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Copyfraud und Lauterkeitsrecht

  • Author: Simon Schlauri
  • Category: News
  • Region: Switzerland
  • Field of law: Competition law
  • Citation: Simon Schlauri, Copyfraud und Lauterkeitsrecht, in: Jusletter IT 25 May 2016

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Fallbeispiele
  • 2. Begriffe
  • 3. Lauterkeitsrechtliche Beurteilung
  • 4. Besondere Fälle

1.

Fallbeispiele ^

[1]
Am 1. Oktober 2013 führte Greenpeace im Basler St. Jakob-Stadion anlässlich eines Fussballspiels zwischen dem FC Basel und Schalke 04 eine Protestaktion gegen einen Sponsor der UEFA. Aktivisten seilten sich vom Stadiondach ab und entrollten ein Transparent. Die Aktion fand umgehend ihren Weg auf Videoplattformen im Netz, insbesondere auf Googles YouTube.
[2]
Tags darauf waren allerdings sämtliche Videos der Aktion von YouTube wieder verschwunden. Wie es scheint, hatte jemand die Videos durch Google löschen lassen.
[3]

Als mögliche Begründung für ein solches Löschungsbegehren kommt in diesem Fall eigentlich nur eine Urheberrechtsverletzung in Frage. Nur: An Fussballspielen selber bestehen keine Urheberrechte,1 und selbst wenn, wäre die Schrankenbestimmung von Art. 28 des Bundesgesetzes über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (URG) anwendbar gewesen: Soweit es für die Berichterstattung über aktuelle Ereignisse erforderlich ist, dürfen gemäss dieser Norm die dabei wahrgenommenen Werke genutzt werden, und zwar auch im Internet.2 Das Hochladen auf Videoplattformen war also erlaubt, und das Löschungsbegehren fusste auf einer Rechteanmassung der Verantwortlichen.

[4]
Vergleichbare Fälle kommen auch in anderen Bereichen vor. Ein weiteres prominentes Beispiel ist der Fall des Liedes «Happy Birthday», an dem Warner Music jahrelang zu Unrecht Urheberrechte geltend machte und dafür Millionensummen kassierte.3 Gedächtnisinstitutionen, wie etwa das schweizerische Landesmuseum, machen teils Rechte an digitalisierten Werken geltend, an denen die Urheberrechte längst erloschen sind,4 und auch professionelle Bilderdatenbanken berufen sich auf nicht existierende Rechtspositionen.5
[5]

Es stellt sich die Frage, ob es rechtliche Mittel gibt, derartigen Verhaltensweisen entgegenzutreten.

2.

Begriffe ^

[6]
Bei der Argumentation kann m.E. auf die bestehende Gerichtspraxis zur sogenannten Markenberühmung zurückgegriffen werden.6 In Anlehnung an diesen in der Rechtssprache etablierten Begriff könnte von Urheberrechtsberühmung gesprochen werden. In der Internetszene ist mittlerweile häufig der englische Begriff Copyfraud gebräuchlich.7
[7]
Die Urheberrechtsberühmung ist von einer einfachen Urheberrechtsanmassung8 insofern zu unterscheiden, als der Täter bei ersterer ein Recht behauptet, das nicht existiert, während er sich bei letzterer das Recht eines Dritten anmasst.
[8]
Das Urheberrecht schützt die jeweiligen Rechteinhaber, kann also gegen die Anmassung angerufen werden (Art. 9 Abs. 1 URG). Gegen die Fälle der Berühmung bleibt das Urheberrecht demgegenüber wirkungslos, denn es gibt ja keinen Rechteinhaber, der seine Urheberrechte zu verteidigen hätte. Opfer der Tat ist «nur» die getäuschte Allgemeinheit, der gegenüber suggeriert wird, eigentlich gemeinfreie Werke dürften nicht genutzt werden.

3.

Lauterkeitsrechtliche Beurteilung ^

[9]
Eine mögliche Begründung für die Unrechtmässigkeit der Urheberrechtsberühmung liegt in dieser täuschenden Natur: Nach Art. 3 Bst. b des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) handelt u.a. unlauter, wer über sich, seine Waren, Werke oder Leistungen unrichtige oder irreführende Angaben macht. Und wer behauptet, er sei Rechteinhaber bezüglich eines Werks, könnte diesen Tatbestand erfüllen. So sieht es jedenfalls die Gerichtspraxis zur Patent-, Design- und Markenberühmung,9 deren Grundsätze m.E. ohne Weiteres auf die Urheberrechtsberühmung übertragbar sind.
[10]
Das UWG bezweckt, den lauteren und unverfälschten Wettbewerb im Interesse aller Beteiligten zu gewährleisten (Art. 1 UWG). Damit das Gesetz greift, muss daher eine Wettbewerbshandlung vorliegen, d.h. eine Verhaltensweise, die «objektiv auf eine Beeinflussung der Wettbewerbsverhältnisse angelegt» und «marktrelevant, marktgeneigt oder wettbewerbsgerichtet» ist. Der Begriff der Wettbewerbshandlung ist dabei weit auszulegen.10
[11]
Eine Privatperson, die sich im Internet eines (nicht bestehenden) Rechts an einem Werk rühmt, ohne damit wirtschaftliche Zwecke zu verfolgen, wird also ungeschoren davonkommen.11
[12]
In Fällen, in denen Unternehmen Rechte anbieten, etwa an Bildern, und dabei suggerieren, Rechteinhaber zu sein, liegt zweifellos eine Wettbewerbshandlung vor. Ein Lizenznehmer wird nämlich i.d.R. bereit sein, für die Einräumung von Rechten einen höheren Preis zu bezahlen, als in Fällen, in denen er vom Anbieter bloss die Bilddaten (ein Werkexemplar), nicht aber die Rechte zur Verwendung erhält, die er sich woanders besorgen muss.
[13]

