Dienstleistungen und Zahlungen erfolgen in der Informationsgesellschaft mehr und mehr in digitaler Form. Der Wert der übermittelten Leistung ergibt sich dabei aus einem (verschlüsselten) Datenpaket. Auch Finanzierungen lassen sich in digitaler Weise abwickeln. In der FinTech-Welt hat sich der Begriff bzw. das Konzept von «Token» als Instrument zur Übertragung digitaler Werte durchgesetzt.
Token sind digitale Informationseinheiten, welche direkt auf einer Blockchain emittiert werden2 und als Teil eines Protokolls in einer (in der Regel öffentlich einsehbaren) Datenbank existieren,3 welche deren Bestand und Übertragung dokumentiert. Token können vom Emittenten unterschiedlich ausgestaltet werden und somit verschiedenste Inhalte bzw. Rechte repräsentieren; die FINMA hat in ihrer jüngsten Wegleitung zu den Initial Coin Offerings drei Token-Typen unterschieden4, doch zeigt die Realität, dass weitere, sog. «hybride» Token-Formen verbreitet sind.
Beinhalten Token eine Forderung gegenüber dem Emittenten (z.B. das Recht auf Benutzung gewisser Dienstleistungen5), müssen die Forderungen nach geltendem Schweizer Recht – sofern die Token nicht in einem Wertpapier verbrieft oder als Bucheffekte ausgegeben werden – grundsätzlich durch eine Abtretung (Zession) gemäss Art. 164 ff. Obligationenrecht (OR) übertragen werden. Rechtstechnische Probleme bereitet die Übertragung von Token deshalb, weil die Zession zu ihrer Gültigkeit der schriftlichen Form bedarf (Art. 165 Abs. 1 OR und Art. 973c Abs. 4 OR für die Übertragung von Wertrechten).
In der Praxis erfolgt die Übertragung von Token auf einer Blockchain und somit formlos. Trotz der Verkörperung einer Forderung in einem Token lässt sich deshalb eine solche Forderung nicht allein durch eine Buchung auf einer Blockchain übertragen. Das Schriftformerfordernis könnte zwar neben der physischen Unterschrift auch durch eine qualifizierte elektronische Signatur gemäss dem Bundesgesetz über die Zertifizierungsdienste im Bereich der elektronischen Signatur (ZertES), in Kraft seit 1. Januar 2005, letztmals revidiert per 1. Januar 2017, erfüllt werden, aber die Schriftlichkeit ist bei der Übertragung von Token auf einer Blockchain weder unüblich und weder praktikabel noch sinnvoll.6
Sofern das Schriftformerfordernis nicht erfüllt wird (wie es bei der Übertragung von Token verlangt wird, die eine Forderung beinhalten), wäre die Übertragung eines Token formungültig, und damit ginge die Forderung nicht rechtsgültig auf den Erwerber über.7 Deshalb stellt sich die Frage, ob Token de lege lata in einer anderen Form als durch schriftliche Zession übertragen werden können oder ob sich de lege ferenda eine Gesetzesänderung aufdrängt.
De lege lata würde der wohl einzige rechtlich gangbare Weg darin bestehen, anzuerkennen, dass sich Token wie Wertpapiere übertragen lassen, was voraussetzt, dass Wertpapiere in Form eines Token ausgestaltet werden können. Die Alternativen dazu bedingen eine Gesetzesänderung, nämlich die Schaffung einer Ausnahme vom Schriftformerfordernis bei der Abtretung mit Bezug auf digitale Geschäftsmodelle oder die Qualifikation der Token als Wertrechte mit gleichzeitiger Einführung einer spezifischen Übertragungsnorm. Nachfolgend wird bewusst die Variante de lege lata detailliert dargestellt, um eine Diskussion der neuen Rechtsfragen zu den Token herbeizuführen, welche deren Vorteile und Risiken zu analysieren versucht, bevor zu einer Gesetzesänderung geschritten wird. Die Ausführungen beginnen mit Überlegungen zur Qualifikation von Token8 und gehen dann zur Analyse der Übertragung9 über.
1.1.
Wertpapierbegriff ^
Gemäss Art. 965 OR ist ein Wertpapier jede Urkunde, mit welcher ein Recht derart verknüpft ist, dass es ohne die Urkunde weder geltend gemacht noch übertragen werden kann. Damit es sich somit um ein Wertpapier handelt, muss (i) eine Urkunde vorliegen, (ii) mit welcher ein Recht verbrieft wird, und (iii) diese Verknüpfung zwischen Recht und Urkunde muss so eng sein, dass das Recht ohne diese Urkunde nicht geltend gemacht werden kann.10
1.2.1.
Urkunde ^
Eine Urkunde besteht typischerweise aus einem Stück «Papier». Mit Blick auf sog. «elektronische Urkunden» vertritt ein Teil der Lehre den Standpunkt, dass die Urkunde nicht zwingend in Papierform ausgestaltet sein muss, sondern jedes Material, auf welchem Erklärungen angebracht werden können, als – unabhängig von einer Form – geeigneter Urkundenstoff gelte.13 Zutreffend führt Handschin aus: «Dieser Erklärungsträger ist typischer-, aber nicht notwendigerweise eine selbstständige Sache aus Papier oder einem ähnlichen Stoff.»14 Eine Urkunde ist damit ein Träger für ein Zeichen, d.h. die Fixierung von Information für einen späteren Abruf; wie der Erklärungsträger ausgestaltet ist, erscheint als irrelevant. Nur der Vollständigkeit halber sei angefügt, dass im Bucheffektengesetz (BEG) («Wertrechte») und im Strafrecht die Urkundenqualität ebenfalls nicht von der Körperlichkeit der Urkunde abhängt.
Auch geht die Lehre davon aus, dass für Wertpapiere nicht die einfache Schriftlichkeit gemäss Art. 12 ff. OR, sondern vielmehr der Grundsatz der Formfreiheit gemäss Art. 11 Abs. 1 OR gelte.15 Ob für ein Wertpapier die Unterschrift ein Gültigkeitserfordernis darstellt, ist somit von dem zu verbriefenden Recht abhängig (z.B. Art. 622 Abs. 5, 1096 Ziff. 7, 1100 Ziff. 6, 1153 Ziff. 1 OR). Eine Urkunde muss folglich nicht zwingend eine schriftliche Form haben.
Die Urkunde sollte (i) geeignet sein, eine Erklärung festzuhalten, (ii) einem designierten Personenkreis zugänglich sein und (iii) eine gewisse Beständigkeit (Dauerhaftigkeit) aufweisen, selbst wenn der Erklärungsträger und die Willensäusserung nicht unbedingt untrennbar miteinander verbunden sein müssen.16 Werden diese Kriterien von einem elektronischen Erklärungsträger erfüllt, lassen sich elektronische Datenträger als Urkunden i.S.v. Art. 965 OR qualifizieren. Ausgeschlossen ist indessen die Verwendung von elektronischen Datenträgern als Urkunde, wenn die Unterschrift ein Gültigkeitserfordernis darstellt und die Unterschrift nicht mit einer elektronischen Signatur (z.B. im entsprechenden Smart Contract) angebracht werden kann.17 Eine Ausnahme gilt in Fällen, in denen eine faksimilierte Unterschrift verkehrsüblich ist (Art. 14 Abs. 2 OR)18 und diese technisch auch angebracht werden kann.
