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Das Recht der Kinder und Jugendlichen am eigenen Bild in der digitalen Welt

  • Authors: Anne Mirjam Schneuwly / Jonas Fischer
  • Category of articles: Data Protection
  • Category: Articles
  • Region: Switzerland
  • Field of law: Data Protection, Internet law, Personal Right
  • Citation: Anne Mirjam Schneuwly / Jonas Fischer, Das Recht der Kinder und Jugendlichen am eigenen Bild in der digitalen Welt, in: Jusletter IT 23 May 2019
The authors ask whether the children's right to their own image is legally enforceable or indeed just a dead letter in today's digital age, despite its legally binding character. They analyse the present legal situation and particularly focus on the idea of age specific self-determination and the child's inherent right to its personality as matters stand.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Das Recht der Kinder am eigenen Bild aus zivilrechtlicher Perspektive
  • 2.1. Begriffsbestimmung: das Recht am eigenen Bild als Persönlichkeitsrecht
  • 2.2. Spannungsverhältnis zwischen Einwilligung und Persönlichkeitsschutz des Kindes
  • 3. Das Recht der Kinder am eigenen Bild aus datenschutzrechtlicher Perspektive
  • 3.1. Spannungsverhältnis zwischen Einwilligung (Datenveröffentlichung) und Kindeswohl bzw. -interesse
  • 3.2. Empfehlungen der EU-Datenschutzgruppe zu verstärkter Sorgfalt im Umgang mit digitalen Daten von Kindern und Jugendlichen
  • 4. Ausblick

1.

Einleitung ^

[1]

Obwohl das Kind ein allgemein unbestrittenes Schutzrecht bezüglich der Veröffentlichung seines Bildes hat, gilt es klar zu stellen, wie sein diesbezügliches Persönlichkeitsrecht im konkreten Fall geschützt wird. Diese Frage scheint zu Zeiten, wo Influencer auf Instagram tag-täglich unzählige Bilder ins Netz stellen und sich fortlaufend in Szene setzen, um sich die Gunst möglichst vieler Follower zu sichern, etwas verwegen und gibt die Brisanz erst auf den zweiten Blick und durch reflektiertes Rechtsverständnis preis. Denn aus datenschutzrechtlicher Perspektive obliegt die Selbstbestimmung resp. die Verfügung über das eigene Bild grundsätzlich jeder Person und liegt damit folglich auch ganz besonders im schutzwürdigen Interesse aller Kinder und Jugendlichen, deren Abbild ungefragt oder ungewollt veröffentlicht und/oder ins Netz gestellt wurde.1 Diesbezüglich besteht im sozio-kulturellen Rechtsverständnis ein Spannungsfeld zwischen «das Recht des Kindes am eigenen Bild schützen» und «dem unreflektierten Onlinestellen von Bildmaterial von Kindern im World Wide Web». So z.B. wenn Eltern live aus dem Kreissaal heraus ihre Freude kundtun und spontan Bildmaterial von ihrem Schützling online posten.

[2]

Die Innigkeit vom ersten Schrei des Babys, das eben gerade das Licht der Welt erblickt, ist sicher ein emotionales Highlight für die allermeisten Eltern. Aber nicht alle reflektieren unter Emotionen, dass sie mit ihrem ungefilterten, über Whatsapp oder andere soziale Kanäle, gestreamten Bildmaterial, gleichzeitig die schutzwürdige Persönlichkeitssphäre ihres Babys preisgeben. Es ist allenfalls auch üblich, eine Geburtskarte an Familie und Freunde zu versenden. Meistens sind diese Anzeigen nicht nur mit Babyaufnahmen bebildert, sondern auch mit persönlichen Angaben zu Namen, Geburtszeit, Grösse und Gewicht versehen, d.h. mit höchst persönlichen Informationen zum Baby aufdatiert. Auf die Geburtskarte folgen dann oft auch weitere online News, die die Heranwachsenden ins beste Licht rücken und/oder allenfalls auch in eher peinlichen Schnapsschüssen verewigen. Soweit denkt sich wohl kaum jemand etwas Böses dabei und das Bild wird ja meistens von den Eltern innerhalb des Familien- und Freundeskreises verschickt, um Herzlichkeiten auszutauschen.

