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Generationen-übergreifende Kooperation: über den Umgang mit digitalem Erbgut

  • Author: Alexander Konzelmann
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: E-Commerce
  • Collection: Conference Proceedings IRIS 2015
  • Citation: Alexander Konzelmann, Generationen-übergreifende Kooperation: über den Umgang mit digitalem Erbgut, in: Jusletter IT 26 February 2015
Menschen sammeln digitales Vermögen an. Dieses wird durch Anbieter von Online-Diensten vermittelt, ähnlich wie Bankguthaben durch Kreditinstitute vermittelt werden, obwohl auch bei diesen nur geringe Mengen an «echtem Geld» lagern. Und wir nehmen an staatlichen und privatrechtlichen Verfahren teil, die Rechte und Pflichten verbindlich festlegen, wobei verstärkt papierlose Akten und elektronische Kommunikationsmittel genutzt werden. Der Beitrag stellt die Frage, ob nicht das – insofern bereits modernisierte – Rechtssystem für den Todesfall noch an der einen oder anderen Stelle nachgerüstet werden müsste. Anhand fiktiver Beispiele wird auf Risiken und Widersprüchlichkeiten hingewiesen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Beispiele für eventuelle Problemkonstellationen aus dem öffentlichen und privaten Recht
  • 2.1. Erbe eines elektronisch betriebenen Gerichtsverfahrens
  • 2.2. Erbe eines elektronisch betriebenen Verwaltungsverfahrens
  • 2.3. Erbe eines Google-Accounts
  • 2.4. Erbe eines Facebook-Accounts
  • 2.5. Erbe eines Kindle-Readers
  • 2.6. Erbe eines iTunes-Accounts
  • 2.7. Erbe eines leidenschaftlichen Online-Spielers
  • 3. Rechtliche Gemeinsamkeiten der Fallbeispiele
  • 3.1. Übertragbarkeit ererbter Rechtspositionen
  • 3.2. Mitwirkungserfordernisse für die Aktivierung ererbter Rechtspositionen
  • 3.3. Hemmung des Vonselbsterwerbs von Online-Berechtigungen
  • 4. Überleitung

1.

Einleitung ^

[1]

Wenn ein ehemaliger Erdenbürger dereinst im Himmel auf seiner Wolke angekommen sein wird, werden seine Erben feststellen, dass sein digitales Vermächtnis teilweise ebenfalls in einer Wolke wohnt. Angenommen, der Verblichene hat gemäß einer verbreiteten Übung elektronische Besitztümer wie e-Books, Videos, Musikdateien, geteilte Erinnerungsfotos, Adresslisten, Mailinhalte und -anhänge auf passwortgeschützten Benutzerkonten in der sogenannten Cloud angehäuft, dann kann es für seinen Universalsukzessor diverse Hürden geben, das Erbe tatsächlich anzutreten, auch wenn er über einen Erbschein verfügt. Die technischen Benutzungsbedingungen und die Vertragsklauseln der online-Anbieter sind häufig darauf ausgerichtet, den online-Nutzer eindeutig zu identifizieren. Im Erbfall ändert sich aber die Identität des Berechtigten zwangsläufig, sodass Verwerfungen vorprogrammiert sind.