Weiter stellt sich die Frage, ob es sich bei einem Token bzw. bei einem Token in Verbindung mit der ihm zugrundeliegenden (öffentlich) zugänglichen Datenbank auf einer Blockchain und dem Private Key um eine Urkunde i.S.v. Art. 965 OR handeln kann. Dafür ist notwendig, dass ein Token einen Erklärungsträger und eine damit verbundene Willenserklärung umfasst. Ein Token kann zusammen mit einer (öffentlich) zugänglichen Datenbank, welche eine abgrenzbare Sammlung an Daten auf einer Blockchain beinhaltet, als eine Art Erklärungsträger qualifiziert werden, wenn der Token (je nach dem auch in Verbindung mit einem Smart Contract) einen durch alle betroffenen Netzwerkteilnehmer einsehbaren und nicht änderbaren Hash beinhaltet, der dadurch unmissverständlich auf die der Ausgabe des Token zugrunde liegenden Willenserklärungen referenziert, die meist in einem (konventionellen) Dokument festgehalten sind.19 Dadurch enthält der Token eine klare Willensäusserung.
Bei einem Token bzw. bei einer zugänglichen Datenbank auf einer Blockchain handelt es sich zwar um eine neue Technologie, die nicht körperlich ist (wie z.B. eine CD), jedoch ist ein Token in Verbindung mit der zugänglichen Datenbank und den notwendigen technischen Vorkehrungen geeignet, eine Erklärung festzuhalten. Diese Erklärung ist sodann in einem Token mit der ihm zugrundeliegenden zugänglichen Datenbank auf einer Blockchain dauerhaft verbunden. Der Erklärungsinhalt kann in der zugrundeliegenden Datenbank dank der Blockchain-Technologie jederzeit von jedermann bzw. den betroffenen Netzwerkteilnehmern abgerufen werden. Es bleibt aber stets nur der Inhaber eines Private Key der Berechtigte an einem Token. Durch die Blockchain-Technologie wird zusätzlich sichergestellt, dass die Daten unveränderbar festgehalten werden bzw. allfällige Veränderungen in der zugrundeliegenden Datenbank einsehbar und auch nachvollziehbar sind.
Gute Gründe lassen sich dementsprechend dafür vorbringen, dass eine auf Blockchain-Technologie beruhende Datenbank die gleichen Funktionen zu erfüllen vermag wie ein elektronischer Datenträger bzw. eine herkömmliche Papierurkunde. In einer solchen Betrachtungsweise kann ein Token in Verbindung mit der zugrundeliegenden zugänglichen Datenbank auf einer Blockchain und dem Private Key die Voraussetzungen einer Urkunde i.S.v. Art. 965 OR unter der Bedingung erfüllen, dass das dem Token zugrundeliegende Recht nicht die Schriftlichkeit verlangt und weder eine elektronische Signatur noch ein Faksimile angebracht werden muss.
1.2.2.
Verbrieftes Recht ^
Grundsätzlich lassen sich drei Kategorien von Rechten in einem Wertpapier verbriefen: (i) Forderungsrechte, (ii) Mitgliedschaftsrechte und (iii) dingliche Rechte.20
Aufgrund der unterschiedlichen Eigenschaften von Token ist eine allgemein gültige Einordnung unter zivilrechtlichen Aspekten nicht möglich, d.h. jeder Token muss von Fall zu Fall qualifiziert werden. Die meisten Token beinhalten eine Forderung, da sie dem Token-Inhaber einen Anspruch gegen den Token-Emittenten vermitteln. Solche Forderungsrechte sind vor allem in den Nutzungs-Token (z.B. Anspruch auf einen Zugang zu einer bestimmten Plattform) und den Anlage-Token (z.B. Anspruch auf Dividenden) zu finden.21 Verkörpern Token bestimmte Forderungsrechte, können sie in einem Wertpapier verbrieft werden. Nicht möglich ist es, Zahlungs-Token, die Einheiten von reinen «Krypto-Währungen» und damit ein nicht gesetzlich anerkanntes, aber faktisch einsetzbares Zahlungsmittel darstellen, in Form von Wertpapieren auszugestalten. Zahlungs-Token verleihen dem Inhaber ausser dem Halten und Handeln des Token an sich kein bestimmtes Recht. Da sie keine Forderungen beinhalten, können sie folglich nicht in Wertpapieren verbrieft werden.
1.2.3.
Verknüpfung Recht und Urkunde ^
Zusätzlich muss die Urkunde mit dem zu verbriefenden Recht derart verbunden sein, dass das Recht ohne das Papier nicht ausgeübt werden kann.22 Diese Verknüpfung erfolgt durch eine Urkundenklausel. Das Recht kennt fünf verschiede Typen: (i) einfache Präsentationsklausel, (ii) einfache Legitimationsklausel, (iii) einfache Wertpapierklausel, (iv) Ordreklausel und (v) Inhaberklausel.23
Als Wertpapierart kommen drei Kategorien in Frage: Namenpapiere,24 Ordrepapiere und Inhaberpapiere. Ein Wertpapier gilt als Inhaberpapier, wenn aus dem Wortlaut oder der Form der Urkunde ersichtlich ist, dass der jeweilige Inhaber als Berechtigter anerkannt wird (Art. 978 OR).
Mit Blick auf die Frage, ob es sich bei Token um eine der drei Kategorien von Wertpapieren handelt, lässt sich feststellen, dass die Urkunde aus einem Zusammenspiel zwischen dem Token, den in der zugänglichen Datenbank auf einer Blockchain gespeicherten Informationen sowie dem Private Key besteht. Bei einem Token handelt es sich um ein Inhaberpapier, denn das Recht ist derart verbrieft, dass der Inhaber und nur der Inhaber des Token (zusammen mit dem Private Key) die Erfüllung verlangen kann. Der Verpflichtete vermag folglich nur an ihn mit befreiender Wirkung zu leisten.25
Aus der Form der Urkunde, also dem in der zugänglichen Datenbank auf einer Blockchain abgespeicherten Token in Verbindung mit dem Private Key, ist ersichtlich, dass der jeweilige Inhaber des Private Key als Berechtigter anerkannt wird (Art. 978 Abs. 1 OR). Der Token (zusammen mit dem Private Key und dem Distributed Ledger auf einer Blockchain) enthält eine Inhaberklausel, denn der Inhaber des Private Key (eine Weiterentwicklung des klassischen Papiers) ist legitimiert, durch blosses Vorweisen des Token sowie des Private Key das Recht geltend zu machen.26
1.2.4.
