1.
Bibliotheken und ihre Bestandslücken ^
2.
Die Bestandslücke als urheberrechtliches Problem ^
Wie oben gezeigt, ist die Frage, ob ein Buch, das als Schriftwerk nach § 2 Abs.1 Nr.1 Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz – UrhG) umfassenden urheberrechtlich Schutz genießt, bereits gemeinfrei ist oder nicht, die mitunter zentrale Frage bei der Behandlung einer Bestandslücke. Grundsätzlich erlischt nach der deutschen Gesetzgebung das Urheberrecht für Werke, die am 17. September 1965 oder später geschützt waren, nach § 64 UrhG 70 Jahre nach dem Tode des Urhebers. Die Frist beginnt mit dem Jahr, welches auf das Todesdatum des Autors folgt und endet am 31. Dezember des 70. auf das Todesjahr folgenden Jahres.1 Diese Regelung gilt, aufgrund der Richtlinie zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte2 für alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Für den Fall, dass ein Werk von mehreren Miturhebern geschaffen wurde, knüpft die Schutzdauer nach § 65 Abs.1 UrhG an den längstlebenden Miturheber an. Leider bereitet die Regelung, die zwar rechtlich einfach zu bewältigen ist, in der Praxis erhebliche Probleme, denn das Todesjahr eines Urhebers herauszufinden ist zuweilen diffizil. Bei bekannten Urhebern, wie Savigny3 oder Thibaut4, lässt sich die Frage mit einem Blick in die Neue Deutsche Biographie oder andere einschlägige Literatur recht schnell zuverlässig beantworten. Will man aber bspw. wissen, ob an der Dissertation von Else Koffka mit dem Thema «Zur Lehre vom Urheberrecht am Film» von 1925 noch ein Urheberrecht besteht, ist die Frage ohne ausführliche Recherche kaum zu beantworten. Zunächst ist der Hinweis im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek5, dass es sich um ein vergriffenes Werk im Sinne des § 13d UrhWG handelt, für unseren Fall nicht weiterführend, da § 13d UrhWG lediglich die Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung von Werken erlaubt, die sich ohnehin im körperlichen Bestand (vgl. § 2 Abs. 3 des Rahmenvertrags zur Nutzung von vergriffenen Werken in Büchern) der Bibliothek befinden.6 Nach einiger Recherche lässt sich zumindest für Else Koffka herausfinden, dass sie von 1901 bis 1994 lebte, seinerzeit die erste Assistentin der Juristischen Fakultät in Berlin war und später die Position einer Richterin am Bundesgerichtshof bekleidete.7 Eine solche Recherche für eine Vielzahl wenig bekannter Urheber ist aber angesichts des Arbeitsaufwands für eine Bibliothek in der Regel nicht durchführbar. In der Praxis bewirkt die aktuelle urheberrechtliche Schutzfristenregelung mit ihrer Anknüpfung an das Todesjahr des Urhebers folglich, dass Bibliotheken Werke bekannter Urheber im Vergleich zu Werken unbekannter Urheber bedeutend einfacher auf ihren urheberrechtlichen Status prüfen und bei Ablauf der Schutzfrist vervielfältigen können. Dies führt tendenziell dazu, dass Werke unbekannterer Autoren unabhängig von ihrem Inhalt und ihrer Bedeutung für die jeweilige Bibliothek keine weitere Verbreitung finden, weil sich ihr urheberrechtlicher Status nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand klären lässt – ein im Hinblick auf die Bedeutung von Bibliotheken für die juristische Lehre und Forschung bedenkliches Ergebnis. Auch die Richtlinie über verwaiste Werke8, die der deutsche Gesetzgeber mit dem § 61 UrhG umgesetzt hat, schafft für die Bestandslücken leider keine ausreichende Abhilfe. Teilweise wird nämlich bereits vertreten, dass § 61 UrhG nach richtlinienkonformer Auslegung ohnehin nur die digitale Nutzung, nicht aber die körperliche Vervielfältigung erlaube, da der Zweck der Vervielfältigung nur die «Digitalisierung, Zugänglichmachung, Indexierung, Katalogisierung, Bewahrung oder Restaurierung» sei.9 Dem lässt sich entgegenhalten, dass die Verwaiste-Werke-Richtlinie durch diese Formulierung keine Beschränkung auf die digitale Vervielfältigung vornimmt, sondern lediglich eine allgemeine Zweckbestimmung trifft.10 Diese richtige Ansicht lässt sich auch durch die uneingeschränkte Bezugnahme des Art. 6 Abs. 1 b) der Verwaiste-Werke-Richtlinie auf Art. 2 der Urheberrechtsrichtlinie11 begründen. Um zu bestimmen, ob überhaupt ein verwaistes Werk im Sinne des § 61 