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Europaweite e-Wettkultur als Beitrag zur Rationalisierung des deutschen Glücksspielrechts?

  • Author: Alexander Konzelmann
  • Category: Short Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: E-Commerce
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2011
  • Citation: Alexander Konzelmann, Europaweite e-Wettkultur als Beitrag zur Rationalisierung des deutschen Glücksspielrechts?, in: Jusletter IT 24 February 2011
Das deutsche Glücksspielrecht ist Landesrecht, wird immer wieder durch Staatsverträge vereinheitlicht und soll durch Staatsmonopole die Spielsucht eindämmen. Dies führt im Bereich der online-Wetten zu Vorabentscheidungen des EuGH. Teile des materiellen deutschen Glücksspielrechts sind wegen Unvereinbarkeit mit den EG-Grundfreiheiten unanwendbar. Die Netzwirklichkeit wird zu einer Neunormierung veranlassen. Die Rechtslage ist als vorläufig zu dokumentieren.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. EuGH-Entscheidungen zum deutschen Recht
  • 2. EU-Grundfreiheiten versus Glücksspielverbot
  • 3. Ausgangsverfahren
  • 4. Präzedenzfall
  • 5. EuGH-Tenor als bloße Entscheidungshilfe
  • 6. Dokumentationsfragen
  • 7. Ergebnisvermutungen
  • 8. Internationaler Einfluss
  • 9. Normative Kraft des Faktischen

1.

EuGH-Entscheidungen zum deutschen Recht ^

[1]
Die Urteile des EuGH vom 8. September 20101 erklären § 5 Abs. 2 des LottStV (Monopole) für unvereinbar mit den Artt. 43 und 49 EG (Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit). Sie verbieten aufgrund des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts auch eine übergangsweise Anordnung der Weitergeltung der Rechtsvorschriften des LottStV und der Landesgesetze zur Durchsetzung der staatlichen Glücksspielmonopole.

2.

EU-Grundfreiheiten versus Glücksspielverbot ^

[2]
Ein Zustand der Rechtsunsicherheit herrschte seit längerem hinsichtlich der Gültigkeit von staatsvertraglichen und landesrechtlichen Rechtsnormen in Deutschland über das staatliche Glücksspielmonopol. Dieser wurde durch mehrere Entscheidungen des EuGH vom 8. September 2010 von einem neuen Zustand der Rechtsunsicherheit übergangslos abgelöst. Es handelt sich bei den neuen Entscheidungen um Vorabentscheidungen nach Art. 234 EG. Laufende Verfahren privater Glücksspielanbieter gegen deutsche Verwaltungsbehörden vor den Verwaltungsgerichten Gießen, Stuttgart und Köln wurden ausgesetzt. Diese innerstaatlichen Gerichte legten Inzidentfragen zur vorgreiflichen Klärung der richtigen Auslegung des Europarechts dem EuGH vor. Es ging im Wesentlichen in allen Verfahren auch um die Frage, ob die in Artt. 43 und 49 EG verankerten Grundfreiheiten der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs so auszulegen sind, dass sie innerstaatlichen Verbotsnormen entgegenstehen, die es einem privaten Unternehmen untersagen, Sportwetten ohne staatliche Erlaubnis anzubieten und durchzuführen. – Die Gerichte sind gezwungen, so eigenartig zu fragen. Denn einerseits müssen sie den Vorrang des Europarechts effektiv sicherstellen, und andererseits müssen sie sich an die Spielregeln halten und dürfen nur nach der Auslegung des Europarechts fragen. Eigentlich lautete die Frage: «Verbietet nach Ansicht des EuGH das Europarecht die deutschen Glücksspielmonopolvorschriften?»

3.

Ausgangsverfahren ^

[3]
Die Kläger der Ausgangsverfahren wehren sich als Wettanbieter gegen Ordnungsverfügungen mit Zwangsgeldandrohung, Verbotsverfügungen und gegen die Nichterteilung von Erlaubnissen. Die deutschen Behörden verwiesen auf das Staatsmonopol aus § 5 Abs. 2 des Lotteriestaatsvertrages.

4.

