein gesamtes Informationsmanagement eingerichtet, insbesondere eine als „Parlamentarische Materialien“ (PM) bezeichnete Anwendung zur Unterstützung der Parlamentskanzlei und der Parlamentarischen Dokumentation in der Verarbeitung der parlamentarischen Dokumente, sodass eine Übernahme des FabaSoft-basierten Workflowsystems der Bundesregierung für die Unterstützung des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens unzweckmäßig erschienen wäre; viel ökonomischer war es, innerhalb der Oracle-Umgebung den bereits existierenden Informationsmanagementfunktionen die erforderlichen Workflowmanagementfunktionen lediglich hinzuzufügen.

[14]

Somit waren die beiden Workflowsysteme, jenes der Bundesregierung und jenes des Parlaments, durch Schnittstellen miteinander zu verbinden, was keine größeren Schwierigkeiten bereitete. Viel wichtiger war es, einen Formatbruch zwischen Bundesregierung und Parlament, also einen Bruch in der Kette der Dokumentformatierungen innerhalb des Gesetzgebungsprozesses, zu vermeiden. Glücklicherweise konnte Österreich in dieser Hinsicht von den Erfahrungen der Schweiz lernen: die Schweiz hatte schon 1998 ein elektronisches Workflowsystem zur Unterstützung ihres Bundesgesetzgebungsprozesses eingerichtet, die schweizerische Bundesregierung und das schweizerische Parlament waren freilich nicht in der Lage gewesen, sich auf ein gemeinsames Dokumentenformat zu einigen, sodass die vorparlamentarisch geleistete Formatierungsarbeit im Parlament verlorengehen und nach Ende des parlamentarischen Verfahrensabschnitts diese Formatierung manuell wiederhergestellt werden musste. Dass die schweizerischen Kolleginnen und Kollegen (allen voran Urs Paul Holenstein vom Bundesamt für Justiz) ihre Erfahrungen und auch die Mängel ihres Systems so nüchtern und offenherzig kommuniziert haben, ist ihnen zu danken und hat nicht unwesentlich zum Erfolg des österreichischen Projekts „E-Recht“ beigetragen.

[15]

Die Erarbeitung eines gemeinsamen Formats für legislative und Rechtsdokumente des Bundesrechts war daher eine der Hauptaufgaben, vielleicht sogar die wichtigste Aufgabe, der erwähnten gemeinsamen Arbeitsgruppe des Bundeskanzleramtes und der Parlamentsdirektion. Dabei fiel die Entscheidung, nicht mehrere gemeinsame Dokumentvorlagen für verschiedene Dokumenttypen (also beispielsweise Gesetzesvorschläge, Staatsverträge usw.), sondern lediglich eine Dokumentvorlage für alle in Betracht kommenden Dokumenttypen zu entwickeln, wodurch naturgemäß das Abstraktionsniveau angehoben wurde. Ein weiteres Ziel war es, die Gesamtzahl der zulässigen Elemente bzw. Formatvorlagen so weit wie möglich zu reduzieren, was ebenfalls zur Erhöhung des Abstraktionsniveaus beitrug. Nach längeren Verhandlungen erwies es sich als möglich, die Zahl der zulässigen „E-Rechts“-Formatvorlagen auf etwa 90 zu begrenzen, was einer Verminderung um etwa ein Viertel im Vergleich zu den ursprünglichen Konzepten gleichkam. In dieser Zahl waren auch die spezifisch für parlamentarische Zwecke notwendigen Formatvorlagen enthalten.