[3]

Aber wer hat schon die Babys oder die Kinder gefragt, ob sie diese gut gemeinten Aktionen ebenfalls als «so herzig» empfinden? Dies auch unter dem Gesichtspunkt, dass das einmal onlinegestellte Bildmaterial fortan im Datenstrom mitschwimmt und später allenfalls nur mit viel Aufwand wieder gelöscht werden kann! Denn ganz offensichtlich schämen sich später viele Jugendliche für dereinstige Schnapsschüsse, die aus Sicht der Erwachsenen vermeintlich als lustige Kindheitserinnerungen gelten sollten und unreflektiert ins Netz gestellt wurden. Würden Kinder nicht viel eher ihr Recht auf ihr eigenes Bild einfordern wollen, damit sie sich in ihrer Persönlichkeit geschützt, zu selbstbewussten Personen entwickeln können?

[4]

Die Verantwortung für die Vervielfältigung resp. Verbreitung und Ins-Netzstellen der Baby- und Kinder-Bilder obliegt vorrangig den Eltern bzw. deren rechtlichen Vertretung. Auch wenn sich Jugendliche und Teenager später allenfalls auch etwas bedenkenlos selbst online inszenieren. Deshalb ist es ratsam vor dem spontanen Klick, kurz zu überlegen, ob betroffene Schützlinge grundsätzlich mit der Veröffentlichung einverstanden wären, oder ob die persönlichen Bilder allenfalls Peinlichkeiten preisgeben. Es ist zudem angebracht, diese Schutzhaltung möglichst früh auch mit den Jugendlichen einzuüben und das Bewusstsein über die Wahrung der Privatsphäre und für die Gefahren im Netz zu stärken.

[5]

In diesem Sinne wird nachfolgend vorerst aufgezeigt, wie komplex das Recht am eigenen Bild allein schon für Erwachsene sein kann. Dies um im Vergleich darzustellen, wie viel schwieriger es sich gestaltet, das Recht der Kinder und Jugendlichen am eigenen Bild zu schützen bzw. durchzusetzen. Denn diese sind in ihrer Privatsphäre besonders verletzlich und im eigentlichen Sinn des Wortes vom Schutz der Erwachsenen abhängig, damit sich ihr Recht auf ihr eigens Bild nicht im World Wide Web verliert.

2.

Das Recht der Kinder am eigenen Bild aus zivilrechtlicher Perspektive ^

2.1.

Begriffsbestimmung: das Recht am eigenen Bild als Persönlichkeitsrecht ^

[6]

Es existiert innerhalb der Schweizerischen Rechtsordnung keine spezifische Norm, die das Recht am eigenen Bild als Tatbestand ausformuliert. Vielmehr ist das Recht am eigenen Bild in anderen juristischen Begriffen verpackt und lässt sich nur durch mehrere Zerlegungen des Persönlichkeitsrechts in Anlehnung an Art. 28 ZGB an die Oberfläche holen. Die Bestimmung in Art. 28 ZGB enthält selbst keine Definition des Persönlichkeitsrechts, weshalb Inhalt und Umfang von der Rechtsprechung in Ausfüllung allgemeiner Rechtsbegriffe erfolgen muss.2 Das Bundesgericht kategorisiert das Recht am eigenen Bild im BGE 136 III 401 als Unterart des Persönlichkeitsrechts von Art. 28 Abs. 1 ZGB.3 Das Persönlichkeitsrecht lässt sich in drei Schutzbereiche aufspalten: den Schutz der körperlichen Integrität, den Schutz der psychischen Identität und den Schutz der sozialen Integrität.4 Der Begriff der sozialen Integrität setzt sich wiederum aus sechs Rechten zusammen; dem Recht am Namen, an der eigenen Stimme, auf Schutz der Ehre, auf Verschwiegenheit, auf Wahrheit und dem Recht am eigenen Bild.5

[7]

