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Erfolgskriterien für E-Government-Projekte – Eine Analyse aus Sicht von Philosophie und Wirtschaftswissenschaften

  • Authors: Robert Müller-Török / Werner Faßrainer
  • Category: Short Articles
  • Region: Germany, Austria
  • Field of law: E-Government
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2011
  • Citation: Robert Müller-Török / Werner Faßrainer, Erfolgskriterien für E-Government-Projekte – Eine Analyse aus Sicht von Philosophie und Wirtschaftswissenschaften, in: Jusletter IT 24 February 2011
E-Government-Projekte sind regelmäßig Gegenstand der politischen Auseinandersetzung. Während Projektauftraggeber, beteiligte Verwaltungsbeamte und externe Auftragnehmer sie regelmäßig als große Erfolge bezeichnen, fällt die Beurteilung durch politische Gegner und Bürger häufig ganz anders aus. Die klassischen Erfolgskriterien und -messmethoden der Ökonomie sind hier nur in Ausnahmefällen, etwa bei elektronischen Steuererklärungen, anwendbar. Die Autoren, ein Philosoph und ein Betriebswirt, stellen die Frage, was Erfolg eigentlich sein soll. Der Erfolgsbegriff aus der Sicht der Philosophie sollte zunächst neutral betrachtet werden und innerhalb seines Begründungszusammenhanges entfaltet werden. Dazu sind u.a. die Begriffe Kausalität, Wesen, Wirklichkeit und Messbarkeit zu hinterfragen. Max Planck's Postulat «Wirklich ist, was sich messen lässt» ist hierbei von besonderer Bedeutung, ebenso die historische Herkunft des Erfolgsbegriffes als «etwas zur Folge haben». Wer den Erfolg nur als das Bewirken einer Wirkung bezeichnet, greift zu kurz, weil die Kausalität zwischen Projektarbeit und Erfolgswirkung nicht «zweifelsfrei nachgewiesen» werden kann. Der Beitrag enthält Empfehlungen, wie Erfolgskriterien und die anzuwendenden Messverfahren (und deren Grenzen!) für konkrete Projekte ex-ante festgelegt werden müssen, um die Erfolgsdiskussion wenigstens zu versachlichen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einführung – Wahrnehmung von E-Government-Projekten
  • 2. Der Begriff «Erfolg»
  • 2.1. Der Erfolgsbegriff in den Wirtschaftswissenschaften
  • 2.2. Der Erfolgsbegriff im Projektmanagement
  • 2.3. Der Erfolgsbegriff in der Philosophie
  • 2.4. Kein Erfolg ohne ex-ante definiertes Ziel
  • 2.4.1. Zielerreichung beim E-Government-Projekt «E-Voting bei den ÖH-Wahlen 2009»
  • 3. Schlussfolgerungen
  • 4. Literatur

1.

Einführung – Wahrnehmung von E-Government-Projekten ^

[1]
Die Wahrnehmung solcher Projekte ist höchst unterschiedlich. Nimmt man beispielsweise das Projekt «E-Voting bei den ÖH-Wahlen 2009», so reicht die Bandbreite der «subjektiven» Äußerungen über den Erfolg dieses Projektes von «E-Voting war ein Erfolg»1 bis zu «endgültig beerdigt»2 mit sämtlichen Zwischentönen. Ähnlich ist es bei dem Projekt der österreichischen Bürgerkarte, wo die Äußerungen eine ähnliche Bandbreite von «Die e-card als Bürgerkarte wird in der österreichischen Gesellschaft immer häufiger genutzt»3 bis zu «Gescheitertes Experiment Bürgerkarte – Wann ist Schluss mit dem Unfug?»4 füllen.
[2]
Begünstigt wird diese Wahrnehmungsbandbreite dadurch, dass bei vielen E-Government-Projekten nicht ex-ante festgelegt wird, was die Erfolgskriterien sind und wann ein solches Projekt – vom Auftraggeber - als erfolgreich betrachtet wird. Im Falle des erwähnten E-Voting-Projektes gibt es trotz umfangreicher Berichterstattung und Öffentlichkeitsarbeit nur wenige Hinweise, dass solche Ziele zu Projektbeginn feststanden, geschweige denn quantifiziert wurden, nämlich «Hahn will damit der sich reduzierenden Wahlbeteiligung» entgegenwirken5 , «barrierefreies Wählen für Behinderte sicherstellen» sowie «auf lange Sicht auch Kosten sparen»6 .
[3]
Anhand dieser dreier Ziele kann gezeigt werden, dass ein «objektives» Urteil über ihre Erreichung schwierig ist. Wahlbeteiligung hängt von sehr vielen Faktoren ab, inwieweit ein einzelner neuer Faktor, nämlich das Angebot einer Distanzwahlmöglichkeit hier einen Einfluss hat, ist ex-post nicht einfach zu beantworten. Das Angebot für barrierefreies Wählen für Behinderte ist, wie es formuliert ist, ein bloßes Angebot – ob es überhaupt jemand angenommen hat ist irrelevant, da hier das Angebot das Ziel ist. Einzig beim Kriterium «auf lange Sicht Kosten sparen» kann beurteilt werden: Da der E-Voting-Versuch bei den kommenden ÖH-Wahlen nicht wiederholt wird7 – aus welchen Gründen auch immer – wurde dieses Ziel offensichtlich verfehlt.
[4]
Eine Operationalisierung des Erfolgsbegriffes scheint erforderlich, ehe konkrete E-Government-Projekte im Hinblick auf ihren Erfolg beurteilt werden können.

