Jusletter IT

Proportionalität und Quantitative Gerechtigkeit: Eine Einführung und Hinführung

  • Author: Rainhard Z. Bengez
  • Category: Short Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: Legal Theory
  • Collection: Q-Justice 2011
  • Citation: Rainhard Z. Bengez, Proportionalität und Quantitative Gerechtigkeit: Eine Einführung und Hinführung, in: Jusletter IT 29 June 2011
Für uns stehen der Mensch und sein Ungerechtigkeitsempfinden im Zentrum der nachfolgenden Betrachtung. Gerechtigkeit sehen wir als einen sekundären Begriff an. Wir weisen nach, dass diese facettenreicher ist als die klassische, auf ARISTOTELES und AQUIN basierte Definition; ferner, dass auch quantitative Aspekte, Maße und Metriken bedeutsam sind. Durch eine Verallgemeinerung des Gleichheitsgedankens gelangen wir zu dem Invarianzprinzip. Mit dessen Hilfe lässt sich die allgemeine kultur- und generationenübergreifende Form der Gerechtigkeit darstellen. Fügt man zu diesem Prinzip noch die eigentliche Dynamik, das Ungerechtigkeitsempfinden und die Wertschätzung des Lebens, hinzu, erhalten wir die Basis für eine Geometrie der Gerechtigkeit.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Gerechtigkeit und Ordnung – Umfang und Abgrenzung
  • 1.1. Nicht nur auf den Hund gekommen
  • 1.2. Facetten der Gerechtigkeit und wie denkt der Mensch?
  • 1.3. Welche Maßstäbe haben wir?
  • 1.4. Wie kam es dazu, dass die Quantität eine Facette der Gerechtigkeit wurde?
  • 1.4.1. Der Alte Orient
  • 1.4.1.1. Mesopotamien
  • 1.4.1.2. Das Reich der Hethiter
  • 1.4.1.3. Kanaan und Israel
  • 1.4.1.4. Übergang
  • 1.4.1.5. Homer und Hesiod: Ordner und Klassifizierer der neuen Götter
  • 1.4.1.6. Die Vorsokratiker oder die Geburt der Philosophie
  • 1.4.1.7. Platon, Sokrates und die Welt der Formen
  • 1.4.1.8. Aristoteles
  • 1.4.2. Die zweite Gabelung: Der Talmud und das vergessene Erbe
  • 1.4.2.1. Philon von Alexandria: Platon und die Thora
  • 1.4.2.2. Das Meer des Talmud: Exil und Notwendigkeit des Konservierens
  • 1.4.2.3. Rambam oder Maimonides und das kodifizierte Vergessen
  • 2. Auf dem Weg zu einer Minimal-Theorie der quantitativen Gerechtigkeit
  • 3. Ausblick – oder das Anliegen von Quantius.org
  • 4. Literatur

1.

Gerechtigkeit und Ordnung – Umfang und Abgrenzung ^

[1]
Es scheint trivial, doch einem Stein würden wir keine Moral zubilligen und ihm schon gar nicht unterstellen, dass er nach Gerechtigkeit fragt, geschweige denn, eine Empfindung für Ungerechtigkeit hegt oder gar ein Maß dafür hat. Folgen wir dem Muster des alten aristotelischen Aufstiegs, so müssten wir jetzt nach dem (Sinn-)Anteil (d.i. der Grad der Fähigkeit, Moral oder insbesondere (Un-)Gerechtigkeit zu empfinden) fragen. Sicherlich führt uns das an die Grenzen so mancher Weltbilder, doch zugleich stellt es auch eine interessante empirische Herausforderung dar. Wir möchten diesen Gedanken einstweil zurückstellen und zu der darauffolgenden Aristotage1 fortschreiten. Wie ist dieses Phänomen bei Tieren ausgeprägt? Absichtlich möchten wir einen phänomenologischen Zugang wagen – können wir aufgrund der Wahrnehmung von tierischem Verhalten auf einen Sinn oder eine Empfindung für Gerechtigkeit schließen? Wenn dem so wäre, könnten wir einerseits in berechtigter Weise von einer graduellen (oder stufenweisen) Empfindung – gerne aber auch von graduellem Sinn – der Gerechtigkeit sprechen. Nicht zwangsläufig anschließbar, aber durchaus in diesem Kontext, wäre auch die Frage nach dem oder den Maßen der Gerechtigkeit zu sehen und damit letztlich die Frage nach derquantitativen Natur der (Un-)Gerechtigkeit per se und ihrer Empfindung verbunden. In ähnlicher Weise würden wir die Bereiche Empfindung, Emotion und Metrik, d.h. Analytik, überbrücken. Auch wenn das nicht im Ganzen gelingen würde, so gäbe es aber auf jeden Fall eine Verbindung zu den analytischen Anteilen der Empfindung und Emotion. Doch nun zurück zu der dritten Stufe, den Tieren.

1.1.

Nicht nur auf den Hund gekommen ^

[2]
In einigen empirisch durchgeführten Studien sind wir der Frage nachgegangen, ob diverse dem Menschen nahestehende Tiere so etwas wie einen Ungerechtigkeitssinn haben. Die Untersuchung starteten wir mit einigen Hundeexperimenten. Wie allgemein bekannt, ist der Hund schon seit vielen Generationen ein treues, domestiziertes Tier, das sich dem Sozialverbund des Menschen nicht nur angepasst hat, sondern diesen sogar als maßgeblich konstituierendes Element mitgestaltet. Der Hund schafft den Spagat in zwei sozialen Sphären parallel zu existieren: in der Welt der Hunde und in der des Menschen. Von gelegentlichen kommunikativen Mensch-Hund-Missverständnissen abgesehen, sprechen wir dem guten Tier neben Emotionen, Intelligenz und Sozialverhalten zu, dass er unsere Gedanken lesen kann. Überraschenderweise stellt sich heraus, dass Hunde sogar die Eigenschaft haben, uns sehr genau zu beobachten, so genau, dass sie unsere Gefühlslage und auch intendierte Aktionen frühzeitig wahrnehmen. Sicherlich liegt das zum einen daran, dass die Hunde Rudeltiere sind und soziale Interaktion für sie leichter erlernbar ist als für kategorische Einzelgänger. Aber weit mehr noch, sie haben erkannt und das ist scheinbar vererbt, dass sich Emotionen auf der rechten Gesichtshälfte des Menschen ankündigen. Diversen Forschungsvorhaben ist es nun gelungen, nachzuweisen, dass unsere liebsten Weggefährten sich primär auf die rechte Gesichtshälfte fokussieren, um die Mikromimik des Menschen zu erkennen und darauf zu reagieren2 . Natürlich sind Tiere auch keine homogene Masse3 und es gibt ausgezeichnete, kluge Vertreter ihrer Art wie auch den sprichwörtlichen dummen Hund. Eben diese so gewohnte Nähe mit den Hunden und die vielfältigen Erfahrungen mit unseren Vierbeinern bewogen uns dazu, die Untersuchung mit ihnen zu beginnen.
[3]
Unser primäres Ziel war es festzustellen, ob wir so etwas wie einen Sinn für Gerechtigkeit und Fairness bei ihnen explorativ nachweisen können. Persönlich waren wir von Anfang an der Meinung, dass es keinen Sinn für Gerechtigkeit gibt, auch, oder speziell nicht bei uns Menschen, sondern höchstens einen Sinn fürUn gerechtigkeit oderUn fairness. Denn sozialen Aktionen gehen weniger rationale Momente als emotionale voraus. Gerechtigkeit erscheint ein sehr rationales, d.h. abgeleitetes Konstrukt zu sein, da es bereits eine Liste voller Prädikate und Propositionen offeriert bzw. Regelungen und Verfahren, wie diese zu erlangen sei.
[4]
Die hier in Ausschnitten dargelegte Untersuchung wurde im April 2009 in München im Rahmen eines Vortrages über dasProportionale und Unproportionale bei Aristoteles und im Talmud an der LMU München kurz vorgestellt. Die Resultate der empirischen Studien und deren Ausarbeitung werden in Kürze erstmals publiziert werden.
[5]
Vorab können wir aber schon einige Interpretationen geben. Das Resultat aus dieser Testbatterie interpretierten wir dahingehend, dass es bei Hunden einen Sinn oder eine Empfindung für Unfairness gibt. Allerdings ist diese Empfindung nicht abgestuft. Im Vordergrund steht eine inszenierte, aktive und partizipierende soziale Teilhabe. Weder die qualitative Ausprägung noch die spezifizierbare Menge (solange sie sich im Akt des Gebens nicht differenzieren ließ), sondern mehr die korpuskelhafte soziale Aktion, kurz das Gefühl oder die Missempfindung der Teilhabe, war der Dreh- und Angelpunkt der als Ungerechtigkeit interpretierten Regung.
[6]
Nicht nur bei den allerseits beliebten Hunden und Pferden, sondern auch bei den meist weniger hoch im Ansehen stehenden Nagern haben wir unser Experiment in leicht modifizierter Art wiederholt. Auch hier möchten wir die Resultate in der bereits oben bekannten Form interpretieren.

1.2.

Facetten der Gerechtigkeit und wie denkt der Mensch? ^

[7]
Es scheint, als ob unsere empirische Arbeit auf der dritten Aristotage zu dem vorläufigen Resultat führt, dass es ein Empfinden für Ungerechtigkeit gibt. Zugegeben, wir haben unsere Untersuchung nur auf wenige Tiere und auch lediglich auf solche mit einem intensiven Sozialverhalten beschränkt, aber wir können dieses qualitativ nicht ausdifferenzierte Empfinden für Ungerechtigkeit vielleicht auch mit der Art, wie ein Neuron funktioniert, vergleichen. Ein Neuron kennt nur zwei Zustände: Stillstand (-1) oder Aktivität (1). Und so mag vielleicht auch auf dieser Stufe die Skala der Ungerechtigkeitsempfindung geeicht sein.
[8]
Gehen wir zu der vierten Aristotage, dann betritt zweifelsohne der Mensch die Bühne. Gemeinhin billigen wir dem Menschen einen etwas ausgeprägteren Sinn für Gerechtigkeit zu. Der Mensch sollte zwischen Gut und Böse, Recht und Unrecht, Gerechtigkeit und Unfairness unterscheiden und abwägen können. Ihm allein gesteht man zu, zwischen Recht und Unrecht, aber auch zwischen fairem und nicht-fairem sozialen Handeln unterscheiden zu können. Anders gesagt, bis jetzt befinden wir lediglich den Menschen für Wert in der moralischen Sphäre zu agieren. Nicht zuletzt die zahlreichen interkulturellen sozialen Regelungen, Gesetze und Traditionen würden dafür sprechen. Sei das nun die Aufteilung der Jagdbeute durch den Jäger für den ganzen Clan, das Subsidiaritätsprinzip oder der ganze Wohlfahrtsstaat mit der Umverteilung, letztlich Teile der religiösen Weltanschauungen und vielleicht sogar das gesamte ökonomisch-politische System. Hier gibt es große Autoren, die sich damit befasst haben. Einer der letzen bekannteren, wenn auch nicht unkontroverseren, Autoren dürfteRawls4 gewesen sein.
[9]
Betrachten wir die gesammelten Ausführungen und Ideen, so könnten wir zu der nachfolgenden Liste kommen. Wir haben in diversen Seminaren und durch Interviews in den Jahren 2006 bis 2010 versucht zu erfragen, was denn Gerechtigkeit ausmacht bzw. was die Dimensionen der Gerechtigkeit sind. Auch hierzu verweisen wir im Detail auf die im Juli 2011 erscheinende Publikation. Etwas genauer gesagt haben wir in den Jahren 2006 bis 2010 Personen anhand von Textpassagen aus der Literatur und zu aktuellen Ereignissen (Steuererhöhung, Katastrophen) die offene Frage gestellt

  1. Was würden Sie als gerecht / fair empfinden?
  2. Über welche Eigenschaften muss ein Mensch verfügen, damit er diese Situation so einschätzt wie Sie?
  3. Wie müsste man einen Roboter konstruieren, damit er die Situation ähnlich einschätzt?
  4. Erstellen Sie ein Cluster-Bild dieser Dimensionen / Determinanten.
[10]
Daraus konnten wir u.a. die folgenden Antworten generieren:

  • Bewusstsein und Wahrnehmung
  • Vergleichen können / Vergleichsmaßstab haben
  • Leid – Glück erleben / verstehen können
  • Historizität / Wissen haben
  • Subjekt – Objekt-Spaltung / Unterscheiden können
  • Soziale Status, Gemeinschaft vs. «Egoismus»
  • Güter und Leistungen, das Gefühl des Mangels
  • Ausgleich, Besserung, Neid
  • Schicksal, Pech, Unglück, Zufall
  • Differenzierung.
[11]
Demnach ließe sich das menschliche Bedürfnis nach Gerechtigkeit durch das Zusammenspiel der oben genannten Dimensionen charakterisieren. Und wenn wir dem Resultat dieser Auswertung folgen, so könnten wir schlussfolgern, dass wir einen Ausgleich zu einem Ideal (d.i. Rolle oder Referenz) suchen. Bezogen auf eine solche Referenz oder ein Ideal, ganz im SinnePlatons , können wir (rasch) zwischen irreversiblen und reversiblen Begebenheiten unterscheiden. Denken wir beispielsweise an den Verlust von Geld oder Mobilität, aber auch an den Neid auf den ökonomischen oder zufälligen Erfolg, wie beispielsweise eine bessere Anstellung gefunden zu haben oder ein hoher Lottogewinn, den Börsenerfolg oder eine glückliche Beziehung zu haben, etc. So erkennen wir, dass die irreversiblen und reversiblen Bereiche auch quantitative Aspekte aufweisen, sei es als Kompensation zur Wiederherstellung des alten Status oder zur Beschwichtigung oder einfach zum Ausgleich und zur weiteren sozialen Teilhabe. Es scheint so, als ob der eingen, mental nicht zwingend offensichtlich, kurz der eigene, verborgende Maßstab eine nicht zu unterschätzende Funktion einnimmt. Aus dem Neid leiten sich Emotionen wie Hass, Unzufriedenheit, aber auch Ansporn ab. Die Zielkomponente hier könnte der Status, der Besitz, also auch teilweise eine Quantität sein. Wir können kurz zusammenfassend sagen, dass die «Un-Gerechtigkeit» quantitative, qualitative und metaphysische (damit auch ontologische) Komponenten enthält, d.h. alles was uns die Gesellschaft nicht ermöglichen kann, will oder es außerhalb von ihr liegt.
[12]
Halten wir fest: Gerechtigkeit setzt das Empfinden von Ungerechtigkeit voraus, d.h. es bedarf der Wahrnehmung eines selbst, des jeweiligen Zustandes und Status sowie der Spiegelung des anderen hinsichtlich dieser Wahrnehmung und Attribute. Alles bezogen auf einen Maßstab und im Kontext sozialer Interaktionen (und Hierarchien). Gerechtigkeit hat also immer eine quantitative Komponente. Ausgleich ist eine Frage des Maßstabes.

