Jusletter IT

Legal Tech in Österreich 2023

Eine aktuelle kurze Bestandsaufnahme

  • Autor/Autorin: Sophie Martinetz
  • Beitragsart: Rechtsinformatik
  • Rechtsgebiete: Rechtsinformatik
  • DOI: 10.38023/f0fff580-e43f-4a97-8ebf-011ad75ba29f
  • Zitiervorschlag: Sophie Martinetz, Legal Tech in Österreich 2023, in: Jusletter IT 29. Juni 2023
Das Legal Tech Barometer von Future-Law bietet eine aktuelle Bestandsaufnahme der Legal Tech-Szene in Österreich im Jahr 2023. Die Studie zeigt, dass die Corona-Pandemie zu einer verstärkten Nutzung digitaler Produkte im Rechtsbereich geführt hat. Die meisten Befragten sind der Meinung, dass Kanzleien, die innovative, digitale Tools verwenden, ihren Klienten einen besseren Service bieten können. Insgesamt zeigt das Legal Tech Barometer, dass Legal Tech in Österreich wächst und Potenziale für die Zukunft bietet.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Das Legal Tech Barometer 2023
  • 2. Wie sieht dazu die aktuelle Umsetzung von Legal Tech in den Kanzleien und Rechtsabteilungen aus?
  • 3. Wo liegt das Potential für die nächsten Jahre?
  • 4. Digitale Erwartungshaltungen bei der Zusammenarbeit Mandantin: Kanzlei
  • 5. Gründe für Widerstände gegen neue Technologien
  • 6. Zusammenfassung und Ausblick

1.

Das Legal Tech Barometer 2023 ^

[1]
Wie die Legal Tech-„Szene“ im Jahr 2023 beschaffen ist, darüber gibt das aktuelle Legal Tech Barometer 2023 einen guten Überblick.
[2]
Die dem Legal Tech Barometer 2023 zugrunde liegende Befragung wurde von Future-Law in Kooperation mit FabaSoft Contracts, der Österreichischen Notariatskammer, LexisNexis und der Vereinigung der österreichischen UnternehmensjuristInnen durchgeführt.
[3]
Über die Studie: Erhebungszeitraum: 20. Februar 2023 bis 13. April 2023; Erhebungsmethode: online – Teilnehmer:innen wurden per E-Mail sowie auf ausgewählten relevanten Social Media-Kanälen eingeladen, an der Befragung teilzunehmen; Zielgruppe: Rechtsabteilungen, Anwältinnen sowie Notarinnen; Anzahl der Teilnehmer:innen: 205 Personen; Dauer der Befragung: 9 Minuten.
[4]
Das Legal Tech Barometer wird jährlich durchgeführt und fängt die Stimmung und die Themen rund um das Thema Digitalisierung der Rechtsbranche ein. Das Motto der heurigen Studie war die Zusammenarbeit zwischen Klientinnen und Kanzleien von Anwältinnen und Notarinnen. Erstmals wurden auch aktiv die Notarinnen eingebunden. Klar ist, dass Legal Tech wie ein Werkzeugkasten ist – der Hammer passt zum Nagel und die Schraube zum Schraubenzieher. Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern dient dazu, eine optimale Kanzlei oder Rechtsabteilung zu ermöglichen, Prozesse zu beschleunigen und Zusammenarbeit zu erleichtern. Das Legal Tech Barometer dient dazu, die Anforderungen von Kanzleien und Klientinnen besser zu verstehen.
[5]
Gleich vorab: 82 % aller Befragten sind sich einig, dass Kanzleien, die innovative, digitale Tools nutzen, ihren Klientinnen einen besseren Service bieten können. Das ist schon sehr beeindruckend.
[6]
Was sind die drei größten Herausforderungen für Kanzleien bzw. Rechtsabteilungen? Die Schaffung von innovativen Arbeitsmethoden für das Unternehmen/Kanzlei sind die Priorität Nr. 1, dicht gefolgt von der Herausforderung der Bindung von Juristinnen und der Einstellung von Spitzentalenten in einem wettbewerbsintensiven Markt. Auf Platz Nr. 3 liegt die Aussage „sich auf dem Markt als (interne) Top-Kundendienstleisterin zu profilieren“.
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Zudem gaben die Befragten mehrheitlich an, dass die Suche nach qualifizierten und motivierten Kanzleimitarbeiterinnen eine besondere Herausforderung darstellt. Es ist wichtig, nicht nur die geeigneten Mitarbeiterinnen zu finden, sondern auch sicherzustellen, dass sie motiviert und langfristig an die Unternehmenseinheit gebunden sind. Dazu ist das innovative Arbeitsumfeld besonders wichtig.