Abs. 2 UrhG vorliegt, muss gemäß § 61a UrhG eine sorgfältige Suche nach dem Rechteinhaber stattfinden, deren Ergebnis zu dokumentieren und an das Deutsche Patent- und Markenamt weiterzuleiten ist. Die sorgfältige Suche muss sich bei veröffentlichten Büchern mindestens auf die in der Anlage zu § 61a UrhG genannten Quellen erstrecken und ist in dem Mitgliedsstaat der ersten Veröffentlichung des Werkes durchzuführen.12 Eine sorgfältige Suche kann nach § 61a UrhG entfallen, wenn das Werk bereits in der Datenbank des Harmonisierungsamtes für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) eingetragen ist. In dieser Datenbank sind jedoch für die gesamte Europäische Union noch nicht einmal 250 Bücher eingetragen.13 Das verdeutlicht, dass der Aufwand, den eine Eintragung verursacht, für viele Institutionen offenbar nicht zu stemmen ist. Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass auch die Regelung zu den verwaisten Werken zumindest für die Schließung von Bestandslücken nicht geeignet ist, eine klare Rechtslage herbeizuführen. Lösbar erscheint die Problematik nur durch eine Veränderung bei der Berechnung der urheberrechtlichen Schutzfrist. Würde man etwa für alle Werke eine Schutzfrist von 70 Jahren nach Veröffentlichung annehmen, wie es bei anonymen und pseudonymen Werken nach § 66 Abs.1 UrhG der Fall ist, ließe sich der Beginn der Schutzfrist ohne aufwendige Recherche bereits dem Werk entnehmen. Bis der europäische Gesetzgeber hier aktiv geworden ist, wird auch Software nicht der Lage sein, die bestehenden Probleme komplett zu lösen. Sie kann aber eine Unterstützung im Anschaffungsprozess sein und den Aufwand für die Bibliotheken erheblich reduzieren.
3.
Prototyp ^
3.1.
Frontend: Webinterface ^
Abbildung 1: Eine beispielhafte Bücherliste. Fehlende Informationen können automatisch ergänzt werden und die Bedienfelder am oberen Rand erlauben eine einfache Verwaltung der Liste.
3.2.
Backend: Crawler ^
Unabhängig von der Verfügbarkeit eines Buches im Handel wird durch den Crawler außerdem eine Bewertung der Gemeinfreiheit vorgenommen. Diese erfolgt in zwei Stufen, welche im Folgenden beschrieben sind.
- Ist der Status des Werkes bereits durch das Datum der Veröffentlichung bestimmbar, so wird dieser übernommen und nicht weiter geprüft. Hierbei lassen sich zwei Fälle unterscheiden:
- Ist das Werk vor mehr als 181 Jahren erschienen, so ist die Gemeinfreiheit sicher. Die maximale Lebenserwartung der Autoren beträgt 110 Jahre, die Schutzdauer – wie in Abschnitt 2 beschrieben – 70 Jahre. Letztere beginnt mit dem Jahr nach dem Tod, daher wird ein zusätzliches Jahr auf die Frist addiert. Selbst wenn einer der Autoren noch 110 Jahre nach Veröffentlichung des Buches gelebt hat, ist die Schutzfrist abgelaufen.
- Ist das Werk vor weniger als 70 Jahren erschienen, so ist die Gemeinfreiheit eindeutig zu verneinen. Selbst wenn die Autoren anonym oder unter einem Pseudonym aufgetreten oder gar im Jahr der Veröffentlichung gestorben sind, greift die Schutzfrist noch.
- Handelt es sich nicht um einen eindeutigen Fall nach Punkt 1, so wird zunächst versucht, die Lebensdaten der Autoren zu bestimmen. Hierzu wird aktuell eine Recherche im Online-Katalog der deutschen Nationalbibliothek16 gestartet. Im Eintrag zum jeweiligen Buch sind in den Datensätzen auch die Lebensdaten der Autoren gespeichert – sofern sie bekannt sind. Sind alle Autoren verstorben, wird die Schutzfrist nach § 64 UrhG berechnet und der Status der Gemeinfreiheit anhand der Berechnung bestimmt. Lebt wenigstens einer der Autoren noch, so kann der Status als nicht gemeinfrei angenommen werden. Sind die Lebensdaten der Autoren nicht bekannt, so wird dies ebenfalls in der Datenbank gespeichert, um dem Nutzer die Problematik durch Anzeige eines gelben Symbols zu signalisieren.
Die Implementierung der Informations- und Bezugsquellen erfolgt grundsätzlich nach den Vorgaben des Gesetzes: In der Anlage zu § 61a UrhG sind «Quellen einer sorgfältigen Suche» beschrieben, welche wir soweit möglich in der Software abbilden. Die Tabelle stellt dar, welche Informations- und Beschaffungsquellen durch die Anlage vorgegeben sind und welchen Status die Implementierung als Teil der Software hat.