1.3.

Welche Maßstäbe haben wir? ^

[13]
Die Frage nach der Bedeutung der Normalverteilung sowie ihrer unterschiedlichen Maße der Dispersion und ihre Konsequenzen für die Bewertung von Vermögensgegenständen und Wertpapieren führte uns über die Studien vonPareto zu der Feststellung der enormen Bedeutung des mathematischen Proportionalitätsansatzes der Antike. Damals galt das Prinzip des Einklanges der Sphären. Was im Himmel zu finden ist, sollte seinen Spiegel auf Erden haben und umgekehrt. Die Harmonie der damals bekannten sieben Planeten und der Verlauf der Gestirne mussten sich in gleicher Weise in der irdisch materiellen wie sozialen Welt widerspiegeln. Die Proportionalität von Größen ist natürlich ein ebenso wohlbekannter Ansatz in der Physik. Ein historischer Streifzug durch das Taxationsrecht von der Antike bis in die Gegenwart auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland warf die Frage auf, ob es überhaupt einen anderen Denk-Ansatz gibt. Die WanderausstellungJüdische Mathematiker in der deutschsprachigen akademischen Kultur5 , die wir zusammen mit Herrn Prof.Schottenloher, LMU München, für München (Herbst-Winter 2008–2009) koordinierten, gab dann den Anlass für die nachfolgend skizzierte empirische Erhebung.
[14]
Zum einen wollten wir wissen, wie sich die Probanden in der nachfolgenden Situation verhalten würden.
[15]

Fragestellung:

Eine Unternehmung, an der drei Personen (Sie und zwei weitere) beteiligt sind, ist in Konkurs geraten. Es gibt die folgenden Ansprüche – Person A: 100 GE, Person B 200 GE, Person C: 300 GE.

  1. Wie würden Sie das Restvermögen in Höhe von 600 GE verteilen?
  2. Wie würden Sie das Restvermögen aufteilen, wenn es weniger als 600 GE wären?
  3. Bitte begründen Sie, welche der nachfolgenden Zuteilungen ihrer Meinung nach fair sind:

 

 

1.

  • Jeder trägt den gleichen absoluten Verlust
  • Jeder erhält den gleichen Anteil
  • Eine überproportionale Zuteilung wie wir es aus der Steuerprogression kennen
  1. Gemäß der totalen Verluste (je höher, desto mehr)
  2. Gemäß des Anspruches ( je höher, desto mehr).
[16]
Interessanter Weise gab es auf den Begründungsteil in der Fragegruppe 3.d) keine nachvollziehbaren Antworten. Die Antworten bewegten sich bis auf recht wenige, aber durchaus interessante Varianten zumeist in recht floskelhaften Formen:

  • Was sonst?
  • So ist das halt.
  • Etwas anderes wäre nicht fair.
  • Sonst würde man die Beteiligten nicht gleichbehandeln.
  • Woher kommt das Geld?
  • Wer sind die beteiligten Personen?
[17]
Eine weitere wichtige Beobachtung, die wir den Interviews entnehmen durften, ist, dass nie das Verfahren selbst hinterfragt worden ist. Die in dem Fragenkomplex 3.d.i und 3.d.ii) adaptierte Steuerprogression wurde nie als fair angesehen. Ob das nun an dem Verfahren selbst oder an dem Hinweis mit der Ähnlichkeit zur Steuerprogression lag, ist sicherlich nicht eindeutig zu beantworten.
[18]
Auch hier können wir festhalten, dass jeder eine explizite Vorstellung von Gerechtigkeit hat. Wünschenswerter Weise sollte diese kulturübergreifend sein und nur nach einem einzigen Maßstab vonstattengehen. Insbesondere die Verteilungsgerechtigkeit, aber auch die des rechten Straf-, Sühne-, oder Abschreckungsmaßes, ist immer Gegenstand des Denkens und Empfindens. Dass es keinen einheitlichen Wertemaßstab gibt, erkennt man beispielsweise im Schrifttum, wenn man die gelebte griechisch-antike Zuteilungsidee mit der talmudischen, der islamischen oder auch der vielen anderen Kulturkreise vergleicht. Hier gibt es im ersten Hinblick enorme Differenzen. Quantität hin, Maßstab her, wie kam es zu dieser Entwicklung und was waren ihre Nebenfolgen?

1.4.

Wie kam es dazu, dass die Quantität eine Facette der Gerechtigkeit wurde? ^

[19]
Im Nachfolgenden werden wir aus Platzgründen nur in kurzen Tendenzen die Entwicklung der jüdischen und der griechischen Vorstellungswelt charakterisieren. Die hier nur kurz dargestellten Traditionen und die bedauerlicherweise Weggelassenen werden wir in einer umfangreicheren Publikation in angemessenerer Weise würdigen.

1.4.1.