2.

Der Begriff «Erfolg» ^

[5]
Umgangssprachlich wird unter Erfolg die Erreichung eines Zieles verstanden und Kausalität (Ursache-Wirkung) impliziert. Ausgehend von einem Zustand A zu einem Zeitpunkt T0 wird zu einem späteren Zeitpunkt T1 ein anderer Zustand B erreicht, der sich vom Ausgangszustand A in wenigstens einem Zustandsmerkmal (Attribut) unterscheidet. Das deutsche Wort «Erfolg» beinhaltet die Folge, ähnlich wie das englische Wort «success» etymologisch diese Folge beinhaltet. Kluge definiert Erfolg als «Rückbildung zu erfolgen, erreichen, erlangen»; vielleicht unter dem Einfluss von frz. succéder und succès8 . Weil eine Aktion durchgeführt wurde, hatte diese Aktion etwas zur Folge – den Erfolg.
[6]
Kausalität ist hingegen das Verhältnis eines Verursachenden, Bewirkenden, einer Ursache zu einem Verursachtem, Bewirkten. Daraus, dass eine Aktion X unternommen wurde, veränderte sich der Zustand A zwischen T0 und T1 in einen anderen Zustand B. Hierbei ist die Frage von Interesse, ob es möglich oder notwendig ist, dass eine Ursache bei oder nach dem Bewirken ihrer Wirkung bzw. Wirkungen ganz oder teilweise vergeht oder nicht vergeht und auch weiter etwas bewirkt9 . In unserem Fall, ob X sozusagen «verschwindet» oder ob es noch irgendeinen weiteren, veränderten Zustand C neben B gibt.
[7]
Beispielsweise bei Fußballspielen ist der Erfolgsbegriff Gegenstand von entgegengesetzten Interpretationen, ähnlich wie bei E-Government-Projekten. Durch das Zusammenwirken von zweimal elf Spielern, einem Schiedsrichterteam, Zuschauern, Wettern u.v.m. ist der Erfolg, mehr noch die Kausalität und die Ursache des Erfolges Streitgegenstand. Die Einführung exakter technischer Messmethoden, wie z.B. der nachträgliche Video-«Beweis» verstärken den Streit eher anstatt ihn zu versachlichen – die Diskussionen um die Aberkennung regulärer, i.e. regelkonformer, Torerfolge u.ä. bei der Fußballweltmeisterschaft 2010 ist noch in guter Erinnerung.
[8]
Aus diesen Gründen erscheint es notwendig, den Erfolgsbegriff aus verschiedenen Sichten zu vertiefen.

2.1.

Der Erfolgsbegriff in den Wirtschaftswissenschaften ^

[9]
Führende Lehrbücher verweisen gleich zu Beginn auf drei klassische methodische Probleme der Wirtschaftswissenschaften, denen gerade im Zusammenhang mit dem Erfolgsbegriff besonders hohe Bedeutung zukommt10 :

«Falling to keep all other things equal»: Es ist, wie am Beispiel der Wahlbeteiligung einleuchtet, unmöglich in einem komplexen System alle Variablen unter Kontrolle zu halten. Was immer ein E-Government-Projekt tut und unterlässt, es gibt stets andere Einflussfaktoren von außerhalb des Projektes.

