Jusletter IT

Schwerpunkt «Elektronische Rechtsetzung»

  • Author: Günther Schefbeck
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: E-Government
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2018
  • Citation: Günther Schefbeck, Schwerpunkt «Elektronische Rechtsetzung», in: Jusletter IT 22 February 2018
Entsprechend dem zweigeteilten Generalthema von IRIS 2018, «Legal Tech»/Datenschutz, widmet sich der Workshop informationstechnischen Anwendungen, die der Unterstützung der Rechtsetzung dienen, und zwar sowohl mit Perspektive auf ihre Gegenstände als auch auf ihr Verfahren. In Abwandlung des thematischen Begriffs «Legal Tech» können solche Anwendungen unter dem Begriff «Legislative Tech» zusammengefasst werden. Darüber hinaus wird anhand der Datenschutzpraxis des österreichischen Parlaments auch auf den zweiten Aspekt des Generalthemas Bezug genommen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Die Themenstellung
  • 2. Die Beiträge
  • 2.1. Rechtsetzung im Spannungsfeld von Rechtsetzungstechnik und Informationstechnik (Günther Schefbeck)
  • 2.2. Datensicherheit und Datenschutz im parlamentarischen Prozess (Wolfgang Engeljehringer)
  • 2.3. Juristische Chatbots und ihre Verwendung in der Rechtsetzung (Hannes Stefko)
  • 2.4. The Impact of Advanced IT systems on Policy- and Law-making (Tom van Engers)
  • 2.5. Akoma Ntoso for Accessibility of FAO Resolutions (Monica Palmirani)
  • 2.6. Engaging Deliberative Systems for Citizens Deliberating about European Directives and Regulations (Luca Cervone/Monica Palmirani)

1.

