1.
Einleitung ^
2.
Missbräuchliche «Territorialisierung» globaler Sachverhalte ^
In seiner bis heute viel beachteten Entscheidung im Fall «Toeben»6 hatte der deutsche Bundesgerichtshof im Inland abrufbare Internet-Inhalte in der Tat selbst dann der deutschen Strafgerichtsbarkeit unterwerfen wollen, wenn sie von Ausländern im Ausland (und dort legal) zur Verfügung gestellt worden sind – dies zumindest für den besonderen Fall der Volksverhetzung (§ 130 dStGB) durch Leugnen des an den europäischen Juden begangenen Völkermords. Das Ziel, eine Tatbegehung (auch) im Inland zu begründen und damit deutsches Strafrecht ohne weitere Einschränkungen anwenden zu können, versuchte das Gericht hier gleichfalls durch die Annahme eines (auch) im Inland eingetretenen «Erfolges» (§ 9 Abs. 1 Var. 3 dStGB) zu erreichen. Ein solcher Erfolg – der nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung ein «zum Tatbestand gehörender» Erfolg sein muss – soll nämlich zumindest in dem Umstand liegen, dass die fraglichen Äußerungen auch tatsächlich «geeignet» waren, «den öffentlichen Frieden [scil. in Deutschland7] zu stören» (vgl. § 130 Abs. 1, Abs. 3 dStGB) und damit «ihre Gefährlichkeit im Hinblick auf das im Tatbestand umschriebene Rechtsgut [auch in Deutschland] entfalten» konnten.8 Insoweit handele es sich eben nicht um ein lediglich «abstraktes», sondern um ein «abstrakt-konkretes» Gefährdungsdelikt, und jedenfalls bei Tatbeständen dieser Art lasse sich – nicht anders als bei «konkreten» Gefährdungs- und Erfolgsdelikten – ein Erfolgsort auch im strafanwendungsrechtlichen Sinne identifizieren, während diese Frage für schlicht «abstrakte» Gefährdungsdelikte (zu denen beispielsweise die Pornographie-Verbreitungstatbestände zählen) noch ausdrücklich offen gelassen wird. Mit diesem Kunstgriff – «Territorialisierung» eines schon aus technischen Gründen nicht-territorialen Sachverhalts – reklamierte der Bundesgerichtshof im Ergebnis gerade das für sich, was unter dem Gesichtspunkt der «Weltrechtspflege» niemals begründbar gewesen wäre: (deutsche) Jurisdiktion ohne Rücksicht auf den Ort der Tat (bezeichnend ist in diesem Zusammenhang nicht zuletzt das – sub specie «Territorialitätsprinzip» doch etwas überraschende – Bemühen um einen zusätzlichen «völkerrechtlich legitimierenden Anknüpfungspunkt», der hier darin liegen soll, dass ein «gewichtiges inländisches Rechtsgut» mit besonderem objektiven Bezug zur Bundesrepublik Deutschland auf dem Spiel stehe9).
3.
Neue Aufgaben für die Jurisdiktion der einzelnen Staaten? ^
Die Verbreitung bestimmter Erscheinungsformen sog. «harter» Pornographie hat der deutsche Gesetzgeber seit jeher als einen Missstand aufgefasst, der auf diese Weise buchstäblich weltweit zu bekämpfen sei. Nach § 6 Z. 6 dStGB erfasst sie das deutsche Strafrecht auch im Ausland, und dies sogar «unabhängig vom Recht des Tatorts» (und, so ist zu ergänzen, auch unabhängig von der Staatsangehörigkeit der daran Beteiligten). Aus den von der gesellschaftlichen Entwicklung längst überholten und deshalb schon vor über vierzig Jahren gekündigten internationalen Abkommen zur Bekämpfung der Verbreitung «unzüchtiger Veröffentlichungen»14 kann ein entsprechender internationaler Konsens freilich kaum abgeleitet werden. Von einem völkergewohnheitsrechtlich anerkannten «internationalen» Delikt in dem (weiteren) Sinne, dass jeder einzelne Staat insoweit zu «quasi-universaler» Jurisdiktion berufen wäre,15 wird man hier wohl nach wie vor nicht sprechen können (ganz abgesehen davon, dass sich das deutsche Pornographiestrafrecht traditionell nicht auf bildliche Darstellungen beschränken will, sondern sogar fiktive Texte einschließt). Mit dem völkerrechtlichen Prinzip, sich nicht in die inneren Angelegenheiten anderer souveräner Staaten einzumischen, ist § 6 Z. 6 dStGB daher nach vorherrschender Lehre unvereinbar.16
- der Täter oder das Opfer Österreicher ist oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (lit. a),
- durch die Tat sonstige österreichische Interessen verletzt worden sind (lit. b) oder
- der Täter zur Zeit der Tat Ausländer war, sich in Österreich aufhält und nicht ausgeliefert werden kann (lit. c).
