I.
E-Mauern: Unfreiheit by design ^
Moderiert durch Prof. Dr. Louis Specht-Riemenschneider (Bonn) widmete sich der erste Themenblock dem Einsatz moderner Technik zur Rechtsverwirklichung in totalitären und demokratischen Systemen. Tiefe Einblicke in das chinesische Social Credit System ermöglichte der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Stein Ringen (Oxford). Für die «interne Sicherheit» gibt die Volksrepublik China mehr Geld aus als für die äußere Verteidigung. Trotz vieler Kritikpunkte des Referenten ist das System in China selbst weitestgehend akzeptiert, weil der Handel – Unfreiheit gegen wirtschaftlichen Erfolg – in das Zentrum gerückt wird. Ringen beschreibt dieses System der absoluten Selbstkontrolle als «controlocracy»1. Einen Gegensatz dazu bildete das Referat von Prof. Dr. Thomas Wischmeyer (Bielefeld) zu grundlegenden Fragen des Einsatzes von Technik bei der Rechtsverwirklichung im demokratischen Rechtsstaat. Haben Normen absoluten Geltungsanspruch? Gibt es ein Recht auf rechtswidriges Verhalten? Gefährden Algorithmen, die einen Rechtsbruch «by design» ausschließen den kommunikativen Prozess zwischen Normgeber, Norm und Adressat?
II.
Daten und Sicherheit ^
Herausforderungen bei der Prävention und Repression bildeten den Rahmen des zweiten Themenblocks zu «Daten und Sicherheit.» Angst vor der Digitalisierung müsse niemand haben, aber ein wenig Respekt davor schon, leitete Dr. Gerhard Schabhüser (Bonn), Vizepräsident des BSI ein. Der Referent fertigte eine Bestandsaufnahme der Bedrohungslage durch Cyberangriffe und führte in die umfangreiche Behördenkooperation zwischen Bund und Ländern in diesem Bereich ein. Er griff hierbei auf den Bericht des BSI über «Die Lage der IT-Sicherheit in Deutschland 2019»2 zurück. Schabhüser machte auf die wachsende Bedrohungslage aufmerksam und betonte, dass IT-Security in Unternehmen «Chefsache» werden müsse. Weiterhin sprach er sich für einen «security by design»-Ansatz und Auditierungsprozesse für Softwareentwicklung aus. Letztere sollten insbesondere auch Softwareupdates von der Erstellung bis zum Delivery adressieren.
Handlungsbedarf sieht auch Bundesanwältin Sigrid Hermann (Karlsruhe). Sie zeigte exemplarisch an verschiedenen, aus der Presse bekannten Kriminalfällen auf, dass sowohl analoge Strafverfolgung zu Ermittlungserfolgen bei Cybercrime verhilft, als auch umstrittene Hackbacks. Durch die vielfach transnationale Dimension von Cyberangriffen ergeben sich neue Herausforderungen, wie beispielsweise der Zugriff auf Daten, die auf Servern im Ausland gespeichert sind. Sie begrüßte daher den Verordnungsentwurf zu europäischen Herausgabeanordnung, auf deren Grundlage die Beschaffung der Daten im Rahmen der Strafverfolgung vereinfacht und beschleunigt wird.
III.