2.

Wie sieht dazu die aktuelle Umsetzung von Legal Tech in den Kanzleien und Rechtsabteilungen aus? ^

[8]
60 bis 70 % der Befragten setzen aktuell Datenbanken für die Informationsbeschaffung/juristische Recherche ein, verwalten ihre Dokumente in einer zentralen Aktenablage und nutzen Tools für die Datensicherheit/Datenschutz. Und 3,9 % setzen laut eigenen Angaben schon Tools mit integrierter künstlicher Intelligenz ein. Das allerdings wird noch kein innovatives Arbeitsumfeld schaffen. In aktueller Umsetzung bzw. in Planung ist zuallererst die Entlastung des Sekretariats – denn hier gibt es einen großen Hebel. Die Einführung von künstlicher Intelligenz (von mehr als 35 % geplant) wird dicht gefolgt von Vertragsmanagement-Tools, Tools für die Sachverhaltserfassung & Dokumentenanalyse, gefolgt von Tools für das Wissensmanagement und die Dokumentenerstellung. So sind künstliche Intelligenz (wobei hier wohl auf Dauer ein neuer Begriff wünschenswert wäre) und auch regelbasierte Systeme, die in vielen dieser Tools enthalten sind, jedenfalls sehr begehrt. Allerdings planen auch mehr als 70 %, z.B. ChatGPT nicht einzusetzen. Das hat wahrscheinlich trotz anhaltenden Hypes vor allem etwas mit der Geheimhaltung und dem Schutz von Mandanteninformationen sowie der Haltung gegenüber Open Source-Lösungen zu tun.
[9]
Es gibt also einiges zu tun in den Kanzleien und Rechtsabteilungen und bei der öffentlichen Hand. Allerdings steht die Chance für Start-Ups relativ schlecht, im Legal Tech-Bereich auch mit Juristinnen zusammen zu arbeiten – so geben nur 37 % an, mit einem Start-Up (also Unternehmen, das weniger als 5 Jahre alt ist) zusammenarbeiten zu wollen. Man könnte aber auch sagen, dass in einer traditionellen Branche wie dem Rechtsbereich immerhin fast 40 % mit einem Legal Tech-Start-Up ein Projekt starten würden. Rund zwei Drittel der Befragten gaben an, dass sie diverse Technologien vorzugsweise von einem etablierten/älteren Unternehmen in Ihrer Kanzlei/Rechtsabteilung einsetzen würden.
[10]
Die Erwartungshaltungen zum Effekt der Digitalisierung auf die eigene Arbeitsweise sind positiv: so schätzen mehr als die Hälfte aller Befragten die Schaffung von Abläufen für die Verwaltung rechtlicher Anfragen und die Freisetzung von Zeit für das eigene Team, um für Mandantinnen mehr Unternehmensberatung zu leisten. Und intern ermöglichen ihnen digitale Tools auch Einblicke und Reports über ihre eigenen Anfragen und Aufgaben. Das ist wohl auch der Grund, warum mehr als jeweils 70 % in den nächsten drei Jahren zur Steigerung der Effizienz eine stärkere Nutzung der digitalen Werkzeuge planen sowie interne Prozesse neu zu gestalten und zu strukturieren beabsichtigen.

3.

