1.
Einleitung ^
«Mit LegalTech ist die Digitalisierung und Automatisierung in der Rechtsbranche angekommen [, dies] gilt auch für die Schweiz.»1 So haben es Kummer und Pfäffli bereits 2017 in ihrem Beitrag zu den Herausforderungen der juristischen Ausbildung geschrieben. Der Beruf der Anwältin und des Anwalts wird sich schon sehr bald ändern. Richard Susskind, Professor an der Universität Oxford und Vordenker im LegalTech2-Bereich3, vermutete in seinem Buch von 2017, dass die gewöhnlichen Anwältinnen und Anwälte in den kommenden Jahren an Ansehen und Bedeutung verlieren würden.4 Die traditionellen Geschäftsmodelle müssen überarbeitet und angepasst werden.5 Dies liegt auch am stetig steigenden Effizienz- und Kostendruck, vor dem die Rechtsbranche in der Vergangenheit vergleichsweise weniger stark betroffen war.6 Die Gesellschaft wird nicht mehr bereit sein, Wartezeiten in Kauf zu nehmen und viel Geld für Expertinnen und Experten aufzuwenden, wenn man dasselbe Mass an Expertise von weniger fachmännischen Personen haben kann, die (automatisierte) Systeme zur Hilfe ziehen.7 Die Effizienz muss also gesteigert werden, während gleichzeitig die Kosten sinken sollen (sogenannte «More-for-less Challenge»8). Dabei wird LegalTech eine entscheidende Rolle spielen.9 LegalTech kann in verschiedenen Bereichen der Jurisprudenz zum Einsatz kommen. Für LegalTech kann eine Aufteilung in drei Themenfelder gemacht werden: Die industriellen Rechtsdienstleistungen, die künstliche Intelligenz und die Blockchain.10 Im Rahmen dieses Artikels liegt der Fokus auf den industriellen Rechtsdienstleistungen, im Besonderen auf juristischen Chatbots, auch «Legal Bots» oder «Legal Chatbots»11 genannt. Es werden Anwendungsbereiche sowie die Chancen und Gefahren von solchen Legal Bots aufgezeigt und diskutiert. Am Ende sollen diese Punkte zusammengefasst und abgewogen werden, damit ein Fazit gezogen werden kann.
2.
Chatbots ^
Ein Chatbot ist eine Software, die mit Menschen interagieren kann.12 Die Anwendung ist so programmiert, dass sie selbständig läuft, die Eingaben des menschlichen Chatpartners erkennt und interpretiert, um darauf eine passende Antwort zu geben. Solche Chatbots gibt es bereits seit über 20 Jahren, auch wenn sie damals noch viel weniger intelligent und nützlich waren, verglichen mit Bots von heute.13 Einfache Chatbots können bereits Laien mit Hilfe von einschlägigen Programmen wie Manychat14 oder Dialogflow15 bauen und in einen Messenger von Facebook, Twitter oder anderen sozialen Netzwerken integrieren. In diesem Kapitel wird erklärt, welche Anwendungsbereiche es für Chatbots gibt, welches Potenzial sie haben, aber auch wo deren Nachteile liegen. Dabei werden insbesondere Legal Bots thematisiert, da diese künftig eine wichtige Rolle bei der juristischen Arbeit spielen werden.
2.1.
Anwendungsbereich ^
Der Anwendungsbereich von Chatbots ist sehr breit gefächert und in vielen Branchen bereits allgegenwärtig. Grosse Schweizer Unternehmen wie die Post, Swiss, Helvetia, Swisscom und auch Banken wie CreditSuisse benutzen oder testen Chatbots.16 Der Chatbot ist jedoch auch schon im Rechtsmarkt angekommen und unterstützt bereits jetzt Kanzleien17, Anwältinnen und Anwälte18, sowie kantonale Verwaltungsbehörden19. Nebst den unterschiedlichen Anwendungsbereichen ist es auch wichtig zu verstehen, dass sich die verschiedenen Legal Bots in ihrer Intelligenz bzw. dem Umfang der Unterstützung stark unterscheiden. Manche dienen lediglich als FAQ-Assistent (für das Beantworten von bestimmten, vorerfassten Fragen), andere sollen eine möglichst reale Rechtsberatung nachspielen.20 Im Folgenden werden einige konkrete Beispiele von Chatbots vorgestellt, die es gibt oder gab.
