1.
Normsetzung ^
2.
Rechtssätze ^
Einem Rechtssatz lässt sich regelmäßig entnehmen, wann eine bestimmte faktische Konstellation die in Rechtsvorschriften normierten Voraussetzungen für deren Anwendbarkeit erfüllt und diese Konstellation damit diesen Vorschriften zu subsumieren ist.13,14 Auf der Rechtssatz-Ebene werden insbesondere die rechtlichen Kontexte auf Gesetzesebene erhellt, wenn etwa der systematische Zusammenhang von bzw. in Rechtsvorschriften, ihre teleologische Ausrichtung und ihre verfassungsrechtlichen und unionsrechtlichen Bezüge in Anschlag gebracht werden. Aus den Rechtssätzen lässt sich aber auch erkennen, wie Auslegungsmethoden angewendet werden oder welcher rechtspraktische Stellenwert der (völker-, unions- bzw. verfassungs-)rechtskonformen Auslegung zukommt.15 Ebenso geben Rechtssätze Auskunft über die näheren verfahrensrechtlichen Standards (etwa zum Umgang mit Beweisergebnissen), die aus den prozessrechtlichen Vorschriften gewonnen werden.
3.
Muster der Rechtsfindung ^
Das führt in die Richtung, für eine Rechtsordnung bzw. ihre Teile Regeln bzw. Prinzipien zu identifizieren, nach denen Deutungsmuster gebildet werden. Dazu können Rechtssatz-Mengen näher untersucht werden,36 um damit die für einen Bereich der Rechtsordnung maßgeblichen Auslegungsmuster zu gewinnen.
Ausgehend davon repräsentieren Interpretationsmuster methodische Regelmäßigkeiten im Umgang mit der Rechtsordnung. Die interpretationsmusterartige Verwendung der Auslegungskonzepte korrespondiert mit der sprachlichen und systematischen Gestaltung der Gesetzestexte, wobei gerade die mangelnde Präzision der Sprache als Träger des Norminhalts auch eine gewisse inhaltliche Offenheit37 des letzteren zur Folge hat, was seine fallmäßige Fixierung durch Deutungsmuster unverzichtbar macht. Diese Offenheit legt auch nahe, der fallentscheidenden Person rechtsinformationell – jedenfalls für komplexe bzw. komplizierte Konstellationen – lediglich Alternativen für eine Entscheidung vorzuschlagen.
4.
Literatur ^
Fellmeth, Aaron X./Horwitz, Maurice, Guide to Latin in International Law, OUP, Oxford 2011.
Handstanger, Meinrad, Rechtssätze und Judikaturlinien. In: Schweighofer, Erich (Hrsg.), Semantisches Web und Soziales Web im Recht. Tagungsband des 12. Internationalen Rechtsinformatik Symposiums IRIS 2009, OCG books@ocg.at, Wien 2009, 263 ff.
Handstanger, Meinrad, Zur Anreicherung von Rechtsakten durch Kontextinfomation am Beispiel gerichtlicher Entscheidungen. In: Jakob, Raimund/Philipps, Lothar/Schweighofer, Erich/Varga, Csaba (Hrsg.), Auf dem Weg zur Idee der Gerechtigkeit. GS Ilmar Tammelo, Lit, Wien 2009, 51, 52 f.
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Kirste, Stephan, Einführung in die Rechtsphilosophie, WBG, Darmstadt 2010, 52 ff.
Kischel, Uwe, Rechtsvergleichung, C.H. BECK, München 2015, § 3, Rz 214 ff.
Koller, Peter, Theorie des Rechts2, Böhlau, Wien 1997, 45 f.
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Potacs, Michael, Rechtstheorie, UTB (facultas), Wien 2015, 155 f., 177.
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Scherer, Katja, Automatisch recht bekommen. In: Die Zeit (Nr. 40), 22. September 2016, 72.
Searle, John, Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit, 1997, 61 ff. Zitiert nach Asmuth, Christoph/Nonnenmacher, Burkhard/Schneidereit, Nele (Hrsg.), Texte zur Theorie des Geldes, Reclam, Frankfurt a.M. 2016, 168, 174 ff.
Walter, Robert, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Manz, Wien 1972, 80 ff., insb. 86.
Wank, Rolf, Die Auslegung von Gesetzen5, Vahlen, München 2011, 29 ff.
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Zippelius, Reinhold, Juristische Methodenlehre11, C.H. BECK, München 2012, § 10, VI.
- 1 Marbury v. Madison (1803), 5 U.S. 1 Cranch 137.
