Jusletter IT

Workshop «elektronische Rechtsetzung»

  • Author: Günther Schefbeck
  • Category: Short Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Elektronische Rechtsetzung
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2011
  • Citation: Günther Schefbeck, Workshop «elektronische Rechtsetzung», in: Jusletter IT 24 February 2011
Dieser Beitrag liefert eine kurze Zusammenfassung über die Vorträge des Schwerpunkts «Elektronische Rechtssetzung» im Rahmen des IRIS 2011. Der Workshop fokussiert auf die heute operativen Systeme, den aktuellen Entwicklungen den weiteren Ausbau legistikspezifischer Anwendungen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Themenstellung
  • 2. Die Beiträge
  • 2.1. Normative und sozioökonomische Modellierung als legistische Aufgaben(Günther Schefbeck)
  • 2.2. «Recht einfach»: Semantische Rechtsmodelle als Basis für die Orchestrierung von E-Government-Services(Doris Ipsmiller/Markus Klein)
  • 2.3. Semantische Mustererkennung in normativen Texten und in Texten aus Diskussions-Plattformen sozialer Netzwerke(Hannes Stefko)
  • 2.4. E-Rechtsetzung: Können moderne Redaktionssysteme die legistische Arbeit unterstützen?(Heide Ebert)
  • 2.5. Semantically Enhanced, Collaborative Writing in the Field of Legislative Drafting(Alexander Szlezak)
  • 2.6. Beyond Presentation: Modern Requirements for E-Law Data Formats(Gioele Barabucci/Luca Cervone/Monica Palmirani/Fabio Vitali)
  • 2.7. Long-term Preservation and Legal Validity of E-Law(Monica Palmirani)
  • 2.8. Legislative Time Machine – Explore compiled law in the past, present, and future(Grant Vergottini)

1.

Themenstellung ^

[1]
«Elektronische Rechtsetzung» steht zum einen für die informationstechnische Unterstützung von Rechtsetzungsprozessen – also von hochformalisierten Geschäftsprozessen, die durch verfassungs- und verfahrensrechtliche Regeln gesteuert werden, welche eine tief in die Papierkultur zurückreichende Tradition aufweisen –, zum anderen für neue Umgebungen, in denen sich Rechtsetzung vollzieht, und zwar nicht nur technische, sondern auch soziale Umgebungen, die durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien geprägt sind. Österreich nimmt in der elektronischen Rechtsetzung im europäischen Rahmen eine Vorreiterrolle ein; umso mehr erscheint es geboten, die jeweils aktuellen Entwicklungen zu beobachten und zur Grundlage für den weiteren Ausbau legistikspezifischer Anwendungen zu machen. Aus diesem Grund richtet der Workshop den Blick über die Grenzen – über die Grenzen Österreichs, aber auch über die Grenzen der heute operativen Systeme.
[2]
Dieser Perspektive auf eine weiter wachsende Bedeutung der neuen Technologien für die Unterstützung der Dynamik des normativen Systems entsprechend, widmet sich bereits zum vierten Mal im Rahmen des IRIS ein Workshop dem Thema «Elektronische Rechtsetzung». Der erste Workshop dieser Art, im Jahr 2008, hat das Hauptaugenmerk auf elektronische Anwendungen zur Unterstützung zivilgesellschaftlicher Partizipation im Rechtsetzungsprozess gerichtet. Im Mittelpunkt des zweiten Workshops, im Jahr 2009, sind die neuen Ansätze des Wissensmanagement und insbesondere der semantischen Technologien in ihrer Anwendbarkeit auf den Rechtsetzungsprozess gestanden. Der dritte Workshop, im Jahr 2010, hat sich besonders mit der Frage auseinandergesetzt, welche Anforderungen an die Gestaltung legistischer Arbeitsumgebungen zu richten sind und wie solche Umgebungen künftig beschaffen sein könnten.
[3]
Die Arbeit des Legisten bzw. der Legistin, gleichermaßen aber auch die ihr vor- wie auch nachgelagerte politische Programmierungsaufgabe der Akteure und Akteurinnen des politischen Systems berührt einer der thematischen Schwerpunkte des Workshop des Jahres 2011: nämlich die Diskussion der Möglichkeiten der semantischen Modellierung, die zumindest mittel- und langfristig der Rechtsetzung und Rechtsfolgenabschätzung neue Perspektiven eröffnet. In Fortführung des Schwerpunktthemas des Workshop 2010 wird auch die Gestaltung legistischer Arbeitsumgebungen angesprochen, in die geeignete Modellierungswerkzeuge gegebenenfalls einzubetten wären. Die aktuellen und zeitübergreifenden Anforderungen an elektronische Rechtsetzung werden anhand vorschreitender internationaler Entwicklungen diskutiert, die sich – dem Leitthema der Konferenz entsprechend – vielfach im Rahmen europäischer oder sogar globaler Projektkultur vollziehen; um den Austausch mit Expertinnen und Experten aus dem Ausland zu erleichtern, wird eine Session des Workshop erstmals in englischer Sprache abgehalten.

