1.
Einleitung ^
Während der freie Zugang zu Quellen und Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung im Zuge des 7. Rahmenprogramms der EU großzügig gefördert wird und nicht zuletzt im Aufbau der digitalen europäischen BibliothekEuropeana seinen Ausdruck findet, stellt die praktische Umsetzung der geforderten «freien Wissensvermittlung» österreichische Hochschulen aufgrund der Unzulänglichkeiten des österreichischen Urheberrechtsgesetzes im Bereich der Neuen Medien vor erhebliche Probleme.
Am Zentrum für Informationsmodellierung in den Geisteswissenschaften der Karl-Franzens-Universität Graz werden im Rahmen des LangzeitarchivierungsprojektesGAMS1 wissenschaftliche Inhalte aus unterschiedlichen Fachbereichen digital editiert und aus einem Repository publiziert. Wo Quellenmaterial im Besitz der Universität oder einzelner ForscherInnen ist, oder die quellenspezifischen Schutzfristen verjährt sind, bieten sich dank der zunehmenden Relevanz derOpen Access Bewegung2 , z.B. mitCreative Commons oder demAccess to Knowledge Movement , bereits etablierte Möglichkeiten derZurverfügungstellung . Gerade im Bereich der digitalen Online-Publikation (§18a UrhG) von Lehr- und Lernmaterialien stößt man jedoch auf Probleme, die sich mittels derFreien Werknutzungen nach §42 UrhG oder desLiteraturzitats nach §46 UrhG3 nicht zufrieden stellend bzw. rechtskonform lösen lassen.
Im Rahmen zweier assoziierter Projekte mit dem Ziel, Lernmaterialien für Bachelorstudien zu sammeln und zu publizieren, wurde in Kooperation mit Juristen der Universität Graz, namentlich Gerfried Förster von der Rechtsabteilung bzw. Gunter Nitsche und Günther Sammer vom Institut für Österreichisches und Internationales Unternehmens- und Wirtschaftsrecht, ein Lösungsansatz erarbeitet, der versucht, sowohl den Erfordernissen des Bildungs- und Vermittlungsanspruchs der Universität, als auch den Rahmenbedingungen des österreichischen Urheberrechtsgesetzes gerecht zu werden.
2.
Zur derzeitigen Rechtslage in Österreich ^
Wie der Informationswissenschaftler Rainer Kuhlen feststellt, sollte «Die Möglichkeit, urheberrechtlich geschützte Materialien zur Veranschaulichung im Unterricht und für wissenschaftliche Forschung in Form einer öffentlichen Wiedergabe nutzen zu dürfen, […] an sich eine Selbstverständlichkeit sein.»4
Dieses zentrale Anliegen von Lehrenden und Forschenden an Universitäten und anderen höheren Bildungseinrichtungen wird zwar in mehreren Richtlinien des Europäischen Rates, insbesondere derRichtlinie über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft5 (kurz: Info-RL) aus dem Jahr 2001 und in der Novelle zum deutschen Urheberrecht 2003 thematisiert und in Form von Privilegierungen der wissenschaftlichen Forschung und Lehre6 umgesetzt, findet aber im österreichischen Urheberrecht bislang keine Nachahmung. Zwar wurden in den Urheberrechtsgesetznovellen 2003, 2005 und 2006 eine Reihe von kleineren Anpassungen und Begriffsklärungen vorgenommen, die auf die Info-RL verweisen7 , auf die Einführung von Schranken nach dem deutschen Vorbild wurde jedoch verzichtet.
3.
Problemfeld Online-Plattformen ^
Anhand der Vorstellung zweier nicht-kommerzieller Online-Publikationsprojekte des Zentrums für Informationsmodellierung in den Geisteswissenschaften sollen im Folgenden die Defizite des bestehenden Gesetzestextes im Bereich der digitalen Publikation demonstriert und die daraus entstandenen Überlegungen zur rechtskonformen Umsetzung der Projekte dokumentiert werden.
3.1.
Lernportal Europa in der atlantischen Welt der Neuzeit ^
Dieses Angebot richtet sich an Studierende des Bachelor-Studiums Geschichte der Universität Graz. Das Portal bietet deutschsprachige Texte, die dazu dienen sollen, die Themen der Lehrveranstaltung auf dem Stand der aktuellen wissenschaftlichen Forschung vertieft zu erschließen und alle für die abschließende BA-Prüfung relevanten Texte für die Studierenden zur Verfügung zu stellen.8
Dabei handelt es sich primär um Aufsätze aus Zeitschriften und Auszüge aus Monographien oder Sammelwerken. Die Texte sind thematisch geordnet und werden, in der Regel begleitet von einführenden oder erklärenden Bemerkungen der HerausgeberInnen des Portals (der Lehrenden), zunächst in einer Listenansicht angezeigt. Viele der in dieser Sammlung enthaltenen Texte sind urheberrechtlich geschützt, d.h. weder die Universität, noch die UrheberInnen des Portals verfügen über die Nutzungs- und Verwertungsrechte. Während die Bereitstellung des Materials für Studierende des Bachelorstudiums Geschichte im Wege der Vervielfältigung in gedruckter Form oder sogar auf einem Datenträger unseres Erachtens laut §42 Abs. 6 UrhG gedeckt wäre, fällt die Online-Publikation in den Bereich derZurverfügungstellung laut §18a Abs. 1 UrhG.