Zwischenfazit ^
Da nur der Inhaber des Private Key den Token wie ein Inhaber eines klassischen «Wertpapiers» kontrollieren kann, gibt es gute Gründe, die gestützt auf eine teleologische Auslegung dafür sprechen, einen Token als Wertpapier i.S.v. Art. 965 OR zu qualifizieren. Mangels Gerichtspraxis besteht aber insoweit (noch) keine Rechtssicherheit; Ziel dieses Beitrages ist deshalb nicht zuletzt die Anregung der Diskussion zu genau diesen Rechtsfragen.
2.1.
Wertrechtebegriff ^
Wertrechte – als Alternativen zu Wertpapieren – sind nicht verurkundete Rechte mit gleicher Funktion wie Wertpapiere (Art. 973c Abs. 1 OR).
2.2.
Kriterien für die Qualifikation von Wertrechten ^
Damit Wertrechte ausgegeben werden können, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: i) Ermächtigung des Emittenten, ii) Rechte mit gleicher Funktion wie Wertpapiere und iii) Eintragung in das Wertrechtebuch.
2.2.1.
Ermächtigung des Emittenten ^
Für die Ausgabe von Wertrechten ist eine Ermächtigung – entweder in den Ausgabebedingungen oder in den Gesellschaftsstatuten – oder eine Zustimmung der Hinterleger nötig (Art. 973c Abs. 1 OR).27 Die Ausgabebedingungen (Anleihensbedingungen) können als eine Art Zusammenfassung aller wesentlichen Bedingungen der Emission (z.B. Betrag, Laufzeit, Zinssatz etc.) verstanden werden, gestützt auf welche der Emittent mit einer Vielzahl von Geldgebern selbstständige Einzelverträge abschliesst.28 Handelt es sich um Mitgliedschaftsrechte, bedarf es einer Ermächtigung in den Gesellschaftsstatuten.29 Liegt hingegen eine Zustimmung der aus dem Wertrecht berechtigten Personen (als Hinterleger) vor, können Wertrechte gestützt auf eine solche Zustimmung der Berechtigten ausgegeben werden.30
Der Token-Emittent hat die Möglichkeit, die Ausgabebedingungen seiner Token in den «Token Terms» (meist publiziert in einem White Paper, in einem Prospekt oder allenfalls gesondert) näher zu umschreiben. Diese Token Terms umfassen alle wesentlichen Bedingungen der Token. Bringt der Token-Emittent – sofern es sich nicht um Mitgliedschaftsrechte handelt – solche Token Terms in Umlauf, liegt eine Ermächtigung in den Ausgabebedingungen vor.
2.2.2.
Rechte mit gleicher Funktion wie Wertpapiere ^
Wertrechte lassen sich als Rechte definieren, welche gestützt auf eine gemeinsame rechtliche Grundlage (z.B. Statuten oder Ausgabebedingungen) in einer Vielzahl ausgegeben werden und gattungsmässig identisch sind.31
Token werden in einer Vielzahl ausgegeben, sind i.d.R. gattungsmässig identisch ausgestaltet und haben gleichartige Eigenschaften (z.B. gleicher Schuldner, gleiche Rechte, gleiche Stückelung). Es kommt somit nicht auf die Person an, welche das Wertrecht erwirbt. Für die in den Wertrechten enthaltenen Rechte gelten dieselben Überlegungen wie für in einem Wertpapier verbriefte Rechte.
2.2.3.
Wertrechtebuch ^
Gemäss Art. 973c Abs. 3 OR entstehen Wertrechte mit Eintragung in das Wertrechtebuch (konstitutive Wirkung), welches vom Emittenten geführt wird (Art. 973c Abs. 2 OR).32 In diesem Wertrechtebuch sind die Anzahl und Stückelung der ausgegebenen Wertrechte sowie die Gläubiger einzutragen. Diesbezüglich genügt eine elektronische Wertrechtebuchführung.33
Token entstehen auf einer Blockchain, welche z.B. in einem Distributed Ledger oder in einer technisch anderweitig zugänglich gemachten Datenbank nicht nur Eigentumsrechte, sondern auch Transaktionen von Token aufzeichnet. Da sich das Wertrechtebuch elektronisch führen lässt, kann eine auf Blockchain-Technologie beruhende Datenbank als Wertrechtebuch betrachtet werden. Somit entstehen die Token in Form von Wertrechten mit der Eintragung in einer auf Blockchain-Technologie beruhenden Datenbank.
2.2.4.
Zwischenfazit ^
Die bei der Ausgabe von Token begründeten Rechte lassen sich als Wertrechte i.S.v. Art. 973c Abs. 1 OR qualifizieren. Auch die FINMA spricht sich in ihrer ICO-Wegleitung vom 16. Februar 2018 für eine solche Betrachtungsweise aus. Bei Wertrechten fehlt im Gegensatz zum Wertpapier die Verbindung zu einer Urkunde, weshalb das Wertrecht losgelöst von Token besteht und sich übertragen lässt. Immerhin ist nicht zu übersehen, dass diese «Loslösung» in einem gewissen Widerspruch zur Praxis steht, nach welcher dem Token entsprechend einem Wertpapier (auch) eine Legitimitäts- und Transportfunktion des zugrunde liegenden Rechts zukommen soll.
3.
Zusammenfassung ^
Token, die relative Rechte vermitteln sollen, lassen sich in Anwendung einer teleologischen und technologie-neutralen Auslegung somit sowohl in der Form von Wertpapieren als auch in der Form von Wertrechten ausgestalten und ausgeben. In der Praxis überwiegt heute die Schaffung von Wertrechten. Letztlich kommt es aber auf den Willen des Emittenten an, ob er Token in Form von Wertpapieren oder Wertrechten ausgeben will.
1.1.
Besitzübertragung ^
Nach Art. 922 ZGB wird der Besitz durch die Übergabe der Sache selbst sowie durch den Abschluss eines gültigen Vertrages übertragen (Art. 922 ZGB sowie Art. 967 Abs. 1 und 2 OR). Für die Besitzübergabe sind folgende Voraussetzungen zu erfüllen: (i) Der Veräusserer muss unmittelbarer Besitzer der Sache sein, (ii) die tatsächliche Sachherrschaft muss auf den Erwerber übergehen und (iii) der Wille beider Parteien auf Besitzübertragung muss vorliegen.37 Im Falle eines Inhaberpapiers gelten für den Übertragungsvertrag keine besonderen Formvorschriften.38
Die Ermittlung des Sinnes des «Übergabekriteriums» gemäss Art. 922 ZGB i.V.m. Art. 967 OR hat nach den allgemein anerkannten Auslegungsmethoden zu erfolgen. Im Falle einer neuen technologischen Erscheinung (wie z.B. einem Token) versagen zwei traditionelle Auslegungsmethoden von vorneherein, nämlich die grammatikalische und die historische Auslegung. Im Vordergrund müssen deshalb die teleologischen Auslegungselemente stehen, die nach dem Sinn und Zweck einer Norm fragen. Das Bundesgericht bekennt sich regelmässig zu einem Methodenpluralismus, d.h. zu einer auf den Einzelfall angepassten Heranziehung derjenigen Auslegungselemente, die den Normgehalt zutreffend erschliessen.39
Bei Token handelt es sich letztlich um digitale Daten. Mangels Körperlichkeit haben Token keine Sachqualität und können folglich nicht körperlich übergeben werden.40 In der Lehre ist deshalb weitestgehend unbestritten, dass die traditionelle sachenrechtliche Besitzübertragung mit Bezug auf die Übertragung von Token nicht zur Anwendung zu kommen vermag. Ungeachtet dieser Einschätzung erweist es sich aber als sachgerecht, der Frage nachzugehen, ob die vorerwähnte Anerkennung von digitalen Wertpapieren die sachenrechtliche Beurteilung der Besitzübertragung zu beeinflussen vermag.