- 2 «Gesetz» wird hier im materiellen Sinn verstanden, womit grundsätzlich alle generellen Normen (Verfassungsgesetze, Gesetze, Rechtsverordungen etc.) erfasst werden.
- 3 Dieser repräsentiert die Norm im eigentlichen Sinn, die im «Normtext» zum Ausdruck gebracht wird.
- 4 Diese Elemente heißen üblicherweise: Interpretation; Beweiswürdigung und Feststellung des rechtlich maßgebenden Sachverhaltes; Subsumption.
- 5 Wenn auch die Aussage «Iudiciis est ius dicere, non dare» daher nicht dahin zutreffen kann, dass Fälle grundsätzlich entscheidungslos lösbar wären, so verweist sie doch darauf, dass Fälle in Bindung an die gesetzlichen Vorgaben zu entscheiden sind, weshalb Gerichte diese Vorgaben zur Inhaltsermittlung auslegen müssen und Zurückhaltung in Bezug auf Ergänzungen oder Abweichungen üben sollten (Maxime des «judicial restraint», vgl. Fellmeth/Horwitz, Guide to Latin in International Law, 2011. Zitiert nach: oxfordreference.com).
- 6 Die Lösung verlangt dazu in aller Regel, die möglichen Alternativen hierarchisch zu ordnen.
- 7 Ihre Begründung ist freilich für Akzeptanz und Kontrolle der Entscheidung von zentraler Bedeutung. Demgemäß bereitet sie das Resultat des Entscheidungsprozesses auf, um aus der ex-post Perspektive die Legitimierung der Entscheidung aus der Rechtsordnung zu bewerkstelligen.
- 8 Eine Falllösung ist nur dann sachgemäß, wenn alle fallspezifischen Einzelheiten (inklusive des Vorbringens der Beteiligten) berücksichtigt werden, denen aus rechtlicher Perspektive Bedeutung zukommen kann (vgl. in diese Richtung die bei Hoerster, Recht und Moral, 1987, 148, 150, wiedergegebene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes)
- 9 Vgl. dazu und zum Folgenden Handstanger, Rechtssätze als kooperative Textsorte. In: Schweighofer/Hötzendorfer/Kummer (Hrsg.), TB IRIS 2015, 391 ff.
- 10 Das ergibt sich auch aus der Praxis der Gesetzesanwendung, wie sie sich einem begleitenden Beobachter darstellt.
- 11 Solange nämlich, bis auf dem Boden besserer Argumente eine rechtsatzmäßig einmal eingeschlagene Linie korrigiert wird; die Beachtung der Präjudizien steht damit unter «Falsifikationsvorbehalt».
- 12 Der Inhalt einer gesetzlichen Norm ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Gesetz und Rechtssätzen.
- 13 Dazu und zum Folgenden etwa Handstanger, Rechtssätze und Judikaturlinien. In: Schweighofer (Hrsg.), TB IRIS 2009, 263 ff.; Handstanger, Rechtssätze als kooperative Textsorte. In: Schweighofer/Hötzendorfer/Kummer (Hrsg.), TB IRIS 2015, 392 f.
- 14 In konstruktivistischer Zuspitzung lässt sich die «Formel» von John Searle: «X zählt als Y in K» hier dahin anwenden, dass die faktische Fallkonstellation X im rechtlichen Kontext K der dazu zählenden Rechtsvorschrift Y zu subsumieren und damit als Fall der Vorschrift Y gelten kann (vgl. Searle, Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit, 1997, 61 ff. Zitiert nach: Asmuth/Nonnenmacher/Schneidereit (Hrsg.), Texte zur Theorie des Geldes, 2016, 168, 174 ff.); ausgehend davon ist die Qualifikation als Fall von Y eine soziale Tatsache, die konstitutive Regel dafür findet sich in der Rechtsordnung.
- 15 Vgl. Potacs, Rechtstheorie, 2015, 155 ff.
- 16 Der «Gebrauch» der Norm gibt Auskunft über den Norminhalt, siehe in diese Richtung Hiebaum, Die Politik des Rechts, 2004, 93.
- 17 Vgl. dazu Jabloner, Richterrecht als Rechtsquelle? In: Jabloner et al. (Hrsg.), GS Walter, 2013, 185, 189.
- 18 Vgl. Handstanger, Zur Anreicherung von Rechtsakten durch Kontextinfomation am Beispiel gerichtlicher Entscheidungen, in: Jakob/Philipps/Schweighofer/Varga (Hrsg.), GS Ilmar Tammelo, 2009, 151, 152 f.
- 19 Paragraphen, Artikel oder Anlagen der Rechtsquellen.
- 20 Dies könnte durch die Schaffung einer eigenen Suchfunktion für Wendungen noch perfektioniert werden.