3.2.
GINKO – Grazer Institut für Kunstgeschichte Online Archiv ^
GINKO ist die Online-Bilddatenbank des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Graz.9 Die Sammlung versteht sich als ergänzende Online-Ressource zur Bild-Recherche für kunstwissenschaftliche Forschung und Lehre und enthält sowohl institutseigene Bildbestände als auch individuell von Studierenden angeforderte, digitalisierte Bildmaterialien. Ist ein in Lehrveranstaltungen behandeltes oder für eine Abschlussarbeit relevantes Bild nicht in einschlägigen kunsthistorischen Bilddatenbanksystemen wiePrometheus10 enthalten, wohl aber in der Bibliothek des Instituts, können Studierende eine Digitalisierung beauftragen, die dann von Seiten des Instituts qualitativ hochwertig und mit Metadaten versehen online gestellt wird.
Die auftretende Problematik ist, ungeachtet des anderen Quellentyps (Werke der bildenden Künste ), dieselbe wie im ersten Beispiel beschrieben: Eine Vervielfältigung des vorhandenen Materials auf einem physischen Träger ist nach §42 Abs. 6 UrhG ebenso gestattet wie die spätere Verwendung dieser Kopie durch die Studierenden (z.B. im Rahmen einer Seminararbeit, nach §54 Abs. 1 Z 3a UrhG), nicht aber dieZurverfügungstellung im Internet.Falls Ergänzungen und Änderungen zum Beitrag erforderlich sind; bitte diese im Überarbeitungsmodus vorzunehmen.
3.3.
Analyse der Rechtsproblematik ^
Wie erwähnt ist die in §42 UrhG vorgesehene Privilegierung von wissenschaftlicher Forschung und Hochschulunterricht für die geschilderten Anwendungsbeispiele nicht ausreichend, erstreckt sie sich doch lediglich auf das Recht der Vervielfältigung «auf Papier oder einem ähnlichen Träger». Das Anbieten eines Downloads im Internet stellt jedoch in jedem Fall eineZurverfügungstellung und keine Vervielfältigung dar. Auch dieFreien Werknutzungen bieten keine Lösung an: §45 Abs. 1 Z 1 UrhG regelt lediglich die Nutzung von Werken «in einer Sammlung, die Werke mehrerer Urheber enthält und ihrer Beschaffenheit und Bezeichnung nach zum Kirchen-, Schul-, oder Unterrichtsgebrauch bestimmt ist», die Lehre an Universitäten ist darin ausdrücklich nicht eingeschlossen. DasLiteraturzitat nach §46 Abs. 2 UrhG, beziehungsweise dasWissenschaftliche Kunstzitat nach §54 Abs. 1 Z 3a UrhG, sind aufgrund der Einschränkung des Gebrauchs «zur Erläuterung des Inhalts» nicht anwendbar: Zwar gibt es in beiden Fällen erläuternde oder einführende Texte auf den Portalen, diese sind aber in ihrem Umfang nicht ausreichend, um die Berufung auf diese Paragraphen zu rechtfertigen.
Ein weiterer Ansatz liegt in der Definition des Begriffs derÖffentlichkeit : Die Zielgruppe des Angebots der beiden genannten Portale ist jedenfalls zu groß, um nicht alsöffentlich im Sinne des Gesetzgebers zu gelten, handelt es sich doch um alle Studierenden eines bestimmten Bachelorstudiums. Die Größe der Zielgruppe bringt demnach auch mit sich, dass eine Zugangsbeschränkung des Angebots durch eine eigene Authentifizierung und Autorisierung (mittels Login) keine ausreichende Maßnahme zur Einschränkung der Öffentlichkeit darstellt: Der durch derartige technische Maßnahmenabgegrenzte Kreis von Personen weist nicht die laut dem Gesetzestext erforderlichepersönliche Verbundenheit auf.11
Dieser Bestandsaufnahme folgend gibt es keinen gangbaren Weg, der es ermöglicht, den Studierenden diese Materialsammlungen zur Verfügung zu stellen; umso paradoxer, als die Weitergabe desselben Materials an die Studierenden im Wege der Vervielfältigung auf physischen Trägern bedenkenlos möglich wäre und lediglich die ephemere Natur digitaler Daten in der vernetzten Wissensgesellschaft eine Privilegierung nach §42 Abs. 6 UrhG ausschließt. Gerade der freie Zugang zu Quellen und Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung ist jedoch zentrales Anliegen vieler europäischer Initiativen und im zentralen Interesse nationaler und internationaler Fördergeber, sowie erklärtes Ziel der modernen Informationsgesellschaft.
3.4.
Versuch einer Lösung ^
Nachdem alle Möglichkeiten im Rahmen derFreien Werknutzungen ausgeschlossen wurden, suchte unsere Arbeitsgruppe im genauen Wortlaut des §18a Abs 1 UrhG einen Lösungsansatz: «Der Urheber hat das ausschließende Recht, das Werk der Öffentlichkeit drahtlos oder drahtgebunden in einer Weise zur Verfügung zu stellen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeitvon Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist.»
