Jusletter IT

Erweiterte Gefahrenforschung der Sicherheitspolizei bei der Bekämpfung des Terrorismus und Datenschutz

  • Author: Egmar Wolfeil
  • Category: Short Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Data Protection
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2011
  • Citation: Egmar Wolfeil, Erweiterte Gefahrenforschung der Sicherheitspolizei bei der Bekämpfung des Terrorismus und Datenschutz, in: Jusletter IT 24 February 2011
Die Sicherheitspolizei wird üblicherweise tätig, wenn Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie Leben und Gesundheit von Bürgern aufgrund entsprechender Tatsachen erkennbar werden. Die zunehmende Ausbreitung des Terrorismus und die damit verbundenen großen Gefahren haben es erforderlich gemacht, der Sicherheitspolizei bereits im Vorfeld konkreter Gefahren geeignete Mittel an die Hand zu geben, um Bedrohungen rechtzeitig zu erkennen. Die so genannte erweiterte Gefahrenforschung erlaubt es der Sicherheitspolizei, bestimmte Bevölkerungskreise zu beobachten und personenbezogene Daten zu speichern, ohne dass eine konkrete Gefährdung von Rechtsgütern vorliegt. Der nachfolgende Beitrag untersucht, ob mit den bestehenden Vorschriften des SPG zur erweiterten Gefahrenforschung ein rechtlich zutreffender Ausgleich zwischen den allgemeinen Sicherheitsinteressen und den Grundrechten Betroffener erreicht wird. Dabei werden schwerpunktmäßig die Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention behandelt.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Die Aufgabe der erweiterten Gefahrenforschung
  • 2. Die Befugnisse der Sicherheitspolizei im Rahmen der erweiterten Gefahrenforschung
  • 3. Der Interessengegensatz zwischen Datenschutz und Sicherheit
  • 4. Die rechtliche Prüfung der Bestimmungen zur erweiterten Gefahrenforschung und damit verbundener Maßnahmen
  • 4.1. Recht auf Schutz personenbezogener Daten
  • 4.2. Eingriffe in das Recht auf Privatleben
  • 4.3. Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit eines Eingriffs nach Art. 8 Abs. 2 EMRK
  • 4.3.1. Gesetzlich vorgesehen
  • 4.3.2. Qualitative Anforderungen
  • 4.3.3. Legitimes Ziel
  • 4.3.4. In einer demokratischen Gesellschaft notwendig
  • 5. Zusammenfassung

1.

Die Aufgabe der erweiterten Gefahrenforschung ^

[1]
Der Sicherheitspolizei obliegt im Wesentlichen die Abwehr von Gefahren für die Öffentliche Sicherheit und Ordnung, §§ 21, 27 Sicherheitspolizeigesetz, (SPG). Traditionell wird die Polizei erst tätig, wenn sich konkrete Verdachtsmomente für eine Gefährdung von Rechtsgütern abzeichnen. Im Zuge der Ausbreitung des Terrorismus und der Bandenkriminalität hat es sich als sinnvoll erwiesen, schon im Vorfeld konkreter Gefährdungen tätig zu werden und bestimmte Bevölkerungsgruppen zu beobachten, von denen möglicherweise Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder das Leben und die Gesundheit von anderen Bürgern ausgehen könnten. Aus diesem Grunde sind im Jahre 2000 die Aufgaben der Sicherheitspolizei entsprechend erweitert worden. In § 21 Abs. 3 SPG ist seither geregelt: «Der Sicherheitspolizei obliegt die Beobachtung von Gruppierungen, wenn im Hinblick auf deren bestehende Strukturen und auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld damit zu rechnen ist, dass es zu mit schwerer Gefahr für die öffentliche Sicherheit, insbesondere zu weltanschaulich oder religiös motivierter Gewalt kommt,(erweiterte Gefahrenforschung).»


2.