Der Alte Orient ^

[20]
Um die Entwicklung des Begriffes der Gerechtigkeit, welcher mit der Entwicklung des Rechts und der Humanisierung einhergeht, etwas zu plausibilisieren, starten wir unsere Reise durch die Zeit und Kulturen im alten Orient. Diese Entwicklung betrifft insbesondere auch die Quantifizierung des Rechts und die quantitative Facette der Gerechtigkeit. Wie oben dargelegt, sehen wir die Empfindung der Ungerechtigkeit sozialer Aktionen und Urteile als primäre Ursache und demnach als primären Begriff und die Gerechtigkeitsempfindung als sekundären Begriff. Für uns gipfelt diese Entwicklung der Auseinandersetzung mit der Frage nach der sozialen Aktion und ihrer Wertung innerhalb des alten Orients in zwei großen historischen Hinterlassenschaften. Eine davon sehen wir in der Prophetie Israels und die zweite in der Entwicklung der griechischen Stadtstaaten. Beide prägten das Bild der Welt seit einigen tausend Jahren nachhaltig.
[21]
Das allgemeine Weltbild des alten Orients war, dass man den unabänderlichen Satzungen und der Regelungen der Gottheiten bzw. eines Gottes ausgesetzt war und sich diesen fügen musste. Offen lassen wir in dieser Darstellung die spezifischen Weltbilder und ihre Auswirkungen auf die sich entwickelnde Wissenschaft und ebenso die speziellen Rechtsfiguren, die letztlich auch die Entwicklung der Argumentation und des logischen Schließens beeinflussten.
1.4.1.1.
Mesopotamien ^
[22]
Unser Wissen über den babylonischen Rechtsalltag in dem ersten Drittel des 2. Jahrtausends basiert auf den Gesetzessammlungen von Isin, Eschnunna und dem Kodex Hammurabi. Die bis dato bekannten Keilschriften beziehen sich überwiegend auf ökonomische Rechtsakte zwischen Personen und Handelskolonien.6
[23]
Das babylonische Reich bestand aus Stadtstaaten und Vasallenstaaten. Es gab dort sicherlich keine lineare oder homogene Entwicklung des Rechtswesens oder der Bewertung sozialer Interaktionen. Diese Einheiten kreierten sich innerhalb ihrer Tradition und durch Setzung eines eigenes, wenn sicherlich auch untereinander verwandten normativen Bewertungssystems. Erst die Großkönige von Ur III unternahmen den Versuch der Vereinheitlichung und Harmonisierung. Doch keineswegs geschah das ohne inhumane Rückschritte wie beispielsweise das Kodifizieren des teilweise abgeschafften Talionsprinzips im Kodex Hammurabi. Hier erkennen wir auch, dass Versuche der Vereinheitlichung immer einen Kompromiss bedeuten. Dieser Kompromiss kann aber auch so gelesen werden, dass es um die Konkurrenz von Bewertungsmaßstäben und deren Nivellierung in ein einheitliches Schema gegangen ist. Eine solche Nivellierung wird denen, die einen mehr humaneren Maßstab angelegt haben, nicht davon abgehalten haben, solch eine Regelung nicht im vollen Sinne anzuwenden, sondern es als Abschreckung anzusehen. Eine insbesondere in internationalen Gremien auch heute noch aktuelle Problematik, der Umgang mit pluralen Bewertungsprinzipien und Maßstäben.7
[24]
Verglichen mit unserer heutigen Wirtschaft- und Gesellschaftsform verfügten die Mesopotamier bereits über ein sehr modern anmutendes Wirtschafts- und Handelssystem mit allen positiven wie negativen Begleiterscheinungen. Der biblische Prophet Hesekiel8 warnte in seiner Sozial- und Kulturkritik vor den Folgen des Booms und der Expansion. Seine Kritik dürfte zumindest den Ausbau des Güter- und Obligationsrechts mit initiiert haben. (Im Kodex Hammurabi, §7, wurden Schuldrecht und schriftliche Beurkundung von Transaktionen sowie deren Freiwilligkeit im babylonischen Dialogverfahren eingefordert.)
[25]
Die Bürger kannten das Grundpfand sowie das Sklavenpfand. Dieses konnte aber auch durch den materiellen Kaufwert der Leibeigenen ersetzt werden.9 Das Miet-, Tausch-, und Kreditwesen mit seinen auf Schuld und Zinsen basierenden Vertrauens- und Austauschverhältnissen erfuhr eine rege Nutzung. Diese intensive Inanspruchnahme führte zu einer Standardisierung und Verklauselung und letztlich zu Standardformularen und festen, regelbasierenden Schemata.
[26]
Um den Wucher zu begrenzen und den ausufernden Boom etwas abzukühlen, wurde versucht, das Zinswesen zu normalisieren. Die festgelegten normalen Zinssätze (20% für Silber und 1/3 für Getreide) wurden durchwegs überschritten.10
[27]
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es scheinbar in dem ökonomischen System des alten Mesopotamiens in den Grundzügen dieselben Probleme und Fragestellungen auftraten, welche wir auch heute in unserer globalisierenden Ökonomie antreffen. Trotz diverser Rückschläge und Rückschritte ins Inhumane können wir dem Ausbau des Rechtswesens eine Verfeinerung attestieren, ohne dass es eine institutionalisierte oder wissenschaftliche Jurisprudenz gegeben hatte. Im Gegenteil, es basierte auf Tradition und Gewohnheit und passte sich den Gegebenheiten und Anforderungen der sozio-kulturellen Entwicklung, wenn auch sicherlich nicht zeitgleich oder progressiv, an. Es fehlten Rechtsschablonen, Begründungen, Darlegungen und generell eine theoretische Erfassung. Die sicherlich spannende Frage, die sich hier anschließt, beläuft sich auf die Bewertung und die zugrundeliegenden Maße sowie deren adaptierte, sich wandelnden Metriken und Maßstäbe. Denn was und in welcher Quantität wir dieses als angemessen ansehen, basiert u.a. auf dem Vergleich, den Lebensbedingungen und der persönlichen Einschätzung und Teilhabe an der Gesellschaft sowie deren Wert aus der Sicht eines jeden Partizipierenden.
[28]
Das Recht, die Ordnung und die Gerechtigkeit galten als Gabe und Setzung der jeweiligen lokalen Gottheiten an die Menschen. Eben diese Gottheiten waren auch der (metaphysische oder außerweltliche) Garant und letztlich die Hersteller von Recht und Gerechtigkeit. Es verwundert nicht, dass aus diesem Grund der Tempel, das Stadttor (als Eintritt in das Herrschaftsgebiet des lokalen Gottes) und bei den Gottkönigen der Königshof, die Austragungsstätte von Rechtsfragen, Prozessen und (Wahrheits-)Ordalen war.11 Auf einen interessanten Aspekt möchten wir hier noch hinweisen, wenn durch ein Ordal eine Gottheit, die als Hersteller der Ordnung und Bezwinger des Chaos galt, gerufen wurde und somit just in dieser Frage aktiv eingreifen sollte12 , übergab man letztlich die Entscheidung auch der Unbestimmtheit bzw. dem Zufall. So würden wir das mit unseren heutigen Worten beschreiben. Demnach behielt diese Unbestimmtheit einen mehr oder weniger ausgeprägten Einfluss auf die Entscheidung. Die Frage bleibt berechtigt, ob wir in unserer heutigen Gerichtsbarkeit weniger Beliebigkeit oder Unbestimmtheit antreffen. Sind unsere heutigen Verfahren fairer oder gerechter?
[29]
Mit der Expansion des Reiches und dem damit einhergehenden Ausbau der königlichen Machtposition schwand nicht nur die Bedeutung und der Einfluss der lokalen Herrscher, sondern auch, oder insbesondere der Priester auf die Rechtsprechung. Letztlich hatte die Priesterschaft nur noch die formale und abschließende Schwurformel zu leisten und so zu garantieren, dass dies im Kontext des Willens des lokalen Gottes geschah. Beamte und Richter nahmen am Königshof ihre Funktion wahr und führten die von den lokalen ältesten Gerichten überwiesenen Prozesse.13
[30]
Die besondere Stellung der Frau in der neubabylonischen Gesellschaft ist zum Teil ein Relikt aus der Zeit der Göttinnen. Frauen konnten nicht nur als Priesterinnen, Richterinnen oder Statthalterinnen in Erscheinung treten, sondern waren den Männern in Rechten und Vermögen nahezu gleichstellt.14 Eine darunter ausgezeichnete Stellung hatte die Hohe Priesterin inne. Erst unter dem späteren (west-)semitischen Einfluss verschlechterte sich die Stellung der Frau. Eine Tötung der Frau bei Ehebruch gab es in Babylonien nicht. Ihre Haftung für Schulden des Mannes wurde auf drei Jahre Schuldknechtschaft begrenzt.
[31]
Anders stellte sich die Situation der Frau in Assyrien dar. Hier wurde der Wert von Leib und Leben gering geschätzt. Auch die Eheschließung unterlag einer Standardisierung und wurde auf einer Art Standesamt geschlossen. Damit wurde die Rechtssicherheit der Frau gestärkt. Das von der Frau eingebrachte Vermögen durfte der Mann nur verwalten und nutzen. Das Recht kannte den Ehebruch nur asymmetrisch von der Seite der Frau. Hier ist wohl auf die Erbfolge und die Rechtssicherheit des Mannes und seiner Erben kodifizierend eingegangen worden. Ehebruch war demnach ein Privatdelikt gegen den Mann und das Männerrecht. Obwohl das Recht bei Ehebruch in unterschiedlicher Ausprägung den Tod der Frau oder des Liebhabers forderte, belegen die Dokumente nicht nur die Häufigkeit der Klagen gegen Ehebruch, sondern auch das relativ milde Strafmaß wie Sklaverei, Knechtschaft oder Strafzahlung an den Ehemann.15
[32]
Die Adaption in Assyrien war auf eine auf Vermögensnachfolge ausgerichtete Handlung und oftmals eine Strategie, Verkaufsverbote für Lehen zu umgehen. Eine Erbteilung konnte der Vater schon zu Lebzeiten vornehmen und sich so von seinen Kindern eine Leibrente auszahlen lassen. Meist war eine Gleichbehandlung unter den Kindern vorgesehen. Zumeist ging es um Söhne; doch gab es auch Regionen und Epochen, in denen Töchter gleichgestellt waren. In Assyrien, Mary und Nippur gab es das Vorrecht des Erstgeborenen, welcher einen zusätzlichen Erbteil zugesprochen bekam. Wenn Töchter nicht die Erbnachfolge antreten durften, so war für diese eine Entschädigung vorgesehen. Selbst anerkannte und freie Kinder von Sklavinnen konnten am Erbe partizipieren.16 Hier kommt auch schön zur Geltung, wie sehr Substitution und Bewertungsmaßstab den Verteilungsprinzipien und dem sozialen Ausgleich zu Grunde liegen. Und was wesentlich bedeutsamer ist, dass es sich keinesfalls um ein einfaches oder glattes Maß handeln muss.
[33]
Generell galt, dass immer wiederkehrende Verträge durch floskelhafte Formulierungen und schließlich durch fixe Formeln, Formulare und Schemata standardisiert wurden.17 Darin kann eine weitere Entwicklung der Rechtsfigur gesehen werden. Die rechtliche Progression im Sinne einer Humanisierung des Gesetzes im Stil der neubabylonischen Auffassung bzw. der Ausarbeitung des rechtlichen Denkvermögens im Kodex Hammurabi stellt leider keine generische Entwicklung dar. Im Stadtrecht Assurs haben wir eine festere Tradition der schriftlichen Fixierung, aber weder den Stand an Humanität Babylons noch die Rechtsfigur oder das Denkvermögen wie im Kodex Hammurabi.
1.4.1.2.
Das Reich der Hethiter ^
[34]
Auch bei den Hethitern haftete Recht und Gesetz der Nimbus des göttlichen Ursprunges an, obwohl in den kodifizierten, präambellosen Abschriften kein Hinweis auf eine göttliche Verkündung dieser Setzungen existiert.18 Man kann nun spekulieren, dass wohl durch die babylonischen Vorstellungen beeinflusst der Sonnengott als Vertreter und Walter des Rechts galt. Einzigartig in ganz Mesopotamien dürfte gewesen sein, dass sich diese Rechtssetzung und Gerechtigkeit nicht nur auf Menschen, sondern bis auf das Tierreich bezog.19 Hier treten also auch die Tiere in die moralische Sphäre ein, zumindest peripher. Der Einfluss des babylonischen Rechts erstreckte sich allerdings nicht auf den Bereich der Wirtschaft. Hier sieht man sehr schön, dass sich die Handelspraktiken und ihre Maßstäbe als gelebte und tradierte Werte nicht einfach einer autoritären, externen Setzung beugen, da es sich hierbei um fest im kollektiven Gedächtnis verankerte und praktizierte Werte handelt, deren Änderung nicht ad hoc vollzogen wird.20
[35]
In der zweiten Hälfte des 13. vorchristlichen Jahrhunderts wird für einen getöteten Menschen keine Ersatzperson mehr gefordert, sondern ein Wergeld festgelegt.21 Diese Substitution ist ein weiterer und bedeutsamer Schritt in der Quantifizierung der Gerechtigkeit und ein Beleg für die tendenzielle Möglichkeit einer Entwicklung des Rechts. Doch kann man das bereits als einen Beleg für eine Humanisierung desselben ansehen? Prinzipiell ging es dem Strafrecht um Entschädigung und es ist nicht mehr nach dem Talionsprinzip gehalten.
[36]
Und doch ist auch noch die metaphysisch-göttliche Sphäre der Gerechtigkeit präsent; nicht nur das Recht unter Menschen hatte Geltung. So wurden auch noch die rituell-magische Reinigungszeremonien, um Blutschuld zu tilgen und deren Folgen abzuwehren, durchgeführt. Die Todesstrafe selbst war nicht abgeschafft, sie blieb bestehen für Vergehen in der Sphäre der Tempel, Gottheit und gegen den König. Kurz, wer sich gegen die Symbole (Institutionen) der Regelsetzung vergeht, der wird endgültig aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Ferner war immer noch das Wahrheitsordal als Schnittpunkt zwischen Menschrecht und göttlicher Intervention, so die Schriftquellen, praktiziert worden.22
[37]
Verantwortung des Einzelnen wie auch die Kollektivhaftung waren gültige moralische und rechtliche Prinzipien. Im Gegensatz zur Tradition der patriarchalen Familienordnung sind bei eherechtlichen Bestimmungen, welche wohl dem Kodex Hammurabi entlehnt sind, Vater wie auch die Mutter der Frau gleichberechtigt genannt. Das wird aus ökonomischen und politischen Gründen verständlich durch das Übergreifen des Hethiterreiches auf die babylonische Welt unterMursil I . Unter dessen Reich-Expansion kam es zu einem Zuzug wohlhabender Frauen in die Reichshauptstadt.23
[38]
Desweiteren lässt sich eine pragmatische Art der Rechtsmodernisierung erkennen. Veraltete Bestimmungen wurden nicht weiter schriftlich fixiert und so dem Vergessen übergeben. Ein Vorgehen, dass unsere aktuelle Debatte über die Fristigkeit von Gesetzen und einem vergessenden Internet uns doch zu denken geben sollte. Obwohl es noch keinen homogenen Rechtsraum im Reichsgebiet gab, konnte man schon Vorformen der Standardisierung durch die Verwendung des (Regel-)Konditionals («Wenn X») bei Bestimmungen erkennen.24
1.4.1.3.
Kanaan und Israel ^
[39]
Die Laienrechtspflege in Zivil- und Strafrechtsfragen war einer jeder Bürgerpflichten des freien Kanaanäers, da sie den einzelnen Städten und Gemeinden oblag und es keinen ausgezeichneten juristischen Berufsstand oder juristische Verwaltungsorgane gab. Das könnte eine direkte Konsequenz des als unveränderlich angesehenen überlieferten Rechts sein. Unveränderlich, da es als direkte göttliche Setzung galt. Einzig in Prozessfragen wurden die Wahrheitsordale des lokalen Ortsheiligtums in Anspruch genommen oder direkt an den Königshof überwiesen. In seiner Substanz glich das Recht dem altbabylonischen, altsyrischen und hethitischen Recht; es entsprang einem vorderorientalischen Verständnis von Gerechtigkeit und Ordnung.25
[40]
Es gab keinen einheitlichen Rechtsraum. Das Recht war meist nicht kodifiziertes Gewohnheitsrecht. Als Quellen hierzu können wir fast ausschließlich auf die biblischen Aufzeichnungen zurückgreifen. Rechtsakte wurden im Rahmen öffentlicher Rechtsgeschäfte am Stadttor unter dem Vorsitz des Ältesten und unter vielen Zeugen, meist herbeiströmende Bürger, die nicht geführten Protokolle ersetzten (Gedächtnisprotokoll), in Geltung gesetzt.26 Ein mit der Einführung der Schrift in der israelitischen Königszeit aussterbender Brauch.27
[41]
Diese heterogene Gemeinschaft und das gesetzte System bedurften immer großer Herrschaftspersönlichkeiten, um Änderungen und Dynamik durchzusetzen. Nach der Eroberung Jerusalems und der Einigung der Stämme Israels unter der Legislatur Davids geschah beispielsweise solch eine Anpassung zwischen kanaanäischem und israelischem Recht.28 Hier wurde versucht durch eine Vermenschlichung des Rechts aus Israel nicht nur eine Gemeinschaft, sondern ein Volk zu machen, welches kraft wahrer Gerechtigkeit Gott gefällig lebt. Verbote des Zinsnehmens und dergleichen mehr, wie auch die weitere Quantifizierung des Rechts und die Einschränkung der Todesstrafe oder der Aufrechnung (Auge um Auge), waren weitere Beispiele dieses Bestrebens.
[42]
Der Justizmord an dem WeinbauernNaboth initiiert durch KöniginJesreel unter der Regentschaft des KönigsAhab29 gibt ein gutes Bild von den Missständen wider, welche sich schon im 9. vorchristlichen Jahrhundert in dem System der Laiengerichtsbarkeit manifestiert hatten. Ein Grund neben dem einfachen Beweisverfahren30 war sicherlich die zunehmende Ausdehnung und Heterogenität des Reiches und die wachsende Bevölkerungsdichte, welche nicht mehr die tradierte Stammes- und Gruppenzugehörigkeit und damit eine gerechte oder stammeskonformere Durchsetzung ohne Institutionen gewährleisten konnte. Die Propheten als Sprachrohr Gottes appellierten in ihrer Berufung auf Gott als höchste Instanz immer wieder an das persönliche Verantwortungsbewusstsein der Bürger31 und Mächtigen unter dem Hinweis, dass Israel aufgrund der ihnen gegebenen Satzungen die (ge-)rechte Verhaltensnorm kenne. Die erwünschte Wirkung konnte das leider nicht zur Gänze bewirken. Allerdings hat dieses Ringen um Gerechtigkeit erstmals in der Geistesgeschichte die Diskrepanz zwischen Recht, Gesetz und Gerechtigkeit transparent gemacht. Es sollte die Augen dafür öffnen, dass die Wirkung eines Gesetzes von der Gesinnung und dem Willen der Gemeinschaft abhängt und dass, um mitJeremia32 zu sprechen, die wahre Gerechtigkeit in den Herzen geschrieben stehen muss. Eine schon fast sokratisch-pädagogische Feststellung. Ein prophetisch, schriftzentrierter Leitgedanke, dem sich später die pharisäischen Bewegungen und die sich daraus entstammende Gabriel- und Jesusbewegung anfänglich verschrieben hatten.
1.4.1.4.
Übergang ^
[43]
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich der Gerechtigkeitsgedanke mit dem Fokus auf der Bedeutung von Leib und Leben, dessen Endlichkeit und den Grenzen und Chancen der Substitution und den Grenzen und Möglichkeiten der Institutionen einhergeht. Es lassen sich gewisse Entwicklungsstufen nachvollziehen wie Talion, Rechtsstellung der Frau, die Ökonomie und die Entwicklung der Rechtsfigur. Diese Entwicklung ist nicht teleologisch durch Humanität, Wertschätzung und Abstraktion gekennzeichnet, sondern kann auch partiell wie in allen Bereichen Rückschritte aufweisen.
[44]
Aus Bronze wird Eisen und durch den Handel beginnt die griechische Welt zu erblühen. Der Übergang zur Eisenzeit am Ende des zweiten vorchristlichen Jahrtausends im Raum des Mittelmeerbeckens wurde von Kriegen und Migration begleitet, in dessen Folge das Reich der Hethiter und das Reich des Minos verschwanden. Die Bedeutung der einstigen Großmächte Ägypten und Babylon schwand, so dass andere Völker (u.a. die Hebräer, Assyrer, Phönizier und die Griechen) stärker in den Fokus der Weltgeschichte traten.
[45]
In der Epoche der Eisenzeit änderten sich auch die Kriegstechnik, das Militärwesen und die Produktionstechniken. Letzteres führte über kostengünstigere und effizientere Produktionsmittel zu gesellschaftlichem Reichtum, förderte den Handel und ermöglichte eine größere Partizipierung breiterer Gesellschaftsschichten. Kulturgüter blieben nicht länger eine Domäne einer exklusiven Beamtenschicht oder Priesterkaste. Infolge dessen wird die schwerfällige orientalische Schrift durch das leichter erlernbare lineare System des Alphabets ersetzt und Hart- oder Prägegeld eingeführt. Beides trug zur Belebung des Handels bei, was die sog. Seeräuber (wie die wandernden Völker in ägyptischen Texten auch genannt wurden) und kulturelle wie wissenschaftliche Stagnation und Rückschritte (im Falle der Kultur des Reiches Minos, deren Verwinden), meist Jahrhunderte lang, nach sich zog. Als diese Krise vorüber war, setzte sich die Entwicklung des alten Orients in den gewohnten Bahnen fort, so dass die aufkeimende Kultur Griechenlands ein neuer Fixpunkt wurde.
1.4.1.5.
Homer und Hesiod: Ordner und Klassifizierer der neuen Götter ^
[46]
Ob nun Homer alleine oder eine Autorenschaft hinter den wohlbekannten Epen Ilias und Odyssee steht, ist bis heute nicht bekannt. Allerdings scheint es gesichert zu sein, dass es sich bei der Erzählung des griechisch-trojanischen Krieges um ältere, mündliche Überlieferungen handelt, deren Ursprung bis weit in die mykenische Geschichte (bis 1200 v.d.Z.) hinein reichen und auch, dass sich epische Traditionen aus dem Nahen Osten identifizieren lassen. Diese Aufzeichnungen aus dem achten Jahrhundert erlauben uns einen Einblick in das Denken der Antike.33
[47]
Hesiod, der im 8. oder 9. vorchristlichen Jahrhundert lebte, verfasste neben anderen die Theogonie, welche von dem Ursprung und der Genealogie der Götter und der bekannten Welt erzählte. Gemeinsam mit Homer beschreibt oder definiert er ihren Charakter und die ihnen obliegenden Aufgaben (Funktionen). Beeinflusst durch die epischen Werke dieser Autoren wählten die Griechen aus der Vielzahl der lokalen Gottheiten nach der Einigung die zwölf Götter des Olymps zu ihren Göttern. Diese wiesen nicht nur anthropomorphe Züge und Charakteristika auf, sondern spiegelten auch die symmetrische, fatalistische Denkweise der Menschen wieder:

  • Himmel: oben – Ursprung des Wetters, Lichts, Regens
  • Erde: hier – Leben
  • Unterwelt: unten – die nicht Lebenden, Gräber.
[48]
Der Mensch sieht sich als eine Marionette, ein Spielball, der Naturgewalten und der dafür verantwortlichen Götter, welche dem Chaos entstiegen sind. Er fühlt sich in diese unkalkulierbare Welt geworfen und sieht in ihr überall üble Gesellen, die ihm das Leben erschweren, kurz, er lebt in einer personifizierten Welt, in welcher der pure Zufall, d.h. in diesem Sinne die undurchschaubare göttliche Willkür, herrscht. Wir sind geneigt zu behaupten, dass es den Anschein hat, dass die Götter das Entstehungschaos noch auf den Menschen übertragen und es noch nicht überwunden ist. Trotz dieses schieren Pessimismus leisten diese Balladen etwas Erstaunliches: sie ordnen und klassifizieren, vereinheitlichen und strukturieren. Damit wurde eine kultische Entscheidungsgrundlage geschaffen, die dem Ringen um Begriffe und Ideen den Weg bereitete.34
1.4.1.6.
Die Vorsokratiker oder die Geburt der Philosophie ^
[49]
Im 6. Jahrhundert (v.d.Z.) entstand in dieser mythologisch geprägten Denkweise eine neue, die philosophische. Einige Menschen, von denen uns insbesondere Thales, Heraklit und Pythagoras bekannt sind, begannen, die sie umgebenden Welt kritisch zu reflektieren. Sie fragten nach den Grundbausteinen der Welt und der Dinge, aus denen diese besteht, und den in ihr zugrundeliegenden Prozessen. Sie fragten sich, ob diese aus einer Einheit oder einer Vielheit besteht, stellten Vermutungen über ihren Ursprung an und versuchten Veränderungen und Prozesse zu verstehen, durch welche die Dinge entstehen oder sich ändern. Ebenso waren sie bestrebt, einzelnen Ereignissen generelle Ursachen, welche den Einzelfall verallgemeinerten, zuzuordnen. Sie versuchten Kausalitäten und Relationen, also Muster, zu erkennen. Im Bereich der Sprache und Grammatik waren sie bemüht, Regeln und Argumente aufzustellen und durch Beweisführungen sprachlich-grammatikalische Zustandsübergänge zu verstehen. Es begann auch die kritische Auseinandersetzung mit schemahaften Konditionalen, Rechtsfiguren, wie sie im Alltag einer Handelsmetropole vielfältig sein durften und Vertragsschemata sowie mit der Anwendung der sprachlich-grammatikalischen Reflektion auf diese.
1.4.1.7.
Platon, Sokrates und die Welt der Formen ^
[50]
Sokratessteht für eine Akzentverschiebung in der griechischen Philosophie. Doch er war nicht der Erste. Die Sophisten, unter ihnen insbesondereProtogoras (480–410 v.d.Z.), brachten eine erste Wende in dem mythologischen Denken, weg vom kosmologischen hin zum anthropozentrischen Denken. VonProtagoras wissen wir nur etwas aus den platonischen DialogenProtagoras undTheaitetos . Für ihn war weder der Logos noch das Sein, sondern einzig der reale, empirische (nicht der sittliche) Mensch das Maß aller Dinge. Dieses Denken ebnete den Weg für einen (gemäßigten) subjektiven wie auch werttheoretischen Relativismus. Die Idee einer objektiven Wahrheit lehnte er ab. Für ihn konnte nur das als wahr gelten, was der Mensch durch seine Sinne wahrnimmt. Wahrheit war damit auf ein wahrnehmendes, sensuelles Subjekt bezogen. Als Recht und gerecht galten folglich nur kollektive (mehrheitliche) Übereinkünfte. Die Mehrheit war demzufolge angehalten, darüber zu entscheiden, was als gleich und ungleich behandelt zu werden hatte. Sicherlich eine nicht besonders unproblematische Sichtweise, wenn man an die damit per definitionem stets unterrepräsentierten Minderheiten denkt und auch nicht zwangsweise von einem Großmut oder Weltethos einer Mehrheitsgesellschaft ausgehen kann. Und, nach welchen (nicht-) willkürlichen Prinzipien trifft diese Mehrheit ihre Entscheidung?35
[51]
Das war es, wasSokrates (469–399 v.d.Z.) vorfand. Er, der als Begründer der ethischen Reflektion gilt, baute seine Fragestellungen auf dem Denkgebäude der Sophisten auf, ohne allerdings ihren Pessimismus zu teilen. Anders gesagt, er verlegte den Denkschwerpunkt von Fragen der Kosmologie auf politische und ethische Fragestellungen. Durch die Akzentuierung des Inneren des Menschen, quasi ein erstes anthropologisches Denken, überwand er die Enge des Sophismus. Dadurch hielt er auch nicht mehr an dem unkritischen Glauben an eine sittliche Weltvernunft fest, versuchte aber durch sein Leitprinzip der Selbsterkenntnis und ihrer Überwindung den Zugang zu einer objektiven Wahrheitssphäre zu finden. Durch eben diese Hinwendung zu der Selbsterkenntnis war das ethisch-moralische Problem des objektiven Sittlichen mit der Frage nach dem Inhalt der Gerechtigkeit verbunden. Durch seine Lebensweise stellte er auch die Frage nach der Gesetzesgerechtigkeit in das Zentrum der (rechts-)philosophischen Diskussion. Denn, wie auch später für den ScholastikerThomas von Aquin36 so galt auch fürSokrates das Gesetz als eine Art des Gerechten. Demnach kam der Gehorsamkeit gegenüber dem Gesetz eine herausragende Bedeutung zu. Diese Bedeutung verbriefte er mit seinem Tod37 . Sicherlich sollte das nicht als absolute Setzung gelten, denn auch die Rechtssicherheit und das Verhältnis der Regelungen des Zusammenlebens in einer Gemeinschaft bedürfen der Balance. Wir möchten allerdings auch auf den Punkt hinweisen, der zumeist wenig Beachtung findet. Wenn die Gesetzesgerechtigkeit in dem Fokus der Diskussion steht, so geht es letztlich auch immer um Fragen des (ge-)rechten Maßes, der Rechtsfiguren und Schemata. Schemata und Rechtsfiguren führen uns zu den Fragen der Übergangsstrukturen in der Argumentation und der (empirischen) Evidenzen. Und damit letztlich auch zu dem Ethos der Gesellschaft und der Fragen der allgemeinen Akzeptanz. Wie viele und welche Evidenzen wir als gültig für ein Schema ansehen, ist letztlich auch ein sozialer und damit ethischer Spiegel der Gesellschaft; folglich ein Maß und Indikator ihrer Maßstäbe.
[52]
Platon (427–347 v.d.Z.), der uns bekannteste SchülerSokrates und Gründer der Akademie in Athen, hegte auch ein primäres Interesse an den allgemeinen Denkinhalten und weniger an dem subjektiven Meinen. Er setzt allerdings den Ursprung dieser allgemeinen Objekte nicht in den Menschen oder dessen Seele, wie das sein Lehrer tat, sondern spaltete diese von den Menschen und allen irdischen Dingen ab. Diese allgemein vorgelagerte Instanz, das wahre Seiende38 , waren die Ideen. Eine gute Illustration dieser Anschauung stellt das allgemein bekannte Höhlengleichnis dar: wir befinden uns im Schatten und können daher im ersten Schritt durch unsere Erkenntnis nur schemenhaft die Quelle als das wahre Seiende, die Ideen (= Schablonen des Seins) erkennen.39 Die Blaupause zur objektiv-idealistischen Philosophie war gelegt. Der Demiurg stellte die (politisch-gesellschaftliche) Vermittlungsinstanz zwischen der Welt der Schablonen (also der reinen Form) und der verzehrten Realität (Sphäre des Werdens und Vergehens) dar. Hinsichtlich der Organisationsform des Staates und der Meinung zu den Mitgliedern der Gesellschaft vertrat er durchaus radikale und wenig schmeichelhafte Ansichten.
[53]
In das Reich der Ideen sind auch die Rechtsidee und die Idee der Gerechtigkeit verwiesen. Anders als Sokrates misstraut er aber dem Gesetz – genauer gesagt dessen Vagheit – und sieht einzig in dem stilisierten Demiurgen eine Instanz, die Gerechtigkeit und Gleichheit garantieren kann.40 DochPlaton kommt das Verdienst zu, die Proportionalitätenlehre in seinem AlterswerkNomoi angedacht zu haben. Hier diskutierte er das Gleichheitsproblem, das für das griechische Denken als fast synonym für die Frage der Gerechtigkeit angesehen werden kann. Denn, trivialerweise, soll oder muss man Gleiches gleich behandeln. Andernfalls würde man eine künstliche Ungleichheit schaffen und für Disharmonie sorgen. Für ihn konnte Gerechtigkeit keine numerische Größe sein, sondern einzig eine proportionale Gleichheit. Das entspringt eindeutig dem griechischen Ideal der Harmonie, die ihren Ausdruck in der Verhältnisgleichung hat. Wenn das aber so ist und die Mathematik in das Zentrum der Betrachtung rückt, wird man fragen: Wieso sprach er sich dann gegen eine numerische Gleichheit aus? Zahlen sind spätestens seitPythagoras auch als ideale Gebilde in der Diskussion. Doch spricht für diese SichtPlatons einfach, dass es nicht um eine reine Zuordnung von Kardinalität und Gewichten geht, denn diese können sich ändern wie jedes Wahlbarometer. Unserer Meinung nach drücktPlaton hier den Wunsch nach einem Maß, einer allgemeinen Metrik, einer generellen Regel oder idealen Figur aus. Diese Metrik arrangiert auch numerische Werte, allerdings nicht beliebig, sondern indem sie eine Schablone kreiert. Eine GrundforderungPlatons war es allerdings, dass diese so generisch entstandene Schablone ausbalancierend wirken muss und folglich auch so konstruiert sein sollte.
1.4.1.8.
Aristoteles ^
[54]
UnterPlatons Schülern stach insbesondereAristoteles (384–322 v.d.Z.), der Stagirit, hervor. Ihm sollte es auch vorbehalten sein, die vonPlaton angedachte Proportionalitäten-Lehre auszubauen. Allerdings, so behaupten wir, nicht unbedingt in der vonPlaton angedachten Art und Weise. Aristoteles steht zweifelsohne für den Höhepunkt des naturrechtlichen Denkens. Die IdeenweltPlatons griff er zwar auf, aber akzentuierte diese entscheidend um. Gab es fürPlaton eine Dichotomie zwischen (reiner) Form und Stoff (Materie), so lehrteAristoteles dessen Einheit bei allem Seienden. FürPlaton war das Ideal, die Idee etwas Schablonenhaftes, Außerweltliches. FürAristoteles hingegen fand man in der Natur immer die vollendeteste Form der Wirklichkeit einer Entität vor. Und demnach war das Naturgemäße immer der allerbeste Zustand.41
[55]
Folgerichtig war für ihn die Unterscheidung zwischen natürlicher und gesetzlicher Gerechtigkeit. Er folgte der skeptischen LiniePlatons hinsichtlich der Vollkommenheit von (menschlichen) Gesetzten und ihrer unverbrüchlichen Gültigkeit. Beispielsweise forderte er, dass gesetzliches Unrecht durch Billigkeit zu korrigieren sei.
[56]
Im 5. Buch seiner Nikomachischen Ethik42 entwickelteAristoteles seine Gerechtigkeitslehre. Den Kern dieser Lehre bildete wie schon zuvor beiPlaton die Gleichheitsfrage. FürAristoteles war diese Gleichheit auch, dem Ideal der Harmonie entsprechend, eine geometrisch-analogische. Sie konnte durch die Proportionalität zum Ausdruck gebracht werden.43 Das lag sicherlich daran, dass damals die Geometrie und ihre Proportionenlehre das vorherrschende mathematisch-astronomischen Verfahren war. Hier erkennt man aber auch wie sehr der alte und nicht unproblematische Analogieschluss44 seine Bedeutung in der Gerechtigkeitslehre einfordert. In dieser Hinsicht bleibt er der AuffassungPlatons treu. Recht in seinem Sinne kann nie etwas Extremes oder Polarisierendes sein, sondern eine Art Durchschnitt, das der Korrektur bedarf.Aristoteles erkannte den GrundgedankenPlatons hinsichtlich des Maßes, allerdings fehlten ihm die formalen und strukturellen Begriffe und Mittel, dies auszudrücken. Das Maß, das die Proportion erfordert, diese Maßgeblichkeit nennt er die Würdigkeit.45 Doch durch diese Umformulierung alleine kommt er auch nicht über die KonzeptionPlatons hinaus. Denn Würdigkeit ist immer noch ein Begriff, welcher der Willkür ausgesetzt ist, eben ein Werdendes und kein Seiendes. In die Schablone der Proportionalität werden die zueinander in Relation gesetzten Begriffe mit Hilfe des Analogieschlusses eingesetzt.
[57]
Die Gerechtigkeit (iustitia ; im engeren Sinne aber die Gleichberechtigung) lässt sich nach der aristotelisch-aquinischen Gerechtigkeitsinterpretation wie folgt charakterisieren:

  1. Ausgleichende Gerechtigkeit (iustitia commutativa ;Aristoteles )
    Gleichheit aller vor dem Gesetz (= Tauschgerechtigkeit). Dies bedeutet anschaulich die Bilanzgleichung: Leistung = Gegenleistung. Beispiele sind gleicher Preis bei gleichen Waren, Schaden und Ersatzleistungen.

  2. Austeilende Gerechtigkeit (iustitia distributiva ;Aristoteles )
    Gleichheit innerhalb einer Zweckgruppe. Beispiele sind unterschiedliche Besteuerung, Tarifverträge mit ihren Clustern nach Alter, Familienstand, etc. Die Bilanzgleichung von Punkt a) wird hier eigentlich durchbrochen oder kann spätestens seit Cicero (suum cuique tribuere ) als eine Verallgemeinerung dieser Form der Gerechtigkeit angesehen werden. Die Bilanzgleichung hier ist eine Gruppengleichung: Innerhalb des Mikrokosmos der Gruppe herrscht Gleichheit, zwischen den Gruppen Heterogenität und Diskrepanz; eigentlich eine Art der Legitimierung von Kasten und Ständen. Hier tritt das vage Prinzip der Würdigkeit in Erscheinung. Es tritt uns auch in Form der positiven wie negativen Diskriminierung entgegen (Minderheitenquoten, etc.).

