Jusletter IT

Eigentum an digitalen Daten im sachenrechtlichen Sinne

  • Author: Kevin MacCabe
  • Category: Articles
  • Region: Switzerland
  • Field of law: Data Protection, Property Law
  • Citation: Kevin MacCabe, Eigentum an digitalen Daten im sachenrechtlichen Sinne, in: Jusletter IT 26 September 2018
In today’s economy digital data is treated as an economic good. Despite the daily use of digital data, its legal qualification is not yet clear. A minority of Swiss legal doctrine proposes that the owner of digital data is granted property rights in the sense of the Civil Code. This paper intends to analyze this proposition from a property law point of view.

Inhaltsverzeichnis

  • I. Einleitung
  • A. Der Begriff des digitalen Datums
  • B. Der Begriff der Sache
  • II. Die sachenrechtliche Qualifikation von Daten
  • A. Folgen einer sachenrechtlichen Qualifikation von Daten
  • B. Ausgewählte Beispiele sachenrechtlicher Vorgänge
  • 1. Verfügungs- und Ausschliessungsrecht
  • 2. Tradition
  • 3. Verarbeitung
  • 4. Verbindung und Vermischung
  • 5. Ersitzung
  • III. Fazit

I.

Einleitung ^

A.

Der Begriff des digitalen Datums ^

[1]

Die Frage der rechtlichen Einordnung digitaler Daten wird derzeit lebhaft diskutiert.1 Sie ist zwar keineswegs neu2, hat aber aufgrund der Digitalisierung in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Eine fundierte Auseinandersetzung mit der Frage scheint aufgrund des rapiden Wandels hin zu einer digitalen Gesellschaft unvermeidbar. Die vorliegende Abhandlung soll einen Beitrag zur aktuellen Diskussion leisten.

[2]

Unter digitalen Daten versteht man «maschinenlesbar codierte Informationen».3 Der Inhalt der Daten spielt dabei keine Rolle. Es kann sich um Messdaten, Tondateien, Bilddateien oder ähnliches handeln.4 Entscheidend ist auch nicht, ob die Daten eine wissenschaftliche, wirtschaftliche oder private Bedeutung haben.5 Insbesondere beschränkt sich der Begriff nicht auf Personendaten im Sinne des DSG6 oder auf Daten, die in den Schutzbereich des Immaterialgüterrechts fallen.7 Diese von der Literatur sehr weit gefasste Definition des Datums lässt die Frage aufkommen, ob bzw. wie sich digitale Daten nach sachenrechtlichen Grundsätzen erfassen lassen. Die Frage bezieht sich auf das Datum im Sinne eines immateriellen Guts und nicht auf dessen konkrete Festlegung auf einem Datenträger.8

B.

Der Begriff der Sache ^

[3]

Zur Begründung von Eigentum an digitalen Daten ist erforderlich, dass diese als Sachen im Sinne des ZGB zu qualifizieren sind.9 Nach der h.L. handelt es sich bei Sachen um «unpersönliche, körperliche, für sich bestehende Gegenstände, die der menschlichen Herrschaft unterworfen werden können».10 Es ist augenfällig, dass beim Versuch einer Subsumption digitaler Daten unter den sachenrechtlichen Eigentumsbegriff die Frage der Körperlichkeit die grössten Schwierigkeiten bereitet. Dies ist auch der Grund dafür, dass die h.L. digitalen Daten die Sachqualität abspricht.11 Eine Mindermeinung stellt demgegenüber die herkömmliche Definition der Sache infrage.12

[4]

Eckert erblickt in der Möglichkeit, digitale Daten auf Datenträgern zu speichern, die «Brücke zum Sachenrecht».13 Nach der von ihm vertretenen Ansicht werden Daten durch das Speichermedium physisch greifbar und damit zu körperlichen Gegenständen.14 Ob die Körperlichkeit einer Sache überhaupt eine strikte Voraussetzung des Sachbegriffs ist, stellt er infrage. Diesbezüglich verweist er auf Art. 713 ZGB, wonach auch Naturkräfte – trotz fehlender Körperlichkeit – als Sachen gelten. Ausserdem seien absolute Rechte an unkörperlichen Vermögenswerten (bspw. Bucheffekten oder Immaterialgüterrechte) der schweizerischen Rechtsordnung nicht fremd.15 Eckert stützt seine These insbesondere auf Wiegand16, welcher von einer «funktionalen Ausrichtung des Sachbegriffs» ausgeht und dabei auch «Modifikationen des tradierten Sachbegriffs» in Kauf nimmt.