Folgt man der vorangehenden Überlegung, dass Urkunden auch digital ausgestaltet werden können, müsste ebenso eine digitale Übertragung möglich sein, die nicht noch zusätzlich physisch erfolgen muss. Nicht zuletzt unter dem Blickwickel der technischen Entwicklungen der letzten Jahre sollte im Sinne einer teleologischen Auslegung die Übertragung i.S.v. Art. 922 ZGB auch «digital» verstanden und eine digitale Übertragung als zulässig qualifiziert werden können. Denn letztlich wird – bis auf die körperliche Übergabe (die im Übrigen schon im heutigen Recht durch die Bereitstellung der Gestattung der Wegnahme als erfüllt angesehen wird41) – jedes Kriterium für eine gültige Übertragung erfüllt: Der Token-Emittent und Token-Käufer (bzw. Token-Verkäufer und Token-Käufer) schliessen einen Vertrag (z.B. Kaufvertrag) ab, in welchem ein deutlicher Wille für eine Besitzübertragung des Token zum Ausdruck gebracht wird. Zusätzlich wird die tatsächliche Sachherrschaft mittels Private Key auf den Erwerber übertragen, da jeweils der Inhaber des Token bzw. des Private Key die tatsächliche Gewalt über einen Token hat, wie es in Art. 919 Abs. 1 ZGB verlangt wird.
1.2.
Besitzanweisung ^
Ohne Übergabe kann der Besitz einer Sache erworben werden, wenn ein Dritter oder der Veräusserer selbst auf Grund eines besonderen Rechtsverhältnisses im Besitz der Sache verbleibt (Art. 924 Abs. 1 OR). Art. 924 Abs. 1 ZGB nennt die Besitzübertragungssurrogate, für welche die Übergabe der Sache selbst nicht notwendig ist.42 Ein solches Besitzübertragungssurrogat ist die Besitzanweisung. Übertragen wird bei einer Besitzanweisung nicht der unmittelbare Besitz, sondern der mittelbare Besitz. Der unmittelbare Besitzer bleibt der Dritte, bei welchem sich die Sache befindet.43
Damit eine Besitzanweisung möglich ist, muss (i) bereits ein gestufter Besitz vorliegen, (ii) die Sache in der Gewalt eines Besitzherrn (und nicht eines Besitzdieners) sein44 und (iii) eine Vereinbarung zwischen dem Veräusserer und dem Erwerber (Besitzanweisungsvertrag) vorliegen, gestützt auf welche der Dritte (als unmittelbarer Besitzer) den Besitz für den Erwerber ausübt.45
Die Übertragung des Besitzes wird dabei durch blosse Vereinbarung zwischen dem Veräusserer und dem Erwerber ausgelöst.46 Schriftform wird für diese Vereinbarung nicht verlangt.47 Gegenüber dem Dritten ist dieser Besitzübergang erst wirksam, wenn ihm der Veräusserer davon Anzeige gemacht hat. Die Wirksamkeit besteht für den Dritten darin, dass er neu nicht mehr für den Veräusserer, sondern für den Erwerber besitzt. Als Rechtsverhältnis zwischen dem Dritten und dem Erwerber gilt das ursprüngliche Rechtsverhältnis zwischen dem unmittelbaren Besitzer und dem Veräusserer weiter.48
Ein gestufter Besitz liegt vor, wenn die Sache im Gewahrsam eines Dritten ist, welcher die Sache als unmittelbarer Besitzer hält (z.B. Mieter – Vermieter). Unmittelbarer Besitzer ist, wer über eine Sache die Sachherrschaft direkt (ohne Mittelperson) ausüben kann.49 Überträgt ein Besitzer die Ausübung der Sachherrschaft einem Dritten, ist er mittelbarer Besitzer.50
Kauft ein Token-Käufer einen Token, wird dieser vom Token-Emittenten direkt – und auf einer Blockchain nachvollziehbar – in das «Wallet» des Token-Käufers übertragen. Sein Besitz über den Token ist – sofern der Token rechtsgültig übertragen worden ist – selbstständig und unmittelbar. Die tatsächliche direkte Sachherrschaft liegt nur bei ihm und nur er, als Inhaber des Private Key, hat Zugriff auf den Token. Er kann somit direkt und ohne Mittelperson über die Sache verfügen. Somit würde kein gestufter Besitz vorliegen und eine gültige Besitzanweisung wäre nicht möglich.
Jedoch kann ein gestufter Besitz vorliegen, wenn der Token bei dem Token-Emittenten bleibt und der Token nicht an den Token-Käufer übertragen wird (z.B. aufgrund einer besonderen Vereinbarung). Der Token-Käufer wäre in einer solchen Konstellation der mittelbare Besitzer und der Token-Emittent der unmittelbare Besitzer. Durch die blosse Vereinbarung, welche nicht schriftlich sein muss, könnte der Besitz an einem Token vom Token-Emittenten auf den Erwerber übertragen werden. Der mittelbare Besitz würde vom bisherigen Token-Käufer auf den Erwerber übergehen. Der bisherige Token-Emittent bleibt der unselbständige, unmittelbare Besitzer und hält nun neu den Besitz für den Erwerber. Der gestufte Besitz würde somit nach der Übergabe des mittelbaren Besitzes an einem Token weiterbestehen.
Notwendig ist aber, dass der Token-Emittent in einem solchen Verhältnis Besitz an dem Token hält und nicht lediglich als Besitzdiener fungiert. Besitzdiener ist, wer nur als Werkzeug für den Besitzer handelt und kein Recht, weder ein dingliches noch persönliches, gegen den Besitzer in Bezug auf die Sache hat.51 Vereinbaren die Parteien bloss, dass der Token-Emittent für den Token-Käufer den Token hält, hätte der Token-Emittent kein Recht gegen den Token-Käufer und wäre – wie ein Besitzdiener – abhängig von den Weisungen des Token-Käufers. Das Rechtsinstitut der Besitzanweisung, das den Vorteil hat, ohne das Schriftformerfordernis auszukommen, dürfte deshalb für die meisten Token-Übertragungsgeschäfte nicht zur Anwendung gelangen können.
1.3.