  3. Gesetzeskonforme Gerechtigkeit (iustitia legalis ;Thomas von Aquin )
    Das Sokratische Opfer. Damit der Staat Bestand hat, muss der Einzelne ggf. auf Privilegien und Rechte sowie seinen Nutzen verzichten. Als Beispiel im Geltungsbereich des Deutschen Grundgesetztes würden wir auf Art. 14 Abs. 2 GG verweisen, der ausführt, dass Eigentum dem Wohle der Allgemeinheit zu dienen habe.
[58]
Fassen wir diese Charakteristika der Gerechtigkeit zusammen, so können wir festhalten, dass es ihr primär darum geht, innerhalb eines sozialen Systems dieses aufrechtzuerhalten und zu konservieren. Gerechtigkeit nach der obigen Definition scheint hier das oben skizzierte Phänomen der Ungerechtigkeitsempfindung als Triebfeder für das Sozialverhalten nicht zu berücksichtigen. Scheinbar greift eine Reduktion der Gerechtigkeit auf die Gleichheitsfrage zu kurz.
[59]
Das ist das Erbe, das sich der westlichen Kultur und dem Denken so sehr eingeschrieben hat. Aber nur dem westlichen Denken? Aus der oben dargelegten Studie können wir entnehmen, dass es scheinbar einen guten Einfluss auf viele Bereiche des interkulturellen Austausches gehabt hat. Es scheint, dass zwar das eigene kulturelle Wissen und Handeln nach den so geprägten Maßstäben latent vorhanden ist, im öffentlichen Austausch und Leben aber scheinbar in den Hintergrund tritt. Was könnten die Gründe dafür sein? Die Dominanz einiger Wertemaßstäbe; eine dem Vergessen anheim gegebene Kultur; oder gegenseitige Rezeption und kultureller Austausch? Vielleicht einige dieser Punkte, keiner davon oder ganz andere? Im Anschluss wollen wir uns der talmudischen Auffassung annähern. Zum einen, weil sie dem christlich geprägten Westen eigentlich nahestehen sollte. Letztlich ist dem aber nicht so, und doch erkennen wir ganz gut den fortlaufend interkulturellen Austausch, der in beide Richtungen verlief.
[60]
Offen in dieser Darstellung bleiben u.a. der asiatische und islamische Kulturraum. Letzterer allerdings übt auch indirekt durch die talmudische Auseinandersetzung mit dem Thema Gerechtigkeit einen gewissen Einfluss aus.

1.4.2.

Die zweite Gabelung: Der Talmud und das vergessene Erbe ^

[61]
Der Beitrag des jüdischen Volkes in der Antike zur Weltkultur war zweifelsohne sein (religiöses) Schrifttum, das monotheistische Gottesverständnis, die teleologische Geschichtskomponente und die ethische Maxime wie auch die religionstextliche Kommentierung.
1.4.2.1.
Philon von Alexandria: Platon und die Thora ^
[62]
Der Kontakt der unterschiedlichen Kulturen und Lebensweisen führt auch immer zu einem gegenseitigen Austausch. Zur Zeit des antiken Griechenlands gab es auch dort jüdische Exilgemeinden, die griechisch erzogen und gebildet waren und eine Synthese griechisch-hellenistischer und israelisch-jüdischer Kultur lebten, sich aber in der Tradition der Thora und mündlichen Lehre sahen. FürPhilon von Alexandria undAstrobul bedeuteten ihre beiden kulturellen Heimaten Herausforderung und Versuch zugleich.

[63]
Astrobulversuchte durch eine philosophische Reinterpretation des Pentateuchs diesen den griechisch sprachigen Juden als aktuell und nicht antiquiert nahezubringen. Immer mit der Angst, dass der Assimilationsprozess zur kulturellen und rituellen Selbstaufgabe führte. Als Stilmittel bediente er sich dabei der stoischen Allegorese. Also in der gleichen Art und Weise wie die Stoiker die Götter desHomer und desHesiods umdeuteten.46
[64]
Ganz andersPhilon . Seine Werke und Philosophie stellen eine sich positiv gegenseitig beeinflussende, Neues schaffende Durchmischung griechischer und jüdischer Philosophie dar. Sein Ziel war es, die Lehren des Judentums als die wahre Weisheit und die griechische Philosophie als ein Weg, diese zu erlangen, zu erweisen. Damit legitimierte er rationales Denken, zeigt ihr und weist diese aber auch zugleich in ihre Schranken. Eine Schablone für die spätere Patristik. AuchPhilon von Alexandria bediente sich wie zuvorAstrobul der stoischen Allegorese. Allerdings war seine Akzentuierung nicht die der Mythoserklärung, sondern wollte er die menschliche Erkenntnis und die göttliche Offenbarung zu einer Einheit verschmelzen. Ein wesentliches Merkmal dieser (wie jeder hellenistischen) Philosophie war die Ethik am Beispiel des Weisen und demnach war Gott der oberste Weise.47
1.4.2.2.
Das Meer des Talmud: Exil und Notwendigkeit des Konservierens ^
[65]
Das Judentum gilt primär als eine Rechtslehre. In den ersten sieben Jahrhunderten, in denen das jüdische Volk endgültig seine staatliche Unabhängigkeit verloren hatte und zerstreut in der Welt lebte, bildete es kulturell auch keine Einheit mehr und wurde mehr oder minder stark von der kulturellen Umwelt der neuen Heimat geprägt. In dieser Zeit kodifizierte das talmudische Judentum ihren tradierten mündlichen Wertekodex48 , um so ein Leben als kulturelle Einheit in einer anderen Kultur weiterführen zu können.
1.4.2.3.
Rambam oder Maimonides und das kodifizierte Vergessen ^
[66]
Moses ben Maimon (1135–1204), auch alsMaimonides ,Maimuni oderRambam (RMBM –R abbiM osesb enM aimon ) bekannt, zählt zu den bedeutendsten jüdischen Gelehrten des Mittelalters.49 Sein wissenschaftliches Schaffen hat nicht nur das Judentum und dessen Entwicklung maßgeblich beeinflusst, sondern u.a. überAlbertus Magnus undThomas von Aquin auf die europäische Scholastik eingewirkt.
[67]
Maimonides sah es als seine Aufgabe an, aristotelische Philosophie und die jüdische Offenbarungslehre zu synthetisieren. Er beschritt nicht den Weg der Identifizierung, wie es beispielsweiseAbraham in Daud erfolglos versuchte, sondern den der Kategorisierung. Er grenzte wissenschaftlich Erweisbares von dem ab, das als Offenbarung hingenommen werden musste.50
[68]
Die Auseinandersetzung der jüdischen Gelehrten mit der griechischen Philosophie hatte, wie wir bereits oben gesehen hatten, eine gewisse Tradition durch die hellenistischen Diasporagemeinden. Rambam selbst lebte in einer muslimisch dominierten Umwelt, die den andersgläubigen nicht in der offenen Art begegneten wie die griechisch-hellenistische Kultur.
[69]
Im etwa 8. Jahrhundert entwickelten sich im Islam Ansätze, um die bisher zumeist unreflektierten religiösen Vorstellungen mental-reflexiv zu durchdringen. Die Gesamtheit dieser Bestrebungen wurde als Kalam (Gespräch) bezeichnet. Die Anhänger dieser verstandesmäßigen Diskussion der Glaubensgrundsätze wurden Mutaziliten (die sich Absondernden) genannt. Im Zentrum ihrer Auseinandersetzung standen die Fragen nach der Einheit Gottes und der seiner Gerechtigkeit. Später wurde die Methode der Mutaziliten auch von ihren Opponenten, die einer wörtlichen Auslegung der Überlieferungen anhingen, verwendet. Die Herrschaft der Abbasiden beendete die Vorherrschaft der Araber innerhalb des Staates und ermöglichte, dass auch Konvertiten mit ihrem geistigen Hintergrund in Führungspositionen gelangen konnten. Etwas, was auch als Kalifat bekannt ist. Auf diesem offenen Hintergrund basierten auch die vielfältigen wissenschaftlichen und kulturellen Werke der islamischen Welt, an denen orientalische Christen und Juden durchaus einen großen Anteil hatten. Ohne diese Übersetzungstätigkeiten wären große Teile des orientalischen und hellenistisch-philosophischen Erbes für die spätere Reflektion verloren gegangen. Doch die kulturelle Blüte des Islam war keine direkte Folge der Vorschriften des Korans, sondern war stets abhängig von der Offenheit der gebildeten Herrschaftsklasse.51

[70]
Maimondeslebte zuerst in Cordoba und dann in Fes unter der Herrschaft der streng orthodoxen und intoleranten Almohaden. Das bewegte ihn, auch relativ lebensnahe und dadurch liberale Rechtsgutachten für die jüdische Minderheit zu verfassen. Es lag ihm am Herzen, unter menschlichen Gesichtspunkten das Überleben der Menschen und der eigenen Kultur in einer feindlich gesinnten Umwelt zu ermöglichen. Er war durchaus ein Kind seiner Zeit und sah sich selbst aber nicht als Philosoph, denn als solche wurden nur diejenigen bezeichnet, welche sich ausnahmslos insbesondere der aristotelischen Philosophie widmeten.52 Das sollte die soziale Basis sein, auf welcher er seine Modernisierung des jüdischen Rechts- und Moralkodex vornahm.

[71]
Maimonidesging mit der Zeit, erkannte aber, dass zentrale Aspekte wie der Gedanke der Teleologie und Beständigkeit sowohl in der jüdischen wie auch in der griechisch-philosophischen Tradition eine Harmonisierung zuließen. Diese Harmonisierung geschah allerdings auf Kosten alter tradierter Teile seines jüdischen Erbes, Regelungen und Kommentare, die er einfach als unzeitgemäß empfand und nicht weiter bearbeitete. Sie gerieten in Vergessenheit. Sicherlich bleibt offen, ob die Philosophie als Zuarbeiterin der Theologie zu dienen hat, um Wissenschaft und Religion zu harmonisieren. Andererseits ist es ihre ureigenste Aufgabe, als kultureller und interdisziplinärer Mittler zu walten. Damit bietet sie ein Forum an oder ist sogar dieses Forum, ist kritische Reflektionsfläche und vermag es, allgemeine Konzepte zu identifizieren. So ehrenwert und bedeutsam, vielleicht sogar für die Überlebensfähigkeit des Diasporajudentums existentiell,Maimonides Modernisierung auch war und ist, so hat er durch sein Unterfangen zumindest das weitgehende kulturelle Vergessen der oben genannten talmudischen und damit altorientalischen Zuteilungsmethodik53 besiegelt. Wie die empirischen Untersuchungen zeigen werden, war dieses Wissen nur in sehr wenigen Familien bekannt. Einzig in einigen wenigen gebildeten intertraditionellen Familien, die vielfältiges Wissen bewahrt haben. Vielleicht auch ein Anstoß an die Judaistik, dieses Wissen nicht gänzlich dem Vergessen zu übergeben und sich empirischer Feldforschung zu bedienen.

2.

Auf dem Weg zu einer Minimal-Theorie der quantitativen Gerechtigkeit ^

[72]
Und was haben wir bislang aus der Erkenntnis, dass es so etwas wie quantitative Aspekte gibt, gewonnen? Sicherlich, Quantitäten sind das herausragende Merkmal des Utilitarismus. Und ohne den eingeübten Umgang mit Austauschmitteln, Austauschrelationen und Geld wäre dieser Aspekt anders, aber er wäre dennoch vorhanden. So jedenfalls würden wir aufgrund der hier angedeuteten und in kürze veröffentlichten Tierstudien und der kultur- oder traditionsübergreifenden Analyse schließen. Doch was bleibt dann? Ein Wust an pluralen Maßstäben und Prinzipien, der uns zu der Dominanz eines Maßstabes führt; oder zu dem Versuch, einen Prinzipienmix anzuwenden, der allerdings auch wieder auf der Verwendung einer Zuweisungsvorschrift, also auf einem impliziten Maß basiert?54 Dieses ungute Gefühl wollten wir nicht auf uns beruhen lassen und konnten aus den vielfältigen Maßstäben einige gemeinsame Prinzipien gewinnen.
[73]
Das Ziel war es zum einen, sich auf die Suche nach einem übergreifenden Prinzip oder Maß zu begeben, um diese quantitative Ausprägung besser zu verstehen. Neben diesem explanatorisch-wissenschaftstheoretischen Anliegen war es aber auch der Gedanke, ein diplomatisches Werkzeug als Handreichung zu bekommen, um moderierend in interkulturellen Bewertungssituationen in Erscheinung treten zu können.
[74]
In dem ersten Teil dieser Arbeit haben wir durch den Verweis auf empirische Arbeiten auf den Aristotagen und durch eine historische Analyse zwei Hauptpunkte herausgearbeitet:

  1. Es scheint eine gestufte Ungerechtigkeitsempfindung bei Mensch wie Tier zu geben. Dieses Empfinden bezieht sich immer auf eine soziale Aktion, Zuweisung oder Partizipation. Demnach könnte man als Urform der Gerechtigkeit das soziale Empfinden der Ungerechtigkeit ansehen. Damit wir diese Art der Empfindung ausdrücken oder nachvollziehen können, müssen wir Operationen zur Beschreibung verwenden. Eine dieser Operationen ist der Vergleich. Die Kumulierung solcher Vergleiche ergibt schließlich eine implizite Liste voller vollzogener Bewertungen. Diese Liste muss weder widerspruchsfrei noch transitiv sein. Sie entstammt einfach einem gelebten, praktizierten und mehr oder minder adaptierten Vergleichsverhalten. Man kann sich das so ähnlich wie eine Liste aller impliziten Wünsche, die eine Person hat, vorstellen. Auch die Eintragungen in dieser Liste werden wohl nicht widerspruchsfrei sein, doch daraus ergibt sich zumal für die Wunschliste kein Problem. Warum? Schließlich können wir in jedem Moment nur einen Wunsch äußern und der wird uns erfüllt. Und es muss doch nicht gelten, dass der Wunsch für die Ewigkeit gelebt werden muss. 50 oder 100 Gramm Eiscreme der Lieblingssorte sind sicherlich fein, aber zu jeder Zeit? Dann bestellt man diese doch lieber wieder ab. Auch wenn wir oftmals den Terminus «zu jeder Zeit» gebrauchen, so meinen wir damit implizit, wohl, «wann immer es mich danach gelüstet». Weder die Wunsch- noch die Vergleichswerte-Liste werden also zwangsweise widerspruchsfrei sein. Aber das ist kein Problem, wie wir so eben gesehen haben. Und jeder einzelne Vergleichsvorgang (eine Operation) oder die gewonnene Einstellung durch solch einen Vergleichswert ist letztlich schon ein Maß resp. eine auf einem Maß basierte Erkenntnis oder ein Werturteil. Im historischen Kontext haben wir versucht zwei Beispiele für kulturelle Maße zu geben. Eines davon war das sehr einflussreiche Proportionalitätsmaß aus der philosophischen Tradition, das auf der Harmonie basiert. Das andere war das altorientalisch-jüdische Maß, in der es primär auf die Gleichverteilung der absoluten Verluste ankam. Interessanterweise setzte ein kultureller Ausgleich ein, so dass zwar als intellektuell diskutiertes Maß die Proportionalität und ihre Rückführung auf die Gleichheit bis dato dominiert, aber zumindest teilweise über dieiustitia legalis versucht wurde, das altorientalische Erbe (soweit es so verstanden wurde) als Treue- oder Verantwortungsprinzip zu verankern. Somit wurde eine mögliche Interpretation integriert. Die Zuteilung selbst geriet aber in Vergessenheit. Für eine Ausführung hierzu verweisen wir auf die noch ausstehende Veröffentlichung der Studie. Soweit es um Maße geht, scheinen wir sehr widersprüchlich zu sein. Oftmals verwenden wir die gelernten, offiziellen Maße, doch wenn es zu einer lebenspraktischen Situation kommt, dominiert meist eine Fülle inhärenter Bewertungsmaßstäbe, die den Wunsch nach sozialer Teilhabe und Anerkennung ausdrücken. Diese lassen sich nicht durch ein übergreifendes Maß darstellen oder abbilden.