Die Coop Rechtsschutz AG hat mit ihrem Blitzbot einen Legal Chatbot erstellt, der die Benutzerin oder den Benutzer bei der Rechtsberatung im Fall von einer Geschwindigkeitsüberschreitung unterstützt.21 Dieser Bot wurde vor dem Hintergrund erstellt, dass rund ein Fünftel aller Fälle bei der Coop Rechtsschutz einen Bezug zum Strassenverkehr aufweisen. Mit dem Programm «Watson», das von IBM entwickelt und heute Unternehmen zur Verfügung gestellt wird, wurde der Legal Chatbot realisiert.22 Watson ist ein Computerprogramm, das dank der künstlichen Intelligenz Antworten auf digital eingegebene Fragen des Nutzenden geben kann.23 Der Blitzbot erfragt die Geschwindigkeitsüberschreitung des Nutzenden und den Ort, wo diese gemessen wurde. Je nachdem, welche Daten die oder der Nutzende eingibt, kann der Bot weitere Informationen erfragen, die er für seine Beratung benötigt, um schlussendlich eine Einschätzung zu den strafrechtlichen und administrativen Konsequenzen abzugeben. Der folgende Screenshot aus einer Präsentation von Martinis zeigt die Benutzeroberfläche des Blitzbots.
Abbildung 1: Screenshot vom Blitzbot der Coop Rechtsschutz AG24
Die Einschätzung kann der Bot dank der künstlichen Intelligenz, die auf grossen Datenmengen von Gesetzestexten und Gerichtsurteilen basiert, selbständig erarbeiten. Diese Intelligenz ermöglicht es dem Bot, auch komplexere Fälle mit Ausweisentzug oder Wiederholungsfällen zu bearbeiten.25 Es wird offensichtlich, dass es sich bei diesem Bot um ein bereits ziemlich intelligentes Programm handelt, das zudem stetig mit neuen Fällen, die bearbeitet werden, trainieren, also lernen kann. Aufgrund der Fragen rund um den Datenschutz und den Unsicherheiten bezüglich der Haftung hat es der Blitzbot bis jetzt nicht an die Öffentlichkeit geschafft, sondern wurde lediglich durch interne Juristinnen und Juristen in der Beratung eingesetzt und als Testprojekt in mehreren Webinaren etc. vorgestellt.26
Einen ähnlichen Ansatz hat der Rechtsanwalt Peter Stieger von Stieger+Schütt Rechtsanwälte mit dem Tool «zuschnell.ch»27 gewählt. Das Tool steht online für jedermann zur Verfügung. Es handelt sich dabei nicht um einen Chatbot wie oben umschrieben. Es ist jedoch auch eine Anwendung, die der Benutzerin bzw. dem Benutzer hilft, die Problemstellung einfach und effizient in das System einzugeben. Die Problemstellung in diesem Fall ergibt sich insbesondere aus der gemessenen Geschwindigkeit und der angegebenen Höchstgeschwindigkeit. Dies ist im folgenden Screenshot ersichtlich. Den konkreten Nutzen des Tools werde ich in Kapitel 2.2 aufzeigen im Zusammenhang mit den Vorteilen von Legal Bots im Allgemeinen.
