Jusletter IT

Zur Meso-Ebene der Rechtssetzung

  • Authors: Meinrad Handstanger / Manfred Bohuslav
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Legal Theory
  • Collection: Conference Proceedings IRIS 2017
  • Citation: Meinrad Handstanger / Manfred Bohuslav, Zur Meso-Ebene der Rechtssetzung, in: Jusletter IT 23 February 2017
Zwischen der Makroebene der Gesetze und der Mikroebene des Falles etabliert sich die Mesoebene der Rechtsätze. Deren Bedeutung für den Rechtssuchenden und die Ausgestaltung im Rechtsinformationssystem des Bundes ist Gegenstand dieser Arbeit.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Normsetzung
  • 2. Rechtssätze
  • 3. Muster der Rechtsfindung
  • 4. Literatur

1.

Normsetzung ^

[1]
«It is emphatically the province of the judicial department to say what the law is. Those who apply the rule to particular cases, must of necessity expound and interpret that rule. If two laws conflict with each other, the courts must decide on the operation of each.»1
[2]
Dieses Zitat aus der für den judicial review (die Überprüfung von Gesetzen anhand der Verfassung durch Gerichte) richtungsweisenden Entscheidung Marbury v. Madison des Supreme Court der USA nennt zentrale Elemente für die Anwendung von Rechtsvorschriften: (1.) für den Einzelfall sagen letztlich die Rechtsanwender – im Fall des demokratischen Verfassungsstaates: Gerichte – was rechtens ist, was (2.) erfordert, dass Gerichte den Inhalt (Sinn) der vorgegebenen gesetzlichen Normen2 durch Interpretation aufzeigen bzw. erklären, und dabei (3.) durch die Entscheidung von Normkonflikten für Konsistenz sorgen.
[3]
Das «Sagen», was rechtens ist, stellt sich für das Gericht notwendigerweise als Entscheidung dar. Auszuwählen ist zwischen verschiedenen Möglichkeiten, den Norminhalt3 mithilfe der Interpretationsmethoden zu erfassen, ferner welche Faktenlage überhaupt gegeben ist, und wie diese Faktenlage anhand der maßgeblichen Rechtsvorschriften zu beurteilen ist.4 Auch die Einzelfallentscheidung stellt eine Normsetzung dar.5 Die Auswahl auf diesen Ebenen lässt sich nicht getrennt, sondern nur verschränkt unter Berücksichtigung der anderen Ebenen durchführen. Zur Lösung des Einzelfalles ist die Reduktion der Alternativen auf die gewählte Falllösung erforderlich.6 Je nach Komplexität der Faktenlage bzw. der Rechtslage besteht ein größerer oder kleinerer Entscheidungsspielraum.
[4]
Ausgehend davon sucht das Gericht unter Beteiligung der Verfahrensparteien die Falllösung als Akteur. Im Vordergrund steht die induktiv bzw. abduktiv zu suchende Lösung des Entscheidungsproblems, es geht nicht bloß um die Frage der Begründung der Entscheidung.7 Dazu müssen oft komplexe Rechtsvorschriften samt Rechtsprechung, Faktenlagen und Beteiligtenargumentationen in ein «Überlegungsgleichgewicht» gebracht werden, das insgesamt die überzeugendste Lösung repräsentiert und sich als solche begründen lässt.8
[5]
Operationalisiert wird dieses Unterfangen vor allem durch den Einbau ins schon bestehende Fallrecht, um Konsistenz und Generalisierbarkeit von Falllösungen zu erreichen. Konsistenz, Einfachheit und Voraussagekraft sind fundamentale Anforderungen an Entscheidungs-Text und Entscheidungs-Inhalt. Wenn Gerichte einen Fall entscheiden, haben sie das bisherige Fallrecht ebenso im Blick wie hypothetische zukünftige Fälle, für die sie mit ihrer aktuellen Entscheidung auch einen Maßstab schaffen. Der Einbau ins Fallrecht erfolgt durch eine Wertung der Ähnlichkeiten und Unterschiede der anstehenden Entscheidungskonstellation zu schon entschiedenen Fällen, die als Lösungsmodell Vorbild sein können. Dies dient wegen der Bedeutung des Fallrechts nicht nur der Arbeitsökonomie, sondern der Gewähr der Richtigkeit der Entscheidung. Angesichts des generellen Charakters der Rechtsvorschriften ist es grundsätzlich unvertretbar, zwei gleichgelagerte Fälle einfach ungleich zu entscheiden.9 Abweichende neue Lösungen verlangen vielmehr eine besondere Rechtfertigung, wobei (prinzipiell) nicht bloß gleichgute, sondern bessere Argumente den Ausschlag geben müssen.10

2.