[16]

Die wichtigste zu entscheidende Frage war freilich jene nach dem zu verwendenden Editor und damit im Zusammenhang nach dem für die Erzeugung und Verarbeitung der Dokumente einzusetzenden Format. Das im Ministerratsvortrag genannte Format XML war damals noch ein sehr junger, wenngleich schon weithin als zukunftsweisend erkannter Standard, der das Potential des älteren Standards SGML mit einfacherer Handhabbarkeit verband. Tatsächlich hatte im Übrigen bereits ein Projekt zur Entwicklung einer SGML-DTD für das österreichische Bundesgesetzblatt bestanden, war aber nicht weiterverfolgt worden, als XML auf den Plan trat. Die Vorteile von XML waren offenkundig: Als offener Standard bot XML, anders als proprietäre Formate wie Word, die Voraussetzungen für die Anwendung sicherer elektronischer Signaturen zur Gewährleistung der Authentizität und Revisionssicherheit der Dokumente (eine Infrastruktur dafür stand damals in den MOA-Modulen des Bundeskanzleramtes zur Verfügung). XML bot Plattformunabhängigkeit und Offenheit für verschiedene Präsentationsformen und, darauf aufbauend, auch gute Voraussetzungen für die Weiterverarbeitung von Dokumenten, beispielsweise in der Verlagswirtschaft. XML erlaubte es, gemeinsam mit den Daten auch Metadaten zu halten. Nicht zuletzt aber erschien XML als Archivformat die beste verfügbare Lösung für die langfristige Sicherung der Dokumente zu sein, was gerade im Fall von Rechtsvorschriften noch viel wichtiger erscheinen musste als in anderen Fällen.

[17]

Anstelle die XML-Struktur der „E-Rechts“-Dokumentvorlage in einer DTD zu definieren, wurde entschieden, den neuen, leichter handhabbaren Standard XML Schema zu verwenden. Die damals entwickelte XML-Struktur erscheint heterogen und spiegelt damit den Analyse- und Verhandlungsprozess in der Arbeitsgruppe wider: sie ist definiert nicht in einem konsistenten XML-Schema, sondern in mehreren miteinander verknüpften Schemata, die jeweils einzelne der formulierten Erfordernisse erfüllen. Die definierten Metadaten orientierten sich primär an der Erfordernissen der Kundmachung und der Dokumentation im RIS; alle anderen, insbesondere prozeduralen, Metadaten blieben unberücksichtigt und waren daher weiterhin in separaten (relationalen) Datenbanken zu halten. Das Potential von XML zur Metadatenhaltung wurde somit nicht zur Gänze genutzt.

[18]

Aus dem heterogenen Aufbau der XML-Schema-Definition(en) wird auch ersichtlich, warum das österreichische „E-Rechts“-XML-Format, als eine organisch gewachsene, maßgeschneiderte Lösung für das österreichische Bundesrecht, sich nicht als Modell für andere Rechtsordnungen eignet. Anders als ein Standard für legislative und Rechtsdokumente (wie heute insbesondere Akoma Ntoso oder LegalDocML) beruht das „E-Rechts“-Format nicht auf einer vergleichenden Analyse von Dokumenten aus verschiedenen Rechtsordnungen, die wiederum verschiedene legislative Traditionen widerspiegeln; anders als ein solcher Standard strebt es in seinen definierten Elementen und Metadaten nicht ein hohes Abstraktionsniveau an, sondern es dient einem sehr bestimmten und ganz und gar konkreten Zweck: nämlich die Erzeugung, Verarbeitung, Kundmachung und Archivierung der Dokumente des österreichischen Bundesrechts zu unterstützen.

[19]

Anders als beispielsweise MS Word ist XML nicht layout-, sondern strukturorientiert. XML bietet also die Möglichkeit restriktiver Eingrenzung der Validität von Dokumenten auf die präzise Einhaltung vorgegebener Strukturen. Auch dieses Potential konnte freilich nicht vollends ausgeschöpft werden, weil, wie die Arbeitsgruppe im Laufe ihrer Tätigkeit erkennen musste, die technischen Voraussetzungen für den Einsatz von XML als Produktionsformat damals, im Jahr 2001, noch nicht gegeben waren. Insbesondere mangelte es an der Verfügbarkeit eines geeigneten, das heißt ausreichend komfortablen und damit den legistisch Tätigen zumutbaren Editors: Die damals verfügbaren Editoren wie XMetaL wiesen nicht den erforderlichen Minimalkomfort auf, um realistischerweise in den Legistikabteilungen der Bundesministerien eingesetzt werden zu können. Tatsächlich unternahm zwar zur selben Zeit das Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen einen Versuch, XMetaL für die legislative Entwurfsarbeit in der Sozialversicherungslegistik zu adaptieren und eine an das wohlbekannte Word erinnernde Benutzerschnittstelle zu gestalten, aber diese Insellösung sollte nicht einmal in diesem Bundesministerium selbst großflächig ausgerollt werden.3

