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Die zähe Transformation juristischer Papiere zu amtlichen Elektronen

  • Author: Alexander Konzelmann
  • Category: Short Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: E-Government, Open Government
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2012
  • Citation: Alexander Konzelmann, Die zähe Transformation juristischer Papiere zu amtlichen Elektronen, in: Jusletter IT 29 February 2012
Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. L 376 vom 27.12.2006, S. 36–68) ("Dienstleistungsrichtlinie", DLR) fordert die Abwicklung kompletter Verwaltungsverfahren auf elektronischem Wege. Die Umsetzung in deutsches Recht erfolgte auf dem Papier fristgerecht zum Ende 2009. Aus den Begründungen für ein geplantes E-Government-Gesetz des Bundes lässt sich aber erkennen, dass die reale Behördenkommunikation und -ablage noch ein Stück vom Idealbild der DLR entfernt ist. Eine Pressemitteilung des IT-Planungsrates ein Jahr nach Ablauf der Umsetzungsfrist für die DLR sagte deutlich: "Daneben sollten wir weitere Anstrengungen unternehmen, die wichtigsten Behördenkontakte der Unternehmen in elektronischer Form abzuwickeln und damit der deutschen Wirtschaft Bürokratielasten abzunehmen." Dies klingt wenig stolz und zeigt, dass es längst nicht um alle Behördenkontakte von Unternehmen geht, sowie dass der nicht-unternehmerische Bürger noch überhaupt nicht in den Fokus gerückt ist. Eine kleine Umschau zur effektiven Richtlinienumsetzung in Deutschland ist indiziert.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Innerdeutsche Rechtslage
  • 3. Anwendungsversuche
  • 3.1. Beispiel Kreditvermittlung, Finanzdienstleistung
  • 3.2. Beispiel Inkassounternehmen
  • 3.3. Beispiel Handwerk
  • 4. Anspruch und Wirklichkeit
  • 4.1. Lohnsteuerkarte/Lohnsteuerabzugsmerkmale
  • 4.2. Handelsregister
  • 5. Bewertung

1.

Einleitung ^

[1]
Die Transformation des Trägermediums der juristischen Sprache von Papier in immaterielle Daten scheint deutlich schwieriger zu sein, als dies zum Beispiel bei Werbebotschaften der Fall ist. Hier zeigt sich auch, welche sprachlichen Transformationen die juristische Anforderung auf ihrem Weg durch die Zeit einerseits und auf ihrem Weg von Europa über die Bundespolitik in die Landesgesetzgebung andererseits durchmacht. Ursprünglich als klare Anweisung formuliert, wird mit der Zeit die Umsetzungsfrist aufgeweicht und mit dem Übertritt in die Behördengebäude auch der Inhalt unter neuartige Möglichkeitsvorbehalte gestellt.
[2]
Im Detail soll hiermit behauptet werden, dass die Forderung des Artikels 8 DLR in Deutschland nur teilweise realisiert ist.
Forderung der EU-DLR Realität in Deutschland
Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ... Bund und 16 Länder regeln in eigener Zuständigkeit hunderte von Verwaltungsverfahren.
– alle Verfahren und Formalitäten, die – alle bis auf einige Tausend
– die Aufnahme oder  
– die Ausübung  
einer Dienstleistungstätigkeit betreffen,  
– problemlos – Nein
– aus der Ferne und – ja
– elektronisch – ein Stück weit
– über den betreffenden einheitlichen Ansprechpartner oder – inzwischen als Mailadressen flächendeckend existent.
– bei der betreffenden zuständigen Behörde – Mailadressen sind die Regel.
abgewickelt werden können. abgewickelt: würde bedeuten, mindestens sämtliche kommunikativen Verfahrens-schritte sind "problemlos" elektronifiziert. (Die interne Aktenhaltung der Behörde bleibt deren Angelegenheit.)
Und zwar bis 28.12.20091 Nein. (Ende 2011)

 

 

2.

