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WEKO genehmigt Übernahme von ricardo.ch durch Tamedia

  • Author: Simon Schlauri
  • Category: News
  • Region: Switzerland
  • Field of law: Competition law
  • Citation: Simon Schlauri, WEKO genehmigt Übernahme von ricardo.ch durch Tamedia, in: Jusletter IT 24 September 2015
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Am 25. August 2015 hat die schweizerische Wettbewerbskommission (WEKO) die Übernahme von ricardo.ch AG durch Tamedia AG genehmigt.1

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ricardo.ch AG gehörte seit 2008 zum südafrikanischen Konzern Naspers. Das Unternehmen betreibt u.a. die Schweizer Online-Auktionsplattform ricardo.ch, die Fahrzeugplattform autoricardo.ch sowie olx.ch, eine Plattform für Kleinanzeigen («classifieds»), auf der auch Stellenanzeigen zu finden sind. Tamedia AG ist eines der grössten Medienunternehmen der Schweiz und ist u.a. zusammen mit Ringier AG am Gemeinschaftsunternehmen JobCloud AG beteiligt (je 50%). Dieses betreibt unter anderem jobs.ch und jobup.ch.2 Daneben besitzt Tamedia AG insbesondere die Fahrzeug-Verkaufsplattform car4you.ch.
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Weil JobCloud AG bereits vor dem Zusammenschluss über eine starke Stellung verfügte, bestanden für die WEKO Anhaltspunkte für eine Verstärkung einer allenfalls schon heute marktbeherrschenden Stellung durch die Übernahme. Zudem erwartete die WEKO eine Konzentration im Bereich von Fahrzeug-Verkaufsplattformen, denn die beteiligten Unternehmen deckten zusammen den Markt zum grössten Teil ab.3

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Die WEKO gelangte bei ihrer Prüfung zwar zum Schluss, dass im Bereich der Stelleninserate von einer marktbeherrschenden Stellung von Tamedia AG auszugehen sei. Trotzdem sei bei der Übernahme die Möglichkeit der Beseitigung des wirksamen Wettbewerbs nicht zu erwarten, wie dies für eine Intervention nach Art. 10 Abs. 2 Bst. a Kartellgesetz (KG) nötig gewesen wäre.
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Die überragende Marktstellung von ricardo.ch AG auf dem Schweizer Markt für Online-Auktionen (über 80% Markanteil), dem Kerngeschäft von ricardo.ch AG, war für die WEKO höchstens indirekt von Belang, weil Tamedia AG selber keine Auktionsplattform betreibt und die Transaktion daher in diesem Markt nicht zu Marktanteilsverschiebungen führte.4 Eine durch organisches Wachstum entstandene marktbeherrschende Stellung allein bildet denn auch keine Grundlage für wettbewerbsrechtliche Eingriffe (Art. 7 KG).5
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In Bezug auf die Plattformen für Jobs und Fahrzeuge stellt sich m.E. insbesondere die Frage, ob es sich dabei um zweiseitige Märkte handelt, die aufgrund sogenannter Netzwerkeffekte zu «Tipping» (Kippen) neigen und damit zu «Winner-takes-it-all»-Situationen.6 Der Grund dafür ist, dass ein Verkäufer, der nur auf einer Plattform verkaufen kann, sich grundsätzlich jene Plattform suchen wird, auf der die Erfolgsaussichten am besten sind. Dies wird in der Regel die grösste Plattform sein, weil dort am meisten potenzielle Käufer warten, und weil die Aussichten auf einen hohen Abschlusspreis steigen. Es entsteht eine positive Rückkopplung; der Markt kippt, der Wettbewerb ist beseitigt.
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Auktionsplattformen wie ricardo.ch weisen eine entsprechende Charakteristik auf: Weil mit dem Zuschlag auf der Plattform ein bindender Vertrag zustande kommt, kann der Anbieter nicht auf einer zweiten Plattform inserieren, ohne Doppelverkäufe mit Schadenersatzfolge zu riskieren. «Multihoming» in dem Sinne, dass ein Verkäufer parallel mehrere Plattformen nutzt, ist nicht möglich. Das Ergebnis ist, dass die stärkste Plattform nach einer gewissen Zeit eine nahezu unangreifbare Position erlangt. Die Markteintrittsschranken sind für Neulinge kaum mehr zu überwinden.7 Der Wettbewerb ist beseitigt, sofern die Plattform nicht durch andere Formate konkurriert werden kann.
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Dies könnte erklären, warum ebay in der Schweiz trotz globaler Übermacht gegen ricardo.ch nicht auf einen grünen Zweig kommt.

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Bei den vorliegend interessierenden Plattformen für Stellen und Fahrzeuge ist die Lage aber anders: Weil der Abschluss nicht über die Plattform erfolgt, sondern nur die Kontaktanbahnung, ist «Multihoming» möglich. Entsprechend können sich auch über längere Zeit mehrere Anbieter auf einem Markt halten. Eine Möglichkeit zur Beseitigung des Wettbewerbs besteht damit nicht, gerade auch angesichts finanzstarker potenzieller oder gar aktueller Wettbewerber wie Facebook oder LinkedIn, die jederzeit auch auf Kleinanzeigen setzen können bzw. schon heute alternative Vermittlungsinstrumente anbieten.8 Die WEKO verzichtete daher wohl zu Recht auf eine Intervention.

Simon Schlauri

  1. 1 WEKO, Medienmitteilung vom 25. August 2015, tinyurl.com/pffzmtd (alle Internetquellen zuletzt besucht am 24. September 2015).
  2. 2 WEKO, Medienmitteilung vom 9. Juni 2015, tinyurl.com/pcqpfoz.
  3. 3 Vgl. WEKO (FN 1).
  4. 4 Vgl. Christoph G. Schmutz, WEKO untersucht Kleinanzeigen, NZZ online vom 9. Juni 2015, tinyurl.com/q54e63f.
  5. 5 Nur der Missbrauch einer solchen Stellung ist nach Art. 7 KG unzulässig.
  6. 6 Grundlegend dazu Jean-Charles Rochet / Jean Tirole, Platform Competition in Two-Sided Markets, Journal of the EEA, vol. 1, n° 4 June 2003, 990 ff., tinyurl.com/o4f2fpk.
  7. 7 Vgl. Rochet / Tirole (FN 6), 5, 30; vgl. auch Urteil des EuG T-201/04 vom 17. September 2007, Microsoft v. Commission, Slg. 2007, S. II-3601, insb. Rz. 562, 1061 ff.; WEKO, RPW 2014/4 S. 706 ff. (Ringier/ERP), Rz. 76 ff.
  8. 8 Vgl. etwa Owen Williams, Facebook is testing an official way to sell goods in Groups, The Next Web 17. Dezember 2014, tinyurl.com/npfyvu9.