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Prozess-Muster für den Entwurf von rechtsnorm-basierten Prozessdiagrammen

  • Authors: Sven Niemand / Andreas Speck
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: E-Commerce
  • Collection: Conference Proceedings IRIS 2016
  • Citation: Sven Niemand / Andreas Speck, Prozess-Muster für den Entwurf von rechtsnorm-basierten Prozessdiagrammen, in: Jusletter IT 25 February 2016
Durch den Einsatz von rechtsnorm-basierten Prozessmodellen kann die Zusammenarbeit zwischen juristischen Experten und Mitarbeiten im Geschäftsprozessmanagement maßgeblich verbessert werden. Dennoch ist der zusätzliche Aufwand für die Erstellung der Modelle vielfach ein Hindernis für ihren Einsatz. In diesem Beitrag werden Rechtsnorm-Prozess-Muster als Richtschnur für den Entwurf von Prozessmodellen auf Basis von Rechtsnormen vorgestellt. Die Muster vereinfachen den Entwurfsprozess und können damit die Akzeptanz der rechtsnorm-basierten Prozessmodelle steigern. Auf diese Weise wird zur Etablierung und Aufrechterhaltung von rechtskonformen Geschäftsprozessen beigetragen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Geschäftsprozessmodellierung mit BPMN
  • 3. Prozess-Muster für den Entwurf rechtsnorm-basierter Prozessmodelle
  • 3.1. Konzeption der Rechtsnorm-Prozess-Muster
  • 3.2. Katalog der Rechtsnorm-Prozess-Muster
  • 3.2.1. Rechtsnorm-Prozess-Muster zur Abbildung von Tatbeständen
  • 3.2.2. Rechtsnorm-Prozess-Muster zur Abbildung von Rechtsfolgen
  • 3.2.3. Rechtsnorm-Prozess-Muster zur Abbildung von Rechtssubjekten und Rechtsobjekten
  • 4. Anwendungsbeispiel: Vorvertragliche Beratungspflichten des Versicherers
  • 5. Ausblick

1.

