Die juristische Institution der Kurzarbeitsentschädigung existiert im Schweizer Recht bereits seit Jahrzehnten. Sie ist in den Art. 31 ff. des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1982 über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung (Arbeitslosenversicherungsgesetz,
Das administrative Verfahren der Kurzarbeitsentschädigung ist zweistufig. In einem ersten Schritt passiert die Voranmeldung von Kurzarbeit durch den Arbeitgeber bei der kantonalen Amtsstelle. In einem zweiten Schritt erfolgt die Abrechnung der Kurzarbeitsentschädigung durch den Arbeitgeber bei der kantonalen Arbeitslosenkasse pro Abrechnungsperiode (pro Monat); nach der Prüfung durch die kantonale Arbeitslosenkasse wird die Vergütung ausbezahlt.
Die Arbeitsmarktstatistik des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO publiziert auf ihrer Website4 die Daten der Kurzarbeitsentschädigung ab 2004. Die Statistik begann im Jahre 2004 mit einem Höhepunkt von ca. 1’400 betroffenen Betrieben und ca. 10’000 betroffenen Arbeitnehmern und stabilisierte sich danach sukzessiv auf einem tiefen Niveau. Der nächste bedeutende Zuwachs passierte mit der Finanzkrise im Jahre 2009 und führte zu einer Anzahl von ca. 5’000 betroffenen Betrieben und ca. 90’000 betroffenen Arbeitnehmern.
Am Anfang der Coronakrise wurde die Institution der Kurzarbeitsentschädigung den Umständen entsprechend erweitert. Dies erfolgte vorerst in der Verordnung vom 20. März 2020 über Massnahmen im Bereich der Arbeitslosenversicherung im Zusammenhang mit dem Coronavirus (Covid-19) (Covid-19-Verordnung Arbeitslosenversicherung; SR 837.033)5 und wurde anschliessend durch die Art. 17 f. des Bundesgesetzes vom 25. September 2020 über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Gesetz; SR 818.102)6 bestätigt.
Die Erleichterung des Zugangs zur Kurzarbeitsentschädigung diente als Massnahme zur Abfederung der wirtschaftlichen Konsequenzen der Coronakrise in der Schweiz und fand bei der Bevölkerung einen grossen Anklang. Dementsprechend stieg die Anzahl der Fälle der Kurzarbeitsentschädigung ohne Präzedenz: die monatliche Veränderung vom Februar 2020 zum März 2020 bei den betroffenen Betrieben war von ca. 300 zu ca. 116’000 (fast 400-mal mehr) und bei den betroffenen Arbeitnehmern von ca. 5’000 zu ca. 960’000 (fast 200-mal mehr). Nun blieb es aus zu sehen, wie gut die praktische Umsetzung der Institution der Kurzarbeitsentschädigung den hohen Erwartungen gerecht werden konnte.
Das ursprüngliche Verfahren der Kurzarbeitsentschädigung, definiert noch vor dem Anfang der Pandemie, war komplex und formalistisch, mit vielen Formularen und umfangreichen Berechnungen in Excel Dateien. In den Zeiten vor Corona mag der Prozess zwar gut funktioniert haben. Angesichts des rasanten Anstiegs der Gesuche zeigte das alte Verfahren sehr schnell seine Grenzen. Die gesuchstellenden Arbeitgeber standen unter einem enormen wirtschaftlichen Druck und waren mit einem komplexen, zeitaufwändigen Verfahren konfrontiert, das sie trotz Erfahrungsmängel mit komplexen Formularen selbständig bewältigen mussten.
Auf der anderen Seite standen die verantwortlichen Behörden unter hohem politischem Druck, konnten aber die kurzfristig massiv erhöhte Arbeitslast in der Praxis kaum bewältigen. Im Weg standen mehrere praktische Schwierigkeiten: einerseits war es nicht einfach, die Personalressourcen zu erhöhen, sei es aus Budgetgründen, sei es angesichts der erforderlichen Einarbeitungszeit und des nötigen Wissenstransfers; andererseits war es anspruchsvoll, die internen Prozesse anzupassen, die für einen Bruchteil der aktuellen Zahl der Gesuche konzipiert waren. Die Gesuche konnten zwar nicht nur per Post, sondern auch per E-Mail eingereicht werden, die interne Bearbeitung wurde aber oft von Medienbrüchen gekennzeichnet (Digitalisierung war einzig mit Scanner möglich, was bedeutet, dass E-Mails ausgedruckt und eingescannt werden mussten); weiter fand keine einfache, direkte Kommunikation zwischen den Behörden und den Bürgern statt. Ein zusätzlicher Faktor waren in dieser Hinsicht die unvollständigen Eingaben der Gesuchstellenden – es folgte oft ein zeitaufwändiges Hin und Her, das unnötige Aufwände verursachte und die Bearbeitungsdauer der Gesuche wesentlich verlängerte.7
2.