Allerdings ist es umstritten, ob begrifflich nur natürliche und nicht auch juristische Personen, Träger des Rechts am eigenen Bild sind.6 Denn im Sinne von Art. 28 ZGB können die Träger des Persönlichkeitsrechts im gleichen Masse über alle einzelnen Rechte frei verfügen. Während etwa das Recht auf Leben zum Kernbereich der menschlichen Existenz gehört und damit nicht Gegenstand vertraglicher Verhandlungen sein kann, gilt dies für gewisse Rechte, welche vom Schutzbereich der sozialen Integrität erfasst sind, nicht.7 So können etwa Schauspieler oder Synchronsprecher über das Recht am eigenen Bild oder der eigenen Stimme verfügen und es zum Beispiel veräussern.8 Das Recht am eigenen Bild gibt dem Träger grundsätzlich ein Selbstbestimmungsrecht über die Verwendung und Veröffentlichung seiner Bilder. Doch es ist ein Irrglaube zu meinen, niemand dürfe das Bild einer Person ohne deren Einverständnis veröffentlichen.9 Denn z.B. ist die Veröffentlichung einer Aufnahme einer Menschenmenge zulässig, die keinen besonderen Fokus auf einzelne Personen legt. Ausserdem zählt nicht jede Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechtes als rechtswidrige Verletzung, sondern es bedingt eine gewisse Intensität: Als massgeblich gilt gemäss Lehre und Praxis eine «spürbare Störung», bzw. eine «ernstzunehmende Bedrohung», womit sich der Begriff der Verletzung von dem der Betroffenheit gemäss Art. 28g ZGB unterscheidet.10 Weiter bedarf es der Widerrechtlichkeit, um eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts geltend machen zu können. Der Begriff der Widerrechtlichkeit soll gemäss Gitti Hug dazu dienen, zwischen rechtlich erlaubtem und rechtlich verbotenem Handeln zu unterscheiden.11 Eine Verletzung ist gemäss Art. 28 Abs. 2 ZGB widerrechtlich, «wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist.» Diese vorausgesetzte Willenserklärung muss sich stets konkret auf den einzelnen Fall beziehen, da eine generelle Einwilligung gegen Art. 27 ZGB verstossen würde.12 Wie konkret diese Willenserklärung sein muss, hängt wie so oft vom Einzelfall ab. Dabei gilt auch eine konkludente, also stillschweigende Einwilligung als ausreichend,13 welche sich aus den Umständen, aus dem Verhalten und/oder Gestik und Mimik ableiten lässt.14

2.2.

Spannungsverhältnis zwischen Einwilligung und Persönlichkeitsschutz des Kindes ^

[8]

Des Weiteren wird für eine rechtsgültige Einwilligung die Urteilsfähigkeit gemäss Art. 16 ZGB vorausgesetzt. Folglich kann auch ein urteilsfähiges aber handlungsunfähiges Kind sein höchstpersönliches Recht – wie eben das Recht am eigenen Bild – selbstständig geltend machen (Art. 19c ZGB) und durch seine Einwilligung, alleine und ohne Einverständnis der Eltern oder Erziehungsberechtigten, der allfälligen Veröffentlichung seines Bildes zustimmen oder diese ablehnen.15 Allerdings ist nicht eindeutig definiert, ab welcher Entwicklungsphase ein Kind als urteilsfähig einzustufen ist.16 Urteilsfähigkeit setzt einerseits die intellektuelle Fähigkeit voraus, die das abgebildete Kind in der konkreten Lage befähigt sowohl den Sinn resp. die Tragweite als auch den Nutzen einer allfälligen Veröffentlichung oder Nicht-Veröffentlichung seines Bildes zu erkennen. Andererseits setzt die Urteilsfähigkeit auch die Fähigkeit voraus, mit freiem, unbeeinflusstem Willen vernünftig handeln zu können.17

[9]

Da nicht klar definiert ist, ab wann ein Kind als urteilsfähig gilt, bleiben im Zweifelsfall stets die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten für die Veröffentlichung einer Abbildung verantwortlich. Schon allein aufgrund dieses entwicklungsspezifischen Interpretationsspielraumes, zeigt sich ein gewisser Widerspruch in der Umsetzung dieses Rechts. Denn im Umkehrschluss stellt sich auch die Frage, wie es um den Schutz des Rechts des Kindes oder Jugendlichen am eigenen Bild steht, wenn die erziehungsberechtigte Person stellvertretend, allenfalls auch gegen den Willen und/oder gegen das Interesse des Kindes, entscheidet.