Einleitung ^

[1]
Geschäftsprozesse bilden das Fundament eines jedes Unternehmens – alle wertschöpfenden Tätigkeiten finden in Geschäftsprozessen statt. In zunehmendem Maße etablieren Organisationen aktives Geschäftsprozessmanagement, um ihre Geschäftsprozesse analysieren, simulieren, ausführen, beobachten und optimieren zu können.1 Zentrale Methodik des Geschäftsprozessmanagements ist die konzeptionelle Modellierung der Prozesse. Prozessmodelle dienen als Mittel zur Dokumentation, Analyse und Verbesserung der von ihnen beschriebenen Prozesse und können zur Konfiguration von «prozessbewussten» Informationssystemen genutzt werden. Erhoben werden die Prozessmodelle vielfach als Repräsentation der Ist-Prozesse, beispielsweise indem organisatorische Abläufe beobachtet und Prozessteilnehmer befragt werden.
[2]
Bei der Durchführung ihrer Prozesse müssen Organisationen die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und relevanten Richtlinien sicherstellen. Der aktuelle VW-Abgasskandal ist ein erneutes Beispiel dafür, wie eine Missachtung regulatorischer Anforderungen im schlimmsten Fall existenzgefährdende Konsequenzen nach sich ziehen kann. Compliance-Management ist Bezeichnung für alle organisatorischen Tätigkeiten, die zur Einhaltung von regulatorischen Anforderungen ergriffen werden.2 Aufgrund der hohen Komplexität und Abstraktion im Recht ist Compliance gerade in stark regulierten Branchen wie dem Finanzwesen und in der öffentlichen Verwaltung die Aufgabe von juristischen Experten, während im Geschäftsprozessmanagement überwiegend juristische Laien wie Prozessanalysten und betriebswirtschaftliche Experten tätig sind. Zur Sicherstellung regelkonformer Geschäftsprozesse ist eine intensive Kommunikation zwischen den juristischen und betrieblichen Experten im Compliance- und Geschäftsprozessmanagement daher unerlässlich.
[3]
Die Kommunikation zwischen Juristen und juristischen Laien ist charakterisiert durch die juristische Fachsprache, was ein hohes Risiko für das Auftreten von Missverständnissen und Fehlern birgt.3 Eine Mehrzahl juristischer Laien bestätigt ferner persönliche Frustration bei der Kommunikation mit Rechtsexperten – aufgrund von Problemen beim Verständnis des ihnen gegenüber verwendeten «Juristenlateins».4 Unterstützt und verbessert werden können Zusammenarbeit und Kommunikation durch geeignete (Rechts-)Visualisierungen. Unbestritten ist in diesem Zusammenhang die Verwendung von logischen Bildern.5 Es bieten sich Techniken der konzeptionellen Modellierung an, die im Umfeld der Softwaretechnik bereits etabliert sind. Konzeptionelle Modelle können die Kommunikation unterstützen, beim besseren Verständnis einer fachlichen Domäne helfen und zur Dokumentation von Anforderungen genutzt werden.6 Diskutiert wird beispielsweise die Rechtsvisualisierung unter Verwendung der Unified Modeling Language (UML).7
[4]
Auch die Verwendung von Prozessmodellen im juristischen Umfeld wird diskutiert; beispielsweise zur Unterstützung bei der Entwicklung von regelkonformen Prozessen8 und zur Erhöhung von Transparenz9. Ein etablierter und verbreiteter Standard zur konzeptionellen Modellierung von Prozessen ist die Business Process Model and Notation (BPMN)10. Es ist naheliegend, an der Schnittstelle von Compliance und Geschäftsprozessmanagement auf Prozessmodellierung zu setzen und rechtsnorm-basierte BPMN-Prozessdiagramme als Mittel zur Unterstützung der Kommunikation zwischen Juristen im Compliance-Umfeld und den im Prozessmanagement tätigen juristischen Laien zu fordern. Der zusätzliche Aufwand für die Erstellung rechtsbezogener Modelle könnte für viele Stakeholder allerdings zu hoch sein.11 Eine möglichst effiziente Methode der Modellierung ist daher erforderlich.
[5]
In diesem Beitrag werden Prozess-Muster für den Entwurf von Geschäftsprozessmodellen auf Basis von Rechtsnormen vorgestellt. Dabei handelt es sich um Lösungsschablonen, die Möglichkeiten zur Abbildung von Regel-Elementen wie Tatbestand und Rechtsfolge als Elemente in Prozessmodellen beschreiben. Die regulatorischen Anforderungen können mit Hilfe des beschriebenen Muster-Katalogs als Soll-Prozessmodell umgesetzt werden, das anschließend zur interdisziplinären Kommunikation verwendet wird. Durch den Einsatz der Prozess-Muster werden der Entwurfsprozess rechtsnorm-basierter Geschäftsprozessmodelle vereinfacht und vereinheitlicht sowie eine Grundlage für die Verlinkung von Rechtsnorm und Prozessmodell geschaffen. Als konkrete Prozessnotation wird in diesem Beitrag BPMN verwendet, in deren Verwendung in Abschnitt 2 kurz eingeführt wird. Es folgt der Muster-Katalog; abschließend wird die Anwendung der beschriebenen Prozess-Muster beispielhaft an einem Auszug aus dem deutschen Gesetz über den Versicherungsvertrag demonstriert.

2.