[2]
Eine ähnliche Fallkonstellation ergibt sich im Todesfall bei der elektronischen Kommunikation mit Behörden und Gerichten. Der Bürger, der über amtlich vorgesehene Instrumente des elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) – wie z.B. ein elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) mit Authentifizierung per Signaturkarte – über laufende Verfahren mit staatlichen Stellen Kontakt hält und während eines solchen Verfahrens verstirbt, stellt seinen Gesamtrechtsnachfolger damit eventuell auch vor Aufgaben, für welche dieser gerne eine Schritt-für-Schritt-Anleitung hätte.
[3]
Eine Arbeitshypothese zur Praxis lautet: Zur Generationen-übergreifenden Kooperation im Erbfall gehört im Zeitalter elektronisch vermittelter Rechtspositionen notwendigerweise auch die Kooperation unter den verschiedenen involvierten Akteuren. Mit einem gescannten Erbschein allein kann der Rechtsnachfolger in vielen Fällen sein Erbe nicht effektiv antreten.
[4]
Und eine weitere Hypothese zum rechtstechnischen theoretischen Hintergrund geht dahin, dass man das deutsche Prinzip des Vonselbsterwerbs aus § 1922 BGB einschränkend interpretieren und eine Übergangsphase mit einer Art hereditas iacens zulassen könnte, wie sie im römischen Recht existierte und wie sie im österreichischen § 797 ABGB in Verbindung mit dem Verlassenschaftsverfahren nach den §§ 143 ff. des Außerstreitgesetzes normativ verankert ist.

2.

Beispiele für eventuelle Problemkonstellationen aus dem öffentlichen und privaten Recht ^

2.1.

Erbe eines elektronisch betriebenen Gerichtsverfahrens ^

[5]
Der Erbe nimmt ein durch Tod unterbrochenes Gerichtsverfahren des Erblassers auf, das mit der Software «Elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach» (EGVP) mit qualifizierter Signatur begonnen wurde. Darf der Erbe die Signaturkarte des Verstorbenen benutzen?
[6]
Als Musterfall dient ein konkretes Regelungsbeispiel zur Kommunikation mit Gerichten via EGVP mit qualifizierter Signatur in Baden-Württemberg. Dort lautet Punkt 3.3 der Bekanntgabe des Einreichungsverfahrens aufgrund Artikel 1 § 3 der Verordnung des Justizministeriums über den elektronischen Rechtsverkehr in Baden-Württemberg1: «Elektronische Dokumente, die einem unterzeichneten Schriftstück gleichstehen (vgl. §§ 126, 126a BGB), sind mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach § 2 Nr. 3 des Signaturgesetzes zu versehen.» Der Tod eines Beteiligten unterbricht ein anhängiges verwaltungsgerichtliches oder zivilgerichtliches Verfahren nach den §§ 239 ZPO, 173 VwGO; bei anwaltlicher Vertretung tritt keine Unterbrechung ein, aber das Verfahren kann ausgesetzt werden (§§ 246 ZPO, 173 VwGO). Es kann mit dem Erben fortgesetzt werden. Dieser ist nach Annahme der Erbschaft zur Fortführung des Rechtsstreits verpflichtet. Das Gericht kann ihn zur Aufnahme des Verfahrens und zur Verhandlung in der Hauptsache laden. Nur angenommen, der Erblasser hatte das Verfahren via EGVP betrieben, dann müsste sich der Erbe mit der Signaturkarte authentifizieren, um den Prozess an der richtigen Stelle aufzunehmen. Die digitale Signatur ist aber an die Person des Inhabers gebunden, sodass die Benutzung einer «ererbten» Signaturkarte a priori problematisch ist. Der Inhaber ist sogar gehalten, die Signatur so zu nutzen, dass sein Schlüssel nicht bekannt wird.

2.2.

Erbe eines elektronisch betriebenen Verwaltungsverfahrens ^

[7]
Der Erbe eines amtlich registrierten Teilnehmers an einem elektronischen Verwaltungsverfahren soll dieses Verfahren nach dem Tod des Antragstellers weiter betreiben oder beenden. Darf er dessen Mailadresse und Passwörter oder gar den elektronischen Personalausweis mit eID und PIN benutzen?
[8]