Innerdeutsche Rechtslage ^

[3]

Die Umsetzungsbehauptung steht in der amtlichen Fußnote zum Vierten Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 17.12.2008 (BGBl. I 2008 Seite 2418, in Kraft ab 18.12.2009). Es wurde zwar ein § 71e über die elektronische Verfahrensabwicklung in das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) eingefügt. Allerdings änderte dieses Gesetz ausdrücklich nicht den § 3a VwVfG, sondern ließ ihn sogar unberührt. Diese Norm verhilft aber oft nicht zur elektronischen Kommunikation, weil sie ebenso wie der § 10 VwVfG (Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens), nur gilt, "soweit keine besonderen Rechtsvorschriften für die Form des Verfahrens bestehen". Dasselbe gilt für die parallelen Verwaltungsverfahrensgesetze der Bundesländer.

[4]
Die Umsetzung von Artikel 8 der Richtlinie ist problematisch, weil dieser "nicht nur elektronische Anträge nennt, wie sie derzeit (...) möglich sind, sondern vielmehr von einer elektronischen Abwicklung spricht. Unter Abwicklung ist dem Wortsinn nach der gesamte Auseinandersetzungsprozess zwischen Behörde(n) und Antragsteller(n) zu verstehen."2 Dazu kommt Folgendes: Der Gesetzgeber und maßgebliche Gerichte schließen aus der Pflicht zur Verwendung eines Vordrucks/Formulars (meist mit Unterschriftsfeld) auf ein von § 10 VwVfG abweichendes Schriftformerfordernis, welches also als Korrelat eine qualifizierte elektronische Signatur an einem elektronischen Dokument erfordern würde.3
[5]
Daher wurde im Bundesministerium des Innern untersucht, welche Vorschriften nach dieser Auffassung im deutschen Verwaltungsrecht "Schriftform" voraussetzen. Referatsleiterin Frau Dr. Tanja Laier, Frau Dr. Keller Herder und Herr Dietz erläuterten beim 20 EDV-Gerichtstag im September 2011, dies seien noch 3500 Stück. In Worten: dreitausendfünfhundert. Abhilfeideen de lege ferenda seien "Textform" oder "Unmündlichkeit" statt Schriftform. Statt qualifizierter elektronischer Signatur könne auch die "absenderbestätigte DE-Mail" akzeptiert werden oder die elektronisch ausgelesene Identifikation aus dem elektronischen Personalausweis. Sie nannten als weiteres Umsetzungsproblem für solche Vorschläge, dass laut Artikel 70 ff. GG fast immer die Länder das Verwaltungsverfahren regeln. Der Bund könne also nur ein Mustergesetz für die Gegenstände der bundeseigenen Verwaltung erlassen und im Übrigen eine Art "E-Government-Ermöglichungsgesetz" (Laier) zur Verfügung stellen. Geplant sind unterschriftslose Formulare, die Erbringung von Nachweisen durch Auskunft von anderen Behörden, die sie bereits haben, eine Pflicht zur bundesbehördlichen elektronischen Aktenführung und ersetzendes Scannen, das Bezahlen von Verwaltungsgebühren per ec-/Kreditkarte und die Elektronifizierung von Amtsblättern.
[6]
Solche Punkte müssen also von Bund und Ländern umgesetzt sein, bevor tatsächlich ein ganzes Verwaltungsverfahren online effektiv abgewickelt werden kann.

3.

Anwendungsversuche ^

[7]
Halten wir uns zur Meinungsbildung auch an praktische Beispiele. Ein EU-Ausländer möchte in Baden-Württemberg Dienstleistungen anbieten. Er hat Informationsbedarf und benötigt für eine Reihe von Dienstleistungen auch behördliche Erlaubnisse sowie sonstige Unterlagen. Er prüft die Voraussetzungen, um als Kreditvermittler, Finanzdienstleister und als Inkassounternehmer tätig zu werden, alternativ als Handwerker. Für seine Mitarbeiter muss er Lohnsteuer abführen; über sich anbietende Geschäftspartner sowie über Konkurrenzunternehmen will er sich online aus dem Handelsregister informieren. Er verfügt über Internetanschluss und E-Mail.

3.1.