Automatisierung als Antwort auf die Coronakrise ^
Die Überlastung der zuständigen Behörden lag auf der Hand. Das Problem wurde erkannt und mit zwei parallelen Massnahmen beseitigt.
Auf der rechtlichen Seite wurden das vereinfachte Verfahren bei der Voranmeldung der Kurzarbeit sowie das summarische Verfahren bei der Abrechnung der Kurzarbeitsentschädigung eingeführt. Dies schaffte die Grundlage zur inhaltlichen Vereinfachung des gesamten Prozesses.
Auf der technologischen Seite wurde die Automatisierung der Kurzarbeitsformulare eingeführt. Dies geschah auf Initiative des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO (Stufe Bund)8. Die neue, automatisierte Lösung wurde den Kantonen bereits ab Ostern 2020 angeboten. Die Kantone konnten selbständig über die Nutzung und deren Ausmass entscheiden (opt-in) – die automatisierte Lösung wurde von allen Kantonen eingeführt.
Die neue, automatisierte Lösung ist interaktiv und benutzerfreundlich. Sie integriert sich voll in die Arbeitsprozesse der Behörden, erlaubt eine komplette Verifikation der Daten vor dem Import in die internen IT Systeme und ist medienbruchfrei über Domänengrenzen. Darüber hinaus erlaubt sie eine direkte Verbindung zwischen der Behörde und dem Bürger (es findet aber keine Person-to-Person Kommunikation statt).
Die Auswirkungen sind sehr positiv. Dank der Reduktion der Bearbeitungszeit und der Vereinfachung der internen Prozesse können die Behörden die gewünschten politischen Ziele besser erfüllen. Aus der Sicht der Arbeitsgeber wirkt der Prozess einfacher und benutzerfreundlicher; es existiert eine bessere Kommunikation mit der Behörde und vor allem erreicht der neue Prozess eine schnellere Abwicklung und Zahlung der Kurzarbeitsentschädigung.
Angesicht dieser Vorteile geniesst die neue Lösung eine hohe Akzeptanz. Sie wird aktuell von allen Kantonen benutzt, eine grosse Mehrheit hat sich für eine tiefe Integration in ihre Systeme entschieden. Praktisches Beispiel der Nutzung aus einem grossen Kanton: es werden ca. 15’000 Fälle pro Monat bearbeitet. Davon sind 12% innert 24 Stunden zur Auszahlung bereit, 76% innert 14 Tagen und 95% innert 30 Tagen. Das Feedback Behörde zu Bürger bei fehlenden Angaben wird in jedem dritten Fall benutzt.
3.
Übersicht der automatisierten Lösung ^
Die Gesuchstellerin meldet sich online in einer Web Applikation ein, füllt die erforderlichen Angaben aus und hängt die nötigen betrieblichen Unterlagen an. Dabei passiert automatisch und in Echtzeit eine Logik- und Vollständigkeitsprüfung direkt im Formular. Dies hilft der Antragstellerin bei der Vorbereitung des Gesuches, spart Zeit der zuständigen Sachbearbeiterin und ist insbesondere bei den komplexen Berechnungen hilfreich.