Geschäftsprozessmodellierung mit BPMN ^

[6]
BPMN ist eine grafische Spezifikationssprache für Geschäftsprozesse, die es erlaubt, Geschäftsprozesse als Diagramm darzustellen. Als Zeichenelemente stehen hierfür grafische Symbole bereit, die sich den Kategorien Flussobjekte, verbindende Objekte, Artefakte, Teilnehmer und Daten zuordnen lassen.12 Die Basis-Zeichenelemente der BPMN sind in Abbildung 1 dargestellt.
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Abbildung 1: Basis-Zeichenelemente der BPMN13

[7]
Die BPMN konzentriert sich bei der Prozessbeschreibung auf die Reihenfolge von Aktivitäten, Ereignissen und Gateways. Diese Flussobjekte werden im Diagramm über Sequenzflüsse miteinander verbunden, um die zeitlich-logische Reihenfolge zu beschreiben, in der die Flussobjekte zueinander stehen. Aktivitäten repräsentieren dabei eine Arbeitseinheit. Die Ereignisse in BPMN-Prozessmodellen bezeichnen etwas, das im Prozessfluss passiert ist und können zu Prozessstart (Startereignis als Auslöser der Prozesses), während des Prozesses (Zwischenereignis) und am Ende des Prozesses (Endereignis) eintreten. Es gibt verschiedene Typen von Ereignissen (beispielsweise den Empfang einer Nachricht oder das Überschreiten eines bestimmten Zeitpunktes). Gateways stellen Punkte im Prozessmodell dar, an denen der Sequenzfluss verzweigt und auch wieder zusammengeführt werden kann. Gateways können den Sequenzfluss beispielsweise in mehrere parallele Sequenzflüsse verzweigen oder einen von mehreren alternativen Sequenzflüssen im Prozess abhängig von einem bestimmten Entscheidungskriterium auswählen. So können die durchlaufenen Prozesspfade in konkreten Prozessinstanzen abhängig von tatsächlichen Gegebenheiten variieren.
[8]
Pools und darin eingebettete Lanes werden genutzt, um Verantwortlichkeiten für Aktivitäten zu repräsentieren. Ein Pool oder eine Lane kann beispielsweise eine Organisation, eine Rolle oder ein System repräsentieren. Flussobjekte und Sequenzflüsse werden dann innerhalb des Pools bzw. der Lane platziert. Zwischen Pools darf nach der BPMN-Spezifikation kein Sequenzfluss stattfinden, stattdessen kann ein Informationsaustausch erfolgen, der über einen Nachrichtenfluss symbolisiert wird. Ausgetauschte Informationen wie z. B. E-Mails oder Dokumente, aber auch weitere materielle Dinge können dabei durch Nachrichten- und Datenobjekte repräsentiert werden.14

3.

Prozess-Muster für den Entwurf rechtsnorm-basierter Prozessmodelle ^

3.1.

Konzeption der Rechtsnorm-Prozess-Muster ^

[9]
Durch den Einsatz von rechtsnorm-basierten Prozessmodellen kann die Kommunikation zwischen Compliance- und Prozessmanagement verbessert werden. Doch wie repräsentiert man Rechtsnormen als Prozessmodell? Viele Wege führen nach Rom – ähnliches gilt für die Prozessmodellierung. Häufig gibt es verschiedene Möglichkeiten, denselben Prozess als Prozessmodell abzubilden. So erfolgt die wiederkehrende Entscheidung, wie Elemente in Rechtsnormen unter Verwendung der BPMN-Zeichenelemente als Prozessdiagramm rekonstruiert werden, möglicherweise unstrukturiert im Ermessen des jeweils umsetzenden juristischen Experten. Ein standardisiertes Vorgehen kann in diesem Fall hinsichtlich verbesserter Kollaboration und Effizienz vorteilhaft sein. Wird die Rekonstruktion anhand einer passenden Richtschnur durchgeführt, ist die Entscheidung zwischen mehreren Möglichkeiten obsolet und das Maß an Einheitlichkeit bei der Prozessmodellierung der Rechtsnormen wird erhöht. Diesen Zweck sollen die Rechtsnorm-Prozess-Muster erfüllen. Muster (engl. patterns) sind generische Lösungsbeschreibungen für wiederkehrende Problemstellungen. «Each pattern describes a problem which occurs over and over again in our environment, and then describes the core of the solution to that problem, in such a way that you can use this solution a million times over, without ever doing it the same way twice».15
[10]
Definition: Rechtsnorm-Prozess-Muster (RPM). Rechtsnorm-Prozess-Muster sind generische Lösungsbeschreibungen für die Abbildung von Elementen in Rechtsnormen auf Konstrukte einer Prozessnotation, die bei der Prozessmodellierung eingesetzt werden können.
[11]
Nachfolgend wird ein verkürzter Überblick über einen Katalog solcher Muster zur Unterstützung bei der Prozessmodellierung von Rechtsnormen vorgestellt. Die aufgezeigten Muster sind spezifisch für die konsistente Abbildung von Elementen in Rechtsnormen auf Zeichenelemente der BPMN.