Die Befugnisse der Sicherheitspolizei im Rahmen der erweiterten Gefahrenforschung ^

[2]
Die Sicherheitspolizei ist im Rahmen dieser Aufgabenstellung berechtigt, auch personenbezogene Daten zu speichern und zu verarbeiten, § 53 Abs. 1 Ziffer 2a SPG, die sie bei ihren Ermittlungen erfasst hat und für die auch Observation, Videoüberwachung und verdeckte Ermittlungen zulässig sind, § 54 Abs. 2 bis 4 SPG.
[3]
Im Ergebnis kann es dazu kommen, dass personenbezogene Daten von Bürgern gespeichert werden, ohne dass Tatsachen für eine unmittelbar bevorstehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorliegen, gewissermaßen eine geheime Speicherung auf Vorrat.

3.

Der Interessengegensatz zwischen Datenschutz und Sicherheit ^

[4]
Damit ergibt sich ein Interessengegensatz zwischen dem Anspruch auf Geheimhaltung personenbezogener Daten, § 1 Abs. 1 DSG 2000 und des Rechts auf Achtung der Privatsphäre, Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention, EMRK, auf der einen Seite und dem Schutz vor Gefahren für die öffentliche Sicherheit sowie Leben und Gesundheit anderer. Die Sicherheitspolizei darf eine Reihe von Maßnahmen im Rahmen der erweiterten Gefahrenforschung aber nicht aus eigner Kompetenz durchführen, sondern benötigt dafür die Ermächtigung des Rechtsschutzbeauftragten, eine unabhängige Kontrollinstanz, §§ 91a bis d SPG.

4.

Die rechtliche Prüfung der Bestimmungen zur erweiterten Gefahrenforschung und damit verbundener Maßnahmen ^

[5]
Dennoch stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfange die Speicherung personenbezogener Daten im Rahmen der erweiterten Gefahrenforschung mit dem Grundrecht auf Datenschutz gemäß § 1 Abs. 1 DSG 2000 und Art. 8 Abs. 1 EMRK vereinbar ist. Dazu müssten die fraglichen Eingriffe nach § 1 Abs. 2 DSG 2000 iVm. Art 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt sein.
[6]
§ 1 Abs. 1 DSG 2000 gewährt nach seinem Wortlaut kein Recht auf Schutz personenbezogener Daten, sondern einen Geheimhaltungsanspruch für personenbezogene Daten, der dadurch relativiert wird, dass er diesen an das Vorhandensein eines schutzwürdigen Interesses knüpft. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, EGMR, bedeutet jede Speicherung personenbezogener Daten unabhängig von einer späteren Verwendung einen Eingriff in die von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Privatsphäre1 , die nach den Kriterien des Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt werden muss. Art. 8 EMRK hat in Österreich Verfassungsrang und ist aufgrund der europäischen Rechtsentwicklung auch als europäisches Grundrecht anzusehen.2 Deshalb soll eine Prüfung nach den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, EGMR, für die Anwendung des Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorgenommen werden.

4.1.

Recht auf Schutz personenbezogener Daten ^

[7]
Art. 8 EMRK enthält keine ausdrückliche Garantie des Rechts auf Schutz personenbezogener Daten. Er gewährleistet das Recht jeder Person auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens und ihrer Korrespondenz. Der EGMR hat jedoch in ständiger Rechtsprechung den Datenschutz als spezifisch ausgestalteten Teilbereich des Rechts auf Privatleben angesehen.3 Der Gerichtshof legt dabei den Begriff des Privatlebens weit aus. Er sei einer erschöpfenden Definition nicht zugänglich und umfasse die physische und psychische Unversehrtheit einer Person. Als mögliche Elemente werden Geschlecht, Name, sexuelle Orientierung, Informationen aus dem aus dem Privat- und Familienleben, die Gesundheit, ethnische Identität, das Bild und die Beziehungen zu anderen Menschen genannt.4

4.2.

