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Beweisverbote im Strafprozess – Spannungsverhältnis zum Grundrecht auf Datenschutz?

  • Author: Sabine Adamek
  • Category: Short Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Data Protection
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2010
  • Citation: Sabine Adamek, Beweisverbote im Strafprozess – Spannungsverhältnis zum Grundrecht auf Datenschutz?, in: Jusletter IT 1 September 2010
«Akte der Gerichtsbarkeit» sind von der Zuständigkeit der Datenschutzkommission gemäß § 31 Abs. 2 DSG explizit ausgeschlossen. Aus diesem Grund muss die StPO für den Strafprozess ein eigenes Rechtsschutzsystem für behauptete Datenschutzverletzungen vorsehen. Hier kollidieren der Grundsatz der Wahrheitsfindung des § 3 StPO mit dem Grundrecht auf Datenschutz nach § 1 DSG, und äußern sich in einem komplexen System aus Beweisverboten.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Allgemeines & Einführung
  • 2. Aktuelles
  • 3. Strafrechtlich relevante Daten nach dem DSG
  • 4. Beweisverbote im Strafprozess
  • 4.1. Das Vorverfahren
  • 4.2. Das Hauptverfahren
  • 4.3. Problemfelder
  • 5. Resümee

1.

Allgemeines & Einführung ^

[1]

Der wahllose Gebrauch personenbezogener Daten scheint oftmals überhaupt nicht als Problem erkannt zu werden. In der österreichischen Rechtsordnung wird der Schutz vor einer schrankenlosen Verwendung höchstpersönlicher Informationen unter Anderem durch Art. 8 EMRK und das DSG 20001 gewährleistet. Allerdings führt der Datenschutz in Österreich scheinbar ein «Stiefmütterchen-Dasein». Es stellt sich die Frage, wie sieht es in einem jener Verfahren aus, welches die Grundrechte des Einzelnen am Meisten beschneidet, dem Strafverfahren: Geheime Überwachungsmaßnahmen dienen der Datensammlung, weshalb auch Eingriffe in das Recht auf Datenschutz nicht ausgeschlossen sind. Dieser Beitrag widmet sich dem Problem, ob jegliche erlangte Informationen als Grundlage für eine Verurteilung herangezogen werden dürfen, oder inwieweit auch hier Rücksicht auf den Datenschutz genommen werden muss.

2.

Aktuelles ^

[2]

«Deutschland: Regierung will Bankdaten kaufen2». So und so ähnlich lauteten die Schlagzeilen der Presse, als ein Informant der deutschen Regierung gestohlene Daten zur Überführung von mutmaßlichen Steuersündern anbot. Dabei ist die Thematik nicht neu: bereits 2007/08 wurden vom deutschen Bundesnachrichtendienst illegal erlangte Daten angekauft, welche als Grundlage für eine Hundertschaft von Finanzstrafverfahren und Urteilen dienten. Jedoch sind nicht gesetzeskonform erlangte Informationen in nahezu jedem anderen Verfahren ebenso denkbar.

3.

Strafrechtlich relevante Daten nach dem DSG ^

[3]

Bei «strafrechtlich relevanten Daten iSd DSG» handelt es sich um Informationen über gerichtlich oder verwaltungsbehördlich strafbare Handlungen oder Unterlassungen. Erfasst sind aber auch Daten, welche den bloßen Verdacht der Begehung einer Straftat, strafrechtliche Verurteilungen oder vorbeugende Maßnahmen nach den §§ 21 - 23 StGB beinhalten.3 Strafrechtlich relevante Daten gelten zwar nicht als sensible Daten iSd § 4 Z 2 DSG, allerdings kommen nach Art. 8 Abs. 5 DS-RL4 für sie besondere Bestimmungen in Bezug auf ihre Verwendung zum Tragen, was sie wieder in die Nähe der sensiblen Daten rückt. Zu bemerken ist, dass die Aufzählung in § 8 Abs. 4 DSG jener Verwendungsfälle, bei welchen schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen nicht verletzt werden, eine taxative ist, und vom Schutzbereich beispielsweise neben den Daten über Verurteilte, ebenso Informationen über bloß Tatverdächtige oder Beschuldigte umfasst sind.5

4.

Beweisverbote im Strafprozess ^

4.1.