«The Post Hoc Fallacy»: Der Ausdruck «post hoc, ergo propter hoc» ist in den Wirtschaftswissenschaften nicht immer gültig. Ebenso wenig ist er bei Projekten gültig, da – s.o. - etliche andere Faktoren auf die Zielgröße einwirken.

«The Whole is not Always the Sum of the Parts – The Fallacy of Composition»: Was für den einzelnen oder für ein isoliertes Vorhaben zum Ziel führen würde, gilt nicht mehr, wenn alle bzw. alle Vorhaben / Projekte das Gleiche tun.
[10]
Erfolg i.S. von «zur Folge haben» ist in den Wirtschaftswissenschaften zweifelhaft. Adam Smith's Invisible Hand ist weniger ein Erklärungsmodell als eine Kapitulation vor der Komplexität von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen. Das isolierte Wirtschaftssubjekt, ausgenommen in der Situation eines Monopols bzw. Monopsons, kann nichts bewirken sondern geht im aggregierten Angebot bzw. der aggregierten Nachfrage unter.
[11]
Ähnlich zweifelhaft ist der Erfolgsbegriff selbst: Gab es im 19. und 20. Jahrhundert das klare Ziel der Gewinnmaximierung, so wird dieses Dogma seit Ende des 20. Jahrhunderts durch einen Mix an Zielen ersetzt. Begriffe wie Nachhaltigkeit, Mitarbeiterzufriedenheit oder Beiträge zum Umweltschutz ergänzen dieses Ziel wenigstens. Nimmt man beispielhaft die MAN SE11 , so findet man neben vielen Anglizismen als oberstes Ziel unter nachhaltiger Wertschöpfung gleichberechtigt ökonomische, ökologische, mitarbeiterbezogene und gesellschaftliche Ziele aufgelistet. Beim Hinweis auf wirtschaftliche Profitabilität findet man ebenfalls einen Verweis auf Compliance-Regelungen, so dass die Gewinnmaximierung offenbar nicht mehr im Vordergrund steht.
[12]
Die Ökonomie gibt insgesamt zwei Ziele vor, die jeder Akteur zwingend erreichen muss:
  • Erhalt des Unternehmens: Die Bestandssicherung des Unternehmens ist, zumindest wenn es auf Dauer angelegt ist, das einzig außer Streit stehende Ziel.

  • Gewinnerzielung: Die Erzielung eines über mehrere Perioden gerechneten Überschusses, d.h. Umsätze minus Kosten bzw. Einnahmen minus Auszahlungen muss positiv sein. Ansonsten, darüber herrscht in der Literatur Einigkeit, ist der Erhalt des Unternehmens nicht erreichbar.
[13]
Wie diese Ziele erreicht werden, bleibt dem Unternehmer überlassen. Sofern er sich innerhalb des vorgegebenen ordnungspolitischen Rahmens bewegt – Stichwort Compliance – und so den Erhalt des Unternehmens nicht gefährdet, hat er hier freie Wahl der Mittel. Dass die Erreichung dieser Ziele keinesfalls ausschließlich von seinem eigenen Handeln abhängt, leuchtet bereits beim Beispiel eines einfachen selbstständigen Eisverkäufers bzw. -herstellers ein: Das sein Geschäft wesentlich beeinflussende Wetter kann er nicht steuern.
[14]
Fazit aus Sicht der Wirtschaftswissenschaften: Über die zwei Minimalerfolgskriterien hinaus steht es den Wirtschaftssubjekten frei, Erfolg für sich festzulegen und zu interpretieren.

2.2.

Der Erfolgsbegriff im Projektmanagement ^

[15]
Ein Projekt definiert sich u.a. über ein vorgegebenes Projektziel, welches zu Projektbeginn festgelegt wird. Der Erreichung dieses Zieles ist das ganze Projekt untergeordnet. Die Projektmanagementliteratur12 kennt zwar Verfahren, wie mit Einflussfaktoren von außerhalb des Projektes umgegangen wird (z.B. Projektrisikomanagement) und empfiehlt ggf. Maßnahmen bis hin zum Projektabbruch, aber sie gibt sich keinesfalls der Illusion hin, dass die Erreichung dieser Ziele ausschließlich vom Projektteam steuerbar ist.
[16]
Einfach einleuchtende Beispiele für ein Nichterreichen der definierten Projektziele sind:
  • Änderungen der äußeren Rahmenbedingungen: Bei z.B. einer Übernahme des Unternehmens durch Dritte kann jedes Projekt beendet werden, ohne dass dieses Risiko beherrschbar ist. Bei der Übernahme von z.B. Mannesmann AG durch Vodafon plc wurden mit hoher Wahrscheinlichkeit zahlreiche – durchaus gut laufende und geführte – Projekte schlicht und einfach abgebrochen und die Projektziele nicht erreicht.