[10]

Zunächst scheint es höchst unwahrscheinlich, dass Kinder über diese spezifischen Rechte überhaupt aufgeklärt sind. Zudem kann im Allgemeinen davon ausgegangen werden, dass zwischen Kindern oder Jugendlichen und ihren Eltern bzw. Erziehungsberechtigten ein faktisches Abhängigkeitsverhältnis besteht, welches in Bezug auf die freie Ausübung höchstpersönlicher Rechte nicht vernachlässigt werden darf. So ist beispielsweise fraglich, ob zwölfjährigen Jugendlichen zugemutet werden soll, den Eltern zu widersprechen, wenn es darum geht, die Veröffentlichung eigener Bilder für die Homepage des Fussballvereins zuzulassen. Sollten sich Kinder und Jugendliche im Alltag je mit dieser Frage beschäftigen, so basiert ihre Entscheidung eher auf der Eltern-Kind-Beziehung als auf juristischen Abwägungen, womit in der Praxis wohl meist die Eltern die Entscheidung für oder gegen eine Einwilligung fällen.

[11]

Weiter stellt sich die Frage, ob und inwiefern Kinder und Jugendliche im Einzelfall abschätzen können, welche Tragweite ihre Einwilligung überhaupt hat. Die gleiche Frage richtet sich sinngemäss ebenfalls an die stellvertretenden Erziehungsberechtigten. Denn es gilt zu beachten, dass sich die Einwilligung der betroffenen Person nicht direkt auf die Veröffentlichung ihres Bildes bezieht. Diese willigt vielmehr in die Verletzung ihres Rechts am eigenen Bild ein, welche durch ebendiese Einwilligung gleichsam juristisch gerechtfertigt wird. Schliesslich besteht das Recht am eigenen Bild als Persönlichkeitsrecht gegenüber jedermann und damit auch ausdrücklich gegenüber Eltern und Erziehungsberechtigten, das ergibt sich bereits aus dem Charakter als absolutes Recht, welches im Falle der Persönlichkeitsverletzung kein Verschulden erfordert.18

[12]

Dieser eher komplexe Sachverhalt gibt seine Brisanz erst auf den zweiten Blick preis. Denn das Recht des Kindes am eigenen Bild wird ihm erst mit seiner Urteilsfähigkeit zugestanden und solange sind seine Eltern oder Erziehungsberechtigten stellvertretend für die Durchsetzung resp. den Schutz seines diesbezüglichen Persönlichkeitsrechtes verantwortlich.

3.

Das Recht der Kinder am eigenen Bild aus datenschutzrechtlicher Perspektive ^

[13]

Da Fotografien im Sinne des schweizerischen Datenschutzgesetzes (Art. 3 lit. a DSG) auch als persönliche Daten angesehen werden, soll nachfolgend das Recht der Kinder am eigenen Bild unter besonderer Berücksichtigung des Datenschutzrechts untersucht werden.19 Die widerrechtliche Bearbeitung und Bekanntgabe solcher persönlicher Daten sind aufgrund des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 5, 12 f. DSG) verboten. Auf internationaler Ebene gilt ebenfalls gemäss Art. 8 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie Art. 16 Abs. 1 AEUV: «Der Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten ist ein Grundrecht.»20 Dieser Schutz wird ebenfalls neu durch die am 25. Mai 2018 in Kraft getretene Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) besser gewährleistet.

3.1.

Spannungsverhältnis zwischen Einwilligung (Datenveröffentlichung) und Kindeswohl bzw. -interesse ^

[14]

Bei der Einwilligung für die Veröffentlichung von Bildern auf sozialen Netzwerken wird heutzutage allgemein vorausgesetzt, dass die Verwendung und Verbreitung der persönlichen Daten «im Einklang mit dem europäischen und dem einzelstaatlichen Datenschutzrecht sowie der einschlägigen Gesetzgebung zum Schutz der Privatsphäre»21 geschieht. Unter Art. 6 para. 1 lit. a DSGVO wird festgehalten, dass die Verarbeitung von Daten nur rechtmässig ist, wenn die «betroffene Person [...] ihre Einwilligung zur Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten für einen oder mehrere bestimmte Zwecke gegeben» hat. Die Besonderheit bzw. das Spannungsverhältnis bei der Einwilligung durch die Rechtsvertretenden von Minderjährigen wurde bereits eingehend erläutert und Art. 8 DSGVO vermag diese Prämisse nicht zu ändern. Wegen der Undurchsichtigkeit der einschlägigen Datenschutzgrundsätze ist es bereits für urteils- und handlungsfähige Nutzerinnen und Nutzer nicht einfach, die Ausmasse einer Einwilligung in der Online-Umgebung einzuschätzen. «Erschwerend kommt hinzu, dass es in manchen Fällen nicht einmal klar ist, was unter einer ohne Zwang, für den konkreten Fall und in Kenntnis der Sachlage gegebenen Einwilligung zur Datenverarbeitung zu verstehen ist.»22 In Folge scheint das Recht des Kindes am eigenen Bild, das grundsätzlich seinen Eltern ausgeliefert ist und wohl kaum in Kenntnis der Sachlage seine Einwilligung zur Datenverarbeitung geben könnte, in der Durchsetzung doch eher ein Papiertiger zu sein.