Auch hierzu ein Beispiel aus Baden-Württemberg: Wenn ein Dienstleister gemäß EU-Dienstleistungsrichtlinie mit dem sogenannten einheitlichen Ansprechpartner in Baden-Württemberg fernkommuniziert, dann ist die erste Voraussetzung eine Registrierung bei service-bw.de mit e-mail-Adresse, Benutzerkennung und Passwort oder künftig mit Hilfe des elektronischen Personalausweises ePa.2 Wenn nun während des laufenden Verfahrens der Dienstleister verstirbt und registrierter Teilnehmer an einem solchen elektronischen Verwaltungsverfahren war und sein Erbe dieses Verfahren nach dem Tod des Antragstellers weiter betreiben – oder verantwortungsvoll beenden – möchte, steht er vor widersprüchlichen Herausforderungen. Er muss die Mailadresse übernehmen können und zusätzlich die Passwörter kennen. Oder er muss gar den elektronischen Personalausweis des Erblassers benutzen, was in den objektiven Straftatbestand des Missbrauchs von Ausweisen mindestens hineinragt. Beides könnte ihm aber unmöglich sein, da er im Normalfall die PIN zur eID seines Erblassers nicht kennt und da der Ausweis eines Verstorbenen nach den geltenden Vorschriften behördlich ungültig gemacht worden ist. Damit wird das Verfahren einen Medienbruch erleben und mindestens vorläufig analog weiterzuführen sein.

2.3.

Erbe eines Google-Accounts ^

[9]
Bei Google kann man eine Art elektronische Testamentsvollstreckung vorprogrammieren, indem man Einstellungen im «Kontoinaktivitäts-Manager» vornimmt. Wie kann hierbei Parallelität und Konformität zum formalen Erbrecht hergestellt werden?
[10]
Bei Google kann es Erleichterungen in der Abwicklung eines durch Tod verwaisten Accounts geben, wenn der Erblasser entsprechende Einstellungen im «Kontoinaktivität-Manager für vertrauenswürdige Kontaktpersonen» gemacht hat. Anhand ausbleibender Anzeichen wie Anmeldungen, Suchverlauf und wie oft Gmail oder Android-Geräte genutzt werden, schließt Google darauf, ob ein Google-Konto noch genutzt wird. Bevor daraufhin ein Account gelöscht wird, können mithilfe des Kontoinaktivität-Managers andere Nutzer benachrichtigt werden. Anhand deren Telefonnummer wird geprüft, ob Daten nur von der Kontaktperson des Vertrauens heruntergeladen werden können. Die Vertrauensperson erhält eine e-Mail mit einem Inhalt wie: «Der Nutzer hat Google angewiesen, Ihnen diese E-Mail automatisch zu senden, nachdem Max die Nutzung seines Kontos eingestellt hat. Er hat Ihnen Zugriff auf folgende Kontodaten gewährt (z.B. +1, Blogger, Drive, E-Mail, Picasa-Webalben, YouTube). Laden Sie seine Daten hier herunter. Mit freundlichen Grüßen, Ihr Google Konten-Team.»3 Die Auswirkungen können immens sein, weil sich bei Google Cloud-Services, e-Mail-Konten, Doodle-Abfragen und ähnliche Kooperationstechnologien, individualisierte Landkarten, App-Lizenzen und ein soziales Netzwerk mit Kontaktpflegesoftware um einen Account versammeln. Die Interessenlage könnte für die einzelnen Komponenten sehr verschieden sein und von «ersatzlos löschen» über «pietätvoll abwickeln» bis zu «im Interesse der Überlebenden bitte aufrecht erhalten» reichen. Ob die Google-Vertrauenspersonen aus dem Kreis der Erben stammen, kann der Nutzer nur selbst kontrollieren. Es könnte sich bei der Einrichtung einer solchen Vertrauensperson um eine Bevollmächtigung über den Tod hinaus handeln, welche durch die Erben widerruflich wäre. Dazu müssten aber die Erben entsprechenden Kontakt zu Google herstellen und sich authentifizieren. Bei einer Interessenkollision kommt es voraussehbar zu erheblichen Verzögerungen.

2.4.

