1.
Einleitung ^
Wenn ein ehemaliger Erdenbürger dereinst im Himmel auf seiner Wolke angekommen sein wird, werden seine Erben feststellen, dass sein digitales Vermächtnis teilweise ebenfalls in einer Wolke wohnt. Angenommen, der Verblichene hat gemäß einer verbreiteten Übung elektronische Besitztümer wie e-Books, Videos, Musikdateien, geteilte Erinnerungsfotos, Adresslisten, Mailinhalte und -anhänge auf passwortgeschützten Benutzerkonten in der sogenannten Cloud angehäuft, dann kann es für seinen Universalsukzessor diverse Hürden geben, das Erbe tatsächlich anzutreten, auch wenn er über einen Erbschein verfügt. Die technischen Benutzungsbedingungen und die Vertragsklauseln der online-Anbieter sind häufig darauf ausgerichtet, den online-Nutzer eindeutig zu identifizieren. Im Erbfall ändert sich aber die Identität des Berechtigten zwangsläufig, sodass Verwerfungen vorprogrammiert sind.
2.1.
Erbe eines elektronisch betriebenen Gerichtsverfahrens ^
2.2.
Erbe eines elektronisch betriebenen Verwaltungsverfahrens ^
Auch hierzu ein Beispiel aus Baden-Württemberg: Wenn ein Dienstleister gemäß EU-Dienstleistungsrichtlinie mit dem sogenannten einheitlichen Ansprechpartner in Baden-Württemberg fernkommuniziert, dann ist die erste Voraussetzung eine Registrierung bei service-bw.de mit e-mail-Adresse, Benutzerkennung und Passwort oder künftig mit Hilfe des elektronischen Personalausweises ePa.2 Wenn nun während des laufenden Verfahrens der Dienstleister verstirbt und registrierter Teilnehmer an einem solchen elektronischen Verwaltungsverfahren war und sein Erbe dieses Verfahren nach dem Tod des Antragstellers weiter betreiben – oder verantwortungsvoll beenden – möchte, steht er vor widersprüchlichen Herausforderungen. Er muss die Mailadresse übernehmen können und zusätzlich die Passwörter kennen. Oder er muss gar den elektronischen Personalausweis des Erblassers benutzen, was in den objektiven Straftatbestand des Missbrauchs von Ausweisen mindestens hineinragt. Beides könnte ihm aber unmöglich sein, da er im Normalfall die PIN zur eID seines Erblassers nicht kennt und da der Ausweis eines Verstorbenen nach den geltenden Vorschriften behördlich ungültig gemacht worden ist. Damit wird das Verfahren einen Medienbruch erleben und mindestens vorläufig analog weiterzuführen sein.
2.3.
Erbe eines Google-Accounts ^
2.4.
Erbe eines Facebook-Accounts ^
Hinterbliebene können das Nutzerkonto mit allen Veröffentlichungen löschen lassen. Bei Facebook muss dafür – anders als bei Google – nicht der Erblasser vorsorgen, sondern man kann einen Antrag auf Erhalt von Inhalten des Kontos einer verstorbenen Person auf einem online-Formular stellen. Amtliche Dokumente, die eine Vollmacht oder sonstige autorisierende Verbindung zur verstorbenen Person nachweisen, sind dafür als Foto/Scan hochzuladen. Dazu zählen ein amtlicher Lichtbildausweis, eine Sterbeurkunde und deren beglaubigte Übersetzung sowie ein Erbschein.4 Dann kann ein Eintrag verschwinden. Die Facebook-Seite eines Verstorbenen kann aber auf diese Weise auch in einen «Gedenkzustand» versetzt werden. Das Löschen können nur nachgewiesene unmittelbare Familienangehörige beantragen, nicht aber ein Testamentserbe außerhalb der Familie. Den Gedenkzustand beantragen können auch andere Angehörige.5 Wenn ein Facebook-Nutzer möchte, dass eine Vertrauensperson weitergehende Rechte an seinem Konto hat, falls er verstirbt, muss er gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen und seine Anmeldedaten dieser Vertrauensperson zu Lebzeiten oder im Wege einer letztwilligen Verfügung zugänglich machen.
2.5.