  2. Natürlich setzen wir hier nicht die formalistischen Ansprüche der Maßtheorie oder irgendwelcher besonderer Relationen wie die der Transitivität voraus. Solche vereinheitlich-vereinfachenden Regeln werden später aus dem reichen Meer der pluralen Formen und ihrer Abstraktion gefischt.

  3. Historisch lässt sich eine Tendenz erkennen. Die Quantifizierung des Rechts, d.h. das materielle Substitut, geht mit einer Humanisierung der Gesellschaft und der Akzentuierung des Individuums (des Lebens) einher. Das drückt sich unter anderem in der Charakterisierung der Gerechtigkeit durch das Gleichheitsproblem aus. Wir haben auch gesehen, dass der quantitative Aspekt der Gerechtigkeit, also unter anderem die Kompensation, die Zuteilung und die Partizipation mindestens eine gewisse Bedeutsamkeit haben.
[75]
So bedeutsam das pädagogische WerkAristoteles , in welchem er einige Grundfragen der Gerechtigkeit darstellt, auch ist, es lässt viele Fragen und Problemkreise offen. Ein Anliegen der dieser Arbeit zugrundeliegenden Studien war es, eine kulturübergreifende Komponente und damit auch eine ontologische Charakterisierung zu finden. In der Antike wurde der Versuch gestartet, das Problem der Gerechtigkeit auf die Frage nach der Gleichheit zurückzuführen. Seit Aristoteles kennen wir die Gleichheit innerhalb einer Kaste und die Gleichheit als Mitglied der Gemeinschaft. Probleme des Maßes und der Zuteilung sowie der Setzung der Grenzen umgingAristoteles mit dem Hinweis auf die Würdigkeit. Zwar sind wir der Meinung, dass ein Hinweis auf die Billigkeit ebenso hilfreich gewesen wäre, aber mit viel Phantasie lässt sich auch hier immer etwas konstruieren. Das gesamte Konzept war auf die Polis ausgerichtet. Eine in ihrem Sinne ideale Gesellschaft, gegen welche die existenten Gesellschaftsformen konvergieren sollten. Kurz, einen solchen Idealzustand möchte man konservieren, also als einSeiendes bewahren. Und genauso liest sich auch diese Gerechtigkeit. Sie ist nicht zwangsweise dazu ausgelegt, etwas zu ändern. Es fehlt demnach auch der dynamische Aspekt. Etwas, dass wir heute als Untersuchungsgegenstand der Soziologie, Sozialphilosophie oderSocial Physics zurechnen würden. Also scheint es auch keinen Grund zu geben, diese gerade real existente Gesellschaft aufrechthalten zu müssen. Wir geben zu bedenken, dass wir, wenn wir dieser AuffassungAristoteles folgen, noch auf dem Weg in dieses Utopia namens Polis sind. Aus diesem Grund vielleicht schlossThomas von Aquin den Einzelnen in die Verantwortung mit ein. Er, der Einzelne, muss Sorge tragen, dass das Gemeinwesen stabil bleibt, ggf. auch auf Kosten seines persönlichen Vorteils oder Nutzens. Diese Treue versuchteAquin einzufordern. In andern Worten,Thomas von Aquin war sich bewusst, dass er und seine Zeit nicht in der Polis angekommen waren, also dieses vernünftige sich Einleben und Fügen, diese Übermenschen, (noch) nicht existieren. Interessanterweise basiert solch eine Einforderung der Treue letztlich immer auch in Anspielung auf das erste Gebot, denn darin wird nichts anderes als die Treue des Menschen gegenüber Gott ausgedrückt. Spiegelt sich hierin die Auffassung, die Sichtweise der Kirche als zeitloses Gesellschaftssystem, als Corpus ihres Gottes wider?55 Gemeinhin gilt durch diese ErgänzungThomas von Aquins das Gerüst der Gerechtigkeit als abgeschlossen.
[76]
Und doch, die treibende Kraft der Ungerechtigkeitsempfindung wird dadurch nicht besänftigt. Es scheint immer noch an ihr zu liegen, das gesamte System zu perturbieren. Denn letztlich kann auch diese Gerechtigkeitsblaupause etwas konservieren, was vielleicht einmal gerecht war, doch was sich nun überlebt hat. Und damit durch eine Überakzentuierung, in unseren Augen eine Fehlinterpretation des Gleichheitsaspektes der Gerechtigkeit, zur Diskriminierung Einzelner einer Gemeinschaft führen. Etwas, das sich letztlich nur mit dem Gedanken des Populismus und nicht der Demokratie vertragen würde. Nun sind wir wieder bei der Gleichheit angekommen. Wir haben auch gesehen, dass beispielsweise die talmudische Interpretation der Gerechtigkeit den Gleichheitsaspekt anders angeht als die griechische Tradition. Hier wurde den Beteiligten letztlich der gleiche absolute Schaden zu tragen auferlegt (nicht die relativen Verluste). Damit muss ein jeder zu gleichen Teilen die (Mikro-) Gemeinschaft tragen. Letztlich ist das nicht mehr als ein Ausdruck der gegenseitigen Verantwortung aller für alle. Ein Grundsatz, den der guteThomas von Aquin als so wertvoll angesehen haben muss, um ihn in etwas gemäßigter Form zu adaptieren.
[77]
Und doch bleibt die Frage offen, wie sehr Gleichheit und Gerechtigkeit in einer Beziehung stehen. Scheinbar spricht vieles dafür. Und doch scheint es auch so, also ob einerseits von mehreren Gleichheiten gesprochen wird, wenn wir uns die Darstellung der Gerechtigkeit (siehe oben) nachAristoteles undAquinus ansehen. Und wie ist die Vorgehensweise in anderen Kulturkreisen? Würden sich diese dort wiederfinden? Und deckt die Gleichheit als Prinzip oder Aspekt alles das, was wir mit Gerechtigkeit verbinden, ab? Desweiteren ist noch offen, welche grundsätzliche Bedeutung die Kompensation für die Gerechtigkeit und die Gemeinschaft hat.
[78]
Das oftmals zitierte und wohl ebenso oft missverstandene «Auge um Auge, Zahn um Zahn» aus dem Buch Mose würde wohl gemeinhin als eine Kompensation im Sinne einer Gleichheit verstanden werden. Natürlich ist die Aussage dieser alten Warnung etwas anderes. Nicht um einen Austausch ging es primär, sondern um eine Warnung vor der nicht endenden Spirale der Gewalt. Kompensation, Ungerechtigkeit, Gleichstellung, Teilhabe an sozialer Aktion – all das kann man als Facetten der Gleichheit ansehen. Demnach würden wir uns der Frage der Gerechtigkeit dadurch annähern, dass wir uns der Frage nach dem Begriff der Gleichheit annähern. Kurz gesagt, wir approximieren eine Approximation. Wie wir bereits oben erwähnt haben, bewegen wir uns letztlich im Spannungsfeld der sozialen Interaktion und Empfindung. Auf dieser Basis werden schnell ein Maß und eine Metrik gefunden. Zugegebener Maßen nicht zwangsweise führt das zu einem formal korrekten Maß, aber nichtsdestoweniger ist es das Maßprinzip mindestens eines sozialen Akteurs. Und schenkt man der Beobachtung von Kollektiven und ihren Handlungsmustern Beachtung, so wissen wir spätestens seitGustave Le Bons Psychologie der Massen , dass die einfacheren Grundmuster immer Bestandteil der Gemeinschaft sind. Wir sind der Überzeugung, dass dies auch für die Art der Metriken gilt, die in die Bewertung der Unrechtsempfindung einfließen. Denn was ist es letztlich, was wir tun, wenn wir ein Urteil fällen? Es sind weniger die Argumente als die Autoritäten und die Grundmuster unserer (emotionalen) Bewertung, welchen wir folgen. Denn selbst der rationalste Akteur wird sich irgendwann für ein Abbruchkriterium entscheiden müssen, mit dem er die theoretisch nicht enden wollende Liste der Argumente und ihrer Stützgrunde bewertet und eine Selektion daraus vornehmen wird.
[79]
Eher wir uns weiter dem Gedanken der Gleichheit zuwenden, ist noch auf das besondere Phänomen der Kompensation weiter einzugehen. Denn sollte wirklich das Gefühl der Ungerechtigkeit eine solch treibende Kraft sein, so sollte diese auch den Ausgleich, also die Kompensation, durchdringen. Und doch, was sollte uns bewegen, der Proportion Körperglied durch Körperglied eine andere Relation gegenüberzustellen, wie etwa Versorgung oder materieller Austausch? Was sollte uns oder unsere Ahnen bewegt haben, die Todesstrafe durch die Verbannung und diese durch eine materielle Ausgleichsleistung oder Haft zu ersetzen? Der Gedanke der Ungleichheit vermag das sicherlich nicht. Denn Schenken wir der Arbeit vonPaul Slovic56 Glauben, so ist auch unser Gehirn immer noch auf die wesentlich einfachere Proportion geeicht als in komplexeren Mustern zu denken, zu argumentieren und zu handeln. Denn letztlich war wohl einem jeden bewusst, dass durch Rache und Verstümmelung einer anderen Person die eigene Integrität nicht wieder zu erlangen war. Also eine Gleichheit mit Abstrichen? Die Möglichkeit der Mäßigung und der Kompensation finden wir auch in der alten biblischen Issak Geschichte wieder. Um die Quintessenz zu unterstreichen, dass der Gott Abrahams keine Menschenopfer fordert und an Tod keinen Gefallen findet, wurde plastisch dargestellt, dass das Menschenopfer durch ein symbolisches Tieropfer kompensiert wurde. Es dauerte viele Generationen, bis wir als Gesellschaft so weit waren, auch den letzten Schritt zu gehen und uns von dem Gedanken des Opfers, d.h. der Hingaben irgendeines Lebens, zu lösen. Natürlich nicht vollständig, aber in der Tendenz. Während es beispielsweise im Judentum generell anstelle der Opfergaben den Gottesdienst und das gemeinschaftliche Essen gibt, findet man beispielsweise bei einigen sephardischen Gruppierungen immer noch das traditionelle Hühnerschlachten zu den hohen Feiertagen. Belächeln wir das? Was ist mit dem vielgerühmten Helden- oder Märtyrertod und der Aussicht auf Belohnung im Jenseits oder der Verklärung im Diesseits? Es scheint so, als ob uns generell der Wert des Lebens noch nicht vollständig als praktisch wertvolles Gut erscheint. Vielleicht in der Theorie, aber in der durch den einzelnen und die Gesellschaft gelebten Art und Weise noch nicht. Scheinbar haben wir kein Anrecht auf Hochmut gegenüber unseren Ahnen oder gar anderen Kulturkreisen. Und doch, was regte die tendenzielle Kompensation hin zum Materiellen an? Letztlich ist das nichts anderes als eine bewusste Verabschiedung des Gleichheitsgrundsatzes. In Anspruch genommene Ungleichheit als Garant für eine Hinwendung zur Bedeutsamkeit des Lebens und einer Gewichtung des Individuums? Ist dann diese unscharfe oder materielle Kompensation eine Folge, ein Nebenprodukt oder Motor?
[80]
Auch hier spielt der Wertmaßstab eine Rolle. Und eine wesentliche Rolle mag die Ausrichtung des Lebens auf Bestand hin haben. Das sehen wir auch heute noch, wo wir dank großzügiger Investitionen in das Gesundheitssystem, in die Infrastruktur und ökonomische Versorgung und nicht zuletzt dank des relativ hohen Wohlstandes eine lange Lebenserwartung genießen dürfen. Doch das allein scheint nicht genug zu sein. Es gibt eine Vielzahl von Werbespots und Branchen, die einzig und allein auf die Verlängerung der Lebensphase propagieren resp. hinarbeiten. Und doch wollen wir nicht einfach vegetieren, sondern jung, gesund und reich sein. Reich spielt hier nur die Rolle einer geschickten Abkürzung, denn es steht für den guten Geist, der uns jeden Wunsch erfüllen soll. Denn wenn wir alles bekommen könnten, quasi auf Knopfdruck, was wir haben wollten, wozu bräuchten wir dann noch Geld? Kompensation abzuschwächen mag nun durch die Forderung nach dem Erhalt des (eigenen) Lebens geschehen – nur des eigenen? Irgendwie scheinen auch die uns umgebenden Menschen eine wesentliche Rolle zu spielen. Also übertragen wir den Wunsch nach der Erhaltung auf unser nahes soziales und kulturelles Umfeld. Rache und der Wunsch nach Vergeltung scheinen hier nur noch sekundär in Erscheinung zu treten. Primär kommen diese in der auch heute noch praktizierten Art der Haftstrafen bei der Erstverurteilung zum Tragen. Hier sehen wir in guter und anschaulicher Art und Weise, wie sich archaische Rache im Rechtsystem erhalten hat. Und doch kennen wir auch die Bewährungsstrafe und das Bußgeld. In diesem Sinne zwar auch alte, aber dennoch modernere Ausprägungen des alten Bestrebens. Fassen wir zusammen: Kompensation benötigt einen Wertemaßstab, ein Maß sowie die Akzentuierung des Daseins, d.h. das Leben ist auf Erhalt ausgerichtet. Gleichheit in diesem Sinne gibt es nicht mehr. Sie löst sich auf oder, anders gesagt, sie wandelt sich.
[81]
Wir sprechen zumeist vonder Gleichheit in dem Sinne einer Singularität. Doch das liegt wohl daran, dass wir es gewöhnt sind, Gleichheit zumeist durch das formale Symbol «=» auszudrücken. Wenn wir uns das Beispiel der Kompensation ansehen, so erkennen wir, dass sich die Substitute (gemäß eines Maßstabes und der Ressourcen, Kultur, also letztlich einer Metrik, die all das beinhaltet) fortlaufend ändern. Der Schwerpunkt hier kann auf materieller Vergeltung (Schmerzensgeld) und Aufrechterhaltung der sozialen Teilhabe (Rente, künstliche Gliedmaßen, etc.) liegen. Gleichheit existiert nicht mehr im Sinne der Substitute – selbst ein zerstörtes Originalgemälde kann zum Marktpreis abgefunden werden; zugegebener Maßen ersetzt das nur eine Facette oder Funktion der Materie als Zeit- und Wertüberbrückung. Der emotionale Verlust mag bleiben. Doch wandelt sich diese Gleichheit hin zu dem Versuch, die Gleichheit hinsichtlich der Teilhabe an der sozialen Interaktion und Partizipation auszubauen. Der Versuch der aktiven Nivellierung wird unternommen. Aus der de facto (mathematischen) Gleichheit wird über den Umweg der Substitute die Angleichung der sozialen Interaktionsmöglichkeit versucht. Das geschieht natürlich mehr oder weniger intensiv, mehr oder weniger gut, aber es ist intendiert. Damit wird die Wahrung des sozialen Friedens durch eine Transformation der Gleichheit unternommen. Und doch ist es unbefriedigend. Denn hier konkurrieren Maßstäbe und sicherlich auch Emotionen. Und umso mehr Emotionen, je geringer ist die Berücksichtigung der eigenen Maßstäbe. Jedoch verschwindet diese Gleichheit nicht einfach. Wir haben nur diesen Eindruck, da wir damit zwei wesentliche Dinge verbinden. Einerseits sehen wir in ihr eine singuläre, elementare Eigenschaft und andererseits etwas absolut binäres. Wir denken, dass zwei Entitäten nur gleich sein können oder nicht. Soweit so gut, doch wie prüfen wir ihre Gleichheit? Wir legen einen Kriterienkatalog, eine Liste der (für uns relevanten) Eigenschaften zugrunde und prüfen entweder, ob diese oder jene Eigenschaft erfüllt ist, oder nicht. Eine zweite Variante wäre, dass wir prüfen, wie weit jede Eigenschaft auf einer willkürlich aber angemessenen Skala ausgeprägt ist. Auf dieser oder der ersten Einschätzung kommen wir zu dem Schluss, dass eine Gleichheit, Ungleichheit oder eine abschwächte Form wie ein «nahezu gleich» vorliegt. Doch indem wir das tun, setzten wir voraus, dass