- 21 Zu letzterem («Legal-Tech») vgl. etwa den Beitrag von Katja Scherer, Automatisch recht bekommen, in: Die Zeit (Nr. 40) 22. September 2016, 72.
- 22 Fa. Leverton, https://lvn.com/ (alle Internetquellen zuletzt abgerufen am 31. Januar 2017).
- 23 Fa. Infolex, http://www.infolex.at/cxp.html.
- 24 Vgl. etwa Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 1972, 80 ff., insb. 86 (bezüglich der sprachlichen Bindung von Normtexten).
- 25 Auch höchstgerichtliche Entscheidungen nennen immer wieder die Auslegungsmethoden, denen gefolgt werden soll.
- 26 Vgl. in diese Richtung etwa Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie7, 2013, Rz 649 ff.
- 27 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie7, 2013, Rz 640 ff., insb. Rz 648; Kischel, Rechtsvergleichung, 2015, § 3, Rz 214 ff.
- 28 Siehe etwa Zippelius, Juristische Methodenlehre11, 2012, § 10, VI.
- 29 Vgl. dazu Kirste, Einführung in die Rechtsphilosophie, 2010, 52 ff.
- 30 Beim Einsatz der Auslegungsgesichtspunkte kommt es in der Regel zu einem mehrere Gesichtspunkte integrierenden Ansatz (so auch Kirste, Einführung in die Rechtsphilosophie, 2010, 58 f.; in diese Richtung auch Potacs, Rechtstheorie, 2015, 155 f., 177 («bewegliches System der Auslegungskriterien»). In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass die Auslegung der Gesetze im Laufe der Zeit auch neue Gegebenheiten berücksichtigen und sich zudem auch die integrative Perspektive für die Auslegungsgesichtspunkte ändern kann (Gesetze «altern», vgl. Wank, Die Auslegung von Gesetzen5, 2011, 29 ff.).
- 31 Bezüglich der Rechtsetzung bzw. der Auslegung von Rechtsnormen lassen sich «Beobachterperspektive» und «Teilnehmerperspektive» (dazu Koller, Theorie des Rechts2, 1997, 45 f.) letztlich nicht voneinander trennen, vgl. Marko, Multiple Diversity Governance (in Vorbereitung).
- 32 Vgl. oben Teil 1.
- 33 Diese Praxis erweist sich als normative (normbildende) Tätigkeit, womit insbesondere die Regeln gebildet werden, die diese Praxis konstituieren und den Maßstab für die Beurteilung des Handelns im rechtlichen Kontext darstellen. In Anlehnung an Ludwig Wittgenstein lässt sich das Teilnehmen an der Praxis als Teilnahme an einem juristischen Entscheidungs-Spiel sehen (siehe dazu Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen. Zitiert nach: Wittgenstein. In: Hacker/Schulte (Hrsg.), Philosophical Investigations4, 2009, § 23).
- 34 Erlernt wird diese regelgeleitete Praxis durch (imitationsgestütztes) Einüben im Kontext einer durch Lehrende vermittelten «Abrichtung», die (im Ergebnis) ein praxisadäquates Verhalten so eintrainiert, dass eine (gewisse) Kapazität erworben wird, Regeln «blind» – intuitiv – erkennen zu können und die Praxis damit möglichst friktionslos weiterzupraktizieren (vgl. dazu Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen. Zitiert nach: Wittgenstein. In: Hacker/Schulte (Hrsg.), Philosophical Investigations4, 2009, etwa § 2, § 6, § 23, § 86, § 206, § 630). Die Begründungsverpflichtung für juristische Entscheidungen verlangt allerdings, die Gesetzesauslegungs- bzw. Anwendungsschritte zu plausibilisieren, was «intuitiv» gewonnene Ergebnisse rational rückkoppelt. Die Bedeutung der durch Einübung geschulten «Intuition» spitzt sich daher dahin zu, dass «intuitiv» zutreffende Lösungswege eingeschlagen werden, der dann überzeugend zu begründen ist.
- 35 Muster sind daher auf unterschiedlicher Abstraktionsebene angesiedelt, wobei Muster existieren, die die Verwendung anderer Muster steuern.
- 36 Für den analytischen Wert von Rechtssätzen ist freilich die Rückbindung eines Rechtssatzes mit dem Kontext der gesamten Entscheidung von Bedeutung, vgl. näher Handstanger, Rechtssätze als kooperative Textsorte. In: Schweighofer/Hötzendorfer/Kummer (Hrsg.), TB IRIS 2015, 395 ff.
- 37 Vgl. Hart, The Concept of Law2, 1994, 128 ff.