[15]

Im Sinne der oben aufgezeigten Bedenken hat sich auch die Art. 29-Datenschutzgruppe unter anderem zu Rechtsfragen rund um den Schutz der persönlichen Daten von Kindern und Jugendlichen im World Wide Web geäussert. Denn auch im Datenschutzrecht geht der Grundsatz des Kindeswohls den Wünschen der zuständigen Rechtsvertretung vor. Letztere haben keine absolute und/oder bedingungslose Priorität gegenüber den Rechten des Kindes.23 Auch laut Art. 16 des UN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes, darf kein Kind «willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung oder seinen Schriftverkehr oder rechtswidrigen Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden». Nachfolgend soll die Frage geklärt werden, wie die Privatsphäre von Kindern angemessen und wirksam geschützt werden kann. Denn Rechtsvertretende von Minderjährigen können durch die Offenlegung persönlicher Daten dem Wohl des Kindes schaden.24 M.a.W. wer schützt die Kinder vor Eltern, die ihre Schutzpflicht für ihren Nachwuchs nicht wahrnehmen?

[16]

Obwohl diese kritische Frage mehr als berechtigt ist, gilt es dabei eine gewisse Verhältnismässigkeit walten zu lassen. Denn die meisten geposteten Schnapsschüsse und inszenierten Fotos wollen positive Messages vermitteln. Dabei wird in der Regel weder das Recht am eigenen Bild noch die Ehre des abgebildeten Kindes oder Jugendlichen böswillig verletzt. «In der Praxis und Lehre wird als Tatbestandsmerkmal einer Persönlichkeitsverletzung ein subjektives Empfinden gefordert, d.h. eine Verletzung des Rechts der Persönlichkeit vom Betroffenen muss als solche wahrgenommen und empfunden werden.»25 Die Grenzen sind aber fliessend und es gilt eindeutige Indizien zu identifizieren, wie z.B.: Ist das Kind angezogen oder wird es nicht in einer peinlichen Situation gezeigt? Unserem Empfinden nach ist es eindeutig ein No-Go, ein Kind nackt abzubilden und so öffentlich im Netz preis zu geben. Bereits ein Kind in Badehose zu fotografieren und schutzlos online auszustellen, kann durchaus als übergriffig empfunden werden. Es ist deshalb sehr empfehlenswert, sich vor dem voreiligen Klick, die Persönlichkeitsrechte des Kindes oder des Jugendlichen kurz vor Augen zu halten und sich zu fragen: Was würde das Kind wohl dazu meinen, wenn es denn nur eine Stimme hätte und in seiner Person wirklich respektiert würde?26

3.2.

Empfehlungen der EU-Datenschutzgruppe zu verstärkter Sorgfalt im Umgang mit digitalen Daten von Kindern und Jugendlichen ^

[17]

Die Art. 29-Datenschutzgruppe empfiehlt in einem ersten Schritt, dass Anbieter von sozialen Netzwerkdiensten bei der Verarbeitung personenbezogener Daten von Minderjährigen besondere Sorgfalt walten lassen sollten und gibt auch zu bedenken, «dass sie [die Anbieter] in der Pflicht sind, ihre [Nutzerinnen und] Nutzer im Hinblick auf die Rechte der anderen [welche z.B. auch auf dem zu veröffentlichenden Foto abgebildet sind] auf Schutz ihrer Privatsphäre aufzuklären.»27 Zweitens wird die Errichtung einer Beschwerdestelle gefordert, auf welche die online-Netzwerkdienste bei Fragen und Problemen im Zusammenhang mit dem Datenschutz und dem Schutz der Privatsphäre verweisen müssen.28

[18]