Wo liegt das Potential für die nächsten Jahre? ^

[11]
Das Potential ist enorm: z.B. bei der Vertragserstellung. So werden derzeit bei mehr als 60 % bestehende Verträge herangezogen und überarbeitet bzw. 59 % verwenden Musterverträge, die manuell überarbeitet werden. Immerhin schon 22 % setzen ein Tool ein, das erste Entwürfe für Verträge automatisch erstellt.
[12]
55 % der Befragten geben an, dass ihre Arbeit aus um die 30-50 % sich wiederholenden Arbeiten besteht. Und 38 % verbringen vier bis acht Stunden mit Suche und juristischer Recherche. Gerade diese Tätigkeitsbereiche sind für die Standardisierung und Digitalisierung im ersten Schritt sehr geeignet. Hier kann man sich z.B. die Abarbeitung von Word / Excel-Checklisten bei großen Transaktionen vorstellen oder die Erstellung der ersten Vertragsentwürfe. Der Beruf der Juristin wird dadurch nicht gefährdet. Auch ChatGPT und andere Technologien werden in den nächsten Jahren zur Aufbereitung von Sachverhalten und Extraktion von Fakten dienen. Diese Fakten werden auch automatisiert weiter verarbeitet werden können, also z.B. direkt in Schriftsätze und andere Dokumente eingefügt werden können. Für Juristinnen bedeutet das wahrscheinlich, dass sie erst später in der Wertschöpfungskette einsteigen, dass Sachverhalte schon besser aufbereitet sind. In Versicherungen z.B. braucht eine durchschnittliche Juristin für die Evaluierung eines Sachverhaltes 5 Minuten, allerdings ca. 30 Minuten, um ohne Assistenten alle Unterlagen aufzubereiten, den Sachverhalt in unterschiedlichen Systemen zu validieren und Inhalte gegenzuprüfen. Eigentlich ist die Digitalisierung wieder eine Rückkehr zu „alten“ Zeiten, als Assistenzen vorbereitende Tätigkeiten für Juristinnen gemacht haben.
[13]
Bei der Implementierung von Legal Tech Tools lauern allerdings auch größere Themen – so ist die größte Herausforderung die mangelnde Integration zwischen unterschiedlichen Technologieplattformen. Hier ist es wichtig, dass auf EU-Ebene und auch von den Betroffenen, Anwälten und In-House-Juristinnen einheitliche Standards vehement gefordert und auch gesetzt werden. Das betrifft nicht nur die Sicherheitskomponenten. Da Juristinnen meist hervorragende Expertinnen sind, wird der Bereich „Schulung und Ausbildung“ bei der Einführung von digitalen Tools leider oft vernachlässigt. Der Einsatz einer gut geplanten HyperCare-Phase (intensives Schulungs- und Supportangebot bei der Einführung eines Tools) wirkt Wunder.

4.

Digitale Erwartungshaltungen bei der Zusammenarbeit Mandantin: Kanzlei ^

[14]
Einig sind sich alle: Kanzleien, die innovative, digitale Tools nützen, können ihren Klientinnen einen besseren Service bieten.
[15]
Die Erwartungshaltungen und die Realität klaffen manchmal aber auch auseinander: so postulieren 70 % aller Rechtsabteilungen, dass es ihnen wichtig bzw. sehr wichtig ist, dass eine Kanzlei digital arbeitet und Legal Tech einsetzt. Demgegenüber wurden bisher nur 58 % der befragten Kanzleien noch nie von einer Mandantin gefragt, ob sie Legal Tech einsetzen (immerhin ein Drittel der Kanzleien wurden schon von 10 % der Mandantinnen dazu befragt).
[16]
Mehr als die Hälfte aller Rechtsabteilungen sind allerdings auch zunehmend gewillt, eine andere Kanzlei zu wählen, sofern die eigene kein Legal Tech einsetzt.
[17]
Rechtsabteilungen wünschen sich jedenfalls mehr Digitalisierung: Notarielle Beurkundungen und Beglaubigungen werden als digitale Kooperationsmöglichkeiten von Rechtsabteilungen am stärksten gewünscht (52 %), gefolgt von der Zurverfügungstellung der digitalen E-Signatur (42 %), dicht gefolgt von digitalen Kaufverträgen, Treuhandschaften und der umfassenden Abwicklung von Rechtsgeschäften (40 %).
[18]
Fast 84 % der Befragten glauben, dass die Vertrauenskomponente zwischen Kanzleien und Mandantschaft durch den Einsatz von Legal Tech erhalten bleibt. So gaben auch Mandantinnen an, dass sie eine Kanzlei zu 71 % aufgrund von Fachwissen und Erfahrungen (sehr schwierig zu digitalisieren) beauftragen und passende Lösungen zum jeweiligen Rechtsproblem erwarten (49 %). Auch Anwältinnen gehen davon aus, dass sie von ihrer Mandantschaft aufgrund von Fachwissen und Kompetenz in rechtlichen Angelegenheiten beauftragt werden (70 %).
[19]
Die häufigsten Gründe für Mandanten, einer Kanzlei zu kündigen, sind aber mangelnde Effizienz und Produktivität der Kanzlei. Diese Probleme sind mit digitalen Tools gut in den Griff zu bekommen (z.B. durch Transaktions- oder Vertragserstellungs- oder Workflowtools). Angesichts dieser steigenden Erwartungen vonseiten der Mandanten ergreifen auch viele Kanzleien entsprechende Maßnahmen: rund 59 % haben bereits Technologien zur Unterstützung des Kanzleibetriebs im Hinblick auf die Kommunikation mit Mandanten im Einsatz und 25 % planen eine Implementierung einer Assistenzfunktion.