Präzedenzfall ^

[4]
Es gab zu einer ähnlichen Fragestellung bereits eine Leitentscheidung des EuGH,2 ebenfalls eine Vorlageentscheidung, in einem italienischen Strafverfahren wegen unerlaubten Glücksspiels. Darin wurde ein doppelter Grundsatz aufgestellt. Zunächst hat der EuGH nämlich anerkannt, dass Beschränkungen der Spieltätigkeiten durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses wie den Verbraucherschutz, die Betrugsvorbeugung und die Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu überhöhten Ausgaben für das Spielen gerechtfertigt sein können. Auf der anderen Seite jedoch müssen die Beschränkungen, die auf solche Gründe sowie auf die Notwendigkeit gestützt sind, Störungen der sozialen Ordnung vorzubeugen, auch geeignet sein, die Verwirklichung dieser Ziele in dem Sinne zu gewährleisten, dass sie «kohärent und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeiten beitragen». Wenn aber die Behörden eines Mitgliedstaats die Verbraucher dazu anreizten und ermunterten, an Lotterien, Glücksspielen oder Wetten teilzunehmen, damit der Staatskasse daraus Einnahmen zufließen, dann könnten sich die Behörden dieses Staates nicht mehr mit dem Kampf gegen die Spielsucht rechtfertigen. Die Berufung auf die öffentliche Sozialordnung trage nicht, wenn damit Werbemaßnahmen und Monopolisierungen zum Zwecke der Einnahmensteigerung begründet würden. Letztlich handelt es sich um ein Verbot widersprüchlichen Verhaltens. Der EuGH hatte sich nur zur Vorlagefrage geäußert und blieb im Übrigen bei seinem Mantra: «Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die nationale Regelung angesichts ihrer konkreten Anwendungsmodalitäten tatsächlich den Zielen Rechnung trägt, die sie rechtfertigen könnten, und ob die mit ihr auferlegten Beschränkungen nicht außer Verhältnis zu diesen Zielen stehen.» – Auf die Grundsätze aus dieser gegenüber Italien ergangenen Entscheidung stützten die vorlegenden Verwaltungsgerichte ihre Vorlagebeschlüsse. Sie beobachteten in Deutschland auch nach Inkrafttreten des Lotteriestaatsvertrages einen Mangel an Kohärenz und Systematik in der Begrenzung der Wetttätigkeiten und in der Bekämpfung der sozialen Risiken der Spielsucht und legten diese Regeln dem EuGH zur «Scheinheiligkeitsprüfung» vor.

5.

EuGH-Tenor als bloße Entscheidungshilfe ^

[5]
In den eingangs genannten aktuellen Entscheidungen lehnte der Gerichtshof eine Pflicht zur Anerkennung ausländischer Erlaubnisse im Hinblick auf die fehlende Harmonisierung des Glücksspielrechts in Europa ab. Der EuGH stellte allerdings fest, dass ein Monopol ein stärkerer Eingriff ist als ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt und deshalb einer besonderen Rechtfertigung bedürfe. Er stellte erneut klar, dass das vorlegende Gericht selbst über die Vereinbarkeit entscheiden müsse. Allerdings gab er eine sehr deutliche Entscheidungshilfe mit der Formulierung, das vorlegende nationale Gericht könne angesichts der Faktenlage in Deutschland «berechtigten Anlass zu der Schlussfolgerung haben, dass ein solches Monopol nicht geeignet ist, (...) in kohärenter und systematischer Weise» begrenzend auf die Gefahren durch Glücksspiele zu wirken. Die angeführten Urteile erklären also § 5 Abs. 2 des «alten» LottStV (Monopole) bei leicht interpretierender Lektüre für unvereinbar mit den Artt. 43 und 49 EU (Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit) und verbieten auch die übergangsweise Anordnung der Weitergeltung des LottStV und der Landesgesetze zur Durchsetzung der staatlichen Glücksspielmonopole.

6.