Die Themenstellung ^

[1]
«Elektronische Rechtsetzung» steht zum einen für die informationstechnische Unterstützung von Rechtsetzungsprozessen – also von hochformalisierten Geschäftsprozessen, die durch verfassungs- und verfahrensrechtliche Regeln gesteuert werden, welche eine tief in die Papierkultur zurückreichende Tradition aufweisen –, zum anderen für neue Umgebungen, in denen sich Rechtsetzung vollzieht, und zwar nicht nur technische, sondern auch soziale Umgebungen, die durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien geprägt sind. Österreich nimmt in der elektronischen Rechtsetzung im europäischen Rahmen eine Vorreiterrolle ein; umso mehr erscheint es geboten, die jeweils aktuellen Entwicklungen zu beobachten und zur Grundlage für den weiteren Ausbau legistikspezifischer Anwendungen zu machen. Aus diesem Grund richtet der Workshop «Elektronische Rechtsetzung» den Blick über die Grenzen – über die Grenzen Österreichs, vor allem aber auch über die Grenzen der heute operativen Systeme.
[2]
Der Perspektive auf eine weiter wachsende Bedeutung der neuen Technologien für die Unterstützung der Dynamik des normativen Systems entsprechend, widmet sich bereits zum elften Mal im Rahmen des IRIS ein Schwerpunkt dem Thema «Elektronische Rechtsetzung». Der erste Workshop dieser Art, im Jahr 2008, hat das Hauptaugenmerk auf elektronische Anwendungen zur Unterstützung zivilgesellschaftlicher Partizipation im Rechtsetzungsprozess gerichtet. Im Mittelpunkt des zweiten Workshop, im Jahr 2009, sind die neuen Ansätze des Wissensmanagement und insbesondere der semantischen Technologien in ihrer Anwendbarkeit auf den Rechtsetzungsprozess gestanden. Der dritte Workshop, im Jahr 2010, hat sich besonders mit der Frage auseinandergesetzt, welche Anforderungen an die Gestaltung legistischer Arbeitsumgebungen zu richten sind und wie solche Umgebungen künftig beschaffen sein könnten. Im Rahmen des vierten Workshop, im Jahr 2011, ist die Beschäftigung mit diesem Thema fortgeführt, der Schwerpunkt aber auf die Diskussion der Möglichkeiten der semantischen Modellierung für Rechtsetzung und Rechtsfolgenabschätzung gelegt worden. Der fünfte Workshop hat sich entsprechend dem Generalthema, unter welchem IRIS 2012 gestanden ist, nämlich «Transformation juristischer Sprachen», schwerpunktmäßig mit der Sprache der Rechtsetzung befasst. Der sechste Workshop hat sich der zeitgemäßen Gestaltung legislativer Konsultationsprozesse sowie der Entwicklung semantischer Werkzeuge zur Substituierung oder Ergänzung solcher Prozesse durch automationsunterstütztes «crowdsourcing» in den Sozialen Netzwerken des «Web 2.0» gewidmet, damit das Thema des ersten Workshop von 2008 aufgreifend und es weiter entwickelnd. Neben grundsätzlichen Überlegungen und abstrakten Konzepten sind aktuelle Projekte und deren Ansätze für konkrete Applikationen vorgestellt worden, damit dem Generalthema von IRIS 2013, «Abstraktion und Applikation», gerecht werdend. Entsprechend dem Generalthema von IRIS 2014 – «Transparenz» – ist der thematische Fokus des siebenten Workshop auf die Transparenz von Rechtsetzungsprozessen und ihre Unterstützung durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien gerichtet gewesen. Die kooperativen Dimensionen von Rechtsetzungsprozessen und ihre Unterstützung durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien sind im Mittelpunkt des achten Workshop gestanden, das Generalthema von IRIS 2015 – «Kooperation» – aufgreifend. Entsprechend dem Generalthema von IRIS 2016 hat sich der neunte Workshop schwerpunktmäßig mit dem Konzept bzw. den Konzepten des «Netzwerks» befasst, dabei Computernetzwerke, wie sie zur technischen Unterstützung des Rechtsetzungsprozesses erforderlich sind, ebenso berücksichtigend wie die sozialen Netzwerke, in welche Rechtsetzungsprozesse eingebettet sind, und schließlich das Rechtssystem selbst mit den Methoden der Netzwerkanalyse betrachtend. Der zehnte Workshop schließlich hat, ganz dem Generalthema von IRIS 2017 entsprechend, das im Blick auf die mittlerweile zwanzigjährige Tradition der Konferenzserie «20 Jahre: Trends und Communities der Rechtsinformatik» gelautet hat, Zwischenbilanz über die Entwicklung der elektronischen Rechtsetzung und des elektronischen Parlaments in Österreich gezogen und Themen aufgegriffen, die im Laufe des vorangegangenen Jahrzehnts bereits aus verschiedenen Perspektiven behandelt worden sind.
[3]
Entsprechend dem zweigeteilten Generalthema von IRIS 2018, «Legal Tech»/Datenschutz, widmet sich der elfte Workshop informationstechnischen Anwendungen, die der Unterstützung der Rechtsetzung dienen, und zwar sowohl mit Perspektive auf ihre Gegenstände als auch auf ihr Verfahren. In Abwandlung des thematischen Begriffs «Legal Tech» können solche Anwendungen unter dem Begriff «Legislative Tech» zusammengefasst werden. Darüber hinaus wird anhand der Datenschutzpraxis des österreichischen Parlaments auch auf den zweiten Aspekt des Generalthemas Bezug genommen.

2.

Die Beiträge ^

2.1.

Rechtsetzung im Spannungsfeld von Rechtsetzungstechnik und Informationstechnik (Günther Schefbeck) ^