[5]

Graham-Siegenthaler/Furrer analysieren die Frage des Eigentumsrechts an digitalen Daten auf der Blockchain am Beispiel von Bitcoin.17 Sie stellen sich dabei auf den Standpunkt, dass Bitcoins sich an die Grundprinzipien des Sachenrechts hielten. So sei bspw. aufgrund der Öffentlichkeit der Blockchain die Einhaltung des Publizitätsprinzips gewährleistet. Auch das Prinzip der Alterspriorität werde durch die chronologische Aneinanderreihung der Blocks eingehalten.18 Auch Graham-Siegenthaler/Furrer verweisen ferner auf den funktionalen Sachbegriff von Wiegand und weisen auf das österreichische Sachenrecht und die vom französischen Recht beeinflussten Kodifikationen hin, welche keine Einschränkung auf körperliche Sachen kennen.19

[6]

Im Folgenden wird diese neuere Tendenz in der Lehre, bei digitalen Daten auf das Erfordernis der Körperlichkeit einer Sache zu verzichten, einer Würdigung unterzogen. Dabei gilt es zu prüfen, welche Folgen eine Unterstellung digitaler Daten unter das Sachenrecht zeitigen würde und ob diese als sachgerecht erscheinen.

II.

Die sachenrechtliche Qualifikation von Daten ^

A.

Folgen einer sachenrechtlichen Qualifikation von Daten ^

[7]

Eine sachenrechtliche Qualifikation digitaler Daten hätte zur Folge, dass grds. sämtliche Bestimmungen über das Eigentum auch auf digitale Daten Anwendung fänden. Der Kern des Eigentumsrechts ist das Verfügungs- und Ausschliessungsrecht gemäss Art. 641 Abs. 1 und 2 ZGB.20 Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der positiven und negativen Seite des Eigentums.21 Der Eigentümer von Daten hätte das Recht, über diese frei zu verfügen, die Daten zu vernichten oder zu vervielfältigen.22 Im Rahmen des Ausschliessungsrechts könnte der «Dateneigentümer» seine Daten von jedem, der sie ihm vorenthält, herausverlangen.23 Dieses Ausschliessungsrecht soll bei digitalen Daten noch um einen Löschungsanspruch ergänzt werden.24 Könnte der Unberechtigte die digitalen Daten behalten, würde der Normzweck von Art. 641 ZGB ins Leere laufen. Des Weiteren wären wohl die Bestimmungen über das Fahrniseigentum anwendbar. Zu denken ist bspw. an die Bestimmungen über den Erwerb des Eigentums mittels Tradition (Art. 714 ZGB), Verarbeitung (Art. 726 ZGB), Verbindung und Vermischung (Art. 727 ZGB) oder Ersitzung (Art. 728 ZGB).25

B.

Ausgewählte Beispiele sachenrechtlicher Vorgänge ^

[8]

Im Folgenden wird anhand von Beispielen geprüft, ob die Anwendung sachenrechtlicher Bestimmungen auf digitale Daten zu sachgerechten Lösungen führt. Die folgende Auflistung beinhaltet nur einige Beispiele und erhebt nicht den Anspruch auf eine umfassende Darstellung des «digitalen Sachenrechts». Es wird – sofern nicht anders vermerkt – von digitalen Daten ausgegangen, die nicht in den Schutzbereich anderer Normen fallen. Handelt es sich bspw. um Personendaten im Sinne des DSG oder um Fabrikations- und Geschäftsgeheimnisse im Sinne des UWG26, passt die unten vorgenommene Würdigung möglicherweise nicht.27

[9]

Zunächst wird die Anwendung des sachenrechtlichen Verfügungs- und Ausschliessungsrechts (Art. 641 Abs. 1 und 2 ZGB) auf digitale Daten untersucht. Anschliessend werden die Bestimmungen über die Tradition (Art. 714 ZGB), die Verarbeitung (Art. 726 ZGB), die Verbindung und Vermischung (Art. 727 ZGB) und die Ersitzung (Art. 728 ZGB) einer Würdigung unterzogen.

1.

Verfügungs- und Ausschliessungsrecht ^

[10]

Das Verfügungsrecht betrifft die positive Seite des Eigentums.28 Es berechtigt den Eigentümer gemäss Art. 641 Abs. 1 ZGB, nach Belieben über sein Eigentum zu verfügen. Das Verfügungsrecht beinhaltet insbesondere das Recht, die Sache an einen anderen zu übertragen (rechtliche Verfügung) oder zu vernichten (tatsächliche Verfügung).29 Daten stellen heutzutage unbestrittenermassen Wirtschaftsgüter dar und werden in der Rechtspraxis zumindest teilweise bereits als verfügungsfähiges Eigentum in diesem Sinne behandelt.30 Insbesondere können Daten gekauft, getauscht und verschenkt werden.31 Daten können durch deren Inhaber auch beliebig gelöscht werden, sofern keine Aufbewahrungspflicht besteht.32 Insoweit bereitet die positive Seite des Eigentumsrechts übertragen auf digitale Daten kaum rechtliche Schwierigkeiten. Komplexer gestaltet sich das Ausschliessungsrecht des Eigentümers, welches sich aus der Absolutheit des Eigentums ergibt.33