Beispiel Kreditvermittlung, Finanzdienstleistung ^

[8]
Ausgangslage: Baden-Württemberg, Suche nach einem elektronischen Verfahren zur Aufnahme einer Tätigkeit als Kreditvermittler. Zuerst muss man sich darüber klar werden, dass man besser mit dem Suchbegriff "Darlehensvermittler" operiert. Man findet als Interessent beispielsweise auf der Seite der Stadt Heilbronn über den Einheitlichen Ansprechpartner "EAP"4 den Hinweis auf die Erlaubnispflicht und dass nähere Informationen zu den Voraussetzungen hinter einem Link zur Industrie- und Handelskammer Stuttgart zu finden seien. Dieser Link führt zu einer Seite, auf welcher einige Gewerbe beispielhaft aufgeführt werden und in tabellarischer Form Stichworte zu den Voraussetzungen genannt sind. Ein "Darlehensvermittler" (oder "Kreditvermittler" oder "Kreditmakler") findet sich hier aber nicht.
[9]
Auf der Seite service-bw.de wird man darüber informiert, dass es freie, erlaubnispflichtige und überwachungsbedürftige Gewerbe gibt, die in einem Stufenverhältnis behördlicher Kontrolle stehen. Und es gibt eine Liste von Beispielen für die beiden Erstgenannten, meist sogar mit Links zu weiteren Informationen. Ausgehend von dem Gedanken, dass die Hauptinitiative zu solchen Webseiten von der Pflicht zur effektiveren Umsetzung der Dienstleistungsfreiheit in der EU ausging, sollte man erwarten, dass auch speziell auf EU-Ausländer ausgerichtete Hilfestellungen angeboten werden. Insbesondere für angehende Finanzdienstleister findet sich der Hinweis, dass vor einer Aufnahme der Tätigkeit ausreichend haftendes Kapital im Inland nachzuweisen sei. Nach § 53b des Kreditwesengesetzes (KWG) scheint dies aber in dieser Allgemeinheit zumindest zweifelhaft. Und immerhin findet man weiter unten folgenden generellen Hinweis:
[10]
"Für Gewerbetreibende aus EU/EWR-Staaten und der Schweiz:
[11]
Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) oder der Schweiz müssen ebenfalls vor Beginn ihrer Tätigkeit in Deutschland eine Erlaubnis beantragen. Für den Nachweis der Sachkunde werden auch den deutschen Nachweisen vergleichbare Nachweise aus dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) anerkannt. Wird die Erlaubnis erteilt, kann das gewünschte Gewerbe dort angemeldet werden.
[12]
Achtung: EU-/EWR-Bürger sowie Staatsangehörige der Schweiz, die im Inland keine gewerbliche Niederlassung unterhalten, ist die vorübergehende und gelegentliche Erbringung von Dienstleistungen in einem erlaubnispflichtigen Gewerbe unter bestimmten Voraussetzungen gestattet. Die Ausübung eines erlaubnispflichtigen Gewerbes muss bei der Gemeinde- oder Stadtverwaltung angezeigt werden." 5
[13]
Was "unter bestimmten Voraussetzungen" bedeutet, wird nicht näher erläutert. Recherchiert man jedoch etwas intensiver mit Google, erfährt man auf der Seite der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in einem im Mai 2011 aktualisierten Merkblatt, dass die grenzüberschreitende Erbringung von Finanzdienstleistungen ohne Errichtung einer Zweigstelle im Inland erlaubnisfrei ist, und zwar für EWR-basierte Unternehmen mit einer der Richtlinie EU/2004/39 über Märkte für Finanzinstrumente entsprechenden Genehmigung aus ihrem Heimatstaat. Dieses Merkblatt zitiert die Regelung des § 53b KWG in allgemeinverständlicher Sprache, ist aber leider mit den Serviceseiten des EAP nicht verknüpft. Seine Fundstelle lautet in wenig benutzerfreundlicher Weise: http://www.bafin.de/cln_110/nn_721290/SharedDocs/Downloads/DE/Service/Merkblaetter/mb__071101__fidierlaubnis__buba,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/mb_071101_fidierlaubnis_buba.pdf.
[14]
Für einen EU-Ausländer sind die zentralen Informationen demnach nicht in transparenter Weise dargeboten. Eher wird er im Unklaren gelassen.

3.2.