Das Vorverfahren ^

[4]

Im Strafverfahren wird zwischen Beweiserhebung und Beweisverwertung unterschieden.6 Die Beweisverwertung erfolgt im Rahmen des Prozesses, die Beweiserhebung findet idR außerhalb, im Ermittlungsverfahren statt. Hier sieht der seit der StPO-Reform 20087 eingeführte § 106 vor, dass Fragen über die Rechtmäßigkeit von Eingriffen in subjektive Rechte in Ausübung von Befugnissen der StPO nunmehr durch den «Einspruch wegen Rechtsverletzung» durch den zuständigen Ermittlungsrichter, also ebenfalls gerichtlich, geklärt werden können.8

[5]

Der Rechtsschutzbeauftragte9 hat über Ermittlungsmaßnahmen schriftlich informiert zu werden, diese, wie bei einem «Lauschangriff» oder automatisierten Datenabgleich nach § 141 f StPO, sogar teilweise zu genehmigen10. Er nimmt als weisungsfreies, nicht beamtetes Organ die Interessen der betroffenen Personen wahr, welche zum Beispiel bei geheimen Überwachungsmaßnahmen keinerlei Kenntnis über den Grundrechtseingriff haben (können).11 Damit trägt diese Regelung dem «Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz» gemäß Art. 13 EMRK Rechnung.12

4.2.

Das Hauptverfahren ^

[6]

Beweisverwertungsverbote untersagen die prozessuale Verwendung unzulässig gewonnener Beweismittel bei der Fällung eines Erkenntnisses.13 Die österreichische StPO kennt allerdings keine allgemein gültige Regelung, welche die Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel generell untersagt. Vielmehr ist im Rahmen der freien Beweiswürdigung quasi alles erlaubt, was nicht verboten, also mit Nichtigkeit bedroht ist.14 Selbst Grundrechtsverstöße machen ein Beweismittel noch nicht per se unzulässig.

[7]

Wird das Urteil dennoch mittels Nichtigkeitsbeschwerde15 angefochten, hat das Gericht zu fingieren, dass das gegenständliche Beweismaterial weder vorhanden, noch in der Hauptverhandlung vorgekommen wäre; selbst wenn dies dennoch der Fall war.16 In der betreffenden Bestimmung muss ausdrücklich «bei sonstiger Nichtigkeit» vorgesehen sein.17 Daneben sind allerdings auch andere Sachverhalte denkbar, um nicht explizit mit Nichtigkeit bedrohte Beweisverbote einigermaßen gleichwertig erscheinen zu lassen. Hier kämen beispielsweise Erhebungen ohne gerichtliche Anordnung oder Unverhältnismäßigkeit zur begangenen Straftat, zu deren Nachweis die Ergebnisse vorgeführt werden, in Betracht.18 Ein Erkenntnis, welchem trotz dieses Verwertungsverbotes dennoch das Ergebnis einer gesetzwidrigen Beweisaufnahme zu Grunde liegt, ist im Rechtsweg aufzuheben.

[8]

Selbst wenn sich ein Erkenntnis nicht auf mit Nichtigkeit behaftete Beweismittel stützt, werden diese allerdings oftmals einfach den Prozessakten angeschlossen; sie existieren also weiter. In einzelnen Fällen ordnet die StPO explizit deren Vernichtung an, was in den jeweiligen Bestimmungen zu finden ist19: Nicht relevante oder verwendbare Überwachungsergebnisse sind auf Antrag des Beschuldigten oder von Amts wegen zu vernichten. Kommt die Staatsanwaltschaft dem nicht nach, kann Einspruch an den Rechtsschutzrichter gem § 106 erhoben werden.20

4.3.

Problemfelder ^

[9]

Hier eröffnen sich mehrere Problemfelder:

  1. Gibt es für den Betroffenen Möglichkeiten seine Ansprüche durchzusetzen, wenn zu vernichtende Beweismittel nicht vernichtet werden? -Der Beschuldigte oder stellvertretend der Rechtsschutzbeauftragte hat, wie oben erwähnt, den Einspruch wegen Rechtsverletzung zur Verfügung. Da die Vernichtung der fraglichen Informationen expressis verbis vorgesehen ist, steht dem Rechtsschutzrichter kein Ermessensspielraum zur Verfügung: liegen alle Voraussetzungen vor, hat eine Löschung bzw Beseitigung der Ermittlungsergebnisse angeordnet zu werden. Ein Verstoß stellt einen Amtsmissbrauch iSd § 302 StGB dar. Der Richter hat als Beamter eine Garantenstellung, die «Ordnungsgemäßheit der gesamten hoheitlichen Verwaltung sicherzustellen», und schädigt den Betroffenen wissentlich in seinem Recht auf Datenschutz.21 Ein Strafverfahren wäre demnach anzustrengen.
  2. Wenn die (nichtigen) Ermittlungsergebnisse den Prozessakten angeschlossen werden, sind diese für all jene Personen offenliegend, welche das Recht auf Akteneinsicht haben. -Hier kommen die §§ 74, 75 StPO zur Anwendung. Diese verweisen auf das DSG und ordnen ebenfalls eine Verpflichtung zur Löschung an, sollten Daten «unrichtig» oder «illegal erhoben» worden sein. Ein Recht auf Löschung ist zwar nach diesen Bestimmungen zweifelsohne zu bejahen, jedoch stellt sich die weitere Frage, wie dieses durchsetzbar sein soll. Ein Antrag, Einspruch oÄ ist hier nichtmehr vorgesehen. Dem Betroffenen bleibt, eine Löschung anzuregen -darum zu bitten-, und bei Nichtbefolgung wieder ein Verfahren wegen Amtsmissbrauch anzustreben (siehe oben).
  3. Im Hauptverfahren ist das Gericht nicht an die im Ermittlungsverfahren ergangenen Einspruchsentscheidungen gebunden. So muss ein mit Nichtigkeit bedrohter Verstoß vom erkennenden Gericht unabhängig von einer zu dieser Frage allenfalls zuvor ergangenen Einspruchsentscheidung erneut geprüft werden.22 Kommt es zur Entscheidung, ein Beweismittel zuzulassen, öffnet § 75 Abs. 5 StPO einer weiteren Verwendung in anderen Verfahren nahezu schrankenlos Tür und Tor. Probleme könnten sich ergeben, sollte das Rechtsmittelgericht diese Ansicht nicht teilen, jedoch in den anderen Verfahren bereits rechtskräftige Urteile vorliegen.
  4. Desweiteren unterliegen sog. Folgebeweise, d.h. Informationen, welche erst durch rechtswidrig erhobene Beweise zu Tage kommen, nach herrschender Ansicht nicht den gängigen Beweisverboten.23 Anders als im angloamerikanischen Rechtsraum können diese «fruits of the poisonous tree» bedenkenlos verwendet und für die Urteilsfindung herangezogen werden. Dies birgt gefährliches Potential für Umgehungen von Beweisverboten.

5.

Resümee ^

[10]

§ 1 DSG verweist für etwaige Eingriffe auf Art. 8 EMRK. Dies bedeutet, dass Verletzungen dieses Grundrechts an den Bestimmungen der EMRK zu messen sind.Ratz schreibt,«die meisten Beweisverbote sind durchaus nicht aus der MRK abgeleitet, einige davon viel älter als diese. Sie können aber den modernen Grundrechten vielfach sinnvoll zugeordnet werden. [...]Das führt zuweilen dazu, dass umgekehrt unter Berufung auf Grundrechtsverheißungen Beweisverbote behauptet werden, die eine effiziente Strafverfolgung zunehmend in Frage stellen würden.»24

[11]

In Anbetracht der Tatsache, dass im Ermittlungsverfahren oftmals ein Dritter (der Rechtsschutzbeauftragte) für den Betroffenen Einsprüche geltend machen muss, da jener selbst nicht einmal Kenntnis von der Einschränkung seines im Verfassungsrang(!) stehenden Rechtes erlangt, und dem Umstand, dass der letzte Weg zur Durchsetzung unter Umständen nur über ein weiteres Strafverfahren (Amtsmissbrauch, s.o.) führt, ist diese Formulierung überaus gewagt. Selbst unter dem Aspekt einer effizienten Strafverfolgung ist der Datenschutz im Strafprozess sehr vernachlässigt. Es bleibt endlich dem OGH überlassen, bei groben Verstößen die Urteilsnichtigkeiten anzuerkennen, um einen effektiven Grundrechtsschutz durchzusetzen.25

 



Sabine Adamek, Studentin an den Universitäten Salzburg und Wien
sabine.adamek@sbg.ac.at

 