Dokumentationsfragen ^

[6]
Schwierig ist allerdings die digitale Dokumentation der Interims-Rechtslage. Sind die deutschen Vorschriften als gültig oder nicht-gültig zu kennzeichnen? Fußnoten erläutern nun Passagen des Staatsvertragsrechts und der Durchführungsnormen auf Länderebene. Wo ist die Grenze zwischen Dokumentation und wissenschaftlichem Kommentar, zu dem man eventuell gar nicht berufen ist? Hinzu kommen zwei Probleme der Kontinuität: Zitatverschiebungen im EU-Recht und ein neuer Staatsvertrag. Aufgrund des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon ist nämlich die Niederlassungsfreiheit nun in Art. 49 und der freie Dienstleistungsverkehr in Art. 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) geregelt und Vorab-Entscheidungen stützen sich nun auf dessen Art. 264 Abs. 2. Inhaltlich hat sich aber nichts geändert, sodass man für künftige Konstellationen einfach auf diese neuen Zitate verweisen kann. – Lässt sich aus diesen Urteilen aber auch ableiten, dass auch die «neuen» Monopole in § 10 Absätze 2 und 5 des Glücksspielstaatsvertrags von 20073 unwirksam sind und dass das absolute Verbot aus § 4 Abs. 4 ungültig ist, welches «das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet» untersagen will? Sind Verbotsverfügungen aufgrund der landesrechtlichen Durchführungsgesetze zum GlüStV nicht vollstreckbar? – Vieles spricht dafür. Immerhin hat der EuGH ausdrücklich seine durchaus robuste «Simmenthal»-Rechtsprechung angeführt. Und einer der «Simmenthal»-Leitsätze verfügt auch, dass ein wirksames Zustandekommen neuer staatlicher Gesetzgebungsakte insoweit verhindert wird, als diese mit Gemeinschaftsnormen unvereinbar wären.

7.

Ergebnisvermutungen ^

[7]
Der Wortlautvergleich ergibt: Bis auf drei Feigenblatt-Regelungen4 sind die neuen Texte als wesentlich inhaltsgleiche Nachfolgevorschriften zu beurteilen und daher wegen Unvereinbarkeit mit unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht (Artt. 49 und 56 AEUV) ab sofort unanwendbar (Verbot der Normwiederholung).
[8]
Mitnichten ist damit aber ein dauerhaftes «njet» über das deutsche Glücksspielmonopol gesprochen. Sofern sich der Umgang der Toto-Lotto-Konzessionäre mit Werbung und Suchtprävention ändert und sobald der Staat ähnlich gefährliche Tatbestände (Pferdewetten, Casinos) auch vergleichbar regelt, kann gemäß den EuGH-Grundsätzen aus «Gambelli» die Rechtfertigung wieder aufleben. Die deutsche Ministerpräsidentenkonferenz hat sich zum Thema Glücksspielstaatsvertrag auf März 2011 vertagt. Im Gespräch ist ein sogenanntes Konzessionsmodell: Einerseits soll das staatliche Lotteriemonopol fortgeführt, andererseits aber ein staatlich reguliertes und kontrolliertes System für Sportwetten eingeführt werden.5

8.