Erbe eines Kindle-Readers ^
Wer bei Amazon Lizenzen für E-Books erworben hat und sich diese digitale Bibliothek auf den Kindle-Reader gezogen hat, könnte eventuell seinem Erben gar nichts davon weiterreichen. Denn die Lizenzen sind laut allgemeinen Geschäftsbedingungen höchstpersönlich und nicht abtretbar,6 damit – vorbehaltlich der Gültigkeit der Geschäftsbedingungen im Rahmen des zwingenden Verbraucherschutzrechts – auch nicht vererblich. Fraglich könnte sein, ob solche AGBs gegen zwingendes EU-Recht verstoßen und einen Verbraucher überraschen oder unangemessen benachteiligen. Zwar hat der EuGH entschieden, dass gebrauchte Software entgegen solcher AGBs als Gebrauchtware weiterveräußert werden darf.7 Jedoch entschieden das LG Bielefeld und nachfolgend das OLG Hamm8 für via Download vertriebene Hörbücher anders. Eine Veräußerung von Audiodateien via Internet stelle keine Verbreitung im Sinne des § 17 UrhG dar. Daher trete keine «Erschöpfung» des Urheberrechts ein und folglich sei eine Weiterveräußerung ohne die erforderliche Zustimmung ein Verstoß gegen das Urheberrecht. Für Deutschland jedenfalls dürften also die AGBs von Amazon auch in Bezug auf E-Books vorerst Bestand haben.
2.6.
Erbe eines iTunes-Accounts ^
Hat der Erblasser bei Apple iTunes Store, dem iBook Store, dem App Store oder dem Mac App Store Berechtigungen an Musikstücken, eBooks und Apps erworben, sind diese nur selten gekauft oder gemietet, oft aber ebenfalls nur höchstpersönlich lizenziert.9
In mindestens zwei Punkten ist eine Abweichung zur vorherigen Fallkonstellation (E-Books von Amazon) erkennbar. Zum einen sind die AGBs von Apple unklarer formuliert und nehmen häufig aufeinander Bezug, verweisen teils auf weitere, fremde Geschäftsbedingungen10 differieren dann aber wieder an überraschenden Punkten, je nachdem, in welchem der Stores man gerade welche Art von Produkten erwirbt.11 Zum anderen verkaufen der AppStore und der Mac AppStore auch und gerade Computerprogramme, für welche eindeutig die zitierte EuGH-Rechtsprechung gilt und für welche auch im deutschen Recht der Erschöpfungsgrundsatz greift. Das bedeutet, dass der Erbe in einzelnen Fällen eben gerade keine neuen Lizenzen erwerben muss, sondern abweichend von den AGBs auch die Lizenzen des Erblassers weiter verwenden darf.
2.7.
Erbe eines leidenschaftlichen Online-Spielers ^
Es gibt durchaus extrem digitale Wünsche, die ein Erbe an die Programmierer eines Online-Spiels herantragen könnte. Zur Erinnerung an verstorbene World of Warcraft-Spieler oder Mitarbeiter gibt es an einigen virtuellen Orten im Spielszenario Gedenkstätten. Kreuzfahrer Bridenbrad in der Zone «Eiskrone» symbolisiert einen Bürgermeister, der an Krebs gestorben ist. Ein mit 19 Jahren verstorbener Spieler, dessen Spielername «Caylee Dak» war, erhielt vom Spielherausgeber Blizzard einen «non player character» (NPC), der genauso aussieht und heißt wie Dak’s Haupt-Avatar.12 Und ebenfalls im World-of-Warcraft-Umfeld hat tatsächlich jemand so einen Wunsch dokumentiert geäußert, allerdings nicht testamentarisch: «Gestern, am 25. November 2013, verstarb ein bekanntes Gesicht der Erfolgs-Szene in World of Warcraft. (...) Daher bitten wir gemeinsam alle Spieler die sich angesprochen fühlen, zu helfen, diesem Menschen seinen zu Lebzeiten aus Spaß ausgesprochenen Wunsch zu erfüllen. Die nächste Erweiterung steht vor der Tür und vielleicht findet sich ja Platz für 10 Erfolgspunkte, ein NPC oder ein Grab irgendwo in Azeroth, welches Todesbote, Gladiator und Freund Joolanda für die Ewigkeit bindet.»13
3.
Rechtliche Gemeinsamkeiten der Fallbeispiele ^
3.1.