Beispiel Inkassounternehmen ^

[15]
Ausgangslage: Baden-Württemberg, Suche nach Zulassung als Inkassounternehmen. Das Gewerbe ist erlaubnispflichtig laut service-bw.de. Ein Verweis aus Wikipedia führt auf http://www.rechtsdienstleistungsregister.de. Dort stellt man fest, dass es möglich ist, sich als Inkassounternehmer amtlich online registrieren zu lassen. Das öffentliche Register soll öffentliches Vertrauen schaffen und nachweisen, wer die Tätigkeit mit amtlicher Konzession ausübt. Es sollen auch Untersagungen nachgewiesen werden. Allerdings findet sich für ganz Baden-Württemberg exakt ein Treffer. Suchen nach "Moskau" und "Hoyer" bleiben ergebnislos. Es gibt einen Link zur Registrierung. Dieser führt zum Hinweis, dass die jeweiligen zuständigen Behörden zu kontaktieren sind und dass nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) dies auch über den EAP gehen soll. Für unseren Ausgangsunternehmer wählen wir wieder Heilbronn. Von einer PDF-Seite6 führt ein Link zur Homepage des Amtsgerichts Heilbronn. Dort findet sich jedoch kein Link zur Registrierung als Inkassounternehmer. Nicht unter "Zuständigkeit", "Aufgaben und Verfahren", "Registersachen" und bei der Suche nach "Rechtsdienstleistungen" oder "RDG" auch nicht. Die Suche nach "Rechtsdienstleistungsgesetz" verweist dann auf den Bereich "Service" und dort auf den Unterpunkt "Registrierungen nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz". Dort findet sich der Hinweis:
[16]
"Der Antrag auf Registrierung nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz ist mit dem auf der Internetseite www.rechtsdienstleistungsregister.de eingestellten Formular beim Präsidenten des zuständigen Landgerichts bzw. Amtsgerichts einzureichen (siehe zur Zuständigkeit im Einzelnen die Zuständigkeitsliste auf der o.g. Internetseite: http://www.rechtsdienstleistungsregister.de /Zustaendigkeitsliste.pdf). Dem Antrag sind die dort aufgeführten Unterlagen beizufügen: (1. bis 3.)"
[17]
Man landet also im Wege der Zurückverweisung wieder auf dem vorigen Server und muss dort ein Formular suchen, auf welches nicht verlinkt wurde. Das Unterkapitel "Formulare" ist dann aber selbsterklärend und klar strukturiert. Die Seite kann auch in anderen Sprachen angezeigt werden. Man findet die Formulare als Worddatei im geschützten Modus mit Formularfeldern. Die Formulare gibt es allerdings nur in deutscher Sprache und in Word sind die Formularfelder – nach einem Klick auf "Schutz aufheben" – nur über Doppelklick und Dialogfeld editierbar, der fixe Text dazwischen jedoch ganz normal, auch wenn die Option "Formularfelder ausfüllen" aktiviert wurde. Das sind aber Kleinigkeiten. Immerhin ist man nun in der Lage, ein elektronisches Dokument per E-Mail an den Präsidenten des zuständigen Amtsgerichts zu senden. Ob es ausreichend ist, die erforderlichen Anlagen wie Unterlagen zum Sachkundenachweis zu scannen und ebenfalls elektronisch beizulegen, ist nicht deutlich. Nach Sinn und Zweck der umgesetzten Dienstleistungsrichtlinie sollte dies aber der Fall sein. Das nach § 13 Rechtsdienstleistungsgesetz notwendig beizufügende Führungszeugnis gemäß § 30 Abs. 5 Bundeszentralregistergesetz allerdings wird bereits laut Gesetz direkt vom Bundeszentralregister an das Amtsgericht geschickt, sodass ein unmittelbares "Beifügen" gar nicht möglich ist. Hier könnte ein Antragsteller ins Straucheln kommen.
[18]
Ob dies nun ein gelungenes Beispiel für elektronischen Behördenkontakt im Zusammenhang mit der Erbringung von Dienstleistungen ist, sei dahingestellt. Immerhin, im Prinzip sind für engagierte Unternehmer Wege eröffnet.

3.3.