3.2.

Katalog der Rechtsnorm-Prozess-Muster ^

[12]
Die Grundform der Rechtsanwendung beruht auf der Subsumtionstechnik. Ein konkreter Sachverhalt wird dabei dem Tatbestand einer Rechtsnorm untergeordnet mit dem Ziel, daraus eine bestimmte Rechtsfolge abzuleiten (juristischer Syllogismus). Ist die Tatfrage (quaestio facti) zu bejahen, dann soll die Rechtsfolge gelten.16 Tatbestand und Rechtsfolge sind daher die zwei grundlegenden Elemente von Rechtsnormen, die in rechtsnorm-basierten Referenz-Prozessmodellen abzubilden sind.

3.2.1.

Rechtsnorm-Prozess-Muster zur Abbildung von Tatbeständen ^

[13]
Bei der Abbildung von Tatbeständen (bzw. der Tatbestandmerkmale) können aus Prozesssicht zwei Möglichkeiten unterschieden werden. Zum einen kann der Tatbestand als aktiver Auslöser, also als Initiator des Prozesses oder von nachfolgenden Prozessschritten aufgefasst werden. Zum anderen können Tatbestände in einen laufenden Prozess im Sinne einer Wenn-Dann-Relation integriert werden. Im zweiten Fall wird dann an der entsprechenden Stelle im Prozessfluss geprüft, ob für die konkrete Prozessinstanz ein Tatbestand vorliegt und ggf. die resultierende Rechtsfolge eingeleitet.
[14]
Auslöser werden in der BPMN als Ereignisse repräsentiert, die im Prozessfluss eintreten. Sie sind für die Abbildung von Tatbeständen mit auslösendem Charakter geeignet. Die Repräsentation eines Tatbestands als Ereignis bedingt im Prozessfluss, dass der abhängige Zweig bei Erfüllung des Tatbestands ausgelöst bzw. weitergeführt wird. Ohne die Erfüllung des Tatbestands wird der Zweig der Prozessinstanz nicht angestoßen bzw. zum Stillstand kommen.
[15]
RPM1: Tatbestand – Auslöser. Tatbestände werden als Ereignisse im Prozessmodell repräsentiert (beispielhaft Abbildung 2a). Je nach Erfordernis können sie als Start-, Zwischen- oder Endereignis eingesetzt werden.
[16]
Wenn-Dann-Relationen können als Verzweigungen bzw. «Entscheidungspunkte» in den Prozessfluss des Prozessmodells integriert werden. Diese Punkte werden in der BPMN durch Gateways repräsentiert. Die Repräsentation des Tatbestands mit Hilfe von Gateways und die resultierende Verzweigung des Prozessflusses stellen einen Prüfungszeitpunkt dar, zu dem die Erfüllung des relevanten Tatbestands zu ermitteln ist. Nach der Prüfung wird der Prozessfluss abhängig vom Prüfergebnis weitergeführt.
[17]
RPM2: Tatbestand – Verzweigung. Tatbestände werden als Zweige von XOR-Gateways im Prozessmodell repräsentiert (beispielhaft Abbildung 2b).