[11]

Das Ausschliessungsrecht betrifft die negative Seite des Eigentums.34 Der Eigentümer hat gemäss Art. 641 Abs. 2 ZGB das Recht, die Sache von jedem, der sie ihm vorenthält, herauszuverlangen und jede ungerechtfertigte Einwirkung abzuwehren. In diesem Sinne kann auch der «Eigentümer» digitaler Daten ein Interesse daran haben, deren Herausgabe gerichtlich durchzusetzen, sollten sie ihm vorenthalten werden.35 Weil digitale Daten beliebig kopierbar sind, wird der Normzweck von Art. 641 Abs. 2 ZGB durch die blosse Herausgabepflicht jedoch nicht erreicht. Es wird daher vorgeschlagen, den Herausgabeanspruch um einen Löschungsanspruch zu ergänzen.36

[12]

Dem Interesse des «Eigentümers» an der ausschliesslichen Herrschaft über seine Daten steht das Interesse der Allgemeinheit am Zugang zu Daten gegenüber.37 Eine zu starke Einschränkung des Datenzugangs könnte nämlich die informationelle Grundversorgung gefährden und so eine Zweiklassengesellschaft von Informierten und Nicht-Informierten hervorrufen.38 Die Ausgestaltung digitaler Daten als absolut geschützte Rechtsgüter hätte in dieser Form wohl unüberschaubar weitreichende Konsequenzen.39 Zum einen, weil der Begriff der Daten sehr weit gefasst ist, zum anderen, weil das absolute Recht jedermann ausser den «Eigentümer» von Besitz und Nutzung ausschliesst. Daten sind nicht-rivalisierende Güter. Das bedeutet, dass die Nutzung von Daten durch eine Person deren Nutzung durch andere Personen nicht beeinträchtigt.40 Ein absolutes Ausschliessungsrecht ist aufgrund dieses nicht-rivalisierenden Charakters nicht gerechtfertigt.41 Der fehlende absolute Schutz digitaler Daten stellt m.E. keine echte Gesetzeslücke im Sinne von Art. 1 Abs. 2 ZGB, sondern ein qualifiziertes Schweigen dar.42 Dem Einwand von Hess-Odoni, es könne sich nur um eine echte Gesetzeslücke handeln, da der historische Gesetzgeber eindeutig in Unkenntnis legiferiert habe, kann nicht gefolgt werden. Zwar trifft es zu, dass sich dem Gesetzgeber bei Inkrafttreten des Zivilgesetzbuchs die Frage der sachenrechtlichen Einordnung digitaler Daten nicht stellen konnte. Festzustellen ist jedoch, dass der Gesetzgeber auch bei der Kodifikation der Immaterialgüterrechte auf den unbedingten Schutz sämtlicher digitaler Daten verzichtet hat, obschon digitale Daten im Zeitpunkt der Inkraftsetzung des Urheberrechts-43 oder des Datenschutzgesetzes im Jahre 1993 bereits existiert haben. Der Gesetzgeber hat also nicht in Unkenntnis legiferiert, sondern bewusst eine Selektion vorgenommen und restriktiv festgelegt, welche immateriellen Güter Gegenstand absoluter Rechte sein sollen und welche nicht.44

[13]

Die Ausstattung digitaler Daten mit erga omnes-Wirkung würde ausserdem zu einem Wertungswiderspruch zum Immaterialgüterrecht führen.45 Das mit dem Eigentum verbundene Ausschliessungsrecht ist unverjährbar.46 Immaterialgüter dagegen sind nur befristet geschützt.47 Auch der Schutzumfang der Immaterialgüterrechte reicht typischerweise weniger weit als im Sachenrecht. Der Eigentümer einer Sache kann grds. jede Einwirkung verbieten.48 Dem Immaterialgüterrecht sind jedoch gewisse Schranken auferlegt. Nicht in den Schutzbereich des URG bzw. des PatG49 fallen bspw. der Eigengebrauch von urheberrechtlich geschützten Werken oder die Nutzung von Patenten zu Forschungszwecken.50 Es ist nicht einzusehen, weshalb Daten, die nicht die Eigenschaft eines Werks oder einer Erfindung aufweisen, zeitlich und inhaltlich umfassenderen Schutz geniessen sollen als Daten, die solche Eigenschaften besitzen. Die Anwendung des sachenrechtlichen Ausschliessungsrechts auf digitale Daten erscheint daher nicht sachgerecht.