2.

Die Beiträge ^

2.1.

Normative und sozioökonomische Modellierung als legistische Aufgaben(Günther Schefbeck) ^

[4]
Rechtsetzung ist eine strukturell und prozedural formalisierte Ebene der staatlichen Willensbildung, die in iterativen Schritten mit deren informellen Ebenen verflochten ist. In der Regel geht der konkreten legistischen Formulierung eine politische Ziel/Mittel-Entscheidung voraus, die in ein abstraktes sozioökonomisches Modell eingebettet ist. Jenseits narrativer sozioökonomischer Modelle, die den politischen Alltagsdiskurs beherrschen, sind auch bisher schon konsistente Rechenmodelle – wie etwa die Sozialrechnungsmatrix – verwendet worden, um die Auswirkungen rechtsetzender Maßnahmen auf das soziale System zu simulieren. Semantische Modellierungsansätze werden es erlauben, sozioökonomische Rechtsfolgenabschätzung als Beitrag zur Versachlichung normativer Diskurse flexibler einsetzbar und auch für partizipative Prozesse verfügbar zu machen.
[5]
Überbrückt die sozioökonomische Modellierung in der Simulation der Auswirkungen normativer Akte auf das soziale System die Welten von Sollen und Sein, so ermöglicht die normative Modellierung die Beurteilung der Auswirkungen normativer Akte auf das normative System selbst. Bereits die (antizipierende) Textkonsolidierung beruht auf einem textbasierten Ansatz normativer Modellierung. Semantische Modelle, welche die Extraktion formaler Logik aus Text oder die Umsetzung von Logik in Text erlauben, würden beispielsweise auch die automationsunterstützte Verarbeitung impliziter Referenzen möglich machen. Sprachliche Ambiguitäten lassen langfristig einen Paradigmenwechsel zur formalen normativen ex ante-Modellierung diskussionswürdig erscheinen.

2.2.

«Recht einfach»: Semantische Rechtsmodelle als Basis für die Orchestrierung von E-Government-Services(Doris Ipsmiller/Markus Klein) ^

[6]
Die Modellierung von Rechtsmaterien als Ontologie und die intelligente, semantische Orchestrierung von Services ermöglichen eine neue Generation von Service-Leistungen für Bürger und Unternehmen: echtes One-Stop-Government. Bestehende eGovernment-Services werden automatisch und über Behördengrenzen hinweg gemäß der konkreten Anforderung zu einer konsolidierten Erledigung gebündelt.
[7]
Die Rechtsetzung wird durch die Simulation des strukturierten Rechtsmodells unterstützt und für alle Beteiligten – also auch für Bürger und Unternehmen – erlebbar gemacht. Das Rechtsmodell ist Grundlage für einen interaktiven Assistenten, der situationsbezogene Auskunft zu konkreten Anfragen anstatt allgemeiner Hilfstexte und FAQs bietet. Auf Basis der eingegebenen Daten leitet der Assistent eine maßgeschneiderte Empfehlung ab – und das ohne Programmierung ausschließlich nur auf Basis eines Modells der zugrundeliegenden Rechtsmaterie.
[8]
Zusätzlich zu dieser «Entscheidungsunterstützung» können notwendige Amtswege weitestgehend automatisiert werden. Die Semantic Service Orchestration übernimmt das dynamische Zusammenstellen der optimalen eGovernment-Services auf Basis des Rechtsmodells, erledigt deren Aufruf und liefert ein konsolidiertes Ergebnis (z.B. die Gewerbeanmeldung). Bestehende eGovernment-Service werden integriert, mit «Intelligenz» versehen und wissen damit selbständig, welche Dienstleistung sie für den anfragenden Benutzer in einer bestimmten Situation erbringen können.
[9]
Damit bietet die Modellierung von Rechtsmaterien sowohl in der Rechtsetzung als auch in der Rechtsanwendung enormes Potential für Vereinfachung und Automatisierung sowie zahlreiche Vorteile für Bürger, Unternehmen und die öffentliche Verwaltung.