Ein weiterer Meilenstein wurde mit der Forderung gesetzt, die es ermöglicht, die Einwilligung des Rechtsvertretenden für die Verbreitung von personenbezogenen Daten eines Kindes, bei Erreichen der Volljährigkeit widerrufen zu können.29 Doch scheint es in Situationen, wo Rechtsvertretende die Privatsphäre des Kindes schwer verletzen, untragbar, dass es sich bis zum 18. Lebensjahr gedulden muss, um sich dagegen zur Wehr setzen zu können. Deshalb wird folgender Vorstoss formuliert: «Wenn die Kinder reif genug sind, um eine Verletzung ihres Rechts auf Privatsphäre zu erkennen, sollten sie das Recht besitzen, von den zuständigen Behörden, darunter auch von den Datenschutzbehörden, gehört zu werden.»30

[19]

Schliesslich soll noch auf das Lösungsrecht bzw. das «Recht auf Vergessen»31 (Art. 4 DSG und 17 DSGVO) verwiesen werden, welches jeder betroffenen Person nebst dem Berichtigungsrecht zusteht.32 Doch dieses Recht ist aktuell noch mit unlösbaren Problemen behaftet. Zwar kann die gezielte Löschung elektronischer Nachrichten durch eine Art zeitgesteuerten Selbstzerstörungsmechanismus programmiert werden, «[a]ngesichts der Möglichkeit, von Bildern während der Gültigkeitsdauer mittels eines Mausklicks Kopien in Form von Screenshots zu erstellen, sind allerdings auch dieser Anwendung Grenzen gesetzt.»33

4.

Ausblick ^

[20]

Es ist grundsätzlich notwendig und sehr wünschenswert, dass sich Eltern, die Bilder von sich hochladen wollen, worauf auch ihr Kind abgebildet ist, besser ihrer Verantwortung bewusst werden und die abgestufte Trennung zwischen den Datensätzen der Kinder- und der Erwachsenencommunity erkennen und schützen.34

[21]

Es gilt ganz allgemein auch die Warnungen von der Schweizerische Kriminalprävention35 ernst zu nehmen und vor einem voreiligen Mausklick zum Onlinestellen kurz inne zu halten und die Schutzwürdigkeit der persönlichen Daten zu reflektieren. Mit folgendem Kommentar versuchen auch die deutschen Behörden die Bevölkerung für die Wahrung der Privatsphäre besonders in den Freibädern zu sensibilisieren: «Vielleicht finden Sie die Fotos heute süss, Ihrem Kind sind sie in ein paar Jahren aber endlos peinlich. Oder Ihr Kind wird damit sogar gemobbt. Noch schlimmer: Pädophil veranlagte Menschen bedienen sich solcher Fotos und nutzen sie für ihre Zwecke.»36

[22]

Schliesslich sind die Eltern zu Recht aufgefordert, die Privatsphäre zu respektieren und besser ganz auf das Veröffentlichen von Bildmaterial ihrer Kinder zu verzichten und diese lieber den Verwandten persönlich zu zeigen. Denn es gilt sich bewusst zu sein, auch «Facebook ist wie eine Postkarte an die ganze Welt, [...] man weiss nie, wer diese Postkarte liest und was er damit macht.»37 Die Persönlichkeitsrechte des Kindes auf seinem Entwicklungsweg zur eigenständigen Person sind absolut schutzwürdig und damit auch mit heiter gemeinten Schnapsschussablichtungen und online gestellten Momentaufnahmen unvereinbar. Es ist deshalb sinnvoll und viel mehr angebracht, die Kinder in ihrer Identitätsfindung zu unterstützen und ihr Recht zu schützen, damit sie selber darüber entscheiden können, welche Momente sie aus ihrem Leben als statische Bildinformation mit dem Rest der Welt – und voraussichtlich ein Leben lang – teilen möchten. In diesem Sinne sind nicht allein die Eltern in ihrem Schutz-Bewusstsein sondern auch eine verstärkte Rechtssicherheit im Netz gefordert, damit dem Papiertiger, für die konkrete Durchsetzung des Rechtes der Kinder und Jugendlichen am eigenen Bild, die notwendigen Zähne wachsen!


Anne Mirjam Schneuwly, Dr. iur., Rechtsanwältin, Executive M.B.L. HSG, Mutter eines kleinen Sohnes.

