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E-Demokratie: Formen, Stand und Ausblick

  • Author: Eric Dubuis
  • Category: Essay
  • Region: Switzerland
  • Field of law: E-Democracy, E-Government
  • Citation: Eric Dubuis, E-Demokratie: Formen, Stand und Ausblick, in: Jusletter IT 25 May 2016
The Internet is ubiquitous: information may be selectively accessed, stored, recovered and broadcasted, and the Internet can be used for democratic processes, too. Various instruments are at disposal in order to spread information broadly in Facebook groups, forums, Twitter channels or blogs. Thanks to e-voting political decisions can be achieved. What advantage is the Internet today for democratic processes?

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. E-Partizipation
  • 3. E-Voting
  • 4. Individuelle und universelle Verifizierbarkeit
  • 5. Fazit

1.

Einleitung ^

[1]

Unter E-Demokratie versteht man die Vereinfachung und Durchführung von Prozessen zur Information, Kommunikation und Transaktion innerhalb und zwischen Institutionen der Legislative, Bürgern, Unternehmen und weiteren staatlichen Institutionen durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien.1 In der Schweiz wird der Begriff weiter eingegrenzt und als «die Gestaltung und Bearbeitung von öffentlichen, politischen Angelegenheiten»2 verstanden. Es handelt sich also um die Willens- und Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger im politischen Kontext. Ein breites Spektrum von Instrumenten des Internets stehen dabei zur Verfügung: Auf der einen Seite befinden sich die informellen Instrumente wie Facebook-Gruppen, Foren, Blogs oder Twitter-Kanäle, welche sich am besten für den Prozess der Meinungsbildung eignen. Am anderen Ende des Spektrums befinden sich die formalen Instrumente wie das E-Collecting und E-Voting.

2.

E-Partizipation ^

[2]
Unter E-Partizipation versteht man die Einflussnahme bzw. die aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger im Bereich der politischen Aktivitäten. E-Partizipation ist somit «die Beschaffung von und Versorgung mit Informationen, die Kommunikation, Anhörung, Beratschlagung und Aushandlung sowie die Mitwirkung bei der Entscheidfindung und der Entscheidung selber»3. Diese Formulierung subsumiert auch das E-Voting.4 Zu E-Partizipation gehören die erweiterten partizipativen und informellen Instrumente des Internets wie Foren, Facebook-Gruppen, Blogs und dergleichen. Alle Bürgerinnen und Bürger können sich nach Belieben am Informations- und Meinungsaustausch beteiligen und so ihre Wünsche, Sorgen und Ängste mitteilen. Die freie Beteiligung kann zum elektronischen Informationsüberfluss führen, so dass sich viele wieder abwenden und die gewollte Partizipation am politischen Prozess ins Stocken gerät. Das komplette Nachverfolgen von gemachten Äusserungen einzelner Bürgerinnen und Bürger in diesen ungeschützten Räumen des Internets kann aber auch zu deren Nachteil führen, beispielsweise bei der Stellensuche oder beim Abschluss einer Versicherung. Ausser Abstinenz oder moderater Beteiligung hat der Einzelne keine grosse Möglichkeit, dies zu verhindern, was zu einer weiteren Verminderung der gewollten Partizipation am politischen Prozess führen kann.
[3]
Daneben gibt es auch formalisierte Formen der E-Partizipation wie Volksabstimmungen, Wahlen, Initiativen und Referenden, Petitionen, Vernehmlassung und Anhörung. Auf Abstimmungen und Wahlen wird weiter unten eingegangen, und ich will mich hier auf Initiativen und Referenden beschränken. Bei Initiativen und Referenden bestätigt man die Unterstützung einer Idee mit seiner Unterschrift. Überträgt man dieses politische Recht in den Kontext des Internets, so wird häufig vom E-Collecting gesprochen,5 und es stellt sich die Frage, wie man das angehen soll. Denn wie beim E-Voting (siehe weiter unten) soll die Bürgerin oder der Bürger die Wahl haben, eine Initiative oder ein Referendum entweder konventionell oder elektronisch zu unterzeichnen. Dabei ist sicherzustellen, dass die gleiche Person das Gleiche maximal einmal mit ihrer Unterschrift unterstützen kann. Das ist ein nicht zu unterschätzendes Problem, und zwar aus vielerlei Hinsicht. Erstens besitzen die wenigsten Bürgerinnen und Bürger ein beglaubigtes, digitales Zertifikat, welches Bedingung für die Erstellung einer elektronischen Unterschrift ist. Zweitens liegt kein vernünftiger, einfacher Kontrollmechanismus vor, welcher das Mehrfachunterzeichnen eines Volksbegehrens aufdecken würde. Drittens würde die naive Unterstützung der elektronischen Unterzeichnung eines Volkbegehrens berechtigte Fragen des Datenschutzes aufwerfen, weil nicht verhindert werden könnte, dass Dritte sensitive Datenprofile erstellen könnten.6 Der Grundsatz «Die Amtsstelle wahrt das Stimmgeheimnis.» (Art. 19 Abs. 6 der Verordnung über die politischen Rechte [VPR]) genügt meiner Meinung nach nicht. Im Weiteren ist die Höhe des Quorums eine rein politische Frage. Denn es ist anzunehmen, dass wegen der schier unbegrenzten Erreichbarkeit und Mobilisierung der Bürgerinnen und Bürger die geltenden Limiten nach oben angepasst und die Sammelfristen verkürzt werden müssen.
[4]
Ein sinnvolles und gut funktionierendes E-Collecting für Volksbegehren ist noch nicht in Sicht. Politische und technische Fragen müssen zuerst geklärt werden.