2.

Tradition ^

[14]

Art. 714 ZGB regelt den Eigentumserwerb an Fahrnis durch Übertragung. Der Eigentumserwerb setzt die Übergabe des Besitzes sowie einen gültigen Rechtsgrund voraus.51 Die Übertragung des Besitzes erfolgt durch Übertragung der Sachherrschaft.52 Diese wird dadurch erlangt, dass der Empfänger die Daten in seinem Herrschaftsbereich abspeichert.53 Eine derartige Übertragung der Sachherrschaft ist bei Daten ohne weiteres möglich. Zu denken ist bspw. an die Abspeicherung von Daten auf einem mobilen Datenträger (USB-Stick) oder an das Herunterladen von Daten aus dem Internet. Der Unterschied zu körperlichen Sachen liegt hier darin, dass der Übertragende regelmässig nur eine Kopie überträgt.54 Das ändert jedoch nichts daran, dass der Erwerber nach der Übertragung die tatsächliche Herrschaft über seine Kopie ausüben kann. Art. 714 ZGB könnte daher auch auf digitale Daten angewandt werden.

3.

Verarbeitung ^

[15]

Die Verarbeitung im Sinne von Art. 726 ZGB regelt das Eigentumsrecht an einer fremden Sache, welche jemand verarbeitet oder umgebildet hat. Als Zuordnungskriterium dient die Kostbarkeit. Ist die Arbeit kostbarer als der Stoff, gehört die Sache dem Verarbeiter. Ist der Stoff kostbarer als die Arbeit, gehört sie dem Eigentümer des Stoffs.55 Der Gesetzgeber regelt damit den Interessenkonflikt zwischen Eigentümer und Verarbeiter.56 Der Interessenkonflikt liegt darin, dass zwei Personen in irgendeiner Form (Arbeit oder Material) in eine Sache investiert haben, die Sache aber nur einer Person vollumfänglich gehören kann. Ein solcher Konflikt kann sich bei digitalen Daten nicht ergeben. Daten sind i.d.R. beliebig kopierbar. Soll in diesem Fall nur eine Person das «Eigentum» an den verarbeiteten Daten erhalten? Anstatt den dadurch entstehenden Rechtsverlust einer Partei über das Schadenersatz- und Bereicherungsrecht nach Art. 726 Abs. 3 ZGB auszugleichen, wäre es m.E. sinnvoller, beiden Parteien das «Eigentum» an einer Kopie der Daten zu gewähren. Damit liesse sich ein Rechtsverlust verhindern. Nicht auszuschliessen ist allerdings, dass es auch in diesem Fall noch zu einem obligatorischen Ausgleichsanspruch kommen kann. Zu denken ist bspw. an den Fall, in welchem an sich fast wertlose Rohdaten so verarbeitet werden, dass sie für deren «Eigentümer» einen erheblichen Mehrwert aufweisen.57 In diesem Fall kann der Verarbeiter einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung geltend machen. Aufgrund der Tatsache, dass durch eine Kopie der Daten ein vollständiger Rechtsverlust einer Partei vermieden werden kann, dürften die obligatorischen Ausgleichsansprüche jedoch niedriger ausfallen, als bei einer Zuweisung der Daten an nur eine Partei. Gerade aufgrund dieser in Art. 726 ZGB vorgesehenen Zuweisung, eignet sich die Regel m.E. nicht für die Anwendung auf digitale Daten.58

4.

Verbindung und Vermischung ^

[16]

Art. 727 ZGB regelt das Eigentumsrecht an einer Sache, die durch Verbindung und Vermischung zweier Sachen unterschiedlicher Eigentümer entstanden ist. Das zur Verarbeitung Gesagte trifft m.E. im Wesentlichen auch auf die Verbindung und Vermischung zu. Der Interessenkonflikt ist hier ganz ähnlich gelagert und wird durch die Begründung von Miteigentum bzw. bei nebensächlichen Bestandteilen über einen obligatorischen Ausgleichsanspruch geregelt.59 Auch hier stellt sich die Frage, ob es nicht sachgerechter wäre, beiden Parteien das «Alleineigentum» an einer Kopie der Daten einzuräumen. M.E. überzeugt die sachenrechtliche Regelung von Art. 727 ZGB für digitale Daten wiederum nicht.60

5.