Eingriffe in das Recht auf Privatleben ^

[8]
Bereits die Speicherung von derartigen Daten, die das Privatleben einer Person betreffen, stelle einen Eingriff im Sinne von Art. 8 EMRK dar5 , auf die spätere tatsächliche Verwendung der Daten komme es nicht an.6 Als personenbezogene Daten seien alle Informationen zu qualifizieren, die sich auf bestimmte oder bestimmbare Personen beziehen.7 Es ist mittlerweile gefestigte Rechtsprechung des EGMR, dass jede Speicherung personenbezogener Daten einen Eingriff in die Privatsphäre im Sinne von Art 8 Abs. 1 EMRK darstellt, der nur unter Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt werden kann.8

4.3.

Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit eines Eingriffs nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ^

4.3.1.

Gesetzlich vorgesehen ^

[9]
Neben der Voraussetzung eines Eingriffs muss die Maßnahmegesetzlich vorgesehen sein und auf einer innerstaatlichen Rechtsgrundlage beruhen. Eine gesetzliche Grundlage ist mit §§ 21 Abs. 3 und 53 Abs. 1 Ziffer 2a SPG gegeben. Es genügt jedoch nicht, dass irgendeine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage besteht, sondern diese muss bestimmte

4.3.2.

Qualitative Anforderungen ^

[10]
Qualitative Anforderungen erfüllen, um den Bedingungen der Konvention zu entsprechen, wie sie in deren Präambel festgelegt sind.9 Diese Qualitätsanforderungen bedeuten, dass die fraglichen Vorschriften für die Betroffenen zugänglich und vorhersehbar sind. Vorhersehbar sind sie nach Auffassung des EGMR nur dann, wenn sie so präzise und klar formuliert sind, dass der Einzelne sein Verhalten danach ausrichten kann.10

4.3.3.

Legitimes Ziel ^

[11]
Weiter ist erforderlich, dass mit der Regelung und den damit verbundenen Maßnahmen einlegitimes Ziel verfolgt wird. Die erweiterte Gefahrenforschung im Sinne von § 21 Abs. 3 SPG soll dazu dienen, potenzielle Gefährdungslagen möglichst frühzeitig zu erkennen und Straftaten zu verhindern, so dass gegen Zielrichtung der Bestimmungen keine Einwände bestehen. Schließlich müssen die fraglichen gesetzlichen Regelung und die mit ihr verbundene Maßnahmen

4.3.4.