Abbildung 2: Screenshot der Dateneingabe bei «zuschnell.ch»28
Ein weiteres Beispiel eines funktionierenden Chatbots, der aktuell in Gebrauch steht, stellt Lexy von der YLEX AG dar.29 Die YLEX AG ist ein Tochterunternehmen der Coop Rechtsschutz AG und berät und unterstützt Private bei alltäglichen, rechtlichen Fragestellungen und Problemen.30 Bei Lexy handelt es sich um einen relativ simplen Chatbot. Er wird automatisch gestartet, wenn man die Website aufruft, stellt sich dem Benutzenden vor und zeigt eine beispielhafte, wohl häufig vorkommende rechtliche Problemstellung. «Traumreise versprochen und ein Debakel geboten», «Arbeit super erledigt, Arbeitszeugnis naja» oder ähnliches wird gefragt, direkt gefolgt von der Frage, ob man schon mal in der Klemme gesteckt hat.31
Abbildung 3: Screenshot vom Chabot Lexy32
Wie man auf dem obigen Screenshot des Chatbots erkennen kann, lässt der Bot keine freie Eingabe zu, sondern bietet lediglich die Wahl zwischen vorgeschlagenen Antwortmöglichkeiten an. Ziel des Bots ist es, die Benutzerin oder den Benutzer über das Angebot und die Arbeitsweise bei der YLEX AG aufzuklären. Diese Antworten würde man auch sonst auf der Website finden, jedoch vielleicht nicht dort, wo es die Nutzerin oder der Nutzer suchen.
Ein praxisbezogenes Beispiel aus Grossbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) zeigt, dass Legal Bots im Ausland schon seit Jahren sehr beliebt sind und viel genutzt werden. Mit der Gratis-Anwendung «DoNotPay»33 eines jungen Stanford-Studenten konnten in London und New York bereits 2016 innerhalb von 21 Monaten 160’000 Parkbussen im Umfang von insgesamt 4 Millionen US-Dollar erfolgreich angefochten werden.34 Aufgrund des Auslandbezuges und der grossen Unterschiede in der Gesetzeslage zwischen der Schweiz und Grossbritannien/USA, allein wegen der unterschiedlichen Rechtssysteme,35 liegt der Fokus dieses Artikels aber auf Legal Bots aus der Schweiz.
Nachdem nun verschiedene Bereiche aufgezeigt wurden in denen Chatbots angeboten werden, folgen Ausführungen, wie man von ihnen profitieren kann und wo deren Probleme liegen.
2.2.
Vorteile und Chancen ^
Chatbots können einfache, repetitive Aufgaben automatisieren und so die Aufgabenflut von Kanzleien reduzieren.36 Insbesondere häufig gestellte Fragen kann ein Bot sehr einfach selbständig beantworten. Inspiriert vom Blitzbot der Coop Rechtsschutz AG wurde in deutlich kleinerem Umfang, im Rahmen des LegalTech-Kurses im April 2020 an der Universität St. Gallen von einer Gruppe Studierenden, ohne Vorkenntnisse im Programmieren, ein Bot gebaut. Mit dem frei zugänglichen Online-Programm Manychat wurde, nach kurzer Einführung in das Programm, innert weniger Stunden ein funktionierendes Programm zusammengestellt, das der Nutzerin oder dem Nutzer bei simplen Fällen von Geschwindigkeitsüberschreitungen in der Tempo-30-Zone die möglichen strafrechtlichen und administrativen Konsequenzen aufzeigt. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass bereits mit wenig Aufwand und Wissen ein Tool erstellt werden kann, das, zumindest unterstützend, genutzt werden kann.
Ein weiterer Vorteil von Chatbots ist die ständige Erreichbarkeit. Es kann zu jeder Zeit eine Anfrage an den Bot gestellt werden und es wird sogleich Hilfe geboten. Dies ist einerseits für die Benutzenden des Chatbots vorteilhaft, da das Anliegen im besten Fall ohne jegliche Wartezeit gelöst werden kann, egal zu welcher Tageszeit es auftaucht. Andererseits profitieren auch die Betreiberinnen oder Betreiber des Bots, da ihnen das Abarbeiten von einfachen Anfragen erspart bleibt und so mehr Zeit bleibt für die Beratung und Hilfe bei komplexeren Fällen, die der Chatbot nicht bearbeiten kann.