Ersitzung ^

[17]

Die in Art. 728 ZGB geregelte Ersitzung von Fahrnissachen regelt den Eigentumserwerb desjenigen, der eine Sache ununterbrochen und unangefochten während fünf Jahren gutgläubig besessen hat.61 Durch die Ersitzung verliert der bisherige Eigentümer seine Berechtigung an der Sache.62 Mit dieser Regelung soll verhindert werden, dass die tatsächliche und die rechtliche Sachherrschaft unbegrenzt auseinanderklaffen.63 Die Regel, dass der gutgläubige Besitz nach einer gewissen Dauer nicht mehr angefochten werden kann, scheint auch bei digitalen Daten sachgerecht: Wer über fünf Jahre ununterbrochen und unangefochten gutgläubig im «Besitz» von Daten war, soll keine sachenrechtlichen Abwehransprüche seines Vorgängers mehr befürchten müssen. Nicht einleuchten will dagegen, dass der bisher Berechtigte sein Recht vollumfänglich verliert. Vielmehr ist es auch hier angezeigt, beiden Parteien das Recht an einer Kopie der Daten einzuräumen. Die Ersitzung würde diesfalls lediglich bewirken, dass der bisherige «Eigentümer» das Ausschliessungsrecht – insbesondere den oben diskutierten Löschungsanspruch – in Bezug auf die Datenkopie des Ersitzers verlöre. Die Anwendung von Art. 728 ZGB auf digitale Daten ist m.E. aufgrund des umfassenden Rechtsverlusts des bisherigen «Eigentümers» nicht sachgerecht.64

III.

Fazit ^

[18]

Die obigen Ausführungen erhärten den Befund, dass digitale Daten keine Sachen im Sinne des Zivilgesetzbuchs sind. Der Grund dafür liegt allerdings nicht primär in der fehlenden Körperlichkeit. Graham-Siegenthaler/Furrer weisen zurecht auf Ausnahmen wie die selbständigen und dauernden Rechte in Art. 655 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB oder die Naturkräfte in Art. 713 ZGB hin.65 Die Beispiele zeigen, dass durchaus auch unkörperliche Gegenstände als Sachen gelten können. Nach Wiegand ist dies eine Frage der Verkehrsauffassung.66 Trotzdem liegt der Unterschied zwischen diesen Beispielen und digitalen Daten auf der Hand: Daten sind nicht-rivalisierende Güter.67 Dies trifft auf Naturkräfte nicht zu. Nutzt jemand bspw. Strom, sind andere von der Nutzung desselben Stroms ausgeschlossen. Dasselbe gilt für die selbständigen und dauernden Rechte. Ist jemand bspw. Inhaber eines Baurechts und übt er sein Recht durch Errichtung einer Baute aus, ist ausgeschlossen, dass jemand an derselben Stelle ebenfalls eine Baute errichtet.

[19]

Dass das blosse Abstellen auf das Merkmal der Körperlichkeit nicht zielführend ist, zeigt auch ein Blick in die Naturrechtskodifikation unseres Nachbarlandes. § 285 ABGB68 nennt die Körperlichkeit nicht als Voraussetzung des Sachbegriffs.69 Auch elektronisch gespeicherte Daten sind daher darunter zu subsumieren.70 Damit sind all die hier aufgezeigten Schwierigkeiten allerdings nicht beseitigt. Obwohl digitale Daten nach österreichischem Recht als Sachen gelten, sind sie nicht per se sachenrechtlich geschützt. Schutz geniessen sie nur insofern, als der Schutz gesetzlich angeordnet ist – bspw. durch das Datenschutz-, Urheber-, oder Patentrecht.71 Die Rechtslage ist damit, trotz des fehlenden Erfordernisses der Körperlichkeit, vergleichbar mit der schweizerischen.

[20]

Wie in diesem Beitrag dargelegt wurde, sind die Bestimmungen über den Erwerb des Eigentums durch Verarbeitung, Verbindung und Vermischung und Ersitzung nicht auf digitale Daten zugeschnitten. Darüber hinaus ist die Anwendung des sachenrechtlichen Ausschliessungsrechts nicht nur ungeeignet, sondern führt zu Wertungswidersprüchen zum bestehenden Immaterialgüterrecht. Einzig das sachenrechtliche Verfügungsrecht und die damit verbundene Tradition scheinen für die Anwendung auf digitale Daten geeignet. Die damit bezweckte Wirkung – die Übertragung digitaler Daten an einen anderen – kann jedoch ohne weiteres mittels Vertragsrechts erreicht werden.72 Digitale Daten mit erga omnes-Wirkung im Sinne des Sachenrechts sind dazu nicht erforderlich.


Kevin MacCabe, MLaw, Advokat, Doktorand und wissenschaftlicher Assistent an der Universität Basel

 

Ich danke Frau MLaw Vera Vallone, Advokatin, und Herrn Dr. Nicola Moser, Advokat, für die kritische Lektüre dieses Beitrags.