3.

E-Voting ^

[5]

Kommen wir jetzt zum E-Voting, genauer: Internet-Voting, also um die Abstimmung oder Wahl aus Distanz und übers Internet. (Der Begriff E-Voting subsumiert jegliche Art von elektronischen Hilfsmitteln bei Abstimmungen oder Wahlen, also auch die Wahlmaschinen in den Wahllokalen; im Folgenden beschränke ich mich aber auf das Wählen oder Stimmen übers Internet.) Beim E-Voting geht es um die Entscheidung im politischen Prozess. Die Abgabe der Stimme oder der Wahl ist ausser in kleineren Gemeinden geheim. E-Voting bzw. «vote électronique» wird in der Verordnung der Bundeskanzlei über die elektronische Stimmabgabe (VEleS) geregelt, und die technischen Anforderungen sind in einem umfangreichen Anhang aufgelistet.7 E-Voting wird in der Schweiz als zusätzlicher Kanal angeboten, nebst der brieflichen Stimmabgabe oder der Stimmabgabe an der Urne. Alle Stimm- oder Wahlberechtigten erhalten per Post ihre Stimm- oder Wahlunterlagen mit dem persönlichen Stimmrechtsausweis, und sie können bei jeder Abstimmung oder Wahl den Kanal frei wählen. E-Voting passt zum Zeitgeist, möglichst viel übers Internet erledigen zu können. E-Voting soll nicht zuletzt die Y-Generation ansprechen, sich vermehrt an demokratischen Prozessen zu beteiligen.8 E-Voting wird sehr stark von den Auslandschweizerinnen und -schweizer gefordert, weil die Zustellung des Briefs mit Stimm- oder Wahlzettel per Post zur Stimm- oder Wahlbehörde oft zu spät erfolgt und sie somit bei der Ausübung ihrer politischen Rechte benachteiligt werden.

[6]
Der Nutzen des E-Voting liegt also auf der Hand. Aber: Einzelne Personen, Gruppierung, Organisationen oder gar fremde Nationen können ein Interesse an einem spezifischen Ausgang einer Wahl oder Abstimmung haben. Sie können versuchen, das E-Voting-System bzw. das Ergebnis zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Ein Angreifer wird also versuchen, unbemerkt Einfluss auf die Infrastruktur der stimm- oder wahlberechtigten Personen zu nehmen, zum Beispiel durch die Verbreitung einer raffiniert gemachten Schadsoftware. Oder er wird versuchen, Stimmen zu kaufen oder stimm- oder wahlberechtigten Personen zu nötigen, damit sie auf eine für ihn günstige Art stimmen oder wählen. Alternativ wird er versuchen, sich Zugang zu der zentralen Infrastruktur des Stimm- und Wahlsystems zu verschaffen, um das Ergebnis unbemerkt zu manipulieren. Ganz generell gilt der Grundsatz: Ein Angriff ist dann erfolgreich, wenn niemand etwas merkt!
[7]