[20]

Für die Zwecke von „E-Recht“ musste daher MS Word als Produktionseditor soweit modifiziert werden, dass die damit erzeugten legislativen Dokumente anschließend ohne größere Nachformatierungserfordernisse nach XML konvertiert werden konnten. Um wohlgeformte und valide XML-Dokumente zu erzeugen, musste daher die Verwendung allgemeiner Word-Funktionalitäten weitgehend eingeschränkt werden, und die legistisch Tätigen mussten gleichsam gezwungen werden, lediglich die spezifischen „E-Rechts“-Formate zu verwenden. Diese Modifikation gelang durch Einsatz einer Makro-Lösung, die naturgemäß in weiterer Folge an jede neue Version von Word zu adaptieren war, was sich selbstverständlich jedes Mal als ebenso zeit- wie kostenaufwändig erwies.

[21]

Immerhin ist mit der Weiterentwicklung des Makros auch die Benutzerfreundlichkeit der Word-Oberfläche für legistische Zwecke weiterhin verbessert worden. Den legistisch Tätigen stehen beispielsweise immer weiter entwickelte Werkzeuge zur Verfügung, die es ihnen erlauben, die Korrektheit der verwendeten Formatvorlagen schon innerhalb der Word-Umgebung vor der Konvertierung nach XML zu überprüfen. Ein anderes integriertes Werkzeug erlaubt die automationsunterstützte Zuordnung von Formatvorlagen zu den entsprechenden strukturellen Elementen eines Rechtsaktsentwurfes, allerdings ist trotz hoher Erkennungsrate weiterhin manuelle Nachbearbeitung nötig.

[22]

„E-Recht“ hat also einerseits die Arbeit der legistisch Tätigen maßgeblich erleichtert und beschleunigt, andererseits ihre Freiheit in der Gestaltung ihrer Entwurfsdokumente eingeschränkt, damit aber zugleich einen Beitrag dazu geleistet, dass die „Formallegistik“, wie sie in den Legistischen Richtlinien vorgegeben ist, an Qualität gewonnen hat.

2.4.

Implementierung und Wirkung ^

[23]

Jedenfalls hat die Beibehaltung von Word als Produktionsformat die Akzeptanz des neuen „E-Rechts“-Systems in seiner primären Nutzergruppe, also der Gruppe der legistisch Tätigen in den Bundesministerien und in der Parlamentsverwaltung, erhöht und damit die organisatorische Implementierung des Systems vereinfacht. Waren im ersten Jahr des Systembetriebs, also 2002, lediglich acht Prozent der Regierungsvorlagen dem Parlament als sichere „E-Rechts“-Dokumente innerhalb des „E-Rechts“-Workflowsystems übermittelt worden, so konnte dieser Anteil im Folgejahr 2003 als Ergebnis einer Informations- und Überzeugungskampagne des Bundeskanzleramtes auf bereits 70 Prozent gesteigert werden. Diese Kampagne initiiert und persönlich geführt zu haben, ist wohl das letzte große Verdienst Friedrich Lachmayers um das System „E-Recht“. Unermüdlich pilgerte er von Bundesministerium zu Bundesministerium, von Legistikabteilung zu Legistikabteilung, besonders aufwändig in jenen Bundesministerien, in denen keine Zentrallegistik besteht, sondern die legistische Arbeit auf die Fachabteilungen aufgeteilt ist, und demonstrierte den Legistinnen und Legisten die Vorzüge von „E-Recht“, insbesondere die mit dem neuen System verbundenen Arbeitserleichterungen.

