Jusletter IT

Auch kommerzielle Diskriminierung verletzt die Netzneutralität

  • Author: Simon Schlauri
  • Category: News
  • Region: Switzerland
  • Field of law: Telecommunications law
  • Citation: Simon Schlauri, Auch kommerzielle Diskriminierung verletzt die Netzneutralität, in: Jusletter IT 26 February 2015
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Bei der Netzneutralität geht es um die Frage, ob es Internetprovidern erlaubt sein soll, auf die von ihnen übertragenen Daten Einfluss zu nehmen. Verletzungen der Netzneutralität bedrohen die bisher hohe Innovationskraft des Internets, denn sie können den einfachen Marktzugang für Anbieter von Internetdiensten und das entsprechende level playing field beeinträchtigen. Hinzu kommen grundrechtliche Bedenken.1

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Am 29. Januar 2015 entschied die kanadische Telekom-Regulierungsbehörde CRTC2, dass auch eine kommerzielle Diskriminierung von Diensteanbietern durch die Internetprovider, und nicht nur ein physisches Verlangsamen oder Blockieren der Daten, als Verletzung der Netzneutralität zu verstehen und daher verboten sei.3 Im Fokus standen Mobilfunk-Netzbetreiber, die ihre eigenen TV-Streams auf Stundenbasis abrechneten, während die Daten für TV-Streams unabhängiger Anbieter (teurer) nach Datenvolumen abgerechnet wurden. Die CRTC befand, diese Praxis verletze Art. 27(2) des kanadischen Telecommunications Act, der es den Anbietern verbietet, [to] unjustly discriminate or give an undue or unreasonable preference toward any person, including itself, or subject any person to an undue or unreasonable disadvantage.

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In der Schweiz ist derartige kommerzielle Diskriminierung an der Tagesordnung: Alle drei grossen Mobilfunkanbieter bieten eigene Inhalte oder Inhalte ausgewählter dritter Anbieter im Vergleich zu konkurrierenden Angeboten mit vergünstigter oder gar kostenloser Datenübertragung an. Betroffen sind Dienste für Video (Privilegierung von Swisscom TV und Zattoo), Musikstreaming (Privilegierung von Spotify) und Instant Messaging (Privilegierung von WhatsApp).
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Die Kunden haben damit einen signifikanten Anreiz, auf die jeweils bevorzugten Inhalte zuzugreifen, anstatt auf die Angebote anderer Anbieter.4 Das level playing field zwischen den Anbietern von Internetdiensten ist gestört. Zusätzlich problematisch ist, dass die Anbieter die Produkte bereits etablierter Marktführer bevorzugen, was den Markteintritt der für den Fortschritt wichtigen kleineren Innovatoren5 weiter erschwert.

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Angesichts der Bedeutung des Internets für die Innovation drängt sich auch in der Schweiz eine gesetzliche Regelung auf, um Marktversagen in diesem Sinne zu korrigieren.6 Nach einem positiven Entscheid des Nationalrats vom 17. Juni 2014 zu einer entsprechenden Vorlage7 beantragt die zuständige Ständeratskommission nun jedoch deren Ablehnung, und zwar in der irrigen Auffassung, in der Schweiz seien keine Netzneutralitätsverletzungen bekannt.8 Dies, obwohl die entsprechenden Verletzungen aus dem am 23. Oktober 2014 veröffentlichten Bericht einer durch das Bundesamt für Kommunikation einberufenen Arbeitsgruppe zur Netzneutralität ersichtlich sind.9 Das letzte Wort hat der Ständerat.

Simon Schlauri

  1. 1 Zur Netzneutralität bereits S. Schlauri, in: TechLawNews 1, August 2013, 3 f., tinyurl.com/olat47n sowie ders., Network Neutrality, Habil. Zürich 2010, www.zora.uzh.ch/36715.
  2. 2 Canadian Radio-television and Telecommunications Commission, tinyurl.com/akzys7.
  3. 3 CRTC 2015-26, tinyurl.com/qfa9uws; vgl. auch D. Sokolov, Netzneutralität: Kanada untersagt Mobil-TV mit Datenrabatt, Heise Netze, 30. Januar 2015, tinyurl.com/qaurvh9.
  4. 4 Vgl. CRTC 2015-26 (FN 3), Rz. 47.
  5. 5 Vgl. V. Kocsis/J. Weda, The innovation-enhancing effects of network neutrality, Amsterdam 2013, tinyurl.com/pxmnyzt, insb. 12 f., 21 f.
  6. 6 Zum der Regulierung zu Grunde liegenden Marktversagen V. Kocsis/J. Weda (FN 6), insb. 14 ff.
  7. 7 Motion Glättli, 12.4212, tinyurl.com/lwffe4h; AB 2014 N 1134 f.
  8. 8 Bericht der KVS-S vom 13. Januar 2015, tinyurl.com/o357s8b.
  9. 9 Vgl. BAKOM, Netzneutralität, Bericht zur Arbeitsgruppe, 23. Oktober 2014, tinyurl.com/nwu4r2w, 17, 38, 43. Der Autor war als Vertreter der Wissenschaft an diesem Bericht beteiligt.