In einer demokratischen Gesellschaft notwendig ^

[12]
In einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein. Ein Eingriff ist in einer demokratischen Gesellschaft als notwendig zur Verfolgung eines rechtmäßigen Zieles anzusehen, wenn er einem dringenden sozialen Bedürfnis entspricht und insbesondere, wenn er in Bezug auf das rechtmäßig verfolgte Ziel verhältnismäßig ist.11 Die dafür erforderliche Bewertung ist von den nationalen Institutionen vorzunehmen, unterliegt aber einer endgültigen Prüfung durch den EGMR.12 Bei dieser Prüfung räumt der Gerichtshof den nationalen Organen einen Beurteilungsspielraum ein, dessen Umfang von verschiedenen Faktoren wie Art des in Rede stehenden Rechts, seine Bedeutung für den Betroffenen, die Art des Eingriffs und das mit dem Eingriff verfolgte Ziel gehören.13 Der Beurteilungsspielraum ist enger, wenn es um wesentliche Grundrechte geht. Andererseits ist der Spielraum weiter, wenn allgemeine soziale oder wirtschaftliche Fragen oder moralische Fragen zur Diskussion stehen, die in den einzelnen europäischen Staaten unterschiedlich beurteilt werden.14
[13]
Da der Schutz personenbezogener Daten von grundsätzlicher Bedeutung für das nach Art. 8 der Konvention geschützte Recht einer Person auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens sei, müsse das innerstaatliche Recht geeignete Schutzmechanismen gegen willkürliche Eingriffe der Behörden in durch die Konvention eingeräumte Rechte bestehen. Die Notwendigkeit zu geeigneten Vorkehrungen sei noch größer, wenn es um den Schutz personenbezogener Daten gehe, die automatisiert verarbeitet werden, insbesondere wenn diese Daten zu polizeilichen Zwecken genutzt werden. Die Daten dürfen nur solange gespeichert werden, wie dies für den Zweck erforderlich ist, für den sie erhoben worden sind. In diesem Zusammenhang verweist der EGMR auf Art. 5 der Datenschutzkonvention des Europarates und den Grundsatz Nr. 7 der Empfehlung des Ministerkomitees zur Regelung der Verwendung personenbezogener Daten im Polizeibereich.15 Auch wenn die nationale Sicherheit berührt werde, müssen Maßnahmen, die in grundlegende Menschenrechte eingreifen, irgendeiner Form der rechtlichen Kontrolle durch eine unabhängige Instanz unterliegen. Die Behauptung der Behörde, dass die nationale Sicherheit berührt wird, müsse hinterfragt werden können. Ohne eine entsprechende unabhängige Kontrollinstanz könnten die Behörden willkürlich in Konventionsrechte eingreifen. Das Gesetz müsse den Entscheidungsbereich der staatlichen Behörde und die Art und Weise der Ausübung der Kompetenzen mit ausreichender Klarheit festlegen, um eine willkürliche Inanspruchnahme der Kompetenzen zu vermeiden.16
[14]
Die Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit und die Vorhersehbarkeit des innerstaatlichen Rechts sind dort besonders hoch, wo es sich um geheime Maßnahmen handelt. Bei der Formulierung«wenn im Hinblick auf zu gewärtigende Entwicklungen mit schwerer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verbundener Kriminalität zu rechnen ist» handelt es sich um eine Aneinanderreihung unbestimmter Begriffe. Für die Auslegung und Anwendung bestehen keine konkreten Anhaltspunkte. Da die erweiterte Gefahrenforschung mit Grundrechtseingriffen verbunden ist, dürften bloße Vermutungen nicht ausreichen. Es müssen wohl Tatsachen vorliegen, die kriminelle Handlungen als wahrscheinlich erscheinen lassen. Welche Kriminalität bedeutet eine schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit? Hier wäre die Bezeichnung der Tatbestände sinnvoll, mit denen aus Sicht des Gesetzgebers eine schwere Gefahr verbunden ist. Nur solche Taten dürften ggf. verfolgt und bestraft werden (nulla poena sine lege). In Betracht kommen hier die Straftatbestände betreffend kriminelle und terroristische Vereinigungen in den §§ 278 bis 278 d StGB. Wenn aber eine bestimmte Regelung möglich und sinnvoll ist, dann darf der Gesetzgeber nach Auffassung des EGMR darauf nicht verzichten, habe sich also mit der Einräumung von Ermessen und der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe zurückzuhalten.17
[15]
Im Ergebnis ist deshalb der Schluss zu ziehen, dass die gesetzliche Grundlage in § 21 Abs. 3 SPG nicht hinreichend klar ist, und keine ausreichenden Angaben darüber gemacht worden sind, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen die öffentliche Gewalt berechtigt ist, einen geheimen und potentiell gefährlichen Eingriff in das Privatleben vorzunehmen, wie dies vom EGMR gefordert wird.18
[16]
Wenn die Maßnahmen im Interesse der Sache eine Zeit lang oder auf Dauer ohne Information der Betroffenen durchgeführt werden müssen, sind an die Bemessung der Dauer der eingeleiteten Maßnahmen sowie die begleitende Kontrolle durch eine unabhängige Institution erhöhte Anforderungen zu stellen. Da der Betroffene zwangsläufig daran gehindert sei, von sich aus einen Rechtsbehelf einzulegen oder an den Kontrollmaßnahmen mitzuwirken, sei es wesentlich, dass die vorgesehenen Verfahren selbst geeignete und gleichwertige Garantien zum Schutze der Rechte des Einzelnen bieten.19 Nach Auffassung des EGMR enthält das System der Konvention einen gewissen Kompromiss zwischen den Erfordernissen, eine demokratische Gesellschaft zu verteidigen und individuelle Rechte zu schützen. In Zusammenhang mit Art. 8 bedeutet dies, dass ein Ausgleich zwischen der Ausübung des durch Abs. 1 garantierten Rechts des Einzelnen und der Notwendigkeit gemäß Abs. 2 angestrebt werden muss, geheime Überwachungsmaßnahmen zum Schutze einer demokratischen Gesellschaft in ihrer Gesamtheit einzusetzen.20 In diesem Zusammenhang erscheint es nach Auffassung des EGMR wünschenswert, dass auf einem Gebiet, auf dem Missbrauch in Einzelfällen leicht möglich sei, ein Richter mit der nachprüfenden Kontrolle betraut wird. Er hält eine richterliche Kontrolle aber für entbehrlich, wenn die Institutionen, die die Überwachung durchführen, unabhängig und mit ausreichenden Kompetenzen ausgestattet sind, um eine wirksame und ständige Kontrolle durchführen zu können.21 Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen erscheint die Einrichtung des Rechtsschutzbeauftragten im SPG als vertretbare Lösung. Soweit erkennbar ist aber eine nachträgliche Unterrichtung von Betroffenen, deren personenbezogene Daten im Rahmen der erweiterten Gefahrenforschung verwendet worden sind, auch in den Fällen nicht vorgesehen, in denen eine Information den Zweck der Maßnahmen nicht gefährden würde. Außerdem ist die Einschaltung des Rechtsschutzbeauftragten bei der erweiterten Gefahrenforschung lediglich bei Beginn der Maßnahmen vorgesehen, §91c Abs. 3 SPG, wenn nicht besondere Ermittlungsmaßnahmen wie Observation und verdeckte Ermittlungen eingesetzt werden sollen, § 91 c Abs. 1 SPG. Zwar ist der Rechtsschutzbeauftragte berechtigt, von sich aus weitergehende Kontrollen vorzunehmen, § 91 d SPG. Aber diese sind nicht zwingend vorgeschrieben. Auch Vorschriften über die Dauer einzelner Überwachungsmaßnahmen fehlen. Insofern besteht also Nachbesserungsbedarf.