[24]

In der Parlamentsverwaltung war weniger Überzeugungsarbeit notwendig, schon weil in dieser kleineren Organisation viele Akteure und Akteurinnen von vornherein in das Projekt einbezogen waren, aber auch, weil eine Organisationseinheit, das „Kompetenzzentrum E-Recht“ unter Leitung von Wolfgang Engeljehringer, eingerichtet worden war, um die Ausschuss- und Plenarreferentinnen und -referenten in der Anwendung der „E-Rechts“-Formatvorlagen zu unterstützen und ihnen in schwierigen Fällen die Formatierungsarbeit abzunehmen. Im Übrigen verdanken wir auch das Konzept dieses „Kompetenzzentrums“ den Erfahrungen und Empfehlungen unserer Schweizer Kolleginnen und Kollegen, die über eine vergleichbare Organisationseinheit in der schweizerischen Bundeskanzlei verfügen.

[25]

Ein dritter Erfolgsfaktor in der Einführung des Systems „E-Recht“ im Parlament war die Entwicklung einer „E-Learning“-Anwendung, die, basierend auf dem Konzept der „European Computer Driving Licence“, in der Parlamentsdirektion entwickelt worden war. Diese Entwicklungsarbeit hatte sich im Übrigen auch dadurch bezahlt gemacht, dass sie im „Durchspielen“ sämtlicher „E-Rechts“-Funktionalitäten die Möglichkeit geboten hatte, noch vorhandene kleinere Funktionsmängel zu identifizieren und dadurch das System frühzeitig zu perfektionieren. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Parlamentsdirektion konnten die „E-Learning“-Umgebung dazu nutzen, um sich in freier Zeiteinteilung mit dem neuen System vertraut zu machen.

[26]

Aus dem Gesagten ist schon deutlich geworden, dass „E-Recht“ als „Expertensystem“ konzipiert und in seiner Anwendung auf den verhältnismäßig kleinen Kreis der legistisch Tätigen in den Bundesministerien und in der Parlamentsverwaltung beschränkt war (und ist). Andere Akteurinnen und Akteure des Gesetzgebungsverfahrens, insbesondere naturgemäß die Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften, aber umso mehr außerparlamentarische Interessenträger, profitierten zwar von der Einführung des Systems durch verbesserte Informationsumgebungen, erhielten aber nicht aktiven Benützerstatus (anders als dies für die Mitglieder des Landtages im steiermärkischen PALLAST-System vorgesehen war4). Das bedeutete zugleich, dass die parlamentarischen Gesetzesinitiativen durch die Parlamentsdirektion in den „E-Rechts“-Workflow integriert werden mussten (und müssen). Die Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften wurden gleichzeitig mit der Einführung von „E-Recht“ mit Laptops ausgestattet, was mit dem Projekt nicht technisch zwingend, sondern eher mikropolitisch zusammenhing, um dem Projekt ihr Wohlwollen zu sichern. Die neue technische Ausstattung erlaubte ihnen raschen Zugriff auf die elektronisch verfügbaren parlamentarischen Materialien und der Parlamentsverwaltung eine signifikante Reduktion der Zahl der an die Parlamentarier und die parlamentarischen Klubs papierförmig verteilten parlamentarischen Materialien, was neben dem Verzicht auf die Drucklegung des Bundesgesetzblattes einen weiteren massiven Einsparungsfaktor im Zusammenhang mit dem Projekt „E-Recht“ darstellt. Die Druckkostenersparnis im Bereich des Parlaments betrug etwa eine Million Euro pro Jahr, was bedeutete, dass sich die dem Parlamentsbudget angelasteten Aufwendungen für die Entwicklung von „E-Recht“ bereits nach einem Jahr amortisiert hatten.

