Seit 2013 lässt sich die Post den Empfang von Sendungen nur noch elektronisch quittieren: Die Empfangsunterschrift wird via Touchscreen als Pixelmuster digitalisiert. Darob entbrannte eine Kontroverse zwischen Bundesgericht und Bundesrat bzw. Post: Während ersteres die Beweisfestigkeit der Lösung der Post für ungenügend hält, sind letztere von deren Beweiseignung überzeugt.1
Einschlägig ist im Zivilprozess zunächst Art. 138 Zivilprozessordnung (ZPO), der eine Zustellung gegen eine nicht weiter spezifizierte Empfangsbestätigung vorsieht. Nach Art. 29 Abs. 1 Bst. d der Postverordnung (VPG) muss das Schutzniveau bei elektronischen Empfangsbestätigungen von Gerichtsurkunden zudem jenem der Papierform entsprechen.
Die digitalisierte Unterschrift ist rechtlich nicht in jeder Hinsicht der Handunterschrift gleichgestellt. Dazu wäre eine qualifizierte elektronische Signatur vonnöten, die auf Kryptographie basiert (Art. 14 Abs. 2bis Obligationenrecht [OR]).2 Die vorliegend im Zentrum stehende Beweisfunktion3 der Unterschrift setzt eine solche Gleichstellung jedoch nicht voraus, was in der VPG zum Ausdruck kommt, die nur funktionale Äquivalenz fordert.
Zu unterscheiden sind die Fälschbarkeit und die Nichtabstreitbarkeit einer Unterschrift: Die Handunterschrift schützt zuverlässig vor Fälschungen, denn sie enthält auch Schriftmerkmale wie Druck und Strichverlauf.4 Das digitale Pixelmuster einer Unterschrift ist demgegenüber fast wertlos.5 Das Problem der Nichtabstreitbarkeit lösen allerdings weder die Hand- noch die digitalisierte Unterschrift, denn nutzt der Empfänger nicht seine übliche Unterschrift, kann er den Empfang später in beiden Fällen abstreiten.
Allerdings liefert der Postbote als vertrauenswürdiger Dritter die Post bei einer bestimmten Adresse ab und hält dies im «Track&Trace»-System der Post fest. Das Bundesgericht geht gestützt auf dieses System vermutungsweise von der Zustellung aus, und zwar nicht erst bei unterzeichnetem Empfangsschein, sondern bereits wenn die Zustellung einer Abholeinladung verzeichnet und die Abholfrist abgelaufen ist.6
Um die Nichtabstreitbarkeit weiter zu verbessern, könnte der Postbote – im Sinne einer zusätzlichen organisatorischen Massnahme – dazu angehalten werden, die Empfangsunterschrift mit jener auf dem präsentierten Ausweis zu vergleichen. Eine zusätzliche technische Massnahme hinsichtlich Fälschbarkeit könnte darin bestehen, nicht nur das zweidimensionale Pixelmuster der Unterschrift aufzuzeichnen, sondern noch weitere Merkmale, wie den Zeitverlauf des Unterschreibens oder die variierende Druckstärke an verschiedenen Punkten der Unterschrift.7
Simon Schlauri
- 1 GPK-N/S, Jahresbericht 2014, 44, tinyurl.com/k558ax6; C. Brönnimann, Die digitale Unterschrift ist nicht rechtsgültig, Tages-Anzeiger, 4. Februar 2015, tinyurl.com/q3jkvlu.
- 2 Zur Unterscheidung zwischen digitalisierter und elektronischer Unterschrift S. Schlauri, Elektronische Signaturen, Diss. Zürich 2002, tinyurl.com/mh2uxkr, N 34 ff.
- 3 Andere Funktionen sind der Übereilungsschutz und die Anerkennungsfunktion, die beim Vertragsschluss eine Rolle spielen; zum Ganzen Schlauri (FN 2), N 833 ff.
- 4 Nur in einem von fünf Fällen kann ein Experte eine Fälschung nicht als solche erkennen, sodass der Unterzeichner jederzeit mit dem Auffliegen seiner Fälschung rechnen muss; vgl. Schlauri (FN 2), N. 641, m.H.
- 5 Vgl. Schlauri (FN 2), N. 38.
- 6 Diese «Vermutung» (präziser: Anscheinsbeweis; Schlauri (FN 2), N 587 ff.) lässt die Beweisführungslast auf den angeblichen Empfänger wechseln: Er muss Indizien darlegen, die den Anscheinsbeweis erschüttern; vgl. etwa Urteil des Bundesgerichts 6B_940/2013 vom 31. März 2014, E. 2.; B. Seiler, Die Berufung nach ZPO, Zürich 2013, N 769, m.H.
- 7 Entsprechende Geräte sind am Markt erhältlich; vgl. tinyurl.com/qa9mgjg.