Für das E-Voting-System heisst dies, dass es höchsten Sicherheitsstandards genügen muss. Für die Stimm- und Wahlberechtigten heisst das, dass sie prüfen können müssen, dass ihre Stimme oder Wahl gemäss ihrer Intention verschickt, aufgezeichnet und am Schluss gezählt wurde. Ein E-Voting-System mit dieser Eigenschaft ermöglicht die individuelle Verifizierbarkeit. Das genügt aber noch nicht. Es muss für die Stimm- und Wahlberechtigten oder für beliebige Dritte prüfbar sein, dass nur Stimmen von Stimm- oder Wahlberechtigten ins Endergebnis eingeflossen und dass keine Stimmen entfernt, verändert oder hinzugefügt worden sind. Ein E-Voting-System, welches diese Eigenschaft besitzt, lässt auch die universelle (oder allgemeine) Verifizierbarkeit zu.

4.

Individuelle und universelle Verifizierbarkeit9 ^

[8]
Art. 4 VEleS besagt, dass «[...] ein System für den Einbezug von mehr als 30 Prozent des kantonalen Elektorats zugelassen werden [kann], so müssen die Stimmenden die Möglichkeit haben, zu erkennen, ob ihre Stimme auf der Benutzerplattform oder auf dem Übertragungsweg manipuliert oder abgefangen worden ist». Den Stimmenden muss also zwingend eine Möglichkeit zur Verfügung gestellt werden, dass sie unter allen Umständen erkennen können, falls ihre Stimme nicht in ihrem Sinne übertragen und aufgezeichnet wurde. Die in der Schweiz eingesetzten E-Voting-Systeme beinhalten erst seit 2015 Ausbaustufen, welche die individuelle Verifizierbarkeit zulassen. Das wird erreicht, in dem das E-Voting-System der stimmberechtigten Person einen «Beweis» liefert, der besagt, dass die Stimme oder Wahl korrekt verschickt und aufgezeichnet wurde (Art. 4 VEleS).
[9]
Art. 5 VEleS geht noch einen Schritt weiter: «Soll ein System für den Einbezug von mehr als 50 Prozent des kantonalen Elektorats zugelassen werden, so muss sichergestellt sein, dass Stimmende oder die Prüferinnen und Prüfer unter Einhaltung des Stimmgeheimnisses die Möglichkeit haben, jede Manipulation zu erkennen, die zu einer Verfälschung des Ergebnisses führt [...].» Hier wird also gefordert, dass Stimmende und beliebige, unabhängige Prüferinnen und Prüfer die Korrektheit eines Ergebnisses unter Wahrung des Stimm- oder Wahlgeheimnisses überprüfen können, also zum Beispiel auch Personen oder Organisationen, welche gar nicht an der Abstimmung oder Wahl beteiligt sind. Betreffend der universellen Verifizierbarkeit ist man in der Schweiz noch nicht so weit; an den entsprechenden Ausbaustufen wird gearbeitet. Und es ist vorgesehen, dass anstelle beliebiger Personen nur bestimmte, unabhängige Personen oder Gruppierungen10 davon Gebrauch machen und so die Korrektheit eines Ergebnisses bestätigen werden. Die Stimmenden müssen also ihr Vertrauen in die Korrektheit eines Ergebnisses auf das Vertrauen abstützen, das sie den unabhängigen Personen oder Gruppierungen entgegenbringen.11

5.