[27]

Die parlamentarische Arbeit profitierte aber auch von der beschleunigten Verfügbarkeit vieler Dokumente des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens, wie beispielsweise der Ausschussberichte, die nunmehr häufig schon am Tag der Ausschusssitzung selbst, spätestens aber am Folgetag im parlamentarischen Webangebot zur Verfügung standen, während die Drucklegung und Verteilung bis dahin zumindest zwei bis drei Tage in Anspruch genommen hatte. Auch neue, die Transparenz des parlamentarischen Verfahrens erhöhende Dokumenttypen konnten nun angeboten werden, wie beispielsweise der Gesetzesbeschluss des Nationalrates, der nach Ende des Verfahrens im Nationalrat auch die noch im Plenum beschlossenen Abänderungen einer Gesetzesvorlage berücksichtigte, während bis dahin lediglich die angenommenen Abänderungsanträge der Öffentlichkeit zugänglich und der Gesetzesbeschluss selbst nur in vier manuell erzeugten Papierexemplaren verfügbar gewesen war.

[28]

Hat „E-Recht“ somit wesentlich die Transparenz des Gesetzgebungsverfahrens gefördert, so hat es gleichzeitig auch zu seiner Beschleunigung beigetragen und damit technisch eine säkulare Tendenz gefördert, die politisch schon längst initiiert war. Hatten im 19. Jahrhundert Gesetzgebungsverfahren in der Regel noch viele Monate, manchmal Jahre gedauert, so waren diese Zeiträume im 20. Jahrhundert immer mehr verkürzt worden. Und der Klubobmann und spätere Präsident des Nationalrates Andreas Khol hat diese Tendenz auch plausibel mit der alsbald von ihm auf „speed wins“ korrigierten Formulierung „speed kills“ begründet. Rasches Durchziehen eines legislativen Projekts vermindert also aus Sicht des Initiators, in der Regel der Bundesregierung, die Gefahr von Widerstand, der sich aus allzu breitem öffentlichem Diskurs heraus formieren mag. Je schneller ein Gesetzgebungsprojekt verwirklicht wird, desto geringer also die Chance breiter öffentlicher Partizipation. Transparenz und Partizipation, sonst eng miteinander einhergehend, stellen sich also im Falle der durch „E-Recht“ möglich gewordenen weiteren Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens in gewissem Maße gegensätzlich beeinflusst dar.

2.5.

Authentische elektronische Kundmachung ^

[29]

Seinen Abschluss hat das Projekt „E-Recht“ mit der von der Republik Österreich pionierhaft – jedenfalls als erstem Staat in Europa, wahrscheinlich sogar weltweit – eingeführten authentischen elektronischen Kundmachung der Rechtsvorschriften des Bundesrechts im Bundesgesetzblatt gefunden. Sie ist mit dem 1. Jänner 2004 wirksam geworden, also ein Jahr später als ursprünglich geplant, was politisch mit dem vorzeitigen Ende der XXI. Gesetzgebungsperiode im Herbst 2002 zusammenhing, gleichzeitig aber dem Projekt den notwendigen oder zumindest nützlichen zeitlichen Spielraum gab, um die angedeuteten Schwierigkeiten der Implementierung zu überwinden.

[30]

Das Kundmachungsreformgesetz, BGBl. I Nr. 100/2003, sieht durch entsprechende Änderung des Bundes-Verfassungsgesetzes und die erforderliche Umsetzungsgesetzgebung die authentische elektronische Kundmachung mit Wirkung von eben diesem 1. Jänner 2004 vor.5 Gemäß § 6 des neuen Bundesgesetzes über das Bundesgesetzblatt 2004 (das in Art. 4 des oben erwähnten Gesetzes enthalten ist) hat dies im Rahmen des Rechtsinformationssystems des Bundeskanzleramtes zu geschehen. § 7 definiert den URL, unter welchem das authentische Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen ist (http://www.ris.bka.gv.at), und § 8 definiert die Kriterien, die zu erfüllen sind, um die Authentizität und Integrität der im elektronischen Bundesgesetzblatt zu veröffentlichenden Dokumente sicherzustellen. § 9 gewährleistet schließlich jedermann den freien Zugang zum Bundesgesetzblatt. Auch Ausdrucke können kostenlos hergestellt werden.