Zwischenfazit ^
Wird den vorstehenden Überlegungen gefolgt, die in einer teleologischen Auslegung davon ausgehen, dass sich Wertpapiere auch digital ausgestalten lassen, müsste die digitale Übertragung ebenfalls möglich sein, und zwar als besondere Art der Besitzübertragung. Hingegen dürfte die Besitzanweisung lediglich in seltenen Fällen in Betracht fallen. Rechtssicherheit besteht insoweit im derzeitigen Umfeld zwar noch nicht, weil Gerichtsentscheide offensichtlich noch fehlen.
2.
Übertragung von Wertrechten ^
Die Problematik bei der Qualifikation von Token als Wertrechte liegt in deren Übertragung. Gemäss Art. 973c Abs. 4 OR bedarf die Übertragung von Wertrechten einer schriftlichen Abtretungserklärung.52 Für eine rechtsgültige Übertragung von Token – die in Form von Wertrechten ausgegeben werden – müsste folglich der Anwendungsbereich des Wertrechts für «digitale Wertpapiere/Wertrechte/Urkunden» erweitert werden, damit eine formlose Übertragung möglich wäre. In Betracht zu ziehen wäre deshalb, ähnlich wie im Abtretungsrecht, eine Gesetzesänderung.
Martin Hess und Stephanie Lienhard haben einen (an die mit dem Bucheffektengesetz eingeleitete Änderung des Wertpapierrechts angelehnten) Vorschlag eingebracht, wonach im Anschluss an die Entmaterialisierung des Wertpapieres durch das Wertrecht nach Art. 973c OR auch die Digitalisierung durch Token mit einem neuen Art. 973d OR gesetzlich erfasst werden könnte.53 Die Blockchain Taskforce hat gestützt darauf im Sinne einer technologie-neutralen Formulierung folgende Gesetzesänderung vorgeschlagen:54
- Der Schuldner kann vertretbare Rechte in digitaler Form mit gleicher Funktion wie Wertrechte (im Sinne von Art. 973c OR) ausgeben oder vertretbare Wertpapiere oder Globalurkunden, die einem einzigen Aufbewahrer anvertraut sind, durch digital übertragbare Wertrechte oder Urkunden ersetzen, sofern die Ausgabebedingungen oder die Gesellschaftsstatuten dies vorsehen oder die Hinterleger dazu ihre Zustimmung erteilt haben.
- Der Schuldner registriert die Anzahl und Stückelung der ausgegebenen digital übertragbaren Wertrechte sowie deren Gläubiger in einem dezentralen Transaktionsregister.
- Die digital übertragbaren Wertrechte entstehen mit Eintragung in das dezentrale Transaktionsregister, sofern eine unabhängige Expertise deren Funktionssicherheit und Übereinstimmung mit den Ausgabebedingungen oder Gesellschaftsstatuten geprüft und bestätigt hat.
- Die Verfügung über digital übertragbare Wertrechte (Besitzübertragung, Einräumung von Sicherheiten zu Vollrecht oder als Pfand) erfolgt durch die Übertragung der digital übertragbaren Wertrechte im dezentralen Transaktionsregister.
- Die Vorschriften des Bucheffektengesetzes sind sinngemäss anwendbar.
Durch diese «technologie-neutrale» Gesetzesergänzung liessen sich zukünftige Entwicklungen im Bereich Blockchain, Blockchain-Protokolle, Distributed Ledger und Token erfassen, ohne dass es einer erneuten Gesetzesänderung bedürfte. Abgedeckt wären von diesen Bestimmungen alle Token, welche Forderungsrechte, Mitgliedschaftsrechte und dingliche Rechte gegenüber einem Emittenten beinhalten, ebenso wie Asset-Token. Damit würde ermöglicht, was im regulierten Bereich auch unter geltendem Recht bereits zulässig ist: Die Asset-Token könnten formlos gemäss Art. 24 BEG übertragen werden.
3.
Übertragung von Zahlungs-Token ^
Zahlungs-Token verleihen neben dem Halten und Handeln des Token dem Token-Inhaber an sich keine besonderen Rechte. Da sie keine spezifischen Rechte enthalten, sind Zahlungs-Token weder Wertpapiere noch Bucheffekten.55 Krypto-Währungen und somit auch Zahlungs-Token werden grundsätzlich auch nicht als gesetzliche Währungen anerkannt.56 Das Entwickeln und Verwenden privater Zahlungsmittel verstösst aber nicht gegen das Schweizer Währungsrecht.57
Zivilrechtlich können private Zahlungsmittel wie z.B. auch Zahlungs-Token als eigentliche Zahlungsmittel sehr wohl vereinbart werden, wie das Beispiel des seit über 80 Jahren im Umlauf befindlichen WIR-Geldes zeigt.58 Voraussetzung ist einzig, dass die Parteien die Zahlungs-Token als Zahlungsmittel auch akzeptieren.59 Anwendbar für die Vereinbarung von Zahlungs-Token als Zahlungsmittel sind die Bestimmungen des Obligationenrechts.60
Auch bei Zahlungs-Token stellt sich aber die Frage der rechtsgültigen Übertragung. Damit der Schuldner seine Schuld erfüllen kann, muss der Besitz an einem Zahlungs-Token gemäss den anwendbaren rechtlichen Voraussetzungen übergeben werden. Wie bei einem Kaufvertrag ist das Eigentum am vertraglich vereinbarten privaten Zahlungsmittel zu verschaffen.61 Diese Übertragung richtet sich nach den bereits erläuterten Art. 922 ff. ZGB.62 Zahlungs-Token sollten somit ebenfalls durch eine digitale Übertragung rechtsgültig auf den Gläubiger übertragen werden können.
4.1.
Übertragung durch Abtretung ^
Beinhalten Token eine Forderung gegenüber dem Emittenten, müssen die Forderungen nach geltendem Schweizer Recht – sofern die Token nicht in einem Wertpapier verbrieft oder als Bucheffekte ausgegeben werden – grundsätzlich durch Abtretung gemäss Art. 164 ff. OR übertragen werden.63 Praktikabilität vermag die Abtretung – wie erwähnt – nur zu erlangen, wenn Art. 165 OR revidiert würde.
Wie einleitend erwähnt wäre deshalb in Betracht zu ziehen, auf das in Art. 165 Abs. 1 OR vorgesehene Schriftformerfordernis für die Abtretung zumindest im Rahmen digitaler Geschäftsmodelle zu verzichten.64 Ähnliche Entwicklungen sind z.B. auch im internationalen Transportrecht festzustellen: Die Schaffung funktionaler Äquivalenzvorschriften ist z.B. im UNCITRAL Model Law on Electronic Transferable Records von 2017 vorgesehen.65
4.2.
Übertragung durch Vertragsübernahme ^
Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, anstelle eines einzelnen Token den ganzen Vertrag zu übertragen. Das schweizerische Recht ermöglicht es nämlich nicht nur, spezifische Forderungen, sondern auch Verträge als Ganzes zu übertragen. Dies bedeutet, dass die Übertragung des ursprünglichen Vertrags zwischen dem Token-Emittenten und dem ursprünglichen Token-Inhaber durch einen neuen Vertrag zwischen den beiden ursprünglichen Parteien und einem Dritten, d.h. mit dem neuen Token-Inhaber, erfolgen müsste.