Fazit ^

[10]
Der Einbezug der Bürgerinnen und Bürger in die demokratischen Prozesse übers Internet besteht erst punktuell. Da sind einmal die informellen Instrumente wie Facebook-Gruppen, Foren, Twitter oder Blogs, welche sich unabhängig der Gesetze über die politischen Rechte gut entwickelt haben. Auch im Bereich des E-Voting (oder genauer: das Internet-Voting), welcher sich seit dem 15. Januar 2014 auf eine umfassende rechtliche Grundlage abstützt (VEleS plus technischer Anhang), kann ein Teil der Bürgerinnen und Bürger am demokratischen Prozess übers Internet partizipieren. Im Bereich Initiativen und Referenden fehlen die Möglichkeiten der Beteiligung übers Internet. Technische (eindeutiger Personenidentifikator, elektronische Signatur für alle Bürgerinnen und Bürger) wie politische (Quoren, Sammelfristen) Hürden müssen zuerst gemeistert werden.

 

Prof. Dr. Eric Dubuis ist seit 1993 Professor für Informatik an der Berner Fachhochschule. Seitens Lehre ist er verantwortlich für die Abteilung Informatik mit den beiden Studiengängen Informatik und Medizininformatik. Daneben leitet er das Research Institute for Security in the Information Society. In seiner Forschung beschäftigte er sich in den letzten Jahren mit der Konzeption und Implementation von verifizierbaren E-Voting-Systemen. Er ist Mitglied der Programmkomitees der VoteID- und der EVOTE Konferenzreihen und Gründungsmitglied des Fachvereins Swiss E- Voting Competence Center. Sein aktuelles Forschungsinteresse liegt im Schutz der Privatsphäre bei Mobility Pricing-Systemen.
  1. 1 Wikipedia, E-Demokratie (https://de.wikipedia.org/wiki/E-Demokratie; alle Internetquellen zuletzt abgerufen am 30. April 2016).
  2. 2 Bundeskanzlei, E-Demokratie und E-Partizipation – Bericht an den Bundesrat, 9. Juni 2011 (https://www.bk.admin.ch/themen/06367/).
  3. 3 Siehe Fussnote 2.
  4. 4 In Wikipedia sieht man E-Voting und E-Partizipation nebeneinander (https://de.wikipedia.org/wiki/E-Demokratie).
  5. 5 Siehe Fussnote 2.
  6. 6 Eine nicht-naive Umsetzung des E-Collecting mit elektronischer Unterschrift könnte mit ähnlichen Lösungsansätzen wie beim E-Voting gemacht werden.
  7. 7 Technischer Anhang zu VEleS (https://www.bk.admin.ch/themen/pore/evoting/07979/index.html).
  8. 8 Eine Zunahme der Beteiligung beim E-Voting konnte bisher nicht eindeutig nachgewiesen werden, siehe Antonio Fumagalli, Auch E-Voting holt die Jungen nicht hinter dem Ofen hervor, Aargauer Zeitung 8. Oktober 2015 (http://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/auch-e-voting-holt-die-jungen-nicht-hinter-dem-ofen-hervor-129626664) oder Giampiero Beroggi/Peter Moser/Daniel Bierer, Evaluation der E-Voting Testphase im Kanton Zürich 2008–2001, November 2011 (http://www.ub.unibas.ch/digi/a125/sachdok/2011/BAU_1_5703504.pdf).
  9. 9 In Art. 5 VEleS wird der Terminus «vollständige Verifizierbarkeit» anstelle der hier verwendeten «universelle Verifizierbarkeit» verwendet.
  10. 10 Ziff. 4.3 und 4.4 des technischen Anhangs zur VEleS.
  11. 11 Ziff. 4.2.2 (zu Art. 5 Abs. 3 VEleS) des technischen Anhangs zur VEleS besagt: «[...] Verschiedene Risikoerwägungen, die nicht zuletzt mit der praxisorientierten Annahme zusammenhängen, dass Benutzerplattformen als nicht vertrauenswürdig betrachtet werden dürfen, können dafür sprechen, die für die Verifizierbarkeit relevanten Daten des vertrauenswürdigen Systemteils nicht uneingeschränkt zu veröffentlichen. Es ist daher zulässig die Daten einem eingeschränkten Kreis von Prüferinnen und Prüfern zur Verfügung zu stellen. [...]»