[31]

Wer ein solches Druckexemplar des Bundesgesetzblattes vor sich hat, wird es kaum von einem Exemplar des Bundesgesetzblattes der „Vor-E-Rechts-Ära“ unterscheiden können. Das Layout des Bundesgesetzblattes entspricht dem vertrauten Erscheinungsbild, wie es im 20. Jahrhundert in der Papierwelt entwickelt worden ist, und es ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen, dass sich hinter dem neuen Bundesgesetzblatt eine völlig veränderte Erzeugungsumgebung und ein völlig veränderter technischer Erzeugungsprozess verbirgt. Auch auf die Nutzung von Hypertextfunktionalitäten, wie beispielsweise die „Verlinkung“ von Verweisungen, wird verzichtet. Das neue Bundesgesetzblatt entspricht also in einer Art von Mimikry dem von alters her gewohnten, und diese strategische Entscheidung zur Beibehaltung des vertrauten Layout hat vor nunmehr zwei Jahrzehnten das Vertrauen in das neue System „E-Recht“ und damit seine Akzeptanz ganz offenkundig erhöht.

[32]

Friedrich Lachmayer, der in aller ihm eigenen Innovationsfreude diese Entscheidung mitgeprägt und mitgetragen hat, hat damit tiefe Einsicht in die Menschennatur bewiesen. Rupert Riedl spricht in seiner Sicht auf die „Strategie der Genesis“ davon, „daß Veränderungen, soll ihre Erfolgschance nicht völlig schwinden, nur den geringsten Teil des Repertoires eines Systems betreffen dürfen. ... Daher müssen der erste Dampfer wie das Segelschiff, das erste Auto wie die Kutsche ihrer Zeit aussehen ...“.6 Das Veränderungspotential des Menschen oder seine Bereitschaft zur Veränderung ist also offenkundig wie das Veränderungspotential der Natur, deren Teil er ist, und die sich evolutiv weiterentwickelt, begrenzt. Erfolgreiche Innovationsprojekte berücksichtigen diese Begrenztheit und verdanken ihren Erfolg wohl nicht zuletzt dieser Selbstbeschränkung.

2.6.

Erfolgsfaktoren ^

[33]

Und so ist diese im äußeren Erscheinungsbild des Bundesgesetzblattes sichtbar werdende Selbstbeschränkung wohl auch einer der Erfolgsfaktoren des Projekts „E-Recht“ gewesen. Sein wichtigster Erfolgsfaktor war aber wohl der „Projekteigentümer“ im Bundeskanzleramt selbst: Friedrich Lachmayer mit seiner Fähigkeit zum Erkennen des richtigen Zeitpunktes für ein damals revolutionäres Projekt, das er mit dem ihm eigenen Blick für das Machbare umgesetzt hat. Der von ihm entwickelte nachhaltige ganzheitliche Lösungsansatz verhinderte das Entstehen der sonst oft so unzweckmäßigen „Insellösungen“ und erlaubte gleichzeitig die Integration in die bereits existierenden Infrastrukturen und damit eine auch ökonomisch den Anforderungen entsprechende Lösung. Auch die gute Kooperation zwischen dem Bundeskanzleramt und der Parlamentsdirektion, die einen weiteren Erfolgsfaktor darstellte, war ganz wesentlich Friedrich Lachmayers Fingerspitzengefühl zu verdanken, ebenso wie seiner Fähigkeit, individuellen Widerständen ohne offene Konfrontation und letztlich durch zielbewusstes Ansetzen der ihm zur Verfügung stehenden Hebel erfolgreich zu begegnen. Diese Fähigkeit hat Friedrich Lachmayer zuletzt insbesondere während seiner Bemühungen um die intensive Betreuung und Schulung der legistisch Tätigen in allen Bundesministerien eingesetzt und damit endgültig den Weg freigemacht für den umfassenden Einsatz des Systems „E-Recht“ im Rechtsetzungsverfahren des Bundes.