2.3.

Semantische Mustererkennung in normativen Texten und in Texten aus Diskussions-Plattformen sozialer Netzwerke(Hannes Stefko) ^

[10]
Die sozioökonomische Modellierung und Simulation könnte ein wesentlicher Beitrag für eine gesellschaftsnahe Gesetzgebung sein. Legisten hätten die Möglichkeit, in frühen Phasen der Entwurfsarbeit die Auswirkungen und Einflüsse von neuen Gesetzen auf wirtschaftliche Aktivitäten und gesellschaftliche Abläufe zu erkennen. Die normativen Referenzen in unterschiedlichen Gesetzen sind sehr wichtig für die sozioökonomische Modellierung, jedoch erhöhen sie die Komplexität enorm. Um diese Komplexität in den Griff zu bekommen, würden sich Technologien für die Erkennung von Gemeinsamkeiten in sehr unterschiedlichen Mustern anbieten. Die Muster stellen die Basis für die semantische Auswertung dar. Semantische Auswertungen sind meist einfacher zu handhaben, wenn sie die Eigenschaften von Texten erkennen und darstellen sollen.
[11]
Die Muster, die bei der semantischen Analyse von Gesetzestexten und deren normativen Referenzen entstehen, stehen meist in Relationen zu den Mustern, die bei der semantischen Analyse von Blogs und Foren entdeckt werden, wenn über Produkte und Freizeitaktivitäten diskutiert wird, die direkt oder indirekt von Gesetzestexten beeinflusst werden. Parallel ist die Wirtschaft an der semantischen Analyse von Blogs und Foren sehr interessiert und leitet aus den gewonnenen Erkenntnissen neue Strategien für Produkte und das Steuern von Konsumentenverhalten ab. Somit ergibt sich eine neue Möglichkeit, aus der semantischen Analyse von Texten der Legisten, Konsumenten und Wirtschaft ein sozioökonomisches Modell mittels Informations-Technologie zu erstellen.

2.4.

E-Rechtsetzung: Können moderne Redaktionssysteme die legistische Arbeit unterstützen?(Heide Ebert) ^

[12]
Anknüpfend an den Vortrag von Frau Krenn-Mayer auf dem IRIS 2010 «Anforderungen an eine elektronische legistische Arbeitsumgebung» sowie Stichpunkte aus den Vorträgen von Hrn. Engeljehringer, Herrn Zach und Frau Glück auf dem IRIS 2010, sollen diese Anforderungen mit denen von Redaktionen aus dem «Corporate und Legal Publishing» verglichen werden. Unter «Corporate Publishing und Legal Publishing» werden Lösungen für Fachverlage, vertriebliche und technische Redaktionen, Pharmaunternehmen usw. verstanden. Ziel ist, zu überprüfen, ob sich Ansätze aus bestehenden Redaktionssystemen auch für das «Legal Editing» nutzbar machen lassen. Beim Vergleich soll insbesondere berücksichtigt werden: Workflow und Prüfungsabläufe, Konsistenzprüfung, Autorenunterstützung (einheitliche Fachsprache), Unterstützung bei der Strukturierung, Strukturelle Vorlagen, Metadaten, Single Source Editing und Single Source Publishing, Recherche, Versionierung und Versionsvergleich, Flexibilität und Anpassbarkeit des Systems, Publikation. Anhand eines bestehenden Redaktionssystems kann beispielhaft gezeigt werden, wie eine solche Unterstützung aussehen kann.