  • Zieländerungen durch den Projektauftraggeber: Der bekannte Change Request-Prozess ermöglicht es dem Projektauftraggeber systematisch, die Projektziele während der Projektlaufzeit zu verändern. Die ursprünglich definierten Ziele werden damit zwangsläufig nicht erreicht.
[17]
Aus Sicht des Projektmanagements ist Erfolg schlicht und einfach das Erreichen von zu Projektbeginn festgeschriebenen Zielen bzw. das Erreichen der im Laufe des Projekts geänderter Ziele.

2.3.

Der Erfolgsbegriff in der Philosophie ^

[18]
Der Erfolgsbegriff ist eng mit dem Kausalitätsbegriff verbunden, der in der Philosophie eine lange Tradition hat. Hierbei unterscheidet man zwischenimmanenter Kausalität , d.h. die Ursache kann entweder in ihren Wirkungen «in der Tiefe wohnen»,transzendenter Kausalität , d.h. die Ursache kann ihre Wirkungen überragen, übersteigen oder auch getrennt bestehen sowietransitiver Kausalität , d.h. die Wirkung kann selbst wieder wirken und zur Ursache werden13 . Heidegger interpretiert den Kausalitätsbegriff folgendermaßen: «Wo Zwecke verfolgt, Mittel verwendet werden [...] da waltet Kausalität»14 . In diesem Zusammenhang verweist er auf die in der Philosophie seit Jahrhunderten gelehrten sog. vier Ursachen15 :
  • causa materialis: Material, Stoff
  • causa formalis: Form, Gestalt
  • causa finalis: Zweck
  • causa efficiens: Effekt, Wirkung
[19]
Trotz dieser Differenzierung, so Heidegger, sei die Kausalität «ins Dunkel gehüllt»: «Wir bedenken das Wesen des Handelns noch lange nicht entschieden genug. Man kennt das Handeln nur als das Bewirken einer Wirkung. Deren Wirklichkeit wird geschätzt nach ihrem Nutzen. Aber das Wesen des Handelns ist das Vollbringen. Vollbringen heißt: etwas in die Fülle seines Wesens entfalten, in diese hervorgeleiten, producere. Vollbringbar ist deshalb eigentlich nur das, was schon ist.»16 .
[20]
Die Grenze der Kausalität trifft man u.E. dort, wo eine Wesensüberlagerung17 eintritt. Unter Wesensüberlagerung verstehen wir, dass infolge einer Mehrzahl möglicher Ursachen eine Sache nicht mehr aus sich selbst und damit aus ihrer Abstammung heraus das ist, was ihr in ihrer Ursprünglichkeit zukommt – und diese Veränderung nicht (mehr) auf eine singuläre Ursache weitgehend zweifelsfrei (kausal) rückführbar ist. Anhand eines konkreten Beispiels erläutert, ist die Entstehung der Salzburger Universität weder auf die reinen baulichen Maßnahmen noch auf den reinen Entschluss des Erzbischofs Paris-Lodron und auch nicht auf die Konföderation der 33 Benediktinerabteien aus Süddeutschland, Salzburg, Österreich und der Schweiz, welche als Träger fungierten, rückführbar. Eine derartige Kausalitätsbeziehung (Die Universität Salzburg existiert, weil die Aktion X unternommen wurde), ist aus philosophischer Sicht nicht allein maßgeblich.
[21]
Kausalität ist also nicht für sich alleine zu sehen, sondern muss im Zusammenhang mit dem «Wesen» der betroffenen Dinge, hier des Dinges auf das die Kausalität «wirken» soll, mit Hilfe des philosophischen Denkens gesehen werden. Weitere Zugänge zum Begriff des «Wesens» sind über die antike, griechische Philosophie möglich:

aition bei Platon18 : Grund, Ursache. Dem Phaidon zufolge muss die Angabe des jeweiligen aition erklären, weshalb das, um dessen aition es geht, so wie es geordnet ist, am besten geordnet ist.