Heikel ist die Lage dann, wenn Gedächtnisinstitutionen ihre Werke digitalisieren und in der Folge Urheberrechte an diesen geltend machen, insbesondere wenn diese Werke im Grundsatz für gewerbliche Zwecke Verwendung finden können, also etwa, wenn sie für private Ausstellungen geeignet sind.12

[14]

Der eingangs erwähnte Fall der UEFA dürfte genauso unlauter sein, weil sowohl YouTube selbst als auch die Uploader von YouTube-Videos (mit ihrer Beteiligung an Werbeeinnahmen) kommerziell agieren. Eine Sperre eines entsprechenden Videos wird damit zumindest indirekt auf eine Beeinflussung der Wettbewerbsverhältnisse gerichtet und marktrelevant im Sinne der erwähnten Bundesgerichtspraxis sein.

4.

Besondere Fälle ^

[15]

Oftmals dürfte, wer sich eines Urheberrechts rühmt, sich nicht bewusst sein, dass dieses fehlt. So etwa dann, wenn das Recht unbemerkt erloschen ist, wenn irrtümlich ein nicht bestehendes Recht erworben wurde, oder wenn mangels Schöpfungshöhe gar kein urheberrechtlich geschütztes Werk entstanden ist (wie erwähnt etwa bei Digitalisaten). Die Strafbarkeit des unlauteren Verhaltens nach Art. 23 UWG entfällt angesichts eines solchen Irrtums mangels Vorsatz;13 dies ändert sich allerdings, wenn der verletzende Zustand nach einer begründeten Abmahnung aufrecht erhalten bleibt.

[16]

Auch läuft nicht jedes mit Auflagen versehene Angebot von urheberrechtlich ungeschütztem Material auch auf eine Urheberrechtsberühmung hinaus. Wird der Adressat nach Treu und Glauben nicht davon ausgehen, dass Urheberrechte bestehen, kann insbesondere auch eine Offerte für einen sogenannten unechten Lizenzvertrag vorliegen:14 Wer urheberrechtlich nicht geschützte Werke zur Nutzung anbietet, kann dabei ebenfalls Auflagen machen, die ihre Grundlage jedoch nicht im Urheberrecht, sondern nur im Vertragsrecht haben. Gerade bei Gedächtnisinstitutionen fragt es sich allerdings jeweils, ob solches mit deren Zweck vereinbar ist, die verwahrten Inhalte der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Simon Schlauri

  1. 1 Es mangelt an der Voraussetzung der geistigen Schöpfung nach Art. 2 Abs. 1 URG; vgl. etwa Jörg von Appen/Aljosha Barath, Nicht autorisiertes Live-Streaming von Sportereignissen, in: CaS 2014, 249, 251.
  2. 2 SHK-Macciacchini/Oertli, N 1a zu Art. 28 URG.
  3. 3 Vgl. Leonhard Dobusch, Urteil zu «Happy Birthday»: ein Fall von Copyfraud, nicht Copyright, tinyurl.com/qcuc29e.
  4. 4 Die Digitalisierung eines Werks allein lässt in aller Regel kein neues Urheberrecht entstehen; vgl. SHK-Barrelet/Egloff, N 4 zu Art. 3 URG. Das Landesmuseum verwendet das ©-Zeichen und versucht den Download an Nicht-Journalisten zu verbieten; vgl. etwa Daniel Boos, Landesmuseum: Copyright-Zeichen bei gemeinfreien Werken und Download nur für Journalisten?, tinyurl.com/h5lkdmy.
  5. 5 Für dieses und weitere Beispiele vgl. etwa Martin Steiger, Einblicke in die Welt des Copyfraud, tinyurl.com/j5jwnj8, 3 ff.
  6. 6 SHK-Jung, N 42 zu Art. 3 lit. b UWG; BGE 82 IV 204 f. (noch zum alten Art. 26 Markenschutzgesetz [MSchG]).
  7. 7 Vgl. etwa Dobusch (Fn. 3).
  8. 8 Jemand behauptet, Urheber des Werks eines Dritten zu sein; Art. 9 Abs. 1 URG.
  9. 9 SHK-Jung, a.a.O.; vgl. auch Botschaft MSchG, BBl 1991 I 17. Das Patentgesetz sieht mit Art. 82 für Patentberühmungen sogar eine Spezialnorm vor, die dem UWG vorgeht; Michael Ritscher/Stephan Beutler, Der Schutzvermerk im Immaterialgüterrecht, in: sic! 1997, 540 ff., 544.
  10. 10 BGE 120 II 78; BSK-Hilty, N 33 zu Art. 1 UWG; SHK-Jung, N 11 ff. zu Art. 2 UWG.
  11. 11 Vgl. SHK-Jung, N 16 zu Art. 2 UWG.
  12. 12 Vgl. vorne Fn. 4.
  13. 13 Gefordert sind Wissen und Willen; Art. 12 Abs. 2 des Strafgesetzbuches (StGB); Jürg-Beat Ackermann, Wirtschaftsstrafrecht der Schweiz, Bern 2013, §4 N 55, 59.
  14. 14 Ein unechter Lizenzvertrag, auch Know-how-Vertrag, schränkt die Nutzungsrechte des Lizenznehmers auf vertragsrechtlicher Basis ein, während bei einem echten Lizenzvertrag die Nutzungsbeschränkung auf immaterialgüterrechtlicher Basis auch ohne Vertrag besteht und vertraglich (umgekehrt) eine Nutzungserlaubnis eingeräumt wird; CHK-Zenhäusern, N 2 Vorb. zu Art. 184 ff. OR.