2.5.

Semantically Enhanced, Collaborative Writing in the Field of Legislative Drafting(Alexander Szlezak) ^

[13]
In today’s life, real time online collaboration becomes more important than ever. Classical text processing and e-mail are limited in their ability to support people in organizations in regard to collaboration and retrieving the right information at the right time. Finally, legal compliance requirements and security considerations prevent many organizations, especially in the public sector, to use existing tools like Google Docs, Zoho Docs and Microsoft Office Live. The Aloha Wikidocs project will provide an easy-to-use real time online content collaboration framework to enable organizations and individuals to use state-of-the-art content collaboration infrastructure based on the combination of the advantages of wiki systems and the existing docs services. Document creation will be supported by semantically enhanced annotation, referencing and retrieval services to make sure existing documents of various original matching the topic worked on will be available at a mouse click. The focus of the presentation lies on the requirements of the legislative process, which depends on large amounts of complex, interlinked documents.

2.6.

Beyond Presentation: Modern Requirements for E-Law Data Formats(Gioele Barabucci/Luca Cervone/Monica Palmirani/Fabio Vitali) ^

[14]
With an inevitable wake of false starts, limited experiments, lukewarm results and partial successes, large-scale electronic collections of legal documents are slowly but steadily becoming accepted by both law-making entities and final users. But if the original purpose of these huge document bases has been, basically, to produce a computer counterpart of their traditional representation on paper, new and challenging requirements are in fact starting to arise: not only the controlled support in the generation of consolidated versions of the law, which has always been the «forte» of Akoma Ntoso, but also long-term preservation, semantic analysis, ontological characterization, or multi-format interchange, just to name a few. In this presentation we will discuss how Akoma Ntoso copes with these new challenges and where it is heading.

2.7.

Long-term Preservation and Legal Validity of E-Law(Monica Palmirani) ^

[15]
The role of official gazettes and journals in Web 2.0 is changing, and the new Web technologies are providing an opportunity to introduce new functionalities. Thus Legal XML is being widely adopted as a method for managing legal documentation. In this new dematerialized scenario (e-Law) the official gazettes, and the relative institutional bodies, have to balance competing desiderata – XML expressiveness with the long-term preservation and integrity of documents – taking into account not only the technical aspects but also legal-philosophical considerations. One challenge will be to exploit technical advances to ensure the authenticity and validity of digital sources of law over time, all the while ensuring that system manipulations can be distinguished from the original content issued by the law- or rule-making body. This contribution presents some possible scenarios analyzing the characteristics that Legal XML should have if we are to achieve the goal of preserving the validity of digital legal documents over time for the generations to come.

2.8.

Legislative Time Machine – Explore compiled law in the past, present, and future(Grant Vergottini) ^

[16]
Despite being compiled or consolidated, determining California's law at a point in the past is often quite difficult. Likewise, predicting what it might be like in the near future is challenging. Even when the historical records of California legislation are made public, the information is often fragmented, incomplete, or ambiguous.
[17]
We are working to develop a holistic solution to this problem in a manner that allows other applications to use this information and that allows extension to other legislative bodies. Our approach is to build a standards-based semantic web using XML technologies such as RDF and AKOMA NTOSO to provide a straightforward mechanism for retrieving existing law at any point in the past, or proposed law in the near future. By simple extension of existing capabilities, we also allow smart comparison of the law at any two points in time.
[18]
With prior experience to guide us, we have been able to achieve very accurate computation of the law – automatically assimilating numerous plain text and database sources into a unified information repository. Challenges are dealing with historical errors in legislation and the ambiguity of effective versus operational law. Our goal with this effort is to lay the groundwork for a common information framework for all legislative material. Our eye is on the potential for an application ecosystem to be built around a common information repository.



Günther Schefbeck, Abteilungsleiter, Parlamentsdirektion, Abteilung «Parlamentarische Dokumentation, Archiv und Statistik», Dr. Karl Renner-Ring 3, 1017 Wien, AT,guenther.schefbeck@parlament.gv.at