Internationaler Einfluss ^

[9]
Der auf das Internet zurückzuführende faktische Angleichungsdruck an Nachbar-Rechtsordnungen ist aber nicht zu unterschätzen und kann solche juristischen Spitzfindigkeiten rasch ad absurdum führen. Betrachtet man nur wenige Beispiele, ergeben sich schon bedeutende Differenzen in der Einschätzung, wer wogegen zu schützen sei.
[10]
Österreich hat ein gesetzlich geregeltes Casinomonopol mit freihändiger Lizenzvergabe. Dieses wurde unter dem Eindruck eines laufenden EuGH-Verfahrens Ende 2010 geändert. Die Betreiber wie Casinos Austria oder Novomatic müssen nun z.B. Geld für Suchtprävention ausgeben. – InFrankreich öffnete ein Gesetz vom 6. April 2010 den Markt und installierte eine Aufsichtsbehörde, die legale Anbieter gegen Abführen der Steuer in eine Positivliste einträgt. (http://www.arjel.fr/-Jeux-et-paris-autorises-.html). Bei staatlichen Stellen war auch online-Glücksspiel erlaubt, es gab gewisse Staatsmonopole. Unter dem Druck der Europäischen Kommission und der Fussball-WM 2010 wurde das online-Wetten und -Spielen gegen Lizenz erlaubt. – InGroßbritannien ist 2007 der Gambling Act 2005 in Kraft getreten.6 Er regelt die Lizenzierung von Glücksspielveranstaltungen durch untere Verwaltungsbehörden und enthält Jugend- und Verbraucherschutzaspekte. Er installiert insgesamt ein eher liberales System, britische Traditionsspiele wie Bingo, Poker oder Pferdewetten erscheinen als Grund denkbar. – In denUSA sind Casinos, Pferdewetten und Poker erlaubt, aber online-Spielen ist streng reguliert und oft verboten. Laut dem sogenannten Wire Act von 1961 dürfen Sportereignisse nicht live zu Wett-Zwecken weiterübermittelt werden. Dies gilt laut einem Urteil aber nicht für online-Glücksspiele allgemein. Eine Zentralvorschrift ist der Illegal Gambling Business Act von 1970, der unter anderem der Geldwäsche durch Banden vorbeugen sollte. Die USA verloren 2007 einen Prozess gegen Antigua und Barbuda vor der WTO,7 weil ihre eigenen Gesetze über online-Pferdewetten nicht diskriminierungsfrei seien.8 – In derSchweiz ist das Casinomonopol in der Bundesverfassung geregelt. Nach deren Art. 106 BV gibt der Bund Konzessionen heraus und für die Zulassung von Geschicklichkeitsspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit sind die Kantone zuständig. – InItalien ist das Glücksspiel ebenfalls nur erlaubt, soweit eine staatliche Konzession vorliegt. Glücksspiele, die auf einer amtlichen Verbotsliste stehen, sind gemäß Art. 110 des Gesetzes über die Öffentliche Sicherheit (tulps) an öffentlichen Orten verboten.9 Der EuGH-Prozess, in welchem das Zusammenspiel von staatlichem Glücksspiel und Publikumsschutz zuerst deutlich formuliert wurde, war Gambelli gegen Italien (Rs. C-243/01). Für das «gokken» in denNiederlanden gilt ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt im «Wet op de kansspelen», faktisch also ein Staatsmonopol; dort gibt es daher nur eine begrenzte Anzahl von Institutionen, die Glücksspiele anbieten dürfen, darunterHolland Casino ,Staatsloterij und dieLotto gesellschaft.

9.

Normative Kraft des Faktischen ^

[11]
Die faktische oder normative Angleichung wird immer in Richtung der liberalsten Nachbarrechtsordnung stattfinden. Denn über das Netz kann man weltweit an online-Wetten und online-Glücksspielen teilnehmen. Solange es also irgendeine Rechtsordnung erlaubt – oder zwar verbietet, aber nicht effektiv bekämpft, – wird es auch aus Deutschland heraus immer die Möglichkeit zum Glücksspiel geben. Auch die Abwicklung von Wetten und Bezahlung kann mit zumutbarem Aufwand so geregelt werden, dass nationale Ermittler vor Problemen stehen, wenn sie die Kommunikation unterbinden wollten. Internationale Ermittlungen werden sich kaum auf eine so disparat geregelte Rechtsmaterie fokussieren. Negativ auffallende Veranstalter müssen zwar damit rechnen, in mehreren Staaten auf online-Warnlisten gesetzt zu werden. Aber dass sie aus dem Netz verdrängt werden, ist schwerlich vorstellbar.



Alexander Konzelmann, Abteilungsleiter, Richard Boorberg Verlag Stuttgart, Rechtsdatenbanken, Scharrstraße 2,70563 Stuttgart, DE,a.konzelmann@boorberg.de ,www.boorberg.de


  1. 1 Vorabentscheidungsersuchen C-316-07 u.a. sowie C-409/06.
  2. 2 «Gambelli», Urteil vom 6. November 2003 – Rs. C-243/01.
  3. 3 Dem Wortlaut nach in Kraft seit 1.Januar 2008.
  4. 4 Zum neuen Expertenfachbeirat, zur Begrenzung der Zahl der Annahmestellen und zur partiellen gemeinnützigen Gewinnverwendung.
  5. 5 Frankfurter Rundschau online vom 26. Dezember 2010http://www.fr-online.de/sport/wirrwarr-um-den-wettumsatz/-/1472784/5043238/-/view/asFirstTeaser/-/index.html .
  6. 6 http://www.legislation.gov.uk/ukpga/2005/19/contents .
  7. 7 http://en.wikipedia.org/wiki/Online_gambling#Antigua_and_Barbuda .
  8. 8 http://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/cases_e/ds285_e.htm .
  9. 9 http://www.sapar.info/Generale/tulps01.pdf .