Auch Bots, die nicht primär auf eine Rechtsberatung abzielen, wie bspw. Lexy,37 können hilfreich sein. So können diese den Anwältinnen und Anwälte bspw. in der Gestaltung ihres Internetauftritts dienen. Es erleichtert der Kundschaft die Suche nach konkreten Auskünften, die bereits auf der Website vorhanden sind, und reduziert gleichzeitig die Anfragen für solche Informationen an die Kanzleien.
Mit einem Tool wie «zuschnell.ch» der Stieger+Schütt Rechtsanwälte wird aufgezeigt, wie LegalTech respektive Chatbot(ähnliche)-Programme einer Kanzlei helfen können, neue Kundinnen und Kunden zu akquirieren. Personen, die geblitzt wurden, stossen bei der Online-Recherche zu den Konsequenzen schnell auf die «zuschnell.ch»-Website. Dort werden sie durch das intuitive Tool ihre Angaben, vorerst noch vollkommen anonym, eingeben. Danach werden der Nutzerin oder dem Nutzer eher wenig hilfreiche Informationen zur Verfügung gestellt, jedoch mit der Option, gegen Geld mehr zu erfahren. Einerseits kann kostenpflichtig (oder testweise auch kostenlos) auf eine Datenbank an FAQs und Musterbriefen zugegriffen werden. Andererseits werden auch zwei Pakete, ein Erstberatungs- und ein Vertretungspaket, angeboten, die man für 49 respektive 699 Schweizer Franken erwerben kann.38 Diese Pakete beinhalten Beratungen, Beurteilungen, Stellungnahmen an die Administrationsbehörde und mehr. So können also Leute, die lediglich Informationen zu ihrer Geschwindigkeitsüberschreitung gesucht haben, zu Klientinnen und Klienten einer Anwaltskanzlei werden und die Massnahmen der Administrationsbehörden anfechten, obwohl sie dies unter Umständen nie in Betracht gezogen hätten bzw. nicht bei genau dieser Kanzlei.
2.3.
Gefahren und Nachteile ^
Im Zusammenhang mit der Erstellung und Nutzung von Chatbots ergeben sich jedoch auch Nachteile, und es können Herausforderungen entstehen. Bei der Betreibung eines Legal Bots stellen sich diverse rechtliche Fragen, insbesondere bezüglich der Haftung und des Datenschutzes. Fraglich ist auch, ob es rechtens ist, einen Legal Bot eine juristische Beratung machen zu lassen. Zudem sind viele Leute Chatbots gegenüber (immer noch) skeptisch.39 Der Fokus wird hier jedoch auf die rechtlichen Fragestellungen gelegt.
Grundsätzlich darf, anders als bspw. in Deutschland, jede und jeder in der Schweiz eine Rechtsberatung abgeben. Eine gesetzliche Reglementierung diesbezüglich gibt es nicht.40 Ausnahmen hierbei sind bspw. die berufsmässige Vertretung (in den meisten Fällen)41 oder die Verteidigung von Beschuldigten in einem Strafverfahren42. Beides ist den Anwältinnen und Anwälten nach dem Anwaltsgesetz (Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte) vorbehalten.43 Im Falle von Chatbots stellen diese gesetzlichen Regulierungen jedoch kaum ein Hindernis dar, da diese wahrscheinlich keine Vertretung oder Verteidigung vor Gericht anbieten wollen, abgesehen davon, dass sie dies wohl auch noch nicht könnten. Spätestens ab dem Zeitpunkt, ab dem der Gang vor Gericht unumgänglich wird, müssen die Anwältinnen und Anwälte also übernehmen. Bei der Dienstleistung durch die Legal Bots handelt es sich aber meist lediglich um eine Auskunft für den Nutzenden, was durchaus als Rechtsberatung eingeschätzt werden kann. Solange man also die Anwendung des Chatbots auf die Rechtsberatung in der Schweiz einschränkt, stellt dies keine Gefahr dar im Hinblick auf die hiesigen Prozessordnungen. Dies sollte ohnehin keine wirkliche Einschränkung darstellen, zumal die Chatbots, die eine Rechtsberatung zum Ziel haben, auf die Schweizer Gesetze geschult und unter Umständen mit Fällen und Gerichtsentscheiden aus der Schweiz trainiert werden.