3.2.2.

Rechtsnorm-Prozess-Muster zur Abbildung von Rechtsfolgen ^

[18]
Die in der Subsumtion aus Rechtsnormen abgeleiteten Rechtsfolgen beziehen sich auf das Verhalten von Rechtssubjekten, das im aktiven Tun oder im Unterlassen eines bestimmten Sachverhalts besteht. Konzeptionell kann Verhalten im BPMN-Prozessdiagramm als Aktivität (Tätigkeit) repräsentiert werden.
[19]
Für die Modellierung normativer Konzepte wurde die deontische Logik als eine der vielversprechendsten Methoden identifiziert.17 Dabei werden die Rechtsfolgen formal unterschieden in die vier deontischen Modalitäten Gebot (Handlungspflicht), Verbot (Unterlassungspflicht), Erlaubnis (Handlungsrecht oder Unterlassungsrecht) und Freistellung (Fehlen von Gebot und Verbot).18 Bei der Repräsentation im Prozessmodell erscheint aufgrund der mitunter konträren Bestimmungen eine nach den deontischen Modalitäten differenzierte Betrachtung des Konstrukts Rechtsfolge sinnvoll.
[20]
Das Gebot ordnet ein bestimmtes Verhalten an, was die Durchführung einer entsprechenden Tätigkeit impliziert. Sowohl das Vorhandensein als auch das Erreichen der entsprechenden Aktivität im Referenz-Prozessmodell sind explizit erforderlich.
[21]
RPM3: Gebot. Die Handlungspflicht wird im Prozessmodell als Aktivität dargestellt (beispielhaft Abbildung 3a). Dabei muss sichergestellt werden, dass die Aktivität im Kontrollfluss des Prozesses so eingebunden ist, dass sie erforderlichenfalls auch tatsächlich zur Ausführung gelangt.
[22]
Im Gegensatz dazu kann das Verbot im Prozessmodell als Nicht-Vorhandensein bzw. Nicht-Erreichen einer Aktivität repräsentiert werden.
[23]
RPM4: Verbot. Das Verbot wird im Prozessmodell als Nicht-Vorhandensein einer Aktivität repräsentiert. Alternativ muss sichergestellt werden, dass die verbotene Aktivität im konkreten Kontext der Prozessinstanz nicht erreicht werden kann. Beispielsweise sollte durch eine Anmerkung an der betroffenen Stelle im Prozessmodell verhindert werden, dass die (nicht vorhandene) Aktivität nicht versehentlich später eingefügt wird (beispielhaft Abbildung 3b).
[24]
Mit der Erlaubnis wird ein Handlungs- oder Unterlassungsrecht ausgedrückt. In diesem Fall ist die entsprechende Aktivität als optional zu betrachten, was in der BPMN mit Hilfe von Gateways ausgedrückt werden kann.
[25]
RPM5: Erlaubnis. Das Handlungs- oder Unterlassungsrecht wird als optionale Aktivität im Prozessmodell repräsentiert. Um die Optionalität auszudrücken, wird die Aktivität in einen XOR-Zweig eingebunden, dessen Alternative die Aktivität umgeht (beispielhaft Abbildung 3c).
[26]
Für die Freistellung als vierte deontische Modalität wird kein Rechtsnorm-Prozess-Muster beschrieben, da sich aus der Freistellung keine konkrete Bestimmung für das Verhalten eines Rechtssubjekts ergibt. Insofern ergibt sich auch keine Erfordernis für die Umsetzung in den Referenz-Prozessmodellen. Prinzipiell könnte jedoch analog zu RPM5 verfahren werden.

3.2.3.