Jonas Fischer, Dr. iur., Mediator SDM-FSM, IFM.

  1. 1 Zu diesem Thema siehe auch Sandra Husi-Stämpfli/Rita Jedelhauser, Alles für ein «like»: Sharenting vs. Kindeswohl: Kinderbilder in sozialen Medien aus Daten- und Kindesschutzsicht, in: Jusletter 29. April 2019.
  2. 2 Gitti Hug, Referat am LES-CH Lizenz Wochenende, 20.–22. September 2002, Vitznau https://www.altenburger.ch/uploads/tx_altenburgerteam/gh_2002_Das_Recht_am_eigenen_Bild.pdf, S. 1 (alle Websites zuletzt besucht am 22. Februar 2019); Andrea Büchler, in: ZGB-Kommentar, OFK – Orell Füssli Kommentar, 3. Aufl., Zürich 2016 (zit. OFK ZGB-Verfasser/in), Art. 28 N. 2.
  3. 3 BGE 136 III 401, Regeste.
  4. 4 Andreas Meili, in: Basler Kommentar zum Zivilgesetzbuch, 6. Aufl., Basel 2018 (zit. BSK ZGB-Verfasser/in), Art. 28 N. 17; OFK ZGB-Büchler, Art. 28 N. 2; anders Regina E. Aebi-Müller, in: CHK – Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Personen- und Familienrecht – Partnerschaftsgesetz, Art. 1–456 ZGB – PartG, 3. Aufl., Zürich 2016 (zit. CHK ZGB-Verfasser/in), Art. 28 N. 10 ff., unterscheidet zwischen fünf Persönlichkeitsbereichen: physische Persönlichkeit, affektive (emotionale) Persönlichkeit, Ehre, informationelle Privatheit (Privatsphäre) und wirtschaftliche Persönlichkeit.
  5. 5 Hug (Fn. 2), S. 2.
  6. 6 Verneinend etwa z.B. Hug (Fn. 2), S. 3; befürwortend BSK ZGB-Meili, Art. 28 N. 33; CHK ZGB-Aebi-Müller, Art. 28 N. 4: «Subjekte des Persönlichkeitsschutzes sind sowohl die natürliche wie auch die juristische Person. Allerdings ist bei juristischen Personen deren Besonderheiten Rechnung zu tragen. Umstritten ist insb. die Frage, ob juristischen Personen Genugtuungsansprüche zustehen können».
  7. 7 Roland Fankhauser/Nadja Fischer, Kinderfotos auf Facebook oder wenn Eltern die Persönlichkeitsrechte ihrer Kinder verletzten, in: FS Geiser, 2017, S. 195 f.
  8. 8 Schweizerische Kriminalprävention SKP, «Das eigene Bild: Alles was Recht ist», (zit. SKP) (https://www.skppsc.ch/de/wp-content/uploads/sites/2/2016/12/rechteigenesbild.pdf), S. 1.
  9. 9 «Beobachter» vom 20. April 2018, «Keine Einwilligung, kein Foto!» (https://www.beobachter.ch/gesetze-recht/recht-am-eigenen-bild-keine-einwilligung-kein-foto).
  10. 10 BGE 138 II 346 E. 8.3; Hug (Fn. 2), S. 4; Heinz Hausheer/Gina Aebi-Müller, Das Personenrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, 4. Aufl. 2016, S. 219 ff.
  11. 11 Hug (Fn. 2), S. 5.
  12. 12 Hug (Fn. 2), S. 5.
  13. 13 Hug (Fn. 2), S. 5; siehe auch Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter (EDÖB), «Veröffentlichung von Fotos: Das Recht am eigenen Bild» (https://www.edoeb.admin.ch/edoeb/de/home/datenschutz/Internet_und_Computer/veroeffentlichung-von-fotos.html).
  14. 14 SKP (Fn. 8), S. 4.
  15. 15 Hausheer/Aebi-Müller (Fn. 10) S. 200 f.; SKP (Fn. 8), S. 5.
  16. 16 OFK ZGB-Petermann, Art. 16 N. 5; CHK ZGB-Breitschmid, Art. 16 N. 5.
  17. 17 OFK ZGB-Petermann, Art. 16 N. 8.
  18. 18 Hug (Fn. 2), S. 8.