Abbildung 1: Beim Ausfüllen passiert automatisch und in Echtzeit eine Logik- und Vollständigkeitsprüfung direkt im Formular
Nach dem Abschluss wird der Antrag automatisch an die zuständige Sachbearbeiterin geschickt (E-Mail mit passwort-geschütztem Link). Diese arbeitet in derselben Web Applikation und sieht die Daten direkt im ausgefüllten Formular (arbeitet also in derselben Umgebung wie die Gesuchstellerin). Bei fehlenden oder inkorrekten Angaben kann sie die einzelnen Eingaben ablehnen und / oder mit Kommentaren versehen. In diesem Fall wird die Gesuchstellerin per E-Mail benachrichtigt, kann die Anpassungen direkt im schon ausgefüllten Formular vornehmen und den Antrag erneut einreichen. Die Sachbearbeiterin wird wiederum benachrichtigt und kann die Eingaben erneut prüfen. Diese Interaktion ist schnell und bequem, da die beiden Seiten mit demselben Formular in derselben Umgebung arbeiten und direkt über die gegenseitigen Schritte benachrichtigt werden. Zusätzlich sind die einzelnen Etappen und der aktuelle Stand des Gesuches auf einer Zeitachse sichtbar.
Abbildung 2: Bei fehlenden oder inkorrekten Angaben kann die Behörde die einzelnen Eingaben ablehnen und / oder mit Kommentaren versehen
Abbildung 3: Die gesuchstellende Person kann die Anpassungen direkt im schon ausgefüllten Formular vornehmen
Abbildung 4: Die einzelnen Etappen und der aktuelle Stand des Gesuches sind auf einer Zeitachse sichtbar
Ist die Prüfung abgeschlossen und das Gesuch bewilligt, wird die Gesuchstellerin informiert und das Gesuch wird an die kantonalen IT Systeme weitergegeben. Das ausgefüllte Gesuch samt Beilagen wird als PDF Dokument in einer Geschäftsverwaltung oder einem Document Management System (DMS) gespeichert, versehen mit einem Barcode zwecks Zuordnung zu den internen Geschäften und mit einem Audit Trial der Veränderungen aus dem Antragsverfahren (Änderungen und Kommentare im Bezug auf die einzelnen Eingaben werden als Fussnoten integriert). Zusätzlich wird das Gesuch in einem maschinell lesbaren Format generiert, das z.B. direkt an die Zahlungssysteme der Behörden weitergeleitet werden kann.
Abbildung 5: Das fertige Gesuch ist mit einem Barcode zwecks Zuordnung zu den internen Geschäften der Behörde und mit einem Audit Trial der Veränderungen versehen
4.
Ausblick weitere Entwicklungen und Einsatzmöglichkeiten ^
Die automatisierten Formulare werden ständig an die rechtlichen Rahmenbedingungen der Kurzarbeit angepasst und sind auch für das «reguläre» Verfahren nach Ende der Pandemie vorgesehen. Die neue, automatisierte Lösung eignet sich generell für jede Interaktion Bürger-Behörde und könnte viele bestehende Prozesse durch Digitalisierung beschleunigen. Denn jede Kommunikation Bürger-Behörde kann theoretisch als ein einfacher Prozess betrachtet werden: der Bürger stellt Antrag, die Behörde trifft die Entscheidung. In der Praxis herrscht oft Informationsmangel an den beiden Seiten, es ergeben sich Zusatzfragen und Ergänzungen. Aus diesem Grund ist die Kommunikation Bürger – Behörde nicht ein einfacher «Eingabe – Ausgabe – Abschluss» Prozess, sondern eine zirkuläre Kommunikation in mehreren Schritten. Die Art und Dauer der Kommunikation prägen den ganzen Prozess massgeblich. Es lohnt sich also, in die Digitalisierung und Vereinfachung solcher Prozesse zu investieren.
Blaise Dévaud, Dr. iur., MA in Wirtschaftsinformatik, Mitglied der Geschäftsleitung der Weblaw AG.
- 1 Es handelt sich um die schriftliche, erweiterte Fassung des Referates vom 27. Februar 2021, gehalten online im Rahmen der IRIS Konferenz.
- 2 https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1982/2184_2184_2184/de (alle im Beitrag erwähnten Hyperlinks wurden am 26. November 2021 zuletzt überprüft).
- 3 https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1983/1205_1205_1205/de.
- 4 https://www.amstat.ch/.
- 5 https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2020/169/de.
- 6 https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2020/711/de.
- 7 So berichtete z.B. «20 minuten» am 17. Juni 2020 im Beitrag «Hat jemand etwas zu essen?» (https://www.20min.ch/story/hat-jemand-etwas-zu-essen-905820452627).
- 8 Der Auftrag zur Umsetzung wurde der Firma iDPARC AG in Bern erteilt.