5.

Zusammenfassung ^

[17]
Abschließend kann man feststellen, dass die Regelungen zur erweiterten Gefahrenforschung zu unbestimmt sind und das Ermessen der Sicherheitspolizei nicht klar begrenzen. Für die zulässige Dauer einzelner Überwachungsmaßnahmen bestehen keine Regelungen. Die Kontrollinstanz, der Rechtschutzbeauftragte, ist auch nicht gesetzlich verpflichtet, die Maßnahmen in Abständen zu überwachen. Er darf zwar Auskünfte verlangen, muss es aber nicht, so dass ein ausreichender Rechtsschutz für die Betroffenen nicht gegeben ist.
[18]
Bei der hier vorgestellten Problematik geht es im Kern um das Verhältnis von Sicherheit und persönlicher Freiheit. In dem Spannungsverhältnis zwischen der Pflicht des Staates zum Rechtsgüterschutz und dem Interesse des Einzelnen an der Wahrung seiner Grundrechte gehört nach Auffassung des deutschen BVerfG zu den Aufgaben des Gesetzgebers, in abstrakter Weise einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen zu erreichen.22 Der Gesetzgeber habe das Individualinteresse, das durch einen Grundrechtseingriff beschnitten wird, den Allgemeininteressen, denen der Eingriff dient, angemessen zuzuordnen. Die Prüfung an diesem Maßstab könne dazu führen, dass ein Mittel nicht zur Durchsetzung von Allgemeininteressen angewandt werden darf, weil die davon ausgehenden Grundrechtsbeeinträchtigungen schwerer wiegen als die durchzusetzenden Belange.23 Diese Beurteilung entspricht im Kern auch der Auffassung des EGMR im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit nach Art. 8 Abs. 2 EMRK. Der Beurteilungsspielraum, den der EGMR dem Gesetzgeber und den Behörden einräumt, ist enger, wenn es um wesentliche Grundrechte wie z.B. dem Schutz der Privatsphäre geht und weiter, wenn allgemeine soziale, wirtschaftliche oder moralische Fragen im Raum stehen.24
[19]
Bei den für die innere Sicherheit Verantwortlichen besteht in vielen europäischen Staaten die Neigung, den Aspekten der inneren Sicherheit allgemein Vorrang vor dem Schutz der Freiheitsrechte des Einzelnen einzuräumen, wie eine Reihe von Beispielen verdeutlichen.25 Begründet wird dies vielfach mit dem Hinweis, dass es ohne Sicherheit im Gemeinwesen eine Selbstbestimmung des Einzelnen nicht gäbe, um dann daraus einen Vorrang von Sicherheitsbelangen herzuleiten.26 Das ist jedoch nicht rechtens. Es ist jeweils eine differenzierte Prüfung erforderlich, für die das SPG außer der Erwähnung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in § 29 Abs. 1 SPG und einigen sehr allgemein formulierten Anforderungen dazu in Abs. 2 der Bestimmung jedoch keine detaillierten Kriterien aufstellt.