Eine weitere Herausforderung bei Legal Chatbots stellen die datenschutzrechtlichen Fragen dar. In Artikel 13 der Bundesverfassung ist festgehalten, dass jede Person Anspruch auf den Schutz der persönlichen Daten hat.44 Dieser Anspruch spiegelt sich im ersten Artikel des Bundesgesetzes über den Datenschutz wider.45 Von diesem Schutz profitieren alle «Angaben, die sich auf eine bestimmte oder bestimmbare Person beziehen».46 Da bei Bots, die eine rechtliche Beratung oder Einschätzung abgeben, teils auch das Strafrecht involviert ist,47 fallen Daten in diesem Zusammenhang unter Ziff. 4 von Art. 3 lit. a DSG und gelten als besonders schützenswert. Für solche besonders schützenswerte Personendaten muss die ausdrückliche Einwilligung der Betroffenen zur Bearbeitung48 eingeholt werden, über die Beschaffung der Daten informiert werden49 und es bedarf einer Registrierung, um solche Daten überhaupt sammeln zu dürfen50. Dieser ausführlichen und strengen Gesetzeslage sind sich die Betreibenden der gezeigten Bots anscheinend bewusst. Das ist wohl auch der Grund, weshalb der Blitzbot vom Coop Rechtsschutz keine Personendaten verwendet hat und die Anwendung lediglich internen Juristinnen und Juristen zur Verfügung gestellt wurde.51 Bei Stieger+Schütt Rechtsanwälte und ihrem «zuschnell.ch»-Tool gibt es eine Datenschutzerklärung, die über den Datenschutz des Tools informiert. Die Einwilligung zu dieser Erklärung wird dabei automatisch bei der Nutzung des Tools eingeholt.52 In der Datenschutzerklärung der YLEX ist ausdrücklich festgehalten, dass weder Kontaktdaten noch andere personenbezogene Daten ohne Einwilligung der betroffenen Person an Dritte weitergeleitet werden.53 Beide Anbieter, YLEX und «zuschnell.ch» behalten sich aber vor, die Datenschutzerklärungen jederzeit anzupassen.54 Es liegt deshalb in der Verantwortung der Nutzenden, die aktuellen Bestimmungen zu überprüfen.
Nebst dem potenziellen Imageschaden bei Fehlinformationen eines Chatbots können auch Haftungsfragen im Zusammenhang mit dem Gebrauch von Legal Bots und der künstlichen Intelligenz auftauchen. Briner argumentiert mit der vertraglichen Haftung im Auftragsrecht nach Art. 394 f. OR.55 Diese Haftung ist jedoch nur in Betracht zu ziehen, wenn ein Auftragsverhältnis vorgelegen hat. Ein Beispiel dafür wäre, wenn eine Anwältin oder ein Anwalt im Auftrag seiner Klientin bzw. seines Klienten einen Chatbot nutzt und dieser zu einer fehlerhaften Beratung führt. Dann könnte es unter den Voraussetzungen von Art. 398 OR zu einer Haftung kommen. Oftmals liegt wohl aber kein Auftragsverhältnis vor, da die Nutzenden den Chatbot selbständig benutzen, aber (noch) nicht mit der Anwältin oder dem Anwalt in einem Auftragsverhältnis stehen.