Rechtssätze ^

[6]
Das rechtstechnische Format in diesem Zusammenhang ist der sogenannte Rechtssatz. Dieser steht sachlogisch gesehen in einer Mittelstellung zwischen Gesetz und Einzelfall. Rechtssätze beinhalten die «tragenden Gründe» einer Fallentscheidung, somit jene Überlegungen, die die Prämissen bilden, aus denen die Entscheidung folgt. Als Text finden sich die Rechtsätze in der Begründung der Einzelfallentscheidung, sie determinieren näher, wie eine Rechtsvorschrift konkret unter den gegebenen faktischen Voraussetzungen anzuwenden ist. Die mit Rechtssätzen erreichbare Generalisierung wird damit in den Einzelfällen selbst gewonnen.
[7]
Strategisches Ziel gerichtlicher Falllösung ist daher nicht bloß die Entscheidung des konkreten Falles, sondern die Etablierung einer Mesoebene der Rechtsätze zwischen der Mikroebene des Falles und der Makroebene der Gesetze. Gesetze werden bis auf weiteres11 kongruent mit der Mesoebene des Fall-Rechts angewendet. Die Rechtslage besteht somit nicht bloß aus gesetzlichen Rechtsvorschriften, sondern auch aus den aus den Fallentscheidungen gründenden Rechtssätzen.12
[8]

Einem Rechtssatz lässt sich regelmäßig entnehmen, wann eine bestimmte faktische Konstellation die in Rechtsvorschriften normierten Voraussetzungen für deren Anwendbarkeit erfüllt und diese Konstellation damit diesen Vorschriften zu subsumieren ist.13,14 Auf der Rechtssatz-Ebene werden insbesondere die rechtlichen Kontexte auf Gesetzesebene erhellt, wenn etwa der systematische Zusammenhang von bzw. in Rechtsvorschriften, ihre teleologische Ausrichtung und ihre verfassungsrechtlichen und unionsrechtlichen Bezüge in Anschlag gebracht werden. Aus den Rechtssätzen lässt sich aber auch erkennen, wie Auslegungsmethoden angewendet werden oder welcher rechtspraktische Stellenwert der (völker-, unions- bzw. verfassungs-)rechtskonformen Auslegung zukommt.15 Ebenso geben Rechtssätze Auskunft über die näheren verfahrensrechtlichen Standards (etwa zum Umgang mit Beweisergebnissen), die aus den prozessrechtlichen Vorschriften gewonnen werden.

[9]
Insgesamt konkretisieren und detaillieren Rechtsätze die normativen Vorgaben der gesetzlichen Rechtsvorschriften anhand der Anwendungsfälle der Gesetze. Das normative Bild, das sich aus den Rechtssätzen ergibt, ist vielgestaltiger als der Normtext der Gesetze. Gesetzliche Normen werden durch Rechtssätze inhaltlich näher aufbereitet. Kennt man die schon gebildeten Rechtssätze, lässt sich besser beurteilen, ob bzw. wie das Gesetz für neue Anwendungsfälle von Bedeutung sein wird.16
[10]
Im Wege der Bildung widerspruchsfreier rechtlicher Kontexte leisten Rechtssätze einen maßgeblichen Beitrag zur inhaltlichen Konsistenz der Rechtsordnung und zur Stabilisierung einer gleichmäßigen Rechtsanwendung.17

3.