  1. 1 BG vom 17.8.1999 über den Schutz personenbezogener Daten (Datenschutzgesetz 2000-DSG) BGBl I 1999/165.
  2. 2 Wiener Zeitung Online, http://www.wienerzeitung.at/DesktopDefault.aspx?TabID=3862&Alias=wzo&cob=469150, aufgerufen 01. Februar 2010.
  3. 3 Drobesch/Grosinger, Das neue österreichische Datenschutzgesetz, Juridica (2000), 140f.
  4. 4 Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (EG-Datenschutzrichtlinie), ABl L 281, 31 vom 13. November 1995.
  5. 5 Dohr/Pollirer/Weiss, DSG2, Manz, § 8 Anm 19.
  6. 6 Für viele: Platzgummer, Grundzüge des österreichischen Strafverfahrens8, Springer (1997), 20.
  7. 7 StPRefG, BGBl I 2004/19.
  8. 8 § 106 Abs. 1 StPO: «Einspruch an das Gericht steht im Ermittlungsverfahren jeder Person zu, die behauptet, durch Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei in einem subjektiven Recht verletzt zu sein [...]»
  9. 9 Mit BGBl I 1997/105 wurde Wahrung der Rechte der von den schweren Grundrechtseingriffen Betroffenen ein unabhängiger Rechtsschutzbeauftragter als «Verfahrensanwalt» eingeführt. Genauer dazu z.B. Strasser, Zur Gewährleistung von Rechtsschutz im Strafverfahren - Von der Garantenfunktion der Staatsanwaltschaft bis zum Grundrechtsschutz durch den OGH, ÖJZ 2006/12, 155. Die definitive Stellung des Rechtsschutzbeauftragten ist jedoch bislang rechtlich sehr umstritten. Hierzu mwN Machacek, Die Reform des StPO-Vorverfahrens aus der Sicht des Rechtsschutzbeauftragten, AnwBl 2002/2, 76 (77f).
  10. 10 Bei verdeckter Ermittlung gem § 131 Abs. 2, Scheingeschäften nach § 132, optischen & akustischen Überwachungen -§ 136 Abs. 1 Z 3-, usw; aufgezählt im § 147 StPO.
  11. 11 Vgl. §§ 146, 147 StPO; weitere Ausführungen: Machacek, AnwBl 2002/2, 76 (77f).
  12. 12 Strasser, ÖJZ 2006/12, 155 (158).
  13. 13 Vgl. für viele z.B. Schmoller, Beweise, die hypothetisch nicht existieren, Beweisverwertungsverbote im geltenden und künftigen Strafprozess, JRP 2002, 251; Ratz, WK-StPO, Manz, § 281 Rz 65.
  14. 14 In diesem Sinne für viele: Hinterhofer, Beweisantragsrecht im neuen Strafverfahren, ÖJZ 2007/76, 886 (887) mwN.
  15. 15 Bestimmte Beweisergebnisse dürfen der Entscheidung nicht zu Grunde gelegt werden. Dies wird in den Nichtigkeitsgründen des § 281 Abs. 1 Z 2, 3 und 4 (§§ 345 Abs. 1 Z 3, 4 und 5, 468 Abs. 1 Z 2a und 3) StPO sichergestellt.
  16. 16 Hier wieder genauer z.B. Schmoller, JRP 2002, 251; sowie Ratz, Beweisverbote und deren Garantie durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in Strafsachen (Teil I), RZ 2005, 74.
  17. 17 Beispielsweise § 140 Abs. 1 StPO, welcher auf Beschlagnahme von Briefen, Auskunft über Daten von Nachrichtenermittlungen, optische & akustische Personenüberwachung,... verweist, wie auch § 159 Abs. 3 StPO, die Belehrung über Aussageverweigerungsrechte, sowie § 252 Abs. 4 StPO, worin die Verlesung von Protokollen normiert wird, und auch die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs. 1 Z 2, 3 StPO.
  18. 18 Vgl. Kirchbacher, WK-StPO § 246 Rz 109; RIS RS 0119111.
  19. 19 Schmoller, JRP 2002, 251 (C.1.).
  20. 20 Reindl-Krauskopf, WK-StPO § 139 Rz 3.
  21. 21 Leukauf/Steininger, StGB3, Prugg Eisenstadt (1992), § 302 Rz 2ff.
  22. 22 Fuchs E., Rechtsschutz im Ermittlungsverfahren, ÖJZ 2007/77, 899 (900).
  23. 23 Reindl, Zur Zulässigkeit körperlicher Eingriffe im Strafverfahren, JRP 2007, 87 (92) mwN.
  24. 24 Ratz, RZ 2005, 74 (B. Grundrechtliche Verankerung der Beweisverbote).
  25. 25 Für viele z.B. Ratz, RZ 2005, 74 und 106; Ratz, Grundrechte in der Strafjudikatur des OGH, ÖJZ 2006/21, 318.