5.

Gründe für Widerstände gegen neue Technologien ^

[20]
Legal Tech ist also angekommen, um zu bleiben – als Gründe für Widerstände werden vor allem mangelnde Technologiekenntnisse, -verständnis bzw. -fähigkeiten genannt, also konkret:
  • Mangel an IT-Personal/-Kompetenz
  • Mangelndes Wissen über verfügbare Technologien
  • Unzureichende Schulungen
  • Aber auch organisatorische Aspekte und das Fehlen einer umfassenden Technologiestrategie zählen dazu:
  • Eine veränderungsfeindliche Unternehmenskultur
  • Fehlende Change-Management-Prozesse
  • Schwierigkeiten bei der Änderung von Workflows
  • Widerstand der Geschäftsleitung gegen Veränderungen
[21]
Allerdings sind auch oft finanzielle Aspekte zu berücksichtigen: so besteht Angst vor hohen Anschaffungskosten sowie die organisatorische Herausforderung, dass es oft keine genaue Zuständigkeit für die Legal Tech-Agenden bzw. dafür gibt, wer Legal Tech-relevante Budgetentscheidungen treffen darf.

6.

Zusammenfassung und Ausblick ^

[22]
Wir leben in einer Umbruchszeit zur Digitalisierung. Das Legal Tech Barometer gibt einen Einblick in das Dreieck People / Prozesse / Technologie und zeigt den aktuellen Stand und Potentiale auf. So glauben über 80 % der Befragten, dass Kanzleien, die innovative, digitale Tools nützen, ihrer Mandantschaft einen besseren Service bieten können.
[23]
Die für Kanzleien aktuell wichtigsten Technologien sind: Dokumentenerstellung (z.B. Verträge, Schriftsätze etc.), Datenbanken/Informationsbeschaffung/juristische Recherche. Bis zu 73 % ist es wichtig, technische Möglichkeiten voll auszureizen und bei neuen Technologien/Tools voraus zu sein.
[24]
55 % erhoffen sich, dass sie durch die Implementierung von künstlicher Intelligenz in ihrem Unternehmen einen wesentlichen Beitrag zur Entlastung des Sekretariats leisten können. Über 70 % werden über die kommenden drei Jahre generell Mehrinvestitionen in Technologien leisten und planen vor allem eine stärkere Nutzung digitaler Werkzeuge und Lösungen.
[25]
75 % aller Rechtsabteilungen geben an, dass es ihnen wichtig ist, dass eine Kanzlei digital arbeitet und Legal Tech einsetzt.
[26]
Legal Tech ist also am Wachsen – in diesem Sinne ergibt es sich gut, dass 84 % glauben, dass die Vertrauenskomponente zwischen Kanzleien und Mandantschaft durch Einsetzung von Legal Tech Tools erhalten bleibt.