Muster der Rechtsfindung ^

[11]
Wenn die Rechtssätze die Aktualisierung des Gesetzes bei besonderen Faktenlagen typisieren, erscheint es aus rechtsinfomationeller Perspektive bedeutsam, Rechtssätze als Modelle der Rechtsapplikation aufzufassen und näher zu untersuchen. Rechtssätze erleichtern das Studium der Denk-Muster, mit denen generelle Rechtsvorschriften angewendet werden. Diese Muster basieren auf drei Komponenten: die Auslegung der Rechtsquellen, die Erfassung der Fakten, und die diese beiden Momente verarbeitende Entscheidung eines Falles.
[12]
Der rechtsinformationelle Umgang mit Rechtssätzen liegt zunächst in ihrer Aufbereitung mithilfe eines Metatextes. Im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) werden nicht nur die Volltexte (höchst)gerichtlicher Entscheidungen, sondern auch die zugehörigen Rechtssätze mit einem Metatext versehen, der vor allem Bezüge zu den einschlägigen Rechtsquellen und (im Wege der Funktion «Rechtssatzkette») zu gleichgerichteten Rechtssätzen in anderen Entscheidungen herstellt.18 Anhand der Suche nach bestimmten Begriffen oder Normtextteilen19 lassen sich einschlägige Entscheidungen auffinden. Gesucht werden kann (über die Funktion «Suchworte») nach einschlägigen Formulierungen bzw. Wendungen, wie sie für Entscheidungen in bestimmten Bereichen typischerweise verwendet werden.20 Datenbanken sehen zum Teil für diese Aufgabe «String-Matching-Algorithmen» vor. Im RIS wurde diese Suchmethode durch die Umklammerung mit dem Hochkomma erreicht; leider wurde sie aber aus Performance-Gründen vor einigen Jahren eliminiert.
[13]
Ein weiterer Schritt besteht darin, dem Rechtsanwender bzw. der Rechtsanwenderin auf rechtsinformationellen Weg für einen konkret zu lösenden Fall Lösungsvorschläge zu machen, wenig komplexe bzw. komplizierte Fälle überhaupt bloß maschinell zu entscheiden oder für juristische Routineprozesse Einschätzungen zu geben.21 Ebenso können normativ bedeutsame Texte (bzw. Entwürfe dazu) auf bestimmte (Un)Regelmäßigkeiten, Eigenheiten oder Argumentationsmuster untersucht werden. In dem eben zitierten Beitrag in der Wochenzeitung «Die Zeit» wurde ein deutsches Unternehmen22 vorgestellt, das eine Software entwickelt hat, die spezialisiert Immobilienverträge automationsunterstützt analysiert und auswertet. Der Anwender hat mit diesem Programm sofort einen Überblick über den möglicherweise hunderte Seiten langen Vertrag. Dazu beherrscht das Programm 20 verschiedene Sprachen. Den Ansatz, Texte zu analysieren und nach bestimmten Kriterien auszuwerten, hat auch eine österreichische Firma mit dem Programm «CitExpert»23 beschritten. Diese Software listet nach einem kurzen Scan alle darin enthaltenen Normzitate auf. Im Verwaltungsgerichtshof wird diese Software schon seit fast 15 Jahren erfolgreich für die Auswertung der Erkenntnisse und Beschlüsse im Evidenzbüro eingesetzt.
[14]
Die Produktion von Lösungsvorschlägen bzw. Einschätzungen setzt freilich voraus, dass die zur Interpretation von Rechtsnormen verwendeten Auslegungsmuster bzw. Interpretationsgewohnheiten erfassbar sind. Da Rechtsnormen ihre korrekte Deutung und Anwendung prinzipiell nicht selbst bestimmen können, bleibt diesbezüglich dem Normsetzer nichts anderes, als die im Anwendungsbereich der gesetzten Norm für die Normanwendung geübten Deutungsgewohnheiten bzw. Deutungsmuster vorauszusetzen bzw. (als mittelbaren Gesetzesinhalt) mitzudenken.24 Wollte er die vorgefundenen Standards (etwa präzisierend) mithilfe von Rechtsnormen ändern, sind diese Normen allerdings wiederum zu deuten und damit gegenüber den praktizierten Deutungsstandards nicht isolierbar.
[15]
Diese Deutungsgewohnheiten finden in der (akademisch betriebenen) Methodenlehre eine maßgebliche Reflexion und Grundlage.25 Die Methodenlehre untersucht, erklärt, beschreibt näher und systematisiert die Norminterpretation mit ihren Ansatzpunkten in Normtext, Normsystem, Normzweck und Normgenese. Die Quellen, für welche diese Methoden dann benutzt werden, sind in aller Regel die Gesetzestexte samt Gesetzesmaterialen, die dazu entwickelte Lehre sowie die dazu geschöpfte Rechtsprechung. Die Methodenlehre wird überwiegend normativ im Sinn der Bildung von Instrumenten und Vorgaben für die Normdeutung verstanden, ihre Standards sollen bei der Normdeutung berücksichtigt werden, um eine «geglückte Anwendung» zu erzielen.26
[16]
Die Verwendung der für die Normdeutung entwickelten Konzepte der grammatikalischen Auslegung, der systematischen Auslegung, der teleologischen Auslegung und der historischen Auslegung zeigt allerdings, dass diese Konzepte für unterschiedliche Rechtsordnungen bzw. ihre verschiedenen Teile nicht gleichmäßig, sondern mit merkbaren Unterschieden angewendet werden.27 Der Grund dafür liegt nicht zuletzt darin, dass die Methodenlehre selbst weder eine Hierarchie noch eine klare allgemeingültige Gewichtung für den Gebrauch der Interpretations-Konzepte vorgeben kann.28 Wenn auch der Normtext selbst den Ausgangspunkt und den Rahmen für die Deutung repräsentiert,29 lässt sich nicht generell festlegen, ob bei der Norminterpretation etwa mehr teleologischen oder mehr historischen Gesichtspunkten Rechnung getragen werden soll.30
[17]
Für eine nähere Analyse muss offensichtlich der Handlungsaspekt der Verwendung von Deutungskonzepten mitgedacht werden.31 Eine nähere Determinierung der Deutungsstandards ergibt sich nur aufgrund der geübten Praxis, wie sie insbesondere in den Rechtssätzen ihren Ausdruck findet. Bei dieser Praxis handelt es sich nicht bloß um faktische soziale Prozesse (die verfahrensbezogen Gerichte und Prozessbeteiligte inkludieren). Vielmehr entwickeln sich in dieser Praxis nicht nur die präzisierten Inhalte der Rechtsvorschriften, die dann aufgrund des generellen Charakters der Rechtsvorschriften auch für andere Fälle vorgegeben sind,32 sondern auch (auf einer Metaebene) die Verknüpfungsmuster für die Auslegungsgesichtspunkte der Methodenlehre;33,34 ein solches Verknüpfungsmuster steuert dann das Auslegungsmuster, nach dem sich die Deutung der in den Blick genommenen Rechtsvorschrift(en) richtet.35 Wird der Sinn einer Rechtsnorm allgemein bedeutsam durch ihre Deutung in den einzelnen Fällen fixiert, werden die im Einzelfall den Umgang mit den Konzepten der Methodenlehre steuernden Deutungsmuster für alle gleichgelagerten Fälle bedeutsam sein.
[18]

