Jusletter IT

Nachrichtendienstgesetz (NDG)

  • Author: Daniel Vischer
  • Category: Discussions
  • Region: Switzerland
  • Field of law: Data Protection, Data Security
  • Citation: Daniel Vischer, Nachrichtendienstgesetz (NDG), in: Jusletter IT 15 May 2014
Currently, in the Swiss federal Counsels two laws are being discussed, in which the law of informational self-determination is affected essential. The advanced Data Retention in the Federal Law on the Surveillance of Post and Telecommunications (BÜPF) traffic and the new powers in the Security and Intelligence Agencies Act (NDG) bring forth new, additional supervisory responsibilities, which are constitunional untenable. (ah)
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1984 war das Orwell Jahr. Big Brother galt schon damals als Bedrohung. Dass der Staat uns einmal direkt ins Gehirn schaut, hat indessen – so konkret wie wir das nun wissen – niemand wirklich voraus geahnt. Heute sind wir mit dem Staat als Stalker konfrontiert. Obgleich die nun offenbar werdenden Überwachungsmöglichkeiten eigentlich auf der Hand lagen, hätte die Mehrheit von uns, die seit Jahren mit Grund mehr Datenschutz anmahnen, noch vor einem Jahr die nunmehr bekannte Dimension des Überwachungssystems des NSA für ein Hirngespinst von Verschwörungstheoretikern gehalten. Die Verschwörung ist gewissermassen zur Realität geworden. Seit dem NSA Skandal wissen wir endgültig, zu was Geheimdienste fähig sind. Haltlos und menschenverachtend wurden Daten von Millionen von Menschen gespeichert. Deren Privatsphäre wurde aufs schlimmste missachtet. Die weltweite Empörung ist berechtigterweise gross. Die Krise ist keineswegs ausgestanden.
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Zur Legitimation beriefen sich der Geheimdienstchef und der amerikanische Präsident immer wieder auf die Terrorismusabwehr. Und damit sind wir beim Kern des Problems. Die Terrorismusabwehr wurde seit dem 11. September 2001 zum Vorwand ungehemmter Präventivüberwachung. Als ob der Bundesrat nichts aus der NSA Affäre gelernt hätte, wird die Terrorismusabwehr nun wieder zur Legitimationsgrundlage einer Ausweitung der Überwachungsbefugnisse des Bundesnachrichtendienstes.
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Im Schweizer Parlament wird derzeit ein neues Nachrichtendienstgesetz1 beraten. Es soll neue Rechtsgrundlagen für den Nachrichtendienst schaffen, dessen Befugnisse bislang in zwei Gesetzen geregelt wurden, dem Zivilen Nachrichtendienstgesetz (ZNDG) und dem Bundesgesetz über die Wahrung innerer Sicherheit (BWIS), die nun in einem Gesetz zusammengefasst werden. Zum einen wird dabei die nicht bewilligungspflichtige allgemeine Informationsbeschaffung des Nachrichtendienstes ausgeweitet. Zum anderen findet auch die richterlich zu bewilligende Einzelüberwachung eine ins Gewicht fallende Erweiterung. Kernpunkt bildet dabei der vorgesehene Lauschangriff auf die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger zur Abwehr von Terrorismus, Nachrichtendienst und Proliferation.
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Wichtig ist: die neuen Überwachungsbefugnisse kommen ausdrücklich ausserhalb der gerichtspolizeilichen Kompetenz für den Staatsschutz zur Anwendung. Im Fokus stehen das Abhören von Telefonen, die Verwanzung von Räumen und das Eindringen in Computer. Das Problem mithin ist, dass auch Personen präventiv überwacht werden können, gegen die nicht der geringste Tatverdacht auf eine strafbare Handlung vorliegt. Wir befinden uns also im Bereich der Vorfeldermittlung.
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Das unterscheidet diese Revision klar von derjenigen des Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF), die ebenso derzeit im Parlament hängig ist. Bei ihr geht es um die Zulässigkeit ähnlicher neuer Befugnisse im gerichtspolizeilichen Zuständigkeitsbereich neben der heute schon zulässigen Telefonüberwachung, namentlich der Staatstrojaner, die gleichzeitig zu einer problematischen Ausweitung der präventiven Überwachungsbefugnis führt, etwa weil die Vorratsspeicherung von Daten nunmehr von sechs Monaten auf ein Jahr ausgedehnt werden soll. Auch gegen diese Revision gibt es gewichtige Einwände im Detail, generell sind aber zusätzliche Kompetenzen im gerichtspolizeilichen Bereich nicht von vorneherein abzulehnen.