Beispiel Handwerk ^

[19]
Ausgangspunkt sei erneut Baden-Württemberg, ein EU-Ausländer möchte ein Handwerk ausüben. Wenn man über die genannten EAP-Seiten oder über das service-bw-Portal einmal im Bereich "Unternehmen gründen > Handwerk" gelandet ist, wird man recht deutlich darüber aufgeklärt, dass der Binnenmarkt offen ist. Die Textstelle lautet: "Handwerker aus den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und der Schweiz, die vorübergehend Arbeiten in Deutschland ausführen wollen, müssen folgende Regelungen beachten. (...) Die selbstständige Tätigkeit in einem zulassungsfreien Handwerk oder handwerksähnlichen Gewerbe der Anlagen B1 und B2 zur Handwerksordnung setzt in Deutschland keine bestimmte Berufsqualifikation voraus. Ausländische Betriebe können diese Arbeiten daher ausführen, ohne den Handwerkskammern vorher bestimmte Voraussetzungen nachweisen oder die Tätigkeit anzeigen zu müssen."7 Der Link zu den Anlagen der Handwerksordnung funktioniert. Der Text kann als mustergültig für den Adressatenkreis angesehen werden; erfreulich wäre noch eine Übersetzung in gängige EU-Sprachen.

4.

Anspruch und Wirklichkeit ^

[20]
Artikel 8 der EU-Dienstleistungsrichtlinie spricht davon, dass "alle Verfahren und Formalitäten, die die Aufnahme oder die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit betreffen, problemlos aus der Ferne und elektronisch abgewickelt werden können." Die Formulierung ist sicher mit Bedacht weit gefasst. Die nicht betroffenen Verfahrensteile sind in den Absätzen 2 ff. explizit genannt. Zum effektiven Erbringen von Dienstleistungen sollte ein Unternehmer aber auch Arbeitnehmer beschäftigen, deren Lohnsteuerstatus amtlich in Ordnung ist, und er sollte Einblick ins Handelsregister nehmen können, um neue Geschäftspartner und die Konkurrenzsituation korrekt einzuschätzen. Prüfen wir also Anspruch und Wirklichkeit auch an diesen Beispielen:

4.1.

Lohnsteuerkarte/Lohnsteuerabzugsmerkmale ^

[21]
Die elektronische Lohnsteuerkarte wurde angekündigt und während des Fristablaufs ihrer Einführung rasch nochmals um ein Jahr auf den 1.1.2013 verschoben. Dies geschah Ende 2011.8 Die Dienstleistungsrichtlinie ist angeblich seit 28.9.2009 umgesetzt. Ein zentrales Verfahren, nämlich die korrekte Erhebung der Quellensteuer der Arbeitnehmer über die Lohnsteuerkarte, ist aber weiterhin nicht in elektronischer Form abzuwickeln; jeder Arbeitnehmer muss persönlich und ohne elektronische Fernkommunikation für die Hinterlegung der korrekten Lohnsteuermerkmale bei seinem Arbeitgeber sorgen.

4.2.

Handelsregister ^

[22]
Das elektronische Handelsregister ist ein Abbild föderalistischer Rechtswirklichkeit. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten kann man inzwischen über das Registerportal der Länder unter der Adresse http://www.justiz.de/onlinedienste/registerportal_der_laender/index.php eine Anfrage über sämtliche Handelsregister, Partnerschaftsregister und Genossenschaftsregister durchführen, erhält jedoch nur rudimentäre Trefferlisten kostenlos. Und häufig sind ältere Dokumente nicht in digitaler Form abrufbar. Der Erläuterungstext hierzu lautet: "Über den Dokumentenabruf erhalten Sie grundsätzlich alle Dokumente, die bezüglich einer Firma im Sonderband enthalten sind. Allerdings finden Sie hier nur Dokumente, die bereits elektronisch dem Registergericht zugeleitet wurden. Sofern das gesuchte Dokument nicht im Registerportal abrufbar ist, können Sie beim zuständigen Registergericht beantragen, dass dieses Dokument online zur Verfügung gestellt wird. Voraussetzung hierfür ist, dass das Dokument nicht älter als zehn Jahre ist. Außerdem ist diese Bereitstellung auf Antrag kostenpflichtig (derzeit 2,00 EUR pro Seite, mindestens 25,00 EUR)."9 Hier lässt sich immerhin eine Plausibilitätsabfrage kurzfristig realisieren. Die gesamten Alt-Inhalte sind wohl noch längere Zeit dezentral abgelegt und nicht elektronisch verfügbar.