Der Token-Inhaber hätte demgemäss alle Rechte und Pflichten aus dem Vertrag auf einen Dritten zu übertragen. Nach der erfolgten Übertragung ist nicht mehr der bisherige Token-Inhaber, sondern neu der Dritte die Vertragspartei. Damit die Übertragung rechtsgültig ist, müssen alle involvierten Parteien dieser Übertragung zustimmen.66 Der Vertrag bezüglich der Übertragung des ursprünglichen Vertrags unterliegt denselben formalen Bedingungen wie der ursprüngliche Vertrag. Demzufolge ist – sofern für den ursprünglichen Vertrag keine Formvorschriften gelten – der Vertrag auch nicht schriftlich auszugestalten.67 Da die Übertragung eines Vertrages, anders als im Falle einer Forderungsabtretung, keine Schriftlichkeit erfordert, kann die Vertragsübernahme formfrei erfolgen. Insbesondere in Anbetracht dessen, dass eine Partei ihre Zustimmung zur Übertragung eines Vertrags im Voraus erteilen kann,68 vermag der Token-Emittent bereits bei der Ausgabe von Token seine Zustimmung zur Übertragung von Token (bzw. des Token-Vertrags) zu geben.
Immerhin bleibt zu beachten, dass die Mitwirkung des Emittenten an der Vertragsübertragung dann nicht praktikabel ist, wenn die Übertragung über eine Handelsplattform erfolgt. Eine Dauerofferte in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Übertragung an einen beliebigen Dritten ist in der Lehre umstritten und bereitet wegen der Globalübernahme von Allgemeinen Geschäftsbedingungen in der Praxis ebenfalls Schwierigkeiten.
4.3.
Übertragung durch Qualifikation als Bucheffekte ^
Eine andere Möglichkeit, Token formlos zu übertragen, lässt sich mit der Schaffung von Token als Bucheffekten realisieren. Vorausgesetzt wäre aber, dass die Token als Wertpapiere oder Wertrechte bei einer Verwahrungsstelle hinterlegt oder in deren Hauptregister eingebucht sowie einem Effektenkonto gutgeschrieben werden (Art. 6 Abs. 1 BEG). Die Verfügung über Bucheffekten erfolgt mittels einer Weisung des Veräusserers (Art. 24 BEG), welche keiner Formvorschrift untersteht.
Die Schaffung von Token als Bucheffekten wird indessen erschwert durch das Erfordernis der zentralen Verwahrungsstelle. Gemäss Art. 4 BEG können Effektenkonten nur von einer Verwahrungsstelle geführt werden. Die Ordnung in Art. 4 BEG ist gemäss dem Willen des Gesetzgebers abschliessend.69 Art. 4 Abs. 2 BEG sieht deshalb eine abschliessende Auflistung der inländischen Finanzintermediäre vor, welche Verwahrungsstellen sein können und Art. 4 Abs. 3 BEG beinhaltet eine Regelung bezüglich den ausländischen Finanzintermediären.70
Auch ohne genauere Prüfung scheint es ausgeschlossen, einen Emittenten von Token oder die «Betreiber» eines Blockchain-Protokolls (z.B. Ethereum) als Bank (lit. a), Effektenhändler (lit. b), Fondsleitung (lit. c), Schweizerische Nationalbank (lit. e) oder Post (lit. f) zu qualifizieren. In Frage kommen könnte eventuell noch der Zentralverwahrer (lit. d) gemäss Art. 61 des Finanzmarktinfrastrukturgesetzes (FinfraG). Hier scheint jedoch höchstens der «Betreiber» eines Blockchain-Protokolls in Frage zu kommen wie z.B. die Ethereum Foundation, welche als Betreiberin einer zentralen Verwahrungsstelle betrachtet werden könnte (also einer Einrichtung, die gestützt auf einheitliche Regeln und Verfahren Effekten und andere Finanzinstrumente zentral verwahrt). Diese Option fällt jedoch weg, weil eine Blockchain (respektive das Blockchain-Protokoll) eine Technologie ist, welche die Führung eines dezentral angelegten Hauptbuchs oder -registers erlaubt, was dessen Führung durch eine zentrale Stelle eben genau überflüssig macht.
4.4.
Übertragung durch Anweisung ^
Des Weiteren könnten Zahlungs-Token – entsprechend wie bei der bargeldlosen Zahlung – mittels einer Anweisung i.S.v. Art. 466 ff. OR übertragen werden, die grundsätzlich formlos gültig ist.71 Das traditionelle Anwendungsrecht passt aber nicht gut auf das Token-Geschäft, insbesondere wäre etwa ein Widerruf (Art. 470 OR) technisch nicht möglich.
IV.
Ausblick ^
Einer rein digitalen Übertragung von Token steht u.E. im geltenden Recht bei einer teleologischen Auslegung von Art. 922 ZGB nichts entgegen, sofern diese als elektronische Wertpapiere ausgestaltet und in einer (öffentlich) zugänglichen Datenbank auf einer Blockchain geführt werden. Diese Auslegung ist auch aus Praktikabilitäts- und Wirtschaftlichkeitsgründen zu rechtfertigen. Da aber bislang eine entsprechende Gerichtspraxis noch fehlt, wird sich der Gesetzgeber überlegen müssen, ob er nicht den Rest an Rechtsunsicherheit beseitigen und eine Gesetzesänderung durch die Schaffung von Art. 973d OR in die Wege leiten möchte; dies würde rechtliche Klarheit schaffen, ohne in die Regulierungsdiskussionen einzugreifen.
Rolf H. Weber, em. Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Zürich und Rechtsanwalt in Zürich (Bratschi AG).
Salvatore Iacangelo, lic. iur. (Universität Zürich) und MBA (INSEAD), Rechtsanwalt in Zürich (Bär & Karrer AG).
Die Autoren danken Frau Stephanie Walch, MLaw (Universität Zürich), Anwaltssubstitutin (Bär & Karrer AG), für die grosse Unterstützung bei den juristischen Recherchen zu diesem Thema.
- 1 Die Autoren haben als Mitglieder der «Blockchain Taskforce» unter dem Patronat der Bundesräte Johann Schneider-Ammann und Ueli Maurer, welche am 12. Januar 2018 erstmals getagt hat, aktiv an der Formulierung des Unterkapitels «Einsatz und Übertragung von Token» im rechtlichen Teil des Positionspapiers (verfügbar unter blockchaintaskforce.ch [alle Websites zuletzt abgerufen am 25. April 2018], Anhang zum Whitepaper) mitgewirkt; dieser Aufsatz entspricht inhaltlich den Ausführungen im Positionspapier, ergänzt durch weiterführende wissenschaftliche Hinweise.
- 2 Vaik Müller/Vincent Mignon, La qualification juridique des tokens: aspects réglementaires, GesKR 2017, S. 486 ff.; Mirjam Eggen, Was ist ein Token?, AJP 5/2018, Kap. II. A.