Deutsche Nationalbibliothek, Zeitschriftendatenbank | Implementiert |
Die von Bibliotheken und anderen Institutionen geführten Bibliothekskataloge und Schlagwortlisten | Geplant |
Verzeichnis lieferbarer Bücher/Zeitschriften, Banger Online, STAMM und pressekatalog.de | Geplant |
WATCH (Writers, Artists and their Copyright Holders), ISBN (International Standard Book Number) und ISSN (International Standard Serial Number) | Geplant |
Datenbank der VG Wort | Unbekannt |
Gemeinsamen Normdatei (GND), VIAF (Virtual International Authority Files) und ARROW (Accessible Registries of Rights Information and Orphan Works) | Geplant |
Zusätzliche Quellen (nicht in der Anlage zu § 61a UrhG genannt) | |
Amazon.de | Implementiert |
Abebooks.de | Geplant |
4.
Fazit ^
5.
Literatur ^
Ahlberg, Hartwig/Götting, Horst-Peter, Beck’scher Onlinekommentar Urheberrecht, Edition 10, 2015.
Breunung, Leonie/Walther, Manfred, Die Emigration deutscher Rechtswissenschaftler ab 1933 – Ein bio-bibliographisches Handbuch, Band 1, 2012.
de la Durantaye, Katharina, Die Nutzung verwaister und vergriffener Werke – Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, ZUM 2013, S. 437–446.
Deutsche Nationalbibliothek, Katalog der Deutschen Nationalbibliothek, https://portal.dnb.de (aufgerufen am 7. Januar 2016).
Koffka, Else, Zur Lehre vom Urheberrecht am Film, Dissertation, 1925.
Landsberg, Ernst, Thibaut, Anton Friedrich Justus, In: Allgemeine Deutsche Biographie 37 (1894), http://www.deutsche-biographie.de/pnd118621874.html?anchor=adb (aufgerufen am 7. Januar 2016).
Library of Congress, MARC 21 Formats, http://www.loc.gov/marc/marcdocz.html (aufgerufen am 7. Januar 2016).
Nörr, Dieter, Savigny, Friedrich Carl von, in: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), http://www.deutsche-biographie.de/pnd118605909.html (aufgerufen am 7. Januar 2016).
Shafranovich, Yakov, Common Format and MIME Type for Comma-Separated Values (CSV) Files, RFC 4180, von 2005, https://tools.ietf.org/html/rfc4180 (aufgerufen am 7. Januar 2016.
Spindler, Gerald/Schuster, Fabian, Recht der elektronischen Medien (Kommentar), 3. Auflage, Beck, München 2015.
Wandtke, Artur-Axel/Bullinger, Winfried, Praxiskommentar zum Urheberrecht, 4. Auflage, Beck, München 2014.
- 1 Wiebe, In: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, § 64 UrhG, Rn. 5.
- 2 RL 93/98/EWG des Rates vom 29. Oktober 1993 zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte, ABl. L 290 vom 24. November 1993, S. 9–13.
- 3 Nörr, Savigny, Friedrich Carl von., S. 470–473, http://www.deutsche-biographie.de/pnd118605909.html (aufgerufen am 7. Januar 2016).
- 4 Landsberg, Thibaut, Anton Friedrich Justus., S. 737-744, http://www.deutsche-biographie.de/pnd118621874.html?anchor=adb (aufgerufen am 7. Januar 2016).
- 5 http://d-nb.info/570791987 (aufgerufen am 7. Januar 2016).
- 6 Freudenberg, Beck’scher Onlinekommentar Urheberrecht § 13d WahrnG, Rn. 17.
- 7 Breunung/Walther, Die Emigration deutscher Rechtswissenschaftler ab 1933, S. 557.
- 8 RL 2012/28/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über bestimmte zulässige Formen der Nutzung verwaister Werke Text von Bedeutung für den EWR, ABl. L 299 vom 27. Oktober 2012, S. 5–12.
- 9 de la Durantaye, ZUM 2013, S. 437 (S. 440).
- 10 Staats, in: Wandtke/Bullinger, Praxiskommentar zum Urheberrecht, § 61 UrhG, Rn. 15.
- 11 RL 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl. L 167 vom 22 Juni 2001, S. 10–19.
- 12 Staats, in: Wandtke/Bullinger, Praxiskommentar zum Urheberrecht, § 61 UrhG, Rn. 23.
- 13 Ergebnis einer erweiterten Suche nach der Werkkategorie «Literary Work» in der Orphan Works Database unter https://oami.europa.eu/orphanworks/#search/advanced (aufgerufen am 7. Januar 2016).
- 14 Shafranovich, Common Format and MIME Type for Comma-Separated Values (CSV) Files, RFC 4180, https://tools.ietf.org/html/rfc4180 (aufgerufen am 7. Januar 2016).
- 15 Library of Congress, MARC 21 Formats, http://www.loc.gov/marc/marcdocz.html (aufgerufen am 7. Januar 2016).
- 16 Deutsche Nationalbibliothek, Katalog der Deutschen Nationalbibliothek, https://portal.dnb.de (aufgerufen am 7. Januar 2016).