  19. 19 Zur Frage des effektiven Dateneigentums wird auf Marc Amstutz, Dateneigentum: Eckstein der kommenden Digitalordnung, in: NZZ vom 5. September 2018, hingewiesen.
  20. 20 Paragraph 2 Verordnung (EU) 2016/678 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (DSGVO).
  21. 21 Eva Souhrada-Kirchmayer, EU-Datenschutzrechtliche Aspekte der Sozialen Netzwerke, in: Jusletter IT 11. September 2014, Rz. 17.
  22. 22 Stellungnahme 15/2011 zur Definition von Einwilligung der Art. 29 Datenschutzgruppe (zit. WP 187) (https://ec.europa.eu/justice/article-29/documentation/opinion-recommendation/files/2011/wp187_de.pdf), S. 4.
  23. 23 Arbeitspapier 1/2008 zum Schutz der personenbezogenen Daten von Kindern (Allgemeine Leitlinien und Anwendungsfall Schulen) der Art. 29-Datenschutzgruppe (zit. WP 147) (https://www.bfdi.bund.de/SharedDocs/Publikationen/DokumenteArt29Gruppe_EDSA/Guidelines/WP147_WorkingDoc12008OnProtectionOfChildren.pdf;jsessionid=2696D9D4F671A3C73EAC5B93444D4137.2_cid344?__blob=publicationFile&v=3), S. 5.
  24. 24 WP 147 (Fn. 22), S. 7.
  25. 25 Hug (Fn. 2), S. 3.
  26. 26 So auch die Empfehlung aus den Leitlinien des Europarats zum Respekt, Schutz und Erfüllung der Rechte des Kindes im digitalen Umfeld vom 4. Juli 2018, CM/Rec(2018)7 (https://search.coe.int/cm/Pages/result_details.aspx?ObjectId=09000016808b79f7). In diesem Sinne startetet die Bloggerin Toyah Diebel im März 2019 eine Internet-Kampagne, um Eltern auf die Privatsphäre ihrer Kinder aufmerksam zu machen und stellt peinliche Baby-Bilder mit erwachsenen Protagonisten nach unter https://deinkindauchnicht.org.
  27. 27 Stellungnahme 5/2009 der Art. 29 Datenschutzgruppe zur Nutzung sozialer Online-Netze (zit. WP 163), (https://cnpd.public.lu/content/dam/cnpd/de/publications/groupe-art29/wp163_de.pdf), S. 3.
  28. 28 Souhrada-Kirchmayer (Fn. 21), Rz. 40; WP 163 (Fn. 27), S. 4.
  29. 29 WP 147 (Fn. 23), S. 5.
  30. 30 WP 147 (Fn. 23), S. 9.
  31. 31 Vgl. hierzu die Urteile des EuGH C-162/14 Schrems vom 6. Oktober 2015​​​​; EuGH C-131/12 Google Spain und Google vom 13. Mai 2014.
  32. 32 Rolf H. Weber/Markus Näf, DSGVO-Assessment: Datenschutz Compliance mit Blick auf die EU-Datenschutzgrundverordnung, Compliance Newsletter Bratschi, Wiederkehr & Buob, August 2017.
  33. 33 Rolf H Weber/Ulrike Heinrich, Verletzt das Recht auf Vergessen(werden) des EuGH die Meinungsäusserungsfreiheit?, in: Jusletter IT 11. Dezember 2014, Rz. 7.
  34. 34 WP 163 (Fn. 27), S. 14.
  35. 35 Vgl. SKP (Fn. 8) sowie weiterführende Flyer – wie z.B. zu Sextortion – welche auf der Website der SKP aufgeschaltet sind (https://www.skppsc.ch/de/themen/internet/).
  36. 36 «ka-news.de» vom 19. Oktober 2015, «Kinderfotos auf Facebook: Vor diesen Gefahren warnt die Karlsruher Polizei» (https://www.ka-news.de/region/karlsruhe/Karlsruhe~/Kinderfotos-auf-Facebook-Vor-diesen-Gefahren-warnt-die-Karlsruher-Polizei;art6066,1753172).
  37. 37 «20 Minuten online» vom 16. Oktober 2015, «Polizei warnt davor, Kinderbilder zu posten» (https://www.20min.ch/schweiz/news/story/Polizei-warnt-davor--Kinderbilder-zu-posten-29048814?httpredirect).