Begriffe
Der Begriff des Fernmeldedienstes wird in Art. 3 Bst. b FMG als die fernmeldetechnische Übertragung von Informationen für Dritte definiert. Als fernmeldetechnische Übertragung gilt wiederum die leitungs- oder funkbasierte Übertragung von Informationen über vermittelte, paketorientierte oder Punkt-zu-Punkt-Verbindungen (vgl. Art. 3 Bst. a und c FMG). Auch das Anbieten von Übertragungskapazität gilt als fernmeldetechnische Übertragung.1
Anbieterinnen von Fernmeldediensten müssen gemäss Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) eine Reihe von Überwachungsmassnahmen vornehmen, so zum Beispiel im Verdachtsfall live Daten und Gespräche an Behörden ausleiten, oder Auskünfte über die Identität ihrer Teilnehmer gewähren.
Im Vergleich zu herkömmlichen Anbieterinnen von Fernmeldediensten unterstehen Anbieterinnen abgeleiteter Kommunikationsdienste nur einer reduzierten Überwachungspflicht: Nach Art. 27 BÜPF müssen sie den Behörden Zugang zu ihren Anlagen gewähren, damit diese Live-Überwachungen schalten können, und sie müssen die für die Überwachung notwendigen Auskünfte über ihre Teilnehmer erteilen. Zudem müssen sie die ihnen zur Verfügung stehenden Randdaten liefern. Sie sind jedoch beispielsweise nicht verpflichtet, diese Randdaten wie normale Anbieterinnen von Fernmeldediensten während sechs Monaten auf Vorrat zu speichern oder Überwachungsdaten selber in Echtzeit an die Behörden auszuleiten.
Mögliches Upgrade durch den Bundesrat
Nach 22 Abs. 4 bzw. Art. 27 Abs. 3 BÜPF kann der Bundesrat Anbieterinnen abgeleiteter Kommunikationsdienste den Pflichten der normalen Anbieterinnen von Fernmeldediensten unterstellen, sofern diese von grosser wirtschaftlicher Bedeutung sind oder eine grosse Nutzerschaft haben. In Art. 22 bzw. 52 VÜPF hat der Bundesrat die entsprechenden Schwellenwerte festgelegt, und zwar auf
- 100 Auskunftsgesuche (bezüglich Teilnehmeridentifikation) in den letzten 12 Monaten, oder
- Überwachungsaufträge zu 10 verschiedenen Zielen in den letzten 12 Monaten, oder
- einen Jahresumsatz in der Schweiz von 100 Millionen Franken in zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren festgelegt. Beim letzteren Kriterium muss ein grosser Teil der Geschäftstätigkeit im Anbieten abgeleiteter Kommunikationsdienste bestehen, und mindestens 5000 Teilnehmende müssen die Dienste der Anbieterin in Anspruch nehmen.
Der «Upgradeversuch» durch den Dienst ÜPF
Das per Anfang 2021 revidierte Fernmeldegesetz hob die früher bestehende Differenzierung zwischen Fernmeldediensten und sogenannten Over-the-Top-Diensten (OTT, d.h. Diensten, die auf das Internet aufsetzen, aber selber nicht Internetzugangsdienste sind) auf, um die inhärenten Abgrenzungsschwierigkeiten zu umgehen. Damit ging eine breitere Definition des Begriffs der Fernmeldedienste einher, die neu auch OTT-Dienste erfassen soll. Diese Anpassung findet sich dabei zwar nicht im Wortlaut des Fernmeldegesetzes (Art. 3 Bst. b und c FMG lauten nach wie vor gleich), ergibt sich jedoch aus der Botschaft2 und aus darauf gestützten Merkblättern des Bundesamtes für Kommunikation.3
Der Dienst ÜPF wollte diese Gelegenheit beim Schopf packen und versuchte bereits vor Inkrafttreten des neuen FMG auf dem Weg eines Merkblattes, die weitere Definition des FMG auch im Bereich des BÜPF nützlich zu machen. Bereits damals kritisierte der Autor dies deutlich als unzulässige Ausweitung des Anwendungsgebietes des BÜPF.4
Gestützt auf sein neues Merkblatt und trotz der geäusserten Kritik stufte der Dienst ÜPF zwei bisher als Anbieterinnen abgeleiteter Kommunikationsdienste qualifizierte Schweizer Unternehmen, Threema AG, mit ihrem Kurznachrichten- und Internettelefoniedienst Threema, und Proton AG, mit ihrem verschlüsselten E-Mail-Produkt Protonmail, neu als Anbieterinnen von Fernmeldediensten ein. Der Dienst ÜPF wollte den Unternehmen so die erheblich umfassenderen Überwachungspflichten für Anbieterinnen von Fernmeldediensten auferlegen.