  1. 1 Vgl. Yaniv Benhamou/Laurent Tran, Circulation des biens numériques: de la commercialisation à la portabilité des données, sic! 2016, 571 ff.; Martin Eckert, Digitale Daten als Wirtschaftsgut: digitale Daten als Sache, SJZ 112/2016, 245 ff.; Ders., Digitale Daten als Wirtschaftsgut: Besitz und Eigentum an digitalen Daten, SJZ 112/2016, 265 ff.; Gianni Fröhlich-Bleuler, Eigentum an Daten?., in: Jusletter 6. März 2017; Barbara Graham-Siegenthaler/Andreas Furrer, The Position of Blockchain Technology and Bitcoin in Swiss Law, in: Jusletter 8. Mai 2017; François Pillier, Virtuelle Währungen – Reale Rechtsprobleme?, AJP 2016, 1426 ff.; Florent Thouvenin, Wem gehören meine Daten? Zu Sinn und Nutzen einer Erweiterung des Eigentumsbegriffs, SJZ 113/2017, 21 ff.; Florent Thouvenin/Alfred Früh/Alexandre Lombard, Eigentum an Sachdaten: Eine Standortbestimmung, SZW 2017, 25 ff; Rolf H. Weber/Florent Thouvenin, Dateneigentum und Datenzugangsrechte – Bausteine der Informationsgesellschaft?, ZSR 137/2018 I, 43 ff.; Herbert Zech, Daten als Wirtschaftsgut – Überlegungen zu einem «Recht des Datenerzeugers, CR 2015, 137 ff., 138.
  2. 2 Siehe z.B. den etwas älteren Beitrag von Urs Hess-Odoni, Die Herrschaftsrechte an Daten, in: Jusletter 17. Mai 2004.
  3. 3 Zech (Fn 1), CR 2015, 138; ebenso Eckert (Fn 1), SJZ 2016, 247. Nach Hess-Odoni (Fn 2), Rz 3, handelt es sich bei Daten um «diskrete Informationen, die in irgendeinem Medium (Sprache, mathematische Formeln usw.) und in irgendeiner Technik (alle Schriftformen, alle elektronischen Angaben usw.) ausgedrückt sind».
  4. 4 Eckert (Fn 1), SJZ 2016, 247; vgl. auch Hess-Odoni (Fn 2), Rz 3.
  5. 5 Hess-Odoni (Fn 2), Rz 3.
  6. 6 Bundesgesetz über den Datenschutz vom 19. Juni 1992, SR 235.1.
  7. 7 Eckert (Fn 1), SJZ 2016, 247; Thouvenin/Früh/Lombard (Fn 1), SZW 2017, 26.
  8. 8 Vgl. Thouvenin (Fn 1), SJZ 2017, 28 ff., der eine Unterscheidung zwischen den Daten als immaterielle Güter und der «konkreten Festlegung der Daten in einer physikalisch existenten Form» macht.
  9. 9 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907, SR 210.
  10. 10 Ruth Arnet, Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 3. A., Zürich 2016 (zit. CHK-Arnet), Art. 641 ZGB N 6; Arthur Meier-Hayoz, Berner Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Systematischer Teil und Allgemeine Bestimmungen, Art. 641 – 654 ZGB, 5. A., Bern 1981 (zit. BK-Meier-Hayoz), Sytem. Teil N 115; Heinz Rey, Die Grundlagen des Sachenrechts und das Eigentum, 3. A., Bern 2007, Rz 66; Jörg Schmid/Bettina Hürlimann-Kaup, Sachenrecht, 5. A., Zürich/Basel/Genf 2017, Rz 4; Thomas Sutter-Somm, Schweizerisches Privatrecht V/1, Besitz und Eigentum, 2. A., Basel 2014, N 16; Peter Tuor/Bernhard Schnyder/Jörg Schmid/Alexandra Jungo, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 14. A., Zürich 2015, 1001; wolfgang wiegand, in: Heinrich Honsell/Nedim Peter Vogt/Thomas Geiser (Hrsg.), Zivilgesetzbuch II, Basler Kommentar, 5. A., Basel 2015, (zit. BSK ZGB II-Wiegand), Vor. Art. 641 ff. N 6.