Datenrecht und Datenethik ^
Gleich mehrere Berichte, die sich mit der Zukunft des Wettbewerbsrechts beschäftigen, wurden im dritten Themenblock diskutiert, den RA’in Veronika Fischer (Karlsruhe) moderierte. Prof. Dr. Heike Schweitzer (Berlin), Mitglied in mehreren Expertenkommissionen zur Zukunft des Wettbewerbsrechts, präsentierte ein «Best of» der Berichte.3 Am Beginn der Überlegungen stand die Identifikation sog. game changer für den Wettbewerb der Zukunft: Daten, Datenverarbeitung und neue Geschäftsmodelle (insbesondere digitale Plattformen). Die Experten leiteten aus ihrer Arbeit zahlreiche Empfehlungen an die Bundesregierung und die Europäische Kommission ab, darunter eine Plattform-Verordnung mit Verhaltensregeln für marktbeherrschende Online-Plattformen. Diese sollen etwa eigene Dienste im Verhältnis zu Drittanbietern nicht ungerechtfertigt begünstigen dürfen und die Portabilität der Nutzerdaten in Echtzeit und in einem interoperablen Datenformat ermöglichen. Prof. Dr. Christiane Wendehorst (Wien) stellte die Arbeitsergebnisse der Datenethikkommission vor, die ebenfalls im Auftrag der deutschen Bundesregierung (Federführung: BMJV) ethische Maßstäbe und Leitlinien im Informationszeitalter entwickelte. Lohnend wäre es einmal die Vorschläge der Kommissionen auf der Zeile miteinander zu vergleichen. Denn die Überlegungen fallen durchaus unterschiedlich aus, was sich am Beispiel der Frage nach dem Eigentum an Daten andeutete, über das sich eine Diskussion im Auditorium entwickelte. Wir sind gespannt darauf zu sehen, welche der Empfehlungen im Wettbewerb der Ideen zukünftig Eingang in den Gesetzgebungsprozess finden werden.
Die DGRI ist nicht nur ein Forum für Grundlagenforschung sondern bietet auch Raum für die Diskussion anwendungsbezogener Fragestellungen. RA’in Prof. Dr. Sibylle Gierschmann (Hamburg) berichtete aus der Anwaltspraxis über Datenverträge in der anwaltlichen Beratung. Im Fokus standen Entscheidungskriterien für die Zuweisung von Verantwortlichkeiten bei der Datenverarbeitung.
IV.
Workshops zu Legal Tech und Prozessrecht ^
Zum «Workshop Legal Tech» fanden sich drei Legal Tech Women of the Year neben RA Prof. Dr. Peter Bräutigam (München) auf dem Podium ein. Zoe Andreae (Hamburg) startete mit einem allgemeinen Impulsvortrag zum Einsatz von technischen Lösungen im Rechtsmarkt. Praktische Einsichten in die breite Applikationslandschaft und die Entwicklung technischer Lösungen in einer Großkanzlei lieferte Julia Mergenthaler (Berlin). Früh zeigte sich in der Diskussion, dass die uneinheitliche Verwendung des Begriffs «LegalTech» Schwierigkeiten bereitet. Die Definitionsansätze in der Diskussion reichten von «angewandter Rechtsinformatik» über «Marketingbegriff» bis hin zu «EDV für Rechtsberater, -dienstleister und -abteilung.» Die berufsrechtlichen Implikationen, die mit dem vermehrten Einsatz von Technik in der Kanzlei einhergehen, beleuchtete Dr. Christina Maria Leeb (München).4
V.
Freiheit trotz KI ^
Der Vortrag von Dr. Aljoscha Burchhardt (Berlin) stand für gelebte Interdisziplinarität in der DGRI. Burchhardt ist Politikwissenschaftlicher und unter anderem Mitglied der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags. Mit seiner «Keynote zur KI und maschinelles Lernen – auf dem Boden der Tatsachen» ebnete er Weg für die folgende rechtliche Auseinandersetzung, um autonome Systeme (Rechtsanwalt Dr. Malte Grützmacher, Hamburg), KI-Risiken (Prof. Dr.jur. Dipl.-Biol. Herbert Zech, Berlin) und «Arbeitnehmerdatenschutz und KI» (Rechtsanwältin Isabell Conrad, München).
Grützmacher entwickelte einen eigenen Ansatz für ein Haftungsregime für autonome Systeme auf Basis schwacher KI. Das primär bestehende Beweisproblem bei «semi-autonomen» Systemen löst er mit einer Analogie für eine Haftung für Gebäude gem. § 836 BGB. Zech schlägt u.a. einen auf der ökonomischen Theorie basierenden Ansatz der Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz vor. Im Zentrum des Vortrags von Conrad stand der Zielkonflikt zwischen dem Datenschutz und diskriminierungsfreier Datenbanken. Für letztere besteht grundsätzlich das dem Datenschutz entgegenlaufende Bedürfnis an hoher Datenqualität und -quantität.