Während der Versuch einer Einschränkung derÖffentlichkeit scheiterte, erlauben es jedoch einfache technische und organisatorische Maßnahmen, eine Einschränkung derZugänglichkeit vorzunehmen: Die Anzeige und das Herunterladen der urheberrechtlich geschützten Dokumente sind ausschließlich auf Computern in den Institutsbibliotheken der jeweiligen Institute möglich (technisch durch die Einschränkung des Zugriffs auf bestimmte IP-Ranges umgesetzt), die wiederum nur zu bestimmten Öffnungszeiten zugänglich sind. Dadurch ist eine – unserer Ansicht nach hinreichend restriktive – Einschränkung bezüglich des Ortes und der Zeit gegeben.12 Die Portale sind nunmehr zwar online erreichbar, die darin enthaltenen Dokumente können aber außerhalb der Institutsbibliotheken lediglich gesucht und ihre Titel in Listenform angezeigt, nicht aber als Volltext aufgerufen und heruntergeladen werden.
In einer Erweiterung dieses Modells wurde die Zugriffserlaubnis, mit Einverständnis der Rechtsabteilung der Universität Graz, auf die EDV-Benutzerzentren am Campus der Universität, die dieselben Kriterien bezüglich der örtlichen und zeitlichen Einschränkung erfüllen, ausgeweitet.
4.
Conclusio ^
Der letztlich in der Umsetzung der Projekte gewählte Weg muss sich zweifellos dem Vorwurf stellen, zwar dem Wortlaut, nicht aber der Intention des Gesetzestextes Genüge zu tun und stellt somit weniger einbest practice , als einbest possible practice Modell dar.
Eine Novellierung des österreichischen Urheberrechtsgesetzes in Form einer Privilegierung von (universitärer, also öffentlicher) Forschung und Lehre ist augenscheinlich dringend erforderlich. Die (in vielerlei Hinsicht selbst noch unzureichenden und zu diskutierenden) Beispiele der Info-RL und der deutschen Legislatur, deren maßgeblicher Einfluss auf die österreichische Rechtsentwicklung in vielen anderen Rechtsbereichen evident ist, zeigen Möglichkeiten und Maßnahmen auf, um der stets fortschreitenden Entwicklung im Bereich digitaler Medien und Netzwerke zu begegnen und den Anforderungen der Informationsgesellschaft gerecht zu werden.
5.
Literatur ^
Kuhlen, Rainer , Erfolgreiches Scheitern – eine Götterdämmerung des Urheberrechts? Boizenburg (2008).
Schöwerling, Helena , E-Learning und Urheberrecht an Universitäten in Österreich und Deutschland, Wien (2007).
Sieber, Ulrich , Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft. In:Sieber, Ulrich; Hoeren, Thomas : Urheberrecht für
Bildung und Wissenschaft, Bonn (2005).
Walter, Michel , Urheberrechtsgesetz `06, Wien (2007).
Walter Scholger, Karl-Franzens-Universität Graz, Zentrum für Informationsmodellierung in den Geisteswissenschaften
Merangasse 70/EG, 8010 Graz AT
walter.scholger@uni-graz.at ;http://gams.uni-graz.at undhttp://www.uni-graz.at/zim
- 1 http://gams.uni-graz.at aufgerufen: 3.2. 2010 (2004).
- 2 Vgl. Uniko, Empfehlungen der Österreichischen Universitätenkonferenz (uniko) zu einer Open Access–Politik der Universitäten,http://www.uniko.ac.at/upload/Uniko-Empfehlungen_Open_Access_01_2010.pdf aufgerufen: 3.2.2010 (2010).
- 3 Diese Problematik gilt natürlich auch für Quellen, die nicht dem Bereich der Literatur, sondern den Bildenden Künsten, Film- und Tonkunst zuzuordnen sind.
- 4 Kuhlen, R ., Erfolgreiches Scheitern – eine Götterdämmerung des Urheberrechts?, VWH, Boizenburg, S. 342 (2008).
- 5 Richtlinie 2001/29/EG vom 22.05. 2001.
- 6 §52a Abs 1 dUrhG, vgl.Sieber, U., Hoeren, T ., Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft, Bonn (2005).
- 7 Vgl.Walter, M. , Urheberrechtsgesetz `06, Verlag Medien und Recht, Wien (2007).
- 8 http://gams.uni-graz.at/hlp aufgerufen: 3.2. 2010 (2009).
- 9 http://gams.uni-graz.at/ginko aufgerufen: 3.2. 2010 (2009).
- 10 http://www.prometheus-bildarchiv.de aufgerufen: 3.2. 2010 (2007).
- 11 Schöwerling, H. , E-Learning und Urheberrecht an Universitäten in Österreich und Deutschland, Verlag Medien und Recht, Wien, S. 126 ff (2007).
- 12 Studierende müssen außerdem über eine gültige EDV-Benutzerberechtigung der Universität Graz verfügen, um die Geräte überhaupt in Betrieb nehmen zu können.