  11. 11 Benhamou/Tran (Fn 1), sic! 2016, 575; Fröhlich-Bleuler (Fn 1), Rz 30; Hess-Odoni (Fn 2), Rz 7; Daniel Hürlimann/Herbert Zech, Rechte an Daten, sui-generis 2016, 89, 92; Michel Kähr, Orell Füssli Kommentar, 3. A., Zürich 2016 (zit. OFK-Kähr), Art. 641 ZGB N 3; Oliver Kälin, Der Sachbegriff im schweizerischen Zivilgesetzbuch, Diss. Zürich 2002, 182 ff.; a.A. Eckert (Fn 1), 248 ff.; Graham-Siegenthaler/Furrer (Fn 1), Rz 44, in Bezug auf Bitcoins.
  12. 12 Vgl. Eckert (Fn 1), 248 ff.; Graham-Siegenthaler/Furrer (Fn 1), Rz 44, in Bezug auf Bitcoins.
  13. 13 Eckert (Fn 1), SJZ 2016, 248.
  14. 14 Eckert (Fn 1), SJZ 2016, 248.
  15. 15 Eckert (Fn 1), SJZ 2016, 248.
  16. 16 BSK-Wiegand ZGB II (Fn 10), Vor. Art. 641 ff. N 6.
  17. 17 Furrer/Graham-Siegenthaler (Fn 1), Rz 40 ff; ebenso Benedikt Seiler/Daniel Seiler, Sind Kryptowährungen wie Bitcoin (BTC), Ethereum (ETH) und Ripple (XRP) als Sachen im Sinne des ZGB zu behandeln?, sui-generis 2018, 149 ff.
  18. 18 Furrer/Graham-Siegenthaler (Fn 1), Rz 42 ff.
  19. 19 Furrer/Graham-Siegenthaler (Fn 1), Rz 55.
  20. 20 Rey (Fn 10), Rz 573, 1084 ff.; Schmid/Hürlimann-Kaup (Fn 10), Rz 656; Tuor/Schnyder/Schmid/Jungo (Fn 10), 1084.
  21. 21 Rey (Fn 10), Rz 574 ff.; Tuor/Schnyder/Schmid/Jungo (Fn 10), 1084.
  22. 22 Eckert (Fn 1), SJZ 2016, 271; Hess-Odoni (Fn 2), Rz 38 ff.
  23. 23 Eckert (Fn 1), SJZ 2016, 272; Hess-Odoni (Fn 2), Rz 39.
  24. 24 Hess-Odoni (Fn 2), Rz 40; ebenso Eckert (Fn 1), SJZ 2016, 272; dazu unten II.B.1
  25. 25 Eckert (Fn 1), SJZ 2016, 268.
  26. 26 Bundegesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 19. Dezember 1986, SR 241.
  27. 27 Insbesondere die Lösung, jeder Partei eine Kopie der Daten zu überlassen, überzeugt in diesen Konstellationen nicht in jedem Fall.
  28. 28 Rey (Fn 10), Rz 574 ff.; Tuor/Schnyder/Schmid/Jungo (Fn 10), 1084.
  29. 29 Sutter-Somm (Fn 10), N 33 ff.; Tuor/Schnyder/Schmid/Jungo (Fn 10), 1084.
  30. 30 Eckert (Fn 1), SJZ 2016, 245 f.; Thouvenin (Fn 1), SJZ 2017, 24; Weber/Thouvenin (Fn 1), 51.
  31. 31 Eckert (Fn 1), SJZ 2016, 246; Thouvenin/Früh/Lombard (Fn 1), SZW 2017, 30.
  32. 32 Vorausgesetzt ist, dass die Daten auch wirklich durch deren Inhaber und nicht unbefugt im Sinne von Art. 144bis StGB gelöscht werden. Aufbewahrungspflichten sind bspw. in Art. 958f OR oder Art. 106 FinfraG vorgesehen.
  33. 33 Rey (Fn 10), Rz 578.
  34. 34 Tuor/Schnyder/Schmid/Jungo (Fn 10), 1087.
  35. 35 Hess-Odoni (Fn 2), Rz 39; Eckert (Fn 1), SJZ 2016, 272; Weber/Thouvenin (Fn 1), 57.
  36. 36 Hess-Odoni (Fn 2), Rz 40; ebenso Eckert (Fn 1), SJZ 2016, 272.
  37. 37 Harald Bärtschi, Verabsolutierte Relativität, Die Rechtsstellung des Dritten im Umfeld von Verträgen, Zürich 2009, 60; Weber/Thouvenin (Fn 1), 65.
  38. 38 Rolf H. Weber/Reto M. Hilty, Daten und Datenbanken – Rechtsfragen zu Schutz und Nutzung, Zürich 1999, 61.
  39. 39 Vgl. Weber/Thouvenin (Fn 1), 73.
  40. 40 Thouvenin (Fn 1), SJZ 2017, 24.
  41. 41 Thouvenin/Früh/Lombard (Fn 1), SZW 2017, 28; Zech (Fn 1), CR 2015, 139.
  42. 42 A.A. Hess-Odoni (Fn 2), Rz 34 ff.