- 1 S. nur Ambos, Internationales Strafrecht4, C.H. Beck, München 2014, § 3 Rdnr. 4 ff.; Popp, Deterritorialisierende Effekte und die Wiederkehr der Grenze. In: Duttge/Ünver (Hrsg.), Strafrecht und moderne Technologien (im Erscheinen).
- 2 Dazu etwa Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht4 2016, Rdnr. 149 ff., 235 ff.
- 3 StIGH 7. September 1927 (France v. Turkey); Jeßberger, Der transnationale Geltungsbereich des deutschen Strafrechts, Mohr Siebeck, Tübingen 2011, S. 227 ff. Vgl. aber auch die kritischen Überlegungen bei Walther, Terra Incognita: Wird staatliche internationale Strafgewalt den Menschen gerecht? In: Arnold u.a. (Hrsg.), Menschengerechtes Strafrecht, Festschrift für Albin Eser zum 70. Geburtstag, C.H. Beck, München 2005, S. 925 ff.
- 4 Auch dieses sog. Ubiquitätsprinzip (sowohl die Handlung als auch der durch sie bewirkte Erfolg vermögen je für sich einen Begehungsort zu begründen) ist im Grundsatz völkerrechtlich anerkannt, s. etwa Akehurst, Jurisdiction in International Law, British Yearbook of International Law 46 (1972/73), S. 145 (S. 152); Werle/Jeßberger in: Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann (Hrsg.), Leipziger Kommentar Strafgesetzbuch12, DeGruyter, Berlin 2007, Vor § 3 Rdnr. 223.
- 5 Lagodny, Anmerkung zu BGH 12. Dezember 2000, 1 StR 184/00, JZ 2001, S. 1198 (S. 1200). Ähnlich bereits Hilgendorf, Überlegungen zur strafrechtlichen Interpretation des Ubiquitätsprinzips im Zeitalter des Internet, NJW 1997, S. 1873 (S. 1878): «Einführung des Weltrechtsprinzips durch die Hintertür».
- 6 BGH 12. Dezember 2000, 1 StR 184/00, BGHSt 46, 212.
- 7 Klarstellend insoweit jetzt auch BGH 3. Mai 2016, 3 StR 449/15, HRRS 2016/896.
- 8 BGH 12. Dezember 2000, 1 StR 184/00, BGHSt 46, 212 (221).
- 9 BGH 12. Dezember 2000, 1 StR 184/00, BGHSt 46, 212 (224).
- 10 Zutr. Hilgendorf/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht2, Springer, Berlin 2012, Rdnr. 156 m.w.N.
- 11 BGH 19. August 2014, 3 StR 88/14; dazu Busching, MMR 2015, S. 295; Zimmermann, HRRS 2015, S. 441.
- 12 BGH 3. Mai 2016, 3 StR 449/15, HRRS 2016/896.
- 13 Selbst dann versteht sich der Rekurs auf den Territorialgrundsatz keineswegs von selbst: Ein «Erfolg», der an jedem Ort der Welt eintritt (oder jedenfalls eintreten kann), lässt sich wohl kaum mit der Gebietshoheit eines konkreten Staates in Verbindung bringen; vgl. insoweit bereits Lagodny, Anmerkung zu BGH 12. Dezember 2000, 1 StR 184/00, JZ 2001, S. 1198 (S. 1200); Bremer, Strafbare Internet-Inhalte in internationaler Hinsicht – ist der Nationalstaat wirklich überholt?, Peter Lang, Frankfurt am Main 2001, S. 114 ff.
- 14 Abkommen zur Bekämpfung der Verbreitung unzüchtiger Veröffentlichungen vom 4. Mai 1910 (RGBl. 1911, 209); Internationale Übereinkunft zur Bekämpfung der Verbreitung und des Vertriebs unzüchtiger Veröffentlichungen vom 12. September 1923 (RGBl. 1925 II, 289), beide von Deutschland gekündigt mit Wirkung zum 25. Januar 1975 (BGBl. 1974 II, 912).
- 15 Zu diesem Begriff Werle/Jeßberger in: Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann (Hrsg.), Leipziger Kommentar Strafgesetzbuch12, DeGruyter, Berlin 2007, Vor § 3 Rdnr. 241 ff.
- 16 S. hier nur Merkel, Universale Jurisdiktion bei völkerrechtlichen Verbrechen, in: Lüderssen (Hrsg.), Aufgeklärte Kriminalpolitik oder Kampf gegen das Böse?, Bd. 3, Nomos, Baden-Baden 1998, S. 237 (248 f.); Gärditz, Weltrechtspflege, Duncker & Humblot, Berlin 2006, S. 310.
- 17 Vgl. Art. 4 des Fakultativprotokolls.
- 18 Convention on the Protection of Children against Sexual Exploitation and Sexual Abuse, ETS No. 201.
- 19 Richtlinie 2011/93/EU, ABl. L 2011/335, 1, berichtigt ABl. L 2012/18, 7.