Das führt in die Richtung, für eine Rechtsordnung bzw. ihre Teile Regeln bzw. Prinzipien zu identifizieren, nach denen Deutungsmuster gebildet werden. Dazu können Rechtssatz-Mengen näher untersucht werden,36 um damit die für einen Bereich der Rechtsordnung maßgeblichen Auslegungsmuster zu gewinnen.

[19]

Ausgehend davon repräsentieren Interpretationsmuster methodische Regelmäßigkeiten im Umgang mit der Rechtsordnung. Die interpretationsmusterartige Verwendung der Auslegungskonzepte korrespondiert mit der sprachlichen und systematischen Gestaltung der Gesetzestexte, wobei gerade die mangelnde Präzision der Sprache als Träger des Norminhalts auch eine gewisse inhaltliche Offenheit37 des letzteren zur Folge hat, was seine fallmäßige Fixierung durch Deutungsmuster unverzichtbar macht. Diese Offenheit legt auch nahe, der fallentscheidenden Person rechtsinformationell – jedenfalls für komplexe bzw. komplizierte Konstellationen – lediglich Alternativen für eine Entscheidung vorzuschlagen.

4.

Literatur ^

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Scherer, Katja, Automatisch recht bekommen. In: Die Zeit (Nr. 40), 22. September 2016, 72.

Searle, John, Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit, 1997, 61 ff. Zitiert nach Asmuth, Christoph/Nonnenmacher, Burkhard/Schneidereit, Nele (Hrsg.), Texte zur Theorie des Geldes, Reclam, Frankfurt a.M. 2016, 168, 174 ff.

Walter, Robert, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Manz, Wien 1972, 80 ff., insb. 86.

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Zippelius, Reinhold, Juristische Methodenlehre11, C.H. BECK, München 2012, § 10, VI.