Rechtsnorm-Prozess-Muster zur Abbildung von Rechtssubjekten und Rechtsobjekten ^

[27]
Die mit einer Rechtsfolge verbundenen Befugnisse und Verpflichtungen sind einem personalen Bezugspunkt zuzuordnen. Diese Bezugspunkte werden im bürgerlichen Recht als Rechtssubjekt bezeichnet. Im deutschen Recht wird der Begriff Rechtssubjekt untergliedert in natürliche und juristische Personen, die am Rechtsverkehr teilnehmen.19
[28]
Prozessbeteiligte und die Zuweisung von Zuständigkeiten werden in der BPMN mit Hilfe von Pools und Lanes repräsentiert. Diese sind zur Abbildung der Rechtssubjekte im Prozess-Diagramm geeignet.
[29]
RPM6: Rechtssubjekt. Rechtssubjekte werden als Teilnehmer des Prozessmodells repräsentiert. Die BPMN bietet hierfür die Modellelemente Pool und Lane, wobei ein Pool (beispielhaft Abbildung 4a) mit Hilfe von Lanes konkretisiert werden kann. Je nach Betrachtungsperspektive können Pools auf- und zugeklappt werden, wobei ein Pool für nicht interessierende oder unbekannte Teilprozesse zugeklappt werden sollte.
[30]
Abgegrenzt von den Rechtssubjekten werden in Rechtsnormen Rechtsobjekte bezeichnet, worunter Sachen (körperliche Gegenstände) sowie Immaterialgüter zusammengefasst sind. Zur Repräsentation von Rechtsobjekten im Prozessmodell reicht es mitunter aus, die Objekte in Bezeichnungen zu benennen, beispielsweise in Aktivitäten, Ereignissen oder Gateways, die selbst Tatbestände oder Rechtsfolgen repräsentieren. Das Rechtsobjekt wird durch die Benennung zum Bestandteil des Prozesses, erlangt dabei aber nur geringe Bedeutung.
[31]
RPM7: Rechtsobjekt – Referenzierung. Rechtsobjekte werden im betreffenden Kontext des Prozessmodells benannt, beispielsweise als Bestandteil der Bezeichnung einer Aktivität, eines Ereignisses oder eines Gateways.
[32]
Alternativ zu RPM7 kann der Einbezug und die Übergabe von Objekten in der BPMN durch Nachrichten- und Datenobjekte explizit dargestellt werden, ggf. gebunden an einen Nachrichtenfluss. Nachrichten- bzw. Datenobjekte sind dann Stellvertreter für materielle und immaterielle Objekte im Prozess. Die Repräsentation des Rechtsobjekts als Nachrichten- oder Datenobjekt hebt die Bedeutung des Objekts im Gesamtprozess hervor.
[33]
RPM7: Rechtsobjekt – Nachricht. Das Rechtsobjekt wird im Prozessmodell als Nachrichten- oder als Datenobjekt repräsentiert (beispielhaft Abbildung 4b). Das Rechtsobjekt kann als Ein- oder Ausgabe einer Aktivität auftreten und an einen Nachrichten- oder Datenfluss gebunden werden.

4.

Anwendungsbeispiel: Vorvertragliche Beratungspflichten des Versicherers ^

[34]

Der Verwendung der Prozess-Muster wird in diesem Abschnitt anhand eines Praxis-Beispiels aus dem Kontext von Versicherungsunternehmen demonstriert. Als Anwendungsbeispiel dient der in Abbildung 5 gezeigte Abschnitt aus dem deutschen Gesetz über den Versicherungsvertrag (VVG). In §6 Abs. 1, 2 VVG werden anlassbezogene Beratungs- und Dokumentationspflichten des Versicherers normiert, die vor dem Abschluss eines Versicherungsvertrags gegenüber dem Versicherungsnehmer zu erfüllen sind. Die beispielhaft zu modellierenden Elemente sind in dem Auszug in Abbildung 5 kursiv hervorgehoben und mit dem jeweils passenden Rechtsnorm-Prozess-Muster annotiert.