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Im Falle eines individuell konkreten Tatverdachtes auf eine strafbare Handlung ist die präventive Überwachung mithin bereits heute zulässig und wird ausgebaut. Wobei in Rechnung zu stellen ist, dass diese Befugnis bereits heute rechtlich weit geht. Denn bei den im Zusammenhang mit der Terrorismusabwehr in Frage kommenden Delikten ist bereits die Vorbereitungshandlung zu einer Straftat strafbar (Art. 260bis des Strafgesetzbuches [StGB]). Also kann schon heute, wer einer Vorbereitungshandlung zu einer mit dem Terrorismus oder dem Gewaltextremismus stehenden Gewaltstraftat verdächtigt wird, präventiv überwacht werden. Das Nachrichtendienstgesetz (NDG) bezieht sich nun aber auf den nicht gerichtspolizeilichen Bereich. Hier befinden wir uns aber in einem undefinierten Raum zu überwachender Personen. Es wäre völlig unklar, nach welchen Kriterien die Überwachung – immerhin geht es um den Staatstrojaner – neu zulässig würde. Auf welchen Verdachtsmomenten gründete diese Überwachung, wenn kein Verdacht einer strafbaren Handlung, nicht einmal die einer Vorbereitungshandlung, vorliegt? Können auch Leute überwacht werden, die nur indirekt in den Dunstkreis möglicher Täterschaft fallen, ohne dass konkrete Hinweise vorliegen? Das muss so sein, sonst bräuchte es diese Erweiterung gar nicht. Das aber führt fraglos zu einer erheblichen Ausweitung der Vorfeldermittlungsbefugnis, bei welcher nicht mehr gesagt werden kann, das öffentliche Interesse rechtfertige den Eingriff in den grundrechtlichen Schutzbereich der persönlichen Freiheit.
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Dazu kommt: beim Anknüpfungspunkt des «Terrorismus» handelt es sich um einen völlig schwammigen Rechtsbegriff, was zusätzlich die Ausweitung der Überwachung begünstigt. Dass die Überwachungsbefugnis von einem Richter erteilt werden muss, verbessert die Situation keineswegs, denn das Gericht würde vielmehr zum Spielball des Nachrichtendienstes. Wenn die grundsätzliche Erlaubnis zur Vorfeldermittlung besteht, kann sich kein Gericht – ausser bei offensichtlichen Nieten – erlauben, das eigene Ermessen jenem der Staatsschutzbehörden aufzuzwingen. Das ist heute schon im Verhältnis zwischen Staatsanwaltschaften und Gerichten bei der Genehmigung der Telefonüberwachung so.

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Bundesrat Ueli Maurer versucht nun solchen Befürchtungen entgegen zu wirken, indem er betont, das NDG würde nur in ungefähr zehn Fällen im Jahr Anwendung finden2. Wie er auf diese Zahl kommt, begründet er nicht. Es ist auch völlig unklar, warum in diesen Fällen nicht schon heute eine gerichtspolizeiliche Überwachungsbefugnis vorliegt, mithin nicht Personen betroffen sind, gegen die im vorstehend genannten Umfang ein individuell konkreter Tatverdacht bezüglich einer strafbaren Handlung anzunehmen ist. Er konnte nie glaubwürdig darlegen, warum es diese Ausweitung tatsächlich braucht, welche Fälle genau angepeilt sind.

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Dies erweckt gehörig Argwohn. Denn natürlich sind wir durch die NSA Affäre zusätzlich hellhörig geworden. Die Privatsphäre darf nicht fahrlässig aufs Spiel gesetzt werden. Aber genau das geschähe mit dem neuen NDG. Verfügen Geheimdienste einmal über zusätzliche Kompetenzen, nutzen sie diese schamlos aus. Das zeigt jedenfalls die bisherige Geschichte der Geheimdienste deutlich. Übrigens auch die des schweizerischen Nachrichtendienstes. Immerhin sind noch immer 60’000 Personen fichiert. Deshalb ist es auch falsch, wenn moniert wird, mit einer ausgeweiteten gesetzlich verankerten Überwachungsbefugnis sei rechtsstaatlich gesichert, dass gleichzeitig dem Nachrichtendienst Schranken gesetzt würden. Das Gegenteil ist wahr: Kein Geheimdienst auf der Welt hält sich an die gesetzlichen Einschränkungen. Keine Aufsicht ist stark genug, sie auch durchsetzen zu können. Klar aber ist: Je enger das gesetzliche Korsett, desto grösser der Druck auf die Geheimdienste, ihre Tätigkeit nicht übergebührend auszuweiten. Je grösser der Spielraum, desto weiter geht jede geheimdienstliche Tätigkeit. Es wird nun in den eidgenössischen Räten darum gehen, diese Ausweitung zu verhindern.

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Mit Bezug auf den Datenschutz in der Schweiz stellt sich aber eine noch viel grundsätzlichere Frage. Wie Professor Rainer J. Schweizer im «plädoyer» 1/14 in einem vorzüglichen Interview ausführt, ist Art. 13 Abs. 2 der Bundesverfassung (BV) (Datenschutz) missglückt. Denn der Verfassungsschutz begrenzt sich auf den Schutz vor Missbrauch. Mithin trägt der Betroffene die Beweislast, dass zum Beispiel Google seine Daten missbraucht hat, wie Schweizer als Beispiel anführt. Es gab in den letzten Jahren verschiedene Bestrebungen, dies zu ändern. Dies ist gerade im Lichte des NSA-Skandals dringend geboten. Es geht dabei um die Schaffung eines griffigen Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung. Es impliziert, dass jede Person gegenüber fremder, staatlicher oder privater Bearbeitung und Speicherung von sie betreffenden Informationen bestimmen können muss, ob und zu welchem Zwecke diese Informationen für sie bearbeitet und gespeichert werden3. Dies würde zu einer notwendigen Änderung der gesamten Architektur unseres Datenschutzes führen, weil damit die Beweislast zu Lasten des Staates und (zum Beispiel) der Internetplayer umgekehrt wird. Darum geht es letztlich immer.


 

lic.iur. Daniel Vischer, freiberuflicher Rechtsanwalt. Seit 2003 ist er Mitglied des Nationalrates und seit Juli 2006 Präsident der nationalrätlichen Rechtskommission.

  1. 1 14.022 – Nachrichtendienstgesetz (Geschäft des Bundesrates).
  2. 2 NZZ vom 19. Februar 2014 «Nachrichtendienst soll Telefone abhören dürfen».
  3. 3 Rainer J. Schweizer, St. Galler BV-Kommentar Art. 13 Abs. 2 Rz. 39.