  1. 1 Marbury v. Madison (1803), 5 U.S. 1 Cranch 137.
  2. 2 «Gesetz» wird hier im materiellen Sinn verstanden, womit grundsätzlich alle generellen Normen (Verfassungsgesetze, Gesetze, Rechtsverordungen etc.) erfasst werden.
  3. 3 Dieser repräsentiert die Norm im eigentlichen Sinn, die im «Normtext» zum Ausdruck gebracht wird.
  4. 4 Diese Elemente heißen üblicherweise: Interpretation; Beweiswürdigung und Feststellung des rechtlich maßgebenden Sachverhaltes; Subsumption.
  5. 5 Wenn auch die Aussage «Iudiciis est ius dicere, non dare» daher nicht dahin zutreffen kann, dass Fälle grundsätzlich entscheidungslos lösbar wären, so verweist sie doch darauf, dass Fälle in Bindung an die gesetzlichen Vorgaben zu entscheiden sind, weshalb Gerichte diese Vorgaben zur Inhaltsermittlung auslegen müssen und Zurückhaltung in Bezug auf Ergänzungen oder Abweichungen üben sollten (Maxime des «judicial restraint», vgl. Fellmeth/Horwitz, Guide to Latin in International Law, 2011. Zitiert nach: oxfordreference.com).
  6. 6 Die Lösung verlangt dazu in aller Regel, die möglichen Alternativen hierarchisch zu ordnen.
  7. 7 Ihre Begründung ist freilich für Akzeptanz und Kontrolle der Entscheidung von zentraler Bedeutung. Demgemäß bereitet sie das Resultat des Entscheidungsprozesses auf, um aus der ex-post Perspektive die Legitimierung der Entscheidung aus der Rechtsordnung zu bewerkstelligen.
  8. 8 Eine Falllösung ist nur dann sachgemäß, wenn alle fallspezifischen Einzelheiten (inklusive des Vorbringens der Beteiligten) berücksichtigt werden, denen aus rechtlicher Perspektive Bedeutung zukommen kann (vgl. in diese Richtung die bei Hoerster, Recht und Moral, 1987, 148, 150, wiedergegebene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes)
  9. 9 Vgl. dazu und zum Folgenden Handstanger, Rechtssätze als kooperative Textsorte. In: Schweighofer/Hötzendorfer/Kummer (Hrsg.), TB IRIS 2015, 391 ff.
  10. 10 Das ergibt sich auch aus der Praxis der Gesetzesanwendung, wie sie sich einem begleitenden Beobachter darstellt.
  11. 11 Solange nämlich, bis auf dem Boden besserer Argumente eine rechtsatzmäßig einmal eingeschlagene Linie korrigiert wird; die Beachtung der Präjudizien steht damit unter «Falsifikationsvorbehalt».
  12. 12 Der Inhalt einer gesetzlichen Norm ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Gesetz und Rechtssätzen.
  13. 13 Dazu und zum Folgenden etwa Handstanger, Rechtssätze und Judikaturlinien. In: Schweighofer (Hrsg.), TB IRIS 2009, 263 ff.; Handstanger, Rechtssätze als kooperative Textsorte. In: Schweighofer/Hötzendorfer/Kummer (Hrsg.), TB IRIS 2015, 392 f.
  14. 14 In konstruktivistischer Zuspitzung lässt sich die «Formel» von John Searle: «X zählt als Y in K» hier dahin anwenden, dass die faktische Fallkonstellation X im rechtlichen Kontext K der dazu zählenden Rechtsvorschrift Y zu subsumieren und damit als Fall der Vorschrift Y gelten kann (vgl. Searle, Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit, 1997, 61 ff. Zitiert nach: Asmuth/Nonnenmacher/Schneidereit (Hrsg.), Texte zur Theorie des Geldes, 2016, 168, 174 ff.); ausgehend davon ist die Qualifikation als Fall von Y eine soziale Tatsache, die konstitutive Regel dafür findet sich in der Rechtsordnung.
  15. 15 Vgl. Potacs, Rechtstheorie, 2015, 155 ff.
  16. 16 Der «Gebrauch» der Norm gibt Auskunft über den Norminhalt, siehe in diese Richtung Hiebaum, Die Politik des Rechts, 2004, 93.
  17. 17 Vgl. dazu Jabloner, Richterrecht als Rechtsquelle? In: Jabloner et al. (Hrsg.), GS Walter, 2013, 185, 189.
  18. 18 Vgl. Handstanger, Zur Anreicherung von Rechtsakten durch Kontextinfomation am Beispiel gerichtlicher Entscheidungen, in: Jakob/Philipps/Schweighofer/Varga (Hrsg.), GS Ilmar Tammelo, 2009, 151, 152 f.
  19. 19 Paragraphen, Artikel oder Anlagen der Rechtsquellen.
  20. 20 Dies könnte durch die Schaffung einer eigenen Suchfunktion für Wendungen noch perfektioniert werden.