Erbe eines Facebook-Accounts ^

[11]
Bei Facebook können Hinterbliebene das Nutzerkonto mit allen Veröffentlichungen löschen lassen oder dessen Facebook-Seite in einen «Gedenkzustand» versetzen lassen. Sind die Voraussetzungen dafür nicht zu hoch oder zu niedrig?
[12]

Hinterbliebene können das Nutzerkonto mit allen Veröffentlichungen löschen lassen. Bei Facebook muss dafür – anders als bei Google – nicht der Erblasser vorsorgen, sondern man kann einen Antrag auf Erhalt von Inhalten des Kontos einer verstorbenen Person auf einem online-Formular stellen. Amtliche Dokumente, die eine Vollmacht oder sonstige autorisierende Verbindung zur verstorbenen Person nachweisen, sind dafür als Foto/Scan hochzuladen. Dazu zählen ein amtlicher Lichtbildausweis, eine Sterbeurkunde und deren beglaubigte Übersetzung sowie ein Erbschein.4 Dann kann ein Eintrag verschwinden. Die Facebook-Seite eines Verstorbenen kann aber auf diese Weise auch in einen «Gedenkzustand» versetzt werden. Das Löschen können nur nachgewiesene unmittelbare Familienangehörige beantragen, nicht aber ein Testamentserbe außerhalb der Familie. Den Gedenkzustand beantragen können auch andere Angehörige.5 Wenn ein Facebook-Nutzer möchte, dass eine Vertrauensperson weitergehende Rechte an seinem Konto hat, falls er verstirbt, muss er gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen und seine Anmeldedaten dieser Vertrauensperson zu Lebzeiten oder im Wege einer letztwilligen Verfügung zugänglich machen.

2.5.

Erbe eines Kindle-Readers ^

[13]
Amazon Lizenzen für E-Books in Form einer digitalen Bibliothek auf dem Kindle-Reader sind laut allgemeinen Geschäftsbedingungen höchstpersönlich und nicht abtretbar, also auch nicht erblich? Kann sich hier EU-Verbraucherschutzrecht auf die Rechtsposition eines Erben auswirken?
[14]

Wer bei Amazon Lizenzen für E-Books erworben hat und sich diese digitale Bibliothek auf den Kindle-Reader gezogen hat, könnte eventuell seinem Erben gar nichts davon weiterreichen. Denn die Lizenzen sind laut allgemeinen Geschäftsbedingungen höchstpersönlich und nicht abtretbar,6 damit – vorbehaltlich der Gültigkeit der Geschäftsbedingungen im Rahmen des zwingenden Verbraucherschutzrechts – auch nicht vererblich. Fraglich könnte sein, ob solche AGBs gegen zwingendes EU-Recht verstoßen und einen Verbraucher überraschen oder unangemessen benachteiligen. Zwar hat der EuGH entschieden, dass gebrauchte Software entgegen solcher AGBs als Gebrauchtware weiterveräußert werden darf.7 Jedoch entschieden das LG Bielefeld und nachfolgend das OLG Hamm8 für via Download vertriebene Hörbücher anders. Eine Veräußerung von Audiodateien via Internet stelle keine Verbreitung im Sinne des § 17 UrhG dar. Daher trete keine «Erschöpfung» des Urheberrechts ein und folglich sei eine Weiterveräußerung ohne die erforderliche Zustimmung ein Verstoß gegen das Urheberrecht. Für Deutschland jedenfalls dürften also die AGBs von Amazon auch in Bezug auf E-Books vorerst Bestand haben.

2.6.