[4]
Ob Rechtsetzung mehr Kunst oder Technik sei, darüber ist viel diskutiert worden. Seit Henry Thring im späten 19. Jahrhundert das erste Lehrbuch der Rechtsetzungstechnik vorgelegt hat, hat sich in dieser Diskussion die Waagschale zugunsten der Qualifikation als erlernbare Technik geneigt. Heute machen Legistische Richtlinien, leider in der Regel lediglich mit Empfehlungscharakter, Vorgaben für gute Rechtsetzungstechnik. Dennoch wird die sprachliche und systematische Qualität der Rechtsvorschriften viel kritisiert.
[5]
Die Informationstechnik hat die praktischen Abläufe des Rechtsetzungsprozesses verändert, ihn einerseits transparenter gemacht, ihn andererseits aber auch so beschleunigen geholfen, dass dadurch einer Verschlechterung der Ergebnisqualität Vorschub geleistet scheint. «Legislative Tech», also eine informationstechnische Umgebung zur Unterstützung der Rechtsetzung, kann aber auch der systematischen und sprachlichen Qualitätskontrolle, etwa der Prüfung der Implementierung von Legistischen Richtlinien oder von Regelwerken für die sprachliche Gestaltung von Rechtstexten, oder sogar der Unterstützung dieser Implementierung dienen. Die Präsentation gibt einen Überblick über Ansätze für den Einsatz von «Legislative Tech»-Anwendungen zur Qualitätssicherung und Qualitätsverbesserung in der Rechtsetzung, mit besonderem Fokus auf sprachlicher und systematischer Gestaltung von Rechtsvorschriften sowie Novellierungstechnik.

2.2.

Datensicherheit und Datenschutz im parlamentarischen Prozess (Wolfgang Engeljehringer) ^

[6]
Dass die Gewährleistung der Integrität der im parlamentarischen Prozess erzeugten und verarbeiteten Daten eine zentrale Aufgabenstellung der elektronischen Unterstützung dieses Prozesses bildet, erscheint evident: Nicht nur gilt es, den Willen des Gesetzgebers in der elektronischen Rechtsetzung unverfälscht und nachhaltig abzubilden, sondern darüber hinaus werden auch im Verfahren der parlamentarischen Kontrolle, insbesondere im Verfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, sensible Daten verarbeitet. Die Sensibilität solcher, insbesondere personenbezogener Daten stellt auch eine Herausforderung an den Datenschutz dar, der dabei gegen ein anderes verfassungsgesetzlich gewährleistetes Rechtsgut, nämlich die sachliche Immunität der Gegenstände der öffentlichen Verhandlungen des Nationalrates und seiner Ausschüsse, abzuwägen ist. Die Präsentation stellt die spezifischen bundesrechtlichen Rechtsgrundlagen für den Umgang mit Daten im parlamentarischen Prozess, wie beispielsweise die Informationsverordnung der Präsidentin des Nationalrates, die eingesetzten technischen Lösungen und die Verwaltungspraxis vor.

2.3.

Juristische Chatbots und ihre Verwendung in der Rechtsetzung (Hannes Stefko) ^

[7]
Die Chatbots, vor allem die dahinterstehenden Technologien, haben sich 2017 wesentlich weiterentwickelt. In unterschiedlichen Branchen wurden in Chatbot-Projekten schon große Erfolge erzielt. Die Chatbot-Entwickler «trauen» sich immer weiter in die Tiefen der sprachlichen Herausforderungen, die ein menschliches Gehirn in Bruchteilen einer Sekunde bewältigen kann. Ein Chatbot für die Unterstützung beim Arbeiten mit Gesetzestexten ist ein weiterer Schritt. Die Analyse von existierenden Fragen und Antworten über die Inhalte eines normativen Textes stellt die Basis eines solchen Chatbot dar. Zusätzlich müssen Verweise und sprachliche Muster, die in der bürgerlichen Sprache kaum vorkommen, für normative Texte berücksichtigt werden. Anhand eines Prototypen, der in einer öffentlichen IT-Cloud betrieben wird, werden die Möglichkeiten eines Chatbot für Gesetzestexte aufgezeigt und erklärt.

2.4.

The Impact of Advanced IT systems on Policy- and Law-making (Tom van Engers) ^

[8]

The availability of huge amounts of data, the growth of powerful IT tools, and the explosive use of (partly) autonomous systems, have made clear that the slow learning and adapting process in the current policy- and law-making cycle is no longer effective as a means of controlling society and protecting the interests of its citizens. In this workshop contribution the current problems in this policy- and law-making cycle will be analysed and exemplified with actual examples. The multi-layered problems that have become overt when designing advanced IT solutions e.g. in autonomous driving vehicles, automated trading systems etc. These developments require a much more proactive and less single perspective way of thinking and working from all having a role in the policy- and law-making cycle. This contribution will argue for more interdisciplinary and multiple perspective collaboration in ecosystems with participants from government, academia and industry and give some examples of such future ecosystems and how they would contribute to more effective and efficient control of society.