- 3 Zum Beispiel eine Datenbank, die als «Distributed Ledger» ausgestaltet ist.
- 4 Die drei Token-Typen sind: Zahlungs-Token, Nutzungs-Token und Anlage-Token (vgl. FINMA, Wegleitung für Unterstellungsanfragen betreffend Initial Coin Offerings (ICOs) vom 16. Februar 2018 [https://www.finma.ch/de/~/media/finma/dokumente/dokumentencenter/myfinma/1bewilligung/fintech/wegleitung-ico.pdf?la=de&hash=6518A4B3067554A0E22600E167601EF59AA20542], S. 2 ff.).
- 5 Vgl. Storj, abrufbar unter https://storj.io/.
- 6 Vgl. Alexander F. Wagner/Rolf H. Weber, Corporate Governance auf der Blockchain, SZW 2017, S. 59 ff., S. 69.
- 7 Anzumerken ist, dass der Entwurf für ein zukünftiges OR (OR 2020) im Abtretungsrecht für das Verpflichtungsgeschäft anstelle des Schriftformerfordernisses auch die mündliche Absprache genügen lassen wollte; vgl. Daniel Girsberger/Johannes Lukas Hermann, in: Claire Huguenin/Reto M. Hilty (Hrsg.), Schweizer Obligationenrecht 2020, Zürich 2013, Art. 165 Rz. 4. Der Bundesrat hat es indessen kürzlich abgelehnt, im Sinne des Vorschlages OR 2020 eine umfassende Revision des OR AT an die Hand zu nehmen.
- 8 Vgl. nachfolgend Rz. 7 ff.
- 9 Vgl. nachfolgend Rz. 32 ff.
- 10 Arthur Meier-Hayoz/Hans Caspar von der Crone, Wertpapierrecht, 3. Aufl., Bern 2018, Kap. 1 Rz. 4.
- 11 Meier-Hayoz/von der Crone (Fn. 10), Kap. 1 Rz. 6.
- 12 Meier-Hayoz/von der Crone (Fn. 10), Kap. 1 Rz. 6.
- 13 Eva Druey Just/Jean Nicolas Druey/Lukas Glanzmann, Gesellschafts- und Handelsrecht, 11. Aufl., Basel/Chur/Zürich 2014, § 27 Rz. 1 f.; Lukas Handschin, Papierlose Wertpapiere, Diss. Basel, Basel 1987, S. 11; Meier-Hayoz/von der Crone (Fn. 10), Kap. 1 Rz. 7.
- 14 Handschin (Fn. 13), S. 11.
- 15 Robert Furter, in: Heinrich Honsell/Peter Nedim Vogt/Rolf Watter (Hrsg.), Basler Kommentar Wertpapierrecht, Basel 2012 (zit. BSK Wertpapierrecht-Autor), Vor Art. 965–1155 Rz. 3; Peter Jäggi, Zürcher Kommentar Obligationenrecht – Die Wertpapiere, Zürich, 1959, Art. 965 Rz. 252 ff.; Meier-Hayoz/von der Crone (Fn. 10), Kap. 1 Rz. 9.
- 16 Meier-Hayoz/von der Crone (Fn. 10), Kap. 1 Rz. 7; so auch Handschin (Fn. 13), S. 14 f., der lediglich eine Festigkeit verlangt, die gross genug ist, die Urkunde bei korrekter Handhabung für die gewünschte Dauer zu erhalten.
- 17 BSK Wertpapierrecht-Furter (Fn. 15), Vor Art. 965–1155 Rz. 3; Hans Kuhn, in: Andreas Furrer/Anton K. Schnyder (Hrsg.), Handkommentar zum Schweizer Privatrecht – Obligationenrecht, 3. Aufl., Basel 2016 (zit. CHK OR-Autor), Art. 965 Rz. 20; ferner Claire Huguenin, Obligationenrecht, 2. Aufl., Zürich 2014, Rz. 349; CHK OR-Kut, Art. 13 Rz. 6; Ingeborg Schwenzer, in: Heinrich Honsell/Peter Nedim Vogt/Rolf Watter (Hrsg.), Basler Kommentar Obligationenrecht I, 6. Aufl., Basel 2015 (zit. BSK OR I-Autor), Art. 13 Rz. 14c; Wolfgang Wiegand/Christoph Hurni, in: Heinrich Honsell (Hrsg.), Kurzkommentar Obligationenrecht, Basel 2014, Art. 13 Rz. 5; Julia Xoudis, in: Luc Thévenoz/Franz Werro (Hrsg.), Commentaire Romand Code des Obligations I, 2. Aufl., Basel 2012, Art. 13 Rz. 6.
- 18 Gemäss Meier-Hayoz/von der Crone (Fn. 10), Kap. 1 Rz. 10, können Wertpapiere elektronisch ausgestellt werden, wenn eine Unterschrift nach dem ZertES angebracht wird.
- 19 Z.B. analog dem dual integration-Ansatz von MONAX, https://monax.io/explainers/dual_integration/.
- 20 Meier-Hayoz/von der Crone (Fn. 10), Kap. 1 Rz. 11 ff.
- 21 Wegleitung der FINMA (Fn. 4), S. 2 f.
- 22 Meier-Hayoz/von der Crone (Fn. 10), Kap. 1 Rz. 4, 19.
- 23 Meier-Hayoz/von der Crone (Fn. 10), Kap. 1 Rz. 20 ff.
- 24 Art. 967 Abs. 2 OR verlangt für die Übertragung von Namenpapieren eine schriftliche Erklärung. Somit ist die Qualifikation von Token als Namenpapiere unvorteilhaft, da die Übertragung von Token in Form von Namenpapieren der Schriftform bedarf.
- 25 Meier-Hayoz/von der Crone (Fn. 10), Kap. 2 Rz. 168.
- 26 Meier-Hayoz/von der Crone (Fn. 10), Kap. 1 Rz. 28, 169.
- 27 Gemäss Bärtschi könnte auch argumentiert werden, dass nur für die spätere Umwandlung von Wertpapieren in Wertrechte, aber nicht für die originäre Ausgabe eine Ermächtigung verlangt wird (vgl. Harald Bärtschi, in: Heinrich Honsell/Peter Nedim Vogt/Rolf Watter [Hrsg.], Basler Kommentar Bucheffektengesetz, Basel 2012 [zit. BSK BEG-Autor], Art. 6 Rz. 55).
- 28 BSK Wertpapierrecht-Pöschel/Maizar (Fn. 15), Art. 973b Rz. 9 m.w.H.
- 29 BSK Wertpapierrecht-Pöschel/Maizar (Fn. 15), Art. 973c Rz. 14.
- 30 BSK Wertpapierrecht-Pöschel/Maizar (Fn. 15), Art. 973c Rz. 17.
- 31 Wegleitung der FINMA (Fn. 4), S. 4.
- 32 BSK Wertpapierrecht-Pöschel/Maizar (Fn. 15), Art. 973c Rz. 37 f.