Egmar Wolfeil, Dissertant, Universität Wien, Arbeitsgruppe Rechtsinformatik
Schottenbastei 10-16/2/5, 1010 Wien, AT,a0849054@unet.univie.ac.at


  1. 1 EGMR vom 16. Februar 2000 (Amann ./. Schweiz), Ziff. 65 und 70,www.menschenrechte.ac.at/orig/00_2/Amann.pdf , Abfrage 28. Dezember 2010.
  2. 2 Tinnefeld, Reformvertrag von Lissabon, Charta der Grundrechte und Rechtspraxis im Datenschutz, DuD 2009, S. 504; Schweizer, Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zum Persönlichkeitsrecht und Datenschutz, DuD 2009, S. 462 ff.
  3. 3 Tettinger/Stein, Kölner Gemeinschaftskommentar zur Europäischen Grundrechtecharta, 2006, Art. 8 Rd.-Nr. 17.
  4. 4 EGMR vom 4. Dezember 2008 (Marper./.Vereinigtes Königreich), EuGRZ 2009, S. 299 ff. (Ziffer 67, S. 307).
  5. 5 EGMR vom 26. März 1987 (Leander./. Schweden), Ziffer 48: «Sowohl das Speichern von Daten als auch ihre Weitergabe, verbunden mit der Verweigerung einer Möglichkeit zum Widerspruch gegen die Weitergabe durch Herrn Leander, führen zu einem Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens, wie es Art. 8 Abs. 1 gewährt»www.eugrz.info/PDF/EGMR3/EGMR03-35 , Abfrage 18. November 2010.
  6. 6 EGMR vom 16. Februar 2000 (Amann ./. Schweiz), Ziffer 65 und 70, siehe Fußnote 1.
  7. 7 EGMR vom 4. Dezember 2008 (S. und Marper./.Vereinigtes Königreich), EuGRZ 2009, S. 299 ff. Ziffer 68, S. 307.
  8. 8 EGMR Urteil vom 27. März 1987, Leander gg. Schweden, Ziffer 48:www.eugrz.info/PDF/EGMR3/EGMR03-35 ; EGMR Urteil vom 4. Mai 2000, Rotaru gg. Rumänien,www.menschenrechte.ac.at/orig/00_3/Rotaru.pdf Ziffer 43: The Court reiterates that the storing of information relating to an individual's private life in a secret register and the release of such information come within the scope of Article 8 § 1, Abfrage 18. November 2010.
  9. 9 EGMR Urteil vom 2. Februar 2000, Amann gg. Schweiz,www.menschenrechte.ac.at/orig/00_2/Amann.pdf , Ziffern 55 und 56, «The Court would reiterate its opinion that the phrase ‹in accordance with the law› does not merely refer back to domestic law but also relates to the quality of the law, requiring it to be compatible with the rule of law, which is expressly mentioned in the preamble to the Convention ... The phrase thus implies – and this follows from the object and purpose of Article 8 – that there must be a measure of legal protection in domestic law against arbitrary interferences by public authorities with the rights safeguarded by paragraph 1 ... Especially where a power of the executive is exercised in secret, the risks of arbitrariness are evident.», Abfrage 28. Dezember 2010.
  10. 10 EGMR Urteil vom 20. Juni 2002 Al-Nashif gg. Bulgarien,www.menschenrechte.ac.at/orig/02_3/Al-Nashif.pdf , Ziffer 119, «The Court reiterates that the phrase ‹in accordance with the law› implies that the legal basis must be ‹accessible› and ‹foreseeable›. A rule's effects are ‹foreseeable› if it is formulated with sufficient precision to enable any individual – if need to be with appropriate advice – to regulate his conduct.», Abfrage 28. Dezember 20110.
  11. 11 EGMR Urteil vom 04. Dezember 2008 (S. und Marper./.Vereinigtes Königreich), EuGRZ 2009, S. 299 ff. (Ziffer 101, S 311).
  12. 12 EGMR Urteil vom 04. Dezember 2008 (S. und Marper gg.Vereinigtes Königreich), Ziffer 101, EuGRZ 2009, S. 299 ff. (311).
  13. 13 EGMR Urteil vom 27. Mai 2004, Connors gg. Vereinigtes Königreich, Ziffer 82; verfügbar:www.echr.coe.int/echr/en/header/case-law/hudoc/hudoc+database/ , Abfrage 18. November 2010.
  14. 14 EGMR Urteil vom 27. April 2007, Evans gg. Vereinigtes Königreich, Ziffer 77; verfügbar:www.echr.coe.int/echr/en/header/case-law/hudoc/hudoc+database/ , Abfrage 18. November 2010.
  15. 15 EGMR vom 04. Dezember 2008 (Marper./.Vereinigtes Königreich), EuGRZ 2009, S. 299 ff. (Ziffer 103, S 311);

