Das unterscheidet diese Revision klar von derjenigen des Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF), die ebenso derzeit im Parlament hängig ist. Bei ihr geht es um die Zulässigkeit ähnlicher neuer Befugnisse im gerichtspolizeilichen Zuständigkeitsbereich neben der heute schon zulässigen Telefonüberwachung, namentlich der Staatstrojaner, die gleichzeitig zu einer problematischen Ausweitung der präventiven Überwachungsbefugnis führt, etwa weil die Vorratsspeicherung von Daten nunmehr von sechs Monaten auf ein Jahr ausgedehnt werden soll. Auch gegen diese Revision gibt es gewichtige Einwände im Detail, generell sind aber zusätzliche Kompetenzen im gerichtspolizeilichen Bereich nicht von vorneherein abzulehnen.
Dazu kommt: beim Anknüpfungspunkt des «Terrorismus» handelt es sich um einen völlig schwammigen Rechtsbegriff, was zusätzlich die Ausweitung der Überwachung begünstigt. Dass die Überwachungsbefugnis von einem Richter erteilt werden muss, verbessert die Situation keineswegs, denn das Gericht würde vielmehr zum Spielball des Nachrichtendienstes. Wenn die grundsätzliche Erlaubnis zur Vorfeldermittlung besteht, kann sich kein Gericht – ausser bei offensichtlichen Nieten – erlauben, das eigene Ermessen jenem der Staatsschutzbehörden aufzuzwingen. Das ist heute schon im Verhältnis zwischen Staatsanwaltschaften und Gerichten bei der Genehmigung der Telefonüberwachung so.
Bundesrat Ueli Maurer versucht nun solchen Befürchtungen entgegen zu wirken, indem er betont, das NDG würde nur in ungefähr zehn Fällen im Jahr Anwendung finden2. Wie er auf diese Zahl kommt, begründet er nicht. Es ist auch völlig unklar, warum in diesen Fällen nicht schon heute eine gerichtspolizeiliche Überwachungsbefugnis vorliegt, mithin nicht Personen betroffen sind, gegen die im vorstehend genannten Umfang ein individuell konkreter Tatverdacht bezüglich einer strafbaren Handlung anzunehmen ist. Er konnte nie glaubwürdig darlegen, warum es diese Ausweitung tatsächlich braucht, welche Fälle genau angepeilt sind.
Dies erweckt gehörig Argwohn. Denn natürlich sind wir durch die NSA Affäre zusätzlich hellhörig geworden. Die Privatsphäre darf nicht fahrlässig aufs Spiel gesetzt werden. Aber genau das geschähe mit dem neuen NDG. Verfügen Geheimdienste einmal über zusätzliche Kompetenzen, nutzen sie diese schamlos aus. Das zeigt jedenfalls die bisherige Geschichte der Geheimdienste deutlich. Übrigens auch die des schweizerischen Nachrichtendienstes. Immerhin sind noch immer 60’000 Personen fichiert. Deshalb ist es auch falsch, wenn moniert wird, mit einer ausgeweiteten gesetzlich verankerten Überwachungsbefugnis sei rechtsstaatlich gesichert, dass gleichzeitig dem Nachrichtendienst Schranken gesetzt würden. Das Gegenteil ist wahr: Kein Geheimdienst auf der Welt hält sich an die gesetzlichen Einschränkungen. Keine Aufsicht ist stark genug, sie auch durchsetzen zu können. Klar aber ist: Je enger das gesetzliche Korsett, desto grösser der Druck auf die Geheimdienste, ihre Tätigkeit nicht übergebührend auszuweiten. Je grösser der Spielraum, desto weiter geht jede geheimdienstliche Tätigkeit. Es wird nun in den eidgenössischen Räten darum gehen, diese Ausweitung zu verhindern.
Mit Bezug auf den Datenschutz in der Schweiz stellt sich aber eine noch viel grundsätzlichere Frage. Wie Professor Rainer J. Schweizer im «plädoyer» 1/14 in einem vorzüglichen Interview ausführt, ist Art. 13 Abs. 2 der Bundesverfassung (BV) (Datenschutz) missglückt. Denn der Verfassungsschutz begrenzt sich auf den Schutz vor Missbrauch. Mithin trägt der Betroffene die Beweislast, dass zum Beispiel Google seine Daten missbraucht hat, wie Schweizer als Beispiel anführt. Es gab in den letzten Jahren verschiedene Bestrebungen, dies zu ändern. Dies ist gerade im Lichte des NSA-Skandals dringend geboten. Es geht dabei um die Schaffung eines griffigen Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung. Es impliziert, dass jede Person gegenüber fremder, staatlicher oder privater Bearbeitung und Speicherung von sie betreffenden Informationen bestimmen können muss, ob und zu welchem Zwecke diese Informationen für sie bearbeitet und gespeichert werden3. Dies würde zu einer notwendigen Änderung der gesamten Architektur unseres Datenschutzes führen, weil damit die Beweislast zu Lasten des Staates und (zum Beispiel) der Internetplayer umgekehrt wird. Darum geht es letztlich immer.
Weiterführende Informationen:
- Themenseite des VBS zum Nachrichtendienstgesetz
- Botschaft zum Nachrichtendienstgesetz
- Nachrichtendienstgesetz – Entwurf
- Medienkonferenz des Bundesrates zur Botschaft zum Nachrichtendienstgesetz vom 19. Februar 2014
- 13.025 – Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs. Änderung (Geschäft des Bundesrates)
lic.iur. Daniel Vischer, freiberuflicher Rechtsanwalt. Seit 2003 ist er Mitglied des Nationalrates und seit Juli 2006 Präsident der nationalrätlichen Rechtskommission.
- 1 14.022 – Nachrichtendienstgesetz (Geschäft des Bundesrates).
- 2 NZZ vom 19. Februar 2014 «Nachrichtendienst soll Telefone abhören dürfen».
- 3 Rainer J. Schweizer, St. Galler BV-Kommentar Art. 13 Abs. 2 Rz. 39.