5.

Bewertung ^

[23]
In den aktuellen Dokumenten des IT-Planungsrates geht es weniger konkret zu als noch im Herbst 2010. Die Dienstleistungsrichtlinie wird nicht mehr erwähnt, auch kein Umsetzungsdefizit mehr beim Namen genannt. Dass es aber durchaus noch Handlungsbedarf gibt, um die Wirklichkeit dem Anspruch anzunähern, lässt sich auch den neueren Dokumenten unschwer entnehmen. So steht auf der Homepage10 : "Am 24. September 2010 hat der IT-Planungsrat die Nationale E-Government Strategie beschlossen, mit der sich Bund, Länder und Gemeinden zum ersten Mal gemeinsam darauf verständigt haben, wie die elektronische Abwicklung von Verwaltungsangelegenheiten über das Internet weiterentwickelt werden soll."11 Und am 13. Oktober 2011 wurde der Projekt- und Anwendungsplan für 2012 neu gefasst, der noch ganz grundsätzliche Fragen im föderalen Umfeld sehr zu Recht als offen ansieht: Zur Umsetzung der nationalen E-Government-Strategie zählen nämlich unter anderem die Schwerpunktmaßnahmen "Weiterer Auf- und Ausbau der föderalen E-Government-Infrastruktur" sowie "Entwicklung einer Gesamtstrategie für den Einsatz elektronischer Identifizierungs- und Signaturverfahren im E-Government"12 . Neu ist das nicht.
[24]
Und vor dem Hintergrund der oben genannten praktischen elektronischen Gehversuche erscheint die Skepsis in den eingangs zitierten Ausführungen des IT-Planungsrats von September 201013 berechtigt. Die Elektronen haften oft noch untransformiert am Papier.
  1. 1 Artikel 44 der EU-Dienstleistungsrichtlinie.
  2. 2 Universität Heidelberg, Gutachten des Instituts für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht, http://www.bmelv.de/SharedDocs/Downloads/Europa-Internationales/EU-Verbraucherpolitik/EUDienstleistungsrichtlinie/Studie-EU-Dienstleistungsrichtlinie.pdf?__blob=publicationFile (Seite 231).
  3. 3 Vgl. VGH Mannheim, Entscheidung vom 9.10.2001 (Az. 10 S 519/00) sowie Fetzer/Stollhof, gutachterliche Stellungnahme http://www.eudlr.eu/fileadmin/eudlr/publikationen/20091026_Stellungnahme_Schriftformerfordernisse.pdf.
  4. 4 http://www.heilbronn.de/bue_rat/virtuell/eap/.
  5. 5 Hervorhebung vom Verf., Link mit individuellem Session-ID abgerufen am 10.1.2012 unter http://www.service-bw.de/zfinder-bw-web/lifesituations.do;jsessionid=0?llid=1860023&llmid=0.
  6. 6 http://www.rechtsdienstleistungsregister.de/Zustaendigkeitsliste.pdf.
  7. 7 http://www.service-bw.de/zfinder-bw-web/lifesituations.do;jsessionid=0?action=processes&vbid=1794673&vbmid=0&llid=637522&llmid=0.
  8. 8 http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_54/DE/Wirtschaft__und__Verwaltung/Steuern/20111202-Dieelektronische-Lohnsteuerkarte-startet-spaeter.html?__nnn=true.
  9. 9 https://www.handelsregister.de/rp_web/faq.do.
  10. 10 http://www.it-planungsrat.de, abgerufen am 1.10.2012.
  11. 11 Hervorhebung vom Verf.
  12. 12 http://www.itplanungsrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/Entscheidungen/6._Sitzung/Projekt_und_Anwendungsplan _des%20ITPlanungsrats2012.pdf?__blob=publicationFile.
  13. 13 Pressemitteilung der Vorsitzenden des IT Planungsrates Staatssekretärin Rogall-Grothe unter http://www.itplanungsrat.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2010/Sep24.html (am Ende).