  21. 21 Zu letzterem («Legal-Tech») vgl. etwa den Beitrag von Katja Scherer, Automatisch recht bekommen, in: Die Zeit (Nr. 40) 22. September 2016, 72.
  22. 22 Fa. Leverton, https://lvn.com/ (alle Internetquellen zuletzt abgerufen am 31. Januar 2017).
  23. 23 Fa. Infolex, http://www.infolex.at/cxp.html.
  24. 24 Vgl. etwa Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 1972, 80 ff., insb. 86 (bezüglich der sprachlichen Bindung von Normtexten).
  25. 25 Auch höchstgerichtliche Entscheidungen nennen immer wieder die Auslegungsmethoden, denen gefolgt werden soll.
  26. 26 Vgl. in diese Richtung etwa Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie7, 2013, Rz 649 ff.
  27. 27 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie7, 2013, Rz 640 ff., insb. Rz 648; Kischel, Rechtsvergleichung, 2015, § 3, Rz 214 ff.
  28. 28 Siehe etwa Zippelius, Juristische Methodenlehre11, 2012, § 10, VI.
  29. 29 Vgl. dazu Kirste, Einführung in die Rechtsphilosophie, 2010, 52 ff.
  30. 30 Beim Einsatz der Auslegungsgesichtspunkte kommt es in der Regel zu einem mehrere Gesichtspunkte integrierenden Ansatz (so auch Kirste, Einführung in die Rechtsphilosophie, 2010, 58 f.; in diese Richtung auch Potacs, Rechtstheorie, 2015, 155 f., 177 («bewegliches System der Auslegungskriterien»). In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass die Auslegung der Gesetze im Laufe der Zeit auch neue Gegebenheiten berücksichtigen und sich zudem auch die integrative Perspektive für die Auslegungsgesichtspunkte ändern kann (Gesetze «altern», vgl. Wank, Die Auslegung von Gesetzen5, 2011, 29 ff.).
  31. 31 Bezüglich der Rechtsetzung bzw. der Auslegung von Rechtsnormen lassen sich «Beobachterperspektive» und «Teilnehmerperspektive» (dazu Koller, Theorie des Rechts2, 1997, 45 f.) letztlich nicht voneinander trennen, vgl. Marko, Multiple Diversity Governance (in Vorbereitung).
  32. 32 Vgl. oben Teil 1.
  33. 33 Diese Praxis erweist sich als normative (normbildende) Tätigkeit, womit insbesondere die Regeln gebildet werden, die diese Praxis konstituieren und den Maßstab für die Beurteilung des Handelns im rechtlichen Kontext darstellen. In Anlehnung an Ludwig Wittgenstein lässt sich das Teilnehmen an der Praxis als Teilnahme an einem juristischen Entscheidungs-Spiel sehen (siehe dazu Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen. Zitiert nach: Wittgenstein. In: Hacker/Schulte (Hrsg.), Philosophical Investigations4, 2009, § 23).
  34. 34 Erlernt wird diese regelgeleitete Praxis durch (imitationsgestütztes) Einüben im Kontext einer durch Lehrende vermittelten «Abrichtung», die (im Ergebnis) ein praxisadäquates Verhalten so eintrainiert, dass eine (gewisse) Kapazität erworben wird, Regeln «blind» – intuitiv – erkennen zu können und die Praxis damit möglichst friktionslos weiterzupraktizieren (vgl. dazu Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen. Zitiert nach: Wittgenstein. In: Hacker/Schulte (Hrsg.), Philosophical Investigations4, 2009, etwa § 2, § 6, § 23, § 86, § 206, § 630). Die Begründungsverpflichtung für juristische Entscheidungen verlangt allerdings, die Gesetzesauslegungs- bzw. Anwendungsschritte zu plausibilisieren, was «intuitiv» gewonnene Ergebnisse rational rückkoppelt. Die Bedeutung der durch Einübung geschulten «Intuition» spitzt sich daher dahin zu, dass «intuitiv» zutreffende Lösungswege eingeschlagen werden, der dann überzeugend zu begründen ist.
  35. 35 Muster sind daher auf unterschiedlicher Abstraktionsebene angesiedelt, wobei Muster existieren, die die Verwendung anderer Muster steuern.
  36. 36 Für den analytischen Wert von Rechtssätzen ist freilich die Rückbindung eines Rechtssatzes mit dem Kontext der gesamten Entscheidung von Bedeutung, vgl. näher Handstanger, Rechtssätze als kooperative Textsorte. In: Schweighofer/Hötzendorfer/Kummer (Hrsg.), TB IRIS 2015, 395 ff.
  37. 37 Vgl. Hart, The Concept of Law2, 1994, 128 ff.