Bleskie hat in einem Artikel im Jusletter IT sehr ausführlich über die haftungsrechtlichen Konsequenzen der künstlichen Intelligenz geschrieben.56 Seine Ausführungen würden den Rahmen dieses Artikels sprengen, weshalb hier lediglich die zentralen Punkte und Argumente aufgezeigt werden. Da die Gefahren der künstlichen Intelligenz nicht umfassend geklärt sind, zieht Bleskie eine Gefährdungshaftung in Betracht.57 Jedoch zweifelt er an der Gefahr der künstlichen Intelligenz per se, weshalb er davon ausgeht, dass die Gefährdungshaftung verneint würde.58 Die analoge Anwendung der Geschäftsherrenhaftung59 i.V.m. der Hilfspersonenhaftung60 nach dem Obligationenrecht hält er für eine praxisgerechtere Lösung. Der grosse Vorteil der analogen Anwendung von Art. 55 i.V.m. Art. 101 OR liegt in deren Resultat, der Haftung des Geschäftsherren für den entstandenen Schaden durch die künstliche Intelligenz.61 Für die analoge Anwendung dieser beiden Artikel wird aber vorausgesetzt, dass die künstliche Intelligenz als «Person» im Sinne des OR subsumiert werden kann. Dies ist im Moment nicht möglich bzw. wird dies wohl von der herrschenden Lehre und Rechtsprechung verneint. Für eine praxisgerechte Einbindung der technologischen Fortschritte in das Recht plädiert Bleskie, um die künstliche Intelligenz den Art. 55 und 101 OR unterwerfen zu können.62 Es liegt also am Gesetzgeber, die notwendigen Anpassungen in der aktuellen Rechtslage zu machen.63
3.
Fazit ^
Nachdem die Entwicklungen im Rechtsmarkt, die Rolle des LegalTech und insbesondere das Tool des Chatbots für Anwältinnen und Anwälte aufgezeigt wurden, lassen sich nun einige Punkte zusammenfassen. Es wurde aufgezeigt, dass es in naher Zukunft Veränderungen in der Rechtsbranche geben wird.64 Durch die Nutzung von Chatbots ergeben sich einige Möglichkeiten, sowohl für die Anwältinnen und Anwälte wie auch für deren Kundschaft, von dieser Veränderung zu profitieren.
Auch wenn Anwältinnen von morgen nicht zu Programmierinnen und Anwälte auch keine Informatiker werden (müssen), ist es dennoch von grossem Vorteil, wenn sie die Entwicklung rund um LegalTech mitverfolgen und die Grundlagen von den in dieser Arbeit thematisierten Tools kennen und verstehen. Wenn man das Potenzial erkennt und sich den Herausforderungen stellt, kann man als Anwältin oder Anwalt stark von solchen Anwendungen profitieren. Die Einstiegshürden sind dabei so tief wie nie. Dies hat die erwähnte Gruppe von Studierenden mit der Entwicklung eines Mini-Chatbots innert kürzester Zeit bewiesen.65 Es gibt zudem immer mehr Literatur,66 Webinare,67 Kurse bzw. Weiterbildungen68 und auch Konferenzen69 , die sich um die LegalTech Thematik drehen und bei einem Einstieg helfen. Durch die breiten Anwendungsbereiche solcher Bots sollte es allen Interessierten möglich sein, davon zu profitieren.
Bei allen positiven Aspekten dürfen aber die Unklarheiten rund um den Datenschutz und die Haftungsfragen nicht vergessen gehen. Der Zeitpunkt des Einstiegs in die Welt des LegalTech wird für viele deshalb wohl auch stark davon abhängen, wie diesen Unsicherheiten begegnet wird und wie sich die rechtliche Lage bezüglich der Haftung bei der Nutzung von künstlicher Intelligenz anpasst.70
Maurus Schreyvogel, Anwalt und Chief Legal Innovation Officer von Novartis, hat letztes Jahr den Titel eines Artikels in der «recht» meiner Meinung nach sehr passend gewählt: «LegalTech ist erfolgreich gestartet; das Potenzial schöpfen wir aber bei Weitem noch nicht aus».71 Das Potenzial, das in diesem Artikel aufgezeigt wurde, aber auch noch weit darüber hinaus, gilt es für die praktizierende Juristin und den angehenden Juristen in möglichst naher Zukunft auszuschöpfen!