Erbe eines iTunes-Accounts ^

[15]

Hat der Erblasser bei Apple iTunes Store, dem iBook Store, dem App Store oder dem Mac App Store Berechtigungen an Musikstücken, eBooks und Apps erworben, sind diese nur selten gekauft oder gemietet, oft aber ebenfalls nur höchstpersönlich lizenziert.9

[16]

In mindestens zwei Punkten ist eine Abweichung zur vorherigen Fallkonstellation (E-Books von Amazon) erkennbar. Zum einen sind die AGBs von Apple unklarer formuliert und nehmen häufig aufeinander Bezug, verweisen teils auf weitere, fremde Geschäftsbedingungen10 differieren dann aber wieder an überraschenden Punkten, je nachdem, in welchem der Stores man gerade welche Art von Produkten erwirbt.11 Zum anderen verkaufen der AppStore und der Mac AppStore auch und gerade Computerprogramme, für welche eindeutig die zitierte EuGH-Rechtsprechung gilt und für welche auch im deutschen Recht der Erschöpfungsgrundsatz greift. Das bedeutet, dass der Erbe in einzelnen Fällen eben gerade keine neuen Lizenzen erwerben muss, sondern abweichend von den AGBs auch die Lizenzen des Erblassers weiter verwenden darf.

2.7.

Erbe eines leidenschaftlichen Online-Spielers ^

[17]
Wenn der Erblasser ein leidenschaftlicher Gamer war, könnte es sein, dass Interesse daran besteht oder gar von ihm selbst geäußert wurde, dass sein Account mit aktuellem Spielstand von seinem Erben oder von einem anderen Spieler übernommen wird. Kann so ein Wunsch rechtsverbindlich formuliert werden?
[18]

Es gibt durchaus extrem digitale Wünsche, die ein Erbe an die Programmierer eines Online-Spiels herantragen könnte. Zur Erinnerung an verstorbene World of Warcraft-Spieler oder Mitarbeiter gibt es an einigen virtuellen Orten im Spielszenario Gedenkstätten. Kreuzfahrer Bridenbrad in der Zone «Eiskrone» symbolisiert einen Bürgermeister, der an Krebs gestorben ist. Ein mit 19 Jahren verstorbener Spieler, dessen Spielername «Caylee Dak» war, erhielt vom Spielherausgeber Blizzard einen «non player character» (NPC), der genauso aussieht und heißt wie Dak’s Haupt-Avatar.12 Und ebenfalls im World-of-Warcraft-Umfeld hat tatsächlich jemand so einen Wunsch dokumentiert geäußert, allerdings nicht testamentarisch: «Gestern, am 25. November 2013, verstarb ein bekanntes Gesicht der Erfolgs-Szene in World of Warcraft. (...) Daher bitten wir gemeinsam alle Spieler die sich angesprochen fühlen, zu helfen, diesem Menschen seinen zu Lebzeiten aus Spaß ausgesprochenen Wunsch zu erfüllen. Die nächste Erweiterung steht vor der Tür und vielleicht findet sich ja Platz für 10 Erfolgspunkte, ein NPC oder ein Grab irgendwo in Azeroth, welches Todesbote, Gladiator und Freund Joolanda für die Ewigkeit bindet.»13

 

Abbildung 1

[19]
Es ist nach den allgemeinen Regeln des Erbrechts zu ermitteln, was gilt, wenn jemand will, dass sein Avatar nach seinem Tod noch sein Lieblingsspiel weiterspielt. Im Zweifel kann das eine Auflage sein, die in gleicher Weise gilt wie der Wunsch, dass das Grab in einer bestimmten Weise bepflanzt wird oder dass der Lieblingshund gut aufgehoben bleibt (§ 2192 BGB). Wenn sich der Wusch nicht an den Erben oder Vermächtnisnehmer richtet, oder wenn er nicht die Formalien einer letztwilligen Verfügung erfüllt, dann bleibt er außerhalb rechtlicher Kategorien.

3.

Rechtliche Gemeinsamkeiten der Fallbeispiele ^

[20]
Die sehr unterschiedlichen fiktiven Fallkonstellationen weisen einige gemeinsame Kategorien auf, die einerseits zur Problembeschreibung dienen können als auch andererseits auf mögliche Auswege hinweisen dürften. Dabei handelt es sich zum ersten um die Abgrenzung von höchstpersönlichen Rechtspositionen und solchen, die übertragbar erscheinen. Zweitens ist festzustellen, dass ohne eine – gesetzlich nicht explizit festgeschriebene – Kooperation zwischen den nach dem Erbfall nunmehr Beteiligten eine unerwünschte Blockadesituation eintreten kann. Und drittens könnte die deutschrechtliche Figur des Vonselbsterwerbs in ihrer strengen Dogmatik die Probleme verschärfen.