3.

Schlussbetrachtung ^

[34]

Seit etwa zwei Jahrzehnten wird „E-Recht“ nun erfolgreich verwendet. Das System hat mancherlei Ausweitung und technische Verbesserung erfahren7, das Grundkonzept aber ist unverändert so geblieben, wie es Friedrich Lachmayer entwickelt hat. Mittlerweile sind international anerkannte Standards für die Gestaltung und Verarbeitung von legislativen und Rechtsdokumenten entwickelt worden, wie insbesondere Akoma Ntoso bzw. LegalDocML, das durch seine Verwendung in der europäischen Rechtsetzung, aber auch in vielen nationalen normativen Systemen, wie dem des Vereinigten Königreichs, als Stand der zeitgenössischen Technik gelten darf. Neue IT-Systeme zur Unterstützung von Rechtsetzungsprozessen werden sich daher an diesem Standard orientieren bzw. diesen Standard lokalisieren, wie das beispielsweise gerade in Albanien geschieht. Lediglich in funktionaler Hinsicht kann „E-Recht“ als Referenzmodell dienen,8 nicht in technischer. Dass das System „E-Recht“ in Österreich weiterhin unhinterfragt bleibt, spricht natürlich zum einen für das hohe Beharrungsvermögen gut funktionierender und allgemein akzeptierter Lösungen, also für die Geltung des (zumindest im deutschsprachigen Raum mit seiner Liebe zu Pseudo-Anglizismen verbreiteten) Grundsatzes „never change a running system“, zum anderen aber auch für die Qualität der Lösung, die vor mehr als 20 Jahren, dem Konzept Friedrich Lachmayers folgend, entwickelt und erarbeitet worden ist. Friedrich Lachmayer hat der österreichischen Rechtsordnung daher neben dem Rechtsinformationssystem ein weiteres fortwirkendes Erbe hinterlassen: das System „E-Recht“.

Anhang: Visualisierungen von Friedrich Lachmayer ^

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Als „Maestro der Rechtsvisualisierung“ (Marijan Pavčnik) hat Friedrich Lachmayer seine Visualisierungen nicht nur in hoher Abstraktheit zur Darstellung rechtstheoretischer oder philosophischer Konzepte verwendet, sondern auch ganz konkret, oftmals in einleuchtender Metaphorik, in den Dienst praktischer Ziele gestellt. So auch im Rahmen des Projekts „E-Recht“, das von ihm meisterhaft beherrschte Werkzeug MS PowerPoint nutzend, um Präsentationen für verschiedene Adressatengruppen zu gestalten, die es für das Projekt zu gewinnen galt. Aus diesen Präsentationen (die dankenswerterweise von Harald Hoffmann gesammelt und zur Verfügung gestellt worden sind) ist hier eine Bildfolge exemplarisch ausgewählt, die Friedrich Lachmayer in einer internen Präsentation für seine Kolleginnen und Kollegen im Bundeskanzleramt verwendet hat, um ihnen den zukünftigen „E-Rechts-Workflow“ anschaulich zu machen. Die gewählte Metapher der Transportschiffahrt illustriert das Wesen des elektronischen Workflowmanagements. Und Friedrich Lachmayer hat damit nicht Schiffbruch erlitten.

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  1. 1 Dazu der Beitrag von Helmut Weichsel in dieser Festschrift, 243–252.
  2. 2 Lachmayer/Hoffmann 2005.
  3. 3 Zach et al. 2005.
  4. 4 Dazu der Beitrag von Renate Krenn-Mayer in dieser Festschrift, 277–304.
  5. 5 Eberhard 2003, Heissenberger 2004, Schwarz 2004, Kleiser 2005.
  6. 6 Riedl 1980, 277; vgl. Lachmayer/Stöger 2001, 67.
  7. 7 Dazu der Beitrag von Wolfgang Engeljehringer in dieser Festschrift, 57–66.
  8. 8 Hoffmann/Schefbeck 2012.