Jusletter IT

Wettbewerbsabsprache zwischen Internetprovidern

  • Author: Simon Schlauri
  • Category: News
  • Region: Switzerland
  • Field of law: Competition law
  • Citation: Simon Schlauri, Wettbewerbsabsprache zwischen Internetprovidern, in: Jusletter IT 18 May 2017
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TechLawNews 2 vom Januar 20141 berichtete über ein Verfahren vor der eidgenössischen Kommunikationskommission Comcom, das ein Interkonnektionsgesuch2 (Peering3) zum Netz von Swisscom zum Gegenstand hatte. In diesem Verfahren wurde – wie vorgesehen4 – die schweizerische Wettbewerbskommission WEKO eingeschaltet, um zu begutachten, ob Swisscom über eine marktbeherrschende Stellung verfügte. Im Rahmen der entsprechenden Prüfung entdeckte die WEKO Hinweise auf eine mögliche Wettbewerbsabrede zwischen Swisscom und der Deutschen Telekom und eröffnete eine Vorabklärung nach Art. 26 Kartellgesetz (KG).
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Bei einer Vorabklärung handelt es sich um die erste Stufe des zweistufigen Verfahrens zur Beurteilung von Wettbewerbsabreden und Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen nach dem KG. Dabei geht es um die Feststellung, ob genügend Anhaltspunkte für eine Wettbewerbsbeschränkung bestehen, die es rechtfertigen, eine Untersuchung gemäss Art. 27 Abs. 1 KG einzuleiten.5 Das Sekretariat der WEKO (Sekretariat) kann Vorabklärungen von Amtes wegen, auf Begehren von Beteiligten oder auf Anzeige von Dritten hin durchführen.6
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Die Vorabklärung brachte eine marktunübliche Vereinbarung zwischen Swisscom und der Deutschen Telekom zu Tage, gemäss der sich Swisscom erstens gegenüber der Deutschen Telekom verpflichtete, einen Mindestanteil ihres Transitverkehrs7 über die Deutsche Telekom abzuwickeln. Zweitens sollte die Entscheidung, ob Swisscom bisherigen Kunden der Deutschen Telekom auch Peering zu ihrem eigenen Netz anbieten würde, von der Einwilligung beider Partner abhängen. Und drittens sollten sich Swisscom und die Deutsche Telekom sowohl die Kosten als auch die Erträge des über die Deutsche Telekom in das Swisscom-Netz laufenden Transitverkehrs teilen.8
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Diese Regelung konnte laut dem Sekretariat den Preisdruck auf das Transitangebot der Deutschen Telekom schmälern. Dies daher, weil es die Möglichkeiten und Anreize für Swisscom, direkte Peeringverbindungen in ihr Netz zuzulassen, minderte, obwohl solche direkten Peeringverbindungen kostengünstiger sind als Transit (oder gar kostenlos).9 Entsprechend waren die Kunden gezwungen, teuren Transit via die Deutsche Telekom zu kaufen anstatt kostengünstiges oder gar kostenloses Peering von Swisscom. Darin, und in der Tatsache, dass die Deutsche Telekom den Verlust jenes Anteils an Transiteinkünften, der neu an Swisscom auszubezahlen war, decken musste, was in den Augen des Sekretariats eine Preiserhöhung mit sich bringen konnte, erkannte das Sekretariat eine mögliche verbotene Preisabrede nach Art. 5 Abs. 3 Bst. a KG.10
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Indem die Parteien durch die Absprache das dem Wettbewerb ausgesetzte Datenvolumen künstlich verknappen konnten, schlossen sie in den Augen des Sekretariats zudem möglicherweise eine verbotene Mengenabrede nach Art. 5 Abs. 3 Bst. b KG.11 Das Vetorecht der Deutschen Telekom hinsichtlich bestimmter Peeringverträge von Swisscom qualifizierte das Sekretariat zudem als mögliche Abrede zur Aufteilung von Kunden bzw. Märkten nach Artikel 5 Abs. 3 Bst. c KG.
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Diese drei Tatbestände – Preis-, Mengen- und Gebiets-/Kundenabreden – lösen nach Art. 5 Abs. 3 KG die Vermutung aus, dass der wirksame Wettbewerb beseitigt ist. Diese Vermutung kann allerdings unter Umständen widerlegt werden. Die Prüfung dieser Frage setzt eine Beurteilung der Marktkräfte voraus, und diese wiederum bedingt zunächst eine Abgrenzung des relevanten Marktes.
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Als Marktgegenseite der beiden Abredepartner betrachtet das Sekretariat sowohl Internetprovider (access providers) als auch Anbieter von Inhalten (content providers).12 Gemäss einer Marktbefragung durch das Sekretariat sind Peering und Transit aus Sicht dieser Marktgegenseite ausreichend gute Alternativen («substituierbar»), wenn es darum geht, mit Swisscom Daten auszutauschen; dies obwohl Peering prinzipbedingt bessere Verbindungen mit sich bringt.13 Insbesondere fallen jedoch Content Delivery Networks (CDN)14 nicht in den relevanten Markt, weil sie die Bedürfnisse der Marktgegenseite nur in Bezug auf bestimmte Arten von Inhalten (insbesondere nicht für Echtzeitübertragung) erfüllen können.15