archê bei Platon19 : Im Phaidros wird die Seele als archê und Quelle der Bewegung aufgefasst

eidos nach Platon20 : Das, was eine Sache ihrem Wesen nach ist

ousia bei Platon21 : Das dauerhafte Wesen im Unterschied zu den variablen äußeren Merkmalen

physis : «der abstrakte Begriff physis [...], der das Urphänomen der sich selbst zur Gestalt bringenden Pflanze zum Modell der Welt im ganzen werden lässt.»22
[22]
Fazit aus philosophischer Sicht: «Aus X folgt Y» ist problematisch. Dabei ist es unerheblich, ob es sich bei der angesprochenen Kausalität um den Bereich der formalen Logik handelt, oder um die Vier-Ursachen-Sichtweise des Aristoteles, ob die Kausalität als neuro-biologische Fremdbeschreibung23 gedeutet wird oder innerhalb der Wissenschaften nur als funktionale Abhängigkeit bestimmter Art24 gesehen wird. Bei aller Berechtigung und Nützlichkeit dieser Sichtweisen bleibt die Frage, ob uns die so genannte Kausalität nicht Rätsel aufgeben kann und sich dann der Berechnung und sogar der Deutung entzieht.25

2.4.

Kein Erfolg ohne ex-ante definiertes Ziel ^

[23]
Wenn Erfolg als Zielerreichung verstanden wird, so muss das Ziel auf jeden Fall vor den Ereignissen definiert (und sinnvollerweise auch publiziert!) sein, die kausal zur Erreichung des Zieles beitragen sollen. Die nachstehende Tabelle veranschaulicht dies:



Tabelle 1: Messbarkeit der Zielerreichung
Zieldefinition Zeitpunkt Erfolgsmessung
Quantitative Ziele, wie z.B. «Wahlbeteiligung über x Prozent» Vor Projektbeginn Durch Messung der quantitativen Parameter durch neutrale Dritte möglich
Quantitative Ziele, wie z.B. «Wahlbeteiligung über x Prozent» Nach Projektbeginn Möglich, aber Aussagewert zweifelhaft und politisch umstritten26
Qualitative Ziele, wie z.B. «Bürgerfreundlichkeit» oder «Behindertengerechtigkeit» n/a Nur anhand von Einzelbeispielen anekdotisch möglich
Bei Nichtnutzung der Funktionalität: möglich
[24]
Wie oben dargestellt, ist es nicht unproblematisch, festzustellen ob das Ziel wegen der getätigten Aktionen erreicht wurde oder nicht. Feststellbar ist allein, ob es erreicht wurde – wenn es entsprechend definiert wurde und die Zielerreichung messbar ist.

2.4.1.

Zielerreichung beim E-Government-Projekt «E-Voting bei den ÖH-Wahlen 2009» ^

[25]
Der Evaluierungsbericht27 listet folgende Ziele auf28 :
  • Etablierung von E-Voting als Distanzwahl für die Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftswahlen
  • Einbeziehung von Austauschstudierenden, berufstätigen und fernlernenden Studierenden
  • Bürgerkartendurchdringung und -akzeptanz bei den Studierenden erhöhen
  • Unterstützung von Menschen mit Behinderung, insbesondere von sehschwachen und blinden Studierenden
  • Diskurs über die Vor- und Nachteile von E-Voting
[26]
Ohne in dem politischen Diskurs Stellung beziehen zu wollen, ist festzuhalten,
  • dass es sich hierbei allesamt um qualitative Ziele handelt, die einer Überprüfung der Zielerreichung durch Messung widerstehen, da die Zielwerte nicht angegeben sind;

  • dort, wo eine solche Überprüfung durch Messung denkmöglich wäre, wie z.B. bei der Unterstützung sehschwacher Wahlberechtigter der Evaluierungsbericht keine Angaben enthält, ob z.B. wenigstens ein einziger sehschwacher oder blinder Wahlberechtigter dieses Angebot überhaupt angenommen hat; ebenso wenig beinhaltet der Bericht Daten, ob z.B. berufstätige Studierende dieses Angebot genützt haben;

  • die Erreichung der einzelnen Ziele im Evaluierungsbericht nicht diskutiert / behandelt wird, der Bericht beschränkt sich auf die Auflistung dieser Ziele ohne sie in einem eigenen Kapitel auf Zielerreichung zu überprüfen;