Die Gerichte schreiten ein
Die beiden Anbieterinnen wehrten sich in der Folge jedoch erfolgreich gegen diese Umqualifikation. In Entscheid 2C_544/2020 vom 29. April 2021 bestätigte das Bundesgericht, dass Threema AG lediglich als Anbieterin abgeleiteter Kommunikationsdienste zu qualifizieren sei.5 Am 13. Oktober 2021 doppelte das Bundesverwaltungsgericht nach und hielt, gestützt auf den genannten Bundesgerichtsentscheid, fest, handle es sich um eine Anbieterin abgeleiteter Kommunikationsdienste. Der Entscheid ist rechtskräftig (BVGer, A-5373/2020).
Zur Begründung führten die Gerichte an, aus den Definitionen des Gesetzeswortlauts gehe nicht hervor, dass ein Anbieter, der weder direkt oder indirekt einen Internetzugang anbietet und auch gegenüber seinen Kunden keine Verantwortung für die Übertragung von Informationen über das Internet übernimmt, ein Anbieter von Fernmeldediensten sei. Denn: Würde die blosse Eingabe von Informationen ausreichen, blieben keine Dienste übrig, die als abgeleitete Kommunikationsdienste angesehen werden könnten (Art. 3 Bst. b und c FMG; BGer, 2C_544/2020, E. 4.2; BVGer, A-5373/2020, E. 6.3.2).
Nachdem der Dienst ÜPF bis zum Schluss mit angeblichem technischem Fortschritt argumentiert hatte, der eine weitere Auslegung des Gesetzes rechtfertigen sollte, diesen Fortschritt jedoch nie konkret belegt hatte, führten die Gerichte aus, die vom Gesetzgeber in Betracht gezogenen Umstände hätten sich nicht derart geändert, dass dies bei der Auslegung des Begriffs der Anbieterin von Fernmeldediensten berücksichtigt werden müsste. Das Bundesgericht hielt fest, dass es keinen Raum für eine zeitgemässe objektive Auslegung des Gesetzes gebe, wonach ein Anbieter von Kurznachrichten- und Internettelefoniediensten als Anbieter von Telekommunikationsdiensten zu qualifizieren sei. Eine schnelle technologische Entwicklung im Bereich der Telekommunikation sei bereits während des Gesetzgebungsverfahrens zu beobachten gewesen, weshalb keine Rede davon sein könne, dass sich die Umstände im Vergleich zu den vom Gesetzgeber in Aussicht gestellten Umständen geändert hätten (BGer, 2C_544/2020 E. 5.2.1).
Gestützt darauf hielt auch das Bundesverwaltungsgericht fest, weil die Technologie, die hinter dem Versand von E-Mails stehe, vor der Entwicklung von Instant Messaging- und VOIP-Telefonie-Anwendungen entwickelt worden sei, sei auch in diesem Fall das Gesetz nicht plötzlich weiter auszulegen (BVGer, A-5373/2020, E. 6.3.3).
Auch aus systematischer Sicht bestätigte das Bundesverwaltungsgericht, dass der Gesetzgeber zwar den Begriff der Anbieterinnen von Fernmeldediensten im Regime des neuen Fernmeldegesetzes ausweiten wollte. Er habe jedoch nicht beabsichtigt, dass sich diese Ausweitung auch auf die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs ausweiten sollte. Nachdem in der früheren Regelung – die, wie gesehen, auch im vorliegenden Fall anwendbar sei – der Begriff der Fernmeldedienstanbieterin den Begriff der Anbieterin von OTT-Diensten nicht umfasse (BVGer, A-5373/2020, E. 6.3.4).
Hinzu kommt gemäss Bundesverwaltungsgericht, dass es aufgrund der Möglichkeit des Bundesrates, bestimmte Anbieterinnen von abgeleiteten Kommunikationsdiensten weitreichenden Verpflichtungen zu unterwerfen, zur Erreichung der Gesetzesziele nicht gerechtfertigt sei, den Begriff der Fernmeldedienstanbieterinnen wie von der Vorinstanz gewünscht zu erweitern (BVGer, A-5373/2020, E. 6.3.5).
Die Strategie des Dienstes ÜPF, im Windschatten der Revision des FMG entgegen dem klaren Willen des Gesetzgebers auch den Anwendungsbereich des BÜPF auszuweiten, ist damit auf ganzer Linie gescheitert.
- 1 M. Amgwerd/S. Schlauri, Telekommunikation, in: Biaggini et al. (Hg.), Fachhandbuch Verwaltungsrecht, Zürich 2016, N 6.61.
- 2 Botschaft FMG, BBL 2017, 6599.
- 3 Vgl. BAKOM, Registrierung und Publikation als FDA, tinyurl.com/3dbknxbh, mit Hinweisen.
- 4 S. Schlauri, Unzulässige Ausweitung des Begriffs des Fernmeldedienstes durch den Dienst ÜPF, in: Jusletter IT 24. Mai 2018.
- 5 Threema AG war durch den Schreibenden vertreten.