    «Die Mitgliedsstaaten des Europarats, die dieses Übereinkommen unterzeichnen …

    Artikel 5

    QUALITÄT DER DATEN

    Personenbezogene Daten, die automatisch verarbeitet werden,

    a) müssen nach Treu und Glauben und auf rechtmäßige Weise beschafft sein und verarbeitet werden;

    b) müssen für festgelegte und rechtmäßige Zwecke gespeichert sein und dürfen nicht so verwendet werden, daß es mit diesen Zwecken unvereinbar ist;

    c) müssen den Zwecken, für die sie gespeichert sind, entsprechen, dafür erheblich sein und dürfen nicht darüber hinausgehen;

    d) müssen sachlich richtig und wenn nötig auf den neuesten Stand gebracht sein;

    e) müssen so aufbewahrt werden, daß der Betroffene nicht länger identifiziert werden kann, als es die Zwecke, für die sie gespeichert sind, erfordern.»

    «RECOMMENDATION No. R (87) 15 OF THE COMMITTEE OF MINISTERS TO MEMBER STATES REGULATING THE USE OF PERSONAL DATA IN THE POLICE SECTOR1 Principle 7 – Length of storage and updating of data

    7.1. Measures should be taken so that personal data kept for police purposes are deleted if they are no longer necessary for the purposes for which they were stored. For this purpose, consideration shall in particular be given to the following criteria: the need to retain data in the light of the conclusion of an inquiry into a particular case; a final judicial decision, in particular an acquittal; rehabilitation; spent convictions; amnesties; the age of the data subject, particular categories of data.