2.5.

Akoma Ntoso for Accessibility of FAO Resolutions (Monica Palmirani) ^

[9]

Akoma Ntoso is an international Legal XML standard, now approved by an OASIS body as Committee Specifications, developed for modelling legislative, parliamentary, and judiciary documents using Semantic Web design principles. However, other types of normative and regulative documents can also take benefit from being represented in Akoma Ntoso in order to describe, in a formal manner, the structure, the components (e.g., attachment or document included inside the main document), the references to and from other documents, the semantic annotation of some particular parts of the regulative language (e.g., action, purpose, agent, role), the workflow of the creation process, the modifications over time.

[10]

In this light FAO has modelled basic texts (e.g., Constitution), council reports, codex standards and resolutions since its first Session in 1945. From this deep theoretical and empirical analysis, conducted by an FAO team and CIRSFID-UNIBO, we have defined specific guidelines how to use Akoma Ntoso in this specific scenario. On the basis of this work, the UN High Level Committee on Management (HLCM) of the Chief Executive Board for Coordination (CEB) launched a similar initiative in June 2016. They adopted a profile of Akoma Ntoso (AKN4UN) as the UN common standard in March 2017.

[11]

The presentation intends to show how Akoma Ntoso itself improves the accessibility of the FAO resolutions using customized AKN schema, LIME-editor markup methodology, and web portal usability principles. The focus is laid on the combination of legal analysis (e.g., FAO resolutions), markup methodology (e.g., customization of AKN for FAO), semantic annotations (e.g., ontologies), XML queries (e.g., complex extractions from XML files), and user interface design principles (e.g., graphical presentation of the results).

2.6.

Engaging Deliberative Systems for Citizens Deliberating about European Directives and Regulations (Luca Cervone/Monica Palmirani) ^

[12]

In the last decade, scholars of Deliberative Democracy have defined the new concept of Deliberative Systems, i.e. deliberative environments in which decision-making procedures are handled thoroughly through several tools and software applications interconnected and designed around the physical and cognitive characteristics of final users in order to keep them continuously engaged in the discussion.

[13]

In such a scenario, both the design of the whole Deliberative System and the design of each one of the interconnected tool must follow a set of requirements and must implement a set of features that are needed to ensure the democratic legitimacy of the deliberation.

[14]

For instance, the European Commission holds online participation tools aimed to engage citizens in the discussion about sensitive issues related to the member states of the European Union (https://ec.europa.eu/info/consultations_en [last visited in January 2018]). However, these tools have several issues to the extent that they are not compliant with the legitimacy requirements of Deliberative Systems, that they could be not usable for common citizens, and that there is not any evidence that the diverse tools used for the deliberation are actually interconnected.

[15]

In this presentation, firstly we will describe a framework of features and requirements for the implementation of a Deliberative Chat and, thus, a simple-to-use and citizen-friendly chat application that can engage users to participate in discussions about draft directives and regulations of the European Commission while creating legitimated discussions and reports of the discussions.

[16]

Secondly, we will start the actual implementation of the chat in order to show the proper software technologies that can be used to implement the Deliberative Chat and others online deliberative tools that can be interconnected to Deliberative Systems.

[17]

Thirdly, and lastly, we will introduce other concepts and technologies that can be used in the implementation of the chat, for instance, techniques of gamification to keep the citizens engaged in the discussions, as well as the blockchain to strengthen the transparency of the deliberation.

[18]

After the presentation, the attendees will have a wide sight on Deliberative Democracy and Deliberative Systems, on technologies for the implementation of online and gamified tools for Deliberation in Deliberative Systems, and on brand-new technologies that can solve well-known and long-standing problems related to the legitimacy of online deliberation and participation.