  1. es eine urteilsstützende elementare Vergleichsform (Zuordnung) gibt;
  2. wir einen Maßstab zugrunde legen,ab wann (Schwelle oder wie viele Eigenschaften) etwas als gleich oder hinreichend gleich angesehen werden kann. Denn die Vergleichsform aus a) muss bei weitem nicht absolut ausschließend oder absolut einschließend sein. Eine solche dichotome Denkweise ist manchmal nützlich und hilfreich, aber zumeist auch wesentlich komplexer als Eigenschaftsaggregate;
  3. wir einen Maßstab oder Metrik (Kriterienkatalog) zugrundelegen, hinsichtlichwelcher herausragenden Ausprägungen wir zwei Entitäten vergleichen.
[82]
So verfahren wir, wenn wir beispielsweise zwei Bewerberinnen hinsichtlich ihrer Eignung für eine Stelle evaluieren. Wir haben ein vages Profil für die Stelle konzipiert und versuchen die im Vergleich zu diesem Profil viel zu plural ausgerichteten Bewerberinnen und ihre Qualifikation, Erfahrung und Motivation dementsprechend abzuklären. Zum einen hinsichtlich der Referenz, d.h. des Stellenprofils, und zum anderen zwischen den Kandidatinnen. Der jüngste Versuch in Deutschland, von gewissen diskriminierenden Merkmalen bei der Bewerbung abzusehen, kann als weiterer Versuch gesehen werden, eine Angleichung an das Ideal der Arbeitsschablone zu sehen. Denn eben die Merkmale, die einen diskriminieren können, könnten auch von Vorteil sein. Denn eine Einstellung ist noch nicht gleichbedeutend mit einem mittelfristigen Arbeitsverhältnis. Doch das lässt sich nur in der Diskussion und durch empirische Studien aufarbeiten.
[83]
Dieiustitia communtativa , die Tauschgerechtigkeit oder ausgleichende Gerechtigkeit, sie ist zweifelsohne das Fundament, auf dem die Ökonomie ihre Vertrauensbasis konstituiert, und ohne diese wäre eine so hochkomplexe Geldwirtschaft nicht möglich. Und doch ist diese Bilanzgleichung sehr fadenscheinig, denn Arbitrage und Marktsegmentierung existieren. Und sie tun das hinsichtlich unseres Maßstabes und Maßes. «Preis = Leistung», das kennen wir auch aus der Versicherungswirtschaft und dort lautet sie Prämie = Leistung. Allerdings haben wir hier eine differenziertere Sicht auf das, was Leistung bedeutet. Leistung umfasst nun einerseits die Anlage der Gelder, deren Verwaltung, etc., d.h. auf der Leistungsseite haben wir nicht nur ein Wort, sondern einen etwas umfangreicheren Term stehen. In welchem Maße das als fair angesehen werden kann und mag, ist nicht so ganz einfach. Bedenkt man die obigen Ausführungen zur Entwicklung in der Antike, so kommt man nicht umhin, auf die unterschiedliche Interpretation von Wucher hinzuweisen. Und doch, wie gleich sind verbeamtete Lehrerinnen und ihre angestellten Kolleginnen? Sie erbringen dieselbe Leistung, arbeiten nicht mehr oder weniger Stunden, haben nicht mehr oder weniger Ferien, aber ihre Bezahlung und ihre Rentenansprüche divergieren. Innerhalb der Beamtenbox mag diese Gleichheit vielleicht funktionieren, innerhalb der Angestelltenbox vielleicht auch, doch bleibt die Frage nach der Interoperabilität dieser Gleichheit offen und letztlich die Frage nach der Gerechtigkeit, die sie herzustellen hofft(e). Verhält es sich mit deriustitia distributiva anders? Beim Blick auf die Bezahlung des Kindergeldes pro Kind anstelle für die (Hoch-)Qualifizierung fragt man sich, wer hier wem angeglichen werden sollte. Und zum Schluss dieiustitia legalis , die sich mehr um das Eigentum deklariert als um die potentiellen Fähigkeiten, um der Gemeinschaft Stabilität zu verschaffen. Es gäbe sicherlich eine weitere Fülle an Beispielen, welche die Überlegung stützen, dass der Fokus auf die Gleichheit die Frage der Gerechtigkeit teilweise flankiert und dass Gleichheit sich letztlich um den Vergleich von Eigenschaften und deren Bewertung bemüht. Kurz, Gleichheit ist nicht singulär, es ist ein plurales Konzept, welches auf dem Vergleich und der Bewertung von ausgezeichneten Eigenschaften oder Merkmalen basiert. Der Bereich dessen, was als gleich angesehen wird, ist selbst nicht zwangsweise dichotom.
[84]
Ein weiteres, auf den ersten Blick etwas willkürlich gewähltes Prinzip – oder wie wir bevorzugen – eine weitere Facette der Gerechtigkeit, gesellt sich zu der Gerechtigkeit hinzu. Unserer Meinung nach ist es auch implizit in deriusitia legalis enthalten. Allerdings hat man diese meist etwas anders akzentuiert und so etwas vergessen, was wir allerdings sogar im deutschen Wirtschaftsförderungsgesetz oder auch in den alten Schriften und Traditionen finden, den Hinweis der Mäßigung. Hier mag es ausgeglichenes oder konstantes Wachstum heißen, dort gegen den Wucher oder die zweite Feldlese gerichtet gewesen sein. Ganz modern, wenn wir es beispielsweise über das Besteuerungswesen auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands seit dem Ende des römischen Reiches betrachten, den Weg überPareto undGauss nehmen und nachBachelier und anderen Vordenkern des Finanzmarktes bis zur Black-Scholes-Merton-Formel für die Berechnung von Optionen gelangen, so findet sich das Prinzip der Mäßigung in der Beschreibung durch lineare (stochastische) Prozesse und in der Erwartung, dass der heutige realisierte Wert auch die beste Prognose für den morgigen ist (der sogenannte Random Walk). Mäßigung drückt sich hier u.a. in dem Wunsch nach Gleichförmigkeit und Nachvollziehbarkeit, aber auch Entschleunigung aus. In der frühen Entwicklungsgeschichte sehen wir das beispielsweise an der Lagerhaltung und dem Austausch, aber auch in der Konservierung. Interessanter Weise sehen wir in vielen ethischen Regeln und in der Soziallehre der Glaubenssysteme dieses Prinzip direkt als eine Art Kardinaltugend festgehalten oder in deren Negation als Verwerfung.
[85]
Mit diesem Verdacht in Gedanken haben wir abermals eine Erhebung durchgeführt, die in Kürze veröffentlicht werden wird. Die Daten zu dieser und den anderen Studien werden ab Mitte Juli 2011 online gestellt sein. Wir wollten unseren Verdacht auch empirisch evaluieren, dass es ein generelleres Konzept gibt, welches sich hinter der Gerechtigkeit (insb. der quantitativen Gerechtigkeit) und ihrer Approximation der Gleichheiten verbirgt. Dieses generelle Konzept nennen wir dasInvarianzprinzip der Gerechtigkeit . Es wird uns auch ermöglichen, eine sogenannte Minimaltheorie (Geometry of Justice and Fairness) zu entwickeln. Auch hierzu möchten wir auf die weiteren Publikationen verweisen. Eine später berechtigte Kritik wäre, dass wir mit Hilfe der Verallgemeinerung nur wieder die statischen Momente der Gerechtigkeit einfangen können, um vielleicht etwas besser deren Prinzip verstehen könnten, damit vielleicht auch ein diplomatischeres Vorgehen möglicher wäre, aber es dennoch statisch blieb. Dem stimmen wir zu. Aus diesem Grund muss das statische und formalisierbare Invarianzprinzip um die oben angesprochene Dynamik ergänzt werden. Dadurch wird es möglich, sowohl die geometrische Struktur wie auch die Dynamik zu beschreiben.
[86]
Was verbirgt sich hinter dem Invarianzprinzip? Spätestens seitAristoteles Niederschrift für seinen SohnNikomachos haben wir in der westlichen philosophischen Auseinandersetzung die Diskussion um die Gerechtigkeit auf das Problem der Gleichheit zurückgeführt bzw., unserer Ansicht nach, diese darauf reduziert. Wie es aber scheint, ist der Begriff der Gerechtigkeit sehr vielschichtig. Zum einen ist die Gerechtigkeit kein direkter Begriff, sondern abgeleitet aus der Emotion des Ungerechtigkeitsempfindens. Zum andern haben wir herausgestellt, dass scheinbar individuelle und kollektive Maße und Metriken bedeutsam sind. In einem historischen und kulturellen Vergleich ergab sich, dass die plurale und nicht die in der Diskussion stehende singuläre Gleichheit wesentlich in der philosophischen, moralisch-ethischen und soziologisch-rechtsphilosophischen Denktradition ist. Neben dieser haben wir auch noch die Mäßigkeit als wesentlich identifiziert. Ferner haben wir gesehen, dass Gleichheit im Kontext der Gerechtigkeit keine mathematische Gleichheit ist und sich die Auffassung dessen, was gleich ist, wandelt. Genauergesagt, welche Eigenschaften und Merkmale als konstant, d.h. temporär invariant, angesehen werden, bis auf die beiden sich wechselseitig bedingenden Kräfte der Gerechtigkeit, die quasi ihre Dynamik ausdrücken. Die anderen erwähnten Aspekte der Gerechtigkeit werden verständlicher, wenn wir sie unter dem schon mehrfach implizit verwendeten Invarianzprinzip zusammenfassen. Das wohl Faszinierendste daran ist, dass es ein solches generelles Prinzip gibt und es uns einen anderen Blick auf die Gerechtigkeit, mindestens aber auf ihre quantitative Natur, ermöglicht.
[87]
Das Invarianzprinzip besagt nun im Wesentlichen, dass es Eigenschaften, Merkmale oder Instanzen gibt, die unveränderlich sein sollten; man könnte auch sagen temporär zeit- und gedächtnislos. Eine Anwendung dieses Prinzips ist beispielsweise der Wunsch nach der Unveränderlichkeit des Verteilungsmaßes. So sollte sich die Aufteilung pro Person einer Summe nicht ändern, wenn man diese nun nur an einen Teil der Berechtigten ausgibt. Die Invarianz will nun die Starrheit der postulierten Gleichheit aufbrechen und diese auf ihre für die Wahrnehmung sozialen Aktionen und der sozialen Partizipation relevanten Merkmale zurückführen. Dadurch werden auch die vielfältigen Bewertungsmaßstäbe transparent gemacht. Dies ist eine der Ableitungen die wir in der Studie exploriert haben.
[88]
Wie wir oben erläuterten war für die hellenistische Auffassung das Tragen der relativen Ausfälle (bezogen auf den Einsatz oder Gewinn) ein solches valides Maß. Für die altorientalische hingegen war dies das Verständnis der Gesellschaftstreue, ausgedrückt durch das gemeinsame Tragen der identischen Last eines jeden, Ausdruck für Gleichheit und Gerechtigkeit. Für weitere Beispiele und eine detailliertere Erläuterung verweisen wir auf die nachfolgende Publikation, die auch die formalen Aspekte ausarbeiten wird.

3.