Abbildung 5: Auszug aus dem VVG20

§ 6 Beratung des Versicherungsnehmers

 

(1) Der Versicherer (RPM6) hat den Versicherungsnehmer (RPM6), soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht (RPM2), nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen (RPM3) und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, zu beraten (RPM3) sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Er hat dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags zu dokumentieren (RPM3).

 

(2) Der Versicherer (RPM6) hat dem Versicherungsnehmer (RPM6) den erteilten Rat und die Gründe (RPM8) hierfür klar und verständlich vor dem Abschluss des Vertrags (RPM1) in Textform zu übermitteln (RPM3). Die Angaben (RPM7, 8) dürfen mündlich übermittelt werden (RPM5), wenn der Versicherungsnehmer dies wünscht (RPM 2) oder wenn und soweit der Versicherer vorläufige Deckung gewährt (RPM3). In diesen Fällen sind die Angaben (RPM7, 8) unverzüglich nach Vertragsschluss (RPM1) dem Versicherungsnehmer (RPM6) in Textform zu übermitteln (RPM3) […].

[35]
Unter Anwendung der Prozess-Muster kann aus dem Ausschnitt das in Abbildung 6 gezeigte BPMN-Prozessdiagramm abgeleitet werden.
[36]
Das unter Anwendung der Muster entstandene Diagramm erscheint als Mittel zur Unterstützung der Kommunikation mit juristischen Laien sowie als Design-Vorlage für organisationsbezogene Prozesse durchaus geeignet – insbesondere aufgrund der übersichtlicheren zeitlich-logischen Darstellung der regulatorischen Anforderungen, die in der Rechtsnorm spezifiziert sind.

5.