- 33 BSK Wertpapierrecht-Pöschel/Maizar (Fn. 15), Art. 973c Rz. 38; Wegleitung der FINMA (Fn. 4), S. 4.
- 34 BSK Wertpapierrecht-Furter (Fn. 15), Art. 967 Rz. 1; Meier-Hayoz/von der Crone (Fn. 10), Kap. 2 Rz. 183.
- 35 BSK Wertpapierrecht-Furter (Fn. 15), Art. 967 Rz. 3.
- 36 BGE 98 IV 241, 243.
- 37 Wolfgang Ernst, in: Heinrich Honsell/Nedim Peter Vogt/Thomas Geiser (Hrsg.), Basler Kommentar Zivilgesetzbuch II, 5. Auflage, Basel 2015 (zit. BSK ZGB II-Autor), Art. 922 Rz. 4 ff.; Barbara Lindenmann/Emil W. Stark, Berner Kommentar Zivilgesetzbuch – Der Besitz, 4. Aufl., Bern 2016 (zit. BK ZGB-Autor), Art. 922 Rz. 14 ff.
- 38 BSK Wertpapierrecht-Furter (Fn. 15), Art. 967 Rz. 6.
- 39 BGE 140 V 485 E. 4.1.
- 40 Für einen detaillierten Überblick vgl. Rolf H. Weber/Florent Thouvenin, Dateneigentum und Datenzugangsrechte – Bausteine der Informationsgesellschaft?, ZSR 2018 I 43 ff. m.w.V.; Eggen (Fn. 2), Kap. III.A.; zu Bitcoin Gabriela Hauser-Spühler/Luzius Meisser, Eigenschaften der Kryptowährung Bitcoin, digma 2018.1, S. 9.; eine Mindermeinung möchte Daten als Sachen qualifizieren (Martin Eckert, Digitale Daten als Wirtschaftsgut: digitale Daten als Sachen, SJZ 2016, S. 245 ff.; Ders., Digitale Daten als Wirtschaftsgut: Besitz und Eigentum an digitalen Daten, SJZ 2016, S. 265 ff.).
- 41 BK ZGB-Lindenmann/Stark (Fn. 37), Art. 914 Rz. 21.
- 42 Ruth Arnet/Paul Eitel, in: Peter Breitschmid/Alexandra Rumo-Jungo (Hrsg.), Handkommentar zum Schweizer Privatrecht – Sachenrecht, 2. Aufl., Basel 2016 (zit. CHK ZGB-Autor), Art. 924 Rz. 1.
- 43 Stephanie Hrubesch-Millauer/Barbara Graham-Siegenthaler/Vito Roberto, Sachenrecht, 5. Aufl., Bern/Luzern/St. Gallen 2017, Rz. 05.52.
- 44 Da der Besitzdiener nur mit Hilfe des Besitzers den Besitz ausüben kann; BGE 112 II 113 E. 4; BK ZGB-Lindenmann/Stark (Fn. 37), Art. 924 Rz. 12.
- 45 BGE 132 III 155 E. 4.1; Hrubesch-Millauer/Graham-Siegenthaler/Roberto (Fn. 43), Rz. 05.53; BK ZGB-Lindenmann/Stark (Fn. 37), Art. 924 Rz. 6 ff.
- 46 CHK ZGB-Arnet/Eitel (Fn. 42), Art. 924 Rz. 2.
- 47 BSK ZGB II-Ernst (Fn. 37), Art. 919 Rz. 8.
- 48 BSK ZGB II-Ernst (Fn. 37), Art. 919 Rz. 11.
- 49 Hrubesch-Millauer/Graham-Siegenthaler/Roberto (Fn. 43), Rz. 02.41.
- 50 BSK ZGB II-Ernst (Fn. 37), Art. 920 Rz. 2.
- 51 BK ZGB-Lindenmann/Stark (Fn. 37), Art. 919 Rz. 34 m.w.H.
- 52 Vgl. dazu vorne Rz. 3.
- 53 Martin Hess/Stepahnie Lienhard, Übertragung von Vermögenswerten auf der Blockchain, in: Jusletter 4. Dezember 2017, Rz. 58.
- 54 Positionspapier (Fn. 1), S. 13.
- 55 Gemäss Art. 3 BEG sind Bucheffekten vertretbare Forderungs- oder Mitgliedschaftsrechte gegenüber dem Emittenten. Zahlungs-Token verkörpern keine Forderungs- oder Mitgliedschaftsrechte, sondern sind reine «Zahlungsmittel».
- 56 Martin Hess/André Kalbermatter/Alexandra Weiss Voigt, in: Rolf Sethe/Olivier Favre/Martin Hess/Stefan Kramer/Ansgar Schott (Hrsg.), Schulthess Kommentar Finanzmarktinfrastrukturgesetz, Zürich 2017 (zit. SK FinfraG-Autor), Art. 81 Rz. 22.
- 57 Seraina Grünewald, Währungs- und geldwäschereirechtliche Fragen bei virtuellen Währungen, in: Rolf H. Weber/Florent Thouvenin (Hrsg.), Rechtliche Herausforderungen durch webbasierte und mobile Zahlungssysteme, ZIK – Publikationen aus dem Zentrum für Informations- und Kommunikationsrecht der Universität Zürich Band 61, Zürich 2015, 93 ff.
- 58 Vgl. BK-Weber, Art. 84 Rz. 53 ff.
- 59 SK FinfraG-Hess/Kalbermatter/Weiss Voigt (Fn. 56) Art. 81 Rz. 22.
- 60 Bericht des Bundesrates zu virtuellen Währungen in Beantwortung der Postulate Schwaab (13.3687) und Weibel (13.4070) vom 25. Juni 2014, S. 7, 10; Hauser-Spühler/ Meisser (Fn. 40), S. 6 f.; Martin Hess/Patrick Spielmann, Cryptocurrencies, Blockchain, Handelsplätze & Co. – Digitalisierte Werte unter Schweizer Recht, in: Thomas U. Reutter/Thomas Werlen (Hrsg.), Kapitalmarkttransaktionen XII, Zürich/Basel/Genf 2017, S. 32 f.
- 61 Vgl. Huguenin (Fn. 17), Rz. 2330, 2334.
- 62 Vgl. vorne Rz. 34 ff.
- 63 Vgl. vorne Rz. 3.
- 64 So auch Positionspapier (Fn.1), S. 16.
- 65 Vgl. UNCITRAL Model Law on Electronic Transferable Records von 2017 (http://www.uncitral.org/pdf/english/texts/electcom/MLETR_ebook.pdf).
- 66 Christoph Bauer, Parteiwechsel im Vertrag: Vertragsübertragung und Vertragsübergang, Zürich 2010, Rz. 203.
- 67 Bauer (Fn. 66), Rz. 227.
- 68 Bauer (Fn. 66), Rz. 236.
- 69 BSK BEG-Kunz (Fn. 27), Art. 4 Rz. 20.
- 70 BSK BEG-Kunz (Fn. 27), Art. 4 Rz. 24.
- 71 BSK OR I-Koller (Fn. 17), Art. 466 Rz. 4.