Levi Schöb, B.A. Student HSG in Rechtswissenschaften, Universität St. Gallen.
- 1 Franz Kummer/Daniel Pfäffli, #LegalTech – Bestandesaufnahme und Herausforderung für die juristische Aus- und Weiterbildung, in: Zeitschrift für schweizerisches Recht (Band 136 Halbband 2), Basel 2017, 121–154, 152.
- 2 LegalTech wird in diesem Artikel als Überbegriff für Technologien verstanden, die die juristische Arbeit unterstützen und inkludiert alle Abwandlungen des Wortes (Legal Tech, Legal Technology, etc.).
- 3 Vgl. Ioannis Martinis, Legal Tech: Disruptive Entwicklungen im Rechtsmarkt, Magister, Bern 2018 (zit. Martinis LegalTech), 9.
- 4 Vgl. Richard Susskind, Tomorrow’s Lawyers: An Introduction to Your Future, 2. Aufl., Oxford 2017, 133.
- 5 Vgl. Rolf H. Weber, Gastbeitrag/Digitalisierung und der Kampf ums Recht, in: Dal Molin-Kränzlin Alexandra/Schneuwly Anne Mirjam/Stojanovic Jasna (Hrsg.), Digitalisierung – Gesellschaft – Recht, Zürich/St. Gallen 2019, 10.
- 6 Vgl. Jens Wagner, Legal Tech und Legal Robots, Der Wandel im Rechtsmarkt durch neue Technologien und künstliche Intelligenz, Wiesbaden 2018, 3.
- 7 Vgl. Susskind, 133.
- 8 Vgl. Martinis LegalTech, S. 17; Susskind, 4.
- 9 Vgl. Wagner, 3.
- 10 Vgl. Wagner, 8.
- 11 Unter «Legal Bot» werden in diesem Artikel alle Bots verstanden, die Juristinnen und Juristen in ihrer Arbeit helfen. «Chatbots» und «Legal Chatbots» sind gleichermassen darunter zu verstehen.
- 12 Vgl. Sascha Briner, Die Revolution des Brokergeschäfts und deren Folgen, in: HAVE 4/2017, 372–380, 374.
- 13 Vgl. Gerrit Heinemann, Die Neuausrichtung des App- und Smartphone-Shopping. Mobile Commerce, Mobile Payment, LBS, Social Apps und Chatbots im Handel, Wiesbaden 2018, 167.
- 14 www.manychat.com.
- 15 www.dialogflow.com.
- 16 Vgl. Briner, S. 373; Cédric Voirol, Chatbots in der Schweiz – Intelligent? Schnell? Effizient? Wir haben getestet!, xeit vom 14. Januar 2020.
- 17 www.wengervieli.ch/extranet.
- 18 www.zuschnell.ch.
- 19 www.zg.ch/behoerden/volkswirtschaftsdirektion/konkursamt.
- 20 Vgl. Irene Ng, Designing and Building Chatbots for Pro Bono Legal Clinics, in: Jusletter IT vom 22. Februar 2018, www.jusletter-it.weblaw.ch/en/issues/2018/IRIS/designing-and-buildi_529b70f4ec, N 4.
- 21 Vgl. Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), Roboter als digitale Juristen, vom 25. Juli 2018, https://www.srf.ch/news/panorama/busse-fragen-sie-den-blitzbot-roboter-als-digitale-juristen.
- 22 Vgl. Ioannis Martinis, Legal AI Pilotprojekt der Coop Rechtsschutz AG mit IBM Watson, Webinar Weblaw Brown Bag, vom 18. Juli 2018 (zit. Martinis Blitzbot), 6.
- 23 Vgl. Martinis Blitzbot, 6.
- 24 Vgl. Martinis Blitzbot, 35.
- 25 Vgl. SRF.
- 26 Vgl. SRF.
- 27 www.zuschnell.ch.
- 28 www.zuschnell.ch/calc.
- 29 www.ylex.ch.
- 30 www.ylex.ch/de/angebot.