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Räumlich wurde der Markt auf Europa abgegrenzt (geographische Ausdehnung der Internetbackbones von Swisscom und Deutscher Telekom mit Paketumlaufzeiten von unter 100 Millisekunden).16

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Um zu beurteilen, ob eine Absprache zu einer Beseitigung oder erheblichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs führt, sind sodann wie erwähnt die Marktkräfte auf dem relevanten Markt zu beurteilen. Dabei kam das Sekretariat zum Schluss, dass nach Abschluss der Abrede mit ihren drei Elementen (Preis, Menge, Kunden/Märkte) nur wenig Wettbewerb von kartellfremden Anbietern (Aussenwettbewerb) übrig blieb, und dass auch der Innenwettbewerb zwischen den beiden Abredepartnern stark eingeschränkt sei.17 Erst nach Wegfall der Abrede bestünden seitens Swisscom keine Pflicht und kein Interesse mehr, so viel Transitverkehr wie möglich über die Deutsche Telekom zu leiten. Entsprechend sei anzunehmen, dass nach dem Wegfall der Abrede wieder vermehrt Transitverkehr über andere Internetprovider ins Netz der Swisscom geleitet werde.18

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Entsprechend bestanden in der Vorabklärung aus Sicht des Sekretariats Anhaltspunkte dafür, dass der wirksame Wettbewerb durch die Abrede erheblich beeinträchtigt wurde.19
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Dennoch verzichtete das Sekretariat am Ende auf die Einleitung einer Untersuchung gegen die beiden Parteien der Abrede. Dies unter anderem daher, weil die Parteien das bedenkliche Verhalten mittlerweile eingestellt hätten, weil die im Bereich IP-Interkonnektion erzielten Umsätze vergleichsweise gering seien, und weil der Untersuchungsaufwand aufgrund der technischen Komplexität der Materie im Vergleich zum möglichen Beitrag zur kartellrechtlichen Rechtsfortbildung und der Generalprävention unverhältnismässig sei. Zudem werde der Sachverhalt ja mit dem Schlussbericht publiziert.20

Simon Schlauri

  1. 1 Alle Ausgaben von TechLawNews sind abrufbar unter www.ronzani-schlauri.com/techlawnews-de.
  2. 2 Vgl. Art. 11a Abs. 1 Fernmeldegesetz (FMG).
  3. 3 Als Peering bezeichnet man den direkten Austausch von Daten zwischen zwei Netzen ohne Einbezug eines Transitnetzes (FN 7).
  4. 4 Art. 11a Abs. 2 FMG.
  5. 5 Jürg Borer, in: Jürg Borer (Hrsg.), Kommentar zum Wettbewerbsrecht, Band I: Schweizerisches Kartellgesetz (KG), Orell Füssli, Zürich 2011, N 1 zu Art. 26 KG.
  6. 6 Art. 26 Abs. 1 KG.
  7. 7 Als Transitverkehr bezeichnet man Internet-Datenverkehr, der – im Gegensatz zu Peering (FN 3) – von einem Netz indirekt über ein anderes Netz in das Zielnetz geleitet wird.
  8. 8 Schlussbericht des Sekretariats der WEKO vom 12. Dezember 2016, 22-0451: Interconnect Peering, RPW 2017/1, Rz. 73 ff.
  9. 9 A.a.O., Rz. 72.
  10. 10 A.a.O., Rz. 73.
  11. 11 A.a.O., Rz. 74.
  12. 12 A.a.O., Rz. 81.
  13. 13 A.a.O., Rz. 100, 153.
  14. 14 Ein CDN ist ein Netz regional verteilter Server, über das Inhalte – insbesondere grosse Dateien, die häufig nachgefragt werden – einfacher in die Zielnetze ausgeliefert werden können. Er stellt im Zielnetz lokal skalierende Speicher- und Auslieferungskapazitäten zur Verfügung und gewährleistet auch bei großen Lastspitzen einen optimalen Datendurchsatz; vgl. Wikipedia, Content Delivery Network, https://de.wikipedia.org/wiki/Content_Delivery_Network.
  15. 15 Vgl. Schlussbericht (FN 8), Rz. 154, 165.
  16. 16 A.a.O., Rz. 155 ff. Als Round Trip Time oder Paketumlaufzeit bezeichnet man die Zeit, die ein Datenpaket vom Ursprungsserver zum Zielserver und wieder zurück benötigt. Sie ist ein Qualitätsmerkmal von Datenverbindungen.
  17. 17 A.a.O., Rz. 167, 172.
  18. 18 A.a.O., Rz. 168 f.
  19. 19 A.a.O., Rz. 73.
  20. 20 A.a.O., Rz. 174 ff.