Ausblick – oder das Anliegen von Quantius.org ^

[89]
Doch mit einer formalen Ausarbeitung und Offenlegung der Struktur der quantitativen Gerechtigkeit ist erst der Anfang gemacht worden, um die Interaktion innerhalb einer Kultur und zwischen unterschiedlichen Kulturkreisen besser zu verstehen. Wir sehen unsere Welt wie immer im Umbruch. In der alternden Industriegesellschaft bemühen wir uns, semiautonome Systeme mit Entscheidungskompetenzen auszustatten. Doch nach welchen Maßstäben sollen wir diese nicht-menschlichen Akteure bewerten, bewerten lassen und in Interaktion mit menschlichen Akteuren treten lassen? Es fehlt uns nach und nach an grundlegenden Verständnissen bezüglich der Maße, der Metriken und der Argumente. Wann ist ein Argument in der gesellschaftlichen Praxis hinreichend? Welche Funktion und Struktur liegt der Evidenz zugrunde. Hier zeichnet sich ab, dass Kausalstrukturen unterschiedlich sind und wir besser von der Familie der Kausalitäten sprechen. Die Technologien, die wir verwenden, treten oftmals als Evidenzen auf. Doch in welcher Weise und zu welchem Beitrag können und wollen wir ihnen Vertrauen schenken? Wie bewerten wir diese generell und in besonderen Kontexten? Wie ändert sich die Auffassung von Gerechtigkeit und die dahinterliegenden Maßstäbe? In welcher Weise können und müssen wir der Allgemeinheit formale und mathematische Methoden zumuten? Letztlich sind wir als Humanoide mehr auf das Erzählen und dem Lauschen von Geschichten ausgerichtet als auf die Akzeptanz von Listen und Tabellen, Zahlen und Formeln. Und, wie gehen wir in der Erziehung und Ausbildung mit den gesetzten Normen um? In welcher Weise ist es möglich das Empfinden von Ungerechtigkeit auf den Aspekt des Austausches, der Substitution und des Verständnisses sozialer Aktionen zu richten? In welcher Weise ist das erlernbar? Wir sehen beispielsweise in dem Kampf der Musikindustrie und Co. den Versuch, ein veraltetes ökonomisches Verwertungsmodell kraft Autorität aufrechtzuerhalten. Damit werden nicht nur Unsummen an volkswirtschaftlichem Kapital vernichtet, denn es könnte anderweitig durchaus andere, zukunftsträchtigere Technologien unterstützen, sondern auch die Frage nach der Wertigkeit und dem Maß. Warum sollte man für eine digitale Kopie, die per definitionem unendlich oft reproduzierbar ist, die gleiche Summe entrichten wie für ein knappes ökonomisches Gut? So mancher jüngere User empfindet das als unfair, kann zwar keine rechten Worte dafür finden, aber Unmut. Wir haben es aber auch auf internationaler Ebene, sei es in der Bewertung von Technologien, Risiken und in der Angemessenheit von waffengeleiteten Auseinandersetzungen, zu tun.
[90]
Hier versuchen wir, ein Forum und eine Bühne für den Austausch und die Ausarbeitung formaler wie pragmatischer Methoden und Modelle zu bieten. Es geht uns letztlich darum die sich wandelnde globale Gesellschaft und lokale Gemeinschaft, ihre sozialen Fragen und damit die sich wandelnde praktizierte Gerechtigkeit besser zu verstehen, um zu einem gelingenden generationenübergreifenden, interkulturellen Zusammenleben beizutragen. Es erscheint paradox, doch akzeptieren wir und arbeiten an der Wandelbarkeit und Vielfalt der Maßstäbe, so eröffnet sich uns gleichzeitig ein Blick auf die (oder eine) Form der Gerechtigkeit. Ebenso möchten die nachfolgenden Artikel dieser Sonderausgabe gesehen werden, als das ständige Ringen um das Verständnis der Form der Gerechtigkeit und deren Wirken in und auf die Gesellschaft.
[91]
Danken möchten wir hier insbesondere FrauSimone Kaiser und Editions Weblaw für seine Freundlichkeit und Geduld sowiePeter Tillers undLothar Philipps , die zwar im Hintergrund agieren, aber ohne die dieses Forum nie hätte initiiert werden können, geschweige denn solch eine große Resonanz gefunden hätte.
[92]
Wir sind ständig in Diskussion. Im Juni 2011 treffen wir uns in Pittsburgh zu einem Workshop, im August zu einem weiteren in München und unser drittes internationales Jahrestreffen 2012 wird, mit wahrscheinlicher Beteiligung aus China und Taiwan, in Portugal stattfinden.Rui Soraes Pereira wird hier einer unserer lokalen Gastgeber sein. Seien Sie herzlichst eingeladen, mit uns zu diskutieren.

4.

Literatur ^

Alt, A. (1934).Bemerkungen zu Verwaltungs- und Rechtsurkunden von Ugarit und Alalach . Die Welt des Orients 2. S. 7ff, S.234ff und S. 338ff.

Alt, A. (1934).Die Ursprünge des israelischen Rechts . 1934

Aristoteles.Philosophische Schriften. 6 Bände. Münster: Felix Meiner 1995

Aquin v.T.Summa contra gentiles. Gesamtausgabe in einem Band. Lateinisch und deutsch . Hg. Albert, K. et. al. 2. Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2005

Bamberger, F. (1935).Das System des Maimonides . Berlin 1935

Bengez, R. (2009).And the World Became Rifty: Property and Context of Terror in Mediaeval Society . In: The Many Forms of Fear, Horror and Terror. edited by Leanne Franklin and Ravenel Richardson. Fisher Imprint. ID Press, Oxford 2010
http://www.inter-disciplinary.net/wp-content/uploads/2010/01/FHT-3.pdf
orhttp://www.inter-disciplinary.net/wp-content/uploads/2009/08/bengez-paper.pdf (working paper)

Boyer, G. (1928).Contribution à l’histoire juridique de la I-re dynastie babylonienne. Paris 1928

Cuq, E. (1929).Etudes sur le droit babylonien. Paris 1929

David, M. (1927).Die Adpotion im altbabylonischen Recht. RLA I, S. 37–39

Diels, H. & Kranz, W. (1951).Die Fragmente der Vorsokratiker. 1.Bd. 6. Aufl. 1951 (12. Nachdruck 1985) Weidmannsche Buchhandlung

Diels, H. & Kranz, W. (1951).Die Fragmente der Vorsokratiker. 2.Bd. 6. Aufl. 1951 (11. Nachdruck 1985) Weidmannsche Buchhandlung

Diels, H. & Kranz, W. (1951).Die Fragmente der Vorsokratiker. 3.Bd. 6. Aufl. 1951 (12. Nachdruck 1985) Weidmannsche Buchhandlung

Driver, G. et al. (1937).The Assyrien Laws , Oxford: OUP 1935

Ebeling, E. (1932).Erbe, Erbrecht, Enterbung. In RLA II, S. 458–462

Ebeling, E. & Korosec, V. (1932). Ehe. In RLA II, S.281–298

Ebeling, E. (1932).Familie und Frau. In RLA III, S. 458–462; S. 9–14 und 100–104.

Falkenstein, A. et al. (1959). Neue Rechts- und Gerichtsurkunden aus der Ur III-Zeit aus Lagas, ZA NF 19, S.51–92.

Falkenstein, A. & San Nicola, M. (1959).Das Gesetzbuch Lipit-Istars von Isin. Orientalia. Nova Series 19, 1950, S. 103ff

Friedrich, J. (1959).Die hethitischen Gesetze. Leiden 1959

Kahneman, D. et al. (1982). Judgement Under Uncertainity: Heuristics and Biases. Cambridge: Cambridge University Press 1982

Klima, J. (1940).Untersuchungen zum altbabylonischen Erbrecht. Prag 1940

Korosec, V. (1958).Hethitica, ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des hethitischen Rechts, Academia Scientarum Slovenica. Laibach 1958

Korosec, V. (1959).Die Tontafel KBo VI4 und ihr relatives Alter. In: Festschrift Friedrich, S. 261–272.

Lichtenstein, S. & Slovic, P. (2006).The Construction of Preferences. Cambridge: Cambridge University Press 2006

Lloyd, G. (1973).Early Greek Science: Thales to Aristotle, London: Chatto & Windus 1973

Lloyd, G. (1990).Demystifying Mentalities. Cambridge: Cambridge University Press 1990

Plato.Sämtliche Werke . Bd. 1 bis 3. In der Übersetzung von Friedrich Schleiermacher. 31. Auflage. rororo 2004

Philipps, L. (2009).Die Vereinigung konkurrierender Prinzipien der Gerechtigkeit – Zu einem Text von Erich Fechner, in: Auf dem Weg zur Idee der Gerechtigkeit: Gedenkschrift für Ilmar Tammello. Hrsg.: Jakob, R. et.al. Münster: LIT Verlag 2009

Schreiner, M. (1895).Der Kalam in der jüdischen Literatur: 13. Bericht über die Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums in Berlin. Berlin 1895

Slovic, P. (2000).The Perception of Risk . Earthscan 2000

Walter, N. (1964). Der Thoraausleger Astrobulos. Berlin 1964



Rainhard Z. Bengez
(dr. math, dr. med) is assistant professor in philosophy and philosophy of science, and senior research fellow in foundations of mathematics
TU München
Carl von Linde-Akademie
Philosophy of Science, Technology, and Engineering Department
TUM School of Education
bengez@tum.de
http://www.quanitus.org
http://www.cvl-a.tum.de


  1. 1 Unter einerAristotage verstehen wir in Anlehnung an die Idee desAristoteles und seine propagierte stufenförmige Entwicklung der Seele (von Stufe 0: Unbelebten über Stufe 1: Pflanzen und Stufe 2: Tiere, bis hin zur rationalen Seele des Menschen – die Stufe 4) die stufenweise Entwicklung der moralisch-sozialen Fähigkeiten und Fertigkeiten von sozialen Akteuren. In Anlehnung anDescartes wollen wir den Begriff der theologischen Seele vermeiden und uns auf die für die Gerechtigkeit wesentlichen Begriffe und Entwicklungen stützen.
  2. 2 Dan Eatherley,How pet dogs face up to your moods , October 2008:www.newscientist.com/article/mg20026804.300-how-pet-dogs-face-up-to-your-moods.html .
  3. 3 Ein sehr schönes Buch, welches auch auf viele der Mythen im Umgang mit Ihnen eingeht hat Alexandra Horowitz verfasst:Was denkt der Hund? Wie er die Welt wahrnimmt – und uns , Spektrum Akademischer Verlag 2010.
  4. 4 Verweisen möchten wir beispielsweise aufJohn Rawls ,A Theory of Justice , Harvard University Press, September 1999 oder auch aufOtfried Höffe ,Politische Gerechtigkeit , Surkamp Verlag, Oktober 2002.
  5. 5 http://www.juedische-mathematiker.de/ .
  6. 6 Boyer 1928.
  7. 7 Ebda.
  8. 8 Hebräisch: יחזקאל‎ (Jekhezkk‘el, wörtlich: Gott möge kräftigen);«Hesekiel» in der Namensübersetzung nach Luther. In der Sixtinischen Kapelle gibt es ein Fresko von Michelangelo, das ihn illustriert. Er selbst gehörte wohl zu jenen in das babylonische Exil verschleppten Hebräern. D.h. er musste aus der Aristokratie (= Priesterkaste) stammen. Jahrhunderte später wird die im babylonischen Exil erarbeitete Kritik und Textauslegung und der auf ihr basierende mündliche Kommentar als babylonischer Talmud bekannt werden.
  9. 9 Falkenstein et. al. 1959.
  10. 10 Cuq 1929.
  11. 11 David 1927.
  12. 12 Anders gesagt, man schrieb diesen Gottheiten ansonsten eine passive, absente Rollte zu.
  13. 13 David 1927.
  14. 14 Ebda.
  15. 15 Driver et. al. 1937.
  16. 16 Ebeling 1932; Ebeling & Korošec 1932; Klima 1940.
  17. 17 Falkenstein & San Nicola 1959.
  18. 18 Friedrich 1959.
  19. 19 Ebda.
  20. 20 Ein Klassiker dieser Beschreibung ist sicherlichGustave Le Bon der als einer der Ersten diese Effekte untersuchte. Vergleiche auch: Gustave Le Bon,Psychology de foules , Presses Universitaires de France, 2003 oder Gustave Le Bon,Psychologie der Massen , Nikol Verlag 2009 in der Übersetzung von Rudolf Eisler.
  21. 21 Korošec 1958.
  22. 22 Ebda.
  23. 23 Korošec 1959.
  24. 24 Ebda.
  25. 25 Alt 1934.
  26. 26 Vgl. hierzu das Buch Ruth (Ta’anith Ruth) und die Leviratsehe Boas mit der Quittungssandel für das erhaltene Grundstück.
  27. 27 Alt 1934.
  28. 28 1. Könige 3,3. Andere Beispiele sind die RegentschaftJosphats vonJuda (2. Chronik 17,7ff und 19,4ff) nach dem TodSalomons und der Aufspaltung in ein Nord- und Südreich; ferner die RegentschaftJosias um das Jahr 623 v.d.Z. vgl. hierzu 5. Mose 12–27 und 2. Könige 22f.
  29. 29 1. Könige 21.
  30. 30 Benennung von zwei beliebigen Zeugen, selbst für Prozesse in welchem die Todesstrafe gefordert wurde.
  31. 31 später wohl inspiriert durch jüdische Quellen, wird Thomas von Aquin dies über das Prinzip deriustitia legalis in die aristotelische Beschreibung der Gerechtigkeit wieder aufnehmen.
  32. 32 Jeremia 31,33.
  33. 33 Bengez 2009.
  34. 34 Ebda.
  35. 35 Vgl. hierzu auch Fragment 44. Die Fragmente der Vorsokratiker sind von Hermann Diels bearbeitet und editiert worden. Nach seinem Tod wurden sie von Walter Kranz weitergeführt. Die Nummerierung der Fragmente erfolgt herkömmlich nach Diels/Kranz (DK).
  36. 36 Vgl. Fußnote 30.
  37. 37 Platon, Kriterion 50.
  38. 38 immer in Abgrenzung zum Werden zu sehen; Werden bedeute stets ein Wechsel und Hin-und-Her.
  39. 39 Platon, Politeia 517b.
  40. 40 Platon, Politikos 294.
  41. 41 Aristoteles, Politik 1254a und eine unübersehbare Fülle an weiteren Materialien und Aufarbeitungen.
  42. 42 nach seinem Sohn Nikomachos benannt und wohl als Erziehungsliteratur zu verstehen.
  43. 43 Aristoteles, Nikomachische Ethik 1131a, 1131b, 1132a.
  44. 44 heute würde man wohl bevorzugt von Relationen oder Ontologien sprechen.
  45. 45 Aristoteles, Nikomachische Ethik 1131a.
  46. 46 Walter 1964.
  47. 47 Cohn 1909.
  48. 48 Das talmudische Judentum wurde hauptsächlich in den Zentren Babylon und Jerusalem geprägt. Der sog. Babylonische Talmud (Babylon, das Exilzentrum), galt als maßgeblicher als die im römischen Palästina verfasste Tradition der Textauslegung und Kommentierung.
  49. 49 Bamberg 1935.
  50. 50 Bamberg 1935.
  51. 51 Schreiner 1895.
  52. 52 Ebda.
  53. 53 Wir verweisen auf die empirische Erhebung in der SektionWelche Maßstäbe haben wir? und auf die nachfolgende SektionAuf dem Weg zu einer Minimal-Theorie der quantiativen Gerechtigkeit .
  54. 54 Philipps 2009.
  55. 55 Bengez 2009.
  56. 56 Slovic 2000; Lichtenstein & Slovic 2006; Gilovich et al., 1982.