  43. 43 Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte vom 9. Oktober 1992, SR 231.1.
  44. 44 Kamen Troller, Grundzüge des schweizerischen Immaterialgüterrechts, 2. A., Basel/Genf/München 2005, 27; vgl. auch Markus Kaiser/David Rüetschi, Immaterialgüterrecht in a nutshell, 3. A., Zürich 2018, 3 f.
  45. 45 Vgl. Fröhlich-Bleuler (Fn 1), Rz 28 f.
  46. 46 Sutter-Somm (Fn 10), N 63; BSK-Wiegand ZGB II (Fn 10), Art. 641 N 54.
  47. 47 Kaiser/Rüetschi (Fn 43), 8; Eugen Marbach/Patrik Ducrey/Gregor Wild, Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, 4. A., Bern 2017, Rz 222, 378; Troller (Fn 44), 31 ff.
  48. 48 Pascal Simonius/Thomas Sutter, Schweizerisches Immobiliarsachenrecht, Bd. I, Grundlagen, Grundbuch und Grundeigentum, Basel 1995, 390; BSK-Wiegand ZGB II (Fn 10), Art. 641 N 64.
  49. 49 Bundesgesetz über die Erfindungspatente vom 25. Juni 1954, SR 232.14.
  50. 50 Kaiser/Rüetschi (Fn 44), 41 ff., 121; Marbach/Ducrey/Wild (Fn 47), Rz 199, 344.
  51. 51 Sutter-Somm (Fn 10), N 935 ff.; Tuor/Schnyder/Schmid/Jungo (Fn 10), 1175 ff.
  52. 52 Sutter-Somm (Fn 10), N 1161; Tuor/Schnyder/Schmid/Jungo (Fn 10), 1008.
  53. 53 Eckert (Fn 1), SJZ 2016, 270.
  54. 54 Eckert (Fn 1), SJZ 2016, 269.
  55. 55 Sutter-Somm (Fn 10), N 1096; Tuor/Schnyder/Schmid/Jungo (Fn 10), 1184.
  56. 56 Robert Haab/August Simonius/Werner Scherrer/Dieter Zobl, Zürcher Kommentar, Zivilgesetzbuch, Art. 641 – 729, Das Eigentum, 2. A., Zürich 1977 (zit. ZK-Haab/Simonius/Scherrer/Zobl), Art. 726 N 1.
  57. 57 Flurina Hitz, Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 3. A., Zürich 2016 (zit. CHK-Hitz), Art. 726 ZGB N 15 zur Wertsteigerung der Sache.
  58. 58 A.A. Eckert (Fn 1), SJZ 2016, 268.
  59. 59 CHK-Hitz (Fn 57), Art. 727 N 18 ff; Tuor/Schnyder/Schmid/Jungo (Fn 10), 1185.
  60. 60 So wohl auch Hess-Odoni (Fn 2), Rz 27; a.A. Eckert (Fn 1), SJZ 2016, 268.
  61. 61 CHK-Hitz (Fn 57), Art. 728 N 6 ff.; Sutter-Somm (Fn 10), N 1125 ff; Tuor/Schnyder/Schmid/Jungo (Fn 10), 1186.
  62. 62 ZK-Haab/Simonius/Scherrer/Zobl (Fn 56), Art. 728 ZGB N 1; Sutter-Somm (Fn 10), N 1142.
  63. 63 CHK-Hitz (Fn 57), Art. 728 N 1; Sutter-Somm (Fn 10), N 1119.
  64. 64 A.A Eckert (Fn 1), SJZ 2016, 268.
  65. 65 Furrer/Graham-Siegenthaler (Fn 1), Rz 51.
  66. 66 BSK-Wiegand ZGB II (Fn 10), Vor. Art. 641 ff. N 6.
  67. 67 Fraglich ist allerdings, wie Kryptowährungen diesbezüglich einzuordnen sind. Vgl. dazu Seiler/Seiler (Fn 17), Rz 29.
  68. 68 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch für die gesamten deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie vom 1. Juni 1811 (ABGB).
  69. 69 Christian Holzner, in: Peter Rummel/Meinhard Lukas (Hrsg.) Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, Teilband §§ 285–446 ABGB, Wien 2016, § 292 ABGB N 2; Martina Kisslinger, in: Klang-Kommentar, 3. A., Wien 2011, § 292 ABGB N 4.
  70. 70 Holzner (Fn 69), § 285 ABGB N 4.
  71. 71 Holzner (Fn 69), § 285 ABGB N 4.
  72. 72 Andreas Wiebe, Protection of industrial data – a new property right for the digital economy?, GRUR Int. 2016, 877 ff., 884 für den B2B-Bereich.