Für weitere Details zu den Vorträgen verweisen wir die geneigten Leser auf den ausführlichen Tagungsband der Gesellschaft.5
Ausdruck der Kooperation mit der Deutschen Stiftung für Recht und Informatik (DSRI) war das Referat von Jonas Botta (Speyer) «California Consumer Privacy Act und die DSGVO: ein transatlantisches Zwillingspaar?». Botta gewann auf der jährlichen Herbstakademie der DSRI den Best Speech Award und wurde eingeladen sein Thema auch bei der DGRI Jahrestagung zu präsentieren. Sein Vortrag ist online abrufbar, weshalb die Autoren sich vorgreiflicher Hinweise an dieser Stelle enthalten.6
Den weiteren Rahmen der Jahrestagung bildete ein Auftaktabend im Politbüro des Soho House Berlin und ein festliches Abendessen in der Wartehalle, in unmittelbarer Nähe zur Gedenkstätte Berliner Mauer. Tagungsort und Rahmenprogramm bildeten so eine Hommage an die Wiedervereinigung der ehemals getrennten Stadtteile Berlins.
Marvin Fechner verantwortet bei der Kanzlei FPS Rechtsanwälte als Legal Engineer vielfältige LegalTech Projekte (u.a. Dokumenten Automation, Datenextraktion). Gemeinsam mit einem kreativen Team des CDO der Kanzlei entwickelt er Konzepte zur Implementierung konkreter LegalTech Business Cases. Sein rechtswissenschaftliches Studium absolvierte er an der Goethe-Universität Frankfurt am Main sowie in Padua.
Dr. Sebastian Seeger ist Rechtsreferendar am OLG Frankfurt am Main. Er studierte in Heidelberg, Straßburg und Brügge (College of Europe) und absolvierte Praktika in Sao Paulo (Baker McKenzie), Brüssel (Cleary Gottlieb Steen Hamilton) und Luxembourg (EuGH). Während seines Referendariats arbeitet er in verschiedenen Frankfurter Kanzleien an konkreten Innovationen für die Zukunft junger Juristen.
- 1 Ringen, The Perfect Dictatorship: China in the 21st Century, Hong Kong, HKU Press, 2016, S.138.
- 2 BSI, Die Lage der IT-Sicherheit in Deutschland 2019 (Oktober 2019), abrufbar unter: https://www.bsi.bund.de/DE/Publikationen/Lageberichte/bsi-lageberichte.html.
- 3 Ein neuer Wettbewerbsrahmen für die Digitalwirtschaft, Bericht der Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 an die deutsche Bundesregierung (Federführung BMWi) (September 2019), abrufbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Wirtschaft/kommission-wettbewerbsrecht-4-0.html; Wettbewerbspolitik für das digitale Zeitalter, Abschlussbericht (April 2019), abrufbar unter: https://ec.europa.eu/competition/publications/reports/kd0419345enn.pdf; Modernisierung der Missbrauchsaufsicht für marktmächtige Unternehmen, Endbericht (August 2018), abrufbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Wirtschaft/modernisierung-der-missbrauchsaufsicht-fuer-marktmaechtige-unternehmen.pdf?__blob=publicationFile&v=15.
- 4 aufgrund der Affinität zum Thema Legal Tech verpassten die Autoren den zweiten Workshop zum Prozessrecht mit den Implusvorträgen zu «Waffengleichheit im Verfügungsverfahren», «Geschäftsgeheimnisse im Kontext von Gerichts- und Schiedsverfahren» und «Durchsetzung von Besichtigungsansprüchen (Verleich zu Auditklauseln)» und verweisen höflichst auf den Tagungsbericht, der in Zeitschrift CR erscheinen wird.
- 5 Bd. 29 Jahrbuch 2019 erscheint zur Jahrestagung 2020, dann abrufbar unter: https://www.dgri.de/55/Publikationen/Schriftenreihe-der-DGRI.htm.
- 6 Alle Vorträge der Herbstakademie der DSRI (September 2019) sind abrufbar unter: https://www.dsri.de/herbstakademie/herbstakademie_2019-vortraege.html.