3.1.

Übertragbarkeit ererbter Rechtspositionen ^

[21]
Von der Universalsukzession ausgenommen sind höchstpersönliche Rechte und Pflichten. Diese erlöschen mit dem Tod ihres Inhabers und gehen nicht auf den Erben über. Höchstpersönlich sind zum Beispiel der Name, ein Amt, persönliche Dienstleistungspflichten, aber auch Unterhaltspflichten oder ein lebenslanges Wohnrecht.14 Eine Parteistellung in einem Rechtsstreit oder in einem behördlichen Verfahren, in welchem es um etwas anderes geht, ist jedoch unproblematisch vererblich. Und selbst wenn es in einem Rechtsstreit in der Sache um höchstpersönliche Ansprüche ging, entfällt nicht der gesamte Prozess, sondern die Hauptsache ist für erledigt zu erklären und der Prozess als Streit um die Kosten fortzusetzen. Die oben genannten Fälle werden also insofern vereinfacht, als persönlich als unabtretbar erworbene Lizenzen mit dem Tod verfallen und als persönlich erspielte Positionen in einem Computerspiel nicht vom Spielanbieter übertragbar ausgestaltet sein müssen.
[22]
Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass es in der Bestimmung der Erblichkeit von Rechtspositionen Wandlungen gibt, die rechtspolitisch veränderlichen Ansichten unterliegen. Bis zu einer Gesetzesänderung im Jahre 199015 kam es z.B. im deutschen Recht darauf an, ob ein Schadenersatzanspruch wegen Schmerzensgeld bereits vor dem Tode des Erblassers rechtshängig geworden war. Falls nicht, war er nicht erblich und der Schädiger konnte vom frühen Tod des Geschädigten profitieren. Das wurde früher mehrheitlich als gerecht akzeptiert, heute nicht mehr. Ebenso könnte es auch künftig zu politisch motivierten Änderungen in diesem noch relativ neuen Regelungsbereich kommen, wenn nämlich dereinst mehr Internetnutzer gestorben sein werden und wenn weitere Problemfälle bei den Gerichten anlanden. Folglich ist es nicht ausgeschlossen, dass entweder gewisse Bereiche der «Online-Persönlichkeit» eines Verstorbenen tatsächlich formal außerhalb der Vererblichkeit gestellt werden oder umgekehrt, dass gewisse AGBs von Online-Dienstleistern als unwirksam angesehen werden, weil sie den Erben an der Übernahme der Rechtspositionen im Sinne einer «unangemessenen Benachteiligung» hindern. In beide Richtungen ist Verhandlungsspielraum eröffnet.

3.2.

Mitwirkungserfordernisse für die Aktivierung ererbter Rechtspositionen ^

[23]
In allen dargestellten Phantasiefällen werden Kooperationserfordernisse offenbar. Der Erbe kann nicht allein mit den vom Anbieter der online-Dienste zur Verfügung gestellten Mitteln sein Erbe vollumfänglich antreten. Entweder er verschafft sich auf halblegalem Wege Kenntnis von Kennungen und Passwörtern und benutzt den Account des Verstorbenen weiter, als ob dieser noch lebte, oder aber er muss außerhalb der programmierten Wege des Elektronischen Rechtsverkehrs, des EGVP, des sozialen Netzwerks, der Shop- oder Gaming-Software Kontakt zu einem persönlichen Repräsentanten des Anbieters aufnehmen und dessen Mitwirkung bei der Übertragung oder Klärung verwaister Positionen in Anspruch nehmen. Die Überlebenden müssen kooperieren oder der Erblasser muss vorsorglich eine generationenübergreifende Kooperation in Gang gesetzt haben, damit der Erbe wirklich verantwortlich die Gesamtheit der Rechtspositionen seines Erblassers übernehmen oder bereinigen kann. In einigen Bereichen haben sich bereits Allgemeine Geschäftsbedingungen etabliert, die die Problematik des Todes von Nutzern ansatzweise regeln. In anderen Bereichen, insbesondere im amtlichen elektronischen Rechtsverkehr, sind zukünftige Ergänzungen des gesetzlichen Rahmens zu erwarten; mutmaßlich aber erst nach dem Auftreten der ersten echten Problemfälle.