Übertragbarkeit ererbter Rechtspositionen ^
3.2.
Mitwirkungserfordernisse für die Aktivierung ererbter Rechtspositionen ^
3.3.
Hemmung des Vonselbsterwerbs von Online-Berechtigungen ^
Die dargestellten Problematiken werden allesamt verschärft durch den Grundsatz des Vonselbsterwerbs. Vonselbsterwerb bedeutet, dass mit dem Tod des Erblassers die Erbschaft dem Erben unmittelbar von selbst anfällt. Es kommt weder auf die Kenntnis des Erben an, noch auf irgendeine diesbezügliche Handlung des Erben oder eines Dritten (§ 1922 Abs. 1 BGB). So kann man Erbe auch gegen den eigenen Willen werden. Genauso ist das Handeln einer Behörde, wie zum Beispiel eines Gerichts oder eines Notars, nicht notwendig. Der Vonselbsterwerb ist ein Charakteristikum des deutschen Erbrechts. Es vermeidet herrenlose, «ruhende» Nachlässe, also die hereditas iacens.16 In Österreich gibt es hingegen die Rechtsfigur der ruhenden Erbschaft (vgl. § 797 ABGB). Mit diesem Ruhen beginnt ein sogenanntes Verlassenschaftsverfahren, nach dessen Abschluss erst die Erbschaft auf den Erben übergeht. Auch das deutsche Recht ermöglicht es zwar dem Erben, die Erbschaft auszuschlagen (§ 1942 Abs. 1 BGB); in diesem Fall wird der Anfall des Nachlasses als nicht erfolgt fingiert, aber der Vonselbsterwerb tritt dann eben gemäß § 1953 BGB rückwirkend bei demjenigen ein, der Erbe gewesen wäre, wenn der Ausschlagende nicht gelebt hätte.
4.
Überleitung ^
Alexander Konzelmann, Abteilungsleiter Rechtsdatenbanken, Richard Boorberg Verlag Stuttgart, Scharrstraße 2, 70563 Stuttgart, DE, a.konzelmann@boorberg.de; http://www.boorberg.de
- 1 Verordnung des Justizministeriums über den elektronischen Rechtsverkehr in Baden-Württemberg vom 11. Dezember 2006, GBl. 2006 S. 393.
- 2 Quelle: http://www.service-bw.de/zfinder-bw-web/welcome.do?showMsbwDetails=1, abgerufen am 22. Oktober 2014.
- 3 Quelle: https://support.google.com/accounts/answer/3036514?hl=de, abgerufen am 22. Oktober 2014.
- 4 Quelle: https://de-de.facebook.com/help/contact/398036060275245, abgerufen am 22. Oktober 2014.
- 5 Quelle: https://de-de.facebook.com/help/359046244166395/, abgerufen am 22. Oktober 2014.
- 6 Quelle: http://www.amazon.de/gp/help/customer/display.html/ref=hp_left_v4_sib?ie=UTF8&nodeId=200506200, abgerufen am 22. Oktober 2014.
- 7 «Used-Soft»-Entscheidung des EuGH (3. Juli 2012, Rs. C-128/11).
- 8 Urteil vom 15. Mai 2014, Az.: I-22 U 60/13.
- 9 Rohwetter in http://www.zeit.de/2013/24/digitales-erbe/komplettansicht, abgerufen am 22. Okotber 2014.
- 10 Wie WarnerChappell.com, sacem.fr, sdrm.fr, sesam.org, prsformusic.com, alle abgerufen am 22. Oktober 2014.
- 11 https://www.apple.com/legal/internet-services/itunes/de/terms.html, abgerufen am 22. Oktober 2014.
- 12 https://www.youtube.com/watch?v=vIGjPSkiLmY, abgerufen am 22. Oktober 2014.
- 13 http://eu.battle.net/wow/de/forum/topic/8783868951?page=17, abgerufen am 22. Oktober 2014.
- 14 Z.B. Soergel/Stein, BGB 12. Aufl., § 1922 Rz. 13, 32–39.
- 15 Streichung von § 847 Abs. 1 Satz 2 durch Gesetz vom 14. März 1990 (BGBl. I S. 478).
- 16 Soergel/Stein, BGB 12. Aufl., § 1922 Rz. 9.