    7.2. Rules aimed at fixing storage periods for the different categories of personal data as well as regular checks on their quality should be established in agreement with the supervisory authority or in accordance with domestic law.»
  16. 16 EGMR- Urteil vom 17. Juni 2008, Meltex Ltd and Mesrop Movsesyan v. Armenia, Ziff. 80: «In addition, domestic law must afford a measure of legal protection against arbitrary interferences by public authorities with the rights guaranteed by the Convention. In matters affecting fundamental rights it would be contrary to the rule of law, one of the basic principles of a democratic society enshrined in the Convention, for a legal discretion granted to the executive to be expressed in terms of an unfettered power. Consequently, the law must indicate the scope of any such discretion conferred on the competent authorities and the manner of its exercise with sufficient clarity, having regard to the legitimate aim of the measure in question, to give the individual adequate protection against arbitrary interference»; verfügbar:www.echr.coe.int/echr/en/header/case-law/hudoc/hudoc+database/ , Abfrage am 26. Dezember 2010; EGMR vom 02. August 1984, Malone gg. Vereinigtes Königreich,www.eugrz.info/PDF/EGMR2/urteil39.pdf , Ziffer 68: «Weil die Anwendung geheimer Kommunikationsüberwachung der Kontrolle der Betroffenen ebenso wie der Öffentlichkeit entzogen ist, würde das ‹Gesetz› den Anforderungen an Rechtsstaatlichkeit widersprechen, wenn das der Exekutive zugestandene Ermessen unbegrenzt wäre. Folglich muss das Gesetz Reichweite und Ausübungsmodalitäten einer solchen Ermächtigung hinreichend klar festlegen, um dem Einzelnen unter Berücksichtigung des verfolgten rechtmäßigen Zieleseinen angemessenen Schutz vor Willkür zu gewähren.» Abfrage 26. Dezember 2010.
  17. 17 Schweizer/Müller, Zwecke, Möglichkeiten und Grenzen der Gesetzgebung im Polizeibereich, Leges 2008, S.S. 379-399 (384).www.bk.admin.ch/themen/lang/00938/02124/04296/index.html?lang=de Abfrage 19. November 2010.
  18. 18 EGMR Urteil vom 26. März 1987, Leander gg. Schweden, Ziffer 51: Wenn die Anwendung des Gesetzes durch geheime Maßnahmen erfolgt und weder von der betroffenen Einzelperson noch von der Öffentlichkeit insgesamt überprüft werden kann, muss das Gesetz selbst – und nicht nur die Verwaltungspraxis – den Umfang des den zuständigen Behörden eingeräumten Ermessens im Hinblick auf das rechtmäßige Ziel der Maßnahmen mit hinreichender Bestimmtheit festlegen, um dem Einzelnen angemessenen Schutzvor Willkür zu gewährenwww.eugrz.info/PDF/EGMR3/EGMR03-35 , Abfrage 19. November 2010.
  19. 19 EGMR-Urteil vom 06. September 1978, Klass u.a. gg. Deutschland,www.eugrz.info/PDF/EGMR1/EGMR31.pdf , Ziffer 55, Abfrage 16. Dezember 2010.
  20. 20 EGMR Urteil vom 06. September 1978, Klass gg. Deutschland, aaO., Ziffer 59.
  21. 21 EGMR Urteil vom 06. September 1978, Klass gg. Deutschland, aaO., Ziffer 56.
  22. 22 BVerfG, 1 BvR 518/02 vom 4. April 2006, Absatz-Nr. (1-184), hier Abs. 88,www.bverfg.de/entscheidungen/rs20060404_1bvr051802.html , Abfrage 14. Januar 2011.
  23. 23 BVerfG, 1 BvR 370/07 vom 27.2.2008, Absatz-Nr. (1-333), hier Abs. 227,www.bverfg.de/entscheidungen/rs20080227_1bvr037007.html , Abfrage 14. Januar 2011.
  24. 24 EGMR Urteil vom 27. April 2007, Evans gg. Vereinigtes Königreich, Ziffer 77, siehe auch oben 4.3.4; verfügbar:www.echr.coe.int/echr/en/header/case-law/hudoc/hudoc+database/ , Abfrage 18. November 2010.
  25. 25 www.heise.de/newsticker/meldung/Datenschutz-Demokratie-zeichnet-sich-durch-Informationsverzicht-aus-844054.html , mit Zitaten von Simitis zum präventiven Datenschutz.
  26. 26 Petri, Sicherheit und Selbstbestimmung, DuD 2010, 539 ff. (542).