3.3.

Hemmung des Vonselbsterwerbs von Online-Berechtigungen ^

[24]

Die dargestellten Problematiken werden allesamt verschärft durch den Grundsatz des Vonselbsterwerbs. Vonselbsterwerb bedeutet, dass mit dem Tod des Erblassers die Erbschaft dem Erben unmittelbar von selbst anfällt. Es kommt weder auf die Kenntnis des Erben an, noch auf irgendeine diesbezügliche Handlung des Erben oder eines Dritten (§ 1922 Abs. 1 BGB). So kann man Erbe auch gegen den eigenen Willen werden. Genauso ist das Handeln einer Behörde, wie zum Beispiel eines Gerichts oder eines Notars, nicht notwendig. Der Vonselbsterwerb ist ein Charakteristikum des deutschen Erbrechts. Es vermeidet herrenlose, «ruhende» Nachlässe, also die hereditas iacens.16 In Österreich gibt es hingegen die Rechtsfigur der ruhenden Erbschaft (vgl. § 797 ABGB). Mit diesem Ruhen beginnt ein sogenanntes Verlassenschaftsverfahren, nach dessen Abschluss erst die Erbschaft auf den Erben übergeht. Auch das deutsche Recht ermöglicht es zwar dem Erben, die Erbschaft auszuschlagen (§ 1942 Abs. 1 BGB); in diesem Fall wird der Anfall des Nachlasses als nicht erfolgt fingiert, aber der Vonselbsterwerb tritt dann eben gemäß § 1953 BGB rückwirkend bei demjenigen ein, der Erbe gewesen wäre, wenn der Ausschlagende nicht gelebt hätte.

[25]
Das oben genannte Verlassenschaftsverfahren ist ein gerichtliches Verfahren im österreichischen Recht, das der Feststellung des Vermögensstandes der Verlassenschaft und der Übergabe an den Erben dient. Es wird von den Bezirksgerichten geführt und ist in den §§ 143 ff. des Außerstreitgesetzes geregelt. Zum größten Teil wird es von einem öffentlichen Notar als Gerichtskommissär abgewickelt; dem Gericht sind Entscheidungen in Form von Beschlüssen vorbehalten. Zu den wichtigsten Beschlussarten gehören dabei die Entscheidung über das Erbrecht oder der Beschluss über die sogenannte Einantwortung, also die formelle Übertragung von Vermögensrechten auf den nunmehr festgestellten Erben. Seit 2005 hat der Gerichtskommissär weitere gesetzliche Aufgaben übertragen erhalten und kann nun das Verfahren weitgehend selbständig führen. Er hat aus deutscher Sicht Rechte wie eine Art «amtlicher Testamtentsvollstrecker». Hinsichtlich der Lösung von Konfliktfällen aus der «Online-Erbschaft» eines Verstorbenen scheint diese Regelung nützlich und flexibel genug, um die notwendigen Kooperationsschritte im Einzelfall von den Beteiligten effektiv einzufordern. Eventuell sollte man auch im bundesdeutschen Recht de lege ferenda im Hinblick auf solche künftigen Konstellationen erwägen, mit der Rechtsfigur der ruhenden Erbschaft zu arbeiten. Dann könnte man im Netz verstreut herumliegende Material- und Immaterial-Güter des Verstorbenen vorerst als in einer juristischen «Zwischenschicht» (Cloud?) verweilend ansehen, aus welcher sie der Erbe – oder ein gesetzlich beauftragter Mediator – herauslösen kann oder muss.