- 31 www.ylex.ch/de/home.
- 32 www.ylex.ch/de/home.
- 33 www.donotpay.com.
- 34 Vgl. Samuel Gibbs, Chatbot lawyer overturns 160,000 parking tickets in London and New York, in: The Guardian vom 28. Juni 2016, www.theguardian.com/technology/2016/jun/28/chatbot-ai-lawyer-donotpay-parking-tickets-london-new-york.
- 35 Vgl. Piyali Syam, What is the Difference Between Common Law and Civil Law?, in @WashULaw vom 28. Januar 2014, www.online law.wustl.edu/blog/common-law-vs-civil-law.
- 36 Vgl. Ng, N 2.
- 37 Vgl. oben Kap. 2.1.
- 38 www.zuschnell.ch/dash.
- 39 Vgl. Frédéric Monard et al., Benchmark-Studie 2017, Kundenservice im digitalen Zeitalter, Dübendorf 2017, 19.
- 40 Vgl. Walter Fellmann, Anwaltsrecht, 2. Aufl. Bern 2017, 4 N 13.
- 41 Art. 68 Abs. 2 lit. a ZPO.
- 42 Art. 127 Abs. 5 StPO.
- 43 Art. 68 Abs. 2 lit. a ZPO; Art. 127 Abs. 5 StPO.
- 44 Vgl. Art. 13 Abs. 2 BV.
- 45 Vgl. Art. 1 DSG.
- 46 Art. 3 lit. a DSG.
- 47 Siehe bspw. oben Kap. 2.1 Coop Blitzbot oder «zuschnell.ch».
- 48 Vgl. Art. 4 Abs. 5 DSG.
- 49 Vgl. Art. 14 Abs. 1 DSG.
- 50 Vgl. Art 11a Abs. 3 lit. a DSG.
- 51 Vgl. SRF; vgl. Martinis Blitzbot 14.
- 52 www.zuschnell.ch/dse.
- 53 www.ylex.ch/de/datenschutz.
- 54 www.zuschnell.ch/dse; www.ylex.ch/de/datenschutz.
- 55 Vgl. Briner, 378.
- 56 Vgl. Nicolai Bleskie, Künstliche Intelligenz und haftungsrechtliche Konsequenzen, in: Jusletter IT vom 24. Mai 2018, www.jusletter-it.weblaw.ch/issues/2018/24-Mai-2018/kunstliche-intellige_4223194410.
- 57 Vgl. Bleskie, N 34.
- 58 Vgl. Bleskie, N 33.
- 59 Vgl. Art. 55 OR.
- 60 Vgl. Art. 101 OR.
- 61 Vgl. Bleskie, N 36.
- 62 Vgl. Bleskie, N 39.
- 63 Vgl. Bleskie, N 40.
- 64 Zum Ganzen oben Kap. 1.
- 65 Zum Ganzen oben Kap. 2.2.
- 66 Siehe Literaturverzeichnis mit einigen aktuellen Beiträgen in Fachzeitschriften etc.
- 67 www.weblaw.ch/competence/academy/webinar; https://www.weblaw.ch/competence/academy/brownbag/brownbaglegaltech.html.
- 68 www.ffhs.ch/de/weiterbildung/cas-legal-tech; www.hslu.ch/de-ch/informatik/weiterbildung/digital-value-creation/fachkurse-digital-law-legal-tech; www.fh-hwz.ch/produkt/seminar-digital-law; www.weblaw.ch/competence/academy/legaltech-academy.
- 69 www.swisslegal.tech; www.swisslegaltech.ch/event; https://www.weblaw.ch/competence/academy/veranstaltung/legaltech2020 (alle Websites zuletzt besucht am 04. September 2020).
- 70 Siehe oben Kap. 2.3.
- 71 Maurus Schreyvogel, LegalTech ist erfolgreich gestartet; das Potenzial schöpfen wir aber bei Weitem noch nicht aus, in: recht 4/2019, 286–289, 286.