  • bei dem Ziel, wo quantitative Daten vorlägen oder prinzipiell technisch beschaffbar wären, der Bürgerkartendurchdringung und -akzeptanz, sich der Evaluierungsbericht auf den Zeitraum Oktober 2008 bis Juli 2009 beschränkt und keine Daten über die Nutzung der Bürgerkarte durch die im Rahmen des Projektes freigeschaltenen Bürgerkarten für andere E-Government-Applikationen beinhaltet. Der Bericht erwähnt allerdings «Die Durchdringung der Bürgerkarte ist zum jetzigen Zeitpunkt gering.»29 , woraus ein Eingeständnis der Nichterreichung dieses einen Ziels gelesen werden könnte.

  • Einzig das Ziel der «Etablierung von E-Voting» ex-post als gesichert verfehlt bezeichnet werden kann, da unter «Etablierung» wenigstens eine Wiederholung, also einen mehrfachen Einsatz von E-Voting bei einer weiteren Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftswahl impliziert, der sicher nicht stattfindet30 .
[27]
Klare, ex-post messbare Ziele fehlen vollkommen. So ist es nicht verwunderlich – siehe Einleitung – dass die Frage, ob dieses Projekt erfolgreich war, eine Frage der persönlichen politischen Interpretation ist. Durch die rechtzeitige Aufstellung und Publikation zweifelsfrei messbarer Ziele wie z.B. «Gesamtwahlbeteiligung x Prozent der Wahlberechtigten, davon y Prozent Stimmabgabe mittels E-Voting» hätte diese Diskussion versachlicht werden können.

3.

Schlussfolgerungen ^

[28]
Wir empfehlen für künftige E-Government-Projekte aus den obigen Überlegungen heraus
1. Festlegung der zu erreichenden Projektziele vor Projektbeginn
2. Festlegung der zu erreichenden Ausprägungen der Ziele, die als Erfolg gelten sollen
3. Festlegung der anzuwendenden Messmethoden
4. Durchführung der Evaluierung (gleich Erfolgsfeststellung) durch am Projekt unbeteiligte Dritte, vorzugsweise den in das Projekt involvierten Organisationen nicht angehörend oder nahestehend.
[29]
Diese Maßnahmen und Überlegungen können u.E. zu einer wesentlichen Versachlichung der Diskussion beitragen, da die Interpretation, inwieweit das E-Government-Projekt erfolgreich war oder nicht, zwar nicht der politischen Diskussion entzogen wird, aber sich wenigstens innerhalb der «quantitativen Leitplanken der Interpretationsautobahn» bewegen wird. Ähnlich wie bei einem Fußballspiel steht dann zumindest nach dem Abpfiff das Endergebnis fest – sofern es nicht von einem Sportgericht kassiert und strafverifiziert wird.

4.

Literatur ^

Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, E-Voting bei den Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftswahlen 2009 – Evaluierungsbericht, Wien, 29. März 2010.
Bundesrechenzentrum GmbH, Mit der Bürgerkarte einfach elektronische Amtswege erledigen. In: BRZ direkt – Kundenmagazin 2008/2, Wien, S. 14-15 (2008).
Carnap, Rudolf : Der logische Aufbau der Welt.Weltkreis-Verlag, Berlin-Schlachtensee (1928)
Heidegger, Martin, Brief über dem Humanismus (1946). In: Wegmarken, Vittorio Klostermann, Frankfurt/Main (1996).
Heidegger, Martin, Vorträge und Aufsätze, Verlag Günther Neske, Stuttgart (1997)
Kluge, Friedrich, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24. durchges. und erw. Auflage, de Gruyter, Berlin / New York (2002).
Patzer, Harald, Physis – Grundlegung zu einer Geschichte des Wortes, Aus: Sitzungsberichte der wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Band XXX, Nr. 6, Franz Steiner-Verlag, Stuttgart (1993).
A Guide to the Project Management Body of Knowledge, Hrsg. Project Management Institute Inc., Four Campus Boulevard, Newton Square, Pennsylvania, zugleich ANSI/PMI 99-991-2004 (2004).
Samuelson, Paul A. und Nordhaus, William D., Economics, 13th Edition, McGraw-Hill, Singapore (1989).
von Brandenstein, Béla und Schöpf, Alfred, Kausalität. In: Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Hrsg. Hermann Krings, Hans Michael Baumgartner und Christoph Wild, Kösel Verlag, München (1973).
Singer, Wolf. Verschaltungen legen uns fest: Wir sollten aufhören, von Freiheit zu sprechen. In: Hirnforschung und Willensfreiheit, herausgegeben von Christian Geyer. Suhrkamp, Frankfurt/Main (2004)
Zierer, Klaus . Kritik an der Vermessung der Bildungslandschaft. In: Pädagogische Rundschau 1/2011