4.

Überleitung ^

[26]
Sicher wurden in diesem Beitrag nicht die künftig am häufigsten auftretenden Konstellationen von Problemfällen bei der «Online-Erbschaft» gefunden. Sicher wurden auch nicht diejenigen Wege zur Rechtsfortbildung dargestellt, die künftig mehrheitsfähig werden. Aber das Ziel der Betrachtung war auch lediglich, plakativ auf bereits heute bestehende Unvollständigkeiten und Wertungswidersprüche hinzuweisen, die zutage treten werden, wenn jemand praktisch einen Nachlass erhält, in welchem nennenswerte Rechts- und Vermögenspositionen durch Online-Dienste vermittelt oder gar begründet wurden. Außerdem sollte das Gespür künftiger Erblasser und Notare angeregt werden, bei der Abfassung von Testamenten auch an diejenigen Nachlassbestandteile zu denken, die dem Erblasser bereits auf eine Wolke vorausgeeilt sind. Die vorläufige Abschlussthese lautet: Die Notwendigkeit zur Kooperation in erbrechtlichen Angelegenheiten wird durch das Internet verstärkt.

 

Alexander Konzelmann, Abteilungsleiter Rechtsdatenbanken, Richard Boorberg Verlag Stuttgart, Scharrstraße 2, 70563 Stuttgart, DE, a.konzelmann@boorberg.de; http://www.boorberg.de

  1. 1 Verordnung des Justizministeriums über den elektronischen Rechtsverkehr in Baden-Württemberg vom 11. Dezember 2006, GBl. 2006 S. 393.
  2. 2 Quelle: http://www.service-bw.de/zfinder-bw-web/welcome.do?showMsbwDetails=1, abgerufen am 22. Oktober 2014.
  3. 3 Quelle: https://support.google.com/accounts/answer/3036514?hl=de, abgerufen am 22. Oktober 2014.
  4. 4 Quelle: https://de-de.facebook.com/help/contact/398036060275245, abgerufen am 22. Oktober 2014.
  5. 5 Quelle: https://de-de.facebook.com/help/359046244166395/, abgerufen am 22. Oktober 2014.
  6. 6 Quelle: http://www.amazon.de/gp/help/customer/display.html/ref=hp_left_v4_sib?ie=UTF8&nodeId=200506200, abgerufen am 22. Oktober 2014.
  7. 7 «Used-Soft»-Entscheidung des EuGH (3. Juli 2012, Rs. C-128/11).
  8. 8 Urteil vom 15. Mai 2014, Az.: I-22 U 60/13.
  9. 9 Rohwetter in http://www.zeit.de/2013/24/digitales-erbe/komplettansicht, abgerufen am 22. Okotber 2014.
  10. 10 Wie WarnerChappell.com, sacem.fr, sdrm.fr, sesam.org, prsformusic.com, alle abgerufen am 22. Oktober 2014.
  11. 11 https://www.apple.com/legal/internet-services/itunes/de/terms.html, abgerufen am 22. Oktober 2014.
  12. 12 https://www.youtube.com/watch?v=vIGjPSkiLmY, abgerufen am 22. Oktober 2014.
  13. 13 http://eu.battle.net/wow/de/forum/topic/8783868951?page=17, abgerufen am 22. Oktober 2014.
  14. 14 Z.B. Soergel/Stein, BGB 12. Aufl., § 1922 Rz. 13, 32–39.
  15. 15 Streichung von § 847 Abs. 1 Satz 2 durch Gesetz vom 14. März 1990 (BGBl. I S. 478).
  16. 16 Soergel/Stein, BGB 12. Aufl., § 1922 Rz. 9.