Ausblick ^

[37]
Der vorgestellte Katalog der Rechtsnorm-Prozess-Muster ist eine Richtschnur für juristische Experten bei der Dokumentation von regulatorischen Anforderungen in Form von Referenz-Prozessmodellen. Der Zeitaufwand beim Entwurf der Prozessmodelle wird durch den Einsatz der Muster verringert; auf diese Weise können Rechtsnorm-Prozess-Muster dazu beitragen, dass die Akzeptanz für den Einsatz von rechtsnorm-basierten Prozessmodellen steigt. Durch den Einsatz der rechtsnorm-basierten Prozessmodelle wird die Kommunikation mit Prozessarchitekten und Geschäftsanalysten vereinfacht. Ferner können Referenz-Prozessmodelle, die von Rechtsexperten aus regulatorischen Anforderungen abgeleitet werden, als Vorlage bei der Prozessmodellierung und -gestaltung im Geschäftsprozessmanagement dienen. Die Verwendung der Soll-Prozessmodelle stellt dann eine Alternative zur Erhebung der Prozessmodelle auf Basis von organisatorischen Ist-Prozessen dar.
[38]
Durch entsprechenden Tool-Support kann der Einsatz der Rechtsnorm-Prozess-Muster und damit die Modellierung der rechtnorm-bezogenen Prozessmodelle weiter vereinfacht werden. Mit einem Modellierungswerkzeug, das elektronische Dokumente unterstützt, können die Muster (wie in Abbildung 5 angedeutet) direkt in der elektronischen Rechtsquelle markiert werden, woraufhin durch das Tool automatisch die entsprechenden Konstrukte im Prozessmodell erstellt werden. Parallel dazu wird die Etablierung einer Verlinkung zwischen Rechtsquelle und dem zugehörigen Konstrukt im Prozessmodell möglich, wodurch eine direkte Rückverfolgbarkeit zwischen Prozess und Rechtsquelle hergestellt wird. Dies ermöglicht beispielsweise die automatisierte Überprüfung der Prozesse bei regulatorischen Änderungen.21 Die Etablierung und Aufrechterhaltung von rechtskonformen Prozessen in Organisationen wird durch die Rechtsnorm-Prozess-Muster auf diese Weise weiter unterstützt und vereinfacht.
  1. 1 Vgl. van der Aalst, Business Process Management: A Comprehensive Survey, ISRN Software Engineering, 2013, S. 1.
  2. 2 Vgl. El Kharbili, Business Process Regulatory Compliance Management Solution Frameworks: A Comparative Evaluation. In: Proceedings of the Eighth Asia-Pacific Conference on Conceptual Modelling, 2012, S. 23.
  3. 3 Vgl. Knackstedt/Heddier/Becker, Conceptual Modeling in Law: An Interdisciplinary Research Agenda, Communications of the Association for Information Systems, 2014, Heft 34, S. 711 (S. 712).
  4. 4 Vgl. Trudeau, The Public Speaks: An Empirical Study of Legal Communication, SSRN Electronic Journal, 2012, Heft 5, S. 121 (S. 138).
  5. 5 Vgl. Röhl/Ulbrich, Recht anschaulich. Visualisierung in der Juristenausbildung, Halem, Köln 2007, S. 139.
  6. 6 Vgl. Kung/Solvberg, Activity Modeling and Behaviour Modeling. In: Olle/Sol/Verrijn-Stuart (Hrsg.), Information System Design Methologies: Improving the Practice, 1986, S. 145.
  7. 7 Vgl. auch Kahlig, UML für juristische Anwendungen. In: Schweighofer/Geist/Heindl/Szücs (Hrsg.), Komplexitätsgrenzen der Rechtsinformatik. Tagungsband des 11. Internationalen Rechtsinformatik Symposions, IRIS 2008, Boorberg, Stuttgart 2008, S. 579.
  8. 8 Vgl. auch Olbrich/Simon, Process Modelling towards e-Government – Visualisation and Semantic Modelling of Legal Regulations as Executable Process Sets, The Electronic Journal of e-Government, Heft 6(1), 2008, S. 43.
  9. 9 Vgl. auch Lück-Schneider, Geschäftsprozessmodelle und Transparenz. In: Schweighofer/Kummer/Hötzendorfer (Hrsg.), Transparenz. Tagungsband des 17. Internationalen Rechtsinformatik Symposions, IRIS 2014, Österreichische Computer Gesellschaft, Wien 2014, S. 141.
  10. 10 Object Management Group, Inc.: Business Process Model and Notation (BPMN), Version 2.0.1, formal/2013-09-02. http://www.omg.org/spec/BPMN/2.0.1/PDF/ (aufgerufen am 15. Dezember 2015), 2013.
  11. 11 FN 3 (S. 724).
  12. 12 Vgl. Freund/Rücker, Praxishandbuch BPMN 2.0. Carl Hanser Verlag, München 2014, S. 23.
  13. 13 Ebenda, S. 23.
  14. 14 Ebenda, S. 23–107.
  15. 15 Alexander/Ishikawa/Silverstein, A Pattern Language: Towns, Buildings, Construction, Oxford University Press, Oxford 1977, S. X.
  16. 16 Vgl. Klunzinger, Einführung in das Bürgerliche Recht, Franz Vahlen, München 2007, S. 15.
  17. 17 Vgl. Ryu/Lee, Defeasible deontic reasoning and its applications to normative systems, Decision Support Systems, Heft 14(1), 1995, S. 59.
  18. 18 Vgl. Röhl, Praktische Rechtstheorie: Die deontischen Modalitäten, JA 1999, Heft 7, S. 600 (S. 601–602). Vgl. auch von Wright, Deontic logic, Mind, Heft 60, 1951, S. 1.
  19. 19 FN18, S. 25.
  20. 20 Deutsches Gesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz – VVG), BGBl. I 2007/2631 i.d.F. BGBl. I 2015/1245. Hervorhebungen und die Annotation der Rechtsnorm-Prozess-Muster wurden hinzugefügt.
  21. 21 Vgl. auch Niemand/Feja/Witt/Speck, On Improving the Maintainability of Compliance Rules for Business Processes. In: Abramowicz (Hrsg.), Business Information Systems, Springer, Cham 2015, S. 178.