Robert Müller-Török, Universitätslektor, Wirtschaftsuniversität Wien, Institut für Produktionsmanagement, Nordbergstraße 15/3/A, 1090, Wien, AT ,robert.mueller-toeroek@wu.ac.at ;http://prodman.wu.ac.at

Werner Faßrainer, Mitglied der Martin-Heidegger-Gesellschaft e.V., Drosselweg 4, 82061, Neuried, DE,werner.fassrainer@t-online.de


  1. 1 BM Beatrix Karl in: Der Standard «Karl: E-Voting wird 2011 nicht mehr eingesetzt»,http://derstandard.at/1269448836558/Standard-Interview-Karl-E-Voting-wird-2011-nicht-mehr-eingesetzt (30. September 2010).
  2. 2 Abg. z. Nr. Günther Kräuter in: Der Standard «E-Voting: ÖVP fordert mehr Einsatz vom Kanzler»,http://derstandard.at/1269448917955/E-Voting-OeVP-Generalsekretaer-fordert-mehr-Einsatz-vom-Kanzler (30. September 2010).
  3. 3 Bundesrechenzentrum (2008), S. 14.
  4. 4 ARGE Daten,www2.argedaten.at/php/cms_monitor.php?q=PUB-TEXT-ARGEDATEN&s=45653gzg (30. September 2010).
  5. 5 ÖH will kein «E-Voting-Versuchskaninchen» sein., Der Standard vom 30.4.2008,http://derstandard.at/3091746 (3. Oktober 2010).
  6. 6 Ibid.
  7. 7 Siehe FN 1.
  8. 8 Siehe Kluge (2002), S. 252.
  9. 9 Vgl. von Brandenstein und Schöpf (1973), S. 780.
  10. 10 Siehe Samuelson und Nordhaus (1989), S. 7 ff.
  11. 11 Siehewww.man.eu (8. Oktober 2010).
  12. 12 Siehe Project Management Institute Inc. (2004) für eine Einführung in die Thematik.
  13. 13 Siehe von Brandenstein und Schöpf (1973), S. 780f.
  14. 14 Siehe Heidegger (1997), S. 11f.
  15. 15 Ibid., S. 12.
  16. 16 Siehe Heidegger (1996), S. 313.
  17. 17 Das «über» der Wesensüberlagerung meint, dass eine Sache «über» einer anderen Sache «wirkt» und dergestalt «Einfluss» auf diese Sache ausübt, sie in ihrem Wesen mitgestaltet oder selbst gestaltet. Die «Lagerung» meint, dass eine Sache an einer anderen Sache räumlich und zeitlich «wirkt», ohne den unbedingten Anspruch auf Erkenntnismöglichkeit dieses «Lagervorganges». Im Gegenteil kann sich bei der so verstandenen Wesensüberlagerung eine Sache sogar als etwas zeigen, was sie hinsichtlich ihres Ursprungs gerade nicht (mehr) ist.
  18. 18 Siehe Horn und Rapp (2002), S. 26.
  19. 19 Ibid., S. 57.
  20. 20 Ibid., S. 120.
  21. 21 Ibid., S. 321.
  22. 22 Siehe Patzer (1993), Klappentext.
  23. 23 Singer, Wolf (2004) in: Hirnforschung und Willensfreiheit.
  24. 24 Carnap, Rudolf (1928), Der logische Aufbau der Welt.
  25. 25 Zierer, Klaus (2011) in: Pädagogische Rundschau.
  26. 26 Man denke an einen Fußballtrainer, der nach Spielende – erstmals – verkündet, das nun feststehende Ergebnis wäre das Ziel der Mannschaft gewesen.
  27. 27 Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (2010).
  28. 28 Ibid, S. 7.
  29. 29 Ibid, S. 118.
  30. 30 BM Beatrix Karl in: Der Standard «Karl: E-Voting wird 2011 nicht mehr eingesetzt»,http://derstandard.at/1269448836558/Standard-Interview-Karl-E-Voting-wird-2011-nicht-mehr-eingesetzt (30. September 2010).